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Einführung
Die
zweite Zwischenbilanz
zur Coronavirus-Pandemie wurde auf dieser Website Mitte Dezember
veröffentlicht. Damals fanden wir uns noch mitten in der zweiten
Welle, die aufgrund zuletzt drastischer Maßnahmen, die - bei minimalen
Lockerungen - mindestens bis zum 7. März dauern sollten, ihren
Höhepunkt überschritten hat. Wir befinden uns seit dem letzten
Februardrittel jedoch - nach einer längeren Phase des Rückgangs
der Neuinfektionen - bereits wieder in einer Phase der
Stagnation, die nun geradewegs in eine dritte Welle zu münden droht.
Was aber bedeutet dies in
einem Jahr, in dem im Herbst eine Bundestagswahl stattfindet und
das Wahljahr bereits am morgigen 14. März mit Landtagswahlen in
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz beginnt? Am 6. Juni finden
dann Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt statt. Und nicht zuletzt
finden zeitgleich mit der Bundestagswahl Landtagswahlen in
Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sowie Wahlen zum Berliner
Abgeordnetenhaus statt.
Dramatisch ist die
Lage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, denn die
dritte Welle kündigt sich bereits vor diesen beiden Landtagswahlen
an. Die amtierenden Regierungen stehen deshalb
unter ganz besonders großem Druck. Insbesondere in
Baden-Württemberg wird das Corona-Krisenmanagement der
Landesregierung kritisiert. Als Stammland der FDP gilt
Baden-Württemberg als liberales Land, weshalb der Kurs der
Regierung vom Zaudern geprägt ist. Sowohl in der ersten als auch
in der zweiten Welle gehörte das Land zu jenen Bundesländern, die von der
Pandemie härter getroffen wurde als andere Bundesländer.
Hier soll deshalb gefragt
werden, wie die einzelnen Bundesländer an der Schwelle zur
dritten Welle bei der Bekämpfung der Krankheit dastehen. Welches
Bundesland konnte die Alten am besten schützen? Und wie sieht es
mit der Impfung der so genannten "vulnerablen Gruppen" aus? Hier
geht es in erster Linie um den Schutz der über 60-Jährigen und
der Pflegeheimbewohner. Wie hat sich die Zahl der Toten in den
einzelnen Bundesländern entwickelt? Kann man aus den Zahlen
einen Lernerfolg erkennen oder haben wir seit Beginn der
Pandemie bei der Bekämpfung der Krankheit nichts dazu gelernt?
Um diese Fragen zu
beantworten, müssen Indikatoren verwendet werden, die die
unterschiedliche Altersstruktur der einzelnen Bundesländer
berücksichtigen.
Die
Altersstruktur der einzelnen Bundesländer
Das Statistische Bundesamt
(DESTATIS) hat am 12. Februar 2021 die korrigierte Pressemeldung
Corona-Impfung: 7,6 Millionen Menschen im Alter von 70 bis unter
80 Jahren mit hoher Priorität veröffentlicht. Darin
wurden Angaben zur Bevölkerungsstruktur der einzelnen
Bundesländer gemacht, auf die hier zurückgegriffen wird. Das
Robert-Koch-Institut (RKI) macht täglich Angaben zu den
Todesfällen nach Altersgruppen. Die Daten stehen
hier zum Download bereit. Das RKI benutzt jedoch weiter
gefasste Altersgruppen als das Statistische Bundesamt, sodass
hier nur die Altersgruppen der 80-Jährigen und Älteren sowie der 60 - 79-Jährigen
betrachtet werden können. Beide Altersgruppen gehören zu jenen
Gruppen mit der höchsten Sterblichkeit. Alle Betrachtungen
beziehen sich hier auf den 1. März 2021, wobei der
Bevölkerungsstand vom 31.12.2019 unterlegt wird. Die folgende
Tabelle zeigt den Prozentanteil der 60 bis 79-Jährigen in den
einzelnen Bundesländern an:
Rang |
Bundesland |
Einwohnerzahl |
60 - 79-Jährige |
Prozentanteil |
1 |
Sachsen-Anhalt |
2.194.782 |
586.264 |
26,7 |
2 |
Thüringen |
2.133.378 |
560.974 |
26,3 |
3 |
Mecklenburg-Vorpommern |
1.608.138 |
415.186 |
25,8 |
4 |
Brandenburg |
2.521.893 |
634.308 |
25,2 |
5 |
Sachsen |
4.071.971 |
1.018.999 |
25,0 |
6 |
Saarland |
986.887 |
240.786 |
24,4 |
7 |
Schleswig-Holstein |
2.903.773 |
659.461 |
22,7 |
8 |
Rheinland-Pfalz |
4.093.903 |
914.543 |
22,3 |
9 |
Niedersachsen |
7.993.608 |
1.758.463 |
22,0 |
|
Deutschland |
|
|
21,7 |
10 |
Nordrhein-Westfalen |
17.947.221 |
3.802.804 |
21,2 |
11 |
Hessen |
6.288.080 |
1.312.645 |
20,9 |
12 |
Bayern |
13.124.737 |
2.722.984 |
20,7 |
13 |
Bremen |
681.202 |
140.672 |
20,7 |
14 |
Baden-Württemberg |
11.100.394 |
2.264.270 |
20,4 |
15 |
Berlin |
3.669.491 |
698.465 |
19,0 |
16 |
Hamburg |
1.847.253 |
326.494 |
17,7 |
In Baden-Württemberg leben
unterdurchschnittlich wenige 60 - 79-Jährige, während in
Rheinland-Pfalz überdurchschnittlich viele Menschen dieser
Altersgruppe leben. An der Spitze stehen jedoch die 5
ostdeutschen Flächenländer mit jeweils mehr als einem Viertel
der Bevölkerung in dieser Altersgruppe. Von der Altersstruktur
her gesehen besitzt Baden-Württemberg sozusagen einen Vorteil
hinsichtlich der Bekämpfung der Pandemie. Bei den 80-Jährigen
und Älteren sieht es ähnlich aus wie die nachfolgende Tabelle
zeigt:
Rang |
Bundesland |
Einwohnerzahl |
80-Jährige und Ältere |
Prozentanteil |
1 |
Sachsen |
4.071.971 |
348.757 |
8,6 |
2 |
Sachsen-Anhalt |
2.194.782 |
182.164 |
8,3 |
3 |
Thüringen |
2.133.378 |
169.482 |
7,9 |
4 |
Mecklenburg-Vorpommern |
1.608.138 |
126.684 |
7,9 |
5 |
Brandenburg |
2.521.893 |
197.346 |
7,8 |
6 |
Saarland |
986.887 |
75.795 |
7,7 |
7 |
Schleswig-Holstein |
2.903.773 |
207.658 |
7,2 |
8 |
Niedersachsen |
7.993.608 |
554.368 |
6,9 |
9 |
Rheinland-Pfalz |
4.093.903 |
282.032 |
6,9 |
10 |
Nordrhein-Westfalen |
17.947.221 |
1.216.715 |
6,8 |
|
Deutschland |
|
|
6,8 |
11 |
Bremen |
681.202 |
45.522 |
6,7 |
12 |
Baden-Württemberg |
11.100.394 |
720.138 |
6,5 |
13 |
Hessen |
6.288.080 |
404.039 |
6,4 |
14 |
Bayern |
13.124.737 |
831.499 |
6,3 |
15 |
Hamburg |
1.847.253 |
107.709 |
5,8 |
16 |
Berlin |
3.669.491 |
211.227 |
5,8 |
Das RKI stellt für jeden
Tag Daten zu den Todesfällen
hier in den einzelnen Bundesländern zum Download zur
Verfügung. Für den 1. März 2021 ergibt sich hier folgendes Bild:
Rang |
Bundesland |
Einwohnerzahl |
Todesfälle |
Tote pro 100.000 Einwohner |
1 |
Sachsen |
4.071.971 |
7.760 |
190,57 |
2 |
Thüringen |
2.133.378 |
2.864 |
134,25 |
3 |
Brandenburg |
2.521.893 |
2.998 |
118,88 |
4 |
Sachsen-Anhalt |
2.194.782 |
2.421 |
110,31 |
5 |
Bayern |
13.124.737 |
12.388 |
94,39 |
6 |
Hessen |
6.288.080 |
5.825 |
92,64 |
7 |
Saarland |
986.887 |
870 |
88,16 |
|
Deutschland |
83.166.711 |
70.105 |
84,29 |
8 |
Berlin |
3.669.491 |
2.817 |
76,77 |
9 |
Rheinland-Pfalz |
4.093.903 |
3.095 |
75,60 |
10 |
Nordrhein-Westfalen |
17.947.221 |
13.059 |
72,76 |
11 |
Baden-Württemberg |
11.100.394 |
8.074 |
72,74 |
12 |
Hamburg |
1.847.253 |
1.272 |
68,86 |
13 |
Niedersachsen |
7.993.608 |
4.298 |
53,77 |
14 |
Bremen |
681.202 |
341 |
50,06 |
15 |
Mecklenburg-Vorpommern |
1.608.138 |
739 |
45,95 |
16 |
Schleswig-Holstein |
2.903.773 |
1.284 |
44,22 |
Der Indikator Tote pro
100.000 Einwohner unterscheidet nicht nach Altersgruppen. Es
sind jedoch bereits hier Trends abzulesen, denn obwohl in
Mecklenburg-Vorpommern überdurchschnittlich viele Menschen der
Altersgruppe der 60-Jährigen und Älteren leben, gibt es in
diesem Bundesland nur unterdurchschnittlich wenige Todesfälle
pro 100.000 Einwohner.
Das Beispiel
Mecklenburg-Vorpommern ist jedoch auch in anderer Hinsicht
aufschlussreich, denn in Mecklenburg-Vorpommern gab es bis zum
1. September 2020 nur 20 Todesfälle durch die
Coronavirus-Pandemie bzw. 1,24 Tote pro 100.000 Einwohner. Nur 6
Monate später sind es dagegen 739 Todesfälle. Das heißt nichts
anderes: abgerechnet werden kann letztlich erst am Ende der
Pandemie. Wer gut durch eine Welle kommt, der ist nicht davor
gefeit, dass ihn die nächste Welle nicht umso härter treffen
kann. Auch die dritte Welle kann sehr tödlich werden und dies
umso mehr, desto weniger die Impfung Fortschritte macht. Am 1.
September 2020, d.h. vor Beginn der zweiten Welle, ergab sich
noch folgendes Bild bei den Todesfällen:
Rang |
Bundesland |
Einwohnerzahl |
Todesfälle |
Tote pro 100.000 Einwohner |
1 |
Bayern |
13.124.737 |
2.640 |
20,11 |
2 |
Saarland |
986.887 |
174 |
17,63 |
3 |
Baden-Württemberg |
11.100.394 |
1.866 |
16,81 |
4 |
Hamburg |
1.847.253 |
266 |
14,40 |
|
Deutschland |
83.166.711 |
9.302 |
11,18 |
5 |
Nordrhein-Westfalen |
17.947.221 |
1.812 |
10,10 |
6 |
Thüringen |
2.133.378 |
186 |
8,72 |
7 |
Hessen |
6.288.080 |
532 |
8,46 |
8 |
Niedersachsen |
7.993.608 |
661 |
8,27 |
9 |
Bremen |
681.202 |
56 |
8,22 |
10 |
Brandenburg |
2.521.893 |
169 |
6,70 |
11 |
Berlin |
3.669.491 |
226 |
6,16 |
12 |
Rheinland-Pfalz |
4.093.903 |
243 |
5,94 |
13 |
Sachsen |
4.071.971 |
226 |
5,55 |
14 |
Schleswig-Holstein |
2.903.773 |
160 |
5,51 |
15 |
Sachsen-Anhalt |
2.194.782 |
65 |
2,96 |
16 |
Mecklenburg-Vorpommern |
1.608.138 |
20 |
1,24 |
Deutschland kam gut durch
die erste Welle. Stark betroffen waren vor allem westdeutsche
Bundesländer, weshalb in den Medien wild darüber spekuliert
wurde, welches die Faktoren dieses "Erfolges" der ostdeutschen
Bundesländer waren. Es wurde unter anderem behauptet, dass die
Altersstruktur für die ostdeutschen Länder von Vorteil sei. Dies
war jedoch offensichtlich einer der sehr vielen Fehlschlüsse aus
der Anfangszeit der Pandemie.
Der Indikator Tote pro
100.000 Einwohner ist für eine genauere Analyse zu
grobschlächtig, weshalb nun die beiden Altersgruppen der 60 bis
79-Jährigen und der 80-Jährigen und Älteren genauer betrachtet
werden sollen.
