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Debatte

 
       
   

Joachim Lottmann

 
       
   

Die Jugend von heute. Oder: Die neue deutsche Onkelliteratur - Die Kreuzzügler des Pop

 
       
     
       
   
     
 

Zitate: Die Berliner Krankheit

eva denkt an klaus und sie ruft ihn oft an
mit herzklopfen denkt sie: er geht sicher nicht dran
und wenn sie ihn erreicht, hat er keine zeit
so geht das jetzt seit wochen, sie ist es noch nicht leid

klaus denkt nicht an eva, er ruft sie auch nicht an
wenn das telefon klingelt, geht er einfach nicht ran
und wenn er sie mal trifft, hat er keine zeit
so geht das jetzt seit wochen und er ist es langsam leid

klaus denkt an gabi und ruft sie auch oft an
trotz herzklopfen denkt er: sie geht sicher nicht ran
und wenn er sie erreicht, hat sie keine zeit
so geht das jetzt seit wochen und er ist es noch nicht leid

(...)

und ich lieb sie alle und kann mich nicht entscheiden
und ehe daß ich nen korb krieg, laß ich es besser gleich bleiben
ich bin auch viel zu schüchtern und hab keine zeit
so geht das jetzt seit wochen und ich bin es längst leid
(aus:
keiner hat zeit von Pit Budde, Cochise 1982, Album "Unter Geiern")

Die Jugend von heute

"Die Berliner Krankheit (...). In Berlin liebte niemand den, der ihn liebte. Nicht in der Jugend. Und in Berlin gab es nur Jugend. Und Rentner natürlich, aber die zählten nicht, die wurden sowenig wahrgenommen wie ihre Wesensverwandten, die Toten."
(2004, S.73)

Der Tabubrecher

Wie Ulrich BECK ist Joachim LOTTMANN ein reflexiver Sowohl-als-auch-, und kein simpler entweder-oder-Autor. Die hier vorgestellte Lesart betrachtet das LOTTMANNSCHE vor dem Hintergrund jenes Zeitgeistes, der gegenwärtig die Berliner Republik hysterisiert. LOTTMANN hat kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman. Aber seit Michel HOUELLEBECQ ist klar: Fiktion ist nur eine andere Form der Realitätsbeschreibung. Und mittlerweile ist das sogar ein Fall für die Literatursoziologie. LOTTMANN hat ein "Buch ohne Familiennamen" verfasst. Als Merkmal dieses Genres hebt Michael RUTSCHKY hervor:

Bücher ohne Familiennamen

"literarische Form (...), die merkwürdig zwischen Poesie und Reportage changiert und die grundsätzlich an die Zeitungen der großen Stadt, an die Existenzform des Städtebewohners geknüpft ist".
(Merkur, Februar 2001)

LOTTMANN berichtet vom großstädtischen Clubleben in Berlin und München und seine Prosa ist unverkennbar anschlussfähig an die Feuilletons der Mitte-Zeitungen. RUTSCHKY behauptet, dass Bücher ohne Familiennamen gegenwärtig die fruchtbarsten seien, aber ständig Gefahr liefen, der monologischen Rechthaberei zu verfallen. LOTTMANN entgeht vordergründig dieser Gefahr, indem er seine Aussagen immer wieder relativiert. LOTTMANN bricht ständig Tabus und nimmt sie sofort wieder zurück, aber das Gesagte ist in der Welt. Vorbild ist auch hier HOUELLEBECQ. Ist also LOTTMANN der "deutsche Hullebeck", wie ein Spiegel-Redakteur behauptet hat? Auf alle Fälle ist er keine Biederfrau wie Sophie DANNENBERG ("Das bleiche Herz der Revolution", 2004) , denn im Gegensatz zu ihr, wirkt das Spiel mit dem Feuer popkulturell versiert.

