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Die Single-Kultur in Westdeutschland
Der erste große deutsche
Single-Report erschien 1978 im Spiegel. Hermann SCHREIBER
vergleicht u. a. die Single-Industrie in den USA und Deutschland.
Während sich für
SCHREIBER die USA als Land der unbegrenzten Single-Möglichkeiten
darstellen, fehlte hierzulande eine "Szene", auf der
ausschließlich Singles anzutreffen wären. Er identifiziert
jedoch mit den Swinging Singles ein Milieu, das die neuen
Freiheiten nutzt. Sein Fazit:
Du
bist du, und ich bin ich
"Bei uns haben (...)
solche Veranstaltungen Konjunktur, die von der Intention wie vom
Ambiente her mehr der Lebenshilfe zuzurechnen sind:
Freizeitklubs zum Beispiel oder von Frauenzeitschriften
inszenierte
»Treffpunkte« - alles Einrichtungen, die offenbar davon
ausgehen, daß Alleinlebende nichts weiter als kontaktgestörte
Außenseiter der Paar-Gesellschaft seien."
(Spiegel Nr.25, S.71) |
Hier klingt bereits an,
was immer noch allzu oft die Beschäftigung mit der
Single-Industrie dominiert und Anfang der 1990er Jahre von Heide
SOLTAU auf den Punkt gebracht wurde:
Pfeifen aufs Duett
"Der Single-Markt
expandiert, er ist noch längst nicht ausgereizt. Zielgruppe
der mehr oder minder dubiosen Geschäftemacher sind weniger
Alleinlebende als vielmehr einsame Herzen."
(1993, S.165) |
SOLTAU beschreibt hier die
traditionelle Herangehensweise an die Single-Kultur. "Lonely
Hearts", d.h. unfreiwillige Singles, sind jene Zielgruppe,
der sich die Single-Industrie in erster Linie widmet.
Was zählt zur Single-Industrie?
Eine wissenschaftliche
Definition des Begriffs Single-Industrie kann hier nicht geboten
werden. Da es keine Singleforschung gibt, hat sich noch kein
Wissenschaftler umfassend mit dem Thema Single-Industrie oder
Single-Kultur beschäftigt.
Die
wissenschaftliche Perspektive ist dadurch gekennzeichnet, dass
jeweils Teilaspekte unter einer ganz spezifischen Fragestellung
behandelt werden. Je nach Bindestrich-Wissenschaft stellt sich
die Single-Industrie deshalb anders dar.
Hier soll deshalb
nur ein erster unvollständiger und unsystematischer Versuch
einer Bestandserfassung geleistet werden.
Die Single-Industrie als Konsumindustrie
Der Single kann als
Konsument betrachtet werden. Doris ROSENKRANZ bezeichnet Konsum
als "Verhalten von privaten Endverbrauchern bzw. Haushalten bei
Vorkauf, Kauf und Verbrauch wirtschaftlicher Güter oder
Dienstleistungen" (1998, S.5).
Die Soziologin hat
in ihrer Untersuchung die Konsummuster von Alleinlebenden,
Alleinerziehenden sowie nichtehelichen
Lebensgemeinschaften/Ehepaare mit und ohne Kinder untersucht.
Die Nachfrage
von Alleinlebenden nach Gütern und Dienstleistungen
unterscheidet sich von anderen Lebensformen. Auch die
Kostenstruktur ist je nach Haushaltsgröße verschieden:
Konsummuster privater Lebensformen
"Mit Ausnahme des Bereichs
Wohnen, der Aufwendungen für Energie und der Ausgaben für den
Außer-Haus-Verzehr weisen Alleinlebende insgesamt geringere
Ausgabenanteile auf als Mehrpersonenhaushalte."
(1998, S.55) |
ROSENKRANZ weist vor allem
auf die Defizite der Konsumforschung hinsichtlich der
Alleinlebenden hin:
Konsummuster privater Lebensformen
"In weiten Teilen sind die
bisherigen Forschungsergebnisse zu Konsummustern privater
Lebensformen als defizitär zu bezeichnen. Trotz eines aktuell
wachsenden Interesses werden lebensformspezifische Konsummuster
in einer sinnvollen Differenzierung kaum erfaßt. Im Vordergrund
vieler Studien stehen z.B. »Singles« als weitgehend homogene
Gruppe, was der Realität dieser Lebensform nicht gerecht wird."
