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Zitate:
Die Berliner Krankheit
eva denkt
an klaus und sie ruft ihn oft an
mit herzklopfen denkt sie: er geht sicher nicht dran
und wenn sie ihn erreicht, hat er keine zeit
so geht das jetzt seit wochen, sie ist es noch nicht leid
klaus denkt
nicht an eva, er ruft sie auch nicht an
wenn das telefon klingelt, geht er einfach nicht ran
und wenn er sie mal trifft, hat er keine zeit
so geht das jetzt seit wochen und er ist es langsam leid
klaus denkt
an gabi und ruft sie auch oft an
trotz herzklopfen denkt er: sie geht sicher nicht ran
und wenn er sie erreicht, hat sie keine zeit
so geht das jetzt seit wochen und er ist es noch nicht leid
(...)
und ich
lieb sie alle und kann mich nicht entscheiden
und ehe daß ich nen korb krieg, laß ich es besser gleich
bleiben
ich bin auch viel zu schüchtern und hab keine zeit
so geht das jetzt seit wochen und ich bin es längst leid
(aus:
keiner hat zeit von Pit
Budde, Cochise 1982, Album "Unter Geiern")
Die Jugend von heute
"Die Berliner Krankheit
(...). In Berlin liebte niemand den, der ihn liebte. Nicht in
der Jugend. Und in Berlin gab es nur Jugend. Und Rentner
natürlich, aber die zählten nicht, die wurden sowenig
wahrgenommen wie ihre Wesensverwandten, die Toten."
(2004, S.73) |
Der Tabubrecher
Wie Ulrich
BECK ist Joachim LOTTMANN ein reflexiver Sowohl-als-auch-, und kein
simpler entweder-oder-Autor. Die hier vorgestellte Lesart
betrachtet das LOTTMANNSCHE vor dem Hintergrund jenes Zeitgeistes, der
gegenwärtig die Berliner Republik hysterisiert.
LOTTMANN
hat kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman. Aber seit
Michel HOUELLEBECQ ist klar: Fiktion ist nur eine andere Form
der Realitätsbeschreibung. Und mittlerweile ist das sogar ein
Fall für die Literatursoziologie. LOTTMANN
hat ein "Buch ohne Familiennamen" verfasst.
Als Merkmal dieses Genres hebt Michael RUTSCHKY hervor:
Bücher ohne
Familiennamen
"literarische Form (...),
die merkwürdig zwischen Poesie und Reportage changiert und die
grundsätzlich an die Zeitungen der großen Stadt, an die
Existenzform des Städtebewohners geknüpft ist".
(Merkur, Februar 2001) |
LOTTMANN berichtet vom
großstädtischen Clubleben in Berlin und München und seine Prosa
ist unverkennbar anschlussfähig an die Feuilletons der
Mitte-Zeitungen. RUTSCHKY
behauptet, dass Bücher ohne Familiennamen gegenwärtig die fruchtbarsten
seien, aber ständig Gefahr liefen, der monologischen
Rechthaberei zu verfallen. LOTTMANN
entgeht vordergründig dieser Gefahr, indem er seine Aussagen immer wieder
relativiert. LOTTMANN bricht ständig Tabus und nimmt sie sofort
wieder zurück, aber das Gesagte ist in der Welt. Vorbild ist
auch hier HOUELLEBECQ. Ist
also LOTTMANN der "deutsche Hullebeck", wie ein
Spiegel-Redakteur behauptet hat? Auf
alle Fälle ist er keine Biederfrau wie Sophie DANNENBERG ("Das
bleiche Herz der Revolution", 2004) , denn im
Gegensatz zu ihr, wirkt das Spiel mit dem Feuer popkulturell
versiert.
Die
Rezensionen beschäftigten sich primär mit der Person LOTTMANN,
dessen oberflächlich gesehener Unernst die Rolle des Hofnarren nahe legt. LOTTMANN darf
sagen, was alle nur denken, aber nicht zu sagen wagen. Narren an
die Front! Von
der FAZ wurde LOTTMANN bereits vor einiger Zeit zum Vater der
Popliteratur ausgerufen. Mit seinem neuen Buch wird er zum
Avantgardisten des Anti-Pop. LOTTMANN beschreibt die Jugend in
Zeiten des demografischen Wandels:
Die Jugend von heute
"Es fiel mir schwer, die
Leute weiter zu beobachten. Aufgeschwemmte, unsportliche
Fettsäcke, auf uns zuwankend, schwankend, verblödet im
lebenslangen Konsumieren, lange vor der zeit und ohne Not
invalide, lebende Tote, unfit und unvital. Die wenigen
verbleibenden Kinder benahmen sich wie Könige, wie Tyrannen.
