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Apokalypse now
Die
angestrebte Reform der Alterssicherung wirft ihre Schatten
voraus. Während noch der Krieg der Generationen
inszeniert wird, haben die großen Tagesszeitungen bereits den
Krieg gegen Kinderlose auf die Agenda gesetzt.
Die Frankfurter
Allgemeine Zeitung (FAZ) hat am 07. August auf Sonderseiten
die Serie Die demographische Zeitbombe begonnen. Die
Süddeutsche Zeitung hat das Thema mit dem Beitrag Wie viele
Kinder hast du? von Volker WÖRL auf die Tagesordnung
gesetzt.
Nach und nach
werden alle Mitte-Medien die Rente nach Kinderzahl in den
Mittelpunkt rücken, denn es sind drastische Änderungen im System
der Alterssicherung geplant. In der FAZ heißt es dazu:
Die demographische Zeitbombe
"Diesmal könnte weit
gesprungen werden. Tabus beim Nachdenken soll es nicht mehr
geben. Geprüft wird alles - von der Grundrente über stärkere
Kapitaldeckung bis hin zur Anhebung des Rentenalters oder einer
Staffelung der Rente nach Kinderzahl".
(Hig, FAZ v. 07.08.2003) |
Vor diesem Hintergrund muss die
Inszenierung der Apokalypse
gesehen werden, die unter dem Begriff
"Demographischer Wandel"
mittlerweile zur unhinterfragbaren Selbstverständlichkeit
geworden ist und damit den Grundstock für die Rechtfertigung
radikaler Änderungen der Lebensbedingungen weiter Teile der
Bevölkerung ermöglicht.
Die Verfechter
einer rigiden Bevölkerungspolitik
behaupten, dass es einen
Sachzwang zum schnellstmöglichen Handeln gibt. Dazu wird die Gefahr einer Gerontokratie beschworen,
die mittlerweile in fast allen Berichten zum Generationenkrieg
zu finden ist.
Die Gefahr einer Herrschaft der Alten
Hans-Werner SINN, der Präsident
des Münchner IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung und
prominentester Verfechter der Rente nach Kinderzahl hat dazu im
Jahr 2000 unter dem Titel Wann kippt Deutschland um?
eigene Berechnungen angestellt. Zu den Grundlagen der
Berechnung und dem Gegenstand des IFO-Papiers heißt es dort:
Wann kippt Deutschland um?
"Es geht um die Frage, ob
Rentenreformen in Richtung eines kapitalgedeckten Systems
mehrheitsfähig sind bzw. wie lange sie es noch sind. Um die
Frage zu beantworten benutzen wir das CESifo Rentenmodell, das
auf den Bevölkerungsschätzungen des Statistischen Bundesamtes
basiert. Das Modell erlaubt es, die Gewinne und Verluste für
alternative Alterskohorten auszurechnen. Unter der Annahme, dass
alle Menschen ab 18 Jahren zur Wahl gehen und sich frei von
altruistischen Motiven so entscheiden, wie es für sie selbst den
größten ökonomischen Nutzen bringt, generiert das Modell eine
begründete Prognose über die Mehrheitsfähigkeit von Reformen und
den Zeitpunkt des möglichen Umkippens in die Gerontokratie.
Diese Prognose beschreibt das Zeitfenster, das der Politik für
Reformen des Umlagesystems in Richtung auf kapitalgedeckte
Systeme noch zur Verfügung steht."
(aus: Ifo-Schnelldienst 28-29, 2000, S.21) |
Lassen wir zu erst einmal
außer Acht, ob die Prämissen der Prognose realistisch
sind und ob das Ziel eines kapitalgedeckten Rentensystems
wünschenswert ist. Nach der Prognose von SINN &
ÜBELMESSER ist es um die prinzipielle
Mehrheitsfähigkeit der Reform
folgendermaßen bestellt:
Wann kippt Deutschland um?
"Nach unseren Berechnung
profitieren im Jahr 2000 etwa 53,2 % der wahlberechtigten
Bevölkerung von einer solchen Reform, und 46,8 % verlieren.
Die Mehrheit wird (...) aber um das Jahr 2023 kippen (...).
Schon im Jahr 2027 (...) ist eine Situation erreicht, die
bezüglich des Rentensystems tatsächlich als Gerontokratie
bezeichnet werden kann."
