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Zitate: Singles als
Pioniere der Moderne - Eltern als Widerstandskämpfer?
Demian
"während, nach unserer Auffassung, wir
Gezeichneten den Willen der Natur zum Neuen, zum
Vereinzelten und Zukünftigen darstellten, lebten die andern
in einem Willen des Beharrens. Für sie war die Menschheit -
welche sie liebten wie wir - etwas Fertiges, das erhalten
und geschützt werden mußte. Für uns war die Menschheit eine
ferne Zukunft, nach welcher wir alle unterwegs waren, deren
Bild niemand kannte, deren Gesetze nirgend geschrieben
standen.
(...).
Uns schien jedes Bekenntnis, jede Heilslehre schon im voraus
tot und nutzlos. Und wir empfanden einzig das als Pflicht
und Schicksal: Daß jeder von uns so ganz er selbst werde, so
ganz dem in ihm wirksamen Keim der Natur gerecht werde und
zu Willen lebe, daß die ungewisse Zukunft uns zu allem und
jedem bereit finde, was sie bringen möchte.
Denn dies war, gesagt und ungesagt, uns allen im Gefühl
deutlich, daß eine Neugeburt und ein Zusammenbruch des
Jetzigen nahe und schon spürbar sei. Demian sagte mir
manchmal: » (...). Sieh, alle Menschen sind bereit, das
Unglaubliche zu tun, wenn ihre Ideale bedroht werden. Aber
keiner ist da, wenn ein neues Ideal, eine neue, vielleicht
gefährliche und unheimliche Regung des Wachstums anklopft.
Die wenigen, welche dann da sind und mitgehen, werden wir
sein. Dazu sind wir gezeichnet - wie Kain dazu gezeichnet
war, Furcht und Haß zu erregen und die damalige Menschheit
aus einem engen Idyll in gefährliche Weiten zu treiben«".
(Hermann Hesse, 1919, zitiert nach 1974)
Das
halbierte Leben
"Die Berufsarbeit ist nicht so sehr
zugeschnitten auf den »familienfreien Mann«, sondern genauer
auf den »familienfreien Ehemann«. Idealtypisch
gefordert ist eine Ehebeziehung, in der keinerlei
Anforderungen und Ansprüche an den Mann herangetragen
werden, im Gegenteil möglichst nur Entlastung und Befreiung
von allen Alltagssorgen erfolgt. Dies freilich scheint eine
sehr einseitige und eingeschränkte Ehebeziehung, und die
Versuchung liegt nahe, sie als andere, perfektere Version
von Junggesellendasein zu bezeichnen".
(Elisabeth Beck-Gernsheim, 1980, S.72)
Die
"Single"-Gesellschaft
"Vieles spricht dafür, daß zeitweiliges Leben
als Single manche Vorteile für die Gesellschaft mit sich
bringt: Denn moderne Gesellschaften beruhen darauf, daß ihre
Mitglieder sich auch noch im Erwachsenenalter raschen
Wandlungsvorgängen anpassen (oder Wandlungsvorgänge in die
Wege leiten). Die geforderten Umorientierungen gehen zum
Teil psychisch sehr weit. Tiefsitzende Einstellungen, die in
jahrelangen Gewöhnungsprozessen vermittelt und praktisch
verfestigt wurden, lassen sich jedoch nur durch krisenhafte
Milieu- und Kontaktwechsel unter Abbruch von Bindungen
verändern. Zeitweilige Phasen des Alleinlebens stellen
solche Gelegenheiten und Anstöße zur Umorientierung dar. Sie
tragen daher individuelle und gesellschaftliche Chancen in
sich."
(Stefan Hradil,
1995, S.147)
Die
beschleunigte Gesellschaft
"Nun gibt es in der europäischen Tradition ja
durchaus den »unternehmerischen Einzelnen«. Der große Ökonom
Joseph Schumpeter hat ihn beschworen, als er den Begriff der
»kreativen Zerstörung« prägte. Die kreative Zerstörung - die
Schumpeter für den Industriekapitalismus bechrieb und die
sich im digitalen Kapitalismus radikal beschleunigt -
verlangt »unternehmerische Einzelne«, die sich vor den
Folgen der Veränderung nicht fürchten und die nicht ständig
fragen, was hinter der nächsten Ecke kommt."
