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Zitate:
Partnersuchende
und ihre Ängste
Mars
"Ich
möchte uns mit Einsiedlerkrebsen vergleichen. Der
Einsiedlerkrebs ist vorne hübsch gepanzert und stabil, aber
sein Hinterleib ist nackt. Deshalb muß er seine verletzliche
Blöße in leeren Schneckenhäusern bergen, wobei der bewehrte
Vorderleib aus dem Schneckenhaus herausschaut. Wenn der
Einsiedlerkrebs wächst, wird ihm mit der Zeit sein
gemietetes Gehäuse zu eng, und er muß notgedrungen in ein
größeres umziehen. Welche Qualen muß nicht solch ein
Einsiedlerkrebs ausstehen, wenn er sich mit seinem allen
Fressern preisgegebenen Hinterteil zu einem neuen Haus
vorwagen muß! Wie fruchtbar muß die Zeitspanne für ihn sein,
wenn er sein altes schützendes Haus bereits auf
Nimmerwiedersehen verlassen hat und noch nicht wissen kann,
wo er eine neue, seinen jetzigen Körpermaßen entsprechende
Behausung findet! Ich denke mir, solche Einsiedlerkrebse
waren wir auch. Vorne waren wir recht bekömmlich gepanzert,
aber hinten drohte Blöße. Nur waren wir keine sehr tapferen
Einsiedlerkrebse und zogen es vor, unter Qualen im zu engen
Haus zu verkümmern."
(Fritz Zorn 1977, S.75f.)
Vertrautes Gelände,
besetzte Stadt
"Der
spontane Besuch, gewissermaßen das An-die-Tür-Klopfen im
Vorübergehen, ist in der Großstadt, zumindest in meinem
Milieu, nicht mehr üblich. Man verabredet sich, bevor man
jemanden überfällt.
(...). Wir alle haben Angst, aufdringlich zu sein, die
intime Sphäre des anderen zu verletzen, und Angst davor, daß
die eigene Sphäre verletzt werden könnte."
(Jochen Schimmang 1998)
"Die
Checklisten, mit denen Frauenzeitschriften ihre Leserinnen
für die Männerjagd versehen, geben Auskünfte übers
Männerbild ihrer Redakteurinnen. (...). Wie findet die Frau
ihn nun, den Mann fürs Leben (...)? Unter anderem im
Supermarkt, denn einkaufen muß jeder. Dort ist der beste
Punkt der Gang mit den Tiefkühlmenus. Männer können
natürlich nicht kochen oder sind zu faul dazu (...). Meine
eigene Empirie zeigt mir, daß die Tiefkühlboxen eher von
Frauen umlagert werden. Es mag aber sein, daß die gar nichts
kaufen wollen, sondern dort nur auf ihren Traummann warten".
(Jochen Schimmang 1998)
Schüchterne Männer haben schlechte Chancen bei jüngeren
Frauen
"Schüchterne Männer sind bei jüngeren Frauen out: Die
Mehrheit der Frauen bis 34 Jahre steht nicht auf diesen Typ
Mann. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts
Inra im Auftrag der Zeitschrift »Elle«. (...). Bei älteren
Frauen hat der zurückhaltende Männertyp hingegen bessere
Chancen."
(Welt 17.04.2003)
Die
Kunst des Verschwindens
"Timo
schafft es sogar, übersehen zu werden, wenn er es eigentlich
gar nicht darauf anlegt. Wochenlang schwärmte er
mir von einer Kommilitonin im germanistischen Seminar vor,
die ihm doch sehr gut gefalle. Ja, er habe auch schon mit
ihr geflirtet. Und, wer weiß, vielleicht würde er demnächst
mit ihr ins Kino gehen (...). Doch als er sie mir auf einer
Party letzte Woche vorstellen wollte, da hat sie ihn
offenbar nicht mal erkannt."