Die
Altersgruppen der 60-Jährigen und Älteren
Der Altersgruppe der
80-Jährigen und Älteren gilt bei der Impfung die größte
Aufmerksamkeit, weil sie am häufigsten von Todesfällen betroffen
ist. Das RKI liefert bis zu den Landkreisen hinunter Zahlen zur
Häufigkeit von Todesfällen für einzelne Altersgruppen. Hier soll
nicht auf die einzelnen Landkreise, sondern auf die Bundesländer
fokussiert werden. Neben dem Alter spielt jedoch auch das
Geschlecht eine große Rolle, was in einem ersten Schritt
ausgeblendet werden soll. Im Altersgruppen-Datensatz des RKI
werden nur Todesfälle aufgelistet, für die das Geschlecht
männlich oder weiblich ist. Todesfälle mit unbekanntem bzw.
diversem Geschlecht bleiben dabei unberücksichtigt. Am 1. März
meldete das RKI 70.105 Todesfälle. Der Altersgruppen-Datensatz
umfasst jedoch nur 69.898 Todesfälle. Das sind 207 Todesfälle
weniger. Dieser Unterschied von weniger als 0,5 % der Todesfälle
wird bei dieser Betrachtung vernachlässigt. Die folgende Tabelle
zeigt die Todesfälle bei den 80-Jährigen und Älteren je 100.000
Einwohner in den einzelnen Bundesländer am 1. März 2021:
Rang |
Bundesland |
Tote
pro 100.000 Einwohner der 80-Jährigen und Älteren
|
Prozentanteil der Altersgruppe an der
Bevölkerung |
Rang |
1 |
Sachsen |
1.618,03 |
8,6 |
1 |
2 |
Thüringen |
1.192,46 |
7,9 |
3 |
3 |
Brandenburg |
1.082,87 |
7,8 |
5 |
4 |
Bayern |
1.042,70 |
6,3 |
14 |
5 |
Hessen |
1.005,10 |
6,4 |
13 |
6 |
Sachsen-Anhalt |
912,36 |
8,3 |
2 |
7 |
Berlin |
864,95 |
5,8 |
16 |
|
Deutschland |
859,04 |
6,8 |
|
8 |
Saarland |
804,80 |
7,7 |
6 |
9 |
Baden-Württemberg |
800,40 |
6,5 |
12 |
10 |
Hamburg |
795,66 |
5,8 |
15 |
11 |
Rheinland-Pfalz |
769,77 |
6,9 |
9 |
12 |
Nordrhein-Westfalen |
718,82 |
6,8 |
10 |
13 |
Niedersachsen |
538,63 |
6,9 |
8 |
14 |
Bremen |
481,09 |
6,7 |
11 |
15 |
Schleswig-Holstein |
442,07 |
7,2 |
7 |
16 |
Mecklenburg-Vorpommern |
403,37 |
7,9 |
4 |
Sachsen hat die meisten
Todesfälle in dieser besonders gefährdeten Altersgruppe zu
beklagen. Da der Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung zudem
hoch ist, schlägt sich dies auch in einer hohen Todesrate bei
Betrachtung aller Altersgruppen nieder. Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz haben unterdurchschnittliche Todesraten. Bei den
60-79-Jährigen ergibt sich folgendes Bild:
Rang |
Bundesland |
Tote pro 100.000 Einwohner der
60-79-Jährigen |
Prozentanteil der Altersgruppe an der
Bevölkerung |
Rang |
1 |
Sachsen |
191,46 |
25,0 |
5 |
2 |
Thüringen |
135,48 |
26,3 |
2 |
3 |
Brandenburg |
123,76 |
25,2 |
4 |
4 |
Berlin |
123,27 |
19,0 |
15 |
5 |
Bayern |
119,57 |
20,7 |
12 |
6 |
Hessen |
119,15 |
20,9 |
11 |
7 |
Sachsen-Anhalt |
117,69 |
26,7 |
1 |
8 |
Hamburg |
109,65 |
17,7 |
16 |
|
Deutschland |
103,91 |
21,7 |
|
9 |
Nordrhein-Westfalen |
96,80 |
21,2 |
10 |
10 |
Saarland |
93,03 |
24,4 |
6 |
11 |
Baden-Württemberg |
90,40 |
20,4 |
14 |
12 |
Rheinland-Pfalz |
88,46 |
22,3 |
8 |
13 |
Bremen |
72,51 |
20,7 |
13 |
14 |
Niedersachsen |
64,89 |
22,0 |
9 |
15 |
Mecklenburg-Vorpommern |
50,82 |
25,8 |
3 |
16 |
Schleswig-Holstein |
48,98 |
22,7 |
7 |
Es zeigt sich, dass in
dieser Altersgruppe deutlich weniger Todesfälle pro 100.000
Einwohner zu verzeichnen sind. Im Grunde müsste bei dieser
Altersgruppe zwischen den 60 - 69-Jährigen und den 70 -
79-Jährigen unterschieden werden. Aber der RKI-Datensatz gibt
das nicht her. Das Landesgesundheitsamt von Baden-Württemberg
gibt für den 1. März in der Altersgruppe der 60-79-Jährigen 2.056
Todesfälle an. Diese verteilen sich jedoch sehr ungleich auf die
Altersgruppe der 60 - 69-Jährigen (588 Todesfälle) und der 70 -
79-Jährigen (1.468 Todesfälle). Da nicht alle Bundesländer
differenziertere Zahlen liefern, kann hier nur mit der
grobschlächtigen Altersgruppendifferenzierung des RKI gearbeitet
werden.
Es gibt
große Unterschiede bei der Sterblichkeit der Geschlechter in den
einzelnen Bundesländern
Männer sind in der
Altersgruppe der 60-Jährigen und Älteren besonders stark gefährdet. Die einzelnen
Bundesländer unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der
geschlechtsspezifischen Todesfälle pro 100.000 Einwohner.
Während die Unterschiede in der Altersgruppe der 80-Jährigen und
Älteren relativ gering ausfallen, ergeben sich für die 60 -
79-Jährigen große Unterschiede. Die folgende Tabelle zeigt die
unterschiedliche Betroffenheit von Männern in den einzelnen
Bundesländer:
Rang |
Bundesland |
Todesfälle
pro 100.000 Einwohner der 60-79-Jährigent |
Verhältnis |
Männer |
Frauen |
1 |
Bremen |
106,9 |
42,6 |
2,51 |
2 |
Sachsen |
279,3 |
115,2 |
2,42 |
3 |
Berlin |
177,1 |
76,6 |
2,31 |
4 |
Sachsen-Anhalt |
167,2 |
74,4 |
2,25 |
5 |
Mecklenburg-Vorpommern |
71,7 |
32 |
2,24 |
6 |
Saarland |
129,7 |
59,6 |
2,18 |
7 |
Baden-Württemberg |
125,8 |
58,4 |
2,15 |
8 |
Thüringen |
188,7 |
88 |
2,14 |
|
Deutschland |
144,5 |
67,5 |
2,14 |
9 |
Hamburg |
152,9 |
72,1 |
2,12 |
10 |
Bayern |
165,2 |
78,1 |
2,12 |
11 |
Nordrhein-Westfalen |
134,1 |
63,7 |
2,11 |
12 |
Brandenburg |
170,6 |
81,1 |
2,10 |
13 |
Hessen |
162,8 |
79,6 |
2,05 |
14 |
Rheinland-Pfalz |
120,3 |
59,1 |
2,04 |
15 |
Niedersachsen |
88,3 |
43,4 |
2,03 |
16 |
Schleswig-Holstein |
65,3 |
34,3 |
1,90 |
Was sagen uns diese
Zahlen? Deutschlandweit sterben mehr als doppelt so viele Männer
als Frauen an oder mit dem Coronavirus in der Altersgruppe der
60 - 79-Jährigen. In Bremen sterben sogar 2,5 mal so viele
Männer wie Frauen. In Schleswig-Holstein sind die Männer dagegen
besser geschützt. Baden-Württemberg schneidet hier etwas
schlechter ab als Rheinland-Pfalz, liegt aber nahe am
deutschlandweiten Durchschnitt.
Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass die Bilanz für Baden-Württemberg scheinbar gut
aussieht. Während das Bundesland während der ersten Welle zu den
am stärksten betroffenen Ländern gehörte, lag es während der
zweiten Welle im Mittelfeld. Hier profitiert Baden-Württemberg
auch vom Altersstrukturvorteil. Das Beispiel Bayern zeigt
jedoch, dass der Altersstrukturvorteil einer jüngeren
Bevölkerung nicht unbedingt ausschlaggebend dafür ist, gut durch
die Pandemie zu kommen. Bayern schnitt in beiden Wellen schlecht
ab.
Entscheidend ist, wie sich
Baden-Württemberg in der dritten Welle schlägt. In erster Linie
wird der Impffortschritt bei den gefährdeten Gruppen darüber
entscheiden, ob die dritte Welle noch tödlicher verlaufen wird
als die zweite Welle. Bundesländer, die ihre "vulnerablen
Gruppen" besonders schnell impfen, werden hier im Vorteil sein.
Eine besonders gefährdete Gruppe sind die Bewohner von Alten-
und Pflegeheimen.
Der
Impffortschritt in den einzelnen Bundesländern
Am besten dokumentiert ist
der Impffortschritt bei den 80-Jährigen und Älteren. Gerade
hinsichtlich der Alten- und Pflegeheimbewohner ist die Datenlage
von Bundesland zu Bundesland jedoch sehr unterschiedlich. Wie
viele Bewohner in diesen Einrichtungen leben und wie viele dort
gestorben sind, wird nicht transparent dokumentiert.
Grundlegende Zahlen zu
dieser Gruppe existieren in unterschiedlichen Publikationen wie
z.B. der Pflegestatistik.
Zeitungsberichte zum Thema sind
rar, zumindest wenn es um einen Gesamtüberblick geht. Eine
Ausnahme ist z.B. ein Tagesthema zu Corona in Pflegeheimen
in der Süddeutschen Zeitung vom 23. November 2020 . Dort
schreiben Lena KAMPF, Teresa ROELCKE Und Rainer STADLER:
Niemand rein, niemand raus
"In weit mehr
als 1.000 der bundesweit etwa 12.000 Alten- und
Pflegeheimen gibt es aktuell Corona-Fälle. Das
ergab eine Umfrage von Süddeutscher Zeitung, WDR
und NDR unter den Gesundheitsministerien der
Bundesländer. (...). Einige Bundesländer
lieferten nur unvollständige Zahlen. Berlin und
Bayern machten gar keine Angaben. Dabei gibt es
dort heftige Ausbrüche. Baden-Württemberg weist
nur eine Gesamtzahl der Infizierten in
Sammelunterkünften aus, neben den Pflegeheimen
also auch Asyl- und Obdachlosenunterkünfte sowie
Justizvollzugsanstalten. (...).
Trotz der Bedeutung der Alten- und
Pflegeeinrichtungen im Kampf gegen das Virus
gibt es nicht nur in einzelnen Ländern, sondern
auch auf Bundesebene keine exakten Zahlen zum
dortigen Infektionsgeschehen. Das
Robert-Koch-Institut weist sie nicht in seinen
täglichen Situationsberichten aus. Selbst das
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der
dort angesiedelte Pflegebevollmächtigte der
Bundesregierung (...) verfügen nicht über ein
genaues Lagebild in den Heimen."