Kein Wunder, sie waren die letzten Menschen in diesem
Romero-Film. Die ahnten schon jetzt, daß sie ihr Leben nicht in
der Rentnerhölle Deutschland verbringen würden. Sollte jeder
von ihnen später 23 Rentner durchfüttern? Sie wären ja
verrückt!"
(2004, S.22) |
Ein Panoptikum der neokonservativen Sicht
auf die Jugend von heute
Dem Clubbesitzer
Hundertmark, der als zentrale Figur der Berliner Clubszene
beschrieben wird, klagt Onkel Jolo, wie der Ich-Erzähler
Johannes Lohmer genannt wird, sein Leid:
Die Jugend von heute
"ich habe Ängste. Meiner
Mutter zu verdanken. Schreiend liegengelassen hat man mich. Das
kriegt man nicht mehr raus. Das Verlorenheitsgefühl, man
kultiviert es. Eher, weil es einen sowieso beherrscht. Die Brust
hat man mir verweigert! Das erste und einzige wirkliche
Geborgenheitsgefühl, der mütterliche Herzschlag, die Kopfstütze,
die Umarmung verwehrt - was einem bleibt, ist mangelnde
Bindungsfähigkeit, unsteter Blick, desolater Kiefer, schlechte
Zähne - Selbstzerstörungstrieb. Meine Eltern, diese Victims,
sind heute noch total in sich gestülpt und kommen aus ihrer
deutsch-trotzigen Rolle nicht raus. Verkappte Faschos."
(2004, S.32f.) |
Einen Mangel an
Mütterlichkeit konstatierte unlängst Hans-Joachim MAAZ und
die Erziehungsnotstandsliteratur à la Susanne GASCHKE. Nicht
nur die Rabenmutter, sondern auch die vaterlose Gesellschaft
begegnet uns bei LOTTMANN auf Schritt und Tritt:
Die Jugend von heute
"Wirklich erschreckend
war, daß diese ganzen Kids von alleinerziehenden Medientanten
überhaupt keinen Bezug zum anderen Geschlecht bekamen."
(2004, S.46) |
Die
Single-Mütter-Gesellschaft der Neuen Mitte hat den Softie
hervorgebracht, der gegenüber den Machos aus den virileren
Völkern ins Hintertreffen gerät:
Die Jugend von heute
"Er beschwerte sich doch
tatsächlich darüber, daß die Türkenjungs mit ihrer harten Hand
mehr Chancen hätten als er, David, mit seiner respektvollen Art,
die er von seiner alleinerziehenden deutschen Mutter mitbekommen
hatte. Die Türken behandelten Frauen grundsätzlich als
Untergebene. Da hieß es nur: Komm her, Frau, setz dich neben
mich, halt den Mund. Und die Frauen gehorchten. Und zwar
bereitwillig. Und gingen zum Türken und ließen ihn, David, links
liegen."
(2004, S.85) |
Jolos besondere Sorge gilt
dem Neffen Elias, dem er so etwas wie ein sozialer Vater ist:
Die Jugend von heute
"Eine maßlose Wut stieg in
mir auf. Er verliebte sich in jede unbedeutende Tusse, wenn sie
nur blöd genug war, ihn zu verkennen und abzuweisen. Denn nur
bei solchen Tussen konnte er sicher sein, daß es zu keiner
Beziehung kam. Er war ganz einfach schwul und wußte: Bei einer
Beziehung mit einer Frau würde alles auffliegen. Und so wie er
war seine ganze verdammte Generation. Weil sie alle bei der
alleinerziehenden Mutter aufgewachsen waren. Weil der Vater
versagt hatte. Weil ICH versagt hatte."
