Eine
Überschrift und was dahinter steckt: "Hält der Trend an, hört in
500 Jahren 'die russische Nation überhaupt auf, zu existieren',
warnt Alexander Sinelnikow, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des
Zentrums für Demographie und Umwelt."
2002
SIPPELL, Dorothee (2002): Steiler
Fall.
Demografen prophezeien den Russen
eine düstere Zukunft: Binnen 50 Jahren könnte die Bevölkerung um ein
Drittel schrumpfen,
in: Profil Nr.24
v. 10.06.
IWANOWSKI, Andrej (2002): Aussterbende Spezies.
Das wichtigste Ergebnis der ersten russischen
Volkszählung in der postsozialistischen Ära steht schon im Vorhinein
fest: Alkohol und Fehlernährung reduzieren die Bevölkerung dramatisch.
Mitte des Jahrhunderts könnte die Zahl der Russen von 140 auf 80
Millionen geschrumpft sein.
in: Profil Nr.41 v. 07.10.
Nicht nur interne Probleme beschleunigen den
Bevölkerungsrückgang, sondern Russinnen gelten bei
emanzipationsgeschädigten Besserverdienenden zunehmend als
Alternative zu finanziell unabhängigen und wählerischen
Erfolgsfrauen à la
Ally McBeal oder Sex and the City.
Bei
Thomas KIRSCHNER ("Liebe ohne Grenzen") , der mit den Thesen von
Michel HOUELLEBECQ sympathisiert, liest sich das so:
"Die
Frauen aus den früheren GUS-Staaten sind sehr feminin und sehen auch
keinen Makel darin, ihre Fraulichkeit zu betonen. Sie sind sehr
familienorientiert. Sie besitzen lebenslange Erfahrung darin, mit
ökonomischen Härten und Instabilität umzugehen und dabei Stil und
Anmut zu bewahren. Sie schätzen Loyalität und Sicherheit. Sie sind
sehr bindungswillig und bereit, ihren Mann zu unterstützten, ohne
ständig mit ihm zu wetteifern oder auf ihre Gleichberechtigung zu
pochen."
Die
"russische Seele" und die Vorstellungen über das Äußere einer Russin
sind wohl spätestens seit H. G. KONSALIK zum deutschen Allgemeingut
geworden.
VOSWINKEL, Johannes (2002): Iwan im
Underground.
Samstagabend in Moskau: Lena stolziert in den "Salon", Mascha
steigt in den Theaterkeller, Borja lädt zur Dauerparty in seine
Wohnung - Russlands Jugend, groß geworden in der wilden Jelzin-Zeit,
ist ohne Orientierung und auf der Suche nach dem Glück,
in: Die ZEIT Nr.44 v. 24.10.
POPOV, Dmitri
(2002): Traumfrauen.
Frauenalltag,
in: Freitag Nr.47 v. 15.11.
HILLE, Stephan (2002): Ausverkauf der
Gefühle.
Sie betonen ihre Weiblichkeit, suchen gezielt nach reichen
Ausländern und sagen auch mal "Nein". Viele Russinnen kommen gut mit
der neuen sexuellen Freizügigkeit zurecht. Nur ihre männlichen
Genossen haben damit Probleme,
in: Frankfurter Rundschau v. 23.11.
2003
HEINRICH, Nazira (2003): Ala Katschu - die alte Tradition.
Ohne Einwilligung. Seit der Unabhängigkeit Kirgisistans wird
Frauenraub zunehmend zum Mittel billiger Brautbeschaffung,
in: Freitag Nr.37 v. 05.09.
2004
VOSWINKEL, Johannes (2004): An der Wiege der russischen Revolution.
Wir werden weniger:
Iwanowo kann den Niedergang nicht stoppen. Einst wurden hier die
Uniformen der Roten Armee genäht. Heute sind in der leeren Stadt vor
allem Bierbrauer gut im Geschäft,
in: Die ZEIT Nr.49 v. 25.11.
2005
HOLM, Kerstin (2005): Sibirien wird
noch leerer.
Aus russischen Zeitschriften: Furcht vor Bevölkerungsabnahme,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.03.
Kerstin HOLM schreibt in ihrer
Zeitschriftenrundschau über den "schrumpfenden Organismus des
russischen Volkes".
2006
HOLM, Kerstin (2006): Gelbe Gefahr.
Das schrumpfende russische Volk findet keine Arbeit,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.04.
HOLM berichtet ausgiebig über einen Artikel
des russischen Politikwissenschaftlers Michail MARTYNOW, der das
Problem der "überschüssigen" Bevölkerung mit dem Niedergang der
russischen Geburtenrate in Verbindung bringt. Dazu nimmt er einen
Umweg über die Antike:
"Auch
die Römer kämpften gegen Bevölkerungsschwund. Martynow erinnert
daran, daß in der Kaiserzeit öffentliche Ämter bevorzugt an
Kinderreiche vergeben, daß Verwitwete zur Neuheirat verpflichtet
wurden und daß Kinderlose nicht erben durften. Den demographischen
Trend dadurch umzukehren gelang indessen nicht. Der Russe zitiert
Malthus mit dem Ausspruch, wenn die Römer bloß die Zahl ihrer
Sklaven halbiert und die Bürger genötigt hätten, ihre
Liegenschaften selbst zu bearbeiten, hätte sich die
Bevölkerungszahl ohne alle Sondergesetze rasch erholt."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Feuilleton-Thema: Zu viele Menschen, zu
wenige oder die falschen: Die Welt im demographischen Umbruch |
ZEKRI, Sonja (2006): Russland.