(1998) |
ROSENKRANZ kann den Mythos von den jungen, einkommensstarken
Singles zumindest für die 1990er Jahre anhand von empirischen
Studien widerlegen:
Konsummuster privater Lebensformen
"Weidacher kommt nach
Analysen des DJI Familiensurveys zum Ergebnis, daß auch für
jüngere Alleinlebende die generelle These von den
»jungen ledigen einkommensstarken Singles« nicht bestätigt
werden kann (1995, 322). Hradil (1995, 35) konnte zwar zeigen,
daß die 25- bis 55jährigen Alleinlebenden im Hinblick auf die
persönlichen Nettoeinkommen an der Spitze aller Lebensformen in
dieser Altersgruppe stehen. Schließt man jedoch die
Nichterwerbstätigen aus und vergleicht nur die Erwerbstätigen
unter den Singles und Nicht-Singles, zeigt sich für diese
Altersgruppe, daß Nicht-Single Männer mehr verdienen als
Single-Männer und männliche Singles mehr verdienen als
weibliche. Eine Ausnahme bilden hier nur die Frauen: Weidacher
kommt nach Ergebnissen des DJI-Familiensurveys zum Schluß, daß
ledige alleinlebende Frauen zwischen 35 und 55 Jahren
hinsichtlich Einkommen, Berufsposition und Bildungsstatus
»besser dastehen als die ledigen alleinlebenden Männer
dieser Altersgruppen« (1995, 322). Weibliche Singles verdienen
mehr als Nicht-Single-Frauen."
(1998, S.86) |
Aus dem Zitat geht hervor,
dass vor allem männliche Alleinlebende nicht unbedingt zu
den einkommensstarken Gruppen gehören, obwohl sie im mittleren
Lebensalter die größte Gruppe der Alleinlebenden stellen.
Das Medienbild
der Singles stellt dagegen die allein stehende Karrierefrau in
den Vordergrund.
Wohnen und Wohnumfeld
Ein wichtiger Bereich für
den weiblichen Single ist die Wohnung, während das Wohnen für
Männer oftmals nicht den gleichen Stellenwert besitzt.
Frauen wohnen anders. Männer auch
"Im
Mittelpunkt dieses Bildbandes über das Wohnen steht der
Mensch. Der individualistisch und lustvoll wohnende
Mensch. Allein, zu zweit, romantisch, puristisch – wie
wohnen Menschen heute und wie prägend sind die
Unterschiede zwischen Mann und Frau im ganz privaten
Bereich?
In diesem
Buch wird der Versuch unternommen, einen »wohnlichen«
Beitrag zu leisten für gegenseitigen Respekt und die
Akzeptanz der Geschlechter. Denn Frauen gehen mit dem
Thema Wohnen anders um als Männer. Die eigene Wohnung, das
Haus sind Bilder der Seele, hier können wir endlich machen
was wir wollen und wie wir es wollen. Die in unserer Zeit
so veränderten Lebensformen erweitern die Möglichkeiten.
Alleine wohnen heißt heute nicht immer alleine leben."
(aus: Klappentext 2003) |
Es gibt zwar kaum
eine Singlestudie, die sich nicht mit der Wohnsituation der
Alleinlebenden beschäftigt. Dennoch sind die Erkenntnisse
über den Stellenwert des Wohnens eher bruchstückhaft. Dies mag
daran liegen, dass sich die Studien meist nur mit ganz
bestimmten Teilgruppen von Alleinlebenden beschäftigen.
Einzig Martina LÖW
hat sich mit Raum ergreifen (1994) ausschließlich mit dem
Alleinwohnen beschäftigt. Das Manko besteht jedoch darin, dass
sie nur allein wohnende Frauen befragt hat.
Der deutsche Wohnungsmarkt wird von
einer Wohnungspolitik bestimmt, die das familiengerechte
Wohnen in den Mittelpunkt stellt.
