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Kontaktanzeigen
"Dies
waren nicht die Zeiten, in denen man
häusliche Geborgenheit mit einem
Schulterzucken abtat und überzeugend
behaupten konnte, an dem Ganzen nicht
interessiert zu sein. Susan hatte das
gewußt, und sie war es müde, noch länger
zu versuchen, die harte Frau zu spielen. Und
Nina hatte das verstanden. Der Impuls,
einfach zu heiraten, war stark geworden. Oft
spürte sie ein ähnliches Verlangen, auch
wenn sie damit nur ein wenig Spannung in ihr
Leben bringen wollte."
(Marissa Piesman
"Kontaktanzeigen", 1997)
"Nina
dachte an ihre Schwester, die Arztgattin, die
halbtags als Möbelrestauratorin arbeitete
und ganztags ein Kindermädchen
beschäftigte. Laura war überzeugt, mit
ihrem dritten Kind das Äußerste geleistet
zu haben.
(...)
Ihre Schwester war eine typische Vertreterin
der achtziger Jahre, genauso wie Abbie
Hofmann ein Vertreter der sechziger Jahre und
Steve Rubell einer der siebziger war. Statt
einer politischen Bewegung oder einer
Drogen-Disco hatte Laura eine Modell-Familie
geschaffen, die für die vergangenen zehn
Jahre typisch war.
Nina mußte in einer der kommenden Dekaden
erst noch Fuß fassen. Vielleicht waren die
neunziger Jahre ihr Jahrzehnt. Die
Über-Dekade. Die Ära der übergebildeten,
überanalysierten, übergewichtigen
jüdischen Frau."
(Marissa Piesman
"Kontaktanzeigen", 1997) |
Marissa
PIESMAN ist in den 1980er Jahren als Mitverfasserin
des Yuppie-Handbuchs bekannt geworden
. Mit Nina Fishman, einer
alleinstehenden,
jüdischen Anwältin in New York, hat
PIESMAN eine typische Manhattaner Figur
geschaffen, die in mehreren Kriminalromanen die
Hauptfigur spielte (z.B. "Eine Freundin zuviel" und
"Parkverbot").
Fishman ist Anwältin wie
Ally McBeal und eine Stadtneurotikerin. Sie ist
eine Angehörige der
Single-Generation. In
dem Buch Kontaktanzeigen kommt Ninas
gleichaltrige Schulfreundin, die Mitt-Dreissigerin Susan Gold von längeren
Auslandsaufenthalten nach New York zurück. Susan
Gold ist ledig und allein wohnend wie Nina, aber
ansonsten das genaue Gegenteil von Nina: ein
gut aussehender
swinging Single. Sie arbeitet als
Krankenschwester in einer Psychiatrie und
studiert nebenbei Psychologie. Nach New York ist
sie zurückgekehrt, um den Mann fürs Leben zu
finden. Obwohl sie einen großen Bekanntenkreis
besitzt, annonciert sie auch in diversen
Zeitungen. Nina und
Susan treffen sich mehrmals wöchentlich im
Fitnessstudio, aber eines Tages erscheint Susan
nicht mehr zur Gymnastikstunde und kurz darauf
wird sie ermordet aufgefunden. Nina will den Mord
aufklären und stellt sich der Polizei als
Lockvogel zur Verfügung. Sie gibt
Kontaktanzeigen
auf, weil sie glaubt, dass der Mörder Susan auf
diese Weise kennen gelernt hat.
Der Krimi
vermittelt einen Einblick in die Welt der Yuppies im New York
Ende der 1980er Jahre, die
Orte der Single-Kultur wie
Fitnessstudios oder Single-Bars und die
Situation
der allein stehenden Karrierefrau, die sich mit
einer veränderten Umwelt konfrontiert sieht:
Kontaktanzeigen
"als
alle übrigen in Ninas Bekanntenkreis sich
einfach aus der Jugendzeit in Ehe,
Mutterschaft und befriedigende Berufe
verabschiedeten, war da immer Susan gewesen,
die der Braut, der jungen Mutter oder der
diplomierten Absolventin einen schnellen
Blick zuwarf, den Kopf schüttelte und
behauptete, sie sei für all dies immer noch
zu jung und ruhelos.
Außer in jüngster Zeit, als Susan
beschlossen hatte, es sei nun an der Zeit,
sich selbst zu verheiraten."
(1997) |
Nina
gehört einer Zwischengeneration an, die sich
weder mit den Idealen der
70er-Jahre-Feministinnen, noch mit der Sichtweise
der Post-Feministinnen identifizieren kann. Nina
empfindet ihr Single-Dasein stattdessen als
ambivalent:
Kontaktanzeigen
"Meiner
Theorie nach gibt es zwei Arten von Frauen:
Frauen, die wollen, was die Männer besitzen
- Macht, Kühnheit, Geld; und Frauen, die
wollen, was andere Frauen haben -
Geborgenheit, einen Mann, das Geld eines
Mannes (...). Ich bin eine Mischung aus
beidem. Ich möchte immer das, was die Leute,
die gerade im Zimmer sind, haben."
(1997) |
Ihre
Ambivalenz macht Nina zur genauen Beobachterin
der verschiedenen Lebensstilexperimente von
Frauen aus den unterschiedlichen Generationen.
Als sie sich einer Wandergruppe anschließt, wird
sie z.B. mit der coolen
70er-Jahre
Feministin Karen konfrontiert:
Kontaktanzeigen
"Ich
glaube, daß unsere Generation von Frauen zu
einem großen Teil damit experimentiert,
allein zu überleben. Ohne Ehemänner, Kinder
oder ältliche weibliche Verwandte, die um
uns herumglucken. Nur mit einigen sorgfältig
ausgesuchten Freunden, und die werden auf
Distanz gehalten. Die Vorstellung, daß die
Netze der Unterstützung begrenzt sind, hat
etwas Aufregendes, flößt aber zugleich
Angst ein. Man muß davon überzeugt sein,
die Überlebensfähigkeiten wirklich
entwickelt zu haben. Und bei Bergtouren
beweist man sich das."
(1997) |
Ninas
Mutter Ida und Ninas Schwester Laura verkörpern
dagegen Familienfrauen. Während
Ida die Frauengeneration der klassischen
Kleinfamilie in den 1950er Jahren verkörpert,
repräsentiert Laura die Frau der wohlhabenden
Mittelschichtfamilie der 1980er Jahre. Nina und
Susan sind dagegen Teil der New Yorker
Single-Kultur,
die sich in den 1980er Jahren im Umbruch befindet
. Nina sieht
sich in einen "Kampf der
Geschlechter" verwickelt, aber in
Wirklichkeit ist daraus schon längst ein "Kampf
der Lebensstile" geworden, in dem
unterschiedliche Single-, Paar- und
Familienformen miteinander konkurrieren.
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