(Stefan Kuzmany in der taz vom 03.05.2003)
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Partnersuchende und ihre
Ängste
Nachdem im
ersten Teil die gesellschaftliche Dimension der Angst behandelt worden
ist und das Phänomen Angst eher allgemein beschrieben wurde,
ging der zweite Teil anhand einer Romanfigur konkret auf die
sozialen Ängste von Singles ein.
Die individuelle
"Angstkarriere" kann als erlernte Hilflosigkeit beschrieben
werden. In einem Exkurs wurde auf einen möglichen Zusammenhang
zwischen Erfahrungen der Unkontrollierbarkeit,
Hoffnungslosigkeit und schwachem Selbstwertgefühl eingegangen. Während im zweiten Teil die
Barrieren beim Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreis
im Mittelpunkt standen, geht es nun speziell um jene Faktoren,
die das Finden eines Partners verhindern können. Grundsätzlich
gilt, dass beide Problemkreise nicht immer voneinander zu
trennen sind. Vielmehr treten oftmals die gleichen Probleme noch
vehementer auf. Ein geringes Selbstwertgefühl und
Selbstunsicherheit spielen hier genauso eine Rolle wie
Schüchternheit und die Angst vor dem Erröten.
Singles sind nicht gleich
Partnersuchende
In der überwiegend
sozialpolitisch bzw. sozialmoralisch motivierten
singlefeindlichen Medienberichterstattung werden
Alleinlebende, also Personen, die einen Einpersonenhaushalt
führen, oftmals gleichgesetzt mit Partnerlosen oder
Partnersuchenden. Diese Sichtweise ist diskriminierend UND
falsch. Partnerschaftliche Lebensweisen wie Living apart
together oder Fernbeziehungen werden in dieser Debatte
genauso ignoriert wie Lebensformem, die nicht paarorientiert
sind. Partnersuchende müssen außerdem nicht unbedingt Alleinlebende
sein.
Nesthocker werden
häufig - nur weil sie mit den Eltern zusammen leben - in den
Medien positiver beschrieben (z.B. Harald SCHMIDT im Focus
vom 25.11.2002).
Ein allzu harmonisches
Umfeld kann jedoch die produktive Auseinandersetzung mit den
eigenen Ängsten verhindern:
Mars
"Was mir
in meiner Jugend erspart wurde, war nicht das Leid oder das
Unglück, sondern es waren die Probleme und somit auch die
Fähigkeit, sich mit Problemen auseinanderzusetzen. Man
könnte es paradoxerweise so sagen: Eben daß ich mich
innerhalb der besten aller Welten befand, das war das
Schlechte".
(1977, S.26f.) |
In diesem Beitrag geht es
deshalb nicht um Singles (siehe hierzu Teil 2), sondern um
Partnersuchende, das heißt Personen, die sich nichts
sehnlichster wünschen als eine Partnerschaft. Noch genauer geht
es darum, welche Ängste die Partnersuche behindern können.
Wer die Gefahr sucht, der
kommt darin um!
Es mag sinnvoll sein,
Gefahren zu vermeiden. Ganz und gar nicht sinnvoll ist es
dagegen Situationen zu meiden, die zwar Angst machen, aber nicht
gefährlich sind. Eine Zurückweisung mag für den Verliebten
schmerzlich sein, aber ein Weltuntergang ist sie nicht, auch
wenn das in der Pubertät - häufig beim aller ersten Mal - so
erlebt wird.
In den 70er Jahren erschien das Buch
Mars von Fritz Zorn.
Der Bestseller wurde damals als Tragödie einer
Krebspersönlichkeit gelesen. Hier soll dagegen am Fall des Fritz
Zorn das Problem der Partnersuche erörtert werden. Adolf MUSCHG macht im Vorwort zum Buch deutlich, dass der
Umgang mit Hemmungen und Ängsten entscheidend ist:
Mars
"Z.s Kontakthemmungen, ich kannte sie
auch. Aber ein dunkles Gefühl hatte mich doch immer wieder
gezwungen, damit die Flucht nach vorn anzutreten; auf dieser
Flucht bin ich, anders als er, auch der Sexualität begegnet,
in unglücklichen und schuldbewußten Formen zunächst, aber
dabei brauchte es nicht zu bleiben. Ganz unvorstellbar war
mir Z.s Apathie gegenüber (...) jeder Kultur-Neuigkeit
(...): die Mauern um mein bißchen Eigenleben mochten nicht
weniger hoch gewesen sein als bei ihm, aber ich benützte
jede Lücke, sei es zum Ausbruchversuch, sei es um das
Neueste zu mir hereinzuzerren. (...).
