|
|
PÖTZSCH,
Olga (2007): Neue Datenquelle zu Geburten und
Kinderlosigkeit,
in:
Wirtschaft und Statistik,
Heft 3, März, S.260-263
PÖTZSCH,
Olga (2007): Geburten in Deutschland,
in:
Statistisches Bundesamt,
Dezember
PÖTZSCH, Olga & Dieter EMMERLING (2008): Neue Daten zu Kinderlosigkeit
und Geburten
in:
Statistisches Bundesamt v. 09.12.
PÖTZSCH, Olga (2009): Generatives
Verhalten der Frauenkohorten im langfristigen Vergleich.
Ergebnisse der laufenden Statistik der Geburten und der Erhebung
"Geburten in Deutschland",
in:
Wirtschaft und Statistik, Heft 5, Mai, S.377-396
PÖTZSCH, Olga
(2010): Annahmen zur Geburtenentwicklung in der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung,
in:
Wirtschaft und Statistik, Heft 1, Januar, S.29-40
PÖTZSCH, Olga (2010): Kohortenfertilität: Ein
Vergleich der Ergebnisse der amtlichen Geburtenstatistik und der
Mikrozensuserhebung 2008,
in: Comparative Population Studies, Heft 1
CPOS-Themenheft: Tempoeffekte in demografischen Periodenmaßen
LUY,
Marc & Olga PÖTZSCH (2010): Schätzung der tempobereinigten
Geburtenziffer für West- und Ostdeutschland, 1955 - 2008,
in: Comparative Population Studies, Heft 3
Die
normative,
ehezentrierte amtliche Statistik verhinderte bis zum
Jahr 2009 die korrekte Zuordnung von Geburten zu Frauen.
Ohne eine solche Zuordnung konnten für Deutschland keine
tempobereinigten Geburtenziffern ermittelt werden:
"Für die Berechnung
der tempobereinigten TFR* sind die Geburtenzahlen nach
einzelnen Paritäten erforderlich. Für das vereinigte
Deutschland und das frühere Bundesgebiet lagen solche
Angaben aufgrund der gesetzlichen Regelungen bis 2009
nicht vor. Vor 2009 wurde die Parität ausschließlich bei
Geburten von verheirateten Müttern erfasst, wobei sich die
Ordnungszahl (auch als Geburtenfolge bezeichnet) allein
auf die Kinder der Frau aus der gegenwärtigen Ehe bezog
(einschließlich vorehelicher Kinder mit dem aktuellen
Ehemann). Die vorehelichen Kinder mit anderen Vätern als
dem jetzigen Ehemann der Mutter sowie Kinder aus früheren
Ehen wurden hierbei nicht berücksichtigt. Erst nach der
Ergänzung des Bevölkerungsstatistikgesetzes (BGBl 2007)
war für das Jahr 2009 erstmals ein deutschlandweiter
Nachweis der sogenannten biologischen Geburtenfolge
unabhängig vom Familienstand der Mutter möglich (siehe
Statistisches Bundesamt 2010)."
LUY & PÖTZSCH haben
diese Datenlücken nun für die Jahre 1955 - 2008 durch
Schätzungen aufgrund anderweitiger Daten aufgefüllt.
Bislang
fehlte hierzu der politische Wille, doch mittlerweile
wird die klassische Berechnung zum
Hemmnis für weitere bevölkerungspolitisch motivierte
Reformen. Deshalb wird diese Debatte erst jetzt geführt,
obwohl diese Debatte international bereits seit 1998 geführt
wird.
Ein Beispiel für den
fehlenden politischen Willen gefällig?