(aus:
Ifo-Schnelldienst 28-29,
2000, S.24) |
Wir schreiben mittlerweile das
Jahr 2003. Bis zum prognostizierten Umkippen
dauert es noch 20 Jahre. Ein akuter Handlungsdruck kann daraus
nicht abgeleitet werden. Auch wenn z.B. Verfechter eines
Familienwahlrechts sogar weitreichende Wahlrechtsreformen
fordern, um das Umkippen zu verhindern, von einer Krise kann
momentan überhaupt keine Rede sein. Wenn also nun eine
apokalyptische Situation inszeniert wird, dann sollen damit nur
allerletzte Widerstände gebrochen werden bzw. dafür gesorgt
werden, dass erst gar keine Widerstände gegen die Reform
aufkommen können.
Ziel der Rentenreform:
Bestandsschutz für die 68er-Generation
Warum also die Eile? Eile ist
geboten, weil Bestandsschutz für die 68er-Generation das oberste
Gebot der Rentenreform ist:
Wann kippt Deutschland um?
"Wenn die Reform so
ausgestaltet wird, dass die bereits aufgebauten Ansprüche der
Rentner und rentennahen Jahrgänge nicht angetastet werden, wie
es z.B. der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium
(1998) und Sinn (1999) gefordert haben, dann muss die
Übergangsgeneration der zuerst von der Reform betroffenen
Erwerbstätigen den gesamten Vorverlagerungseffekt bei der
impliziten Steuerlast, der aufgrund einer Teilkapitaldeckung
zustande kommt, allein tragen,"
(aus: Ifo-Schnelldienst 28-29, 2000) |
heißt es in dem Papier von
SINN & ÜBELMESSER.
Hans-Werner SINN gehört also
selbst noch zu den Profiteuren seines Reformvorschlags, der die
Last auf die Single-Generation und folgende Generationen (Golf,
Smart usw.) abwälzt.
Rechtfertigung des
Bestandsschutz: bevölkerungspolitisch korrekte Vermehrung
Susanne GASCHKE hat in der
ZEIT vom 14.08. 2003 (Wo sind die Kinder?) die
Rechtfertigung für SINN nachzuliefern versucht
:
Wo
sind die Kinder?
"Alle
Deutschen, die 60 Jahre und älter sind – von der Generation der
Achtundsechziger aufwärts –, haben beide Verpflichtungen
eingehalten: Sie haben für die Eltern die Rente gezahlt, und sie
haben sich bevölkerungspolitisch korrekt vermehrt."
(Die Zeit 14.08.2003) |
Dazu
präsentiert sie auch noch eine Statistik, die dies beweisen
soll:
Wo
sind die Kinder?
"1964 brachte
eine Frau, statistisch gesehen, 2,54 Kinder zur Welt. Die
Nettoreproduktionsrate lag bei 1,18 – das heißt, dass diese
Eltern durch ihre Kinder mehr als ersetzt wurden."
(Die Zeit 14.08.2003) |
Die
Argumentation von GASCHKE hat einen Haken: sie belegt nicht, was
sie beweisen möchte. GASCHKE hantiert mit zwei verschiedenen
Zahlen:
1)
Gesamtfruchtbarkeitsziffer (TFR) und
2) Nettoreproduktionsziffer
Beide Zahlen
sagen jedoch nichts über die Zugehörigkeit zu einer Generation
aus. Hierzu wird die durchschnittliche Kinderzahl (CFR) eines
Mütterjahrgangs benötigt. Die statistische Frau bei GASCHKE
ist eine Durchschnittsfrau des Jahres 1964, die aus allen
gebärfähigen Altersgruppen ermittelt wird.
Man muss ein Buch
aus dem Jahre 1984 zu Rate ziehen, um dies aufzudecken. In
seinem Buch Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und
20. Jahrhundert hat Peter MARSCHALCK das Zustandekommen des
Babybooms in den 60er Jahren behandelt. Er schreibt dort:
Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20.