Das Alleinwohnen
ist deshalb als Übergangsstadium konzipiert. Seinen Ausdruck
findet dies in der massenhaften Verbreitung des
Ein-Zimmer-Appartements. Mit der Dauerhaftigkeit des
Alleinwohnens verbinden sich dagegen andere Wohnwünsche.
Bei den Motiven der allein wohnenden Frauen
unterscheidet Martina LÖW drei Themen:
Raum ergreifen
"Frauen wollen entgegen
ihrer Sozialisation Raum einnehmen; sie verwehren sich gegen die
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, und sie suchen neue Wege,
um das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz in
Partnerschaften zu leben."
(1994, S.99) |
Die Wohnung wird bei den
allein wohnenden Frauen zu einem "Symbol für Eigenständigkeit
und Emanzipation" und die Gestaltung der Wohnung dient der
Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bzw. muss als Ausdruck
der individuellen Persönlichkeit verstanden werden.
Ronald BACHMANN hat 1992 in seiner Studie über ledige und
geschiedene Alleinlebende sowohl die Wohnbiografien im
Lebensverlauf erfragt als auch vier Formen des Alleinwohnens
unterschieden:
1) Gemeinschaftliches Alleinwohnen.
Hier bekommt die "Wohnung die Funktion eines sozialen
Kommunikationsraumes: ein Treffpunkt mit Freunden und Bekannten,
ein Ort der Geselligkeit und Gemeinschaftlichkeit." (1992, S.148)
2) Zurückgezogenes Alleinwohnen.
Die Wohnung wird vorwiegend für Aktivitäten genutzt, die
"gemeinhin in Mehr-Personen-Haushalten erwartet werden: Kochen,
liebevolles Gestalten der Wohnung, umfängliche Hausarbeit.
(...). Ihre Wohnung symbolisiert für sie einen Freiraum, den sie
nicht missen wollen". (1992, S.150)
3) Defizitäres Alleinwohnen.
Das Alleinwohnen wird als soziale Isolation bzw. als
unfreiwilliges Alleinwohnen erfahren. Die Wohnung erscheint als
Provisorium und der Alleinlebende wohnt im Bewusstsein, des
Übergangs bzw. der Benachteiligung:
Singles
"Singles in einer
defizitären Wohnform verbringen ihre Freizeit weitgehend für
sich allein - und ihrer Überzeugung nach zu allein. Sie verfügen
über wenig Sozialkontakt und fühlen sich dadurch an ihre Wohnung
stärker gebunden, als ihnen manchmal lieb ist. Gefühle der
Langeweile und der Benachteiligung im Bereich
zwischenmenschlicher, insbesondere persönlicher Beziehungen
kommen vor."
(1992, S.151) |
BACHMANN hat diese
Wohnform vor allem unter geschiedenen Männern gefunden. Der
Romanautor Wilhelm GENAZINO hat dagegen anhand des ledigen Angestellten
Abschaffel eine solche defizitäre Wohnweise literarisch
dargestellt
.
Abschaffel
"Er kicherte allein
in seiner Wohnung, und es fiel ihm auf. Er stellte das
Kichern ein und öffnete das Fenster. Er war wieder an dem
Punkt angelangt, wo er ganz deutlich spürte, wie allein er
war.
Wahrscheinlich mußte er bald die Wohnung verlassen an
diesem Morgen, um einer Verhärtung dieser Gefühle zu
entgehen. Es war alles zuwenig, es war alles zu eng, es
war alles zu still. Zum erstenmal seit drei Tagen fiel ihm
ein, daß er nicht arbeitete. Das Wohnen in diesem Zimmer
war vielleicht nur gut für jemanden, der abends müde nach
Hause kam. Ein richtiger voller freier Tag in diesem
Zimmer wurde zu einer Gemeinheit. Abschaffel machte sich
fertig zum Weggehen".
(1977, S.106f.) |
4) Freizeitmobiles Alleinwohnen.
Freizeitmobile Singles haben ihren Lebensschwerpunkt im
Privatleben in erster Linie außerhalb der eigenen Wohnung.
