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Der
Tabubruch als erfolgreiche Marketingstrategie
Schrumpfen oder wachsen? Die Lebensbedingungen sind
entscheidend
"Da bevölkerungspolitische
Ziele in den vordemokratischen Gesellschaften
meist eine wesentliche Komponente der Politik
bildeten, insbesondere in der
nationalsozialistischen Diktatur und in der
DDR, lässt sich Bevölkerungspolitik mit den
Prinzipien einer Demokratie angeblich nicht
vereinbaren".
(Herwig Birg in Das
Parlament v. 10./17.05.2002) |
Die Methode Houellebecq
macht Schule. Wer politische Korrektheit bekämpft,
der kann es heutzutage bis zum Volkshelden der
Mediendemokratie bringen. Im Literaturbetrieb
hat die Methode Houellebecq bereits Schule
gemacht. Günter GRASS hat die Wirksamkeit der
Methode mit dem Buch Im Krebsgang
eindrucksvoll bewiesen. Der
Rekurs auf
Tabus im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus
ist mittlerweile geradezu zur Pflicht für
erfolgreiche Selbstvermarkter geworden. Wer seine Anliegen
als Normalisierung vermarkten kann, der hat es
nicht mehr nötig seine Position argumentativ zu
begründen. Der Verweis auf die
Normalisierung ersetzt eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit Positionen. Herwig BIRG hat seit
einiger Zeit die Vorreiterrolle bei der
Propagierung einer nationalkonservativen
Bevölkerungspolitik in Deutschland inne.
Die Institutionalisierung
einer solchen Bevölkerungspolitik ruht
vor allem auf drei Säulen, die seit Mitte der
1970er Jahre bei der Politikgestaltung zunehmend an
Einfluss gewinnen.
Das
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Geleitwort
"Mit der Errichtung des
Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
am 12. Februar 1973 hat der Bundesminister
des Innern in Abstimmung mit dem
Wissenschaftsrat versucht, eine seit
Jahrzehnten bestehende und von vielen
beklagte Lücke auf dem Gebiet der
Bevölkerungswissenschaft und Demographie in
der Bundesrepublik Deutschland zu schließen.
Das Institut hat die vordringliche Aufgabe,
wissenschaftliche Forschungen über
Bevölkerungs- und damit zusammenhängende
Familienfragen als Grundlage für die Arbeit
der Bundesregierung zu betreiben. Ferner ist
es beauftragt, wissenschaftliche Erkenntnisse
in diesem Bereich zu sammeln, nutzbar zu
machen und zu veröffentlichen; dem dient vor
allem die Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, deren erstes Heft
hier vorliegt, und die künftige
Schriftenreihe des Instituts."
(Hans Joachim Ordemann
in Heft 1 der Zeitschrift für
Bevölkerungswissenschaft, 1975) |
Das Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung hat mittlerweile eine fast
30jährige Geschichte und die
bevölkerungswissenschaftliche Infrastruktur ist
seit dieser Zeit ständig ausgebaut worden. Ein wichtiges
Forschungszentrum ist mittlerweile das
Institut
für Bevölkerungspolitik und Sozialpolitik an
der Universität Bielefeld, dessen
Direktor Herwig BIRG bis vor kurzem war.
Das
Bundesverfassungsgericht
Politikgestaltung durch das Bundesverfassungsgericht am
Beispiel der Familienpolitik
"Vor dem Hintergrund der
Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen
Unrechtssystems wurde mit den Art. 92 ff.
Grundgesetz (GG) ein Verfassungsorgan
geschaffen, das nicht nur in der deutschen
Geschichte ohne vergleichbaren Vorgänger
ist, sondern - was seine weitgehenden
Kompetenzen und seine Bedeutung für das
politische Handeln angeht - auch im
internationalen Vergleich seinesgleichen
sucht. In Deutschland realisiert sich,
erwachsend aus seiner Geschichte,
Souveränität - etwa im Vergleich mit der
Schweizer Volks- oder der englischen
Parlamentssouveränität - in der Form der
Verfassungssouveränität und diese wird vom
Bundesverfassungsgericht gehütet. Dieses
urteilt - eine Klage vorausgesetzt -
letztentscheidend über ein Gesetz.
(...)
Insbesondere nach den
"Familienurteilen" vom November
1998 ist die Diskussion der Rolle des
Bundesverfassungsgerichtes im politischen
System Deutschlands wiederbelebt
worden."