Die Welt im demographischen Umbruch:
Die Männer-Katastrophe,
in: Süddeutsche Zeitung v. 04.05.
EBERSTADT,
Nicholas (2006): Rußland.
Der Tod ist den Jungen so nahe wie
anderswo den Alten,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.05.
Der freie Journalist Boris ANTONOW berichtet über
seine Erfahrungen mit einer russischen Singlebörse: "Tanja ist nicht die Erste, die ich in
den letzten zwei Jahren bei Missingheart.ru kennengelernt habe.
Vielleicht ist sie die Dreihundertste. Oder die Siebenhundertste,
was bei dieser Größenordnung schon dasselbe ist. Da fällt eine
gewisse Wiederholung der Charaktere auf.
Die meisten Frauen habe ich nie gesehen, höchstens auf dem Foto. Ich
habe mit ihnen gechattet oder Mails gewechselt, mit einigen
telefoniert. Zwei Dutzend habe ich leibhaftig getroffen - zum ersten
und zum letzten Mal. Mit vieren entwickelte sich eine romantische,
vielversprechende Beziehung, beinahe Liebe, die freilich schon nach
ein paar Wochen sang- und klanglos im Sand verlief. Eine ähnliche
Erfahrung machen wohl fast alle, die einen Partner im Netz suchen.
Ich selbst schrieb nur wenige Frauen an - meistens wurde ich
angeschrieben. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es so viele
einsame Frauen gibt. Noch weniger konnte ich mir vorstellen, wie
stark sie sich nach einem Mann sehnen, sind sie doch nach außen hin
männermäßig gleichgültig oder unnahbar, eine Schutzreaktion, die bei
den Frauen sehr stark entwickelt ist, wie ich später erfuhr."
2007
PRIGOW, Dmitrij (2007): Der Markt, die Sowjets und die
Kirche.
Megacitys - die Städte der Zukunft (V): Moskau - Wie drei Utopien
nebeneinander herwuchern,
in: Süddeutsche Zeitung v. 06.02.
HOLM, Kerstin (2007): Wie angle ich mir einen Millionär?
Erkundungen der russischen Seele: Moskowiter Frauen suchen Rat bei
einem Guru der Männermanipulation und üben sich fleißig in femininer
Gratwanderung,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.02.
REITSCHUSTER, Boris (2007): Die Schule der Luder.
Anhimmeln, anbaggern, anschmiegen: wie die Elevinnen der Moskauer
Anmach-Akademie lernen, Männern zu gefallen,
in: Focus Nr.23 v. 04.06.
HOLM, Kerstin (2007): Russland.
Gebär einen Patrioten,
in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 13.08.
BRÖSSLER, Daniel (2007): "Die Russen sterben aus".
Russlands Bevölkerungszahl nimmt in einem Tempo ab, das auf der
Welt seinesgleichen sucht. Kreml und Kirche beschwören die Liebe, doch
der Nachwuchs bleibt aus - während die ältere Generation rapide
stirbt,
in: Süddeutsche Zeitung v. 18.10.
2008
LINDNER, Rainer (2008): Russlands defekte Demographie.
Zukunftsrisiken als Kooperationschance, SWP-Studie v. 11.03.2008
LINDNER, Rainer (2008): Dramatischer Schwund.
PARLAMENT-Thema Russland: Hohe Sterblichkeit macht der Wirtschaft Sorgen,
in: Das Parlament Nr.35-36 v. 25.08.
2010
RODINA, Elena (2010): Russenbräute.
In der russischen Stadt Welikij Nowgorod gibt es fast ein Drittel
mehr Frauen als Männer. Für diese Geschichte nutzten verzweifelte
Singlefrauen die Chance, ein Phantombild ihres Traummanns zu
erstellen,
in: Neon,
April
KAPUSTINA, Olga (2010): Liebesgrüße aus Moskau.
Subtiles: In Russland gibt es mehr Frauen als Männer - und eine
solvente männliche Oberschicht. Wie binden emanzipierte Frauen
russische Machos an sich? Durch Anpassung, sagt Wladimir Rakowski. Ein
Besuch in seiner Luderschule,
in: TAZ v. 18.09.
2012
PLESCHINSKI,
Hans (2012): Konfekt aus der Tundra.
Lesereise durch Sibirien,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 13.08.
"Die jungen Russinnen
sind elegant, gross gewachsen, umkurven die Krater in den
Gehsteigen wie Ballerinen die Bühnenkulissen. Die jungen
Sibirierinnen wagen viel: Paillettenstiefel, in denen sie über
den Schnee gleiten und heller lachen als ihre Begleiter, die
beim Ausgehen alle Rechnungen begleichen müssen. Männermangel
herrscht in Sibirien. «Sie sterben nicht durch Wodka», wurde
mir versichert, «sondern durch die Begleiterscheinungen,
nämlich Unfälle.»", berichtet Hans PLESCHINSKI aus
Sibirien.
2015
PROKLA-Schwerpunkt:
Biokapitalismus
|
SIEGL,
Veronika (2015): Märkte der guten Hoffnung.
