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Singles in Russland

 
       
   

russische Singles und gesellschaftlicher Wandel in den Medien

 
       
   
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Eine Überschrift und was dahinter steckt: "Hält der Trend an, hört in 500 Jahren 'die russische Nation überhaupt auf, zu existieren', warnt Alexander Sinelnikow, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Demographie und Umwelt."

2002

SIPPELL, Dorothee (2002): Steiler Fall.
Demografen prophezeien den Russen eine düstere Zukunft: Binnen 50 Jahren könnte die Bevölkerung um ein Drittel schrumpfen,
in: Profil Nr.24 v. 10.06.

IWANOWSKI, Andrej (2002): Aussterbende Spezies.
Das wichtigste Ergebnis der ersten russischen Volkszählung in der postsozialistischen Ära steht schon im Vorhinein fest: Alkohol und Fehlernährung reduzieren die Bevölkerung dramatisch. Mitte des Jahrhunderts könnte die Zahl der Russen von 140 auf 80 Millionen geschrumpft sein.
in: Profil Nr.41 v. 07.10.

Nicht nur interne Probleme beschleunigen den Bevölkerungsrückgang, sondern Russinnen gelten bei emanzipationsgeschädigten Besserverdienenden zunehmend als Alternative zu finanziell unabhängigen und wählerischen Erfolgsfrauen à la Ally McBeal oder Sex and the City.

Bei Thomas KIRSCHNER ("Liebe ohne Grenzen") , der mit den Thesen von Michel HOUELLEBECQ sympathisiert, liest sich das so:

"Die Frauen aus den früheren GUS-Staaten sind sehr feminin und sehen auch keinen Makel darin, ihre Fraulichkeit zu betonen. Sie sind sehr familienorientiert. Sie besitzen lebenslange Erfahrung darin, mit ökonomischen Härten und Instabilität umzugehen und dabei Stil und Anmut zu bewahren. Sie schätzen Loyalität und Sicherheit. Sie sind sehr bindungswillig und bereit, ihren Mann zu unterstützten, ohne ständig mit ihm zu wetteifern oder auf ihre Gleichberechtigung zu pochen."

Die "russische Seele" und die Vorstellungen über das Äußere einer Russin sind wohl spätestens seit H. G. KONSALIK zum deutschen Allgemeingut geworden.

VOSWINKEL, Johannes (2002): Iwan im Underground.
Samstagabend in Moskau: Lena stolziert in den "Salon", Mascha steigt in den Theaterkeller, Borja lädt zur Dauerparty in seine Wohnung - Russlands Jugend, groß geworden in der wilden Jelzin-Zeit, ist ohne Orientierung und auf der Suche nach dem Glück,
in: Die ZEIT Nr.44 v. 24.10.

POPOV, Dmitri (2002): Traumfrauen.
Frauenalltag,
in: Freitag Nr.47 v. 15.11.

HILLE, Stephan (2002): Ausverkauf der Gefühle.
Sie betonen ihre Weiblichkeit, suchen gezielt nach reichen Ausländern und sagen auch mal "Nein". Viele Russinnen kommen gut mit der neuen sexuellen Freizügigkeit zurecht. Nur ihre männlichen Genossen haben damit Probleme,
in: Frankfurter Rundschau v. 23.11.

2003

HEINRICH, Nazira (2003): Ala Katschu - die alte Tradition.
Ohne Einwilligung. Seit der Unabhängigkeit Kirgisistans wird Frauenraub zunehmend zum Mittel billiger Brautbeschaffung,
in: Freitag Nr.37 v. 05.09.

2004

VOSWINKEL, Johannes (2004): An der Wiege der russischen Revolution.
Wir werden weniger:
Iwanowo kann den Niedergang nicht stoppen. Einst wurden hier die Uniformen der Roten Armee genäht. Heute sind in der leeren Stadt vor allem Bierbrauer gut im Geschäft,
in: Die ZEIT Nr.49 v. 25.11.

2005

HOLM, Kerstin (2005): Sibirien wird noch leerer.
Aus russischen Zeitschriften: Furcht vor Bevölkerungsabnahme,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.03.

Kerstin HOLM schreibt in ihrer Zeitschriftenrundschau über den "schrumpfenden Organismus des russischen Volkes".

2006

HOLM, Kerstin (2006): Gelbe Gefahr.
Das schrumpfende russische Volk findet keine Arbeit,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.04.

HOLM berichtet ausgiebig über einen Artikel des russischen Politikwissenschaftlers Michail MARTYNOW, der das Problem der "überschüssigen" Bevölkerung mit dem Niedergang der russischen Geburtenrate in Verbindung bringt. Dazu nimmt er einen Umweg über die Antike:

"Auch die Römer kämpften gegen Bevölkerungsschwund. Martynow erinnert daran, daß in der Kaiserzeit öffentliche Ämter bevorzugt an Kinderreiche vergeben, daß Verwitwete zur Neuheirat verpflichtet wurden und daß Kinderlose nicht erben durften. Den demographischen Trend dadurch umzukehren gelang indessen nicht. Der Russe zitiert Malthus mit dem Ausspruch, wenn die Römer bloß die Zahl ihrer Sklaven halbiert und die Bürger genötigt hätten, ihre Liegenschaften selbst zu bearbeiten, hätte sich die Bevölkerungszahl ohne alle Sondergesetze rasch erholt."