Die Rezensionen beschäftigten sich primär mit der Person LOTTMANN, dessen oberflächlich gesehener Unernst die Rolle des Hofnarren nahe legt. LOTTMANN darf sagen, was alle nur denken, aber nicht zu sagen wagen. Narren an die Front! Von der FAZ wurde LOTTMANN bereits vor einiger Zeit zum Vater der Popliteratur ausgerufen. Mit seinem neuen Buch wird er zum Avantgardisten des Anti-Pop. LOTTMANN beschreibt die Jugend in Zeiten des demografischen Wandels:

Die Jugend von heute

"Es fiel mir schwer, die Leute weiter zu beobachten. Aufgeschwemmte, unsportliche Fettsäcke, auf uns zuwankend, schwankend, verblödet im lebenslangen Konsumieren, lange vor der zeit und ohne Not invalide, lebende Tote, unfit und unvital. Die wenigen verbleibenden Kinder benahmen sich wie Könige, wie Tyrannen. Kein Wunder, sie waren die letzten Menschen in diesem Romero-Film. Die ahnten schon jetzt, daß sie ihr Leben nicht in der Rentnerhölle Deutschland verbringen würden. Sollte jeder von ihnen später 23 Rentner durchfüttern? Sie wären ja verrückt!"
(2004, S.22)

Ein Panoptikum der neokonservativen Sicht auf die Jugend von heute

Dem Clubbesitzer Hundertmark, der als zentrale Figur der Berliner Clubszene beschrieben wird, klagt Onkel Jolo, wie der Ich-Erzähler Johannes Lohmer genannt wird, sein Leid:

Die Jugend von heute

"ich habe Ängste. Meiner Mutter zu verdanken. Schreiend liegengelassen hat man mich. Das kriegt man nicht mehr raus. Das Verlorenheitsgefühl, man kultiviert es. Eher, weil es einen sowieso beherrscht. Die Brust hat man mir verweigert! Das erste und einzige wirkliche Geborgenheitsgefühl, der mütterliche Herzschlag, die Kopfstütze, die Umarmung verwehrt - was einem bleibt, ist mangelnde Bindungsfähigkeit, unsteter Blick, desolater Kiefer, schlechte Zähne - Selbstzerstörungstrieb. Meine Eltern, diese Victims, sind heute noch total in sich gestülpt und kommen aus ihrer deutsch-trotzigen Rolle nicht raus. Verkappte Faschos."
(2004, S.32f.)

Einen Mangel an Mütterlichkeit konstatierte unlängst Hans-Joachim MAAZ und die Erziehungsnotstandsliteratur à la Susanne GASCHKE. Nicht nur die Rabenmutter, sondern auch die vaterlose Gesellschaft begegnet uns bei LOTTMANN auf Schritt und Tritt:

Die Jugend von heute

"Wirklich erschreckend war, daß diese ganzen Kids von alleinerziehenden Medientanten überhaupt keinen Bezug zum anderen Geschlecht bekamen."
(2004, S.46)

Die Single-Mütter-Gesellschaft der Neuen Mitte hat den Softie hervorgebracht, der gegenüber den Machos aus den virileren Völkern ins Hintertreffen gerät:

Die Jugend von heute

"Er beschwerte sich doch tatsächlich darüber, daß die Türkenjungs mit ihrer harten Hand mehr Chancen hätten als er, David, mit seiner respektvollen Art, die er von seiner alleinerziehenden deutschen Mutter mitbekommen hatte. Die Türken behandelten Frauen grundsätzlich als Untergebene. Da hieß es nur: Komm her, Frau, setz dich neben mich, halt den Mund. Und die Frauen gehorchten. Und zwar bereitwillig. Und gingen zum Türken und ließen ihn, David, links liegen."
(2004, S.85)

Jolos besondere Sorge gilt dem Neffen Elias, dem er so etwas wie ein sozialer Vater ist:

Die Jugend von heute

"Eine maßlose Wut stieg in mir auf. Er verliebte sich in jede unbedeutende Tusse, wenn sie nur blöd genug war, ihn zu verkennen und abzuweisen. Denn nur bei solchen Tussen konnte er sicher sein, daß es zu keiner Beziehung kam. Er war ganz einfach schwul und wußte: Bei einer Beziehung mit einer Frau würde alles auffliegen. Und so wie er war seine ganze verdammte Generation. Weil sie alle bei der alleinerziehenden Mutter aufgewachsen waren. Weil der Vater versagt hatte. Weil ICH versagt hatte."
(2004, S.156)

