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Thema des Monats

 
       
   

Das neue Ethos der Einsamen

 
       
   

Ein Blick in die neue Ratgeberliteratur: Das Selbstverständnis der neuen Ratgeberliteratur zur Einsamkeit (Teil 2)

 
       
     
       
   
     
 

Das Selbstverständnis der neuen Ratgeberliteratur

Aufgrund der geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die durch den Übergang vom Vorsorgestaat zum aktivierenden Sozialstaat und durch neue Bedingungen der Vermarktung der eigenen Arbeitskraft (Stichwort: Ökonomisierung des Sozialen), gekennzeichnet sind, resultiert ein Zwang zum Selbstmanagement bzw. zur Selbstsorge. Passivität wird dysfunktional und Aktivität wird auch von denen eingefordert, deren Ressourcen bislang ungenutzt blieben. Die moderne Ratgeberliteratur zielt deshalb auf  die Selbstermächtigung der Einzelnen, in unserem Sinne sind das die Einsamen. Empowerment ist das allgemeine Ziel der neuen Ratgeberliteratur. Ulrich BRÖCKLING beschreibt diesen Begriff folgendermaßen:

Empowerment

"Macht ist (...) eine soziale Ressource, die grundsätzlich allen zugänglich, tatsächlich aber höchst ungleich verteilt ist. Die Protagonisten des Empowerment interessieren sich jedoch weniger für die Ursachen dieser Asymmetrie, sondern vor allem für ihre individual- wie sozialpsychologischen Effekte. Im Vordergrund stehen nicht die Machtverhältnisse selbst, sondern das Gefühl der Ohnmacht, das sie bei den Have-nots erzeugen. Dieser »sense of powerless« führe dazu, dass verbliebene Autonomie- und Partizipationspotenziale ungenutzt blieben. Fatalismus, generalisiertes Misstrauen und erlernte Hilflosigkeit bildeten das subjektive Pendant fortgesetzter Erfahrungen von Fremdbestimmung und verweigerter Anerkennung.
          
 (...).
Die Engführung auf die subjektiven Verarbeitungsformen von Machtasymmetrien bestimmt zugleich die Ansatzpunkte bemächtigenden Handelns: Empowerment zielt (...) darauf, die lähmenden Ohnmachtgefühle zu überwinden. Im Vordergrund steht nicht die Lösung von Problemen, sondern die Förderung der Problemlösungskompetenz.

          
 (...).
Weil Macht in der Empowerment-Theorie weit gehend mit dem Glauben an die eigene Kraft gleichgesetzt wird, kann sie auch als eine expandierende Ressource verstanden werden. Was die einen an Macht gewinnen, muss anderen nicht abgehen. Empowerment funktioniert nicht als Nullsummenspiel, sondern schafft Win-win-Situationen. An die Stelle eines Antagonismus von Mächtigen und Ohnmächtigen tritt ein synergetisches Modell, das Versöhnung wie Ausgleich verheißt.

          
 (...).
Dem Gesellschaftsmodell des Empowerment (...) korrespondiert eine Anthropologie, die das Streben nach Kontrolle über das eigene Leben zur conditio humana erklärt.

          
 (...).
Handle stets so, dass du dir selbst das Gesetz des Handelns gibst, statt es dir von anderen vorgeben zu lassen oder in Passivität zu verharren - das ist der kategorische Imperativ, der den Empowerment-Theorien eingeschrieben ist."
(aus: Glossar der Gegenwart, 2004, S.56ff.)

Die Ratgeberliteratur ist therapeutisch im (sozial-)psychologischen Sinne. Im Mittelpunkt steht die Motivierung, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Einsamkeit wird letztlich als selbstverschuldeter Zustand betrachtet, der durch geeignete Selbsttechniken seine Schrecken verliert. In den Worten von SARTORIUS: "Elend in Freude kippen lassen".