Im Jahr 2001 veröffentlichte der Bevölkerungsstatistiker
Ron LESTHAEGHE für die westdeutschen Frauen folgende
endgültigen (und vorläufige) Kinderzahlen:
"Betrachte
man - anders als die deutsche Statistik - nicht nur die
aktuelle Geburtenentwicklung pro Jahr, sondern das
jeweilige Verhalten von Frauen-Altersgruppen (so genannten
'Kohorten'), so werde deutlich, dass der Geburtenrückgang
langfristig weniger dramatisch sein dürfte. Die Frauen der
Jahrgänge 1957 bis 1961 etwa hätten zwar viel später mit
dem Kinderkriegen angefangen als ihre Vorgängerinnen, aber
dann aufgeholt: Die Geburtenrate ihrer Altersgruppe liegt
bei rund 1,6 Kindern pro Frau; verglichen mit 1,8 für die
Jahrgänge 1942-1946. Die heute 35- bis 40-Jährigen hätten
bereits jetzt eine Rate von 1,5 erreicht - obwohl sie sich
durchschnittlich noch länger Zeit gelassen hätten, bevor
das erste Baby kam."
Diese Zahlen stimmen
mit den
kürzlich veröffentlichten endgültigen und tempo-bereinigten
Kinderzahlen des Max-Planck-Institut für demografische
Forschung (MPIDR) überein.
Die Zahlen wurden im
Nachgang zu einem Bundesverfassungsurteil zur
Pflegeversicherung veröffentlicht.
Das Urteil vom 3. April 2001 begründete die geforderten
Änderungen neben dem Anstieg der Kinderlosigkeit
hauptsächlich
mit der durchschnittlichen Kinderzahl (TFR)
folgendermaßen:
"In Deutschland ist
seit Mitte der sechziger Jahre die Zahl der
Lebendgeborenen je Frau von 2,49 in rascher Folge auf
mittlerweile 1,3 gesunken. In den meisten der
wirtschaftlich entwickelten Länder hat der Effekt
beobachtet werden können, dass mit steigendem
Lebensstandard und steigendem Pro-Kopf-Einkommen die
Geburtenrate zum Teil erheblich unter 2,0 sinkt. Es ist -
wie auch der Sachverständige dargelegt hat - nichts dafür
ersichtlich, dass sich die für diese Entwicklung
verantwortlichen Rahmenbedingungen alsbald grundlegend
wandeln. Ein sprunghafter Anstieg der Geburtenrate ist
nicht zu erwarten"
Alle damaligen
Presseveröffentlichungen im Vorfeld des Urteils und zur
Debatte um das Pflegeurteil - außer dem Interview mit
Ron LESTHAEGHE - argumentierten mit der durchschnittlichen
Kinderzahl von 1,3.
Bis heute hat kein
einziger Frauengeburtsjahrgang eine endgültige Kinderzahl
von 1,3 erreicht, sondern sie liegen bis zum Jahrgang 1961
bei 1,6. Jene Geburtsjahrgänge, die in den nächsten Jahren
ihre endgültigen Kinderzahl erreichen werden, liegen
allesamt über 1,5 - immer noch weit entfernt von 1,3. Der
Trend bei den endgültigen Kinderzahlen weist jedoch immer
noch nach unten. Solange dies der Fall ist, lässt sich das
Gegenteil nicht sicher beweisen.
Was aber, wenn die
durchschnittliche Kinderzahl (gemessen als TFR) nun in den
nächsten Jahren sprunghaft nach oben weist? Bereits ein Wert
von 1,5 würde die Bevölkerungswissenschaftler in
Erklärungsnot bringen. Ein Wert von 1,6 war Anfang des
Jahrtausends - zu Zeiten der
Agenda 2010-Debatte - völlig undenkbar. Was, wenn die
TFR diesen Wert übersteigt?
Dass nun auch in
Deutschland die Debatte um tempobereinigte Geburtenziffern
beginnt, ist also der Staatsraison geschuldet, und nicht
etwa der Tatsache, dass es vorher nicht möglich gewesen
wäre. Nein: einzig der politische Wille fehlte!