Nicht die Starre war mein Problem, sondern der Krampf: die
Angst, etwas zu versäumen und beim Gutmachen meiner
Schuldgefühle (dem einzigen, dem wahren Kleinbürger-Kapital)
nicht ganz vorn zu sein. Diese Angst vor dem Versäumnis
brauchte mir nicht erst, wie Z., mit einem klinischen Befund
zusammen aufgehen. Sie begleitete mich als Lebensform."
(aus: Vorwort von Adolf Muschg 1977, S.9) |
Während Adolf MUSCHG die
Flucht nach vorne angetreten hat und sich seinen Ängsten
gestellt hat, geht Fritz ZORN seinen Ängsten aus dem Weg. Im
Laufe einer psychoanalytischen Therapie ändert ZORN seine
Selbstsicht. Im Rückblick beschreibt er sich als schüchterner
Mensch.
Schüchternheit aus entwicklungs- und
persönlichkeitspsychologischer Sicht
Schüchternheit ist ein
alltäglicher Begriff und jeder besitzt eine Vorstellung darüber,
was damit gemeint ist. Die Wissenschaft dagegen spricht von
Schüchternheit in ganz bestimmten Zusammenhängen. Entwicklungs- und
Persönlichkeitspsychologen benutzen Schüchternheit und
soziale Ängstlichkeit (siehe Teil 2) als austauschbare Begriffe.
Schüchternheit wird von Psychologen auch eine
Rolle bei der Entstehung sozialer Phobien (siehe
Teil 2) zugeschrieben. Jens B. ASENDORPF grenzt
schüchternes Verhalten vom sozialen Rückzug ab:
Risikofaktoren in der Kindheit für soziale Phobien im
Erwachsenenalter
"Erwachsene, aber auch
Kinder können wenig Sozialkontakt haben, weil sie von anderen
gemieden werden (soziale Isolation, z.B. aufgrund fremdartigen
Aussehens) oder weil sie selbst einfach kein großes Interesse an
Sozialkontakten haben (Ungeselligkeit)."
(aus: Soziale Phobie und Soziale Angststörung 2002,
S.253) |
Nach einem
Zweifaktorenmodell von ASENDORPF wird Schüchternheit einerseits
durch Verhaltensgehemmtheit als Temperamentsmerkmal der
Persönlichkeit und andererseits durch das Erleben der sozialen Ablehnung durch Eltern, Geschwister oder Gleichaltrige
gefördert.
Schüchternheit am Beispiel einer
tragischen Leidensgeschichte
Schüchternheit wird
besonders in Übergangsphasen des Lebenslaufs zum Problem.
Partnerwahl, Studienbeginn oder Berufseinstieg sind solche
typischen Phasen. Fritz
ZORN beschreibt sein Problem der Schüchternheit
folgendermaßen:
Mars
"Da ich
die Menschen auf der Straße nur musterte, und zwar eher
kritisch und von oben herab als mit Sympathie musterte, nahm
ich automatisch an, daß sie ebenso mit mir verfuhren.
Jedesmal wenn mir jemand nachblickte, war es für mich
selbstverständlich, daß er mir mit Kritik und Tadel
nachblickte und daß er an mir etwas auszusetzen hatte.
(...).