Leihmutterschaft, Arbeit und
körperliche Kommodifizierung in Russland,
in:
Prokla Nr.178, März
"Haben vor einem halben Jahr
vermutlich nur wenige Leute im deutschsprachigen Raum über
Leihmutterschaft Bescheid gewusst, so änderte sich dies, als eine
thailändische Leihmutter beschloss, sich an die Medien zu wenden.
(...). Der Fall »Baby Gammy« löste weltweit Diskussionen über
Lehimutterschaft aus" (2015, S.99),
beschreibt Veronika SIEGL die
aktuelle Mediendebatte um Leihmutterschaft, um dann die Defizite
hervorzuheben, die sie mit ihrem Artikel in den Blick rücken möchte:
"Auffallend ist, dass viele
dieser Darstellungen einseitig und polarisierend sind. Oft fehlt
die Perspektive der Frauen, die nur als schwächste Glieder
globaler und lokaler Reproduktionsketten skizziert werden. Der
vorliegende Artikel lenkt den Blick auf eben diese Lücke, fragt
nach den Erfahrungen von Leihmüttern und kontextualisiert sie im
Rahmen russischer und globaler Reproduktionsindustrien." (2015,
S.99)
SIEGL geht der Frage nach, ob die
altruistische Rhetorik in Sachen Leihmutterschaft nicht versucht
beunruhigende Aspekte deren Kommerzialisierung zu verdecken. Das
Spannungsverhältnis zwischen "Geschenk" und "Ware" wird dabei anhand
russischer Reproduktionsindustrien betrachtet.
2016
HARTWICH, Inna (2016): Putin und die Pflicht zur traditionellen
Familie.
Warum gilt eine Frau in Russland
immer noch als Schuldige, wenn der Mann sie vergewaltigt? Warum steht
häusliche Gewalt nicht unter Strafe? - Über die historischen Gründe
der Frauendiskriminierung,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 08.01.
"Bis heute hat es der Begriff
«Feminismus» nicht leicht in Russland, bis heute ist er mit «westlicher Pest» konnotiert, die
Russland nicht eigen sei, auch wenn das Land durchaus über
Frauenrechte diskutiert, nur wenig auf politischer Ebene. In Putins
Russland herrscht die «Pflicht zur traditionellen russischen
Familie», die auf heterosexueller Ehe basiert und mindestens zwei
Kinder hat, wie es im Strategiepapier zur Demografiepolitik bis 2025
steht", berichtet Inna HARTWICH.
STEINER, Eduard
(2016): Russlands teure Alte.
Demografische Entwicklung führt zu
stark steigenden Kosten für Renten. Ohne Reformen droht eine
drastische Staatsverschuldung,
in: Welt
v. 15.07.
Es ist mehr als erstaunlich mit welch dürftigen Fakten uns Eduard
STEINER zu den angeblichen demografischen Problemen in Russland
abspeist:
"Denn die kinderreiche
Generation aus der Nachkriegszeit geht in Rente, während die Zahl
der Berufseinsteiger, die in den 90er-Jahren geboren worden sind,
deutlich geringer ausfällt. Damit werde eine Spirale nach unten in
Gang gesetzt, so die Ratingagentur. Wenn Russland keine Reformen
durchführe und das extrem niedrige Pensionsantrittsalter nicht
erhöht werde, bleibe seine Bonität weiter im spekulativen
Bereich."
Weiß STEINER überhaupt, über was
er da schreibt? Weder nennt er das Pensionsalter, außer dass es zu
niedrig ist, noch nennt er irgendwelche Zahlen zur demografischen
Situation. Wir erfahren am Schluss nur, dass das System der
kpitalgedeckten Altersvorsorge gekippt worden sei - was aus
neoliberaler Sicht natürlich ein Affront ist. Und uns wird folgende
Prognose zu Ausgaben für Alte in Prozent des BIP genannt:
"Die zunehmende Alterung der
Bevölkerung werde den Staat zur Mitte des Jahrhunderts 19 statt
bisher 13 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten. Schlimmer noch:
Die Belastung steige deutlich schneller als in den anderen 58
analysierten Staaten."
Kein Wunder also, dass die
Glaubwürdigkeit der deutsche Russlandberichterstattung angesichts
solch dürftiger Informationen gelitten hat.
TRIEBE, Benjamin
(2016): Kreml-Geschenk an Pensionäre.
Die Notlösung verrät viel über die
Schieflage in Russland,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.08.
Benjamin TRIEBE erzählt uns, dass die russische Regierung die
gleichen Spielchen mit den Rentnern in Sachen Rentenerhöhungen
praktizieren wie hierzulande. Eine saftige Einmalzahlung soll
darüber hinwegtäuschen, dass die Rentner letztlich die Verlierer in
diesem Spiel sind.
"43 Millionen von 143 Millionen
Russen beziehen eine Altersrente",
erklärt uns TRIEBE. Die
durchschnittliche Rente beträgt jedoch umgerechnet nur ca. 180 Euro.
Obwohl die Rentner wahrlich nicht in Saus und Braus leben, mokiert
sich TRIEBE darüber, dass die russische Regierung keine neoliberale
Politik betreibe, als ob das das einzige Problem der Russen wäre.
2017
NIENHUYSEN, Frank
(2017): Wermutstropfen.
Die Russen werden immer älter, doch
die Männer sterben weiterhin deutlich früher als die Frauen. Das hat
auch mit Wodka zu tun. Der Landwirtschaftsminister rät nun: Mehr Wein
trinken,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 11.07.