PÖTZSCH,
Olga (2012): Geburten in Deutschland,
in:
Statistisches Bundesamt, Januar
PÖTZSCH,
Olga (2012): Geburtenfolge und Geburtenabstand - neue Daten und
Befunde,
in:
Wirtschaft und Statistik,
Heft 2
Veröffentlichungen zur Geburtenentwicklung sind in Deutschland
in der Regel so angelegt, dass die wichtigen Ergebnisse NICHT
für jedermann deutlich werden, sondern aus dem Subtext
herausgelesen werden müssen:
"Immer mehr Frauen bekommen
ihr erstes Kind erst nach ihrem 30. Geburtstag. Allein in den
letzten 20 Jahren stieg in Deutschland das durchschnittliche
Gebäralter beim ersten Kind um mindestens drei Jahre an, von
etwa 26 Jahren im Jahr 19895 auf 29 Jahre im Jahr 2010. Dabei
stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung mit einem
entsprechenden Aufschub der zweiten und weiteren Geburten auf
ein immer höheres Alter einhergeht. In diesem Fall könnte
künftig der bisher relativ konstante Anteil der Mütter mit
drei oder mehr Kindern sinken",
(Wirtschaft und
Statistik, Heft 2, 2012)
schreibt PÖTZSCH. Hier
geht es also darum, ob der Aufschub von Geburten in ein
höheres Alter zu einem Rückgang kinderreicher Familien
beiträgt. In Deutschland geht es jedoch in erster Linie um den
Umfang der endgültigen Kinderlosigkeit der westdeutschen
Akademikerinnen, der bis vor kurzem noch auf über 40 %
geschätzt wurde, aber tatsächlich je nachdem welche Abschlüsse
dazugezählt werden, zwischen 25 und 31 % liegt. Dies auch
wiederum nur, wenn man nicht berücksichtigt, dass hoch
qualifizierte oftmals noch mit über 40 Jahren Kinder bekommen.
Unter diesem Aspekt ist die folgende Textpassage zu
betrachten:
"Im früheren Bundesgebiet
blieben die Intervalle bis zur zweiten und dritten Geburt bei
den unter 40-jährigen Müttern praktisch konstant. Bei den 40-
bis 44-jährigen Müttern verkürzten sie sich um sechs Monate
bei der zweiten Geburt und um zwölf Monate bei der dritten
Geburt. Der Anteil der Mütter, die in diesem Alter Kinder
bekommen, nimmt ständig zu und hat sich in den letzten zehn
Jahren mehr als verdoppelt. Trotzdem bilden sie nach wie vor
eine kleine Gruppe von 5 % unter den Müttern der zweiten
Kinder und von 9 % unter den Müttern der dritten Kinder
(Angaben für 2010)."
(Wirtschaft und Statistik, Heft 2, 2012)
Diese Interpretation muss
dahin gehend korrigiert werden, dass es sich bei diesem
Geburten vor allem um Geburten von Akademikerinnen handelt.
Wenn dieser Anteil als gering eingeschätzt wird, dann nur im
Hinblick auf die Gesamtbevölkerung, nicht jedoch im Hinblick
auf die kleine Gruppe der Akademikerinnen.
"Die
früher in empirischen Untersuchungen gängige Altersgrenze von
39 Jahren ist durch neuere Forschungsergebnisse kritisiert und
erweitert worden, denn gerade bei hochqualifizierten
Frauen setzen Familiengründungsprozesse später, zu großen
Teilen auch nach dem Alter von 39 Jahren, ein."
(2012, S.29)
heißt es hierzu in dem
kürzlich erschienen Buch
Kinderlosigkeit in Deutschland von Rabea
KRÄTSCHMER-HAHN. In dem Buch heißt es weiter:
"Die überdurchschnittlich
hohe Kinderlosigkeit bei hoch qualifizierten Frauen ist (...)
kein neuartiges Phänomen, sondern lässt sich auch schon in den
1970er Jahren beobachten. Der einzige Unterschied besteht
darin, dass damals nur 2 % der Frauen zwischen 35 und 39
Jahren einen Hochschulabschluss hatten (...), doch heute im
Zuge der Bildungsexpansion etliche Frauen besser ausgebildet
sind und die Anzahl der Akademikerinnen steigt. Dennoch
stellen die Akademikerinnen auch im Jahr 2004 mit 10 % eine
eher kleine Gruppe dar."