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Feuilleton-Thema: Zu viele Menschen, zu wenige oder die falschen: Die Welt im demographischen Umbruch

ZEKRI, Sonja (2006): Russland.
Die Welt im demographischen Umbruch: Die Männer-Katastrophe,
in: Süddeutsche Zeitung v. 04.05.

DONATH, Klaus-Helge (2006): Russland soll gebären und marschieren.
In seiner Rede zur Lage der Nation konzentriert sich Russlands Präsident Putin auf Demografie und Verteidigung,
in: TAZ v. 11.05.

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG-Dossier: Das betrifft uns alle - Die Bevölkerung von China, Russland und Indien altert dramatisch

EBERSTADT, Nicholas (2006): Rußland.
Der Tod ist den Jungen so nahe wie anderswo den Alten,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.05.

taz-Serie: Elternzeiten anderswo (Teil 2)

EFIMOVA, Svetlana (2006): Glück, Schmiergeld - oder ab zur Oma.
In Russland bleiben Krabbelkinder den Müttern überlassen,
in: TAZ v. 16.06.

ANTONOW, Boris (2006): Endstation Einsamkeit.
Russische Frauen an der Singlebörse,
in: Magazin der Berliner Zeitung v. 18.11.

Der freie Journalist Boris ANTONOW berichtet über seine Erfahrungen mit einer russischen Singlebörse: "Tanja ist nicht die Erste, die ich in den letzten zwei Jahren bei Missingheart.ru kennengelernt habe. Vielleicht ist sie die Dreihundertste. Oder die Siebenhundertste, was bei dieser Größenordnung schon dasselbe ist. Da fällt eine gewisse Wiederholung der Charaktere auf.
             Die meisten Frauen habe ich nie gesehen, höchstens auf dem Foto. Ich habe mit ihnen gechattet oder Mails gewechselt, mit einigen telefoniert. Zwei Dutzend habe ich leibhaftig getroffen - zum ersten und zum letzten Mal. Mit vieren entwickelte sich eine romantische, vielversprechende Beziehung, beinahe Liebe, die freilich schon nach ein paar Wochen sang- und klanglos im Sand verlief. Eine ähnliche Erfahrung machen wohl fast alle, die einen Partner im Netz suchen.
             Ich selbst schrieb nur wenige Frauen an - meistens wurde ich angeschrieben. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es so viele einsame Frauen gibt. Noch weniger konnte ich mir vorstellen, wie stark sie sich nach einem Mann sehnen, sind sie doch nach außen hin männermäßig gleichgültig oder unnahbar, eine Schutzreaktion, die bei den Frauen sehr stark entwickelt ist, wie ich später erfuhr."

2007

PRIGOW, Dmitrij (2007): Der Markt, die Sowjets und die Kirche.
Megacitys - die Städte der Zukunft (V): Moskau - Wie drei Utopien nebeneinander herwuchern,
in: Süddeutsche Zeitung v. 06.02.

HOLM, Kerstin (2007): Wie angle ich mir einen Millionär?
Erkundungen der russischen Seele: Moskowiter Frauen suchen Rat bei einem Guru der Männermanipulation und üben sich fleißig in femininer Gratwanderung,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.02.

REITSCHUSTER, Boris (2007): Die Schule der Luder.
Anhimmeln, anbaggern, anschmiegen: wie die Elevinnen der Moskauer Anmach-Akademie lernen, Männern zu gefallen,
in: Focus Nr.23 v. 04.06.

HOLM, Kerstin (2007): Russland.
Gebär einen Patrioten,
in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 13.08.

BRÖSSLER, Daniel (2007): "Die Russen sterben aus".
Russlands Bevölkerungszahl nimmt in einem Tempo ab, das auf der Welt seinesgleichen sucht. Kreml und Kirche beschwören die Liebe, doch der Nachwuchs bleibt aus - während die ältere Generation rapide stirbt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 18.10.

2008

LINDNER, Rainer (2008): Russlands defekte Demographie. Zukunftsrisiken als Kooperationschance, SWP-Studie v. 11.03.2008

LINDNER, Rainer (2008): Dramatischer Schwund.
PARLAMENT-Thema Russland: Hohe Sterblichkeit macht der Wirtschaft Sorgen,
in: Das Parlament Nr.35-36 v. 25.08.

2010

RODINA, Elena (2010): Russenbräute.
In der russischen Stadt Welikij Nowgorod gibt es fast ein Drittel mehr Frauen als Männer. Für diese Geschichte nutzten verzweifelte Singlefrauen die Chance, ein Phantombild ihres Traummanns zu erstellen,
in: Neon,
April

KAPUSTINA, Olga (2010): Liebesgrüße aus Moskau.
Subtiles: In Russland gibt es mehr Frauen als Männer - und eine solvente männliche Oberschicht. Wie binden emanzipierte Frauen russische Machos an sich? Durch Anpassung, sagt Wladimir Rakowski. Ein Besuch in seiner Luderschule,
in: TAZ v. 18.09.

2012

PLESCHINSKI, Hans (2012): Konfekt aus der Tundra.
Lesereise durch Sibirien,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 13.08.

