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Zitate:
Seidl 1995 - Als die Generation 40 Plus noch die Generation 30
Plus war. Oder wie aus der Not eine Tugend wurde...
Gnadenlos glücklich
"Du warst
ein Kind in den optimistischen 60ern. Du warst ein Teenager in
den freizügigen 70ern. Du wurdest erwachsen in den reichen
80ern. Du bist immer ganz oben geschwommen auf den Wellen des
Reichtums und der Moden. Du hast die Heiterkeit der 60er
erlebt und warst doch zu jung, um Kennedy oder Malcolm X zu
betrauern. Du hast die sexuelle Revolution nicht erkämpft, du
hast sie einfach genossen. Und mit dem Establishment, mit den
Veteranen der Revolte hast du dich auch erst angelegt, als
diese Leute schon ziemlich müde waren.
Es warst nicht du, der soweit gekommen ist. Es waren die
Wellen, auf denen du surftest. Du hast trotzdem Angst vor der
nächsten großen Welle. Und noch mehr Angst davor, daß keine
neuen Wellen kommen könnten. Das Schlimmste ist die
Einsamkeit".
(Claudius Seidl,
1995, S.23)
"Wenn (...)
die »Thirtysomethings« der 90er Jahre es mittlerweile für
nötig halten, sich selbst als Generation zu beschreiben, eine
Altersgruppe, die eigentlich erwachsen handeln und nicht im
Namen der Jugend die Zukunft für sich fordern sollte - dann
ist nicht nur die Altersstruktur dieser Gesellschaft völlig
durcheinander geraten."
(Claudius Seidl,
1995, S.99) "Sie saßen
in der Küche und spielten Ehekrach.
»Wann wirst du endlich erwachsen?« fragte sie gereizt.
»Ich bin erwachsen. Seit Jahren. Ich bin vierunddreißig.«
»Na und. Du benimmst dich aber so, als ob du noch immer bei
deiner Mutter wohnst, die deinen Dreck wegräumt.«
»Ich bin eben ein bißchen schlampig. Vermutlich werde ich mit
siebzig noch schlampig sein.«
»Soll das heißen, daß du nie erwachsen wirst?«
»Keine Ahnung. Wer ist schon erwachsen.«"
(Claudius Seidl,
1995, S.114)
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Glänzende Oberflächen über dem Abgrund
Um es gleich vorweg zu
nehmen: Claudius SEIDL hat ein wichtiges Thema grandios
verspielt. SEIDL
hat eigentlich zwei Bücher geschrieben: eines über den
Siegeszug der Jugendlichkeit in der postmodernen Welt und
eines über die Abgründe, die sich nun vor der selbsternannten
Avantgarde auftun. Es
hängt mit den blinden Flecken dieses selbstgefälligen Milieus
zusammen, dass die Beschreibung der glänzenden Oberflächen aus
Film, Werbung und Lifestyle besser gelingt als die Annäherung an
die eigenen Abgründe. SEIDL
ist ein Softi, der allen gefallen möchte, weswegen sein Buch
weder jene zufrieden stellen wird, die in schöne junge welt
eine Rechtfertigung des Lebensstils der Single-Generation
sehen möchten, noch wird es jene befriedigen, die sich als
Agenten der neuen Ernsthaftigkeit verstehen und deshalb
von SEIDL & Co. eine schonungslose Selbstanklage erwarten. Vielmehr
verstärkt das Buch ein diffuses Lebensgefühl, dass irgendetwas
nicht stimmt. Aber was? Darauf bleibt SEIDL wohlweislich die
Antwort schuldig. Single-generation.de
spitzt deshalb hier den Konflikt zu, der bei SEIDL nur
untergründig spürbar wird, weil er zwar den Abschied von der
Jugendlichkeit irgendwie nahe legt, aber sich dabei alle
Optionen offen halten möchte.