(2012, S.49)
Betrachtet man die Fakten,
die PÖTZSCH zu den 40-44jährigen Müttern präsentiert, unter
diesem Gesichtspunkt, dann könnte das darauf hindeuten, dass
die Kinderzahl von Akademikerinnen nicht mehr so niedrig ist,
wie das die bisherige Debatte vermuten ließ.
Man wird in Sachen Geburten
von Akademikerinnen einfach nicht das Gefühl los, dass Fakten
der Öffentlichkeit vorenthalten werden, bzw. ihre Lancierung
politischen Erwägungen der Familienlobbyisten folgen. Darauf
deutet z.B. eine
Meldung auf
Welt Online hin. Auch die Stoßrichtung des Szenarios
von Uwe EBBINGHAUS 2030 - Odyssee in eine gealterte
Gesellschaft lässt nichts Gutes erwarten:
"Wenige der naheliegenden
Gegenmaßnahmen wie das erhöhte Renteneinstiegsalter wurden
bisher politisch umgesetzt. Wie sehr Birgs nachvollziehbares
Plädoyer, konsequent die Familien und damit den Nachwuchs zu
fördern, verhallte, konnte man kürzlich wieder sehen, als
Bundeskanzlerin Merkel
Forderungen
aus der eigenen Partei nach einer unglücklich formulierten
Kinderlosen- oder Demographie-Abgabe als »nicht
zielführend« bezeichnete. Dabei zahlen Kinderlose schon jetzt
in der Pflegeversicherung einen höheren Beitrag als Eltern,
ohne dass es bisher zur gesellschaftlichen Spaltung kam."
(FAZ 10.03.2012)
PÖTZSCH, Olga (2013): Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf die
Kohortenfertilität in West und Ost aus?
in:
Wirtschaft und Statistik, Heft 2
Gemäß PÖTZSCH werden die
Ergebnisse des Mikrozensus 2012 und das heißt, der Entwicklung
der Kinderlosigkeit in den vergangenen 4 Jahren, erst im
Herbst - also voraussichtlich in der heißen Phase des
Bundeswahlkampfes - veröffentlicht und können damit -
wie bereits im Jahr 2005 - zu Wahlkampfzwecken missbraucht
werden. Dies könnte auf zwei Arten geschehen: entweder durch
gezielte Teilveröffentlichung von Fakten, die genehm sind bzw.
durch Nichtveröffentlichung von Fakten, die der
familienpolitischen Intention widersprechen.
Im Jahr 2005 wurde
bekanntlich behauptet, dass Akademikerinnen, die Mitte der
1960er Jahren geboren wurden, zu über 40 % lebenslang
kinderlos bleiben werden.
Tatsächlich lag der Anteil bei ca. 30 % (Stand 2008).
Angesichts der Entwicklung
der Geburtenraten stellt sich die Frage, welchen unsäglichen
Einfluss die politische Debatte auf die Geburtenentwicklung
hat. Denn offenbar sorgt der andauernde Richtungsstreit um die
Familienpolitik keineswegs für Lust auf Kinder. In der
"familienpolitischen Kampfpause" von 2007-2010 wurden
kurzzeitig Kinderwünsche früher realisiert als in den
vorangegangenen Frauenjahrgängen:
"Die maximale Abweichung im
»Tiefpunkt«
und der Rückstand in der kumulierten Kohortenfertilität am
Ende des gebärfähigen Alters haben sich von Kohorte zu Kohorte
vergrößert.
Bei den frühen
1970er-Jahrgängen wird diese Entwicklung allerdings
unterbrochen. Die absolute maximale Abweichung zur
Referenzkohorte war bei den Kohorten 1970 bis 1975 – entgegen
dem bisherigen Trend – geringer als bei den älteren, Ende der
1960er-Jahre geborenen Frauen. Bei der Kohorte 1973 steigt die
kumulierte Fertilität im Alter zwischen 34 und 37 Jahren (das
heißt in den Kalenderjahren 2007 bis 2010) besonders schnell.