Die Jugend von heute schafft nicht einmal den ersten Schritt in die Erwachsenenwelt. Sie ist bindungsunfähig und fällt deshalb immer auf den gleichen Frauentyp herein. Jolo nennt das die Berliner Krankheit. Jolo fühlt sich verantwortlich, weil er als sozialer Vater versagt hat. Aber nicht nur das, er ist der Ansicht, dass nur er die Jugend von heute retten kann, denn er ist der Erste, der das wahre Ausmaß des Problems erkennt:

Die Jugend von heute

"Die von mir so bewunderte und engagierte Jugend von heute war vollkommen krank. Und zwar in einem Ausmaß, das noch keiner vor mir erkennt hatte. Mehr noch: Definierte man die Jugend als die Zeit nach der Kindheit und vor der Berufstätigkeit, so gab es seit den 90er Jahren gar keine Jugend mehr. Keiner erreichte mehr postpubertäre Reife. Ich war der letzte lebende Teenager. Ich hatte es noch erlebt: Petting, Matratzenpartys, Pink Floyd, Liebesbriefe, nackt im Wald liegen und sich stundenlang in die Augen schauen. Derartiges ist der Jugend von heute ganz und gar unbekannt. Das kennen sie noch nicht einmal aus dem Kino."
(2004, S.48f.)

Die Jugend von heute, das sind nicht nur die Zwanzigjährigen, sondern mehr noch die Dreißigjährigen:

Die Jugend von heute

"Es ist an der Zeit, das genaue Alter der Beteiligten zu verraten. Damit der Leser das Ausmaß der gesellschaftlichen Fehlentwicklung erkennt. Die äthiopische Schönheitskönigin ist 30 Jahre als. Der echt süße Junge alias die Liebe ihres Lebens ist 32 Jahre alt. Beide sind sie in ihrer mental-sexuellen Entwicklung in der Pubertät stehengeblieben. Wie so ziemlich alle ihre Freunde.
Das hat die Aids-Lüge aus jener Generation gemacht. Zwar titeln endlich die ersten Zeitungen »Gibt es Aids überhaupt noch?«, aber es ist zu spät. (...). Ich nahm an, daß sei sogar beim Essen Kondome über Messer und Gabel stülpte. Aber im Grund waren alle nach 1970 Geborenen so."
(2004, S.47f.)

Onkel Lohmer sagt seinem Neffen Elias deutlich, was er von ihm erwartet:

Die Jugend von heute

"»Es täte dir ganz gut, mal ein sogenanntes anständiges Mädchen zu haben, mein Sohn, das Ordnung in dein ekelhaftes De-facto-Schwulenleben bringt! Seit zehn Jahren seh' ich mir das an! Es ist nicht mehr zu ertragen! Dann doch lieber ein 'Playboy'-Lifestyle als so was!«"
(2004, S.170)

Die Kanakster-Kultur als die virilere Kultur

Onkel Lohmer besucht in Berlin eine Handelsschule. Dort wird die Zukunft Deutschlands sichtbar:

Die Jugend von heute

"Die Klasse bestand aus Polen, Bosniern, Serben, Afghanen und natürlich Türken und Kurden. Dazu gab es noch einen Deutschen. Der war aber klein und nicht für voll zu nehmen. Er verschwand hinter den Rücken der großen Türkenjungen, wirkte wie 14, trug einen doofen Ossi-Haarschnitt."
(2004, S.89)

Seit Jahren beschwört der nationalkonservative Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG die deutsche Minderheitengesellschaft:

"Von Zuwanderung profitiert vor allem der Migrant, nicht der Staat"

"In vielen Großstädten wird schon ab 2010 der Anteil der Zugewanderten bei den unter 40-Jährigen die 50-Prozent-Schwelle erreichen bzw. überschreiten. Dann stellt sich die Frage, wie sich Deutsche in eine neue Mehrheitsgesellschaft von Zuwanderern integrieren können."
(Frankfurter Rundschau vom 18.01.2002)

Bei LOTTMANN ist dieser Zustand bereits heute erreicht. Freundschaft ist das neue Integrationsmuster der multikulturellen Gesellschaft:

