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Kritik

 
       
   

Alexander Kissler

 
       
   

Generation Ruck
Die neuen Bürgerbewegungen wollen den Staat überwinden
in: Süddeutsche Zeitung vom 12.06.2003

 
       
     
       
   
     
 

Zitate

Krawat-Attac

"Es könnte sich bereits um die besten Tage des »BürgerKonvents« handeln, den typischen Beginn einer Bewegung, die mit der allerdings seltenen Melange von Engagement und Finanzkraft ins Leben gesetzt worden ist, um - manchmal Monate, manchmal Jahre später - über die Mühen der Ebene müde geworden zu sein."
(Axel Vornbäumen in der Frankfurter Rundschau vom 16.05.2003)

Protest im Nadelstreif

"Es ruckt allenthalben, so wie es Roman Herzog vor sechs Jahren gefordert hatte. Mittelständler, Rechtsanwälte, Banker nehmen das in die Hand, was sie den Politikern nicht mehr zutrauen - die Politik nämlich. Aufständischenzirkel und Initiativen schießen aus dem Boden. Das Volk, das sind sie. Der Protest trägt Nadelstreif."
(Ansgar Graw in der Welt vom 22.05.2003)

Konvent der Rucker

"Patriotismus und Gschaftlhuberei scheinen schon das ganze Programm des Bürgerkonvents zu sein. Sein Gerede ist eine Wiederholung lange bekannter Versatzstücke. Im Grunde gab der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog dem Bürgerkonvent die Marschrichtung vor, als er seinerzeit meinte, durch Deutschland müsse »ein Ruck« gehen. Diese Erweckungsrhetorik gehört längst auch zum Repertoire der SPD, und Gerhard Schröder hat sich seit seinem Angriff auf die Faulenzer zu einem echten Poeten in der Frage entwickelt, was »unser Land« ablegen und was es verstärkt wieder aufgreifen müsse."
(Marcus Hammerschmitt in der Jungle World vom 28.05.2003)

Die neuen Bürgerbewegungen und ihr Apologet

Das Sommerloch muss gestopft werden, d.h. mangels wichtiger Neuigkeiten wird das Liegengebliebene aufgearbeitet, bevor es überhaupt niemanden mehr interessiert. Alexander KISSLER darf sich deshalb dem Aufstand der Anständigen widmen.  Er hat die Meldungen der vergangen Jahre gesichtet und darin eine Tendenz zu Bürgerbewegungen ausgemacht. Vielleicht hat er aber auch nur ein paar alte Welt-Artikel (z.B. Ansgar GRAW am 22.05.2003) gelesen, wodurch die Schieflage der Einschätzung verständlich wäre.

Die neuen Appellanten

Aber wie das so ist, satte Bürger wollen sich nicht bewegen, sondern höchstens bewegen - und zwar andere!  Und weil der Generationenbegriff Hochkonjunktur hat, muss es gleich eine ganze »Generation Ruck« sein, die uns aus unserer Lethargie reißen soll.

Die Ökonomie der Aufmerksamkeit aus journalistischer Sicht

Zeitungsanzeigen, das sind jene rar gewordenen Anzeigen, nach denen Neue-Mitte-Zeitungen - aufgrund ihrer existenziellen Abhängigkeit - dürsten. Deswegen wundert es kaum, dass Journalisten heutzutage zuerst die Zeitungen ängstlich nach Anzeigen durchsehen: "Drei Sekunden dauert es, bis dem Leser eine Anzeige ins Auge springt, die rhetorische Girlanden um die Begriffe »Aufbruch« und »Stillstand« knüpft." Der Nicht-Journalist würdigt dagegen solche Anzeigen eher keines Blicks.

Vom Bedenkenträger zum Anpacker und wieder zurück
- wie’s der Sache gerade dient

"Aus dem Land der Bedenkenträger ist ein Land der Anpacker geworden. Und das ist auch gut so", macht KISSLER seine wohlwollende Meinung kenntlich. Stutzig machen könnte hier nur, dass der angebliche Mentalitätswandel keiner ist, sondern die Bedenkenträger können jederzeit Anpacker spielen und umgekehrt können Anpacker jederzeit wieder zu Bedenkenträgern mutieren.

Typen, die gibt’s gar nicht!

Diese Personalunion der Anständigen kann auch durch die schönfärberische Typologie nicht verdeckt werden, die KISSLER dem Leser auftischt: "Idealtypisch lassen sich die neuen Bürgerbewegungen unterteilen in Partisanen, Nostalgiker, Ironiker, Missionare und Apokalyptiker".