Nach der Kohorte 1975 vergrößert sich die maximale Abweichung
wieder deutlich. Bei der Kohorte 1980 ist sie beinahe doppelt
so groß wie bei den Kohorten von Ende der 1950er-Jahre, die
durchschnittlich 1,6 Kinder je Frau zur Welt gebracht haben."
Seit der
Debatte um das
Betreuungsgeld, dem
Hickhack um den Kitaausbau wächst die
Verunsicherung wieder. Der diesjährige Bundeswahlkampf dürfte
zusätzlich Öl ins Feuer gießen,
was frühere Bundestagswahlkämpfe belegen. Insbesondere die
Bestrafung von Kinderlosen, d.h. von potentiellen Eltern, die
von Nationalkonservativen aller Parteien gefordert wird, ist
kontraproduktiv. Denn damit werden falsche Signale an die
potentiellen Eltern ausgesandt, die eine bessere
Betreuungsinfrastruktur und eine Politik der besseren
Vereinbarkeit von Beruf und Familie erwarten.
Angesichts der gegenwärtigen familienpolitischen
Blockadepolitik wäre ein weiterer Aufschub des Kinderkriegens
nur logisch.
Neu:
PÖTZSCH, Olga (2016): (Un-)sicherheiten der
Bevölkerungsvorausberechnungen.
Rückblick auf die koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnungen für Deutschland zwischen 1998 und 2015,
in:
Wirtschaft und Statistik, Heft 4
Auf dieser Website wurden die Annahmen der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung bereits beim Erscheinen im April 2015
kritisiert. Ausführlich wurde auf die Problematik auch bei einem
Vergleich mit einer IW-Bevölkerungsvorausberechnung eingegangen.
Nun erst sieht sich also auch das
Statistische Bundesamt genötigt, auf Kritik zu reagieren. Olga
PÖTZSCH ist nicht für eine fortschrittliche Analyse bekannt (mehr
hier), sondern ihr bevölkerungspolitisch motivierte Credo
lautet: Immer alles leugnen bis zuletzt. Diese Strategie wurde hier
bereits seit der Jahrtausendwende immer wieder deutlich gemacht.
Auf dieser Website wurde immer
wieder gefordert, die Treffsicherheit von
Bevölkerungsvorausberechnungen im Vergleich mit früheren
Berechnungen zu überprüfen. Denn gerne wird behauptet, dass nichts
so sicher sei wie die demografische Entwicklung und das über
Zeiträume von fast 50 Jahren wie zuletzt wieder die
Deutsche Bundesbank mit ihren
Forderungen nach einer Rente mit 69 bis 2064 gezeigt hat. Bei
PÖTZSCH heißt es nun:
"Dieser Beitrag geht auf das
Wesen und den Zweck der amtlichen Bevölkerungsvorausberechnungen
ein und setzt sich mit der jüngsten medialen Kritik auseinander.
Er vergleicht die Annahmen und Ergebnisse der 9. bis 13.
koordinierten Vorausberechnungen untereinander und mit der realen
Bevölkerungsentwicklung und zeigt somit Möglichkeiten und Grenzen
der Bevölkerungsvorausberechnungen auf."
Hier stellt sich gleich die
Frage, warum nur seit der 9. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung, denn
die erste gesamtdeutsche Bevölkerungsvorausberechnung war die 7.
koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung mit Basisjahr 1989,
während die 9. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung lediglich
das Basisjahr 1997 betrifft, d.h. die Treffsicherheit wird lediglich
für den lächerlichen Zeitraum von nicht einmal 20 Jahren überprüft.