(Irene Gerlach
in Aus Politik und
Zeitgeschichte Nr.3-4 v. 21.01.2000) |
Mit dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001 zur
Pflegeversicherung hat das
Bundesverfassungsgericht (BVG) faktisch
bevölkerungspolitische Belange vertreten. Das
BVG hat entsprechend dem Schlagwort vom
"Demografischen Wandel" und
den damit verbundenen Implikationen einen
"generativen Beitrag" zum
unverzichtbaren Bestandteil des
umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems
erklärt. Begleitet war diese
Urteilsverkündung mit einer bis dahin
beispiellosen Medienkampagne, in der das
Feindbild
Single eine zentrale Rolle spielte.
Mit
dem Urteil ist die Kontroverse Familien contra
Singles sozialpolitisch institutionalisiert
worden. Die Folgen dieser weitreichenden
Entscheidung sind von den Betroffenen bislang
wohl noch nicht ausreichend begriffen worden.
Zentrale Figur in
diesem Konfliktfeld ist der Sozialrichter Jürgen
BORCHERT. Der Familienfundamentalist versteht
sich als Vorkämpfer für eine
familienfreundliche Gesellschaft. Tatsächlich
läuft seine Argumentation auf eine Rückkehr zu
vormodernen Prinzipien hinaus. Vorbild ist für
BORCHERT das "Ganze Haus" oder die Subsistenzwirtschaft wie das Thomas EBERT
bezeichnet hat
. EBERT hat ins seinem Beitrag Beutet
der Sozialstaat die Familien aus? im Sammelband
Kinderarmut und Generationengerechtigkeit den
Ansatz von BORCHERT als Familienausbeutungstheorie
analysiert und als "Biologisierung sozialer und ökonomischer
Konflikte" kritisiert:
Beutet der Sozialstaat die Familien aus? Darstellung und
Kritik einer einflußreichen Ideologie
"Die
»Familienausbeutungstheorie« leugnet
letztlich die rechtliche Unabhängigkeit der
Kinder, selbst wenn sie erwachsen geworden
sind. Kinder gelten als unselbständiger
Bestandteil des Familienverbandes, an dessen
Spitze die Eltern stehen. Man befindet sich
damit im diametralen Widerspruch zum
modernen Verständnis von den Rechten des
Individuums."
(aus: Kinderarmut und
Generationengerechtigkeit
2002) |
Die Konsequenz dieses Ansatzes ist
für EBERT eine "elternzentrierte
Statuspolitik", die sich nicht um die Rechte
der Kinder und Jugendlichen, sondern
ausschließlich um die Rechte der Eltern
kümmert:
Beutet der Sozialstaat die Familien aus? Darstellung und
Kritik einer einflußreichen Ideologie
"Der Statuswahrungspolitik
für die Eltern kommt es in erster Linie
darauf an, dass Eltern nach Möglichkeit mit
Kinderlosen derselben Schicht gleichgestellt
werden. Familienpolitik wird als
korrigierender Eingriff des Staates in einen
angenommenen Konflikt zwischen Kinderreichen
und Kinderlosen konzipiert. Dem entspricht
der klassische horizontale
Familienlastenausgleich mit einem
steuerlichen Kinderfreibetrag, welcher
aufgrund der Steuerprogression zu einer mit
dem Einkommen der Eltern wachsenden
Kindervergünstigung führt."
(aus: Kinderarmut und
Generationengerechtigkeit
2002) |
Für die Rentenversicherung
befürchtet EBERT eine "Denaturierung der
Rentenversicherung zum Elternrentensystem".
Mit der Elternrente, bei der das
"reproduktive Mindestsoll" von zwei
Kindern pro Elternpaar als Richtschnur dient, ist
der bevölkerungspolitische Aspekt unverkennbar. Mit der Elternrente
soll quasi das bevölkerungspolitische
Bestanderhaltungsziel auf jeden
einzelnen Haushalt herunter gebrochen werden. Was BORCHERT über
das Vehikel Bundesverfassungsgericht durchsetzen
möchte, das formuliert BIRG zur
Richtschnur
staatlichen Handelns in Demokratien um:
Schrumpfen oder wachsen? Die Lebensbedingungen sind
entscheidend
"In einer Demokratie
besteht das oberste Ziel allen staatlichen
Handelns in einer Politik für die
Bevölkerung. Deren Qualität lässt sich
daran messen, ob die Lebensbedingungen zu
einer natürlichen Reproduktion der
Bevölkerung oder zu ihrer ständigen Abnahme
führen."