(23.11.2020)
|
Das RKI veröffentlicht
täglich ein Impfquotenmonitoring, das
hier downloadbar ist. Die folgende Tabelle zeigt die Lage am
1. März 2021:
Rang |
Bundesland |
80-Jährige und Ältere Einwohner |
Rang
Altersstruktur |
Erstimpfung |
Prozentanteil |
Zweitimpfung |
Prozentanteil |
1 |
Berlin |
211.227 |
16 |
125.251 |
59,30 |
87.362 |
41,36 |
2 |
Baden-Württemberg |
720.138 |
12 |
295.270 |
41,00 |
153.585 |
21,33 |
3 |
Hamburg |
107.709 |
15 |
42.254 |
39,23 |
20.036 |
18,60 |
4 |
Saarland |
75.795 |
6 |
28.734 |
37,91 |
15.151 |
19,99 |
5 |
Bayern |
831.499 |
14 |
309.219 |
37,19 |
122.801 |
14,77 |
6 |
Bremen |
45.522 |
11 |
16.855 |
37,03 |
9.506 |
20,88 |
7 |
Hessen |
404.039 |
13 |
145.367 |
35,98 |
57.318 |
14,19 |
8 |
Thüringen |
169.482 |
3 |
59.000 |
34,81 |
27.854 |
16,43 |
|
Deutschland |
5.681.135 |
|
1.764.839 |
31,06 |
765.590 |
13,48 |
9 |
Niedersachsen |
554.368 |
8 |
161.111 |
29,06 |
36.941 |
6,66 |
10 |
Schleswig-Holstein |
207.658 |
7 |
59.359 |
28,58 |
38.827 |
18,70 |
11 |
Rheinland-Pfalz |
282.032 |
9 |
76.484 |
27,12 |
52.184 |
18,50 |
12 |
Brandenburg |
197.346 |
5 |
44.286 |
22,44 |
32.628 |
16,53 |
13 |
Nordrhein-Westfalen |
1.216.715 |
10 |
267.686 |
22,00 |
53.212 |
4,37 |
14 |
Sachsen |
348.757 |
1 |
74.947 |
21,49 |
29.279 |
8,40 |
15 |
Sachsen-Anhalt |
182.164 |
2 |
35.700 |
19,60 |
19.225 |
10,55 |
16 |
Mecklenburg-Vorpommern |
126.684 |
4 |
23.316 |
18,40 |
9.681 |
7,64 |
Baden-Württemberg liegt
bei der Erstimpfung der 80-Jährigen und Älteren hinter Berlin
auf Platz 2. Beim Prozentanteil dieser Altersgruppe an der
Gesamtbevölkerung haben beide Länder jedoch einen
Altersstrukturvorteil. Berlin hat die wenigsten Menschen dieser
Altersgruppe (Rang 16) gemessen an der Gesamtbevölkerung zu
impfen. Sachsen (Rang 1) hat dagegen die meisten Menschen in
dieser Altersklasse zu impfen.
Entscheidend ist jedoch,
dass viele Menschen möglichst schnell geimpft worden sind.
Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie z.B. der Stand der
Impfungen am 1. Februar war. Diesen zeigt die nachfolgende
Tabelle:
Rang |
Bundesland |
80-Jährige und Ältere Einwohner |
Erstimpfung |
Prozentanteil der Altersgruppe |
Zweitimpfung |
Prozentanteil der Altersgruppe |
1 |
Berlin |
211.227 |
70.467 |
33,36 |
22.515 |
10,66 |
2 |
Saarland |
75.795 |
14.253 |
18,80 |
6.741 |
8,89 |
3 |
Baden-Württemberg |
720.138 |
134.496 |
18,68 |
37.527 |
5,21 |
4 |
Rheinland-Pfalz |
282.032 |
52.078 |
18,47 |
4.330 |
1,54 |
5 |
Bremen |
45.522 |
8.402 |
18,46 |
1.875 |
4,12 |
6 |
Hamburg |
107.709 |
17.916 |
16,63 |
3.419 |
3,17 |
7 |
Brandenburg |
197.346 |
31.554 |
15,99 |
832 |
0,42 |
8 |
Bayern |
831.499 |
117.652 |
14,15 |
40.199 |
4,83 |
9 |
Hessen |
404.039 |
54.562 |
13,50 |
10.964 |
2,71 |
10 |
Schleswig-Holstein |
207.658 |
26.576 |
12,80 |
7.611 |
3,67 |
|
Deutschland |
5.681.135 |
669.993 |
11,79 |
174.701 |
3,08 |
11 |
Thüringen |
169.482 |
19.706 |
11,63 |
1.050 |
0,62 |
12 |
Sachsen-Anhalt |
182.164 |
16.822 |
9,23 |
6.404 |
3,52 |
13 |
Mecklenburg-Vorpommern |
126.684 |
10.559 |
8,33 |
1.318 |
1,04 |
14 |
Niedersachsen |
554.368 |
29.442 |
5,31 |
9.570 |
1,73 |
15 |
Nordrhein-Westfalen |
1.216.715 |
53.909 |
4,43 |
19.176 |
1,58 |
16 |
Sachsen |
348.757 |
11.599 |
3,33 |
1.170 |
0,34 |
Auch am 1. Februar sieht
die Bilanz für Baden-Württemberg recht gut aus. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Bilanz von
Baden-Württemberg auch noch so gut ist, wenn man die Impfung der
Alten- und Pflegeheimbewohner betrachtet, denn diese Gruppe
gehört zu den am stärksten von Todesfällen betroffenen
Risikogruppen. Bei dieser Betrachtung gibt es jedoch ein
Problem. Nicht alle diese Heimbewohner gehören zur Altersgruppe
der 80-Jährigen und Älteren. Es handelt sich also nicht um eine
reine Teilbevölkerung der 80-Jährigen und Älteren, sondern es
gibt hier nur Schnittmengen. Das RKI-Impfquotenmonitoring listet
einerseits die Risikogruppen der 80-Jährigen und Älteren
(Indikation nach dem Alter) und der Pflegeheimbewohner separat
auf. Es ist also unbekannt, inwiefern Menschen in beide
Kategorien fallen und deshalb besonders stark gefährdet sind.
Im Beschluss der
Ständigen Impfkommission zur Corona-Impfung, der online am
14. Januar 2021 veröffentlicht wurde, wurde die Bevölkerung in 6
Priorisierungsklassen eingeteilt. Zur höchsten Priorität wurden
die Bewohner von Senioren- und Altenpflegeheimen gezählt, deren
Zahl auf rund 1 Million Menschen geschätzt wurde (Epidemiologisches
Bulletin 2/21, S.48). Die Zahl der 80-Jährigen und Älteren
wurde mit 5,4 Millionen Menschen veranschlagt. Im
Epidemiologischen Bulletin 5/21 schreibt die
Ständige Impfkommision (STIKO) zur Gefährdungslage der
Alten- und Pflegeheimbewohner:
Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der
COVID-19-Impfempfehlung
"Vor allem
ältere und pflegebedürftige Menschen sind bei
einer Infektion mit dem SARS-CoV2-Virus von
schweren Krankheitsverläufen und einer hohen
Mortalität betroffen. Nach Analysen der London
School of Economics gehen etwa die Hälfte (46 %)
der COVID-19-Todesfälle in Europa auf
Verstorbene in Pflegeheimen zurück. Laut der
Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes
waren in Deutschland Ende 2017 3,41 Mio.
Menschen pflegebedürftig. Etwa 2,59 Mio. (76 %)
aller Pflegebedürftigen wurden zu Hause
versorgt; davon wurden 68 % durch Angehörige
gepflegt und 32 % durch ambulante Pflegedienste.
Ambulante PflegedienstmitarbeiterInnen betreuen
gleichzeitig im Schnitt 59 Pflegebedürftige. Im
Dezember 2017 waren 81 % der Pflegebedürftigen ≥
65 Jahre alt, 35 % waren ≥ 85 Jahre alt. Die
Mehrheit (63 %) der Pflegebedürftigen war
weiblich. Mit zunehmendem Alter steigt die
Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu sein, von
6 % bei den 70- bis 74-Jährigen auf 71 % bei den
> 90-Jährigen. Es werden in Deutschland 0,82
Mio. Pflegebedürftige (24 %) in Pflegeheimen
vollstationär betreut. Pro Pflegeheim werden im
Durchschnitt 64 Pflegebedürftige betreut."
(Epidemiologisches Bulletin Nr.5/2021, online
vorab 29.01.2021)
|
Das Statistische Bundesamt
hat am 15. Dezember 2020 die Pflegestatistik 2019
veröffentlicht. Der
Bundesländervergleich gibt einen Überblick zu den
Pflegebedürftigen in Deutschland. Leider benutzt die
Pflegestatistik andere Altersgruppen als die STIKO und es wird
bei den Heimbewohnern auch nicht nach Geschlecht unterschieden.
Die folgende Tabelle gibt jedoch Anhaltspunkte für die
Einordnung des RKI-Impfquotenmonitoring:
Rang |
Bundesland |
Heimbewohner |
Pflegebedürftige |
Prozentanteil an Pflegebedürftigen |
Einwohnerzahl |
Prozentanteil an Bevölkerung |
Rang |
1 |
Schleswig-Holstein |
35.117 |
130.349 |
26,94 |
2.903.773 |
1,21 |
4 |
2 |
Bayern |
115.200 |
491.996 |
23,41 |
13.124.737 |
0,88 |
14 |
3 |
Sachsen-Anhalt. |
29.072 |
129.672 |
22,42 |
2.194.782 |
1,32 |
1 |
4 |
Saarland |
11.864 |
55.318 |
21,45 |
986.887 |
1,20 |
5 |
5 |
Niedersachsen |
96.741 |
456.255 |
21,20 |
7.993.608 |
1,21 |
3 |
6 |
Hamburg |
16.276 |
77.325 |
21,05 |
1.847.253 |
0,88 |
13 |
7 |
Sachsen |
51.310 |
250.812 |
20,46 |
4.071.971 |
1,26 |
2 |
8 |
Baden-Württemberg |
94.047 |
471.913 |
19,93 |
11.100.394 |
0,85 |
15 |
|
Deutschland |
818.317 |
4.127.605 |
19,83 |
83.166.711 |
0,98 |
|
9 |
Mecklenburg-Vorpommern |
19.273 |
102.996 |
18,71 |
1.608.138 |
1,20 |
6 |
10 |
Thüringen |
25.307 |
135.592 |
18,66 |
2.133.378 |
1,19 |
7 |
11 |
Rheinland-Pfalz |
37.733 |
202.708 |
18,61 |
4.093.903 |
0,92 |
10 |
12 |
Hessen |
57.214 |
310.653 |
18,42 |
6.288.080 |
0,91 |
11 |
13 |
Berlin |
29.069 |
158.482 |
18,34 |
3.669.491 |
0,79 |
16 |
14 |
Bremen |
6.173 |
34.576 |
17,85 |
681.202 |
0,91 |
12 |
15 |
Nordrhein-Westfalen |
169.128 |
964.987 |
17,53 |
17.947.221 |
0,94 |
9 |
16 |
Brandenburg |
24.793 |
153.971 |
16,10 |
2.521.893 |
0,98 |
8 |
Was sagt diese Tabelle
aus? Zum einen, dass Schleswig-Holsteins Anteil der Heimbewohner
an den gesamten Pflegebedürftigen im Sinne der
Pflegeversicherung mit 26,94 Prozent besonders hoch ist, während
er in Brandenburg mit 16,1 Prozent besonders niedrig ist.
Andererseits ist der Anteil der Heimbewohner mit 1,32 Prozent
der Gesamtbevölkerung in Sachsen-Anhalt am höchsten, während er in Berlin mit 0,79
Prozent am niedrigsten ist.
Baden-Württemberg hat mit 0,85
Prozent Heimbewohnern gemessen an der Einwohnerzahl und einem
durchschnittlichen Anteil von Heimbewohnern an den gesamten
Pflegebedürftigen einen Vorteil gegenüber denjenigen Ländern,
die hier mehr Anstrengungen bei der Impfung dieser stark
gefährdeten Gruppe leisten müssen. Wenn aber Baden-Württemberg
einen solchen Vorteil genießt, dann müsste das Land eigentlich
besonders schnell diese gefährdete Gruppe durchgeimpft haben.