"Die jungen Russinnen sind elegant, gross gewachsen, umkurven die Krater in den Gehsteigen wie Ballerinen die Bühnenkulissen. Die jungen Sibirierinnen wagen viel: Paillettenstiefel, in denen sie über den Schnee gleiten und heller lachen als ihre Begleiter, die beim Ausgehen alle Rechnungen begleichen müssen. Männermangel herrscht in Sibirien. «Sie sterben nicht durch Wodka», wurde mir versichert, «sondern durch die Begleiterscheinungen, nämlich Unfälle.»", berichtet Hans PLESCHINSKI aus Sibirien.

2015

PROKLA-Schwerpunkt: Biokapitalismus
 

SIEGL, Veronika (2015): Märkte der guten Hoffnung.
Leihmutterschaft, Arbeit und körperliche Kommodifizierung in Russland,
in:
Prokla Nr.178, März

"Haben vor einem halben Jahr vermutlich nur wenige Leute im deutschsprachigen Raum über Leihmutterschaft Bescheid gewusst, so änderte sich dies, als eine thailändische Leihmutter beschloss, sich an die Medien zu wenden. (...). Der Fall »Baby Gammy« löste weltweit Diskussionen über Lehimutterschaft aus" (2015, S.99),

beschreibt Veronika SIEGL die aktuelle Mediendebatte um Leihmutterschaft, um dann die Defizite hervorzuheben, die sie mit ihrem Artikel in den Blick rücken möchte:

"Auffallend ist, dass viele dieser Darstellungen einseitig und polarisierend sind. Oft fehlt die Perspektive der Frauen, die nur als schwächste Glieder globaler und lokaler Reproduktionsketten skizziert werden. Der vorliegende Artikel lenkt den Blick auf eben diese Lücke, fragt nach den Erfahrungen von Leihmüttern und kontextualisiert sie im Rahmen russischer und globaler Reproduktionsindustrien." (2015, S.99)

SIEGL geht der Frage nach, ob die altruistische Rhetorik in Sachen Leihmutterschaft nicht versucht beunruhigende Aspekte deren Kommerzialisierung zu verdecken. Das Spannungsverhältnis zwischen "Geschenk" und "Ware" wird dabei anhand russischer Reproduktionsindustrien betrachtet.

2016

HARTWICH, Inna (2016): Putin und die Pflicht zur traditionellen Familie.
Warum gilt eine Frau in Russland immer noch als Schuldige, wenn der Mann sie vergewaltigt? Warum steht häusliche Gewalt nicht unter Strafe? - Über die historischen Gründe der Frauendiskriminierung,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 08.01.

"Bis heute hat es der Begriff «Feminismus» nicht leicht in Russland, bis heute ist er mit «westlicher Pest» konnotiert, die Russland nicht eigen sei, auch wenn das Land durchaus über Frauenrechte diskutiert, nur wenig auf politischer Ebene. In Putins Russland herrscht die «Pflicht zur traditionellen russischen Familie», die auf heterosexueller Ehe basiert und mindestens zwei Kinder hat, wie es im Strategiepapier zur Demografiepolitik bis 2025 steht", berichtet Inna HARTWICH.

STEINER, Eduard (2016): Russlands teure Alte.
Demografische Entwicklung führt zu stark steigenden Kosten für Renten. Ohne Reformen droht eine drastische Staatsverschuldung,
in: Welt v. 15.07.

Es ist mehr als erstaunlich mit welch dürftigen Fakten uns Eduard STEINER zu den angeblichen demografischen Problemen in Russland abspeist:

"Denn die kinderreiche Generation aus der Nachkriegszeit geht in Rente, während die Zahl der Berufseinsteiger, die in den 90er-Jahren geboren worden sind, deutlich geringer ausfällt. Damit werde eine Spirale nach unten in Gang gesetzt, so die Ratingagentur. Wenn Russland keine Reformen durchführe und das extrem niedrige Pensionsantrittsalter nicht erhöht werde, bleibe seine Bonität weiter im spekulativen Bereich."

Weiß STEINER überhaupt, über was er da schreibt? Weder nennt er das Pensionsalter, außer dass es zu niedrig ist, noch nennt er irgendwelche Zahlen zur demografischen Situation. Wir erfahren am Schluss nur, dass das System der kpitalgedeckten Altersvorsorge gekippt worden sei - was aus neoliberaler Sicht natürlich ein Affront ist. Und uns wird folgende Prognose zu Ausgaben für Alte in Prozent des BIP genannt:

"Die zunehmende Alterung der Bevölkerung werde den Staat zur Mitte des Jahrhunderts 19 statt bisher 13 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten. Schlimmer noch: Die Belastung steige deutlich schneller als in den anderen 58 analysierten Staaten."

Kein Wunder also, dass die Glaubwürdigkeit der deutsche Russlandberichterstattung angesichts solch dürftiger Informationen gelitten hat.

TRIEBE, Benjamin (2016): Kreml-Geschenk an Pensionäre.
Die Notlösung verrät viel über die Schieflage in Russland,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.08.

Benjamin TRIEBE erzählt uns, dass die russische Regierung die gleichen Spielchen mit den Rentnern in Sachen Rentenerhöhungen praktizieren wie hierzulande. Eine saftige Einmalzahlung soll darüber hinwegtäuschen, dass die Rentner letztlich die Verlierer in diesem Spiel sind.