(Herwig Birg in Das
Parlament v. 10./17.05.2002) |
Ziel von BIRG ist die schrittweise
Anhebung des bestandserhaltenden Niveaus von 2,1
Kindern pro Frau bis zum Jahr 2030. Um dies zu
erreichen ist eine offensive
Bevölkerungspolitik auch gegen den Widerstand
der Bevölkerung notwendig.
Das
Statistische Bundesamt
Die amtliche Statistik auf der
Grundlage von regelmäßig durchgeführten
Erhebungen und darauf basierenden Vorausberechnungen
hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung sind
wichtige Voraussetzungen, um das von BIRG
anvisierte Bevölkerungsbewusstsein
in der Bevölkerung durchzusetzen. Der Indikator
Einpersonenhaushalt und die
Reduzierung
von Familie auf die Haushaltsfamilie
sind die beiden zentralen Elemente auf denen die
Dramatisierung
des Geburtenrückgangs basieren.
Die Popularisierung
und Instrumentalisierung der Individualisierungsthese
von Ulrich BECK nach der
Wiedervereinigung hat in den 1990er Jahren nicht
unwesentlich zur Durchsetzung des
Schlagwortes vom
"Demografischen
Wandel" geführt. Christoph
BUTTERWEGGE und Michael KLUNDT sehen im Rückgriff auf eine
solche Formel "eine Tendenz zur Entpolitisierung
wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungsprozesse, weil soziale Fragen
auf demografische Probleme reduziert [...] werden" (2002).
Politische Fragen werden zu Sachzwängen umformuliert und damit
der Debatte entzogen. Die
Begrifflichkeiten der amtlichen Statistik, die
sich in den letzten 50 Jahren durchaus geändert
haben, gaukeln oftmals eine Kontinuität
oder Diskontinuität der Lebensverhältnisse vor,
die mit der sozialen Wirklichkeit nur sehr
bedingt zusammenhängt. Mythen wie
die
"Single-Gesellschaft" und die
Ein-Kind-Familie sind das Produkt der
Fehlinterpretation amtlicher Daten.
Die
Durchsetzung des Begriffs
"Bevölkerungspolitik"
Schrumpfen oder wachsen? Die Lebensbedingungen sind
entscheidend
"jede Art politischen
Handelns (und Unterlassens) [hat]
Auswirkungen auf die Zahl und Struktur der
Bevölkerung hat. Sind diese Auswirkungen
beabsichtigt, spricht man von
Bevölkerungspolitik. Da die Wirkungen
unabhängig davon eintreten, ob sie
beabsichtigt sind oder nicht, können die
bevölkerungspolitisch bedeutsamen
demographischen Auswirkungen der Politik auch
in einer Demokratie nicht vermieden, sondern
nur anders benannt werden.
Als Ersatzbezeichnungen für die
bevölkerungspolitisch bedeutsamen Wirkungen
der Politik auf die Geburtenzahl sind in
Deutschland die Begriffe Familienpolitik,
familienorientierte Sozialpolitik oder
gesellschaftliche Nachwuchssicherung üblich.
Die Politik zur Verringerung der
Sterblichkeit bzw. zur Erhöhung der
Lebenserwartung firmiert unter
'Gesundheitspolitik'. Nur die
Migrationspolitik wird nicht mit einer
Ersatzbezeichnung benannt, aber dafür werden
die demographischen Auswirkungen dieses für
Deutschland wichtigen Teils der
Bevölkerungspolitik um so konsequenter
verdrängt."
(Herwig Birg in Das
Parlament v. 10./17.05.2002) |
Mit dem Pflegeurteil des
Bundesverfassungsgerichts ist der Einstieg in die
Bevölkerungspolitik faktisch vollzogen worden. Wenn jetzt Herwig
BIRG eine neue Sprachregelung in der
Öffentlichkeit durchsetzen möchte, dann
vollzieht er nur nach, was bereits Fakt ist. Bereits im Jahr 2001
hat der Demograph Karl SCHWARZ seine Kollegen zum
Einstieg in die Bevölkerungspolitik
aufgefordert (vgl. "Aufforderung an die Demographen zum Einstieg
in die Bevölkerungspolitik" in den BIB-Mitteilungen Nr.2
v. 26.06.2001). Der Familiensoziologe Max WINGEN
spricht seit dem Jahr 2001 von
"bevölkerungsbewusster Familienpolitik" (vgl. Die
politische Meinung Nr.385, Dezember 2001).