Die Generation Vierzig Plus als Avantgarde
Gnadenlos glücklich
"Matthias
Horx hat den Generationsbegriff für immer versaut, und
»wir« mag man nach Horx auch nicht mehr allzu häufig
sagen. Denn dieses »Wir« soll nur davon ablenken, wie
schwammig die Konturen des Ichs sind, das da spricht. Und
was Horx zu einer Generation erklärt, ist nur die höchst
beschränkte eigene Lebenswelt, ein paar Altbauwohnungen
samt Inventar und Bewohner in Frankfurt am Main".
(1995, S.77) |
SEIDL gehört zu jenen, die
zur Revolte zu spät kamen und für den neuen
Familienfundamentalismus zu früh. Reinhard
MOHR hat das Lebensgefühl dieser Zaungäste, die ihre
eigene Bedeutungslosigkeit zelebrieren, als erster beschrieben. Diese
so genannten 78er galten lange als randständige
Zwischengeneration. Zwischen den 68ern und der Generation Golf
blieb ihnen kein Spielraum für ein eigenes Profil. Spätestens
seit Paul NOLTE jedoch die Generation Reform ausgerufen
hat, drängt es die Generation Vierzig Plus zur Profilierung,
um im Kampf der Generationen um die mediale
Aufmerksamkeit doch noch zu punkten
. Mit
Frank SCHIRRMACHERs Methusalem-Komplott legt diese
Generation ihren ersten Sachbuch-Bestseller vor. Nun
hat sich also mit Claudius SEIDL der Feuilletonchef der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu Wort gemeldet. Während
SCHIRRMACHER die vergreisende Gesellschaft beschwört hat, möchte
SEIDL - in guter Arbeitsteilung - der Generation 40 + ein
positiveres Image verschaffen und eine zentrale Rolle in der
alternden Gesellschaft zuweisen.
Die Revolution der Lebensläufe
schöne junge welt
"Die apokalyptische Vision
von der vergreisenden Gesellschaft setzt, mehr oder weniger
selbstverständlich, voraus, daß (...) unsere Biographie-Baupläne
diesselben wie in den vergangenen Jahrhunderten sind, kurz: daß
es die Revolution der Lebensläufe nicht gegeben hat."
(2005, S.155) |
Mit der Revolution der
Lebensläufe sind bei SEIDL eigentlich drei verschiedene
Sachverhalte gemeint, die der Autor jedoch nicht ausreichend
unterscheidet (siehe hierzu näher den begriffsanalytisch
aufschlussreicheren Essay von Stefan BOLLMANN im Merkur
vom März 2005). Dieses
begriffstheoretische Defizit ist auch der entscheidende Grund, warum SEIDLs
Buch eher ratlos macht, als dass es Lösungswege aufzeigen
könnte. SEIDL
schwankt in seinen Erklärungsversuchen zwischen
biologistischen, ökonomistischen und kulturalistischen
Deutungsmustern, während der Aspekt gesellschaftlicher
Zwänge unterbelichtet bleibt. Die
Revolution der Lebensläufe ist spätestens seit den 1970er Jahren
ein Thema der Gesellschaftswissenschaften. Diese 30jährige
Wissenschaftsgeschichte wird bei SEIDL völlig unterschlagen.
Dies liegt u. a. darin begründet, dass SEIDL lieber das modische
Generationenthema bedienen möchte.
Der
Soziologe Martin KOHLI hat in Deutschland die
Lebenslaufforschung mitbegründet. Im Gegensatz zu SEIDL wird
in dieser Sicht den gesellschaftlichen Institutionen bei der
Gestaltung der Lebensläufe eine zentrale Rolle zugewiesen. Die
Revolution der Lebensläufe wäre in dieser Sicht eine Folge des gesellschaftlichen Strukturwandels vom industriellen zum
postindustriellen Lebenslaufregime. Dass
dies nicht in SEIDLs Blick gerät, ist die Konsequenz der
Verengung auf das individualisierte Milieu, also auf eine
gesellschaftliche Teilgruppe, die durch das postindustrielle
Lebenslaufregime geprägt ist. Individualisierung
wäre deshalb auch das erste Schlagwort, mit dem diese Revolution
der Lebensläufe zu kennzeichnen wäre.
