Zitate
Krawat-Attac
"Es könnte sich bereits um
die besten Tage des »BürgerKonvents« handeln, den typischen
Beginn einer Bewegung, die mit der allerdings seltenen Melange
von Engagement und Finanzkraft ins Leben gesetzt worden ist, um
- manchmal Monate, manchmal Jahre später - über die Mühen der
Ebene müde geworden zu sein."
(Axel Vornbäumen in der Frankfurter Rundschau
vom 16.05.2003)
Protest im
Nadelstreif
"Es ruckt allenthalben, so
wie es Roman Herzog vor sechs Jahren gefordert hatte.
Mittelständler, Rechtsanwälte, Banker nehmen das in die Hand,
was sie den Politikern nicht mehr zutrauen - die Politik
nämlich. Aufständischenzirkel und Initiativen schießen aus dem
Boden. Das Volk, das sind sie. Der Protest trägt Nadelstreif."
(Ansgar Graw in der Welt vom 22.05.2003)
Konvent der
Rucker
"Patriotismus und
Gschaftlhuberei scheinen schon das ganze Programm des
Bürgerkonvents zu sein. Sein Gerede ist eine Wiederholung lange
bekannter Versatzstücke. Im Grunde gab der ehemalige
Bundespräsident Roman Herzog dem Bürgerkonvent die
Marschrichtung vor, als er seinerzeit meinte, durch Deutschland
müsse »ein Ruck« gehen. Diese Erweckungsrhetorik gehört längst
auch zum Repertoire der SPD, und Gerhard Schröder hat sich seit
seinem Angriff auf die Faulenzer zu einem echten Poeten in der
Frage entwickelt, was »unser Land« ablegen und was es verstärkt
wieder aufgreifen müsse."
(Marcus Hammerschmitt in der Jungle World vom
28.05.2003)
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Die
neuen Bürgerbewegungen und ihr Apologet
Das Sommerloch muss gestopft werden,
d.h. mangels wichtiger Neuigkeiten wird das Liegengebliebene
aufgearbeitet, bevor es überhaupt niemanden mehr interessiert.
Alexander KISSLER darf sich deshalb dem Aufstand der
Anständigen widmen.
Er hat die Meldungen der vergangen Jahre
gesichtet und darin eine Tendenz zu Bürgerbewegungen
ausgemacht. Vielleicht hat er aber auch nur ein paar alte
Welt-Artikel (z.B. Ansgar GRAW am 22.05.2003) gelesen, wodurch die Schieflage der Einschätzung
verständlich wäre.
Die
neuen Appellanten
Aber wie das so ist, satte Bürger
wollen sich nicht bewegen, sondern höchstens bewegen - und zwar
andere!
Und weil der Generationenbegriff
Hochkonjunktur hat, muss es gleich eine ganze »Generation Ruck«
sein, die uns aus unserer Lethargie reißen soll.
Die Ökonomie der Aufmerksamkeit aus
journalistischer Sicht
Zeitungsanzeigen, das sind jene rar
gewordenen Anzeigen, nach denen Neue-Mitte-Zeitungen - aufgrund
ihrer existenziellen Abhängigkeit - dürsten. Deswegen wundert es
kaum, dass Journalisten heutzutage zuerst die Zeitungen
ängstlich nach Anzeigen durchsehen: "Drei Sekunden dauert es, bis dem
Leser eine Anzeige ins Auge springt, die rhetorische Girlanden
um die Begriffe »Aufbruch« und »Stillstand« knüpft." Der Nicht-Journalist würdigt dagegen
solche Anzeigen eher keines Blicks.
Vom
Bedenkenträger zum Anpacker und wieder zurück
- wie’s der Sache gerade dient
"Aus dem Land der Bedenkenträger ist
ein Land der Anpacker geworden. Und das ist auch gut so", macht
KISSLER seine wohlwollende Meinung kenntlich.
Stutzig machen könnte hier nur, dass der
angebliche Mentalitätswandel keiner ist, sondern die
Bedenkenträger können jederzeit Anpacker spielen und umgekehrt
können Anpacker jederzeit wieder zu Bedenkenträgern mutieren.
Typen,
die gibt’s gar nicht!