"43 Millionen von 143 Millionen Russen beziehen eine Altersrente",

erklärt uns TRIEBE. Die durchschnittliche Rente beträgt jedoch umgerechnet nur ca. 180 Euro. Obwohl die Rentner wahrlich nicht in Saus und Braus leben, mokiert sich TRIEBE darüber, dass die russische Regierung keine neoliberale Politik betreibe, als ob das das einzige Problem der Russen wäre.

2017

NIENHUYSEN, Frank (2017): Wermutstropfen.
Die Russen werden immer älter, doch die Männer sterben weiterhin deutlich früher als die Frauen. Das hat auch mit Wodka zu tun. Der Landwirtschaftsminister rät nun: Mehr Wein trinken,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 11.07.

"Noch nie ist die Lebenserwartung für Russinnen und Russen so hoch gewesen, vor allem in Moskau und den weitgehend abstinenten muslimischen Kaukasusrepubliken. Wer im vergangenen Jahr geboren wurde, kann mit einer Lebensspanne von gut 77 Jahren rechnen - wenn es denn ein Mädchen ist. Russische Jungs werden 66,5 Jahre vorhergesagt. Macht für beide Geschlechter 71,87 Jahre. (...). In Albanien liegt der Wert schon bei 78 (...).
In einigen fernöstlichen Gebieten werden Männer trotz des Anstiegs statistisch nicht einmal 60 Jahre alt",

berichtet Frank NIENHUYSEN über die Lebenserwartung in Russland, die in den 1990er Jahren am niedrigsten war (gemessen ab 1960). Rauchen und Trinken, also ein ungesunder Lebensstil, und die schlechte medizinische Versorgung wird dafür verantwortlich gemacht. Beim übermäßigen Trinken wurde Russland inzwischen jedoch vom EU-Land Litauen überholt.

LOKSHIN, Pavel (2017): Dieses Problem hat Putin unterschätzt.
Russlands Präsident war stolz auf das rasante Wachstum seiner Bevölkerung. Doch jetzt schrumpft sie. Anreize für Familien werden nicht ausreichen, um den Trend umzukehren,
in: Welt
v. 18.12.

Die Russen sterben aus, titelten Mitte der Nuller Jahre die Mainstreammedien. Nun ist es angeblich wieder so weit, nur weil die Geburtenzahl in einem einzigen Jahr gesunken ist:

"Im vergangenen Jahr übertraf die Lebenserwartung der Russen mit 72 Jahren endlich den mageren Weltdurchschnitt. Auch die Geburtenrate legte zu, offenbar dank Putins 2007 eingeführtem Programm zur Geburtenförderung. So gab es von 2013 bis 2016 erstmalig mehr Geburten als Todesfälle. Putins vor fünf Jahren verkündeter Plan, dass Russlands Bevölkerung bis 2050 auf 154 Millionen Einwohner wachsen solle, schien zu funktionieren.
Doch dann veröffentlichte Russlands Statistikagentur die vorläufigen Bevölkerungszahlen für 2017. Der Sterbeüberschuss lag plötzlich bei 115.000 und machte die Geburtenüberschüsse der Vorjahre auf einen Schlag zunichte. 1,42 Millionen Kinder wurden in diesem Jahr geboren, ihnen standen 1,53 Millionen Sterbefälle gegenüber",

verkündet uns Pavel LOKSHIN, der den angeblich renommiertesten russischen Bevölkerungsexperten Anatoli WISCHNEWSKI zitiert.

Gemäß Datenbank der OECD lag die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) in Russland von 1997 - 2001 bei 1,2 Kindern pro Frau. Danach stieg sie bis 2012 auf 1,7 Kinder pro Frau. In den Jahren 2014 und 2015 lag sie bei 1,8 Kindern pro Frau. Zahlen für 2016 und 2017 liegen bei der OECD noch nicht vor.

"Heute kann Russland selbst die vergleichsweise hohe Fertilitätsrate von durchschnittlich 1,7 Kindern pro Frau nicht mehr helfen, sagt Wischnewski. Bis 2024 wird die Zahl der Russinnen zwischen 18 und 35 Jahren um fast vier Millionen abnehmen. Unter diesen Umständen kann Russlands 144-Millionen-Bevölkerung nicht wachsen, ist der Forscher überzeugt",

schreibt LOKSHIN. Bekanntlich galt Deutschland Mitte der Nuller Jahre ebenfalls als aussterbendes Land. Ungeborene bekommen keine Kinder verkündeten Landauf Landab die Mainstreammedien. Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes vom März 2017 zeigt jedoch, dass der Rückgang der potenziellen Mütter 2025 so gering ausfällt, dass bereits ein minimaler Anstieg der Kohortenfertilität auf 1,6 Kinder pro Frau den Rückgang überkompensieren kann. Deutschland steht in den nächsten Jahren sogar vor dem Problem, dass es für den Geburtenanstieg nicht gerüstet ist. Weder die Kinderbetreuungseinrichtungen noch die Grundschulen sind in der Lage den bereits eingetretenen Geburtenanstieg angemessen zu bewältigen.

Fazit: Unsere aufs Aussterben fixierten Mainstreammedien sorgen dafür, dass die Geburtenentwicklung in Deutschland und in anderen Ländern unter falschen Vorzeichen betrachtet werden. Inwiefern Russland schrumpfen wird, lässt sich aus den präsentierten Zahlen gar nicht erkennen.