"Noch nie ist die Lebenserwartung
für Russinnen und Russen so hoch gewesen, vor allem in Moskau und den
weitgehend abstinenten muslimischen Kaukasusrepubliken. Wer im
vergangenen Jahr geboren wurde, kann mit einer Lebensspanne von gut 77
Jahren rechnen - wenn es denn ein Mädchen ist. Russische Jungs werden
66,5 Jahre vorhergesagt. Macht für beide Geschlechter 71,87 Jahre.
(...). In Albanien liegt der Wert schon bei 78 (...).
In einigen fernöstlichen Gebieten werden Männer trotz des Anstiegs
statistisch nicht einmal 60 Jahre alt",
berichtet Frank NIENHUYSEN über die
Lebenserwartung in Russland, die in den 1990er Jahren am niedrigsten
war (gemessen ab 1960). Rauchen und Trinken, also ein ungesunder
Lebensstil, und die schlechte medizinische Versorgung wird dafür
verantwortlich gemacht. Beim übermäßigen Trinken wurde Russland
inzwischen jedoch vom EU-Land Litauen überholt.
LOKSHIN, Pavel
(2017): Dieses
Problem hat Putin unterschätzt.
Russlands Präsident war stolz auf
das rasante Wachstum seiner Bevölkerung. Doch jetzt schrumpft sie.
Anreize für Familien werden nicht ausreichen, um den Trend umzukehren,
in: Welt
v. 18.12.
Die Russen sterben aus, titelten Mitte der Nuller Jahre die
Mainstreammedien. Nun ist es angeblich wieder so weit, nur weil die
Geburtenzahl in einem einzigen Jahr gesunken ist:
"Im vergangenen Jahr übertraf die
Lebenserwartung der Russen mit 72 Jahren endlich den mageren
Weltdurchschnitt. Auch die Geburtenrate legte zu, offenbar dank Putins
2007 eingeführtem Programm zur Geburtenförderung. So gab es von 2013
bis 2016 erstmalig mehr Geburten als Todesfälle. Putins vor fünf
Jahren verkündeter Plan, dass Russlands Bevölkerung bis 2050 auf 154
Millionen Einwohner wachsen solle, schien zu funktionieren.
Doch dann veröffentlichte Russlands Statistikagentur die vorläufigen
Bevölkerungszahlen für 2017. Der Sterbeüberschuss lag plötzlich bei
115.000 und machte die Geburtenüberschüsse der Vorjahre auf einen
Schlag zunichte. 1,42 Millionen Kinder wurden in diesem Jahr geboren,
ihnen standen 1,53 Millionen Sterbefälle gegenüber",
verkündet uns Pavel LOKSHIN, der
den angeblich renommiertesten russischen Bevölkerungsexperten Anatoli
WISCHNEWSKI zitiert.
Gemäß
Datenbank der OECD lag die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR)
in Russland von 1997 - 2001 bei 1,2 Kindern pro Frau. Danach stieg sie
bis 2012 auf 1,7 Kinder pro Frau. In den Jahren 2014 und 2015 lag sie
bei 1,8 Kindern pro Frau. Zahlen für 2016 und 2017 liegen bei der OECD
noch nicht vor.
"Heute kann Russland selbst die
vergleichsweise hohe Fertilitätsrate von durchschnittlich 1,7 Kindern
pro Frau nicht mehr helfen, sagt Wischnewski. Bis 2024 wird die Zahl
der Russinnen zwischen 18 und 35 Jahren um fast vier Millionen
abnehmen. Unter diesen Umständen kann Russlands
144-Millionen-Bevölkerung nicht wachsen, ist der Forscher überzeugt",
schreibt LOKSHIN. Bekanntlich galt
Deutschland Mitte der Nuller Jahre ebenfalls als aussterbendes Land.
Ungeborene bekommen keine Kinder verkündeten Landauf Landab die
Mainstreammedien. Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes vom März 2017 zeigt jedoch, dass der
Rückgang der potenziellen Mütter 2025 so gering ausfällt, dass bereits
ein minimaler Anstieg der Kohortenfertilität auf 1,6 Kinder pro Frau
den Rückgang überkompensieren kann. Deutschland steht in den
nächsten Jahren sogar vor dem Problem, dass es für den Geburtenanstieg
nicht gerüstet ist. Weder die Kinderbetreuungseinrichtungen noch die
Grundschulen sind in der Lage den bereits eingetretenen
Geburtenanstieg angemessen zu bewältigen.
Fazit: Unsere aufs Aussterben
fixierten Mainstreammedien sorgen dafür, dass die Geburtenentwicklung
in Deutschland und in anderen Ländern unter falschen Vorzeichen
betrachtet werden. Inwiefern Russland schrumpfen wird, lässt sich aus
den präsentierten Zahlen gar nicht erkennen.
2018
TRIEBE, Benjamin
(2018): Russland fehlen die Russen.
Die Zahl der Bevölkerung nimmt ab -
und damit fehlen in den nächsten Jahren Millionen von Arbeitskräften,
in: Neue Zürcher
Zeitung
v. 10.01.
