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Das Selbstverständnis der neuen
Ratgeberliteratur
Aufgrund der
geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die durch den
Übergang vom Vorsorgestaat zum aktivierenden Sozialstaat und
durch neue Bedingungen der Vermarktung der eigenen Arbeitskraft
(Stichwort: Ökonomisierung des Sozialen), gekennzeichnet
sind, resultiert ein Zwang zum Selbstmanagement bzw. zur
Selbstsorge. Passivität
wird dysfunktional und Aktivität wird auch von denen
eingefordert, deren Ressourcen bislang ungenutzt blieben. Die
moderne Ratgeberliteratur zielt deshalb auf die
Selbstermächtigung der Einzelnen, in unserem Sinne sind das die
Einsamen. Empowerment ist das allgemeine Ziel der neuen
Ratgeberliteratur. Ulrich BRÖCKLING beschreibt diesen Begriff
folgendermaßen:
Empowerment
"Macht
ist (...) eine soziale Ressource, die grundsätzlich allen
zugänglich, tatsächlich aber höchst ungleich verteilt ist.
Die Protagonisten des Empowerment interessieren sich
jedoch weniger für die Ursachen dieser Asymmetrie, sondern
vor allem für ihre individual- wie sozialpsychologischen
Effekte. Im Vordergrund stehen nicht die Machtverhältnisse
selbst, sondern das Gefühl der Ohnmacht, das sie bei den
Have-nots erzeugen. Dieser »sense of powerless«
führe dazu, dass verbliebene Autonomie- und
Partizipationspotenziale ungenutzt blieben. Fatalismus,
generalisiertes Misstrauen und erlernte Hilflosigkeit
bildeten das subjektive Pendant fortgesetzter Erfahrungen
von Fremdbestimmung und verweigerter Anerkennung.
(...).
Die Engführung auf die subjektiven Verarbeitungsformen von
Machtasymmetrien bestimmt zugleich die Ansatzpunkte
bemächtigenden Handelns: Empowerment zielt (...) darauf,
die lähmenden Ohnmachtgefühle zu überwinden. Im
Vordergrund steht nicht die Lösung von Problemen, sondern
die Förderung der Problemlösungskompetenz.
(...).
Weil Macht in der Empowerment-Theorie weit gehend mit dem
Glauben an die eigene Kraft gleichgesetzt wird, kann sie
auch als eine expandierende Ressource verstanden werden.
Was die einen an Macht gewinnen, muss anderen nicht
abgehen. Empowerment funktioniert nicht als
Nullsummenspiel, sondern schafft Win-win-Situationen.
An die Stelle eines Antagonismus von Mächtigen und
Ohnmächtigen tritt ein synergetisches Modell, das
Versöhnung wie Ausgleich verheißt.
(...).
Dem Gesellschaftsmodell des Empowerment (...)
korrespondiert eine Anthropologie, die das Streben nach
Kontrolle über das eigene Leben zur conditio humana
erklärt.
(...).
Handle stets so, dass du dir selbst das Gesetz des
Handelns gibst, statt es dir von anderen vorgeben zu
lassen oder in Passivität zu verharren - das ist der
kategorische Imperativ, der den Empowerment-Theorien
eingeschrieben ist."
(aus: Glossar der Gegenwart, 2004,
S.56ff.) |
Die
Ratgeberliteratur ist therapeutisch im (sozial-)psychologischen
Sinne. Im Mittelpunkt steht die Motivierung, das Leben in die
eigene Hand zu nehmen. Einsamkeit wird letztlich als
selbstverschuldeter Zustand betrachtet, der durch geeignete
Selbsttechniken seine Schrecken verliert. In den Worten von
SARTORIUS: "Elend in Freude kippen lassen".