Was
SEIDL dagegen hervorhebt, das ist die Konsequenz der
gestiegenen Lebenserwartung, die sich subjektiv als
gefühltes Alter niederschlägt. Aber
auch diese gewonnenen Jahre (Arthur IMHOF) sind nicht das
eigentliche Thema von SEIDL, sondern
sie bleiben im Hintergrund oder werden als hässliche Rentner zum
Problemfall der zukünftigen Gesellschaft erklärt.
Die Auflösung des Lebenslaufregimes
SEIDL ist der Ansicht,
dass sich das jahrhundertealte Lebenslaufregime aufgelöst hat,
was er als Revolution der Lebensläufe bezeichnet:
schöne junge welt
"Was gestürzt wurde, war
keine Klasse, keine herrschende Clique - und doch waren es die
Verhältnisse, die immer auch Machtverhältnisse sind. Was
gestürzt wurde, war die Macht der Altersstrukturen und die
Herrschaft der alten Lebensblaupausen, was verschwand, war der
blinde Glaube, daß die Jugend spätestens mit dreißig zu Ende
sei, ja der Glaube, daß Jugend überhaupt ein Ende haben müsse".
(2005, S.25) |
SEIDL behauptet nichts
anderes als das Ende des althergebrachten Bürgertums:
schöne junge welt
"Es waren nicht die Gene,
es waren weder die Gesetze der Biologie noch irgendwelche
anthropologischen Konstanten, was den Menschen diesen
Lebensrhythmus diktierte. Es war die bürgerliche
Gesellschaft".
(2005, S.35) |
Die bürgerliche
Gesellschaft stützte sich bislang auf einen Geniekult,
der in der Jugend den Leistungsträger sah. In
der Gegenwartsgesellschaft steht dagegen dieser Jugendkult im
Widerspruch zum Körpergefühl, oder anders ausgedrückt:
Körper und Gefühle suggerieren uns, dass wir jung sind, während
unseren Gehirnen, unserem Denken, unserem Intellekt das Altern
vorgeworfen wird.
Die neubürgerliche Identität von der Stange
SEIDL plädiert in seinem
Buch für die Versöhnung von Jugendlichkeit und Alter, was
hier als neubürgerliche Identitätsstrategie beschrieben wird. Der
Neocon David BROOKS hat diese Identitätskonstruktion als Bobo
(Bourgeois Boheme) verklärt. SEIDL,
der sich softimäßig nicht entscheiden will, ob sein Thema nun
die Jugend oder die Jugendlichkeit ist (aus dieser
Begriffsverwirrung speist sich ein Teil der Ambivalenz des
Buches), beschreibt den Mentalitätskern dieser "jungen
Alten" folgendermaßen:
schöne junge welt
"Jugend, das war im Grund
nur ein Moment, der sich dehnte: der Moment der Freiheit und der
Unbeschwertheit, in welchem sich das Glück der Kindheit und die
Privilegien des Erwachsenenseins berührten, der Moment, da ein
Mensch schon ausgewachsen und geschlechtsreif war, im Vollbesitz
aller körperlichen und geistigen Kräfte - und doch das Recht des
Kindes auf Neugier und Naivität, auf Spontaneität und
Verantwortungslosigkeit beanspruchen durfte. Und Erwachsenwerden
bedeutete, daß die Neugier geringer wurde und die Naivität
verschwand, weil jetzt Wissen und Erfahrung das Handeln
bestimmten und Verantwortung und Pflichten die Spontaneität
gewaltig bremsten."