(2004, S.156) |
Die Jugend von heute
schafft nicht einmal den ersten Schritt in die
Erwachsenenwelt. Sie ist bindungsunfähig und fällt deshalb
immer auf den gleichen Frauentyp herein. Jolo nennt das die
Berliner Krankheit. Jolo
fühlt sich verantwortlich, weil er als sozialer Vater versagt
hat. Aber nicht nur das, er ist der Ansicht, dass nur er die
Jugend von heute retten kann, denn er ist der Erste, der das
wahre Ausmaß des Problems erkennt:
Die Jugend von heute
"Die von mir so bewunderte
und engagierte Jugend von heute war vollkommen krank. Und zwar
in einem Ausmaß, das noch keiner vor mir erkennt hatte. Mehr
noch: Definierte man die Jugend als die Zeit nach der Kindheit
und vor der Berufstätigkeit, so gab es seit den 90er Jahren gar
keine Jugend mehr. Keiner erreichte mehr postpubertäre Reife.
Ich war der letzte lebende Teenager. Ich hatte es noch erlebt:
Petting, Matratzenpartys, Pink Floyd, Liebesbriefe, nackt im
Wald liegen und sich stundenlang in die Augen schauen.
Derartiges ist der Jugend von heute ganz und gar unbekannt. Das
kennen sie noch nicht einmal aus dem Kino."
(2004, S.48f.) |
Die Jugend von heute, das
sind nicht nur die Zwanzigjährigen, sondern mehr noch die
Dreißigjährigen:
Die Jugend von heute
"Es ist an der Zeit, das
genaue Alter der Beteiligten zu verraten. Damit der Leser das
Ausmaß der gesellschaftlichen Fehlentwicklung erkennt. Die
äthiopische Schönheitskönigin ist 30 Jahre als. Der echt süße
Junge alias die Liebe ihres Lebens ist 32 Jahre alt. Beide sind
sie in ihrer mental-sexuellen Entwicklung in der Pubertät
stehengeblieben. Wie so ziemlich alle ihre Freunde.
Das hat die Aids-Lüge aus jener Generation gemacht. Zwar titeln
endlich die ersten Zeitungen »Gibt es Aids überhaupt noch?«,
aber es ist zu spät. (...). Ich nahm an, daß sei sogar beim
Essen Kondome über Messer und Gabel stülpte. Aber im Grund waren
alle nach 1970 Geborenen so."
(2004, S.47f.) |
Onkel Lohmer sagt seinem
Neffen Elias deutlich, was er von ihm erwartet:
Die Jugend von heute
"»Es täte dir ganz gut,
mal ein sogenanntes anständiges Mädchen zu haben, mein Sohn, das
Ordnung in dein ekelhaftes De-facto-Schwulenleben bringt! Seit
zehn Jahren seh' ich mir das an! Es ist nicht mehr zu ertragen!
Dann doch lieber ein 'Playboy'-Lifestyle als so was!«"
(2004, S.170) |
Die Kanakster-Kultur als die virilere Kultur
Onkel Lohmer besucht in
Berlin eine Handelsschule. Dort wird die Zukunft Deutschlands
sichtbar:
Die Jugend von heute
"Die Klasse bestand aus
Polen, Bosniern, Serben, Afghanen und natürlich Türken und
Kurden. Dazu gab es noch einen Deutschen. Der war aber klein und
nicht für voll zu nehmen. Er verschwand hinter den Rücken der
großen Türkenjungen, wirkte wie 14, trug einen doofen
Ossi-Haarschnitt."
(2004, S.89) |
Seit Jahren beschwört der
nationalkonservative Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG die deutsche Minderheitengesellschaft:
"Von Zuwanderung profitiert vor
allem der Migrant, nicht der Staat"
"In vielen Großstädten
wird schon ab 2010 der Anteil der Zugewanderten bei den unter
40-Jährigen die 50-Prozent-Schwelle erreichen bzw.
überschreiten. Dann stellt sich die Frage, wie sich Deutsche in
eine neue Mehrheitsgesellschaft von Zuwanderern integrieren
können."