Außerdem sollten die Todeszahlen bei den Heimbewohnern niedriger
liegen als in Bundesländern, die einen höheren Anteil dieser
Bevölkerungsgruppe haben. Am 1. März 2021 zeigt das RKI-Impfquotenmonitoring folgendes Bild der Impfsituation bei
den Pflegeheimbewohnern in den einzelnen Bundesländern:
Bundesland |
Pflegeheimbewohner
gemäß Pflegestatistik 2019 |
Erstimpfung |
Prozentanteil |
Zweitimpfung |
Prozentanteil |
Baden-Württemberg |
94.047 |
78.791 |
83,78 |
51.737 |
55,01 |
Bayern |
115.200 |
118.108 |
102,52 |
90.236 |
78,33 |
Berlin |
29.069 |
41.801 |
143,80 |
33.455 |
115,09 |
Brandenburg |
24.793 |
21.706 |
87,55 |
16.561 |
66,80 |
Bremen |
6.173 |
8.016 |
129,86 |
6.844 |
110,87 |
Hamburg |
16.276 |
15.669 |
96,27 |
11.968 |
73,53 |
Hessen |
57.214 |
50.060 |
87,50 |
33.306 |
58,21 |
Mecklenburg-Vorpommern |
19.273 |
23.289 |
120,84 |
15.324 |
79,51 |
Niedersachsen |
96.741 |
91.563 |
94,65 |
70.083 |
72,44 |
Nordrhein-Westfalen |
169.128 |
180.817 |
106,91 |
134.557 |
79,56 |
Rheinland-Pfalz |
37.733 |
35.876 |
95,08 |
31.017 |
82,20 |
Saarland |
11.864 |
9.935 |
83,74 |
5.960 |
50,24 |
Sachsen |
51.310 |
33.980 |
66,22 |
15.561 |
30,33 |
Sachsen-Anhalt |
29.072 |
28.057 |
96,51 |
16.531 |
56,86 |
Schleswig-Holstein |
35.117 |
49.308 |
140,41 |
35.229 |
100,32 |
Thüringen |
25.307 |
21.644 |
85,53 |
11.375 |
44,95 |
Deutschland |
818.317 |
808.620 |
98,82 |
579.744 |
70,85 |
Auf den ersten Blick wird
sichtbar, dass die Zahlen der Pflegestatistik 2019 zu den
Heimbewohnern nicht identisch sind mit der RKI-Statistik zur
Indikation "PflegeheimbewohnerIn". Es ist jedoch auch sichtbar,
dass z.B. Baden-Württemberg weit davon entfernt ist, die Alten-
und Pflegeheimbewohner durchgeimpft zu haben. Wie lässt sich
diese Differenz erklären? Am Beispiel Baden-Württemberg soll
gezeigt werden, welche Probleme sich bei der Annäherung an die
Ist-Situation in den Alten- und Pflegeheimen ergeben.
Die Lage
in den Alten- und Pflegeheimen in Baden-Württemberg
Das Statistische Landesamt
Baden-Württemberg hat am 21. Januar 2021 eine
Pressemitteilung zur Gruppe der Impfberechtigten mit der
höchsten Priorität herausgegeben Dazu heißt es:
Eröffnung der Kreisimpfzentren: 720.000 Personen über 80
Jahre impfberechtigt
"(M)it
höchster Priorität geimpft werden
pflegebedürftige Personen, die in stationären
Einrichtungen leben. Zur Einschätzung der Größe
dieser Gruppe nennt das Statistische Landesamt
Baden-Württemberg die Anzahl der
pflegebedürftigen Personen in vollstationärer
Dauerpflege aus der Pflegestatistik 2019. Zum
Stichtag des 15. Dezember 2019 wurden in
Baden-Württemberg insgesamt 90.813 Personen in
vollstationärer Dauerpflege gezählt. Davon ist
ein Drittel jünger als 80 Jahre alt und somit
aufgrund dieser Einstufung mit höchster
Priorität impfberechtigt. Konkret betrifft dies
26.871 Personen."
(Pressemitteilung des Statistischen
Landesamts vom 21.01.2021)
|
In der Pflegestatistik
2019 wird bei den Pflegeheimbewohnern zwischen vollstationärer
Kurzzeit- und Dauerpflege unterschieden. In den einzelnen
Bundesländer gibt es jedoch große Unterschiede zwischen beiden
Kategorien, die aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich sind:
Rang |
Bundesland |
vollstationäre Pflege |
Dauerpflege |
Prozentanteil der Dauerpflege |
1 |
Berlin |
29.069 |
28.832 |
99,18 |
2 |
Mecklenburg-Vorpommern |
19.273 |
19.111 |
99,16 |
3 |
Thüringen |
25.307 |
25.000 |
98,79 |
4 |
Sachsen |
51.310 |
50.297 |
98,03 |
5 |
Brandenburg |
24.793 |
24.282 |
97,94 |
6 |
Bayern |
115.200 |
112.563 |
97,71 |
7 |
Sachsen-Anhalt |
29.072 |
28.334 |
97,46 |
8 |
Schleswig-Holstein |
35.117 |
34.169 |
97,30 |
|
Deutschland |
818.317 |
794.917 |
97,14 |
9 |
Nordrhein-Westfalen |
169.128 |
163.711 |
96,80 |
10 |
Baden-Württemberg |
94.047 |
90.813 |
96,56 |
11 |
Hamburg |
16.276 |
15.709 |
96,52 |
12 |
Niedersachsen |
96.741 |
93.364 |
96,51 |
13 |
Hessen |
57.214 |
55.141 |
96,38 |
14 |
Bremen |
6.173 |
5.942 |
96,26 |
15 |
Saarland |
11.864 |
11.405 |
96,13 |
16 |
Rheinland-Pfalz |
37.733 |
36.244 |
96,05 |
Während Rheinland-Pfalz
den größten Anteil an der Kurzzeitpflege bei der vollstationären
Pflege hat, ist in Berlin die Dauerpflege fast gleichbedeutend
mit der vollstationären Pflege.
Obwohl in
Baden-Württemberg Ende 2019 rund 3,5 % der Personen in Heimen
unter die Kurzzeitpflege fallen, die gemäß dem
Gesundheitsministerium ebenfalls impfberechtigt sind (mehr
hier), wird in der Pressemeldung des Statistischen
Bundesamtes nur die um über 3.000 Personen niedrigere Zahl der
Dauerpflege angegeben. Eine Begründung dafür findet sich jedoch
nicht.
In den 44 Landkreisen in
Baden-Württemberg reichte Ende 2019 der Anteil der 80-Jährigen
und Älteren an der vollstationären Dauerpflege von fast 80
Prozent im Landkreis Tübingen bis 63,5 Prozent im Landkreis
Sigmaringen. Im Durchschnitt lag dieser Anteil bei rund 70
Prozent. Aus der nachfolgenden Tabelle sind die Zahlen für die
einzelnen Kreise ersichtlich:
Kreis |
80-Jährige und Ältere |
vollstationäre
Dauerpflege |
Gesamtzahl |
unter 80 Jahre |
Prozentanteil |
80 Jahre und Älter |
Prozentanteil |
Tübingen (LKR) |
12.427 |
1.355 |
281 |
20,74 |
1.074 |
79,26 |
Heidenheim (LKR) |
9.807 |
1.196 |
264 |
22,07 |
932 |
77,93 |
Zollernalbkreis (LKR) |
14.033 |
1.470 |
327 |
22,24 |
1.143 |
77,76 |
Böblingen (LKR) |
24.865 |
2.711 |
618 |
22,80 |
2.093 |
77,20 |
Alb-Donau-Kreis (LKR) |
12.157 |
1.508 |
382 |
25,33 |
1.126 |
74,67 |
Ludwigsburg (LKR) |
34.503 |
3.857 |
1.025 |
26,58 |
2.832 |
73,42 |
Esslingen (LKR) |
35.484 |
3.893 |
1.035 |
26,59 |
2.858 |
73,41 |
Heilbronn (LKR) |
20.311 |
2.662 |
715 |
26,86 |
1.947 |
73,14 |
Lörrach (LKR) |
15.142 |
1.765 |
483 |
27,37 |
1.282 |
72,63 |
Karlsruhe (LKR) |
29.529 |
3.673 |
1.008 |
27,44 |
2.665 |
72,56 |
Ortenaukreis (LKR) |
29.372 |
4.084 |
1.126 |
27,57 |
2.958 |
72,43 |
Rastatt (LKR) |
16.076 |
1.769 |
500 |
28,26 |
1.269 |
71,74 |
Hohenlohekreis (LKR) |
7.006 |
1.129 |
320 |
28,34 |
809 |
71,66 |
Pforzheim (SKR) |
8.624 |
1.465 |
420 |
28,67 |
1.045 |
71,33 |
Ravensburg (LKR) |
17.550 |
2.162 |
623 |
28,82 |
1.539 |
71,18 |
Reutlingen (LKR) |
19.604 |
2.211 |
639 |
28,90 |
1.572 |
71,10 |
Konstanz (LKR) |
19.476 |
2.573 |
746 |
28,99 |
1.827 |
71,01 |
Enzkreis (LKR) |
13.485 |
1.731 |
503 |
29,06 |
1.228 |
70,94 |
Stuttgart (SKR) |
38.374 |
4.761 |
1.391 |
29,22 |
3.370 |
70,78 |
Schwarzwald-Baar-Kreis (LKR) |
15.851 |
2.057 |
601 |
29,22 |
1.456 |
70,78 |
Göppingen (LKR) |
18.021 |
2.215 |
651 |
29,39 |
1.564 |
70,61 |
Baden-Württemberg |
720.138 |
90.813 |
26.871 |
29,59 |
63.942 |
70,41 |
Rhein-Neckar-Kreis (LKR) |
36.303 |
4.406 |
1.326 |
30,10 |
3.080 |
69,90 |
Heilbronn (SKR) |
8.144 |
1.393 |
420 |
30,15 |
973 |
69,85 |
Karlsruhe (SKR) |
19.124 |
2.536 |
775 |
30,56 |
1.761 |
69,44 |
Heidelberg (SKR) |
8.593 |
1.113 |
344 |
30,91 |
769 |
69,09 |
Biberach (LKR) |
11.738 |
1.427 |
442 |
30,97 |
985 |
69,03 |
Waldshut (LKR) |
11.508 |
1.471 |
456 |
31,00 |
1.015 |
69,00 |
Ulm (SKR) |
7.419 |
1.046 |
326 |
31,17 |
720 |
68,83 |
Main-Tauber-Kreis (LKR) |
9.531 |
1.497 |
470 |
31,40 |
1.027 |
68,60 |
Bodenseekreis (LKR) |
15.161 |
1.558 |
490 |
31,45 |
1.068 |
68,55 |
Schwäbisch Hall (LKR) |
11.712 |
1.701 |
539 |
31,69 |
1.162 |
68,31 |
Rottweil (LKR) |
9.542 |
1.202 |
383 |
31,86 |
819 |
68,14 |
Baden-Baden (SKR) |
4.902 |
587 |
190 |
32,37 |
397 |
67,63 |
Emmendingen (LKR) |
10.744 |
1.369 |
444 |
32,43 |
925 |
67,57 |
Freiburg im Breisgau (SKR) |
12.216 |
1.876 |
610 |
32,52 |
1.266 |
67,48 |
Freudenstadt (LKR) |
7.960 |
1.255 |
412 |
32,83 |
843 |
67,17 |
Ostalbkreis (LKR) |
20.502 |
2.760 |
908 |
32,90 |
1.852 |
67,10 |
Rems-Murr-Kreis (LKR) |
29.162 |
3.644 |
1.253 |
34,39 |
2.391 |
65,61 |
Mannheim (SKR) |
18.146 |
2.655 |
913 |
34,39 |
1.742 |
65,61 |
Calw (LKR) |
10.672 |
1.597 |
554 |
34,69 |
1.043 |
65,31 |
Breisgau-Hochschwarzwald (LKR) |
17.967 |
1.918 |
669 |
34,88 |
1.249 |
65,12 |
Neckar-Odenwald-Kreis (LKR) |
9.697 |
1.532 |
551 |
35,97 |
981 |
64,03 |
Tuttlingen (LKR) |
9.135 |
1.108 |
404 |
36,46 |
704 |
63,54 |
Sigmaringen (LKR) |
8.563 |
915 |
334 |
36,50 |
581 |
63,50 |
Das Gesundheitsministerium
unter dem grünen Gesundheitsminiter Manfred LUCHA ist in Sachen
Pflegeheime wenig gesprächig. Die
letzte Pressemeldung zum Impfstand stammt vom 5. Februar und
geht auf die Pflegeheime nicht ein. Es ist offensichtig, dass
dieses Thema für den Minister sehr peinlich ist. Die täglichen
Lageberichte weisen vom 1. Januar bis zum 1. März folgenden
Anteil an geimpften Heimbewohnern an den täglichen Erstimpfungen
aus:
Datum |
Erstimpfung |
Pflegeheim |
Prozentanteil |
01.01.2021 |
17.089 |
2.696 |
15,8 |
02.01.2021 |
20.048 |
3.406 |
17,0 |
03.01.2021 |
24.067 |
4.203 |
17,5 |
04.01.2021 |
27.179 |
4.935 |
18,2 |
05.01.2021 |
32.191 |
5.646 |
17,5 |
06.01.2021 |
37.840 |
6.476 |
17,1 |
07.01.2021 |
42.899 |
7.340 |
17,1 |
08.01.2021 |
49.112 |
8.092 |
16,5 |
09.01.2021 |
55.329 |
9.104 |
16,5 |
10.01.2021 |
61.122 |
9.761 |
16,0 |
11.01.2021 |
65.497 |
10.278 |
15,7 |
12.01.2021 |
73.776 |
11.326 |
15,4 |
13.01.2021 |
76.762 |
12.781 |
16,7 |
14.01.2021 |
82.630 |
13.866 |
16,8 |
15.01.2021 |
92.877 |
17.614 |
19,0 |
16.01.2021 |
100.163 |
19.421 |
19,4 |
17.01.2021 |
108.053 |
21.896 |
20,3 |
18.01.2021 |
114.954 |
23.375 |
20,3 |
19.01.2021 |
122.054 |
24.404 |
20,0 |
20.01.2021 |
128.128 |
25.164 |
19,6 |
21.01.2021 |
135.209 |
26.213 |
19,4 |
22.01.2021 |
142.511 |
27.997 |
19,6 |
23.01.2021 |
154.820 |
30.365 |
19,6 |
24.01.2021 |
164.982 |
32.001 |
19,4 |
25.01.2021 |
171.338 |
32.956 |
19,2 |
26.01.2021 |
180.406 |
34.698 |
19,2 |
27.01.2021 |
189.426 |
36.499 |
19,3 |
28.01.2021 |
198.902 |
38.501 |
19,4 |
29.01.2021 |
206.594 |
40.124 |
19,4 |
30.01.2021 |
217.340 |
42.016 |
19,3 |
31.01.2021 |
225.769 |
43.647 |
19,3 |
01.02.2021 |
231.714 |
44.709 |
19,3 |
02.02.2021 |
239.215 |
46.803 |
19,6 |
03.02.2021 |
246.618 |
48.610 |
19,7 |
04.02.2021 |
254.423 |
50.203 |
19,7 |
05.02.2021 |
260.936 |
51.596 |
19,8 |
06.02.2021 |
270.837 |
53.342 |
19,7 |
07.02.2021 |
280.015 |
54.821 |
19,6 |
08.02.2021 |
286.324 |
55.912 |
19,5 |
09.02.2021 |
293.955 |
57.653 |
19,6 |
10.02.2021 |
302.778 |
59.285 |
19,6 |
11.02.2021 |
312.104 |
60.871 |
19,5 |
12.02.2021 |
320.614 |
62.385 |
19,5 |
13.02.2021 |
329.670 |
63.758 |
19,3 |
14.02.2021 |
337.626 |
64.948 |
19,2 |
15.02.2021 |
343.333 |
65.720 |
19,1 |
16.02.2021 |
351.339 |
67.086 |
19,1 |
17.02.2021 |
362.951 |
68.986 |
19,0 |
18.02.2021 |
372.868 |
70.150 |
18,8 |
19.02.2021 |
383.094 |
71.362 |
18,6 |
20.02.2021 |
396.026 |
72.722 |
18,4 |
21.02.2021 |
406.653 |
73.626 |
18,1 |
22.02.2021 |
414.803 |
74.084 |
17,9 |
23.02.2021 |
425.604 |
74.766 |
17,6 |
24.02.2021 |
438.288 |
76.122 |
17,4 |
25.02.2021 |
452.126 |
77.092 |
17,1 |
26.02.2021 |
470.028 |
78.348 |
16,7 |
27.02.2021 |
489.431 |
79.500 |
16,2 |
28.02.2021 |
507.277 |
80.106 |
15,8 |
01.03.2021 |
520.879 |
80.501 |
15,5 |
Der durchschnittliche
Prozentanteil dieser 60 Tage liegt bei 16,4 Prozent, d.h. in
Baden-Württemberg war nicht einmal jeder 5. der täglich
Geimpften ein Heimbewohner. Ganz anders in
Mecklenburg-Vorpommern. Am 1. März wurden dort 79.501
Erstimpfungen gemeldet. 23.289 gingen davon an Heimbewohner. Das
sind 29,3 % der Geimpften und damit war fast jeder Dritte der
Erstgeimpften ein Heimbewohner. Zwei Drittel dieser Heimbewohner
sind sogar zum zweiten Mal geimpft.