(2005, S.63) |
SEIDL beansprucht also
nichts anderes als die Innovationsfähigkeit altersmäßig
zu entgrenzen. Innovationsfähigkeit
hat jedoch seinen Preis: die Revolution der Lebensläufe. In
neokonservativer Sicht, die SEIDL hier ebenfalls bedient, wenn
er Innovationsfähigkeit mit Verantwortungslosigkeit zusammen
koppelt, ist die Fähigkeit zur Erneuerung nur im Paket mit dem Peter Pan-Syndrom zu haben. SEIDL
kann der Vorwurf nicht erspart werden, dass er zwei Aspekte
vermischt, die in der Realität durchaus eigenständig auftreten
können. Exemplarisch
stellt uns SEIDL seine schöne junge Welt anhand von vier
Lebensläufen vor, die das Spektrum neubürgerlicher
Lebensentwürfe von der Stange repräsentieren.
Von der jeunesse dorée zum Bobo
In Die Jugend von heute
hat der Schriftsteller Joachim LOTTMANN die Happy Few der
jeunesse dorée als Produkt der 70er-Jahre-Sozialisation
beschrieben
. Während
LOTTMANN sich in seinem Buch jedoch den daraus hervorgegangenen
Kindern widmet, erzählt SEIDL den weiteren Weg dieser Eltern,
die mit dem Epochenbruch der 1970er Jahre konfrontiert
worden sind. Die
scheinbare Auflösung des Lebenslaufregimes muss in
gesellschaftlicher Sicht als Suchbewegungen bzw. als Reaktionen
auf die Krise der Industriegesellschaft gesehen werden. Als Modernisierungsgewinner ging der Bobo hervor, den SEIDL
in vier Varianten (Karriere, Freiheit, Ruhm und Macht)
vorstellt. Ihr
gemeinsames Kennzeichen: sie proklamieren für ihre
neubürgerliche Identität den rebel chic einer
individualistischen Abweichung von der gesellschaftlichen
Norm. Diese
Abweichung kann so minimal sein wie beim Personalchef, dessen
durch und durch bürgerliches Familienarrangement (Zusammenwohnen
mit Ehefrau und drei Kindern) durch eine unstandesgemäße
Wohnumgebung neubürgerlich geadelt wird. Der
Rebel chic kaschiert die Existenz von der Stange und
rechtfertigt den gelebten Konformismus. Norbert BOLZ hat
dies als Konformität des Andersseins bezeichnet.
Die Single-Eltern-Gesellschaft der jungen Alten
Mit den jungen Alten
ist hier nicht wie üblich die Generation 50 Plus gemeint,
sondern die Generation 40 Plus, also jene Generation, die sich
jung fühlt, aber gesellschaftlich zu den Alten gezählt wird. Die
Bobos des individualisierten Milieus leben im mittleren
Lebensalter in einer Single-Eltern-Gesellschaft, die in
neokonservativer Sicht als verantwortungslos gilt. SEIDL liefert
mit der Künstler-Figur Leo eine Entgegnung:
schöne junge welt
"»Ich bin sehr erwachsen.