2018

TRIEBE, Benjamin (2018): Russland fehlen die Russen.
Die Zahl der Bevölkerung nimmt ab - und damit fehlen in den nächsten Jahren Millionen von Arbeitskräften,
in: Neue Zürcher Zeitung
v. 10.01.

Benjamin TRIEBE behauptet, dass Russlands Bevölkerung schrumpft (die Welt berichtete dagegen Mitte Dezember, dass es in den Jahren 2013-2016 einen Geburtenüberschuss gab; Die OECD weist Bevölkerungszahlen nur bis 2013 aus) , nennt jedoch keine Zahlen dazu, sondern nur Prognosen, die bekanntlich kaum das Papier wert sind auf denen diese stehen.

TRIEBE geht es auch nicht um die Bevölkerungsschrumpfung, sondern  nur um den Rückgang der arbeitsfähigen Bevölkerung, die je nach Interessenlage gravierend auseinanderklafft:

"Die arbeitsfähige Bevölkerung wird laut Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin in den kommenden sechs Jahren um je 800.000 Personen sinken. Die Bank VTB schätzt den Rückgang in den nächsten acht Jahren nur auf je bis zu 500.000 Arbeitskräfte"

TRIEBE spricht von einer "demografischen Katastrophe" angesichts der Lage Russlands nach dem Zerfall der Sowjetunion in den 1990er Jahren:

"Die Sterblichkeit stieg, aber die Geburtenquote sank von 2,2 Kindern pro Frau im Jahr 1987 auf einen Tiefpunkt von weniger als 1,2 im Jahr 1999. Seither hat sich die Geburtenquote langsam erholt und beträgt immerhin wieder 1,7. Aber die demografische Delle lässt sich nicht mehr beheben. Der Anteil der 15- bis 30-Jährigen an der Gesamtbevölkerung ist von 24% im Jahr 2002 auf knapp 20% im Jahr 2015 gesunken."

Nach OECD-Angaben lag die Geburtenrate in den Jahren 2014 und 2015 bei 1,8 Kindern pro Frau. TRIEBE behauptet, dass es nur drei Reaktionsmöglichkeiten gebe: Steigerung der Produktivität, länger arbeiten oder Zuwanderung. Wie es für stramme Neoliberale gehört, wird letztlich nur in der längeren Lebensarbeitszeit ein Ausweg gesehen:

"Unter Experten ist unbestritten, dass Russland seine Arbeitskräfte zu früh in Pension schickt. Das Renteneintrittsalter beträgt 55 Jahre für Frauen und 60 Jahre für Männer. Es gehört zu den niedrigsten auf der Welt und wurde 1932 unter Stalin festgesetzt. (...). Der Anteil der Russen oberhalb der gegenwärtigen Altersgrenzen wächst gemäss dem Statistikamt bis 2035 auf knapp 43 Mio. oder von 25% auf 29% der Gesamtbevölkerung. (...). Die Schieflage wird dadurch verschärft, dass Frauen besonders früh in Pension geschickt werden, aber besonders lange leben: Ihre Lebenserwartung beträgt 77 Jahre, jene der Männer aber erschreckend tiefe 67 Jahre."

TRIEBE versteckt sich hinter nicht genannte Experten, was unseriöser Journalismus ist.

STEINER, Christian (2018): Die Russen sollen länger arbeiten.
Um die Staatskassen zu schonen, verfügt die Regierung eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 19.06.

"Ökonomisch leuchtet die Erhöhung des Rentenalters ein. Arbeiteten 1970 noch 3,7 Menschen »für« einen Pensionierten, sind es heute nur noch 2. Bis ins Jahr 2044 würde sich das Verhältnis gar auf 1zu 1 reduzieren",

meint Christian STEINER. Das leuchtet jedoch nur Neoliberalen ein, denn bei dieser Sicht bleiben die entscheidenden nicht-demografischen Aspekte ausgeblendet: die Entwicklung der Produktivität!

"In den vergangenen Jahren wurde mit Mitteln aus der privaten Vorsorge die staatliche Rentenkasse alimentiert",

behauptet STEINER, ohne dass dies auch belegt wird wie das für seriösen Journalismus selbstverständlich wäre.

Geködert werden sollen Rentner durch eine in Aussicht gestellte Erhöhung er mickrigen Renten:

"In vielen Fällen reicht das Geld nicht aus, um den Lebensunterhalt nach der Pensionierung weiter zu bestreiten. Viele Arbeitnehmer müssen daher auch im vermeintlichen Ruhestand weiter anpacken. Für sie sind Vergünstigen wie beispielsweise das kostenlose Benutzen des öffentlichen Nahverkehrs wichtiger",

erklärt uns STEINER. Bei HERRMANN werden dagegen Zahlen zur Erhöhung genannt:

"(S)tatt 400 bis 500 Rubel Erhöhung in den Vorjahren würde bereits 2019 eine Aufbesserung von monatlich 1.000 Rubeln (rund 14 Euro) möglich. Das wären dann im Jahr immerhin schon 12.000 Rubel mehr".

STEINER interessiert dagegen nur die Gegenfinanzierung der

"grosszügere(n) Rente mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte auf 20 %".