Jahrhundert
"Die um 1955 beginnende
neue Phase in der Fruchtbarkeitsentwicklung der Bundesrepublik
ist durch einen Anstieg der Gesamtfruchtbarkeit (von 2,13 auf
2,54 im Jahre 1964) und eine Verkürzung des
Generationenabstandes um weitere zwei Jahre gekennzeichnet. Ihr
wesentliches Merkmal dürfte aber eine Fruchtbarkeitswelle sein,
die deutliche Vermehrung der Zahl der Geburten für die Jahrgänge
1926 - 1933 und der ebenso deutliche Rückgang der Fruchtbarkeit
der Jahrgänge 1934 - 1941."
(1984, S.95) |
Demnach sind
die 70- bis 77-Jährigen die letzte Generation, die ihren
"bevölkerungspolitisch korrekten" Beitrag geleistet haben.
Glaubt man Meinhard
MIEGEL, dann sind selbst die Zahlen von MARSCHALCK noch zu
optimistisch. In seinem Buch Die deformierte Gesellschaft
heißt es dazu:
Die deformierte Gesellschaft
"Die
Jahrgänge, die mehr Kinder großzogen, als sie selber zählten,
wurden in Deutschland vor über einem Jahrhundert geboren. Der
Jahrgang 1892 war der letzte, der sich in der Zahl seiner Kinder
ersetzte. Seitdem ist jede Kindergeneration zahlenmäßig kleiner
als ihre Elterngeneration. Damit hat Deutschland schon in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den jahrhundertealten Pfad
des Bevölkerungswachstums verlassen. Nur die Geburtsjahrgänge
1930 bis 1937 erreichten in den sechziger Jahren noch einmal
eine annähernd bestandserhaltende Geburtenrate".
(2002, S.14f.) |
Egal, wer nun
Recht hat, sicher ist, dass ab 1900 fast immer die Kinderzahl
eines Mütterjahrgangs unterhalb des Bestandserhaltungsniveau
lag.
Die Gnade des günstigen Altersaufbau
Nur einem
günstigen Altersaufbau war es zu verdanken, dass nicht bereits
nach der vorletzten Jahrhundertwende ein Geburtenrückgang zu
verzeichnen war:
Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20.
Jahrhundert
"Bei einem
anderen Altersaufbau (...) wäre es (...) mindestens seit Beginn
der 1920er Jahre, sehr wahrscheinlich aber auch schon während
des ersten Weltkriegs - früh zu Sterbeüberschüssen gekommen.
(...). Mit anderen Worten, die langfristige Bestandserhaltung
der deutschen Bevölkerung aus natürlicher Reproduktion (ohne
Zuwanderung) war schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr
gewährleistet; das reale Wachstum war das Ergebnis sehr geringer
Fruchtbarkeit bei einer für die Reproduktion außerordentlich
günstigen Altersstruktur".
(1984, S.69) |
Heutzutage
kann also kaum mehr eine Generation mit einem
Bestandserhaltungsargument daherkommen. Das Argument erledigt
sich bald von selbst. Um zukünftige Rentenreformen zu
rechtfertigen muss deshalb nach anderen Kriterien gesucht
werden.
Das Pflegeurteil des BVG und seine Folgen
für Singles
Seit dem
Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2001 mit
seinem Pochen auf den generativen Beitrag sind Kinderlose
argumentativ in die Defensive geraten
.
Das BVG folgte hierin der Argumentation des
Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG.
Christoph BUTTERWEGGE und Michael KLUNDT fassen die
Konsequenzen des Urteils
im Beitrag Die Demografie als Ideologie und Mittel
sozialpolitischer Demagogie? aus dem Buch
Kinderarmut und Generationengerechtigkeit folgendermaßen zusammen:
Die Demografie als Ideologie und Mittel sozialpolitischer
Demagogie?
"Mit dem
BVG-Urteil zur Pflegeversicherung und der Forderung, seine
Grundzüge auf die übrigen sozialen Sicherungssysteme zu
übertragen, werden alle Menschen - unabhängig davon, welcher (Einkommens)-Schicht
sie angehören - in ein benachteiligtes Lager (der Kinderreichen)
und ein privilegiertes Lager (der Kinderlosen) eingeteilt."
(aus: Kinderarmut und Generationengerechtigkeit 2002, S.69f) |
Die Autoren
kritisieren weiter:
Die Demografie als Ideologie und Mittel sozialpolitischer
Demagogie?