Benjamin TRIEBE behauptet, dass
Russlands Bevölkerung schrumpft (die Welt berichtete dagegen
Mitte Dezember,
dass es in den Jahren 2013-2016 einen Geburtenüberschuss gab; Die
OECD weist Bevölkerungszahlen nur bis 2013 aus) , nennt jedoch
keine Zahlen dazu, sondern nur Prognosen, die bekanntlich kaum das
Papier wert sind auf denen diese stehen.
TRIEBE geht es auch nicht um die
Bevölkerungsschrumpfung, sondern nur um den Rückgang der
arbeitsfähigen Bevölkerung, die je nach Interessenlage gravierend
auseinanderklafft:
"Die arbeitsfähige Bevölkerung wird
laut Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin in den kommenden sechs Jahren
um je 800.000 Personen sinken. Die Bank VTB schätzt den Rückgang in
den nächsten acht Jahren nur auf je bis zu 500.000 Arbeitskräfte"
TRIEBE spricht von einer
"demografischen Katastrophe" angesichts der Lage Russlands nach dem
Zerfall der Sowjetunion in den 1990er Jahren:
"Die Sterblichkeit stieg, aber die
Geburtenquote sank von 2,2 Kindern pro Frau im Jahr 1987 auf einen
Tiefpunkt von weniger als 1,2 im Jahr 1999. Seither hat sich die
Geburtenquote langsam erholt und beträgt immerhin wieder 1,7. Aber die
demografische Delle lässt sich nicht mehr beheben. Der Anteil der 15-
bis 30-Jährigen an der Gesamtbevölkerung ist von 24% im Jahr 2002 auf
knapp 20% im Jahr 2015 gesunken."
Nach OECD-Angaben lag die
Geburtenrate in den Jahren 2014 und 2015 bei 1,8 Kindern pro Frau.
TRIEBE behauptet, dass es nur drei Reaktionsmöglichkeiten gebe:
Steigerung der Produktivität, länger arbeiten oder Zuwanderung. Wie es
für stramme Neoliberale gehört, wird letztlich nur in der längeren
Lebensarbeitszeit ein Ausweg gesehen:
"Unter Experten ist unbestritten,
dass Russland seine Arbeitskräfte zu früh in Pension schickt. Das
Renteneintrittsalter beträgt 55 Jahre für Frauen und 60 Jahre für
Männer. Es gehört zu den niedrigsten auf der Welt und wurde 1932 unter
Stalin festgesetzt. (...). Der Anteil der Russen oberhalb der
gegenwärtigen Altersgrenzen wächst gemäss dem Statistikamt bis 2035
auf knapp 43 Mio. oder von 25% auf 29% der Gesamtbevölkerung. (...).
Die Schieflage wird dadurch verschärft, dass Frauen besonders früh in
Pension geschickt werden, aber besonders lange leben:
Ihre Lebenserwartung beträgt 77 Jahre, jene der Männer aber
erschreckend tiefe 67 Jahre."
TRIEBE versteckt sich hinter nicht
genannte Experten, was unseriöser Journalismus ist.
STEINER, Christian
(2018):
Die Russen sollen länger arbeiten.
Um die Staatskassen zu schonen,
verfügt die Regierung eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
19.06.
"Ökonomisch leuchtet die Erhöhung des Rentenalters ein. Arbeiteten
1970 noch 3,7 Menschen »für« einen Pensionierten, sind es heute nur
noch 2. Bis ins Jahr 2044 würde sich das Verhältnis gar auf 1zu 1
reduzieren",
meint Christian STEINER. Das
leuchtet jedoch nur Neoliberalen ein, denn bei dieser Sicht bleiben
die entscheidenden nicht-demografischen Aspekte ausgeblendet: die
Entwicklung der Produktivität!
"In den vergangenen Jahren wurde
mit Mitteln aus der privaten Vorsorge die staatliche Rentenkasse
alimentiert",
behauptet STEINER, ohne dass dies
auch belegt wird wie das für seriösen Journalismus selbstverständlich
wäre.
Geködert werden sollen Rentner
durch eine in Aussicht gestellte Erhöhung er mickrigen Renten:
"In vielen Fällen reicht das Geld
nicht aus, um den Lebensunterhalt nach der Pensionierung weiter zu
bestreiten. Viele Arbeitnehmer müssen daher auch im vermeintlichen
Ruhestand weiter anpacken. Für sie sind Vergünstigen wie
beispielsweise das kostenlose Benutzen des öffentlichen Nahverkehrs
wichtiger",
erklärt uns STEINER. Bei HERRMANN
werden dagegen Zahlen zur Erhöhung genannt:
"(S)tatt 400 bis 500 Rubel Erhöhung
in den Vorjahren würde bereits 2019 eine Aufbesserung von monatlich
1.000 Rubeln (rund 14 Euro) möglich. Das wären dann im Jahr immerhin
schon 12.000 Rubel mehr".
STEINER interessiert dagegen nur
die Gegenfinanzierung der
"grosszügere(n) Rente mit einer
Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte auf 20 %".
Während in der EU ein
Inflationsziel von 2 Prozent angestrebt wird, wird von STEINER die
russische Inflation vom Mai von 2,4 % als "Tief wie noch nie seit Ende
der Sowjetunion" bezeichnet. Die russische Regierung strebt 4 %
Inflation an, was die Rentenerhöhung relativiert, da sie durch
Kaufkraftverluste sozusagen wieder vernichtet werden würde.
HERRMANN, Klaus Joachim (2018): Streit um Russlands Renten.