Orientierungsangebote statt Anleitungen

Normalität

"Selbsttechnologien (basieren) (...) auf der suggestiven Kraft der flexiblen Normalität (...). Diese bildet ein Netz von Diskursen, operativen Verfahren und Identitätspolitiken; sie vertraut auf die Masse, den Vergleich mit den Bezugsgruppen sowie die quantitative Ermittlung des Mittelmaßes. Ihre strategische Bedeutung zeigt sich dort, wo es darum geht, Menschen zu kategorisieren. (...). Die Menschen werden nicht auf eine imperativistische, qualitative Norm hin ausgerichtet, sondern vor dem Hintergrund eines einheitlichen Maßstabes quantitativ miteinander verglichen. Nicht: »Wie soll der Mensch sein?«, sondern: »Wer oder wie ist beziehungsweise wie handelt der Einzelne im Vergleich zu anderen?«
          
 Normalistische Verfahren steuern indirekt: Sie zeigen den Individuen ihre aktuelle Position auf den Normalverteilungskurven - und überlassen es ihnen dann selbst, daraus Konsequenzen zu ziehen.
          
 (...).
»Normalität« ist nicht nur Verheißung, sondern erzeugt auch Normalisierungsdruck. Die Sorge, aus den Normalitätszonen herauszufallen, die Angst davor, in eine Randposition zu geraten, aus der ein Entkommen nicht mehr möglich ist, diese »Denormalisierungsangst« treibt die Subjekte um."
(Anne Waldschmidt im Glossar der Gegenwart, 2004, S.194ff.)

Die moderne Ratgeberliteratur muss aufgrund der geänderten gesellschaftlichen Modi der Verhaltenssteuerung nicht mehr moralisierend daher kommen. Es bedarf keiner Sollensanweisungen mehr, sondern die Ratgeberliteratur arbeitet heutzutage subtiler. Man könnte auch sagen: je weniger sie als Ratgeber daherkommt, desto größer ist ihre Wirksamkeit. Am ehesten wird man noch bei SARTORIUS einen pädagogischen Tonfall entdecken, am wenigsten bei POSCHARDT. Dies deutet auch darauf hin, dass die Ökonomisierung des Sozialen der Generation Golf bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist. Anleitungen wie sie für klassische Ratgeber stilbildend waren, werden verdrängt durch autobiografisches Erzählen (das Image des Verfassers bürgt hier für seine Eignung als Vorbild in Sachen Lebensführung), durch Geschichten aus dem persönlichen Umfeld oder aus dem Umfeld von Bekannten, durch Lebensweisheiten von Prominenten bzw. Schriftstellern oder Künstlern und last but not least wird immer wieder auf wissenschaftliche Erkenntnisse hingewiesen, die dem Lebensstil des Einsamen zu einem positiven Image verhelfen sollen.

Wellness - Das Gesundungspotenzial des Alleinlebens ausschöpfen

Wellness

"Wellness heißt »gesund leben mit Genuss« (...).
          
 In der Vergangenheit wurde Gesundheit meist als ein unbewusster Zustand bestimmt, der sich dadurch auszeichnet, dass man über das eigene Befinden nicht nachdenkt. Gesund zu sein heißt demzufolge, zu leben, ohne den Körper zu spüren, ohne ihn als Störungsquelle wahrzunehmen. (...). Wellness wäre demnach das Gegenteil von Gesundheit, bezeichnet sie doch ein aktives Sichwohlfühlen, das Bewusstsein, entspannt zu sein, die Verwandlung eines spontanen Zustands der Leibvergessenheit in eine methodisch anzugehende Aufgabe (...).
          
 Wellness ist insofern die bewusste und demonstrativ ausgestellte Gesundheit, eine Gesundheit, die man aktiv verfolgen, statt passiv und unwissentlich genießen soll. (...).
          
 Die Jahrzehnte seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind gekennzeichnet durch signifikante demografische Veränderungen in den Wohlstandsgesellschaften: Mit der wachsenden Zahl alter Menschen haben auch die chronischen Erkrankungen zugenommen. (...). Solange eine im Durchschnitt jüngere Bevölkerung vornehmlich von akuten Krankheiten heimgesucht wurde, ließen sich Gesundheit und Krankheit als striktes Gegensatzpaar begreifen. Heute dagegen befindet sich eine steigende Zahl von Menschen im Niemandsland zwischen Gesundheit und Krankheit. Sie leben trotz Beschwerden und Beeinträchtigungen länger, und häufig geht es ihnen sogar halbwegs gut, ohne dass sie jedoch darauf hoffen können, jemals Heilung zu finden. (...).
          