Am schlimmsten war es mir, wenn mir Mädchen nachsahen, denn
da ich nie auf den Gedanken gekommen war, den Mädchen
bewundernde Blicke nachzusenden, sondern auch bei Frauen
immer nur nach dem Lächerlichen Ausschau hielt, mußte ich
annehmen, daß sie mit mir dasselbe taten. Ich war wohl weder
ein sonderlich hübscher noch ein sonderlich häßlicher Junge,
so daß mir die Mädchen wohl auch manchmal sympathische
Blicke nachgeworfen haben müssen; aber auch die guten Blicke
konnte ich immer nur als Ausdruck der Kritik und des
Mißfallens auffassen. Jedes Lächeln schien mir spöttisch und
abschätzig zu sein; daß ich nicht zurücklächelte, versteht
sich von selbst."
(1977, S.57) |
Bei der Erörterung von
Singles und ihren Ängsten wurde am Beispiel des allein lebenden
und sozial isolierten Angestellten Abschaffel das
Phänomen der sozialen Ängstlichkeit beschrieben
.
Die Selbstbeschreibung von Fritz ZORN verweist wie bei
Abschaffel auf den Zusammenhang zwischen Selbstunsicherheit
und Selbstabwertung.
Im Sinne von Martin SELIGMAN und seinem Modell der erlernten
Hilflosigkeit handelt es sich bei Fritz ZORN
um einen Pessimisten
.
Im Nachhinein erkennt er, dass seine frühere Wahrnehmung
selektiv auf negative Aspekte ausgerichtet war.
Bei erlernter Hilflosigkeit sind die Erklärungsmuster
entscheidend. Fritz ZORN erklärt sich seine Partnerlosigkeit
zuerst damit, dass die Zeit dazu einfach noch nicht reif ist:
Mars
"Meine
übergroße Schüchternheit und Ängstlichkeit hatte ich lange
Zeit damit erklären können, daß ich eben, wo nicht der
Kleinste, so doch der Jüngste und Unerfahrenste von allen
sei, der nach einigen Jahren nachgeholt haben würde, was ihm
noch fehlte. Ich (...) stellte mir vor, wie die Dinge dann
sein würden, wenn ich erst einmal »darüber hinaus« wäre und
ich gleich wie die anderen bewegen könnte. Das Gefühl »über
etwas hinaus« zu müssen, setzt schon den Eindruck voraus,
daß man eben in etwas gefangen sei, aus dem man sich
befreien muß (...). Zunächst erwartete ich diese Befreiung
also einfach von der Zeit, die mich automatisch befreien
müßte".
(1977, S.65) |
Gegen den sozialen
Vergleich mit seinen Altersgenossen versucht ZORN sein
Erklärungsmuster so lange wie möglich aufrecht zu erhalten:
Mars
"Viele
meiner Kameraden hatten Freundinnen; ich hatte natürlich
keine (...). Es sollte nun ein sehr lange währender Prozeß
beginnen, bei dem sich beständig die beiden Auffassungen
feindlich gegenüberstanden, ob ich nun einfach noch
keine Freundin hatte oder ob ich wirklich keine
Freundin hatte. So lange es nur immer anging, versuchte ich
mich an die erste Hypothese anzuklammern (...). Der
Zeitpunkt war längst erreicht, an dem schon alle ihre
Freundin hatten, an dem ich schon längst auch eine hätte
haben sollen; und auf einmal hieß es nicht mehr »noch
nicht«, sondern »schon längst«.
(...).
Mit der Zeit gewöhnte ich mich auch daran ein bißchen: so
wie die anderen eine Menge wußten, wovon ich keine Ahnung
hatte, so hatten die anderen eben auch Freundinnen, von
denen ich keine Ahnung hatte."
(1977, S.66ff.) |
Ab einem bestimmten Alter
wird von der sozialen Umwelt erwartet, dass man erste
Erfahrungen gesammelt hat. Ist das nicht der Fall, so erfährt
man sich als Außenseiter. ZORN versucht sich durch Lügen zu
entlasten:
Mars
"Ich war
zum Kontakt mit Mädchen überhaupt nicht fähig: aber ebenso
unfähig war ich, über meine Kontaktschwierigkeiten zu
sprechen. Zudem ergab sich hier ein weiteres Problem. Von
einem gewissen Alter an nimmt man von Jungen
selbstverständlich an, daß sie eine Freundin haben, und so
wurde ich denn von anderen Leuten oft wohlwollend gefragt, ob
ich auch eine Freundin hätte. Da ich wußte, daß man auf
diese Frage mit ja antworten mußte, wenn man sich nicht
lächerlich machen wollte, log ich in diesem Fall immer
hartnäckig und bejahte die Frage."