Bevölkerungspolitik
als nachholende Modernisierung?
Wenn man BIRGs Behauptungen beim
Wort nimmt, dann läuft seine These darauf
hinaus, dass Deutschland aufgrund des
Nationalsozialismus bevölkerungspolitisch
rückständig ist und deshalb einer nachholenden
Modernisierung bedarf. Tatsache ist jedoch,
dass selbst in Frankreich, wo
Bevölkerungspolitik kein Fremdwort ist, die
Geburtenrate der "Franzosen" (unser
deutsches Geburtenratenverständnis auf
Frankreich übertragen) nicht die
Bestandserhaltung garantieren kann! Die höhere
Geburtenrate in Frankreich im Vergleich zu
Deutschland ist zum Teil die Konsequenz einer
anderen Berechnung. Auf diesen Sachverhalt hat
Dieter OBERNHÖFER hingewiesen (vgl. "Nur Zuwanderung sichert den
Wohlstand Deutschlands", FR 22.01.2002). Obwohl in Frankreich
die pronatalistische Politik
nicht durch den Nationalsozialismus verdrängt
werden musste, ist auch in Frankreich eine solche
Politik nicht unumstritten.
Im Buch
Die Tyrannei
der Lust beschreibt der Journalist
Jean-Claude GUILLEBAUD die
bevölkerungspolitische Debatte in Frankreich und
den bevölkerungspolitischen Geburtenwettlauf in
Konkurrenz mit Deutschland. Dabei werden auch die
irrationalen Elemente einer solchen
pronatalistischen Politik deutlich:
Die Tyrannei der Lust
"Auf einmal
verkehrten sich sämtliche demographischen Parameter
gleichzeitig in ihr Gegenteil - man erlebte einen starken
Rückgang der Geburtenzahlen und der Eheschließungen, die
Frauen blieben länger unverheiratet, die Zahl der
Scheidungen stieg sprunghaft an, während die Zahl der
Kinder pro Familie abnahm, und so weiter. Binnen weniger
Jahre hatte die Nettofortpflanzungsrate einen Tiefpunkt
erreicht; 1975 sank sie unter das Niveau, das langfristig
für eine gleichbleibende Bevölkerungsdichte erforderlich
ist. Sämtliche Länder des Westens waren von dem Phänomen
betroffen und erstaunlicherweise alle zur selben Zeit.
»1964«, schreibt Evelyne Sullerot »ereignet sich ein
verblüffender Bruch: zum ersten Mal seit zwanzig Jahren
stürzt die Geburtenrate rasant in die Tiefe, und zwar in
ein und demselben Jahr in Belgien, der BRD, in Dänemark,
Spanien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien,
Italien, den Niederlanden, in Portugal, Schweden und in
der Schweiz [...] Während der folgenden drei Jahre, von
1964 bis 1967, verlieren Frankreich, England und
Deutschland 1,3 Geburten pro 1000 Einwohner, die
Niederlande und Italien 1,8 und in Belgien sind es 2.«"
(2001,
S.329) |
Der Schweizer
Bevölkerungssoziologe HÖPFLINGER weist in dem Buch
Bevölkerungssoziologie zudem
darauf hin, dass in Deutschland bereits vor dem
Nationalsozialismus die Zahl der Kinderlosen im
internationalen Vergleich höher war als in
anderen Ländern:
Bevölkerungssoziologie
"Der Anteil
kinderlos bleibender Frauen in Deutschland
war schon in früheren Generationen
beträchtlich. So blieb von den 1901/1905
geborenen Frauen fast jede vierte Frau
kinderlos (was mit zur damals vergleichsweise
geringen Geburtenhäufigkeit beitrug".
(1997,
S.55) |
Wenn es also einen
deutschen
Sonderweg gibt, dann lässt er sich
nicht durch Verdrängungen aufgrund der
NS-Geschichte begründen, wie das BIRG versucht.