Orientierungsangebote statt Anleitungen
Normalität
"Selbsttechnologien
(basieren) (...) auf der suggestiven Kraft der flexiblen
Normalität (...). Diese bildet ein Netz von Diskursen,
operativen Verfahren und Identitätspolitiken; sie vertraut
auf die Masse, den Vergleich mit den Bezugsgruppen sowie
die quantitative Ermittlung des Mittelmaßes. Ihre
strategische Bedeutung zeigt sich dort, wo es darum geht,
Menschen zu kategorisieren. (...). Die Menschen werden
nicht auf eine imperativistische, qualitative Norm hin
ausgerichtet, sondern vor dem Hintergrund eines
einheitlichen Maßstabes quantitativ miteinander
verglichen. Nicht: »Wie soll der Mensch sein?«,
sondern: »Wer oder wie ist beziehungsweise wie
handelt der Einzelne im Vergleich zu anderen?«
Normalistische
Verfahren steuern indirekt: Sie zeigen den Individuen ihre
aktuelle Position auf den Normalverteilungskurven - und
überlassen es ihnen dann selbst, daraus Konsequenzen zu
ziehen.
(...).
»Normalität« ist nicht nur Verheißung, sondern erzeugt
auch Normalisierungsdruck. Die Sorge, aus den
Normalitätszonen herauszufallen, die Angst davor, in eine
Randposition zu geraten, aus der ein Entkommen nicht mehr
möglich ist, diese »Denormalisierungsangst« treibt die
Subjekte um."
(Anne Waldschmidt im Glossar der Gegenwart, 2004, S.194ff.) |
Die moderne
Ratgeberliteratur muss aufgrund der geänderten
gesellschaftlichen Modi der Verhaltenssteuerung nicht mehr
moralisierend daher kommen. Es bedarf keiner Sollensanweisungen
mehr, sondern die Ratgeberliteratur arbeitet heutzutage
subtiler. Man könnte auch sagen: je weniger sie als Ratgeber
daherkommt, desto größer ist ihre Wirksamkeit. Am
ehesten wird man noch bei SARTORIUS einen pädagogischen Tonfall
entdecken, am wenigsten bei POSCHARDT. Dies deutet auch darauf
hin, dass die Ökonomisierung des Sozialen der Generation Golf
bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist. Anleitungen
wie sie für klassische Ratgeber stilbildend waren, werden
verdrängt durch autobiografisches Erzählen (das Image des
Verfassers bürgt hier für seine Eignung als Vorbild in Sachen
Lebensführung), durch Geschichten aus dem persönlichen Umfeld
oder aus dem Umfeld von Bekannten, durch Lebensweisheiten von
Prominenten bzw. Schriftstellern oder Künstlern und last but not
least wird immer wieder auf wissenschaftliche Erkenntnisse
hingewiesen, die dem Lebensstil des Einsamen zu einem positiven
Image verhelfen sollen.
Wellness - Das Gesundungspotenzial des
Alleinlebens ausschöpfen
Wellness
"Wellness
heißt »gesund leben mit Genuss« (...).
In
der Vergangenheit wurde Gesundheit meist als ein
unbewusster Zustand bestimmt, der sich dadurch
auszeichnet, dass man über das eigene Befinden nicht
nachdenkt. Gesund zu sein heißt demzufolge, zu leben, ohne
den Körper zu spüren, ohne ihn als Störungsquelle
wahrzunehmen. (...). Wellness wäre demnach das Gegenteil
von Gesundheit, bezeichnet sie doch ein aktives
Sichwohlfühlen, das Bewusstsein, entspannt zu sein, die
Verwandlung eines spontanen Zustands der Leibvergessenheit
in eine methodisch anzugehende Aufgabe (...).
Wellness
ist insofern die bewusste und demonstrativ ausgestellte
Gesundheit, eine Gesundheit, die man aktiv verfolgen,
statt passiv und unwissentlich genießen soll. (...).
Die
Jahrzehnte seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind
gekennzeichnet durch signifikante demografische
Veränderungen in den Wohlstandsgesellschaften: Mit der
wachsenden Zahl alter Menschen haben auch die chronischen
Erkrankungen zugenommen. (...). Solange eine im
Durchschnitt jüngere Bevölkerung vornehmlich von akuten
Krankheiten heimgesucht wurde, ließen sich Gesundheit und
Krankheit als striktes Gegensatzpaar begreifen. Heute
dagegen befindet sich eine steigende Zahl von Menschen im
Niemandsland zwischen Gesundheit und Krankheit. Sie leben
trotz Beschwerden und Beeinträchtigungen länger, und
häufig geht es ihnen sogar halbwegs gut, ohne dass sie
jedoch darauf hoffen können, jemals Heilung zu finden.