Die Anzahl der Todesfälle
in Heimen ist hoch, aber Genaues wird darüber ungern berichtet.
Die Presse, die eigentlich auf Problemfelder hinweisen sollte,
ist jedenfalls nicht besonders hilfreich bei der Aufdeckung von
Missständen in Heimen. Meist werden einfach nur die
Pressemitteilungen der Kreisgesundheitsämter wiedergegeben, wenn
es um Todesfälle in Heimen geht. Auf Landesebene sieht es meist
noch schlechter aus. Am 3. Februar berichtete z.B. das
Online-Portal faz.net der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung über
Corona-Tote in Pflegeheimen und zitierte dabei aus dem
Boulevardblatt Bild, das nicht gerade für investigativen
Journalismus bekannt ist. Die Anzahl der Toten, die in
Pflegeheimen lebten, variierte nach diesem Bericht zwischen 73
Prozent in Berlin und 15 Prozent in Baden-Württemberg.
Eine Woche später erscheint ein Bericht der Datenjournalisten
Kai LAUFEN, Edgar VERHEYEN und Johannes SCHMID-JOHANNSEN auf der
Website des Südwestrundfunks, in dem die Zahl der Todesfälle auf
rund 40 Prozent in Baden-Württemberg erhöht wird:
Kritik an Teststrategie in Baden-Württemberg: 40 Prozent
aller Corona-Todesfälle in zweiter Welle in Pflegeheime
"Wo
Schutzkonzepte fehlten oder schlecht umgesetzt
wurden, schlug das Virus zu. Schwer
nachvollziehbar, warum etwa die Bild-Zeitung
Ende Dezember schrieb: »In Baden-Württemberg kam
nach Angaben der Landesregierung nur rund jeder
zehnte Corona-Tote aus dem Heim.« Dem SWR
gegenüber bestätigte das Sozialministerium nach
mehrfacher Nachfrage jetzt: Es waren 40 Prozent
aller Todesfälle."
(swr.de,
11.02.2021)
|
Wieder eine Woche später
war das Thema Inhalt einer Sondersitzung des Sozialausschusses
(Video
hier verfügbar). Im
Liveblog des SWR heißt es dazu:
Lage in Pflegeheimen beschäftigt Sozialausschuss
"Corona-Ausbrüche in baden-württembergischen
Pflegeheimen sind heute Thema im Sozialausschuss
des Landtags. SPD und FDP haben dazu eine
Sondersitzung beantragt. Anlass sind die
SWR-Recherchen über die tatsächlichen
Todeszahlen und die Testpraxis in
baden-württembergischen Pflegeheimen. Die
Opposition wirft die Frage auf, ob die
Landesregierung genug für den Schutz der
besonders gefährdeten Pflegeheimbewohner tut.
Die SPD-Landtagsfraktion kritisiert, dass
Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen
Bundesländern das Ziel nicht erreicht habe, alle
Heimbewohner so schnell wie möglich zu impfen.
So seien bis Mitte Februar erst zwei Drittel der
rund 100.000 Pflegeheim-Bewohner in
Baden-Württemberg geimpft worden. Nach Angaben
des Landesgesundheitsamtes sind in
Baden-Württemberg von September bis Mitte
Februar 2.287 Menschen bei Ausbrüchen in Alten-
und Pflegeheimen an oder mit Covid-19 gestorben.
Der Anteil von Pflegeheimbewohnern an allen in
dieser Zeit im Zusammenhang mit Corona
Verstorbenen beträgt damit knapp 40 Prozent."
(Pressemitteilung, 18.02.2021)
|
Die Presseabteilung des
Landtags klärt uns dagegen über die Sicht des
Gesundheitsministers folgendermaßen auf:
Im Sozialausschuss: Mehr Tempo bei Impfungen in Heimen
verlangt
"Laut
Hinderer warf die SPD Sozialminister Manfred
Lucha (Grüne) vor, die Lage in Pflegeheimen zu
verharmlosen. Erst die SWR-Recherchen hätten
gezeigt, wie dramatisch die Situation
tatsächlich sei. Lucha habe die Zahlen dem
Parlament vorenthalten und betreibe den Schutz
von Pflegeeinrichtungen nicht entschlossen
genug. Der Minister wies dies zurück und
erklärte, bisher seien 2.846 Bewohner von
Pflegeheimen mit und an Covid-19 gestorben. Das
seien 37,6 Prozent aller Corona-Toten im Land
(7.566). Im Ländervergleich sei dies der
zweitniedrigste Wert. Angesichts dessen seien
die Vorwürfe von SPD und FDP/DVP
ungerechtfertigt."
(Pressemitteilung,
18.02.2021)
|
In einem
ausführlicheren Bericht des SWR zur Sondersitzung heißt es:
Sondersitzung im baden-württembergischen Landtag:
Pflegeheime zu schlecht vor Corona geschützt?
Gesundheitsminister wehrt sich
"Insgesamt
sind laut Ministerium bisher 7.566 Menschen
(Stand: 10. Februar) in Baden-Württemberg an
oder mit Covid-19 verstorben, 2.846 davon in
Alten- und Pflegeheimen. Der Anteil liegt
demnach bei 37,6 Prozent. (...).
Die SPD warf Lucha vor, Todeszahlen
kleingerechnet zu haben.
Dem widersprach der Minister vehement. Er sei zu
jedem Zeitpunkt mit den Pflegeeinrichtungen im
Gespräch und über die Zahlen im Bilde gewesen,
so Lucha. In vielen anderen Bundesländern sei
der Anteil der Toten, die auf Ausbrüche in
Pflegeheimen zurückzuführen sind, deutlich höher
als in Baden-Württemberg. Das gehe aus einer
Länderabfrage des Sozialministeriums hervor. In
Brandenburg betrug die Quote demnach 47,8
Prozent, in Schleswig-Holstein sogar 71 Prozent."
(swr.de, 23.10.2020)
|
Das über einhalbstündige
Video von der Sondersitzung ergibt etwas anderes. Manfred LUCHA
nennt zwar Zahlen zu den Toten in Pflegeheimen in den einzelnen
Bundesländern (siehe ab Minute 26). Doch diese sind lückenhaft.
Aus dem Wortlaut des Ministers während der Sondersitzung ergibt
sich folgendes Bild:
Bundesland |
Prozentanteil
Pflegeheimbewohner an gesamten Corona-Toten |
Baden-Württemberg |
37,6 % |
Bayern |
51,54
% |
Berlin |
57 % |
Brandenburg |
47,42
% |
Bremen |
53,21
% |
Hamburg |
63 % |
Hessen |
57,9 % |
Mecklenburg-Vorpommern |
37 % |
Niedersachsen |
fehlt
in der Aufzählung |
Nordrhein-Westfalen |
43,1 % |
Rheinland-Pfalz |
32,8 % |
Saarland |
fehlt
in der Aufzählung |
Sachsen |
71,01
% |
Sachsen-Anhalt |
"keine
Angaben" |
Schleswig-Holstein |
"keine
belastbaren Angaben" |
Thüringen |
50,1 % |
Kann der Minister also
nicht richtig vom Blatt ablesen oder warum ergeben sich
Diskrepanzen zu den Zahlen zum SWR-Bericht? Die Pressemitteilung
des Landtages spricht gar vom "zweitniedrigsten Wert" unter den
Bundesländern, obwohl die Aussage des Ministers das gar nicht
hergibt. Zudem ergibt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich
diese Prozentanteile ergeben haben. An anderer Stelle (siehe ab 1 h 21
min) nennt der Minister Zahlen zu den Toten in den Pflegeheimen im Zeitraum
September 2020 - Januar 2021. In diesem Zeitraum seien 5.831
Menschen an oder mit Corona in Baden-Württemberg verstorben.
2.411 waren Pflegeheimbewohner. Das ergibt einen Anteil von 41,4
%.
Die im SWR-Bericht genannte Zahl an Todesfällen von 7.566
Menschen ist identisch mit der Zahl der im Tagesbericht des
Landesgesundheitsamtes vom 10. Februar gemeldeten Zahl von Toten
in Baden-Württemberg. 2.846 Heimbewohner sollen bis dahin
gestorben sein. Dies entspricht einem Anteil von 37,62 Prozent.
Dies ist jedoch nur eine Momentaufnahme, weil es sich
offensichtlich nur um "gemeldete Tote" und nicht um Todesfälle
nach dem Sterbedatum geht. Durch den Meldeverzug kann es viele
Wochen dauern bis alle Todesfälle bis zum 10. Februar tatsächlich beim LGA gemeldet werden. Baden-Württemberg zählt nicht zu den
Ländern, die bei der Bearbeitung von Todesfällen besonders
schnell sind. Die folgenden beiden Grafiken, die den Tagesberichten des LGA vom 10. Februar und dem 9. März 2021 entnommen sind, zeigt
die Situation bei den Todesfällen nach Sterbedatum:
 |
|
Aus den Grafiken ist
ersichtlich, dass es für den Zeitraum bis zum 9. Februar viele
Nachmeldungen gab. Sowohl der Gipfel um Weihnachten herum liegt
höher als auch die Zahlen der Verstorbenen am 9. Februar. Das LGA stellt leider keine Tabellen zu den Todesfällen nach
Sterbedatum zur Verfügung, sondern nur diese Grafiken.