Der Rückgriff auf das Kapitel
Nationalsozialismus hat deshalb andere Gründe,
denn BIRG ist entschiedener Gegner einer
Zuwanderungspolitik.
Die
Rückkehr der deutschen Mutter
Schrumpfen oder wachsen? Die Lebensbedingungen sind
entscheidend
"Eine Politik für die
Bevölkerung zu betreiben, die die in
Deutschland seit zweieinhalb Jahrzehnten
praktizierte Bevölkerungspolitik durch
Einwanderungen überflüssig macht, indem sie
die Geburtenrate wieder auf das
bestandserhaltende Niveau von zwei Kindern
pro Frau anhebt, ist langfristig ohne
Alternative."
(Herwig Birg in Das
Parlament v. 10./17.05.2002) |
Was BIRG hier fordert, das
widerspricht dem Geburtentrend in allen
Industriestaaten seit Beginn der
Industrialisierung. Selbst die Rückkehr der
deutschen Mutter (Barbara VINKEN
), die sich BIRG
offensichtlich erhofft, wäre mit dieser Aufgabe
überfordert. Gerade jene Länder,
die eine hohe Geburtenrate aufweisen wie die
Frankreich oder die USA, haben dies nur aufgrund
eines hohen Ausländeranteils erreicht.
Bevölkerungsentwicklung
und Wohlstand
Das Kriterium Bestandserhaltung wird
heutzutage damit begründet, dass der
Bevölkerungsrückgang mit einem
Wohlstandsverlust der Bevölkerung einhergeht. Tatsächlich ist
diese Behauptung durch nichts bewiesen. Selbst
der Zusammenhang zwischen Geburtenrate
und sozialstaatliche Sicherung ist nicht
so zwingend wie das die Befürworter einer
pronatalistischen Politik behaupten.
Zuallererst
fehlt es nicht an Kindern, sondern an
Beitragszahlern und Arbeitsplätzen, die eine
Familie ernähren können:
gürtlers contragnosen
"Bei den
Demografen gesellt sich (...) zum klassischen
Prognosefehler meist noch ein Denkfehler
hinzu: Sie glauben, dass das Auf und Ab von
Geburt und Tod die Entwicklung von Wirtschaft
und Gesellschaft bestimmen wird. Dabei
verhält es sich genau andersherum: Die
Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft
bestimmt die Einwohnerzahl. Nirgends zeigt
sich das so klar wie in Ostdeutschland seit
der Wende: Wo wenig Geld, da wenig
Mensch".
(Detlef Gürtler in der taz
vom 15.05.2002) |
Auch Thomas EBERT sieht in der
Fortpflanzung nicht die entscheidende Quelle des
Reichtums:
Beutet der Sozialstaat die Familien aus? Darstellung und
Kritik einer einflußreichen Ideologie
"Die 'biologische
Produktionstheorie' entspricht (...) nicht
den Gegebenheiten einer modernen
Volkswirtschaft, in der weniger die Zunahme
der Arbeitskräfte als die Kapital- bzw.
Wissensakkumulation, mithin die Steigerung
der Arbeitsproduktivität, ausschlaggebend
ist."
(aus: Kinderarmut und
Generationengerechtigkeit
2002) |
EBERT führt weiter aus, dass das
reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1950
bis heute "zu über 90 Prozent auf
Realkapitalbildung und Steigerung der
Arbeitsproduktivität und zu weniger als 10
Prozent auf das Wachstum der Zahl der
Arbeitskräfte zurückzuführen" ist.
Absage an
die Vor- bzw. Gegenmoderne
Das vormoderne Modell
"Ganzes Haus", das
Familienfundamentalisten als Lösungskonzept
vorschwebt, setzte die Ausbeutung der Kinderlosen
voraus. Es war zudem auf - im heutigen Sinne
Familienfremde - angewiesen, weil auch damals die
Fortpflanzung des Patriarchen
nicht immer das Überleben der
"Familienbetriebe" garantieren konnte
(vgl. André HOLENSTEIN "Oeconomia - das Haus als Welt", NZZ
11.05.2002
). Man sollte deshalb
die sozialen Sicherungssysteme in ihrer heutigen
Form als Fortschritt und nicht als Hemmnis
betrachten. Wohlstand für alle
ist primär eine politische Frage der sozialen
Gerechtigkeit und keine biologische Frage der
Fortpflanzung.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der "Single-Gesellschaft"
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
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