(...).
Im
Gegensatz zu Gesundheit als einem körperlich-seelischen
Zustand, gekennzeichnet durch die Abwesenheit von
Krankheit, ist Wellness ein lebenslanger Prozess.
(...).
Wer
sich weigert, sich auf den Wellness-Diskurs einzulassen
und für sich selbst ein subjektiv optimales Niveau des
Sich-Wohlfühlens zu definieren, weigert sich damit auch,
seine demokratische Freiheit (und demokratische Pflicht)
zur Selbstbestimmung auszuüben. Zugleich bedeutet die
Weigerung, den Zustand des Sich-Wohlfühlens anzustreben,
eine Schwäche oder Unzulänglichkeit. (...). Genau genommen
ist daher das Gegenteil von Wellness nicht Krankheit oder
der kranke Körper, sondern eine Art von Wahnsinn: der
Unwille oder die Unfähigkeit, sich wie ein vernünftiges
Subjekt zu verhalten. Umgekehrt erweisen jene, die aktiv
nach Wellness streben, sich als Subjekte, die in der Lage
und gewillt sind, für sich selbst zu sorgen und daher das
Attribut der Vernünftigkeit verdienen.
Ausgehend
von dieser Bestimmung lässt sich auch genauer beschreiben,
wie Wellness mit Vergnügen verbunden ist (...).
Wie
die Gesundheit beschränkt sich auch das Vergnügen (...)
nicht länger auf ein passives Genießen materiellen
Wohlstands oder auf fehlende Beschränkungen, sondern
erhält eine aktive und ethische Dimension.
Wellness-Vergnügen sind eher mit der Kunst der Balance und
Mäßigung verbunden als mit exzessiver Verausgabung".
(Monica Greco im Glossar der Gegenwart, 2004, S.293ff.) |
Oberstes
Gebot einer Ethik des Einsamen ist das Ausschöpfen der eigenen
Möglichkeiten, gerade angesichts einer Lebenssituation, die
klassischerweise durch Unzufriedenheit, Ungenügen und Leiden
gekennzeichnet ist. Die Aufmerksamkeit wird deshalb auf das
Gesundungspotenzial des Alleinlebens
gerichtet (alternativ
für Zusammenlebende: des Alleinseins). Die
Lebenssituation des Einsamen ist nicht einfach mehr nur zu
erleidende Durchgangsstation oder passiver Wartezustand, sondern
sie dient der aktiven Selbstoptimierung. Während bei
POSCHARDT eher das Moment der Vorbereitung auf die Zweisamkeit
bzw. Familiengründung im Mittelpunkt steht, gewinnt bei
SARTORIUS das Einrichten im Alleinleben an Bedeutung. Abstand
genommen wird hier davon, dass das Alleinleben an sich bereits
ein krank machender Zustand ist. Wenn in den Schlagzeilen der
Medien immer wieder zu lesen ist, dass die Ehe glücklich macht,
Singles unglücklich sind, dass Verheiratete gesünder sind als
Unverheiratete, dann sind dies Halbwahrheiten. Der
richtige Umgang mit Stress, das Erlernen angemessener
Verarbeitungsformen kritischer Lebensereignisse sowie das
Erlernen adäquater Verhaltensweisen sind wichtige Aspekte, die
die Lebensqualität des Einsamen erheblich verbessern
können. Die
moderne Ratgeberliteratur beschränkt sich auf solche
individuellen Maßnahmen. Man kann ihr also den Vorwurf machen,
dass sie weder politische noch zivilgesellschaftliche
Ansatzpunkte zur Verbesserung der Lage von Einsamen ins Auge
fasst und stattdessen einzig auf eine Ethik des Einsamen setzt,
in deren Mittelpunkt die Eigenverantwortung bzw. Selbstsorge
steht.
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