Das RKI
stellt dagegen Tabellen zu den Todesfällen nach Sterbedatum zur
Verfügung. Aufgrund des Meldeverzugs sind die Todeszahlen jedoch
niedriger als die LGA-Zahlen. Dennoch zeigen sie das Problem
deutlicher als die Grafiken. Die folgende Tabelle zeigt die
Entwicklung der Todesfälle nach Sterbedatum in Baden-Württemberg
anhand der wöchentlich erscheinenden RKI-Tabellen (hier
downloadbar) vom 10. Februar bis zum 5. März 2021. Das RKI
veröffentlicht die Daten erst 3 Wochen nach Meldedatum, weil die
Zahlen der Todesfälle zu einem früheren Zeitpunkt unvollständig
sind. Auch nach drei Wochen können jedoch immer noch einzelne
Nachmeldungen erfolgen. Sterben in einer Woche weniger als 4
Menschen, dann wird das aus Datenschutzgründen als
<4 markiert. Dies
war z.B. in den Kalenderwochen 36 und 37 in Baden-Württemberg
der Fall:
Sterbewoche |
Wochenbeginn |
Sterbejahr |
10.02.2021 |
19.02.2021 |
26.02.2021 |
05.03.2021 |
Anzahl Tote |
36 |
31.08.2020 |
2020 |
<4 |
<4 |
<4 |
<4 |
37 |
07.09.2020 |
2020 |
<4 |
<4 |
<4 |
<4 |
38 |
14.09.2020 |
2020 |
7 |
7 |
7 |
7 |
39 |
21.09.2020 |
2020 |
9 |
9 |
9 |
9 |
40 |
28.09.2020 |
2020 |
12 |
12 |
12 |
12 |
41 |
05.10.2020 |
2020 |
15 |
15 |
15 |
15 |
42 |
12.10.2020 |
2020 |
46 |
46 |
47 |
47 |
43 |
19.10.2020 |
2020 |
54 |
54 |
54 |
54 |
44 |
26.10.2020 |
2020 |
108 |
109 |
110 |
110 |
45 |
02.11.2020 |
2020 |
152 |
153 |
155 |
155 |
46 |
09.11.2020 |
2020 |
190 |
190 |
189 |
190 |
47 |
16.11.2020 |
2020 |
248 |
252 |
253 |
253 |
48 |
23.11.2020 |
2020 |
353 |
358 |
360 |
368 |
49 |
30.11.2020 |
2020 |
402 |
402 |
404 |
412 |
50 |
07.12.2020 |
2020 |
525 |
528 |
531 |
534 |
51 |
14.12.2020 |
2020 |
592 |
591 |
592 |
593 |
52 |
21.12.2020 |
2020 |
585 |
592 |
600 |
603 |
53 |
28.12.2020 |
2020 |
529 |
544 |
549 |
550 |
1 |
04.01.2021 |
2021 |
521 |
540 |
550 |
555 |
2 |
11.01.2021 |
2021 |
427 |
440 |
449 |
453 |
3 |
18.01.2021 |
2021 |
k.A. |
403 |
409 |
415 |
4 |
25.01.2021 |
2021 |
k.A. |
307 |
312 |
317 |
5 |
01.02.2021 |
2021 |
k.A. |
k.A. |
226 |
237 |
6 |
08.02.2021 |
2021 |
k.A. |
k.A. |
k.A. |
205 |
Beispielhaft soll hier auf
die 52. Kalenderwoche vom 21.12.2020 bis 27.12.2020 eingegangen
werden. Es handelt sich hier um die Weihnachtswoche. Während bis
zum 10.02.2021 für diese Woche nur 585 Todesfälle gemeldet
waren, sind es am 5. März 2021 mit 603 Todesfälle noch einmal 18
Todesfälle mehr. Dies ist zugleich der Höchststand von
Todesfällen in Baden-Württemberg innerhalb einer Woche. Täglich
gemeldet wurden vom RKI in der 52. Kalenderwoche dagegen nur 469
Todesfälle für Baden-Württemberg.
Der Unterschied zwischen
der Zahl der gemeldeten Toten und den innerhalb von 24 Stunden
tatsächlich gestorbenen Menschen wird in den Medien nur selten
richtig dargestellt. Zwischen beiden Zahlen können große
Unterschiede sein wie das Beispiel zeigt. Der Unterschied ist
sehr wichtig, wenn es darum geht Fehlschlüsse zu vermeiden. Am
31. Januar titelt z.B. Telepolis:
Januar 2021 bisher
tödlichster Monat der Pandemie. Thomas SCHUSTER schreibt
darin:
Januar 2021 bisher tödlichster Monat der Pandemie
"Im Januar
sind in Deutschland mehr Menschen an Covid-19
gestorben als in jedem anderen Monat seit Beginn
der Pandemie. Anfang Januar hatte das Land
ungefähr 34.000 Todesfälle im Zusammenhang mit
dem Coronavirus zu verzeichnen. Zum Ende des
Monats liegt deren Zahl bei rund 57.000. Die
traurigen Zahlen des Vormonats wurden somit
sogar noch übertroffen. Der Januar 2021 ist der
bisher tödlichste Monat der Pandemie."
(Telepolis, 31.01.2021)
|
Dies wäre nicht schlimm,
aber in dem Artikel wird dann auf die Sterbefallzahlen des
Statistischen Bundesamt eingegangen, die jedoch mit den
gemeldeten Todesfällen, die SCHUSTER hier erwähnt, nichts zu tun
haben. Denn bei den Todesfällen des Statistischen Bundesamtes
handelt es sich um Todesfälle nach dem Sterbedatum. Für
Baden-Württemberg ist klar ersichtlich, dass nicht der Januar,
sondern der Dezember der tödlichste Monat der Pandemie war. Im
Dezember starben wöchentlich mehr als 500 Menschen, im Januar
waren es dagegen nur in der ersten Woche über 500, um dann Woche
um Woche weniger zu werden. Das gilt auch für ganz Deutschland.
Das RKI verzeichnete mit Stand 5. März für den Dezember 21.428
Todesfälle. Im Januar waren es dann mit 20.969 fast 500
Todesfälle weniger. Dass der Rückgang nicht größer ausfiel,
liegt offensichtlich am fehlenden Impffortschritt bei den am
stärksten gefährdeten Heimbewohnern.
Zusammenfassend lässt sich
also sagen, dass ein Vergleich der Todesfälle in einzelnen
Bundesländern schon schwierig genug ist, wenn es allein um die
Gesamtzahl geht. Sinnvoll ist ein Vergleich ja nur, wenn
Todesfälle für einen bestimmten Zeitraum verglichen werden
können,
wobei nicht die bis dahin gemeldeten Toten ausschlaggebend sind,
sondern die Verstorbenen nach Sterbedatum. Wenn dann noch der
Anteil der Todesfälle in Alten- und Pflegeheimen bestimmt werden
soll, dann wird die Sache noch komplizierter. Der grüne
Gesundheitsminister macht es sich da zu leicht mit seinem
Zahlenwerk. Wissenschaftler sprechen hier zu Recht auch von
"politischen Zahlen". Es werden noch etliche Monate ins Land
gehen, bis die Entwicklungen während der tödlichen zweiten Welle
in Deutschland aufgearbeitet worden sind. Als Wahlkampfthema ist
diese Angelegenheit jedenfalls ungeeignet und könnte schnell
jenen auf die Füße fallen, die sich einen momentanen Vorteil zu
verschaffen glauben.
Ist die
dritte Welle in Deutschland unvermeidbar?
Der vorerst letzte
Bund-Länder-Gipfel fand am 3. März statt. Davor fanden seit Ende
Oktober 2020 neun Gipfelgespräche zwischen dem Kanzleramt und
den Ministerpräsidenten der Bundesländer statt. Die nachfolgende
Tabelle zeigt die Termine und die zentralen Aspekte der 10
Gespräche hinsichtlich der Inzidenzziele in Deutschland:
Datum |
Zentrale Neuerungen und
Zielmarken |
Die Passage des
Bund-Länder-Beschlusses im Wortlaut (alle Beschlüsse
hier downloadbar) |
28.10.2020 |
Beschluss eines "Teil-Lockdowns"
ab 2. November |
"Bürgerinnen und Bürger
werden aufgefordert, generell auf nicht notwendige private
Reisen und Besuche - auch von Verwandten - zu verzichten.
Das gilt auch im Inland und für überregionale
tagestouristische Ausflüge. Übernachtungsangebote im
Inland werden nur noch für notwendige und ausdrücklich
nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt." |
16.11.2020 |
Ermöglichung der Kontaktnachverfolgung in den
Gesundheitsämtern bei bis zu Inzidenz 50 durch
Personalaufstockung und Bundeswehreinsatz |
"Bund und Länder haben
vereinbart, dass die Gesundheitsämter personell so
aufgestockt werden, dass genügend
Kontaktnachverfolgungspersonal bereitsteht, um täglich die
Kontakte von 5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner
nachvollziehen zu können, das entspricht 35 Neuinfektionen
pro 100.000 Einwohner pro Woche. Dies ist gegenüber der
vorpandemischen Zeit bereits eine Kraftanstrengung. Mit
erheblicher Unterstützung von Landes- und Bundesbehörden
sowie der Bundeswehr wird daran gearbeitet, dass auch bei
50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche die
Kontaktverfolgung noch vollständig erfolgen kann." |
25.11.2020 |
Lockerungsmöglichkeiten in Landkreisen mit Inzidenzen
unter 50 |
"Um auf besondere
regionale Situationen angemessen reagieren zu können,
haben Länder bei einer Inzidenz von deutlich unter 50
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen
in sieben aufeinander folgenden Tagen und einer sinkenden
Tendenz der Inzidenz die Möglichkeit, hiervon abzuweichen.
Dies gilt, sofern andere relevante Indikatoren, wie zum
Beispiel die Auslastung der Intensivkapazitäten und die
Handlungsfähigkeit des Öffentlichen Gesundheitsdiensts dem
nicht entgegenstehen." |
02.12.2020 |
Vertagung von Entscheidungen |
|
13.12.2020 |
Einführung von Ausgangsbeschränkungen in Landkreisen mit
über Inzidenz 200 |
"Bund und Länder
betonen erneut, dass über die gemeinsamen Maßnahmen hinaus
gemäß der Hotspotstrategie in allen Hotspots ab einer
Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro
Woche sofort ein konsequentes Beschränkungskonzept
regional umgesetzt werden muss. Bei weiter steigendem
Infektionsgeschehen sind zusätzliche Maßnahmen
erforderlich. Bei besonders extremen Infektionslagen mit
einer Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000
Einwohnern pro Woche und diffusem Infektionsgeschehen
sollen die umfassenden allgemeinen Maßnahmen nochmals
erweitert werden, um kurzfristig eine deutliche Absenkung
des Infektionsgeschehens zu erreichen. Insbesondere sollen
in Regionen lokale Maßnahmen nach § 28a Abs. 2 InfSchG
spätestens erwogen werden, darunter auch weitgehende
Ausgangsbeschränkungen, wenn die Inzidenz von über 200
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche
überschritten wird." |
05.01.2021 |
Besondere Eindämmungsmaßnahmen für Landkreise über
Inzidenz 200, um die Zielmarke von 50 zu erreichen |
"In Landkreisen mit
einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro
100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern werden die Länder
weitere lokale Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz
ergreifen, insbesondere zur Einschränkung des
Bewegungsradius auf 15 km um den Wohnort, sofern kein
triftiger Grund vorliegt. Tagestouristische Ausflüge
stellen explizit keinen triftigen Grund dar." |
19.01.2021 |
Inzidenz 50 als Zielmarke für mögliche Lockerungen |
"Wir müssen die
Infektionszahlen jetzt wieder dauerhaft unter eine 7-
Tage-Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner
senken, damit wir ähnlich wie im Sommer des letzten Jahres
bei niedrigem Infektionsniveau wieder Normalität
zurückgewinnen können." |
10.02.2021 |
Inzidenz 35 als
Zielmarke für mögliche Lockerungen |
"Aus heutiger
Perspektive, insbesondere vor dem Hintergrund der
Unsicherheit bezüglich der Verbreitung von Virusmutanten,
kann der nächste Öffnungsschritt bei einer stabilen
7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen pro
100.000 Einwohnerinnen und Einwohner durch die Länder
erfolgen." |
03.03.2021 |
Einführung einer Notbremse bei Inzidenz 100 |
"Steigt die
7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner
an drei aufeinander folgenden Tagen in einem Bundesland
oder einer Region auf über 100, treten ab dem zweiten
darauffolgenden Werktag die Regeln, die bis zum 7. März
gegolten haben, wieder in Kraft (Notbremse)." |
Keiner der in den
Gipfelgesprächen ab 28.10.2020 gefassten Ziele wurde erreicht.