(Frankfurter Rundschau vom 18.01.2002) |
Bei LOTTMANN ist dieser
Zustand bereits heute erreicht. Freundschaft ist das neue
Integrationsmuster der multikulturellen Gesellschaft:
Die Jugend von heute
"»Freundschaft«. Das Wort
fiel auffallend oft. Wenn ich den Kids glauben durfte, sahen sie
nicht einmal zwischen Migranten und Deutschen einen Unterschied,
also nicht bei den jungen Leuten. Es gab nur Freunde und den
Rest der Menschheit. Wobei offenblieb, welche Gruppe größer war,
denn sie hatten viele Freunde. Wenn ich an Elias und seine Leute
dachte, machte das Sinn. Der Anteil der Deutschen entsprach
ungefähr ihrem statistischen Anteil der entsprechenden Jahrgänge
in den großen Städten. In Berlin schätze ich ihn auf ein
Drittel."
(2004, S.91) |
In München erfährt Lohmer
die Subproletarisierung Deutschlands:
Die Jugend von heute
"In der Stadt mußten
inzwischen weit mehr Ausländer als Deutsche leben, von
bayrischen Ureinwohnern ganz zu schweigen. Vielleicht klangen
die fremden Sprachen auch nur aggressiver. Oder sie wurden
aggressiver ausgesprochen. Es handelte sich womöglich um den
restriktiven Code, der allen Unterschichten gemein war."
(2004, S.139) |
Hier wird auch die
Schlampigkeit von LOTTMANNs Lektorat deutlich. Natürlich ist den
Unterschichten kein restriktiver, sondern ein restringierter
Code zu eigen, im Gegensatz zum elaborierten Code der Neuen
Mitte. Wer
wissen will, wovon LOTTMANN redet, der liest am besten die
frühen Bücher von Feridun ZAIMOGLU, dem Erfinder der
Kanak-Sprak, der als einziger deutschsprachiger Romanautor
in der neu erschienenen US-amerikanischen New History
of German Literature erwähnt wird.
Die
Partnerschaft ist bei Migranten kein Krisengebiet, sondern Mann
und Frau sind eine prästabilisierte Passform:
Die Jugend von heute
"»Sie muß nett sein? Nicht
cool?«
Alle nickten vielsagend, auch die Schülerinnen. Das war nun doch
eine Differenz zur Highschool-Elias-Welt, dem
bildungsbürgerlichen Muttersöhnchen-Kosmos, in dem die Girls die
Kälte geklonter Eisblumen haben mußten. Nein, Nachwuchsdominas
bekamen bei den Kanakstern keine Schnitte."
(2004, S.93) |
Alleinsein ist bei
LOTTMANN der Preis der Emanzipation, wie die Weltwoche feststellte
(vgl. Beatrice SCHLAG "Kein Salz auf unserer Haut", Weltwoche
13.01.2005).
In der SZ widmet sich seit dem
22.01.2005 gleich eine ganze Serie den Ermittlungen im
Krisengebiet. Jolo beschreibt die Traumfrau seines Neffen Elias
folgendermaßen:
Die Jugend von heute
"Frauen mußten bei ihm
immer den Kindskörper einer 13jährigen haben, die Frechheit
einer frühreifen Schlampe, die Überlegenheit einer
Yale-Professorin und die Grausamkeit einer rumänischen
Ex-Diktatorengattin."
(2004, S.131) |
Die Folge ist, dass die
Jugend von heute nur noch virtuelle Beziehungen pflegt:
Die Jugend von heute
"Alle Jungen seiner
Generation dachten wie er und hatten ihre Chat-Verlobten in der
Ukraine, in Pakistan und Kanada. Sie hielten das für völlig
normal. Sie chatteten die ganze Nacht, zahlten jeden Monat 500
Euro für die Telefonrechnung und waren schon deswegen heillos
verschuldet. Sei besaßen die Ganzkörpernacktfotos ihrer
makellosen Perfektionsfrauen auf dem Bildschirm in der
Ruhestellung (»sleep«). Mit den Frauen in ihrer Stadt gaben sie
sich nicht ab, denn das waren Schlampen, die sich von Ausländern
ficken ließen. Das sagen sie natürlich nie, die Chat-Jungs,
dachten es aber um so ergrimmter."
(2004, S.118) |
LOTTMANN lässt keinen
Zweifel, dass das Chatten eine Loser-Strategie ist:
Die Jugend von heute
"Chatten war etwas für
Loser, wie früher das Reagieren auf Kontaktanzeigen. Nur waren
heute alle Loser, denn alle chatteten."