BACHMANN hat diesen freizeitaktiven Lebensstil besonders unter
ledigen Alleinlebenden gefunden. BACHMANN beschreibt noch den
telefonischen Anrufbeantworter als Symbol einer solchen
Wohnweise. Das war noch vor unserem Handyzeitalter.
Was bei den vorgestellten Studien auffällt: die Partner der
Alleinlebenden spielen keinerlei Rolle, selbst wenn
Partnerschaften nicht ausgeschlossen wurden.
Dorothee
SCHMITZ-KÖSTER hat sich in ihrer Befragung zur Liebe auf
Distanz (1990) mit den Spuren der Partner in der
Singlewohnung beschäftigt:
Liebe auf Distanz
"Knapp die Hälfte der
Frauen und Männer gesteht dem Partner in der eigenen Umgebung
nur einen minimalen Raum zu - ein Fach im Schrank oder eine
Ablage im Bad. Manche lassen nicht einmal Kosmetikutensilien
oder ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln in der Wohnung des
anderen."
(1990, S.124) |
Für SCHMITZ-KÖSTER wird
mit der Betonung des eigenen Raums ein neues Paarverständnis
erkennbar.
Die
soziologische Stadtforschung hat sich in den 1980er Jahren
weniger mit dem Typus des defizitär wohnenden Alleinlebenden
beschäftigt, sondern den freizeitmobilen Single/Yuppie
beschrieben, der gerne innenstadtnah wohnt, um die
innerstädtische Infrastruktur zu nutzen. Vor allem die
Stadtforschung um Hartmut HÄUßERMANN hat das Stereotyp des
Yuppies popularisiert
.
Neue Urbanität
"Im Kapitel »Vom Müsli
zum Kaviar oder Die Renaissance der Innenstädte« wird von
den Autoren der Aufwertungsprozess von Altbauquartieren
idealtypisch beschrieben. Alternative (im Sinne von
Pionieren) und Yuppies (im Sinne von Gentrifier) werden
als die Träger der Gentrifizierung angesehen. Die Begriffe
»Alleinlebende«, »Singles« und »Yuppies« werden von den
Autoren nicht definiert. Die Begriffe »Single« und
»Yuppie« werden synonym verwendet, nur zu den älteren
Alleinlebenden wird eine Abgrenzung bei den
Einpersonenhaushalten vorgenommen."
(aus: Kommentierte Bibliographie
- Das Single-Dasein aus der Sicht der
Gentrificationsforschung von single-generation.de, Februar
2002) |
1996 haben Everhard
HOLTMANN & Rainer SCHÄFFER für die Stadt Nürnberg zwar die
Heterogenität der Alleinlebenden hervorgehoben, jedoch dann nur
zwischen jüngeren, einkommensstarken Yuppies und älteren,
finanzschwachen Alleinlebenden unterschieden. Die Wohnwünsche
der ersteren beschreiben sie folgendermaßen:
Wohnen &
Wohnungspolitik in der Großstadt.
"Ihren Vorlieben
entspricht häufig eine geräumige Wohnung in einem alten Viertel
im Kern der Innenstadt oder in Innenstadtnähe, wobei die
zentrale Lage und die Atmosphäre eine besondere Anziehungskraft
ausüben".
(1996, S.181) |
Abschließend lässt sich
feststellen, dass singlegerechtes Wohnen und
familiengerechtes Wohnen oftmals als konkurrierende Wohnformen
beschrieben werden, wobei Singles als Eindringlinge
("Gentrifier") betrachtet werden, die Familien ihren
berechtigten Wohnanspruch streitig machen.
In dieser Sichtweise
drückt sich jedoch eher die mangelnde gesellschaftliche
Akzeptanz des Singlewohnens aus.
Einzig Monika
ALISCH hat frühzeitig auf das Phänomen der Family-Gentrifier
(Beispiel Prenzlauer Berg in Berlin) aufmerksam gemacht. Diese
kaufkraftstarken und nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie
strebenden Familien können gering verdienende Alleinlebende
verdrängen .
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