Der "Lockdown light" führte von Verlängerung zu Verlängerung.
Inzwischen wird der 28. März als mögliches Ende in Aussicht
gestellt. Der Gipfel vom 16. November führte geradewegs ins
Fiasko, das im Gipfel am 25. November seinen Höhepunkt fand
(mehr dazu
hier in der zweiten Bilanz). Die Vertagung von
Entscheidungen war da nur eine konsequente Weiterführung dieses
Trauerspiels. Für das Weihnachtsfest wurden Ausnahmen vom
"harten" Lockdown ermöglicht. Weihnachten erlebten viele
Infizierten in den Krankenhäusern entweder gar nicht oder schon
vom Tode gezeichnet, denn in der Weihnachtswoche starben in
Deutschland mehr Menschen als in jeder anderen Woche dieser
Pandemie. Nach Zahlen des RKI (Stand: 5. März 2021) starben in
dieser 52. Kalenderwoche allein 5.724 Menschen. Die höchste Zahl
an Toten in der ersten Welle gab es in der 16. Kalenderwoche 2020
(13.-19. April). Das waren damals 1.597 Menschen, die in der
Osterwoche starben. Dies war nicht einmal ein Drittel der Toten
in der Weihnachtswoche. Demnächst ist wieder Ostern und wieder
scheint nichts wichtiger als der Osterurlaub.
Kurz nach den jeweiligen
Gipfelgesprächen bröckelte immer wieder der Konsens der
Beschlüsse zugunsten von Aufweichungen in einzelnen
Bundesländern. Die Zielmarke einer zu erreichenden Inzidenz von
35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner wurde deutschlandweit
nie erreicht, nicht einmal die Zielmarke 50 konnte erreicht
werden. Das RKI meldete an keinem Tag eine Inzidenz unter 56
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Nur wenige Bundesländer
kamen zeitweise überhaupt unter eine 50er-Inzidenz. Es ist
absehbar, dass bald auch das letzte Bundesland wieder die
50er-Zielmarke überschreiten wird.
Vor diesem Hintergrund ist
es kaum verwunderlich, dass die Inzidenzmarken, bei denen
Öffnungsschritte gewagt bzw. zurückgenommen werden sollen, durch
einen entsprechenden Interpretationsspielraum der Beschlüsse,
wieder zur Verhandlungssache einzelner Bundesländer bzw.
Landkreise werden. In Brandenburg wurde bereits zwei Tage nach
dem Bund-Länder-Beschluss die Notbremse bei Inzidenz 100
ausgehebelt und auf 200 verdoppelt:
Kabinett verständigt sich über Öffnungsschritte: Siebte
SARS-CoV-2 Eindämmungsverordnung soll morgen beschlossen
werden
"Notbremse: Übersteigt die 7-Tage-Inzidenz für
mindestens drei Tage in einem Landkreis oder
einer kreisfreien Stadt den Wert von 200 werden
wieder schärfere Kontaktbeschränkungen und
Maßnahmen festgesetzt."
(Pressemitteilung
des Landes Brandenburg v. 05.03.2021)
|
In der
Eindämmungsverordnung heißt es dann unter § 26, dass ab
Inzidenz 100 besondere Maßnahmen zur Reduzierung der Inzidenzen
getroffen werden sollen, aber erst bei Inzidenz 200 wird die
Schließung von Geschäften des nicht-täglichen Bedarfs und die
Einschränkung von körpernahen Dienstleistungen angeordnet.
In Baden-Württemberg, das
bekanntlich kurz vor der Landtagswahl steht, hat z.B. der
Landkreis Calw die 50er-Marke, die eine uneingeschränkte Öffnung
von Geschäften verhindern sollte, durch eine "bereinigte
Inzidenz" ausgehebelt. In der Pressemitteilung des
Kreisgesundheitsamts heißt es:
Öffnung des Einzelhandels im Landkreis Calw ab 09. März
2021: Neue Corona-Verordnung lässt weitere Lockerungen zu
"Die neue
Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg
sieht einen Stufenplan vor, nach dem die
einschränkenden Regelungen abhängig vom
regionalen Infektionsgeschehen gelockert werden.
Landkreise mit einer stabilen 7-Tages-Inzidenz
von unter 50/100.000 Einwohner dürfen dabei
weitere Öffnungsschritte veranlassen.
Bei der Prüfung der Inzidenz hat das
Gesundheitsamt zu prüfen, inwieweit es sich um
ein diffuses Geschehen oder um klar abgrenzbare
Ausbrüche handelt. Das Gesundheitsamt im
Landratsamt hat daher die Infektionszahlen der
letzten sieben Tage detailliert gesichtet und
unter Berücksichtigung von lokalen Ausbrüchen
bewertet.
Nach Angaben des Gesundheitsamtes ist das
Infektionsgeschehen im Landkreis in maßgeblichen
Teilen eingrenzbar und somit nicht diffus.
Eingrenzbare und nachvollziehbare Fallhäufungen
in größeren Familien, Unternehmen sowie
Einrichtungen werden als Ausbrüche gewertet. Mit
Stand vom 07.03.2021 ergibt sich eine bereinigte
7-Tages-Inzidenz des diffusen
Infektionsgeschehens von 39. Insgesamt lag die
bereinigte Inzidenz seit mehr als fünf Tagen
nacheinander unter dem Wert von 50."
(Pressemitteilung
des Kreisgesundheitsamts v. 08.03.2021)
|
Dieses Prinzip kennen wir
spätestens seit dem großen Schlachthof-Ausbruch im Kreis
Gütersloh. Dafür wird auf die Unterscheidung zwischen "lokal
eingrenzbarem" und "diffusem" Geschehen zurückgegriffen. Die
Feststellung dieser Unterschiede obliegt dem jeweiligen
Kreisgesundheitsamt. Diese Unterscheidung hat eine gewisse
zynische Note, denn zu den lokal eingegrenzbaren Geschehen
zählen auch große Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen, die in
der Vergangenheit meist sehr tödlich verliefen.
In diesem Zusammenhang
wird davon gesprochen, dass kein "Eintrag in die allgemeine
Bevölkerung" erfolgt, wie die politische Sprache dies nennt. Bei
Ausbrüchen in Schlachthöfen, in Ernte- oder Logistikbetrieben
betraf dieser Zynismus mehrheitlich die Bevölkerung mit
Migrationshintergrund. Hier geht es perfider Weise darum, dass
Integration oder soziale Gleichheit als politische Ziele
geradezu zum Makel werden. Diese Kehrseite der Pandemie ist bis
heute nicht ausreichend beleuchtet.
Einen Tag später gibt das
Kreisgesundheitsamt des Landkreises Calw eine weitere
Pressemeldung heraus, in der sich das Amt gegen Kritik an seiner
Praktik wehrt:
Landkreis steht zu Öffnungsschritten. Lückenlose
Fallzahlerfassung ist eine Selbstverständlichkeit
"Die seit
gestern gültige Corona-Verordnung des Landes
Baden-Württemberg sieht einen Stufenplan vor,
nach dem die einschränkenden Regelungen abhängig
vom regionalen Infektionsgeschehen gelockert
werden. Gemäß § 20 Abs. 7 Satz 2 der Verordnung
kann das Gesundheitsamt dabei bei der Bewertung
der Inzidenzwerte die Diffusität des
Infektionsgeschehens angemessen bewerten. Diese
gesetzlich vorgesehene Bewertung hat die
Landkreisverwaltung vorgenommen und auf
Grundlage einer bereinigten 7-Tages-Inzidenz
weitere Lockerungen wie die komplette Öffnung
des Einzelhandels ermöglicht. Dabei wurden nicht
diffuse, klar eingrenz- und nachverfolgbare
Infektionsgeschehen in Einrichtungen oder festen
Kollektiven herausgerechnet.
»Der Vorwurf der Mauschelei hat uns doch
einigermaßen überrascht«, so Landrat Helmut
Riegger. »Wir setzen um, was die neue Verordnung
der Landesregierung vorsieht. Unser
Gesundheitsamt ist jederzeit – wie schon während
der gesamten Pandemie – in der Lage, eine
vollständige Kontaktpersonennachverfolgung zu
gewährleisten. Wir haben in Teilen ein diffuses
Infektionsgeschehen, in maßgeblichen Teilen aber
auch ein abgrenzbares Ausbruchsgeschehen,
welches wir unter Kontrolle haben. Beides können
wir fallscharf voneinander abgrenzen. Sollte das
diffuse Infektionsgeschehen weiter ansteigen,
müssen die Lockerungen selbstverständlich wieder
zurückgenommen werden. Insofern kann ich nur
ausdrücklich zu einem umsichtigen Vorgehen unter
Berücksichtigung der bekannten Hygieneregelungen
aufrufen.«
Die bereinigte Inzidenz wird immer mit der
abendlichen Fallzahlmeldung sowie zeitnah über
das Dashboard veröffentlicht."
(Pressemitteilung
des Kreisgesundheitsamts v. 09.03.2021)
|
Redlich wäre es, wenn das
KGA die Infektionsorte der Fälle in seinen täglichen Meldungen
aufzählen würde. Die Menschen könnten sich dann selbst ein Bild
von der Lage machen. Wer nichts zu verbergen hat, der tut dies
mittlerweile (z.B.
Flensburg). In Baden-Württemberg dagegen herrscht vorwiegend
das Gebot der Verschwiegenheit. Notfalls verschanzt man sich
hinter Datenschutzgründen! Die Glaubwürdigkeit der Politik und
der Institutionen des Gesundheitswesens leidet unter dieser
Intransparenz. Wer zweifelt, der gerät schnell in die Ecke der
Verschwörungstheoretiker. Ein Feindbild, das auch berechtigte
Interessen an Aufklärung schnell in Misskredit bringen kann.
In dem Beitrag
Die flexible Inzidenz: Interpretation statt Fakten?
haben sich auch die SWR-Datenjournalisten Johannes
SCHMID-JOHANNSEN, Ulrich LANG und Nico HEILIGER mit dem hier
beschriebenen Problemkomplex befasst. Sie kritisieren 4 Punkte:
1. Die Länder-Verordnungen lassen viel Raum für träge
Entscheidungen
2. Die Inzidenz wird wegen des Meldeverzugs sehr häufig zu
niedrig angegeben
3. Die Vergleichbarkeit hängt auch davon ab, wie viel in den
Landkreisen getestet wird
4. Kleine Landkreise sind tendenziell benachteiligt
Die Kritik des Beitrags läuft prinzipiell auf das hinaus, was
auch auf dieser Website kritisiert wird - mit einer Ausnahme.
Bei Punkt 4 wird bei der Benachteiligung kleiner Landkreise
ausgerechnet auf den Ausbruch in Pflegeheimen fokussiert. Da
heißt es:
Lockerungsschritte in Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz: Die flexible Inzidenz: Interpretation
statt Fakten?
"Die
Sieben-Tage-Inzidenz setzt die gemeldeten
Infektionsfälle ins Verhältnis zur Bevölkerung.
Grundsätzlich dient das der Vergleichbarkeit. Es
führt aber in einem dynamischen
Infektionsgeschehen bei kleinen Landkreisen zu
hohen und schnellen Schwankungen. Ein Ausbruch
in einem Altenheim kann schnell 20, 30 oder mehr
Fälle nach sich ziehen. Für einen großen
Landkreis hat das kaum Auswirkungen auf die
Sieben-Tage-Inzidenz. Bei einem kleinen
Landkreis dagegen schießt der Wert dadurch
schnell nach oben. Objektiv ist die Gefahr eines
unkontrollierbaren Ausbruchsgeschehens damit im
kleinen Landkreis aber nur nicht unbedingt stark
angestiegen."