Die Bundesbank verlangt dagegen Rentenprognosen über 45 Jahre! Uns
wird dagegen eine scheinheilige Begründung für diesen Sachverhalt
geliefert:
"Die bis 1998 realisierten
Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes,
darunter die ersten acht koordinierten Berechnungen, wurden
bereits in früheren Publikationen von Manfred Bretz ausführlich
beschrieben und analysiert (Bretz, 1986; Bretz, 2001)."
Die Überprüfung der
Treffsicherheit von Manfred BRETZ ist 15 Jahre her. In dieser Zeit
passierten viele weitere Veränderungen der Entwicklung, die die
damalige Analyse überholt haben. Man muss daraus schließen, dass
hier verharmlost werden soll. Eine Re-Analyse hätte dagegen zeigen
können, was die Bundesbank-Aussagen wirklich Wert sind: nämlich
nichts! Pure Kaffeesatzleserei.
PÖTZSCH lehnt mit ihrer
Aufgabenbeschreibung von Bevölkerungsvorausberechnungen im Grunde
jegliche Verantwortung für einen Missbrauch ab, wenn sie schreibt:
"Vorausberechnungen (...)
müssen aufzeigen, was passieren würde, wenn keine »integrativen
und konstruktiven« Anstrengungen unternommen werden. Die Politik
kann auf dieser Grundlage gestalterisch auf die tatsächliche
Entwicklung Einfluss nehmen, sofern die aufgezeigten Trends
politisch und gesellschaftlich unerwünscht sind".
Dabei bezieht sie sich speziell
auf einen SZ-Artikel von LESSENICH & MESSERSCHMIDT, der sich
auf die Annahmen zur Zuwanderung bezog. Man könnte diese
Immunisierungsstrategie von PÖTZSCH auch genauso gut auf die
Bundesbank münzen, die ja mit den Annahmen der
Bevölkerungsvorausberechnung ebenfalls Politik betreibt. Kann sich
das Statistische Bundesamt einfach auf eine unpolitische Position
zurückziehen und Missbrauch ihrer Berechnungen einfach ignorieren?
Oder wäre das Statistische Bundesamt nicht dazu verpflichtet,
Missbrauch aufzuzeigen? Stattdessen heißt es:
"Wenn die absehbaren
Auswirkungen durch neue Trends oder gerade aufgrund von
Gegensteuerung abgemildert oder gar nivelliert werden, muss die
Realität von der Bevölkerungsvorausberechnung zwangsläufig
abweichen."
Wenn also Treffsicherheit ein
belangloses Kriterium von Bevölkerungsvorausberechnungen wäre, dann
werden die Annahmen dieser Vorausberechnungen umso bedeutsamer, denn
sie müssten sofort korrigiert werden, wenn erkennbar ist, dass sie
unhaltbar sind. Dies jedoch geschieht ebenfalls nicht, wie das
Beispiel der steigenden Geburtenrate zeigt. Immer noch wird die
Geburtenrate mit 1,4 Kinder pro Frau bis 2060 fortgeschrieben. Die
Bundesbank betrachtet nicht einmal mögliche Alternativen mit 1,5
oder 1,6 Kinder pro Frau.