Während in der EU ein Inflationsziel von 2 Prozent angestrebt wird, wird von STEINER die russische Inflation vom Mai von 2,4 % als "Tief wie noch nie seit Ende der Sowjetunion" bezeichnet. Die russische Regierung strebt 4 % Inflation an, was die Rentenerhöhung relativiert, da sie durch Kaufkraftverluste sozusagen wieder vernichtet werden würde.  

HERRMANN, Klaus Joachim (2018): Streit um Russlands Renten.
Gesetzentwurf im Parlament und der Kreml hält sich raus. Erste Proteste gegen Anhebung des Eintrittsalters,
in: Neues Deutschland v. 19.06.

"Wladimir Putin (...) wurde von Journalisten an seine Versicherung aus dem Jahre 2005 erinnert, dass es keine Anhebung des Rentenalters im Lande geben werde, solange er Präsident sei",

hebt Klaus Joachim HERRMANN hervor, der in erster Linie über den Widerstand gegen die unpopuläre Reform berichtet. Die Begründungen liefert auch in Russland der weltweit verbreitete Neoliberalismus mit seiner Demografisierung gesellschaftlicher Probleme.

"1928 sei das Pensionsalter bei einer Lebenserwartung von nur 43 Jahren festgelegt worden. Jetzt erreichten die Bürger Russlands 73 Jahre und die Aussichten auf weitere Zuwächse seien gut.",

erklärt HERRMANN. In der NZZ heißt es heute dagegen:

"Die lange vorbereitete Reform soll der erhöhten Lebenserwartung der Bevölkerung Rechnung tragen, denn das Rentenalter wurde letztmals in den 1960er Jahren angepasst. Damals betrug die Lebenserwartung eines Russen um die 40 Jahre. Heute liegt sie bei 67, und sie soll bis 2030 auf 73 Jahre steigen."

Die OECD-Datenbank nennt für Russland eine durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt für beide Geschlechter von 71,3 Jahre (Stand 2015).

Interessant ist ein Aspekt, der aussagekräftiger ist: Während die Lebenserartung bei Geburt für Männer nur 65,9 Jahre beträgt, sind des bei der ferneren Lebenserwartung der 65-jährigen Männer dagegen 78,3 Jahre. Das heißt: Wer die ersten 65 Jahre als Mann überlebt, dessen Chancen stehen gut, weitere 13,3 Jahre zu erleben. Im Umkehrschluss heißt dies aber auch, dass viele Männer bereits früher sterben. Während in Russland die Differenz zwischen den beiden Lebenserwartungen bei über 12 Jahren liegt, sind es in Deutschland gerade einmal 8 Jahre. In keinem der beiden Artikel spielt dieser Aspekt eine Rolle. HERRMANN betont dagegen die regionalen und geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Lebenserwartung:

"Zehn Regionen lagen über 75, 20 aber unter 70 Jahren. 2014 hatten nach Angaben des Gesundheitsministeriums Frauen erstmals die Grenze von 77 Jahren überschritten, während Männer gerade einmal 65,6 Jahre erreichten."

Außerdem finden sich Vergleiche zu den ehemaligen Sowjetrepubliken und den dortigen Renteneintrittsaltern, die der russischen Zeitung Rossiskaja Gaseta entnommen wurden:

"So gingen in Moldavia und Aserbaidschan Männer erst mit 68 Jahren in Rente, für 2025 bis 2027 sei dies in den baltischen Staaten vorgesehen. In Armenien erhielten Frauen mit 63 Jahren Rente, Kasachstan folge diesem Beispiel.

Erst ganz zum Schluss werden detailliertere Informationen zum Reformvorhaben geliefert:

"Ab 2029 soll die Anhebung des Rentenalters schrittweise erfolgen und trifft als erste Frauen des Geburtsjahres 1964 und Männer des Jahrgangs 1959. Von 2019 bis 2034 soll der Renteneintritt jährlich um ein Jahr angehoben werden. Von der Reform nicht betroffen wollen Werktätige an besonders gefährlichen oder gesundheitsschädlichen Arbeitsplätzen sein."

In der heutigen NZZ heißt es dagegen, dass das Rentenalter "alle zwei Jahre" um ein Jahr erhöht werden soll. Es ist auch interessant, dass die NZZ ganz andere Ausnahmen von der Erhöhung des Renteneintrittsalters nennt als HERRMANN. Dort heißt es nämlich:

"(Die) Politik (hat sich) nicht getraut, dasselbe Rentenalter für Frauen und Männer einzuführen, und dies obwohl Frauen laut dem russischen Statistikamt zehn Jahre länger leben als Männer. Dies hat laut Beobachtern damit zu tun, dass die Russinnen eine Art Kompensation für das Aufziehen der Kinder erhalten. Dieser Ausgleich ist sogar gesetzlich festgeschrieben, denn der Vorschlag macht eine Ausnahme für Mütter, die mindestens vier Kinder grossgezogen haben. Für sie soll die Erhöhung nicht gelten."

GASKAROW, Alexej (2018): Prekäre Löhne, prekäre Rente.
Über die radikalen Rentenreformpläne in Russland,
in: Neues Deutschland v. 26.06.