Erwachsener als ich es bin, kann man gar nicht sein. Ich
verdiene Geld und zahle meine Steuern. Ich arbeite viel, trinke
kaum und rauche manchmal abends eine Zigarette. Ich führe ein
gemäßigte Leben. Und ich sorge für meine kleine Tochter.«
»Aber du lebst nicht mit ihrer Mutter zusammen. Du knutscht mit
Frauen, in die du nicht verliebt bist, und verliebst dich in
Frauen, die nicht bei dir bleiben. (...). Du willst immer
wissen, wo die schicken Parties sind. Das ist ein schönes Leben,
aber erzähl mir doch nicht, daß das erwachsen ist!«
»Was willst du eigentlich von mir?« fragte Leo. »Willst du, daß
ich mit einer Frau, die ich nicht liebe, Kinder zeuge, die wir
dann mit Fernsehverbot und Hausarrest erziehen? Willst du, daß
ich dreißig Kilometer von der Stadtmitte entfernt in ein
Reihenhaus ziehe, samstags meinen Volvo wasche und abends nach
den Tagesthemen vor dem Fernseher einschlafe? Oder wünscht du
dir vielleicht, daß ein Krieg kommt oder eine Hungersnot, damit
wir endlich das wahre Leben kennenlernen? Tut mir leid, ich will
das nicht. Mir ist mein Leben auch so schon wahr genug.«"
(2005, S.22) |
Die 42jährige, allein
erziehende Mutter mit erwachsener Tochter, die von den amtlichen
Statistikern als alleinlebend klassifiziert wird, lebt in einer
Münchner Wohngemeinschaft und hält am Image der
selbstbewussten Singlefrau fest:
schöne junge welt
"Sie kenne
eigentlich nur noch Singles, erzählt sie, schöne Frauen,
attraktive, selbstbewußte Frauen von Anfang Dreißig bis Mitte
Vierzig - und längst hätten sie sich darauf geeinigt, daß es
kein Unglück sei, keinen Mann zu haben, angesichts der Männer
jedenfalls, die so zur Verfügung stehen. Sie alle seien, je
älter sie wurden, um so anspruchsvoller geworden, immun gegen
die schlichten Anmachtechniken und zu glücklich mit sich allein,
als daß sie ihre Ansprüche ans Aussehen eines Mannes
herunterschrauben wollten, und wenn es mit einem nicht so laufe,
wie sie es sich vorstellen, dann sei so ein Flirt ganz schnell
zu Ende."
(2005, S.50f.) |
Sophia wird von SEIDL als Pionierin der Lebenslaufrevolution präsentiert. Zum
einen gilt sie den Jüngeren als Role Model und andererseits
wertet sie die 68erinnen als veteranenhaft bzw. als "betont
junggeblieben" ab. Die
Generation Vierzig Plus wird damit zur ersten natürlich jung
gebliebenen Generation stilisiert.
Die Freiheit am Abgrund
Von den vier
exemplarischen Lebensläufen repräsentiert nur der DJ Fetisch die
viel beschworene Single-Gesellschaft. Er grenzt seine
grenzenlose Freiheit vom kleinbürgerlichen Familienidyll
ab:
schöne junge welt
"Er war lange in England,
er hat da viele Freunde, aber er ist ein kategorischer Gegner
des Konzepts, nach dem fast alle diese Freunde leben: Haus
bauen, Kinder kriegen und dafür Schulden machen. So eine
Endgültigkeit sei das, sagt Fetisch, so eine Fessel, die einen
immer am selben Ort hält. Keiner seiner englischen Freunde
könnte morgen beschließen, ab dem nächsten Monat in Paris zu
leben. Oder eben in Berlin, wo Fetisch einerseits zu Hause ist.
Und andererseits will er auch hier so leben, als ob er bloß auf
der Durchreise wäre.
Keine Verantwortung. Nicht für jemand anderen als für sich
selber jedenfalls. Eine Frau, die seßhaft werden will, ein Haus,
und dann muß der Mann hinaus und schauen, wie er den Kühlschrank
füllt, und sie hütet den Haushalt und erzieht das Kind: Schon
der Gedanke an eine solche Arbeitsteilung reicht, daß Fetisch
schwere Beklemmungen bekommt."
(2005, S.98) |
Das Single-Dasein von
Fetisch ist letztlich die Konsequenz des neuen Liebesmodells
der seriellen Monogamie
.
schöne junge welt
"Er hat eine
Liebesbeziehung gehabt, die sechs Jahre dauerte, und eine, die
ging sogar über zehn Jahre, und wenn er im Moment nichts Festes
habe, heiße das nicht, daß er es nicht wolle. Aber auch die
nächste Frau wird er nur an sich heranlassen, wenn sie ein
eigenes Leben hat und eine eigene Karriere und sich nicht
beschwert darüber, daß seine Arbeit ihn durch ganz Europa
treibt."