Diese Personalunion der Anständigen
kann auch durch die schönfärberische Typologie nicht
verdeckt werden, die KISSLER dem Leser auftischt: "Idealtypisch lassen sich die neuen
Bürgerbewegungen unterteilen in Partisanen, Nostalgiker,
Ironiker, Missionare und Apokalyptiker".
Das kleine
1 x 1 der Bürgerbewegten im Ohrensessel
Bei der Zuordnung scheint KISSLER einen
zuviel über den Durst getrunken zu haben. Anders ist es nicht zu
erklären, dass gut bezahlte Hochschulprofessoren nun zu
Partisanen stilisiert werden und Feuilleton-Revoluzzer wie
dem Beamten Arnulf BARING die Rolle des Ironikers
zugeteilt wurde.
Ob Florian (Herr, beschütze uns vor dem
Arbeitsamt!) GERSTERs Arbeit für Alle ein Fall von Ironie
ist, das muss ebenfalls bezweifelt werden. Wenn überhaupt, dann
handelt es sich hier um unfreiwillige Ironie.
Im
Leichenschauhaus der Nostalgie
Die Rolle des Nostalgikers muss
- mangels Neubesetzung - der friedlich entschlafenen Aktion
Deutschland packt’s an zugeschlagen werden.
Der Bundesbeamte Roman HERZOG fühlte sich damals
nicht ausgelastet und Ron SOMMER hat den Sommer nicht als
Sympathieträger überlebt.
Ein nostalgischer Rückblick also auf die
Nostalgie.
Mission impossible
Einzig die Rolle des Missionars
ist mit Meinhard MIEGEL einigermaßen anständig besetzt. Der
Vergleich mit ROBBESPIERE ist dagegen etwas zu hoch gegriffen.
Das revolutionäre Element fehlt bei MIEGEL ganz und gar und die
Tugendrhetorik hat eher den verblassten Charme eines 1950er-Jahre-Moralapostels.
Der Missionar und das Eventmarketing
MIEGELs eigentlicher Coup, die Gründung
des BürgerKonvents zu nutzen, um sein Buch
Die deformierte
Gesellschaft in einem der neuen Ernsthaftigkeit angemessenen
Rahmen zu vermarkten, muss als konsequente Weiterentwicklung
von Traditionen der Popliteratur betrachtet werden.
Die Erlebnisgesellschaft ist also nicht tot,
sondern sie hat nur ihre Gestalt gewandelt.
Die Krise hat nun Eventcharakter bekommen!
Apokalypse ist gut fürs Geschäft
Als letzten Typus beschreibt KISSLER
den Apokalyptiker. Dass dieser Typus mit einem
Unternehmensberater besetzt ist, dessen Projekt mit "Neue Wege"
tituliert wird, muss wohl als Ironie des Schicksals betrachtet
werden.
Neue Wege steht hier wohl für die Krise der
Unternehmensberatungsbranche, die auf der Suche nach einer neuen
Klientel ist. Nachdem die Unternehmen so schlank sind, dass sie
nicht mehr alle Unternehmensberater durchfüttern können und auch
die Kirchen nicht für alle Brot bietet, was läge da näher als
den schlanken Staat zu fordern und dabei kräftig beratend
mitzuhelfen?
Die
Ausweitung der Marktzone
Es ist deshalb auch kein Wunder, dass
KISSLER das Gemeinsame der neuen Bürgerbewegungen als
Marktradikalität beschreibt.
Die Protagonisten wissen entweder gar nicht, was
Markt ist, weil sie Beamte sind, oder/und sie sehen in der
Ausweitung der Marktzone ungeahnte eigene
Verdienstmöglichkeiten.
Sicherheit statt Demokratie
Eine Demokratiebewegung ist diese neue
Bürgerbewegung jedenfalls nicht, denn sie wird getragen vom
Wirtschaftsbürgertum.
Die Überwindung des Staates ist deswegen auch
nicht zu erwarten, denn es geht nur um eine neue
Schwerpunktsetzung: der Sozialstaat soll zugunsten eines
starken Sicherheitsstaates abgebaut werden. Denn Sicherheit ist
das einzige Gut, das der Wirtschaftsbürger nicht vollständig in
Eigenregie herstellen kann.