 Alexej GASKAROW sieht aus seiner gewerkschaftlichen Sicht bis 2035 kein demografisches Problem für den russischen Rentenfonds, aber

"derzeit decken die Beiträge nur etwa 60 Prozent des Bedarfs, ein Teil der Kosten wird aus dem Staatshaushalt bezahlt. In Russland gibt es derzeit 43 Millionen Rentner. Nur etwa 35 Millionen davon erhalten Altersrente, der Rest wegen verminderter Erwerbsfähigkeit."

Die Auswirkungen der geplanten Erhöhung des Renteneintrittsalters würde gemäß GASKAROW den Anteil der Rentner um 30 Prozent absenken. Die wahren Probleme sieht GASKAROW bei der wachsenden Schattenwirtschaft und den Folgen der Abschaffung des Inflationsausgleichs bei den Renten:

"2016 hat die Regierung die Indexierung der Rentenzahlungen (den automatischen Inflationsausgleich, Anm. d. Red.) für arbeitende Rentner abgeschafft. Daraufhin haben vier von 13 Millionen ihre Arbeit gekündigt oder arbeiten weiter im Schattensektor. Das trifft unter anderem auf Polizeiangehörige zu, die Rentenansprüche lange vor Erreichen des bislang geltenden Rentenalters geltend machen können. Männer über 60 und Frauen über 55 gehen statistisch betrachtet wesentlich seltener einer Lohnarbeit nach. Mit der Anhebung des Rentenalters wird deshalb gleichzeitig das Defizit an Arbeitsplätzen steigen."

HANS, Julian (2018): Aufstand der Älteren.
Tausende Russen demonstrieren gegen Pläne, das Renteneintrittsalter anzuheben,
in: Süddeutsche Zeitung v. 02.07.

Julian HANS vermittelt uns die Sicht von Janis KLUGE, dessen Promotion von der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert wird, zur geplanten Rentenreform in Russland. Die Proteste der Russen werden von ihm vor allem als Profilierungsmöglichkeit für Wladimir PUTIN gesehen, der minimale Zugeständnisse bei der Reform machen könnte, um sein Ansehen zu steigern. 

BRANGSCH, Lutz (2018): Die russische Rente.
Um zur Finanzierung von Putins Wirtschafts- und Sozialprogramm beizutragen, sollen die Russen länger arbeiten,
in: Neues Deutschland v. 10.07.

Lutz BRANGSCH berichtet über Versuche der Neoliberalisierung Russlands, die vom Westen begrüßt werden:

"Mit Bezug auf die Rente wird bereits seit Jahren versucht, die »private Absicherung« zu fördern, also die Verwandlung von Lohn in Investitionen bzw. Kapital. Auf dem Petersburger Wirtschaftsforum sprach sich Vizepremier Olga Golodez laut »Kommersant« für die Einführung eines Betriebsrentensystems aus. Allerdings berichtet die Zeitung in der gleichen Ausgabe, dass die bereits durch den Staat sanierte Bank »FK Otkrytie« mit ihrem Pensionsfonds wieder in Schieflage geraten ist und staatliche Unterstützung benötige."

LOKSHIN, Pavel (2018): Wer kann denn bis 65 arbeiten?
Die russischen Rentenkassen sind leer, deshalb soll das Eintrittsalter kräftig angehoben werden. Selbst die Fans von Präsident Putin sind entsetzt - zumal eine Gruppe mal wieder fein raus ist,
in: Welt v. 14.07.

Eigentlich beklatschen unsere neoliberalen Mainstreamzeitungen Maßnahmen zur Erhöhung des Renteneintrittsalters - höchstens man kann mit dem Gegenteil das Feindbild Putin bedienen. Als von der Rentenreform Betroffene wird uns ein Ärztepaar mit "bescheidenem" Lebensunterhalt präsentiert, das sein Dasein in "drei Teilzeitjobs in Privatkliniken" fristen muss. Ein Foto zeigt uns jedoch nicht das arme Ärztepaar, sondern drei alte Frauen, die eher nicht dem privilegierten Akademikermilieu entstammen.

"(Z)ehn Millionen Russen. So viele sind von der Mitte Juni plötzlich verkündeten Rentenreform unmittelbar betroffen. Es geht um die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters, das in Russland seit der Sowejtzeit nicht erhöht wurde. Schon ab 2019 sollen die Russen später in Rente gehen. Wenn die Reform vollendet ist, gehen russische Frauen statt mit 63 Jahren acht Jahre später als bislang in den Ruhestand. Männer die bislang schon mit 60 verrente wurden, gehen dann mit 65 in Rente",

behauptet Pavel LOKSHIN. Dass Frauen mit 71 statt mit 63 Jahren in Rente gehen sollen, stimmt mit anderen Berichten nicht überein. So heißt es bei Julian HANS in der SZ von Anfang Juli:

"Die Regierung plant, von kommendem Jahr an das Renteneintrittsalter für Männer schrittweise von 60 auf 65 Jahre anzuheben. Frauen sollen bis 63 arbeiten anstatt wie bisher bis 55."

Die russische Regierung begründet ihre Reform wie bei uns mit dem demografischen Wandel, wobei LOKSHIN keine Quelle für die Zahlen nennt:

"In den nächsten Jahren sollen geburtenstarke Jahrgänge der 60er Jahre (...) in Rente gehen, während die schwachen Jahrgänge der Umbruchszeit der 90er Jahre allmählich in den Arbeitsmarkt aufrücken - doch diese Kohorten sind zu klein, um den Ausgleich zu schaffen.
Kamen im Jahr 1970 auf einen russischen Rentner im Schnitt 3,7 Berufstätige, lag dieser Wert im vergangenen Jahr bei zwei. Laut Hochrechnungen könnten 2044 auf einen Rentner 1,5 Berufstätige kommen. Die Zahl der Rentner stieg in den letzten acht Jahren auf 43,5 Millionen, schon jetzt machen sie fast ein Drittel der Bevölkerung aus."