(1977, S.81) |
Das Lügen hilft zwar
bei anderen Menschen, aber sich selbst zu belügen, das gelingt
nicht. SELIGMAN (1991, S.19) bezeichnet die Depression als
Extremfall des Pessimismus. ZORN beschreibt jene
Situationen, die ihm seine Lage besonders deutlich vor Augen
führen:
Mars
"Die
beiden hervorstechendsten Eigenschaften der Depression sind
Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit. (...). Ihre beiden ersten
Höhepunkte hatte sie während meiner letzten Schulferien, die
ich in England verbrachte, und zur Zeit meiner Maturität. In
den Ferien hätte ich mich amüsieren sollen und konnte es
nicht und empfand zum ersten Mal den Schmerz, einmal
von allen Plackereien des Alltags (in meinem Fall der
Schule) erlöst zu sein, um mich in der Freizeit, in der
alles nur darauf wartete, von mir genossen zu werden, noch
viel mehr mit mir selbst zu quälen als in der Schule. Der
zweite Tiefpunkt war die Matura, wo jedermann meinen guten
Abschluß feierte und mich von nun an als einen Erwachsenen
betrachtete, während ich mir sagen mußte, daß ich in der
Schule außer meinen Vokabeln und Formeln nichts gelernt
hatte".
(1977, S.87) |
Die Studienzeit übersteht
Fritz ZORN u.a. durch die Identifikation mit Romanfiguren:
Mars
"Von allen Gestalten,
seien es literarische Gestalten oder Literaten selbst, deren
Schicksal daraus bestand, daß sie gerne eine Frau gehabt hätten,
aber keine hatten, daß sie immer gerne im Leben gewesen wären
und doch außerhalb des Lebens standen, war mir immer die Gestalt
des Tonio Kröger am meisten aufgefallen; ja, man kann sagen, daß
mich der Held dieser trübsinnigen Novelle von Thomas Mann seit
meiner Mittelschulzeit ununterbrochen begleitet hatte. Auch
diese Figur stand nicht richtig im Leben und war immer
deprimiert; auch diese Figur hatte mit dem »Höheren« zu tun und
mußte darum auf die »Wonnen der Gewöhnlichkeit« verzichten.
Tonio Kröger war eben ein Künstler, und als solcher war es seine
Aufgabe, das Leben nicht zu erleben, sondern nur zu
beschreiben."
(1977, S.93) |
Heutzutage stehen mit
Michel HOUELLEBECQs Romanen Ausweitung der Kampfzone und
Elementarteilchen ganz andere Romanfiguren zur Verfügung.
An Tisserand, der mit 28 Jahren noch "Jungfrau" ist, exerziert
der französische Moralist das Gesetz des neoliberalen
Sexualsystems, das aktuell das Geschlechterverhältnis prägen
soll
.
HOUELLEBECQs Pessimismus führt jedoch nicht weiter, sondern
fördert vor allem Regression und Ressentiments
.
Ende der 1970er Jahre war
das Single-Dasein noch nicht sehr verbreitet. Fritz ZORN erlebt
das damalige Alleinleben lange Zeit als entlastend:
Mars
"Der
Wechsel vom Studenten- zum Berufsleben machte mich
finanziell unabhängig von meinen Eltern; mein Geld hatte ich
nun selbst verdient und konnte damit anstellen, was mir
gefiel, ohne mich fragen zu müssen, ob ich nicht das Geld
meiner Eltern für Zwecke mißbrauchte, die ihren Beifall
nicht finden konnte. (...). Meine neue Wohnung nahm mich
lange Zeit in Bann, und ich richtete sie auch sehr schön
ein.
(...).
Die ersten Jahre in diesem meinem schönen Heim brachten
wirklich das höchste Ausmaß und die Erfüllung der
vorhergehenden Entwicklung (...).