Die Jugend von heute

"»Freundschaft«. Das Wort fiel auffallend oft. Wenn ich den Kids glauben durfte, sahen sie nicht einmal zwischen Migranten und Deutschen einen Unterschied, also nicht bei den jungen Leuten. Es gab nur Freunde und den Rest der Menschheit. Wobei offenblieb, welche Gruppe größer war, denn sie hatten viele Freunde. Wenn ich an Elias und seine Leute dachte, machte das Sinn. Der Anteil der Deutschen entsprach ungefähr ihrem statistischen Anteil der entsprechenden Jahrgänge in den großen Städten. In Berlin schätze ich ihn auf ein Drittel."
(2004, S.91)

In München erfährt Lohmer die Subproletarisierung Deutschlands:

Die Jugend von heute

"In der Stadt mußten inzwischen weit mehr Ausländer als Deutsche leben, von bayrischen Ureinwohnern ganz zu schweigen. Vielleicht klangen die fremden Sprachen auch nur aggressiver. Oder sie wurden aggressiver ausgesprochen. Es handelte sich womöglich um den restriktiven Code, der allen Unterschichten gemein war."
(2004, S.139)

Hier wird auch die Schlampigkeit von LOTTMANNs Lektorat deutlich. Natürlich ist den Unterschichten kein restriktiver, sondern ein restringierter Code zu eigen, im Gegensatz zum elaborierten Code der Neuen Mitte. Wer wissen will, wovon LOTTMANN redet, der liest am besten die frühen Bücher von Feridun ZAIMOGLU, dem Erfinder der Kanak-Sprak, der als einziger deutschsprachiger Romanautor in der neu erschienenen  US-amerikanischen New History of German Literature erwähnt wird.

Die Partnerschaft ist bei Migranten kein Krisengebiet, sondern Mann und Frau sind eine prästabilisierte Passform:  

Die Jugend von heute

"»Sie muß nett sein? Nicht cool?«
Alle nickten vielsagend, auch die Schülerinnen. Das war nun doch eine Differenz zur Highschool-Elias-Welt, dem bildungsbürgerlichen Muttersöhnchen-Kosmos, in dem die Girls die Kälte geklonter Eisblumen haben mußten. Nein, Nachwuchsdominas bekamen bei den Kanakstern keine Schnitte."
(2004, S.93)

Alleinsein ist bei LOTTMANN der Preis der Emanzipation, wie die Weltwoche feststellte (vgl. Beatrice SCHLAG "Kein Salz auf unserer Haut", Weltwoche 13.01.2005).

In der SZ widmet sich seit dem 22.01.2005 gleich eine ganze Serie den Ermittlungen im Krisengebiet. Jolo beschreibt die Traumfrau seines Neffen Elias folgendermaßen:

Die Jugend von heute

"Frauen mußten bei ihm immer den Kindskörper einer 13jährigen haben, die Frechheit einer frühreifen Schlampe, die Überlegenheit einer Yale-Professorin und die Grausamkeit einer rumänischen Ex-Diktatorengattin."
(2004, S.131)

Die Folge ist, dass die Jugend von heute nur noch virtuelle Beziehungen pflegt:

Die Jugend von heute

"Alle Jungen seiner Generation dachten wie er und hatten ihre Chat-Verlobten in der Ukraine, in Pakistan und Kanada. Sie hielten das für völlig normal. Sie chatteten die ganze Nacht, zahlten jeden Monat 500 Euro für die Telefonrechnung und waren schon deswegen heillos verschuldet. Sei besaßen die Ganzkörpernacktfotos ihrer makellosen Perfektionsfrauen auf dem Bildschirm in der Ruhestellung (»sleep«). Mit den Frauen in ihrer Stadt gaben sie sich nicht ab, denn das waren Schlampen, die sich von Ausländern ficken ließen. Das sagen sie natürlich nie, die Chat-Jungs, dachten es aber um so ergrimmter."
(2004, S.118)

LOTTMANN lässt keinen Zweifel, dass das Chatten eine Loser-Strategie ist:

Die Jugend von heute

"Chatten war etwas für Loser, wie früher das Reagieren auf Kontaktanzeigen. Nur waren heute alle Loser, denn alle chatteten."
(2004, S.122)

Chatten ist etwas für Nerds, denen man auf Partys höchstens mit Respekt begegnet, weil sie später einmal die Erwerbstätigengesellschaft in Gang halten:

Die Jugend von heute

"Nerds. Das waren alles Leute, die seit fünf oder zehn Semestern die höhere Mathematik der Computertechnik studierten und entsprechend aussahen. Sie trugen Brillen und hatten noch niemals eine Frau umarmt. Tagsüber saßen sie zehn Stunden vor dem Screen und abends ebenfalls, diesmal vor den Pornosites aus dem Internet. Es war unmöglich, sich mit ihnen zu unterhalten. Aber es war klar: Auch sie waren die Jugend von heute, und zwar jener Teil, der eines Tages erwerbstätig sein würde. Sie hatten also eine Existenzberechtigung, auch auf dieser Party, und ich zollte ihnen Respekt."
(2004, S.78)

Sind die Nerds eigentlich nicht partyfähig, so sind die Partymänner Opfer im Spiel der Partyfrauen:

Die Jugend von heute

"»Ich habe früh die Erfahrung gemacht, daß ich jeden Mann haben kann. Jetzt macht es mir nur noch Spaß, mit ihnen zu spielen.«
Sie flirtete, bis der Mann zuschnappte, und damit war das Spiel zu Ende. Er hatte verloren, und Julia spielte mit dem nächsten. Das konnten viele werden pro Ausgehnacht."
(2004, S.147)

Schöne junge Welt

In München findet Jolo den Prototyp der ewigen goldenen Peter-Pan-Jugend:

Die Jugend von heute

"Elias' jugendliche Freunde kamen in der ersten Hälfte der 80er Jahre zur Welt und hatten Eltern, die in der ersten Hälfte der 70er Jahre so jung gewesen waren wie sie heute. 1971 war Julias Vater so alt gewesen wie Julia heute, nämlich 19. Die Jugend von heute war somit das direkte Produkt der glücklichsten, sorgenfreiesten, reichsten und gebildesten Jugend aller Zeiten, der 70er-Jahre-Jugend. Daher waren die alle so unbeschwert und offen, diese Happy Few. Ein paar Hunderttausend mochten es sein, die meisten davon aus Schwabing. Ich begann endlich wieder, Gefallen an dieser Jugend von heute zu finden. Denn es war die von gestern, und es gab sie nur hier. Die ewige Münchner Jugend. Die vom Hohenzollernplatz.
Ich war mir sicher, Elichen würde auch noch in fünf Jahren nach seinem Ausweis gefragt werden, vom Türsteher. Er würde keine Freundin haben und alle Frauen anbeten, die ihn abwiesen. Er würde immer 18 bleiben. Forever jung."
(2004, S.151f.)

Bei der Popmutter Elke BUHR wird aus dieser LOTTMANNschen Romanjugend die Realität der deutschen Gegenwartsjugend:

Grüße aus Neverland

"Die heute Dreißigjährigen, die mit dem Kinderkriegen dran wären, verzichten nicht wegen der schlechten Infrastruktur auf Nachwuchs - wer über Kindergartenplätze nachdenkt, ist ja immerhin schon so weit, dass er sich überhaupt vorstellen könnte, ein Kind zu bekommen. Nein, ein beachtlicher Teil dieser Generation hat sich das Leben so eingerichtet, dass Kinder gar nicht darin vorkommen müssen - ihr Platz ist bereits von den Erwachsenen besetzt."
(Frankfurter Rundschau vom 26.01.2005)

BUHR verweist mit ihrer pessimistischen Sicht auf das neue Buch von Claudius SEIDL: Schöne junge Welt nimmt den roten Faden auf, den LOTTMANN mit seinem Roman vorgegeben hat.