(Peter Glotz, 2001, S.109)
"Die zeitliche Begrenzung (oder Teilung) von
Core-Jobs ist eine hochherzige, gut begründbare, aber
undurchführbare Idee. In der oberen Etage der
Zweidrittelgesellschaft gibt es im digitalen Kapitalismus
keinerlei Chance für die schöne Vorstellung vom jeweils
halbtags arbeitenden Ehepaar, das sich zärtlich und
zugewandt in Kindererziehung und »reproduktive Arbeit«
teilt."
(Peter Glotz, 2001, S.129)
"Deutschland hat einen unschätzbaren Vorteil:
ein bis in die letzten Winkel reichendes, solides (...)
Bildungswesen. Mag also sein, daß hungrige, flexible,
arbeitswütige und gewinnsüchtige junge Leute mit Computer-
und Media-Literacy die starren, von Seilschaften
organisierten traditionsreichen und kompliziert verästelten
Superstrukturen einfach unterlaufen und jenen Kulturwandel
erzwingen. Sie werden dazu das System in die Krise stürzen.
Das nächste Dutzend Jahre dürfte deshalb kontrovers werden."
(Peter Glotz, 2001, S.153)
Private Lebenssituation und Karriereentwicklung in
männlichen Biographien
"Eine
hohe berufliche Plazierung bzw. beruflicher Erfolg gehen bis
in die 1980er Jahre noch mit der institutionalisierten
Lebensform der Ehe einher (...). Dieser Zusammenhang
zwischen den beiden Lebensbereichen löst sich innerhalb von
nur zehn Jahren auf. Mit der Zunahme anderer privater
Lebensformen, vor allem der nichtehelichen
Lebensgemeinschaft, sind diese nicht mehr mit beruflichen
Nachteilen gekoppelt. Die Einschätzung, die in den 1990er
Jahren sowohl im wissenschaftlichen Kontext als auch in den
Medien häufig zum Ausdruck kam, daß »Singles« aufgrund der
Arbeitsmarktanforderungen in ihren Berufskarrieren im
Vorteil seien, trifft jedoch nicht zu - sie haben nur
aufgeholt."
(Angelika Tölke,
Männlichkeitsentwürfe 2000)
Die
Tyrannei der Lust
"In stabilen Gesellschaften, in denen ein autoritärer und
holistischer Konformismus herrscht, ist die Familie als Ort
der Weitergabe und sozialen »Erneuerung« in der Tat ein
Instrument im Dienst der bestehenden Ordnung. Natürlich ist
sie die Instanz, die uns Gehorsam beibringt, und
infolgedessen auch der Ort der Anpassung und der Tradition.
Vollkommen anders ist die Lage hingegen in Zeiten des
Umbruchs, in denen Entropie, Chaos und soziale
Zersplitterung vorherrschen, das heißt, in denen sich im
Extremfall sogar die Fähigkeit zur Weitergabe von Werten
auflöst. Nun wird die Familie zum Hort der Menschlichkeit,
der Sozialisierung und des Widerstands gegen die
solipsistische Barbarei (...). Sie repräsentiert eine
Instanz der »fortschrittsorientierten« Verweigerung
gegenüber der »Bedeutungslosigkeit einer Gegenwart ohne
Bindungen«, wie Irène Théry es formuliert."
(Jean-Claude Guillebaud, 2001, S.386f.)
Schuld hat, wen es trifft
"Wer jugendlich
ist, überschreitet permanent die Grenze zwischen Berufsleben
und Privatleben und damit auch das Modell der Kleinfamilie
als Ort der Regeneration. Diese Jugend ist daher dem
Phänomen des Outburn ausgesetzt. Niemand hält einem mehr den
Rücken frei. Im Gegenteil, die Patchwork-Familie verlangt
mindestens genauso viel Management wie die eigene Karriere.
Beziehungen, Ehen, Familien und Freundschaften gehören
längst der gleichen Innovationslogik an und bilden
keineswegs mehr den lebensweltlichen Gegenpol zur Teilnahme
am Markt als Person."