"Dabei sind
von der geplanten »Umverteilung« privat versicherte Selbständige
und Beamte überhaupt nicht betroffen. Obwohl es das genannte
Urteil suggeriert, hängt das Fortexistieren der
Pflegeversicherung ebenso wenig wie die umstrittene
Funktionsfähigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung von der
Biologie ab. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um eine
genuin politische Frage, Entscheidungen über die (Um-)Verteilung
des trotz einer stagnierenden bzw. künftig sogar sinkenden
Bevölkerungszahl seit einem Jahrzehnt kontinuierlich wachsenden
Bruttoinlandsprodukts betreffend."
(aus: Kinderarmut und Generationengerechtigkeit 2002,
S.70) |
Die
Befürworter einer Rente nach Kinderzahl können sich seit dem
Jahr 2001 auf das BVG-Urteil berufen. Über die Ausgestaltung des
Beitrags der Kinderlosen ist damit jedoch noch nichts gesagt. Hans-Werner SINN
hat seither immer wieder seinen extrem singlefeindlichen
Rentenvorschlag in dem Medien platzieren können.
Ende März hat dies
sogar die kinderlose CDU-Vorsitzende Angela MERKEL für ihn
übernommen. Dass der Vorschlag schnell wieder vom Tisch war,
sagt nichts über die Durchsetzungschancen aus. Gerade wurde der
Vorschlag in der Süddeutschen Zeitung erneut ins Gespräch
gebracht. Die Rente nach Kinderzahl soll deshalb hier in der
Variante von Hans-Werner SINN detaillierter vorgestellt werden.
Die Rente nach Kinderzahl:
Begründungen, Ausgestaltung und Ziele
1) Das Rentensystem ist schuld: Kinder machen
arm und Kinderlosigkeit macht reich
In der
Welt am Sonntag vom 08.04.2001 hat SINN ausführlich den
Zusammenhang zwischen Rentenversicherung und Geburtenrate
hergestellt:
Rentenhöhe nach Kinderzahl
"Bevor
Bismarck die Rentenversicherung einführte, war jedermann klar,
dass er ohne eigene Kinder arm sein würde und sich auf die
Almosen seiner Verwandten verlassen müsste. Kinder zu haben,
gehörte deshalb zur normalen Lebensplanung, wie es auch heute
noch in den meisten Ländern dieser Erde der Fall ist. Die
Rentenversicherung hat die Verbindung zwischen dem
Lebensstandard im Alter und der Zahl der eigenen Kinder jedoch
zerstört. (...) Niemand denkt mehr and die Rente, wenn er Kinder
plant. Dies beweist, wie stark die Fertilitätshemmung ist, die
die staatliche Rentenversicherung ausübt".
(WamS 08.04.2001) |
Auf einen
kurzen Nenner gebracht: "Die Rentenversicherung (...) ist eine
Versicherung gegen Kinderlosigkeit und die daraus entstehende
Altersarmut" (FTD 29.12.2002).
2) Ziel: Die Wiederherstellung des
"natürlichen" Kinderwunsches
Aufgrund des
konstruierten direkten Zusammenhangs zwischen Reichtum/Armut im
Alter (Rentenversicherung) und Geburtenrate, verspricht sich
SINN die Wiederherstellung wenigstens eines Teil der
"natürlichen Motive für den Kinderwunsch". Das Menschenbild von
SINN ist der Homo oeconomicus. Das wird aus seinem Artikel
Wer keinen Nachwuchs hat, muss zahlen in der Financial
Times Deutschland sichtbar:
Wer keinen Nachwuchs hat, muss zahlen
"Wenn
Kinderlose erhebliche Teile ihres Einkommens sparen müssen, bloß
um damit bei ihrer Rente auf den gleichen Stand wie Familien mit
Kindern zu kommen, dann erhalten die Kinder bei der
Lebensplanung wieder das ihnen ökonomisch zustehende Gewicht."
(FTD
29.12.2002). |
3) Der Vorteil der Staffelung nach Kinderzahl
Im selben
Artikel erklärt SINN auch den Vorteil seines
Rentenreformvorschlags:
Wer keinen Nachwuchs hat, muss zahlen
"Statt eine
ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen,
sollten die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende
Riester-Sparen auf die Kinderlosen konzentriert werden. Wer
keine Kinder in die Welt setzt und großzieht, dem kann eine
erhebliche Rentenkürzung zugemutet werden."