(2004, S.122) |
Chatten ist etwas für
Nerds, denen man auf Partys höchstens mit Respekt begegnet,
weil sie später einmal die Erwerbstätigengesellschaft in Gang
halten:
Die Jugend von heute
"Nerds. Das waren alles
Leute, die seit fünf oder zehn Semestern die höhere Mathematik
der Computertechnik studierten und entsprechend aussahen. Sie
trugen Brillen und hatten noch niemals eine Frau umarmt.
Tagsüber saßen sie zehn Stunden vor dem Screen und abends
ebenfalls, diesmal vor den Pornosites aus dem Internet. Es war
unmöglich, sich mit ihnen zu unterhalten. Aber es war klar: Auch
sie waren die Jugend von heute, und zwar jener Teil, der eines
Tages erwerbstätig sein würde. Sie hatten also eine
Existenzberechtigung, auch auf dieser Party, und ich zollte
ihnen Respekt."
(2004, S.78) |
Sind die Nerds eigentlich
nicht partyfähig, so sind die Partymänner Opfer im Spiel der
Partyfrauen:
Die Jugend von heute
"»Ich habe früh die
Erfahrung gemacht, daß ich jeden Mann haben kann. Jetzt macht es
mir nur noch Spaß, mit ihnen zu spielen.«
Sie flirtete, bis der Mann zuschnappte, und damit war das Spiel
zu Ende. Er hatte verloren, und Julia spielte mit dem nächsten.
Das konnten viele werden pro Ausgehnacht."
(2004, S.147) |
Schöne junge Welt
In München findet Jolo den
Prototyp der ewigen goldenen Peter-Pan-Jugend:
Die Jugend von heute
"Elias' jugendliche
Freunde kamen in der ersten Hälfte der 80er Jahre zur Welt und
hatten Eltern, die in der ersten Hälfte der 70er Jahre so jung
gewesen waren wie sie heute. 1971 war Julias Vater so alt
gewesen wie Julia heute, nämlich 19. Die Jugend von heute war
somit das direkte Produkt der glücklichsten, sorgenfreiesten,
reichsten und gebildesten Jugend aller Zeiten, der
70er-Jahre-Jugend. Daher waren die alle so unbeschwert und
offen, diese Happy Few. Ein paar Hunderttausend mochten es sein,
die meisten davon aus Schwabing. Ich begann endlich wieder,
Gefallen an dieser Jugend von heute zu finden. Denn es war die
von gestern, und es gab sie nur hier. Die ewige Münchner Jugend.
Die vom Hohenzollernplatz.
Ich war mir sicher, Elichen würde auch noch in fünf Jahren nach
seinem Ausweis gefragt werden, vom Türsteher. Er würde keine
Freundin haben und alle Frauen anbeten, die ihn abwiesen. Er
würde immer 18 bleiben. Forever jung."
(2004, S.151f.) |
Bei der Popmutter Elke
BUHR wird aus dieser LOTTMANNschen Romanjugend die Realität der
deutschen Gegenwartsjugend:
Grüße
aus Neverland
"Die heute
Dreißigjährigen, die mit dem Kinderkriegen dran wären,
verzichten nicht wegen der schlechten Infrastruktur auf
Nachwuchs - wer über Kindergartenplätze nachdenkt, ist ja
immerhin schon so weit, dass er sich überhaupt vorstellen
könnte, ein Kind zu bekommen. Nein, ein beachtlicher Teil dieser
Generation hat sich das Leben so eingerichtet, dass Kinder gar
nicht darin vorkommen müssen - ihr Platz ist bereits von den
Erwachsenen besetzt."
(Frankfurter Rundschau vom 26.01.2005) |
BUHR verweist mit ihrer
pessimistischen Sicht auf das neue Buch von Claudius SEIDL:
Schöne junge Welt
nimmt den roten Faden auf, den LOTTMANN
mit seinem Roman vorgegeben hat.