[mehr]
(Leander Scholz im Freitag Nr.3 vom
10.01.2003)
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Das Ende der Familie als
soziologischer Krisendiskurs
Thomas MEYER
unterscheidet im Artikel
Das »Ende der Familie« - Szenarien zwischen Mythos und
Wirklichkeit
im Sammelband
Soziologische Gegenwartsdiagnosen II: Vergleichende
Sekundäranalyse,
herausgegeben von Ute VOLKMANN & Uwe SCHIMANK, beim gegenwärtigen soziologischen Krisendiskurs
drei Krisenszenarien: Erstens eine Wertkrise,
zweitens eine Erziehungskrise und drittens eine
Bindungskrise.
Diese Krisenrhetorik ist
keineswegs historisch einzigartig, sondern sie zieht sich wie
ein roter Faden durch die Geschichte der deutschen
Familiensoziologie. Claus MÜHLFELD ("Krisenattribuierungen in
der Familiensoziologie",1995) hat diesen
Krisendiskurs von Wilhelm Heinrich RIEHL (1856) bis zu Ulrich
BECK nachgezeichnet.
Thomas MEYER geht es dagegen
um die aktuelle Krisendebatte, die er vor allem anhand der
amerikanischen Kulturkritik aufzeigt.
Die
Wertkrise
Von
Christopher LASCHs The Culture of Narcissism (1979) bis
zu den Bestsellern der Kommunitaristen Amitai ETZIONI (The
Spirit of Community, 1993) und Francis FUKUYAMA (The
Great Disruption, 1999) findet sich die Klage über den
Wertewandel, der von der 68er Bewegung hin zum
egoistischen Individualismus geführt hat, das Thomas MEYER
folgendermaßen zusammenfasst:
Das "Ende der
Familie" - Szenarien zwischen Mythos und Wirklichkeit
"Während die
Kernfamilie in der wohlgeordneten Gesellschaft der fünfziger
Jahre noch intakt gewesen sei, so das typische Lamento, sei sie
nunmehr zu einer bloßen »Lifestyle-Option« und einem
Experimentierfeld für neue Formen des privaten Zusammenlebens
verkommen. Singles, unverheiratete Paare, kinderlose Ehen,
berufstätige Mütter, Eineltern- und Karrierefamilien gelten als
die offenkundigen Beweise eines exzessiven und uferlosen
Individualismus, der sich allen längerfristigen Verpflichtungen
und Verantwortungen zu entziehen weiß."
(aus: Soziologische Gegenwartsdiagnosen II
2002, S.201) |
Richard
SENNETT hat dagegen in seinem Buch The Corrosion of Charakter
(1998) den "flexiblen Menschen" als Konsequenz des
problematischen Wertewandels hin zu einem flexiblen Kapitalismus
angeprangert
.
Die
Erziehungskrise
Die
Erziehungskrise wird vor allem von den amerikanischen
Kommunitaristen beklagt. MEYER zitiert hier Amitai
ETZIONIs Kritik an der Elternabwesenheit, die auch in
Deutschland im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte steht.
Bücher wie Susanne GASCHKEs Die Erziehungskatastrophe
stehen in dieser Tradition. ETZIONIs Leitbild der "kommunitären
Familie" orientiert sich am Familienideal der 50er Jahre
. Richard SENNETT zeigt
im Buch Der flexible Mensch dagegen
die Ängste der Väter im flexiblen Kapitalismus auf:
Der flexible
Mensch
"Nun da er
selber Vater ist, verfolgen ihn modernere Schrecken des
Kontrollverlustes, besonders die Furch, seine Kinder könnten
»Mall-Ratten« werden, die nachmittags ziellos auf den
Parkplätzen von Einkaufszentren herumhängen, während die Eltern
unerreichbar in ihren Büros sitzen."
(1998, S.24) |
Die
Bindungskrise
Unter dem
Stichpunkt "Bindungskrise" handelt MEYER die
Freisetzungsdimension der populären Individualisierungsthese
von Ulrich BECK ab. Während manche Vertreter die
positiven Seiten von Bastelbiografien hervorheben, steht
hier jedoch der negative Aspekt der Vereinzelung bzw.
Atomisierung im Vordergrund
. Der Soziologe Hans-Joachim
HOFFMANN-NOWOTNY hat dieses Szenario in besonders düsteren Tönen
gemalt. Nach einem Blick in die amtliche Statistik kommt er zum
Ergebnis,
Auf dem Wege zu einer Gesellschaft von Einzelgängern?