Es mochten vielleicht eher Kleinigkeiten sein als deutlich
hervortretende Symptome; aber sie wiesen alle in dieselbe
Richtung. Es war zunächst natürlich nur »nett« und »lobenswert«,
daß ich immer für mich kochte und alle meine Mahlzeiten für
mich selbst zubereitete, und es ließ sich auch von selbst
verstehen, daß ich meine Mahlzeiten lieber in meiner
entzückenden Wohnung einnahm als in einem »ungemütlichen«
Restaurant. Aber nicht nur die eigentlichen Mahlzeiten
fanden in meinen eigenen vier Wänden statt; auch jeden
Kaffee und jedes Bier und jedes Glas Wein nahm ich bei mir
zuhause ein; oder mit anderen Worten: ich ging nie aus.
(...). Auch dieses Heim war eine Muschel für mich geworden,
deren schützendes Gehäuse ich nur ungern verließ."
(1977, S.120f.) |
Schüchternheit, Depression
und soziale Phobie sind die Stationen, die Fritz ZORN
durchläuft. Sein Warten deutet er nicht als Hoffnungslosigkeit,
sondern als Übermaß an Hoffnung:
Mars
"So wie mein Arbeitstag
eigentlich nur aus Pausen bestand, so bestand auch der Ablauf
meines Lebens meist nur aus Warten. Wie ich es schon seit so
langer Zeit gewohnt war, hoffte ich immer noch auf imaginäre
»bessere Zeiten«, die mich von meinem Leid erlösen würden. Dabei
verhielt ich mich ganz passiv und hoffte immer darauf, daß die
Zukunft mir etwas »bringen« würde. Der Gedanke war mir fremd,
aus der Gegenwart selbst etwas zu machen. Ich muß eine
ungeheure Kapazität an Hoffnung gehabt haben. Die Hoffnung ist
zwar auch eine Chance im Leben, aber manchmal wäre Verzweiflung
wohl die bessere Reaktion den Umständen gegenüber."
(1977, S.108) |
Seinen Ängsten stellt sich
Fritz ZORN erst als es zu spät ist. Eine Krebserkrankung, die er
- zeitgemäß - als psychosomatische Krankheit deutet, ermöglicht ihm zwar die
beschriebenen Einsichten in seinen Leidensweg, dennoch stirbt er
32jährig ohne jemals
richtig gelebt zu haben.
Fritz ZORN ist endgültig am Problem der Partnerwahl gescheitert.
Adolf MUSCHG schreibt im Vorwort zu diesem Scheitern:
Mars
"Er ist
daran gestorben, daß er sein Leben nicht teilen, nicht
mitteilen lernte, bis es zu spät war. Was ihm also gefehlt
hat, war derjenige und diejenige, die ihm Teilung und
Mitteilung rechtzeitig abverlangt hätten. In einer
unheilbaren Gesellschaft ist sein Tod keine Ausnahme,
sondern der Normalfall. Wir werden weiter so sterben,
solange wir weiter so leben. Das ist das wirklich
Erschütternde an diesem Buch".
(aus: Vorwort von Adolf Muschg in Fritz
Zorn "Mars", 1977, S.22) |
Heutzutage gibt es z.B. Internetforen wie Absolute
Beginners,
in denen sich
Menschen ohne Beziehungserfahrungen austauschen
können. Vielleicht hätte es Fritz ZORN weitergeholfen, wenn es
bereits damals ein solches Forum für Menschen ohne
Beziehungserfahrung gegeben hätte.
Im abschließenden vierten Teil werden weitere Möglichkeiten der
Angstbewältigung vorgestellt.
Die Angst vor dem Erröten
Erröten ist ein normaler
körperlicher Vorgang. Wir erröten infolge körperlicher
Aktivität, wenn wir Fieber haben oder bei intensiver
Sonneneinstrahlung.
Es gibt körperliche
Ursachen, die für Unterschiede im Errötungsverhalten
verantwortlich sind. So erröten zum Beispiel dünnhäutige Menschen
schneller als andere.