Gesetzentwurf im Parlament und der Kreml hält sich raus. Erste
Proteste gegen Anhebung des Eintrittsalters,
in:
Neues Deutschland v.
19.06.
"Wladimir Putin (...) wurde von Journalisten an seine Versicherung
aus dem Jahre 2005 erinnert, dass es keine Anhebung des Rentenalters
im Lande geben werde, solange er Präsident sei",
hebt
Klaus Joachim HERRMANN hervor, der in erster Linie über den
Widerstand gegen die unpopuläre Reform berichtet. Die Begründungen
liefert auch in Russland der weltweit verbreitete Neoliberalismus
mit seiner Demografisierung gesellschaftlicher Probleme.
"1928 sei das Pensionsalter bei einer Lebenserwartung von nur 43
Jahren festgelegt worden. Jetzt erreichten die Bürger Russlands 73
Jahre und die Aussichten auf weitere Zuwächse seien gut.",
erklärt HERRMANN. In der NZZ heißt es heute dagegen:
"Die lange vorbereitete Reform soll der erhöhten Lebenserwartung der
Bevölkerung Rechnung tragen, denn das Rentenalter wurde letztmals in
den 1960er Jahren angepasst. Damals betrug die Lebenserwartung eines
Russen um die 40 Jahre. Heute liegt sie bei 67, und sie soll bis
2030 auf 73 Jahre steigen."
Die
OECD-Datenbank nennt für Russland eine durchschnittliche
Lebenserwartung bei Geburt für beide Geschlechter von 71,3 Jahre
(Stand 2015).
Interessant ist ein Aspekt, der aussagekräftiger ist: Während die
Lebenserartung bei Geburt für Männer nur 65,9 Jahre beträgt, sind
des bei der ferneren Lebenserwartung der 65-jährigen Männer dagegen
78,3 Jahre. Das heißt: Wer die ersten 65 Jahre als Mann überlebt,
dessen Chancen stehen gut, weitere 13,3 Jahre zu erleben. Im
Umkehrschluss heißt dies aber auch, dass viele Männer bereits früher
sterben. Während in Russland die Differenz zwischen den beiden
Lebenserwartungen bei über 12 Jahren liegt, sind es in Deutschland
gerade einmal 8 Jahre. In keinem der beiden Artikel spielt dieser
Aspekt eine Rolle. HERRMANN betont dagegen die regionalen und
geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Lebenserwartung:
"Zehn Regionen lagen über 75, 20 aber unter 70 Jahren. 2014 hatten
nach Angaben des Gesundheitsministeriums Frauen erstmals die Grenze
von 77 Jahren überschritten, während Männer gerade einmal 65,6 Jahre
erreichten."
Außerdem finden sich Vergleiche zu den ehemaligen Sowjetrepubliken
und den dortigen Renteneintrittsaltern, die der russischen Zeitung
Rossiskaja Gaseta entnommen wurden:
"So gingen in Moldavia und Aserbaidschan Männer erst mit 68 Jahren
in Rente, für 2025 bis 2027 sei dies in den baltischen Staaten
vorgesehen. In Armenien erhielten Frauen mit 63 Jahren Rente,
Kasachstan folge diesem Beispiel.
Erst ganz zum Schluss werden detailliertere Informationen zum
Reformvorhaben geliefert:
"Ab 2029 soll die Anhebung des Rentenalters schrittweise erfolgen
und trifft als erste Frauen des Geburtsjahres 1964 und Männer des
Jahrgangs 1959. Von 2019 bis 2034 soll der Renteneintritt jährlich
um ein Jahr angehoben werden. Von der Reform nicht betroffen wollen
Werktätige an besonders gefährlichen oder gesundheitsschädlichen
Arbeitsplätzen sein."
In der heutigen NZZ heißt es dagegen, dass das Rentenalter "alle
zwei Jahre" um ein Jahr erhöht werden soll. Es ist auch interessant,
dass die NZZ ganz andere Ausnahmen von der Erhöhung des
Renteneintrittsalters nennt als HERRMANN. Dort heißt es nämlich:
"(Die) Politik (hat sich) nicht getraut, dasselbe Rentenalter für
Frauen und Männer einzuführen, und dies obwohl Frauen laut dem
russischen Statistikamt zehn Jahre länger leben als Männer. Dies hat
laut Beobachtern damit zu tun, dass die Russinnen eine Art
Kompensation für das Aufziehen der Kinder erhalten. Dieser Ausgleich
ist sogar gesetzlich festgeschrieben, denn der Vorschlag macht eine
Ausnahme für Mütter, die mindestens vier Kinder grossgezogen haben.
Für sie soll die Erhöhung nicht gelten."
GASKAROW, Alexej
(2018): Prekäre
Löhne, prekäre Rente.
Über die radikalen Rentenreformpläne in Russland,
in:
Neues Deutschland v.
26.06.
Alexej GASKAROW sieht aus seiner gewerkschaftlichen Sicht bis
2035 kein demografisches Problem für den russischen Rentenfonds,
aber
"derzeit decken die Beiträge nur etwa 60 Prozent des Bedarfs, ein
Teil der Kosten wird aus dem Staatshaushalt bezahlt. In Russland
gibt es derzeit 43 Millionen Rentner. Nur etwa 35 Millionen davon
erhalten Altersrente, der Rest wegen verminderter Erwerbsfähigkeit."