"dass nicht
nur ein wachsender Teil unserer Bevölkerung als Einzelgänger
lebt, sondern zudem ein nennenswerter Teil in Bindungen,
die zumindest ohne grosse formale Probleme schnell aufgelöst
werden können. Und schliesslich begründet auch die formelle
Eheschliessung in zunehmend geringerem Masse eine dauerhafte
Bindung an einen anderen Menschen. Ich meine deshalb, es sei
nicht abwegig, die These zu vertreten, dass wir uns auf dem Wege
zu einer Gesellschaft von Einzelgängern befinden, von Menschen
also, die entweder unfähig oder unwillig sind, sich zu
binden."
[mehr]
(Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny in der Neuen
Zürcher Zeitung vom 07.07.1984)
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Im Gegensatz
zu Ulrich BECK sieht HOFFMANN-NOWOTNY jedoch nicht den Single
als Pionier der Moderne, sondern einen Familientyp, den er als "Living apart together" bezeichnet. Dessen Kennzeichen
ist, dass die Mitglieder in zwei Haushalten "getrennt
zusammenleben".
Solche Spagatfamilien
stellen aber auch fast 20 Jahre später nur eine Minderheit der
Familien dar.
Einwände gegen die Untergangsszenarien
Thomas MEYER
bringt vier Einwände gegen die Untergangspropheten vor.
Monopolverlust der Normalfamilie
statt Pluralisierung der Lebensformen
Im Gegensatz
zu Vorstellungen, dass die Normalfamilie von nicht-familiären
Lebensformen abgelöst wird, geht MEYER von einem Monopolverlust
der Normalfamilie aus:
Das "Ende der
Familie" - Szenarien zwischen Mythos und Wirklichkeit
"Bei dem
derzeitig zu beobachtenden Strukturwandel der Familie geht es
weniger um die Entstehung neuer privater Lebensformen als darum,
dass neben der »Normalfamilie« andere Privatheitsmuster an
Gewicht gewonnen haben".
(aus:
Soziologische Gegenwartsdiagnosen II
2002, S.209) |
MEYER
unterscheidet drei Privatheitstypen, die den modernen
Gesellschaftsverhältnissen besser angepasst sind als die
"starre, auf Dauer angelegte Normalfamilie mit ihrem
traditionellen Rollengefüge". Neben die kindzentrierte
Privatheitsform treten deshalb die partnerschafts- und die
individualistischen Privatheitstypen. MEYER geht wie BURKART &
KOHLI davon aus, dass die Individualisierung zum
einen nur auf bestimmte Milieus beschränkt ist und zum
anderen nur für bestimmte Altersgruppen attraktiv ist. MEYER geht jedoch darüber
hinaus von einer Veränderung der gesellschaftlichen
Normalitätsvorstellungen aus:
Das "Ende der
Familie" - Szenarien zwischen Mythos und Wirklichkeit
"Die
Vorstellungen dessen, was als normal anzusehen ist, haben sich -
schicht, milieu- und altersspezifisch gebrochen - erheblich
geweitet, und die Vorstellungen darüber, was als abweichend zu
gelten hat, sind entsprechend permissiver geworden."
(aus:
Soziologische Gegenwartsdiagnosen II 2002, S.209) |
Dessen
ungeachtet bleibt jedoch das Kleinfamilienmodell für die große
Mehrheit der Bevölkerung weiterhin das unumstrittene Leitbild.
Zunehmende Bindungsorientierung
trotz höherer Ledigenquote und Zunahme der
Einpersonenhaushalte
Kulturpessimisten sehen in dem steigenden Heiratsalter und der
Zunahme der lebenslang Ledigen einen Trend zur
Bindungslosigkeit. Die Soziologen Paul B. HILL &
Johannes KOPP (1997) haben dagegen zwischen den postmodernen
Lebensformen und den Lebensformen in der Weimarer Republik
eine große Ähnlichkeit festgestellt. Entgegen der Zunahme der
Einpersonenhaushalte, die als zunehmende
Bindungslosigkeit fehlinterpretiert wird, hat nach einer
Untersuchung von Thomas KLEIN die "Bindungsquote über die
Generationen hinweg eher zu- als abgenommen" (MEYER, 2002,
S.210).
Wir sind also nicht auf dem
Weg zur "Single"-Gesellschaft, sondern es dominiert die
Paargesellschaft
.