Das kleine 1 x 1 der Bürgerbewegten im Ohrensessel

Bei der Zuordnung scheint KISSLER einen zuviel über den Durst getrunken zu haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass gut bezahlte Hochschulprofessoren nun zu Partisanen stilisiert werden und Feuilleton-Revoluzzer wie dem Beamten Arnulf BARING die Rolle des Ironikers zugeteilt wurde. Ob Florian (Herr, beschütze uns vor dem Arbeitsamt!) GERSTERs Arbeit für Alle ein Fall von Ironie ist, das muss ebenfalls bezweifelt werden. Wenn überhaupt, dann handelt es sich hier um unfreiwillige Ironie.

Im Leichenschauhaus der Nostalgie

Die Rolle des Nostalgikers muss - mangels Neubesetzung - der friedlich entschlafenen Aktion Deutschland packt’s an zugeschlagen werden. Der Bundesbeamte Roman HERZOG fühlte sich damals nicht ausgelastet und Ron SOMMER hat den Sommer nicht als Sympathieträger überlebt. Ein nostalgischer Rückblick also auf die Nostalgie.

Mission impossible

Einzig die Rolle des Missionars ist mit Meinhard MIEGEL einigermaßen anständig besetzt. Der Vergleich mit ROBBESPIERE ist dagegen etwas zu hoch gegriffen. Das revolutionäre Element fehlt bei MIEGEL ganz und gar und die Tugendrhetorik hat eher den verblassten Charme eines 1950er-Jahre-Moralapostels.

Der Missionar und das Eventmarketing

MIEGELs eigentlicher Coup, die Gründung des BürgerKonvents zu nutzen, um sein Buch Die deformierte Gesellschaft in einem der neuen Ernsthaftigkeit angemessenen Rahmen zu vermarkten, muss als konsequente Weiterentwicklung von Traditionen der Popliteratur betrachtet werden. Die Erlebnisgesellschaft ist also nicht tot, sondern sie hat nur ihre Gestalt gewandelt. Die Krise hat nun Eventcharakter bekommen!

Apokalypse ist gut fürs Geschäft

Als letzten Typus beschreibt KISSLER den Apokalyptiker. Dass dieser Typus mit einem Unternehmensberater besetzt ist, dessen Projekt mit "Neue Wege" tituliert wird, muss wohl als Ironie des Schicksals betrachtet werden. Neue Wege steht hier wohl für die Krise der Unternehmensberatungsbranche, die auf der Suche nach einer neuen Klientel ist. Nachdem die Unternehmen so schlank sind, dass sie nicht mehr alle Unternehmensberater durchfüttern können und auch die Kirchen nicht für alle Brot bietet, was läge da näher als den schlanken Staat zu fordern und dabei kräftig beratend mitzuhelfen?

Die Ausweitung der Marktzone

Es ist deshalb auch kein Wunder, dass KISSLER das Gemeinsame der neuen Bürgerbewegungen als Marktradikalität beschreibt. Die Protagonisten wissen entweder gar nicht, was Markt ist, weil sie Beamte sind, oder/und sie sehen in der Ausweitung der Marktzone ungeahnte eigene Verdienstmöglichkeiten.

Sicherheit statt Demokratie

Eine Demokratiebewegung ist diese neue Bürgerbewegung jedenfalls nicht, denn sie wird getragen vom Wirtschaftsbürgertum. Die Überwindung des Staates ist deswegen auch nicht zu erwarten, denn es geht nur um eine neue Schwerpunktsetzung: der Sozialstaat soll zugunsten eines starken Sicherheitsstaates abgebaut werden. Denn Sicherheit ist das einzige Gut, das der Wirtschaftsbürger nicht vollständig in Eigenregie herstellen kann.

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dieses Buch sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der Demografiepolitik. In einer funktional-differenzierten Gesellschaft sollten Kinderlose genauso selbstverständlich sein wie Kinderreiche. Warum sollten sich unterschiedliche Lebensformen, mit ihren jeweils spezifischen Potenzialen nicht sinnvoll ergänzen können? Solange jedoch in Singles nur eine Bedrohung und nicht auch eine Chance gesehen wird, leben wir in einer blockierten Gesellschaft, in der wichtige Energien gebunden sind, die bei den anstehenden Herausforderungen fehlen werden."
(2006, S.254)

 
     
 
       
   

weiterführender Link

 
       
     
       
   
 
   

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Stand: 03. Februar 2019