Die Auswirkungen der geplanten Erhöhung des Renteneintrittsalters
würde gemäß GASKAROW den Anteil der Rentner um 30 Prozent absenken.
Die wahren Probleme sieht GASKAROW bei der wachsenden
Schattenwirtschaft und den Folgen der Abschaffung des
Inflationsausgleichs bei den Renten:
"2016 hat die Regierung die Indexierung der Rentenzahlungen (den
automatischen Inflationsausgleich, Anm. d. Red.) für arbeitende
Rentner abgeschafft. Daraufhin haben vier von 13 Millionen ihre
Arbeit gekündigt oder arbeiten weiter im Schattensektor. Das trifft
unter anderem auf Polizeiangehörige zu, die Rentenansprüche lange
vor Erreichen des bislang geltenden Rentenalters geltend machen
können. Männer über 60 und Frauen über 55 gehen statistisch
betrachtet wesentlich seltener einer Lohnarbeit nach. Mit der
Anhebung des Rentenalters wird deshalb gleichzeitig das Defizit an
Arbeitsplätzen steigen."
HANS, Julian (2018): Aufstand der
Älteren.
Tausende Russen demonstrieren
gegen Pläne, das Renteneintrittsalter anzuheben,
in: Süddeutsche Zeitung v.
02.07.
Julian HANS vermittelt uns die
Sicht von Janis KLUGE,
dessen
Promotion von der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert
wird, zur geplanten Rentenreform in Russland. Die Proteste der
Russen werden von ihm vor allem als Profilierungsmöglichkeit für
Wladimir PUTIN gesehen, der minimale Zugeständnisse bei der Reform
machen könnte, um sein Ansehen zu steigern.
BRANGSCH, Lutz
(2018): Die russische Rente.
Um zur Finanzierung von Putins Wirtschafts- und Sozialprogramm
beizutragen, sollen die Russen länger arbeiten,
in:
Neues Deutschland v.
10.07.
Lutz BRANGSCH berichtet über Versuche der Neoliberalisierung
Russlands, die vom Westen begrüßt werden:
"Mit Bezug auf die Rente wird bereits seit Jahren versucht, die
»private Absicherung« zu fördern, also die Verwandlung von Lohn in
Investitionen bzw. Kapital. Auf dem Petersburger Wirtschaftsforum
sprach sich Vizepremier Olga Golodez laut
»Kommersant« für die Einführung eines Betriebsrentensystems aus.
Allerdings berichtet die Zeitung in der gleichen Ausgabe, dass die
bereits durch den Staat sanierte Bank »FK Otkrytie« mit ihrem
Pensionsfonds wieder in Schieflage geraten ist und staatliche
Unterstützung benötige."
LOKSHIN, Pavel
(2018): Wer kann denn bis 65 arbeiten?
Die russischen Rentenkassen sind
leer, deshalb soll das Eintrittsalter kräftig angehoben werden.
Selbst die Fans von Präsident Putin sind entsetzt - zumal eine
Gruppe mal wieder fein raus ist,
in: Welt v. 14.07.
Eigentlich beklatschen unsere
neoliberalen Mainstreamzeitungen Maßnahmen zur Erhöhung des
Renteneintrittsalters - höchstens man kann mit dem Gegenteil das
Feindbild Putin bedienen. Als von der Rentenreform Betroffene wird
uns ein Ärztepaar mit "bescheidenem" Lebensunterhalt präsentiert,
das sein Dasein in "drei Teilzeitjobs in Privatkliniken" fristen
muss. Ein Foto zeigt uns jedoch nicht das arme Ärztepaar, sondern
drei alte Frauen, die eher nicht dem privilegierten Akademikermilieu
entstammen.
"(Z)ehn Millionen Russen. So
viele sind von der Mitte Juni plötzlich verkündeten Rentenreform
unmittelbar betroffen. Es geht um die schrittweise Anhebung des
Renteneintrittsalters, das in Russland seit der Sowejtzeit nicht
erhöht wurde. Schon ab 2019 sollen die Russen später in Rente gehen.
Wenn die Reform vollendet ist, gehen russische Frauen statt mit 63
Jahren acht Jahre später als bislang in den Ruhestand. Männer die
bislang schon mit 60 verrente wurden, gehen dann mit 65 in Rente",
behauptet Pavel LOKSHIN. Dass
Frauen mit 71 statt mit 63 Jahren in Rente gehen sollen, stimmt mit
anderen Berichten nicht überein. So heißt es bei Julian HANS in der
SZ von Anfang
Juli:
"Die Regierung plant, von
kommendem Jahr an das Renteneintrittsalter für Männer schrittweise
von 60 auf 65 Jahre anzuheben. Frauen sollen bis 63 arbeiten anstatt
wie bisher bis 55."
Die russische Regierung begründet
ihre Reform wie bei uns mit dem demografischen Wandel, wobei LOKSHIN
keine Quelle für die Zahlen nennt:
"In den nächsten Jahren sollen
geburtenstarke Jahrgänge der 60er Jahre (...) in Rente gehen,
während die schwachen Jahrgänge der Umbruchszeit der 90er Jahre
allmählich in den Arbeitsmarkt aufrücken - doch diese Kohorten sind
zu klein, um den Ausgleich zu schaffen.