Hohe Scheidungszahlen und "neue
Kinderlosigkeit" als Konsequenz der hohen Wertschätzung von Ehe
und Elternschaft
Die hohen
Scheidungszahlen und die "neue Kinderlosigkeit" sieht MEYER
nicht als Konsequenz von Egoismus, Hedonismus oder
Bindungsunfähigkeit, sondern als Ergebnis der hohen
Wertschätzung von Ehe und Elternschaft.
Die "neue Kinderlosigkeit"
ist für MEYER weniger eine finanzielle Frage, sondern die Folge
des "Prinzips verantworteter Elternschaft"
. Dies hat
nicht nur zu mehr lebenslang Kinderlosen geführt, sondern auch
zum
Rückgang kinderreicher Familien:
Das "Ende der
Familie" - Szenarien zwischen Mythos und Wirklichkeit
"Dieser
Normenkomplex beinhaltet, sich nur dann für Kinder zu
entscheiden, wenn man meint, die ökonomische und psychische
Verantwortung für eine intensive und anspruchsvolle Erziehung
übernehmen zu können".
(aus:
Soziologische Gegenwartsdiagnosen II 2002, S.214) |
Hohe Generationensolidarität
der modernen Familie
Im Gegensatz
zur Auflösungsperspektive der Individualisierungs- und
Desintegrationsthesen, betont MEYER die hohe
Generationensolidarität der multilokalen
Mehrgenerationenfamilie. "Intimität auf Abstand"
(ROSENMAYR) ermöglicht einen harmonischeren Umgang zwischen den
Familienmitgliedern. Was MEYER nicht erwähnt: Der
Generationenkonflikt, der frühere Familienformen gekennzeichnet
hat, ist außerdem durch die sozialstaatliche
Sicherungssysteme entschärft worden (SZYDLIK).
Die alte
und die neue Sicht auf das Bollwerk Familie
Bei seinen
Betrachtungen zum Verhältnis von Gesellschaft und Familie
bezieht sich MEYER auf Jürgen HABERMAS, der zwischen System und
Lebenswelt unterscheidet. Die Familie ist in dieser
Sichtweise ursprünglich Teil der Lebenswelt, während Politik und
Wirtschaft Teil des Systems sind. Mit der These von der
"Kolonialisierung der Lebenswelt" wird dann das Eindringen
der Systemimperative von Politik und Ökonomie in die Lebenswelt
Familie behauptet. Diese Sichtweise ist z.B.
prägend für die konservative Sozialstaatskritik von
Konrad ADAM, die Kritik am flexiblen Kapitalismus von
Richard SENNETT oder die Modernisierungsthese der Zweiten
Moderne von Ulrich BECK und Anthony GIDDENS. Thomas MEYER lenkt damit den
Blick auf "das Problem einer durch äußere Mächte bestimmten
Familie". Er sieht darin eine Abkehr von alten Vorstellungen,
die seit Wilhelm Heinrich RIEHL die Familiensoziologie dominiert
haben:
Das "Ende der
Familie" - Szenarien zwischen Mythos und Wirklichkeit
"Die
klassische Vorstellung, der zufolge Lebenswelt und System bzw.
Familiensystem und Umweltsysteme durch ihre unterschiedlichen
Funktionslogiken klar und eindeutig voneinander getrennte
Handlungsbereiche darstellen, die jeweils füreinander und für
die Gesellschaft insgesamt verschiedenartige Aufgaben unabhängig
voneinander erfüllen, ist offenkundig einer Revision zu
unterziehen."
(aus:
Soziologische Gegenwartsdiagnosen II 2002, S.221) |
Was Thomas
MEYER hier als neue Sichtweise propagiert, ist längst ein
Gemeinplatz der modernen Interessenpolitik der Neuen Mitte
geworden. Es geht selbst in der
konservativen Krisendebatte nicht darum, dass die Familie
ein Bollwerk ist, sondern es geht stattdessen darum, dass die
Familie wieder zum neuen Bollwerk werden soll.
Der Familienvater wird in
dieser Sichtweise zum Widerstandskämpfer. Dies ist
gleichzeitig die identitätspolitische Basis für einen neuen
Familialismus, der seit Ende der 1980er Jahre die politische Arena
bestimmt. In Frankreich hat
Jean-Jacques GILLEBAUD mit seinem Buch Die Tyrannei der
Intimität diese Position der "Neuen Reaktionäre"
(LINDENBERG) popularisiert
.