PÖTZSCH jedenfalls will als
Kriterium für Bevölkerungsvorausberechnungen nur "richtige Signale
senden" gelten lassen. Damit wird die Debatte von der
Treffsicherheit in Bezug auf zukünftige Entwicklungen jedoch nur auf
die getroffenen Annahmen verlagert, aber die grundsätzliche Kritik
an solchen Bevölkerungsvorausberechnungen nicht aus der Welt
geschafft:
"Ihrer Aufgabe, richtige
Signale im Hinblick auf die künftige demografische Entwicklung zu
senden, können Bevölkerungsvorausberechnungen allerdings nur dann
gerecht werden, wenn sie auf möglichst treffenden Analysen der
Gegenwart beruhen. Ein besonderes Augenmerk wird deshalb auf die
Ableitung und Begründung der Annahmen zu einzelnen demografischen
Komponenten gelegt. Diese sind die eigentliche Herausforderung bei
der Weiterentwicklung der Bevölkerungsvorausberechnungen." (2016,
S.39)
Und es kommt hinzu, dass dann der
Einfluss von politischen Entscheidungen auch kausal belegt werden
müsste, denn sonst könnten ja falsche Rückschlüsse gezogen werden
aus der Differenz zwischen Vorausberechnung und Realität. Was wenn
die Veränderungen gar nicht auf Politik, sondern auf ganz andere -
nicht berücksichtigte Faktoren - zurückzuführen wären? PÖTZSCH baut
sich hier ein Kartenhaus auf, das sehr einsturzgefährdet ist. Uns
interessiert vor allem die Begründung der Annahmen zur
Geburtenentwicklung, da darin gegenwärtig der größte Sprengstoff im
Hinblick auf die Bundesbank-Berechnungen und der Debatte um die
zukünftige Finanzierung der Renten liegt. Erstmals wird uns
einigermaßen ausführlich erklärt, dass die Annahmen zur
Geburtenentwicklung sich nicht einfach aus der zusammengefassten
Geburtenziffer ergeben, sondern aus der jeweiligen Verteilung der
altersspezifischen Geburtenziffern:
"Die
zusammengefasste Geburtenziffer steht erst am Ende eines
iterativen Annahmenfindungsprozesses und beeinflusst indirekt –
über die altersspezifischen Geburtenziffern – die Stärke der neuen
Geburtsjahrgänge und somit die künftige Bevölkerungsgröße und
-struktur.
Die eigentlichen Annahmen werden zur Entwicklung der
altersspezifischen Geburtenziffern getroffen. Sie beruhen
einerseits auf einer linearen Extrapolation der altersspezifischen
Trends und andererseits auf den Hypothesen zur Weiterentwicklung
der Kohortenfertilität. Die Parametrisierung der Zielverteilung
erfolgt schließlich mithilfe eines Quadratic-Spline-Modells von
Carl Schmertmann (2003). Die zusammengefasste Geburtenziffer
ergibt sich anschließend aus der Summation der extrapolierten
altersspezifischen Werte. Infolgedessen können der gleichen
zusammengefassten Geburtenziffer von 1,4 Kindern je Frau im Jahr
2005 und im Jahr 2020 unterschiedliche altersspezifische
Verteilungen zugrunde liegen. Ihr lang anhaltendes annähernd
konstantes Niveau kommt dadurch zustande, dass der Rückgang der
Geburtenhäufigkeit im jüngeren gebärfähigen Alter durch den
Geburtenanstieg im höheren Alter kompensiert wird. Bei der
Formulierung der Annahmen wird deshalb oft neben dem Wert für die
zusammengefasste Geburtenziffer auch das durchschnittliche
Gebäralter als Verteilungsmaß genannt."
Nur wird dies bislang in keiner
einzigen Broschüre explizit nachprüfbar aufgeführt. Wenn also den
Annahmen derart immense Wichtigkeit zukommt, warum also legt das
Statistische Bundesamt diese Annahmen nicht offen, sodass darüber
öffentlich diskutiert werden kann. Stattdessen wird eine Art
Geheimwissenschaft betrieben. Die Beschränkung auf eine einzige
Annahme zur Geburtenentwicklung in der 9. und 10. koordinierten
Bevölkerungsentwicklung wird lapidar mit der damaligen schlechten
Datenlage begründet, denn die Verbesserung der Datenlage wurde bis
zum Beschluss des Elterngeldes von den politischen Parteien und
ihren Handlangern in Medien und Wissenschaft erfolgreich verhindert,
weshalb uns PÖTZSCH nun scheinheilig mitteilt:
"Für alternative Annahmen lagen
keine empirischen Hinweise vor."