Kamen im Jahr 1970 auf einen russischen Rentner im Schnitt 3,7
Berufstätige, lag dieser Wert im vergangenen Jahr bei zwei. Laut
Hochrechnungen könnten 2044 auf einen Rentner 1,5 Berufstätige
kommen. Die Zahl der Rentner stieg in den letzten acht Jahren auf
43,5 Millionen, schon jetzt machen sie fast ein Drittel der
Bevölkerung aus."
Bei den Zahlen ist unklar, ob es
sich um Rentner- oder Altenquotienten handelt, was ein großer
Unterschied wäre, denn Altenquotienten haben keine Aussagekraft,
wenn es um Rentenreformen geht. Inwiefern die Babyboomer in Russland
tatsächlich ein Problem darstellen, bleibt auch im Unklaren.
"Der staatliche russische
Rentenfonds PFR wird bereits heute zu rund 40 Prozent aus dem
Haushalt bezuschusst und schreibt immer größere rote Zahlen",
erklärt uns LOSKSHIN, ohne nähere
Angaben zur Ursache der Schieflage des Rentenfonds zu machen. Der
Leser soll sich offensichtlich mit der Suggestion eines
Zusammenhangs mit dem Altersaufbau in Russland zufrieden geben.
Stattdessen wird uns lediglich die Einsparungsmöglichkeiten durch
die Reform präsentiert:
"Schon im ersten Jahr der Reform
will der Rentenfonds zusätzlich umgerechnet 2,7 Milliarden Euro
einnahmen - noch immer ein Bruchteil der umgerechnet 95 Milliarden
Euro, die Russland jährlich für Rentenzahlungen ausgibt."
Mit Blick auf Russland werden
sogar Differenzierungen bei der Lebenserwartung als Kritik an der Reform vorgetragen, die in
Deutschland ansonsten geleugnet werden:
"Die Regierung begründet die
Rentenreform unter anderem mit der gestiegenen Lebenserwartung der
Russen, die nun im Durchschnitt 72 Jahre beträgt. Boris und Swetlana
können darüber nur lachen. »Bei der Zahl geht es doch um
Neugeborene. Das heißt ja nicht, dass jeder heute erwachsene Russe
mindestens 72 wird«, sagt Boris. Statistisch gesehen leben von den
jetzt Erwachsenen nur 57 von 100 russischen Männern bis 65, dem
neuen geplanten Renteneintrittsalter. Obendrein schwankt die
Lebenserwartung älterer Menschen in Russland sehr stark je nach
Region. Während ein 60-jähriger Mann im reichen Moskau damit rechnen
kann, 80 Jahre alt zu werden, stirbt er in der armen Republik Tuwa
in Ostsibirien voraussichtlich sieben Jahre früher - doch die
Anhebung des Rentenalters gilt auch für ihn. Ähnliche regionale
Unterschiede gibt es auch bei Frauen."
Wenn in Deutschland über die
Erhöhung des Renteneintrittsalters berichtet wird, dann werden
solche Einwände in der Welt weggewischt. Hierzulande sind die
Unterschiede zwar geringer als in Russland, dennoch sind sie genauso
wenig zu vernachlässigen.
Fazit: Es ist erstaunlich mit
welcher Doppelmoral in der Welt gearbeitet wird, wenn es in
Sozialreformen geht.
STEINER, Christian
(2018):
Junge Russen wollen weg.
Der Unmut über die Rentenreform
und unberechenbare Politik Putins vertreibt die Jugend. Der
Wirtschaft fehlen zunehmend Arbeitskräfte,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 30.07.
EICHHOLZ, Axel
(2018): Putin stellt sich hinter die Rentenreform.
Per Fernsehansprache erklärt der
russische Präsident das Heraufsetzen des Renteneintrittsalters als
unabdingbar,
in: Neues
Deutschland v. 30.08.
"Bei der Abstimmung in der
Staatsduma kam der Regierungsentwurf in erster Lesung nur mit
den Stimmen der Regierungspartei Einiges Russland durch, die die
Zweidrittelmehrheit im Parlament besitzt",
berichtet Axel EICHHOLZ, der
uns aufzählt, wer von den Maßnahmen gar nicht oder nur im
geringerem Maße betroffen ist.
BOTA, Alice
(2018): "Bis wir tot umfallen".
Weil die Russen länger arbeiten
sollen, verliert Putin jäh an Popularität. Eine Reise zu den
Rentnern, die ihm gefährlich werden könnten,
in: Die ZEIT
Nr.36 v. 30.08.
ACKERET, Markus
(2018): Putin schwächt Rentenreform ab.
Zugeständnisse an die
unzufriedene Bevölkerung,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
31.08.
MIJNSSEN, Ivo
(2018): Putin sitzt auf einer Zeitbombe.
Kommentar: Rückzieher bei der
Erhöhung des Rentenalters in Russland,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 31.08.
CLASEN, Bernhard (2018):
Putin korrigiert
Rentenreform.
Nach landesweiten Protesten macht
Russlands Präsident Zugeständnisse beim Renteneintritt für Frauen,
in:
TAZ v. 31.08.
STEINER, Christian
(2018): Duma beschließt umstrittene Rentenreform.
Präsident Putin lenkt ein.
Strukturprobleme bleiben weitgehend unangetastet,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 27.09.
STEINER, Christian
(2018): Höheres Pensionsalter löst das Problem nicht.
Kommentar: Rentenreform in
Russland,
in:
Neue Zürcher Zeitung v.
28.09.