Der Single als Pionier des
flexiblen Kapitalismus?
Die Welt der
Sozialpopulisten ist schlicht. Familien sind gegenüber Singles
grundsätzlich benachteiligt. Im flexiblen Kapitalismus sind
Eltern die Verlierer und Singles die Gewinner, ist ihre
mantrahaft vorgetragene Rede. Diese Sichtweise unterschlägt
die Tatsache, dass männliche Singles - speziell
partnerlose Alleinwohnende - im mittleren Lebensalter
Individualisierungsverlierer sind, während weibliche Singles
bislang zu den Gewinnern der Modernisierung gehören.
Das Geschlecht ist für die berufliche
Karriere entscheidender als die Lebensform
Die
Soziologin und Ungleichheitsforscherin Jutta ALLMENDINGER ("Von
der Magd zum Markt", FR
25.02.2003) geht von einer geschlechtsspezifischen
Segmentierung des Arbeitsmarktes aus. Es gibt also typische
Männer- und Frauenberufe. Die Konsequenz ist, dass
hauptsächlich Frauen mit Frauen und Männer mit Männern um die
begehrten Berufspositionen konkurrieren. In den Chefetagen ist
die Situation noch eindeutiger.
Die Managerehe als Voraussetzung für eine
Topkarriere in der Wirtschaft
Das
Topmanagement ist die Domäne von Männern. Es ist kaum
verwunderlich, dass gerade die Managerehe die letzte
Bastion der traditionellen Kernfamilie ist. Elisabeth
BECK-GERNSHEIM hat die Notwendigkeit der traditionellen
Arbeitsteilung für Führungskräfte Anfang der 1980er Jahre
beschrieben:
Das halbierte Leben
"Die Berufsarbeit ist nicht so sehr
zugeschnitten auf den »familienfreien Mann«, sondern genauer auf
den »familienfreien Ehemann«. Idealtypisch gefordert ist
eine Ehebeziehung, in der keinerlei Anforderungen und Ansprüche
an den Mann herangetragen werden, im Gegenteil möglichst nur
Entlastung und Befreiung von allen Alltagssorgen erfolgt. Dies
freilich scheint eine sehr einseitige und eingeschränkte
Ehebeziehung, und die Versuchung liegt nahe, sie als andere,
perfektere Version von Junggesellendasein zu bezeichnen".
(Elisabeth Beck-Gernsheim, 1980, S.72)
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Peter GLOTZ
geht davon aus, dass sich das auch im flexiblen - oder wie er es
nennt: im Digitalen - Kapitalismus nicht ändert. Er geht
vielmehr davon aus, dass sich die Verhältnisse sogar noch
verschärfen:
Die
beschleunigte Gesellschaft
"Die zeitliche Begrenzung (oder Teilung) von
Core-Jobs ist eine hochherzige, gut begründbare, aber
undurchführbare Idee. In der oberen Etage der
Zweidrittelgesellschaft gibt es im digitalen Kapitalismus
keinerlei Chance für die schöne Vorstellung vom jeweils halbtags
arbeitenden Ehepaar, das sich zärtlich und zugewandt in
Kindererziehung und »reproduktive Arbeit« teilt."
(2001, S.129) |
Das Ehegattensplitting zementiert dieses Bollwerk der
traditionellen Arbeitsteilung zusätzlich.
Die Debatte um die Änderung
des Ehegattensplittings nach der Bundestagswahl 2002 hat
gezeigt, dass gegen die Interessen der Managerelite keine
Politik zu machen ist. Die neue Bundesfamilienministerin Renate
SCHMIDT ist mittlerweile dazu übergegangen das
Ehegattensplitting in seiner bisherigen Form zu verteidigen
("Auf der Suche nach einer Balance zwischen Familie und Beruf", FR 27.02.2003).
Renate LIEBOLD ("Meine
Frau managt das ganze Leben zu Hause...", 2001) nennt
das Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Familie deshalb für
Männer in Führungspositionen ein Verteidigungsproblem. Auch die
Tatsache, dass die Scheidungen im Topmanagement zunehmen, ist
keine Abkehr von der Norm der Managerehe:
Der Anfang, der ein Ende ist
"Vorbei die
Zeit, in der die Ehe der Führungskraft Kontinuität,
Belastbarkeit und Stabilität signalisierte. Zwar gilt die Frau
an seiner Seite bis heute als Ausweis von Sozialkompetenz und
ist seiner Karriere durchaus dienlich. Aber ob sie die erste,
die zweite oder gar die dritte ist, spielt immer weniger eine
Rolle".