Wichtig sei stattdessen allein
das Geburtenverhalten ostdeutscher Frauen gewesen:
"Zum Entstehungszeitpunkt
dieser Berechnungen war zudem vor allem relevant, wie schnell sich
die stark gesunkene Geburtenhäufigkeit in den neuen Ländern
erholen und an das westdeutsche Niveau anpassen wird
(Statistisches Bundesamt, 2000, 2003). Es wurde eine Annäherung
zwischen 2005 und 2010 angenommen. Tatsächlich hat sich die
zusammengefasste Geburtenziffer im Jahr 2007 in beiden Teilen
Deutschlands beim Wert von 1,37 Kindern je Frau angeglichen. In
den neuen Ländern stieg sie anschließend weiter und überholte das
westdeutsche Niveau deutlich."
PÖTZSCH drückt sich in dem
Beitrag jedoch um das Eingeständnis, dass die Geburtenentwicklung in
den Bevölkerungsvorausberechnungen gravierend falsch eingeschätzt
wurde, denn es fehlt ein für den Leser nachvollziehbaren Vergleich
mit der realen Entwicklung. Stattdessen wird uns zum Schluss
erklärt:
"Andererseits erscheinen einige
im Zeitraum von 1998 bis 2015 getroffene Annahmen aus heutiger
Sicht überholt. (...). Die Annahme eines kontinuierlichen
Rückgangs der zusammengefassten Geburtenziffer entspricht
zumindest nicht der Entwicklung der letzten Jahre." (2016, S.51)
Statt die Treffsicherheit der
einzelnen Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung zu untersuchen,
präsentiert uns PÖTZSCH dagegen nur jene Ergebnisse, die eine hohe
Treffsicherheit suggerieren. Die hohe Treffsicherheit über einen
lächerlich kurzen Zeitraum von 14 Jahren kommt jedoch dadurch
zustande, dass sich diverse Fehleinschätzung gegeneinander
aufgehoben haben. Zudem werden die Ergebnisse nur für das Jahr 2040
verglichen, während z.B. die Bundesbank das Jahr 2060 zum
Standardprognosezeitraum machen möchte. Gerade nach 2040 würden sich
Fehleinschätzungen zur Geburtenentwicklung drastisch auswirken.
Wurde deshalb das Jahr 2040 gewählt? Ein Vergleich wäre für die 3
Berechnungen jedenfalls bis 2050 ohne Probleme möglich gewesen.
Fazit:
Der Beitrag von PÖTZSCH verschleiert die Hauptprobleme von
Bevölkerungsvorausberechnungen. Die Ausführungen zu den Annahmen der
zukünftigen Geburtenentwicklung sind sehr dürftig, obwohl (oder
gerade weil?) sie den größten Sprengstoff bei der gegenwärtigen
Rentendebatte enthalten. Weder die Annahmen der 9. und 10. noch die
aktuelleren und auf besserer Datengrundlage basierenden
Annahmen der 11. bis 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung
waren besonders treffsicher. Bei ersteren wurde die Entwicklung in
Ostdeutschland falsch eingeschätzt (diese wird nur bei den Annahmen,
nicht aber hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Treffsicherheit
dargestellt), bei letzteren bleibt
der Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer (TFR)
unberücksichtigt. Beides wird nicht ausführlich diskutiert und
deshalb auch keinerlei Konsequenzen daraus gezogen. Die
Nachvollziehbarkeit der Annahmen ist nicht gegeben, weil keinerlei
Kriterien angegeben werden, nach denen sich die Angemessenheit der
Annahmen bemessen lässt. Hier waltet Gutdünken der Behörde. Aufgrund
der besonderen Brisanz wären solche Angaben das Mindeste, was hier
zu fordern wäre, ansonsten muss hier Unseriosität und
Unwissenschaftlichkeit unterstellt werden. Alles in allem bietet der
Beitrag also keine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem Sinn
solcher Bevölkerungsvorausberechnungen. Eher deutet die Stoßrichtung
der Argumentation darauf hin, dass Bevölkerungsvorausberechnungen
lediglich als politisches Rechtfertigungsinstrument dienen, um die
Alternativlosigkeit von Politiken zu suggerieren. Diese Zweifel kann
der Beitrag nicht zerstreuen.
|
|