(swr.de v. 10.03.2021)
|
Obwohl im Artikel der
Begriff "diffuses Geschehen" kritisiert wird, wird dessen
scheinbarer Gegensatz des lokal eingrenzbaren Geschehens
unreflektiert dargestellt. Ein Ausbruch in einem Pflegeheim mag
"kontrollierbar" sein, aber er gehört gerade zu jenen
Ausbruchsarten, die das Gesundheitssystem besonders stark
gefährden. Wer also nur auf die Nachverfolgbarkeit fokussiert,
der hat das aus den Augen verloren, warum die Nachverfolgbarkeit
überhaupt so wichtig ist, nämlich die Überlastung des
Gesundheitssystems zu verhindern. Belegt wird die
Benachteiligung kleiner Landkreise jedoch nicht, denn dazu wäre
eine repräsentative Betrachtung der Landkreise notwendig, die
jedoch fehlt.
Zusammengefasst lässt sich
sagen, dass die Politik ihre Ziele zur Verhinderung der dritten
Welle nicht erreicht hat. Weder eine deutschlandweite Inzidenz
von 50 und erst Recht nicht von 35 lässt sich noch - ohne
drastische Verschärfungen der Maßnahmen - erreichen. Wir bewegen
uns derzeit auf eine deutschlandweite Inzidenz von 100 zu. Die
Kanzlerin fällt mittlerweile als Mahnerin aus. Die CDU ist zudem durch
die so genannte Maskenaffären in Misskredit geraten. Und nicht
zuletzt spielt die SPD
derweil Opposition als Regierungspartei, was ihre
Glaubwürdigkeit nicht gerade erhöht. Vor diesem Hintergrund wäre
es schon ein Erfolg, wenn die Inzidenzen deutschlandweit in den
Wochen bis Ostern nicht über die 200er-Marke hinausschießt.
Schließlich sind solch hohe 7-Tage-Inzidenzen in den
Nachbarländern keineswegs selten. Es soll deshalb nun ein Blick
ins Ausland geworfen werden, denn die zweite Welle hat gezeigt,
dass Deutschland sich nicht von den Trends im angrenzenden
Ausland ablösen kann, sondern lediglich den allgemeinen Trends
mehr oder weniger zeitverzögert folgt.
Die
Entwicklung der Pandemie im Ausland
Die europäischen
Nachbarländer hatten früher mit der zweiten Welle zu kämpfen als
Deutschland. Die Zahl der gemeldeten Toten steigt erst sehr
spät nach einem Anstieg der Inzidenzen an, weshalb in Deutschland Wochen damit vergeudet wurden, zu
diskutieren, ob wir uns überhaupt in einer zweiten Welle
befinden. Es waren zwei Argumente, die immer wieder in den
Medien zur Verharmlosung herangezogen wurden: die höheren Inzidenzen der zweiten Welle seien nicht mit der ersten Welle zu
vergleichen, weil wir ja nun mehr testen und zudem gibt es nur
wenige Tote trotz hoher Inzidenzen. Diese Argumente drohen nun
in der anstehenden dritten Welle erneut konsequentes Handeln zu
verhindern und zunehmender Sorglosigkeit in der Bevölkerung
Vorschub zu leisten. Zudem wird die Sehnsucht nach Urlaub
und Traumreisen stimuliert. Wiederholt sich also bei der dritten
Welle genau dieses fatale Muster? Oder wird die dritte Welle
tatsächlich anders verlaufen? Um das zu erörtern bedarf es
zuerst eines Blicks ins Ausland. Aus der nachfolgenden Grafik
ist die Entwicklung in verschiedenen Ländern in Europa und in
den USA ersichtlich:
Die Grafik zeigt die
kumulative Entwicklung der Todesfälle in verschiedenen
europäischen Ländern und in den USA an. Man sieht, dass am 1.
April die Entwicklungen bei den Todesfällen - abgesehen von
Italien - noch eng beieinander liegen. Großbritannien fällt
hier aus dem Rahmen, weil aufgrund von zwei großen Revisionen
der Todesfalldefinitionen zuerst ein steiler Anstieg im April (Corona-Tote
in Pflegeheimen werden nun in der Statistik mitgezählt) und dann
ein Rückgang im August (Herausnahme von über 5.000 Toten aus der
Statistik) die Statistik verzerrt (mehr dazu
hier).
Als einziges Land verzeichnet die USA einen mehr oder
weniger linearen Anstieg der Todesfälle. Während die
Entwicklungen in den USA und Großbritannien im Herbstmonat
Oktober parallel verlaufen, verzeichnet Großbritannien ab
November einen immer stärkeren Anstieg der Todesfälle. Dies wird
mit dem Aufkommen der sogenannten "britischen Mutante" des
Corona-Virus ("Wildtyp") mit dem kryptischen Namen B.1.1.7 in
Zusammenhang gebracht. Während sich die anderen Länder noch in
der "zweiten Welle" befinden entwickelt sich in Großbritannien
bereits die dritte Welle. Manche sprechen gar von einer
"Pandemie in der Pandemie".
Der Fall Großbritannien
zeigt, dass die dritte Welle tödlicher verlaufen kann als die
hinter uns liegende zweite Welle. In Großbritannien wurde viel
schneller geimpft als hierzulande, dennoch sind die Todesfälle
in die Höhe geschossen. In Deutschland sind dagegen nicht einmal
alle 80-Jährigen und Älteren geimpft. Stand 11.03.21 sind in
Deutschland erst 45 % der 80-Jährigen und Älteren erstgeimpft
worden. Den vollen Impfschutz haben gar nur 20,6 %. Wenn also
das Impftempo nicht sehr schnell stark erhöht werden kann - und
danach sieht es derzeit nicht aus, dann hat diese dritte Welle
das Potenzial zu einer noch tödlicheren Welle als die
vorangegangene. Aufschlussreich ist auch die nächste Grafik, die
die Entwicklung bei der Zahl der gemeldeten Toten zeigt:
Die Grafik zeigt, dass in
Deutschland zum Höhepunkt der ersten Welle nur 2 Tote pro
100.000 Einwohner gemeldet worden sind. Dieses Niveau wurde erst
wieder Anfang Dezember erreicht, obwohl da die zweite Welle
bereits hohe 7-Tage-Inzidenzen aufwies. In unseren
Nachbarländern Belgien, Niederlande, Österreich, Schweiz oder
Frankreich stieg die Zahl der Todesfälle dagegen schon viel
früher an. Dies wurde jedoch lange nicht als ernstes Warnsignal
verstanden, sondern ignoriert.
Am 16. Januar brachte das
Nachrichtenmagazin Der Spiegel eine Titelgeschichte zur
neuen Pandemie heraus, in der die neuen Virusmutationen aus
Großbritannien, Südafrika und Brasilien thematisiert wurden. Im
Artikel Außer Kontrolle schilderte Jörg SCHINDLER die
Lage in Großbritannien und speziell in London. Im Hauptartikel
Die neue Pandemie wird der "halbherzige Shutdown" als ungeeignet
beschrieben und der "strenge Lockdown" als einziges angemessenes
Mittel gesehen:
Die neue Pandemie
"Im
November, als es zwar einige Einschränkungen
gab, aber die Schulen offen blieben und viele
Menschen wie gewohnt zur Arbeit gingen, gelangte
B.1.1.7 immer weiter in die Bevölkerung.
Erst jetzt, im strengeren Lockdown, deutet sich
seit wenigen Tagen an, dass die Fallzahlen
wieder sinken könnten - allerdings deutlich
langsamer als bei den älteren Varianten."
(aus: Der Spiegel Nr.3 v. 16.01.2021, S.13)
|
Als Mittel werden harte
Maßnahmen beschrieben, die mindestens so lange aufrechterhalten
werden sollen, bis "überall die 7-Tage-Inzidenzen wieder auf 50
pro 100.000 Einwohner sinken". Dies soll den Gesundheitsämtern
die Nachverfolgbarkeit ermöglichen. Fast zwei Monate später
zeigt sich, dass Deutschland dieses Ziel nicht einmal im Ansatz
erreicht hat. Die 50er-Marke rückt statt dessen in immer weitere
Entfernung. Am 12. März liegen gemäß RKI-Zahlen 286 der 412
Kreise über der 50er Marke. 88 Kreise liegen sogar über der
100er-Marke, bei der nach dem letzten Bund-Länder-Beschluss eine
Notbremse erfolgen sollte. Und 8 Kreise liegen jenseits der
200er-Marke. Und das, obwohl die dritte Welle gerade vor kurzem
sichtbar geworden ist. Jeder Tag ohne konsequentes
politisches Handeln ist jetzt ein verlorener Tag im Kampf gegen
die dritte Welle.
Schluss:
Deutschland am Wendepunkt
Seit der 7. Kalenderwoche,
die am 15. Februar begann, war in den ersten Bundesländern in
den RKI-Zahlen ein Anstieg der Neuinfektionen pro Woche
sichtbar. Die 7-Tage-Inzidenzen, die das RKI veröffentlicht,
sind durch Meldeverzug und verspätete Nachmeldungen - wie in den
ersten beiden Bilanzen auf dieser Website gezeigt -
zu niedrig und zeitlich versetzt gegenüber dem tatsächlichen
Geschehen in den Kreisgesundheitsämtern. Dennoch lassen sich
daraus Trends ablesen. Die folgende Grafik zeigt die
Entwicklungen in 12 der 16 Bundesländer seit Anfang Dezember:
Während Sachsen seit Anfang
Dezember den stärksten Rückgang der 7-Tage-Inzidenzen
verzeichnen konnte, kam Thüringen Mitte Februar nur kurz unter
die 100er-Marke. Die anderen Bundesländer liegen dagegen seit
Mitte Februar in einem engen Korridor der 7-Tage-Inzidenzen. Nur
3 der 12 Bundesländer kamen in diesem Zeitraum überhaupt unter
die 50er-Marke: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und
Schleswig-Holstein. Betrachtet man den Zeitraum ab 1. Februar,
dann treten die neuen Trends in Deutschland deutlich hervor. Die
folgende Grafik zeigt die Entwicklung für die 16 Bundesländer:
Es gibt Stand 12. März nur
zwei Bundesländer, deren landesweite Inzidenz unter der
50er-Marke liegen: Schleswig-Holstein und das Saarland.
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die kurz vor der
Landtagswahl stehen, haben zwar lange Zeit die 50er-Marke
unterschreiten können, aber insbesondere Baden-Württembergs
7-Tage-Inzidenzen nähern sich mittlerweile der 70er-Marke.
Rheinland-Pfalz bewegt sich dagegen noch nahe der 50er-Marke.
Einzig das kleine Saarland scheint sich dem Trend nach oben
entziehen zu können, aber das könnte sich als Trugschluss
erweisen. Betrachtet man nämlich die Inzidenzen, die das
saarländische Landesgesundheitsamt täglich veröffentlicht, dann
bewegen sich diese um die 60er-Marke. In Zeiten dynamisch sich
verändernder Zahlen gibt es immer noch das Problem, dass die
Zahlen des RKI dem tatsächlichen Geschehen zu weit hinterher
hinken.
In vielen Bundesländern hat
sich die aggressivere britische Mutante bereits erfolgreich in
ganzen Kreisen bzw. Regierungsbezirken festgesetzt. Die
Oberpfalz in Bayern ist z.B. ein solches Gebiet. Wenn jetzt
Sachsen für das Vogtland, das seit 22. Februar die 200er-Marke
überschritten hat, die Impfpriorisierung aussetzt, dann zeugt
dies auch von der Ohnmacht einer Regierung, deren Bundesland
wieder außer Kontrolle zu geraten droht. Man darf nicht vergessen, dass
sich diese Entwicklung des Anstiegs noch vor den am 3. März
beschlossenen Öffnungsschritten vollzieht. Die Öffnung der
Geschäfte wurde großflächig erst ab dem 8. März vollzogen, aber
bereits die ersten Lockerungen mit Friseurbesuchen und der
Öffnung von Blumenläden und Gartenmärkten sowie die
frühlingshaften Temperaturen haben der britischen Mutante
offenbar viele neue Gelegenheiten eröffnet. Das Virus aber nutzt
jede sich bietende Gelegenheit gnadenlos aus.
Die nächsten Wochen und
Monate, in denen ein großer Impffortschritt besonders dringend
notwendig wäre, entscheiden darüber, ob es eine noch tödlichere
dritte Welle in Deutschland geben wird. Innerhalb kürzester Zeit
könnten wir die wochenlangen Bemühungen um niedrige Inzidenzen
wieder zunichte machen. Deutschland hat es im Herbst versäumt
frühzeitig zu reagieren. Haben wir wirklich nichts aus dieser
Zeit gelernt?
|
|