Die neue Front im Demografiekrieg
Ulrike WINKELMANN hat in
der taz gemeldet, dass der Jahrgang
1965 statt der von Herwig BIRG prophezeiten
fast 33 %, nur zu höchstens 20 % lebenslang kinderlos bleiben
wird (vgl. "Nachwuchssorgen seit 125 Jahren.", taz
21.01.2005). Nun
da also die Horrorszenarien für die Mitte der 1960er Jahre
Geborenen nicht mehr haltbar sind, geraten die nach 1970
Geborenen ins Visier unserer Demografen. Bereits
im Jahr 2003 hat der Bevölkerungswissenschaftler Gert HULLEN ("Tempo
und Quantum der Reproduktion") das
geringere Ausmaß der lebenslangen Kinderlosigkeit nachgewiesen
(was aus polit-strategischen Gründen aber nicht öffentlich
gemacht wurde), andererseits hat er jedoch darauf hingewiesen,
dass nicht die Generationszugehörigkeit, sondern die spätere
Partnerschaftsbildung das höhere Erstgebäralter erklärt:
Tempo
und Quantum der Reproduktion
"Die hier gegebene
Schlussfolgerung, dass vor allem der Aufschub der
Partnerschaftsbildung (Ehen und nichteheliche
Lebensgemeinschaften) ein vermindertes Tempo der Geburten zur
Folge hatte, führt zur Frage, unter welchen Umständen denn diese
Partnerschaften aufgenommen wurden".
(aus: Partnerschaft und Familiengründung 2003, S.40) |
HULLEN hat für die ab 1970
geborenen Frauen eine signifikant niedrigere Geburtenneigung
nachgewiesen, eine Tatsache, die sich im steigenden
Erstgebäralter ausdrückt. Die
Frage ist also, ob die nach 1970 geborenen Frauen ihre Geburten
im späteren Alter nachholen, denn HULLEN konnte keinen direkten
Zusammenhang zwischen Erstgebäralter (Tempo) und
Geburtenhäufigkeit (Quantum) feststellen. Dies zeigt sich an dem
Gebärverhalten der in den 1960er Jahren geborenen Frauen:
Tempo
und Quantum der Reproduktion
"Bei
den vor 1960 geborenen Frauen lag die Kinderlosigkeit bei
ungefähr 16 Prozent, bei den jüngeren, den zwischen 1950 und
1959 Geborenen, ein bisschen darüber. Die Kohorte der in den
60er Jahren Geborenen aber bekam noch bis über 35 Jahre hinaus
häufiger erste Kinder, »überholte« dabei die älteren Frauen
und hatte schließlich eine geringere Kinderlosigkeit (14
Prozent). Die Geburtenrate dieser Kohorte blieb auch in der
zweiten Hälfte der fertilen Phase, Jahre nach dem Median, sehr
hoch, während sie bei den früheren Kohorten bald (...)
abflachte."
(aus:
Partnerschaft und Familiengründung
2003, S.32f.) |
Es könnte also gut sein, dass
die Befürchtungen eines höheren Ausmaßes der Kinderlosigkeit bei
den nach 1970 geborenen Frauen unbegründet ist. Dies
legt zumindest die Betrachtung des Bevölkerungswissenschaftlers
Jürgen DORBRITZ aus dem Jahr 2004 nahe, der bei den jüngeren
Jahrgängen einen leichten Anstieg der
endgültigen Kinderzahl für möglich hält. Seine Untersuchung
umfasst die Geburtsjahrgänge zwischen 1960 und 1980 (vgl.
"Nur Tempoeffekte, aber kein Babyboom" in den
BIB-Mitteilungen Nr.2 v. 22.06.2004).
Wie
dem auch sei, Partnerlosigkeit
ist in den letzten Monaten in den Mittelpunkt der
Demografiedebatte gerückt. Die
Single-Studie 2005 im Auftrag von Parship hat gezeigt,
dass Alleinleben nicht mit Partnerlosigkeit verwechselt werden
darf. Das
größere Problem könnte die Gesellschaft der
Nesthocker sein.
Fazit: Die Popkultur erneuert sich
LOTTMANN hat mit Jugend
von heute die Themen vorgegeben, die in der neokonservativen
Debatte der nächsten Jahre den Takt vorgeben werden. Im
zunehmenden Maße konvertieren Partymenschen zu
Kreuzzüglern gegen die Jugendkultur. Das
Neue daran ist: die Kritiker der Popkultur kritisieren diese
Kultur mit popkulturellen Mitteln. Nicht
jeder muss dabei zum Familienfundamentalisten avancieren wie
Joachim BESSING. Jugendkultur
war gestern, die alternde Gesellschaft definiert die
gesellschaftlichen Verhältnisse neu. Die Popkultur wird sich
wandeln oder sie wird nicht sein.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der "Single-Gesellschaft"
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
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