(Susanne Risch im Manager Magazin Nr.9,
1999)
|
Die
Notwendigkeit einer Frau an seiner Seite ist also nicht
grundsätzlich in Frage gestellt, sondern je nach erreichter
Karrierestufe wird schon einmal eine passendere Frau für den
nächsten Karriereabschnitt gesucht.
Forschungsdefizit: Der Einfluss der
Lebensform auf die Karriere
Studien zum
Einfluss der Lebensform auf die männliche oder weibliche
Karriere sind Mangelware, obgleich in der Mediendebatte die
Gewinner- und Verliererkarten bereits vergeben sind. Als eine der wenigen
ForscherInnen auf diesem Gebiet formuliert Angelika TÖLKE das
Forschungsdefizit folgendermaßen:
Berufskarrieren
von Frauen und Männern - Der Einfluß von Herkunft, Bildung
und Lebensform
"Der Verlauf
von Berufskarrieren wurde bislang hauptsächlich für Männer
untersucht, wobei deren partnerschaftliche und familiale
Lebensformen keinen Eingang in die theoretischen und empirischen
Analysen gefunden haben. (...). Obwohl vereinzelte Ergebnisse
aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einen Zusammenhang
zwischen Lebensform und beruflichem Erfolg vermuten lassen, z.B.
gehören ledige Männer zu geringeren Anteilen zu den besser
Verdienenden als Verheiratete (Engelbrech 1991; Schömann/Hannan/Blossfeld
1991; Statistisches Jahrbuch 1993), wurde dieser Aspekt bislang
in dieser Forschungstradition nicht aufgegriffen."
(aus: Zeitschrift für Frauenforschung, Heft 4, 1996) |
In der 1996er
Studie unterscheidet TÖLKE nur zwischen Ledigen und
Verheirateten. Die Daten stammen aus dem Jahr 1988 und gelten
für die 1938 - 1958 geborenen Männer. Wenn TÖLKE von Singles
schreibt, dann meint sie also nicht Alleinlebende, sondern
Ledige. TÖLKE kommt zu dem Ergebnis:
Berufskarrieren
von Frauen und Männern - Der Einfluß von Herkunft, Bildung
und Lebensform
"In keinem
Fall haben Singles als Gruppe berufliche Vorteile. Auch nicht in
der jüngeren Altersgruppe der 30- bis 40jährigen"
(aus:
Zeitschrift für Frauenforschung, Heft 4, 1996, S.173) |
Bei einer
differenzierteren Betrachtung aus dem Jahr 2000 in dem Aufsatz
Private Lebenssituation und Karriereentwicklung in männlichen
Biographien beschreibt TÖLKE
dann die Veränderungen zwischen 1986 und 1996. Sie stellt zwar
eine Annäherung der Lebensformen fest, aber auch zu diesem
Zeitpunkt haben männliche Singles keine Vorteile gegenüber
verheirateten Männern. Das Karrierenstufenmodell bei
TÖLKE ist jedoch etwas irreführend, da es nicht mit
Einkommensklassen verknüpft ist. Ein Beamter im höheren Dienst
wird in die gleiche Karrierestufe eingeordnet wie ein Topmanager
in der Wirtschaft. Dadurch werden die beruflichen Aussichten von
Singles zu optimistisch eingeschätzt.
Geringere Chancen auf eine
Familiengründung für gering verdienende Männer
In einem
anderen
Zusammenhang zeigt sich bei TÖLKE jedoch, dass sich die Chancen von Männern mit
geringen Verdienst auf die Familiengründung innerhalb von 10 Jahren
verschlechtert haben:
Private
Lebenssituation und Karriereentwicklung in männlichen
Biographien
"Wenn (...)
ein Mann in den 1990er Jahren eine niedrige Position innehat, so
geht dies nun gehäuft mit einer nicht familialen Lebensform
einher. Männer auf der untersten Karrierestufe hatten in den
1980er Jahren noch eine dem Durchschnitt entsprechende Aussicht,
verheiratet in einer Familie zu leben (74 %). In den 1990er
Jahren jedoch ist nur jeder zweite beruflich schlecht platzierte
Mann verheiratet und hat mindestens ein Kind (54 %), ihr
Familienanteil liegt damit 9 % niedriger als im Durchschnitt (63
%). Hat der Anteil verheirateter Väter an allen Männern zwischen
den beiden Jahrzehnten um 11 % abgenommen, so ist der Anteil von
Familienvätern auf der untersten Karrierestufe um 20 %, von 74 %
auf 54 %, überdurchschnittlich gesunden. Es ist zu vermuten, daß
die Chancen für Männer auf einer niedrigen Karrierestufe für
eine Heirat und Familiengründung schlechter geworden sind."