 Im Gegensatz zu Gesundheit als einem körperlich-seelischen Zustand, gekennzeichnet durch die Abwesenheit von Krankheit, ist Wellness ein lebenslanger Prozess. (...).
          
 Wer sich weigert, sich auf den Wellness-Diskurs einzulassen und für sich selbst ein subjektiv optimales Niveau des Sich-Wohlfühlens zu definieren, weigert sich damit auch, seine demokratische Freiheit (und demokratische Pflicht) zur Selbstbestimmung auszuüben. Zugleich bedeutet die Weigerung, den Zustand des Sich-Wohlfühlens anzustreben, eine Schwäche oder Unzulänglichkeit. (...). Genau genommen ist daher das Gegenteil von Wellness nicht Krankheit oder der kranke Körper, sondern eine Art von Wahnsinn: der Unwille oder die Unfähigkeit, sich wie ein vernünftiges Subjekt zu verhalten. Umgekehrt erweisen jene, die aktiv nach Wellness streben, sich als Subjekte, die in der Lage und gewillt sind, für sich selbst zu sorgen und daher das Attribut der Vernünftigkeit verdienen.
          
 Ausgehend von dieser Bestimmung lässt sich auch genauer beschreiben, wie Wellness mit Vergnügen verbunden ist (...).
          
 Wie die Gesundheit beschränkt sich auch das Vergnügen (...) nicht länger auf ein passives Genießen materiellen Wohlstands oder auf fehlende Beschränkungen, sondern erhält eine aktive und ethische Dimension. Wellness-Vergnügen sind eher mit der Kunst der Balance und Mäßigung verbunden als mit exzessiver Verausgabung".
(Monica Greco im Glossar der Gegenwart, 2004, S.293ff.)

Oberstes Gebot einer Ethik des Einsamen ist das Ausschöpfen der eigenen Möglichkeiten, gerade angesichts einer Lebenssituation, die klassischerweise durch Unzufriedenheit, Ungenügen und Leiden gekennzeichnet ist. Die Aufmerksamkeit wird deshalb auf das Gesundungspotenzial des Alleinlebens gerichtet (alternativ für Zusammenlebende: des Alleinseins). Die Lebenssituation des Einsamen ist nicht einfach mehr nur zu erleidende Durchgangsstation oder passiver Wartezustand, sondern sie dient der aktiven Selbstoptimierung. Während bei POSCHARDT eher das Moment der Vorbereitung auf die Zweisamkeit bzw. Familiengründung im Mittelpunkt steht, gewinnt bei SARTORIUS das Einrichten im Alleinleben an Bedeutung. Abstand genommen wird hier davon, dass das Alleinleben an sich bereits ein krank machender Zustand ist. Wenn in den Schlagzeilen der Medien immer wieder zu lesen ist, dass die Ehe glücklich macht, Singles unglücklich sind, dass Verheiratete gesünder sind als Unverheiratete, dann sind dies Halbwahrheiten. Der richtige Umgang mit Stress, das Erlernen angemessener Verarbeitungsformen kritischer Lebensereignisse sowie das Erlernen adäquater Verhaltensweisen sind wichtige Aspekte, die die Lebensqualität des Einsamen erheblich verbessern können. Die moderne Ratgeberliteratur beschränkt sich auf solche individuellen Maßnahmen. Man kann ihr also den Vorwurf machen, dass sie weder politische noch zivilgesellschaftliche Ansatzpunkte zur Verbesserung der Lage von Einsamen ins Auge fasst und stattdessen einzig auf eine Ethik des Einsamen setzt, in deren Mittelpunkt die Eigenverantwortung bzw. Selbstsorge steht.

 
     
 
       
   

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Update: 03. Februar 2019