(2005, S.98) |
Diese männliche
Einzelkämpfer-Existenz führt jedoch leicht an den Abgrund:
schöne junge welt
"Es gibt Tage, da wird er
den Verdacht nicht los, daß, wo er ist, draußen ist, und die
anderen sind drinnen (...). Was Fetisch von den anderen
unterscheidet, ist nicht das Alter, sondern etwas das er seine
Behinderung nennt. Ja, sagt er, er müsse sich wohl eingestehen,
daß er eine Art von Behinderung habe, das sei es, warum er
zweimal in seinem Leben so furchtbar abgestürzt sei. Beim
erstenmal war er um die dreißig, beim zweitenmal vierzig, er hat
Drogen genommen, und fast hätte er es nicht überlebt." (2005, S.103) |
Solo in die Jahre
kommen, so ein Buch von Frank NAUMANN, das ist ein Thema,
das sich ältere Singles lieber auf Distanz halten:
schöne junge welt
"Im Moment jedenfalls, die
nächsten paar Jahre, so lange er noch nicht alt ist, so alt wie
sein Vater, den er neulich, nach dreißig Jahren, wieder
getroffen hat. Ich habe deine Erziehung dem Herrn überlassen,
hat der Vater gesagt, und was Fetisch dann noch in Erinnerung
geblieben ist, das war der Gedanke, daß er mit siebzig nicht
einsam sein will, nicht alleine mit seinem Hund durch die
Berliner Straßen tapsen. Zum Glück hat er neulich in der Zeitung
eine sehr beruhigende Geschichte über Wohngemeinschaften für
ältere Menschen gelesen, das wäre es doch, das wäre eine
Möglichkeit für ihn, falls er nicht doch noch auf die andere
Seite des Zaunes steigt."
(2005, S.101f.) |
Fazit: Die blinden Flecken und die Gesellschaft
der Langlebigen
Tanz der Vampire nennt
SEIDL jenes Kapitel, in dem die
vergreisende Gesellschaft
erörtert wird. SCHIRRMACHERs Horrorszenario dient dabei als
Negativfolie. Wenige
Kinder, viele Rentner, so lässt sich das Schreckensbild dieser
prognostizierten Gesellschaft zusammenfassen. SEIDL
hat diesem Szenario nichts als die schöne junge welt
entgegen zu setzen. SEIDLs Pioniergeneration könnte durchaus
eine Rettung sein: eine
produktivere, innovativere Gesellschaft
aufgrund einer veränderten Lebenserwartung und einer
Einstellung, die der Ökonomie entgegen kommt. Der
Schönheitsfehler ist jedoch, dass SEIDLs schöne junge welt nur
auf einem
zahlenmäßig kleinen Milieu
- nämlich dem individualisierten Milieu - basiert. Es
ist kaum anzunehmen, dass dieses Milieu sich innerhalb der
nächsten Generation
als stilprägend erweisen wird und sich deshalb rasant
ausbreitet. In
SEIDLs Welt existiert weder die
Hartz-Gesellschaft,
noch gibt es das Problem der sozialen Ungleichheit und Alt
sind nur die anderen (Elisabeth NIEJAHR). Alles
deutet darauf hin, das die
Mittelschicht in den kommenden Jahren abschmilzt.
Dies wird u. a. auch eine Folge der neuen Langlebigkeit sein,
denn im Alter verstärkt sich die soziale Ungleichheit noch. SEIDLs
schöne junge welt ist die sprichwörtliche Insel der
Seligen. Jenseits dieser Welt beginnt die gesellschaftliche
Realität. Dort werden sich die
Dramen der neuen Klassengesellschaft
abspielen. SCHIRRMACHERs Methusalem-Komplott wird dabei so wenig
hilfreich sein wie SEIDLs schöne neue welt.
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