Bei den Zahlen ist unklar, ob es sich um Rentner- oder Altenquotienten handelt, was ein großer Unterschied wäre, denn Altenquotienten haben keine Aussagekraft, wenn es um Rentenreformen geht. Inwiefern die Babyboomer in Russland tatsächlich ein Problem darstellen, bleibt auch im Unklaren.

"Der staatliche russische Rentenfonds PFR wird bereits heute zu rund 40 Prozent aus dem Haushalt bezuschusst und schreibt immer größere rote Zahlen",

erklärt uns LOSKSHIN, ohne nähere Angaben zur Ursache der Schieflage des Rentenfonds zu machen. Der Leser soll sich offensichtlich mit der Suggestion eines Zusammenhangs mit dem Altersaufbau in Russland zufrieden geben. Stattdessen wird uns lediglich die Einsparungsmöglichkeiten durch die Reform präsentiert:

"Schon im ersten Jahr der Reform will der Rentenfonds zusätzlich umgerechnet 2,7 Milliarden Euro einnahmen - noch immer ein Bruchteil der umgerechnet 95 Milliarden Euro, die Russland jährlich für Rentenzahlungen ausgibt."

Mit Blick auf Russland werden sogar Differenzierungen bei der Lebenserwartung als Kritik an der Reform vorgetragen, die in Deutschland ansonsten geleugnet werden:

"Die Regierung begründet die Rentenreform unter anderem mit der gestiegenen Lebenserwartung der Russen, die nun im Durchschnitt 72 Jahre beträgt. Boris und Swetlana können darüber nur lachen. »Bei der Zahl geht es doch um Neugeborene. Das heißt ja nicht, dass jeder heute erwachsene Russe mindestens 72 wird«, sagt Boris. Statistisch gesehen leben von den jetzt Erwachsenen nur 57 von 100 russischen Männern bis 65, dem neuen geplanten Renteneintrittsalter. Obendrein schwankt die Lebenserwartung älterer Menschen in Russland sehr stark je nach Region. Während ein 60-jähriger Mann im reichen Moskau damit rechnen kann, 80 Jahre alt zu werden, stirbt er in der armen Republik Tuwa in Ostsibirien voraussichtlich sieben Jahre früher - doch die Anhebung des Rentenalters gilt auch für ihn. Ähnliche regionale Unterschiede gibt es auch bei Frauen."

Wenn in Deutschland über die Erhöhung des Renteneintrittsalters berichtet wird, dann werden solche Einwände in der Welt weggewischt. Hierzulande sind die Unterschiede zwar geringer als in Russland, dennoch sind sie genauso wenig zu vernachlässigen.

Fazit: Es ist erstaunlich mit welcher Doppelmoral in der Welt gearbeitet wird, wenn es in Sozialreformen geht.

STEINER, Christian (2018): Junge Russen wollen weg.
Der Unmut über die Rentenreform und unberechenbare Politik Putins vertreibt die Jugend. Der Wirtschaft fehlen zunehmend Arbeitskräfte,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.07.

EICHHOLZ, Axel (2018): Putin stellt sich hinter die Rentenreform.
Per Fernsehansprache erklärt der russische Präsident das Heraufsetzen des Renteneintrittsalters als unabdingbar,
in: Neues Deutschland v. 30.08.

"Bei der Abstimmung in der Staatsduma kam der Regierungsentwurf in erster Lesung nur mit den Stimmen der Regierungspartei Einiges Russland durch, die die Zweidrittelmehrheit im Parlament besitzt",

berichtet Axel EICHHOLZ, der uns aufzählt, wer von den Maßnahmen gar nicht oder nur im geringerem Maße betroffen ist.

BOTA, Alice (2018): "Bis wir tot umfallen".
Weil die Russen länger arbeiten sollen, verliert Putin jäh an Popularität. Eine Reise zu den Rentnern, die ihm gefährlich werden könnten,
in: Die ZEIT Nr.36 v. 30.08.

ACKERET, Markus (2018): Putin schwächt Rentenreform ab.
Zugeständnisse an die unzufriedene Bevölkerung,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 31.08.

MIJNSSEN, Ivo (2018): Putin sitzt auf einer Zeitbombe.
Kommentar: Rückzieher bei der Erhöhung des Rentenalters in Russland,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 31.08.

CLASEN, Bernhard (2018): Putin korrigiert Rentenreform.
Nach landesweiten Protesten macht Russlands Präsident Zugeständnisse beim Renteneintritt für Frauen,
in:
TAZ v. 31.08.

STEINER, Christian (2018): Duma beschließt umstrittene Rentenreform.
Präsident Putin lenkt ein. Strukturprobleme bleiben weitgehend unangetastet,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.09.

STEINER, Christian (2018): Höheres Pensionsalter löst das Problem nicht.
Kommentar: Rentenreform in Russland,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 28.09.

 
       
   
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