(aus: Männlichkeitsentwürfe 2000, S.144) |
Geschiedene Männer ohne Partnerin als
Problemgruppe
Betrachtet
man die Tabelle Lebensform und Karrierestufe, dann ist
festzustellen, dass 30 - 50jährige, geschiedene Männer ohne
Partnerin mit einem Anteil von 2 % die geringste Chance auf
die höchste Karrierestufe hatten. Zehn Jahre zuvor waren es noch
11%. Geschiedene Männer haben 1996 mit Abstand die geringsten
Karrierechancen. In den 3 höchsten Karrierestufen sind sie nur
mit 37 % vertreten, während alle anderen Lebensformen bei
Anteilen zwischen 66 und 70 % liegen.
Geringere Lebenszufriedenheit von
Unverheirateten
Es wundert
deshalb kaum, dass TÖLKE hinsichtlich der allgemeinen
Lebenszufriedenheit schreibt: "Ledige und
geschiedene Männer haben mit 50 % bzw. 46 % die geringsten
Anteile an sehr Zufriedenen". Bezieht man
diese Daten auf die Haushaltsformen, dann lebten im Jahr 2000
(Statistisches Jahrbuch 2001) über 40 % der 25-45jährigen
Geschiedenen und Ledigen im Einpersonenhaushalt. Aufgrund der
unterschiedlichen Zeitpunkte und Altersgruppeneinteilungen in
den diversen Statistiken lassen sich nur annähernde
Größenverhältnisse angeben. Es zeigt sich jedoch, dass in diesen
Altersgruppen mehr Männer als Frauen allein leben
.
Partnerlosigkeit als Problem
Die geringere
Lebenszufriedenheit der Männer im mittleren Lebensalter hängt
nicht unbedingt mit der unbefriedigenden Berufssituation
zusammen, sondern auch die Partnerlosigkeit trägt dazu
bei.
Sozialforscher wie Thomas
KLEIN und Bevölkerungswissenschaftler wie Hans J. JÜRGENS (2002)
gehen von einem Männerüberschuss bei den Männern im
mittleren Lebensalter aus. Im Zusammenhang mit der
Zunahme der Bindungsorientierung ergibt sich ein erhöhter
sozialer Druck auf partnerlose Männer.
Fazit
Fasst man die
Erkenntnisse zusammen, dann sind männliche Alleinlebende im
mittleren Lebensalter keineswegs die Pioniere der Moderne,
sondern eine Problemgruppe, die bisher noch kaum richtig in den
Blick der Medien geraten ist.
Mit Michel HOUELLEBECQ
("Ausweitung der
Kampfzone" und
"Elementarteilchen") ist
zwar der männliche Single zum Thema geworden. Im Mittelpunkt
steht damit der beruflich erfolgreiche, aber einsame Mann. Die Realität zeigt jedoch, dass der einsame Mann eher wenig
erfolgreich ist. Die Sozialforschung hat es
bisher versäumt das männliche Single-Dasein umfassend zu
erforschen. Der feministische Blick hat lange Zeit
verhindert, dass die Lebensverhältnisse in den
Einpersonenhaushalten unverzerrt wahrgenommen worden sind. Die Yuppiefrauen als
Pioniere der Moderne sind quantitativ gesehen nur eine
kleine Gruppe, den Medien gelten sie jedoch als Sinnbild des
Alleinlebenden im mittleren Lebensalter. Es wird Zeit, dass
dieses Bild korrigiert wird.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
Die
Single-Debatte ist längst in eine Sackgasse geraten. Dies
wird in diesem Buch u.a. der Individualisierungsthese des
Münchner Soziologen Ulrich Beck angelastet.
Das Buch
sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte
verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine
neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der
Demografiepolitik. |
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