Die neue Front im Demografiekrieg

Ulrike WINKELMANN hat in der taz gemeldet, dass der Jahrgang 1965 statt der von Herwig BIRG prophezeiten fast 33 %, nur zu höchstens 20 % lebenslang kinderlos bleiben wird (vgl. "Nachwuchssorgen seit 125 Jahren.", taz 21.01.2005). Nun da also die Horrorszenarien für die Mitte der 1960er Jahre Geborenen nicht mehr haltbar sind, geraten die nach 1970 Geborenen ins Visier unserer Demografen. Bereits im Jahr 2003 hat der Bevölkerungswissenschaftler Gert HULLEN ("Tempo und Quantum der Reproduktion") das geringere Ausmaß der lebenslangen Kinderlosigkeit nachgewiesen (was aus polit-strategischen Gründen aber nicht öffentlich gemacht wurde), andererseits hat er jedoch darauf hingewiesen, dass nicht die Generationszugehörigkeit, sondern die spätere Partnerschaftsbildung das höhere Erstgebäralter erklärt:

Tempo und Quantum der Reproduktion

"Die hier gegebene Schlussfolgerung, dass vor allem der Aufschub der Partnerschaftsbildung (Ehen und nichteheliche Lebensgemeinschaften) ein vermindertes Tempo der Geburten zur Folge hatte, führt zur Frage, unter welchen Umständen denn diese Partnerschaften aufgenommen wurden".
(aus: Partnerschaft und Familiengründung 2003, S.40)

HULLEN hat für die ab 1970 geborenen Frauen eine signifikant niedrigere Geburtenneigung nachgewiesen, eine Tatsache, die sich im steigenden Erstgebäralter  ausdrückt. Die Frage ist also, ob die nach 1970 geborenen Frauen ihre Geburten im späteren Alter nachholen, denn HULLEN konnte keinen direkten Zusammenhang zwischen Erstgebäralter (Tempo) und Geburtenhäufigkeit (Quantum) feststellen. Dies zeigt sich an dem Gebärverhalten der in den 1960er Jahren geborenen Frauen:

Tempo und Quantum der Reproduktion

"Bei den vor 1960 geborenen Frauen lag die Kinderlosigkeit bei ungefähr 16 Prozent, bei den jüngeren, den zwischen 1950 und 1959 Geborenen, ein bisschen darüber. Die Kohorte der in den 60er Jahren Geborenen aber bekam noch bis über 35 Jahre hinaus häufiger erste Kinder, »überholte« dabei die älteren Frauen und hatte schließlich eine geringere Kinderlosigkeit (14 Prozent). Die Geburtenrate dieser Kohorte blieb auch in der zweiten Hälfte der fertilen Phase, Jahre nach dem Median, sehr hoch, während sie bei den früheren Kohorten bald (...) abflachte."
(
aus: Partnerschaft und Familiengründung 2003, S.32f.)

Es könnte also gut sein, dass die Befürchtungen eines höheren Ausmaßes der Kinderlosigkeit bei den nach 1970 geborenen Frauen unbegründet ist. Dies legt zumindest die Betrachtung des Bevölkerungswissenschaftlers Jürgen DORBRITZ aus dem Jahr 2004 nahe, der bei den jüngeren Jahrgängen einen leichten Anstieg der endgültigen Kinderzahl für möglich hält. Seine Untersuchung umfasst die Geburtsjahrgänge zwischen 1960 und 1980 (vgl. "Nur Tempoeffekte, aber kein Babyboom" in den BIB-Mitteilungen Nr.2 v. 22.06.2004). 

Wie dem auch sei, Partnerlosigkeit ist in den letzten Monaten in den Mittelpunkt der Demografiedebatte gerückt. Die Single-Studie 2005 im Auftrag von Parship hat gezeigt, dass Alleinleben nicht mit Partnerlosigkeit verwechselt werden darf. Das größere Problem könnte die Gesellschaft der Nesthocker sein.

Fazit: Die Popkultur erneuert sich

LOTTMANN hat mit Jugend von heute die Themen vorgegeben, die in der neokonservativen Debatte der nächsten Jahre den Takt vorgeben werden. Im zunehmenden Maße konvertieren Partymenschen zu Kreuzzüglern gegen die Jugendkultur. Das Neue daran ist: die Kritiker der Popkultur kritisieren diese Kultur mit popkulturellen Mitteln. Nicht jeder muss dabei zum Familienfundamentalisten avancieren wie Joachim BESSING. Jugendkultur war gestern, die alternde Gesellschaft definiert die gesellschaftlichen Verhältnisse neu. Die Popkultur wird sich wandeln oder sie wird nicht sein.

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
          
 Die Rede von der "Single-Gesellschaft" rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden, entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen Modernisierungsverlierer."

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 16. Februar 2005
Update: 25. November 2018