Diese körperlichen
Unterschiede und die oben genannten Situationen stehen jedoch
nicht im Mittelpunkt dieses Beitrags, sondern es geht in erster
Linie um das Erröten als Begleiterscheinung von
Aufregung, Scham und Angst. Den Umgang mit diesen
Entstehungsfaktoren des Erröten können wir lernen.
Es ist auch eine Steigerung
des Errötens bis ins Krankhafte möglich. Der Fachbegriff für die
Angst vor dem Erröten heißt Erythrophobie. Im Internet
gibt es für Betroffene eine Hilfeseite gleichen Namens. Wem es jedoch gelingt in
peinlichen und beschämenden Situationen "cool zu bleiben", der
kann das Erröten schneller in den Griff bekommen. Die
Therapeutin Doris WOLF schreibt im Buch
Keine Angst vor dem Erröten zum Erröten aus Scham und
Verlegenheit:
Keine Angst vor dem Erröten
"Immer wird (...) unser
Erröten durch ein Mißgeschick und unsere damit verbundene
negative Bewertung ausgelöst. Immer dann, wenn wir uns nicht so
verhalten, wie es die gesellschaftlichen Regeln vorschreiben und
wir es wollen, fühlen wir Unwohlsein und Verlegenheit. (...).
Unsere Verlegenheit ist daher abhängig von der Bedeutung, die
wir der Situation und den beteiligten Personen beimessen, mehr
oder weniger stark ausgeprägt."
(1998, S.21) |
Bei der Partnersuche geht
es gewöhnlich um jene Person, die die wichtigste Rolle in
unserem zukünftigen Leben spielen soll. In solch einer Situation
kann aufgrund erhöhter Selbstaufmerksamkeit die eigene
Erregung stärker wahr genommen werden .
Dies wiederum verstärkt das Erröten. Die Befürchtung, dass
uns ganz sicher etwas Peinliches, Demütigendes oder Beschämendes
passieren wird, lenkt die Wahrnehmung auf diese
negativen Aspekte der Situation. Ein kleines Missgeschick
wird dann als größer erlebt, als es tatsächlich ist oder vom
anderen wahrgenommen werden kann. Solche negativen Gedanken
verstärken das Erröten.
Die Angst vor dem Erröten
kann für Personen einen Gewinn bedeuten. Doris WOLF
nennt u. a. folgenden Nutzen:
- Das Vermeiden von Situationen, in denen ich abgelehnt oder
ausgelacht werden könnte.
- Es rechtfertigt Einzelgängertum
- Das eigene Verhalten kann positiv als Zurückhaltung,
Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit gewertet werden.
- Die Angst schützt vor Selbstvorwürfen.
Solange die Kosten der
Angst vor dem Erröten für die betroffenen Personen nicht
überwiegen, lässt es sich für Betroffene mit der Angst durchaus
gut leben. Soziale Isolation (siehe Teil 2),
Kontaktschwierigkeiten, steigende Unsicherheiten im Umgang
mit anderen, zunehmende Defizite bei sozialen Kompetenzen (z.B.
Flirten) und natürlich auch ungewollte Partnerlosigkeit
können Folgen des Vermeidungsverhaltens sein.
Schlussbemerkungen
In dieser Serie musste
zwangsläufig mehr oder weniger oberflächlich auf die einzelnen
Aspekte der sozialen Ängste eingegangen werden. Der grobe
Überblick sollte die eigenständige Vertiefung ermöglichen.
Die Literaturangaben können
bei Interesse zur weitergehenden Beschäftigung mit ganz
speziellen Themen und Teilaspekten genutzt werden, die hier nur
ganz am Rande behandelt wurden.
Auf single-generation.de
werden im Laufe der Zeit bestimmte Themen immer wieder
aufgegriffen. So gibt es zum Thema
Einsamkeit oder
Menschen ohne Beziehungserfahrung eigene Seiten. Auf dieser Website wird weder persönliche Beratung noch Therapie
angeboten.
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