(FTD
29.12.2002). |
Die
Minderheit der lebenslang Kinderlosen soll also am stärksten durch Leistungskürzungen bestraft werden und
gleichzeitig sollen die Kinderlosen durch gleich
bleibende Beiträge das Rentenversicherungssystem
stabilisieren, "weil sie zur Finanzierung der jetzt Alten
gebraucht werden".
4) Der Generationenvertrag der
SINN-Rente
Die
SINN-Rente ist ein 2-Säulenmodell. Staatliche und private
Altersvorsorge sind die beiden Komponenten. Die betriebliche
Altersvorsorge bleibt in diesem Modell ausgeklammert.
Das Grundprinzip erläutert SINN ebenfalls in dem FTD-Artikel:
Wer keinen Nachwuchs hat, muss zahlen
"In der
leistungsfähigen Lebensphase muss man seine Eltern und seine
Kinder ernähren. Die erste dieser beiden Leistungen wird in Form
der Rentenbeiträge erbracht, die ja in vollem Umfang an die
heutigen Rentner fließen. Doch die zweite Leistung wird von
vielen Menschen nicht erbracht, weil sie sich gegen Kinder
entscheiden. So gesehen ist sehr wohl gerecht, nun auch diesen
Menschen eine zweite Leistung in Form des Riester-Sparens
abzuverlangen."
(FTD
29.12.2002). |
Daraus ergibt
sich für SINN ein Zwang zur privaten Vorsorge für Kinderlose.
Sich bevölkerungspolitisch korrekt vermehrende Menschen sollen
nach SINN nur in die staatliche Altersvorsorge einzahlen müssen,
während bevölkerungspolitisch unkorrektes Verhalten durch
Zwangssparen in eine private Altersvorsorge bestraft wird.
Dass Selbständige
und Beamte zur Zeit gar nicht in dieses System integriert sind,
bleibt bei SINN unerwähnt. SINNs Vorschlag setzt - ernst
genommen - den Umbau in eine Bürgerversicherung voraus. Dazu
schweigt SINN jedoch.
5) Die Ausgestaltung der SINN-Rente
a) Das staatliche Rentenniveau in
Abhängigkeit von der Kinderzahl
Traditionelle
Familienpolitik sorgte mittels Familienlastenausgleich
dafür, dass Kinderlose ihren Beitrag zur Mitfinanzierung der
Kinder leisteten. Dieser - von SINN als gering bezeichnete -
Beitrag solle mitberücksichtigt werden. Dennoch soll Kinderlosen
die Rente auf die Hälfte gekürzt werden.
Wer keinen Nachwuchs hat, muss zahlen
"Nur wer zwei
Kinder und mehr großzieht, dem kann die umlagefinanzierte Rente
im bisherigen Umfang erhalten bleiben".
(FTD
29.12.2002). |
b) Die private Altersvorsorge als
Zwangssparen in Abhängigkeit von der Kinderzahl
Die konkrete
Ausgestaltung des Zwangssparens erklärt SINN folgendermaßen:
Wer keinen Nachwuchs hat, muss zahlen
"Die
Betroffenen müssen verpflichtet werden, in dem Maße eine
Riester-Rente anzusparen, wie ihnen die umlagefinanzierte Rente
gekürzt wird. Dabei wird die derzeit vorgesehene Ersparnis von
nur vier Prozent bei Kinderlosen nicht ausreichen, um den
Verlust der Hälfte der Umlagerente wettzumachen. Es ist
sicherlich von einem Betrag in der Größenordnung von sechs bis
acht Prozent auszugehen, wenn eine solch umfangreiche
Rentenkürzung kompensiert werden soll."
(FTD
29.12.2002). |
Mit dem
2-Säulensystem ist für SINN ein sozial gerechtes System
gefunden, das sowohl dem Verursacherprinzip als auch dem Leistungsfähigkeitsprinzip folgt.
c) Bestandsschutz für bisher geleistete
Anwartschaften
SINN spricht
davon, das die "bereits aufgebauten Anwartschaften nicht
angetastet werden". Im vollen Umfang träfen die Vorschläge also
nur die jungen Berufsanfänger, also die Generation Smart und
eventuell die Youngsters der Generation Golf.
Die
soziale Ungleichheit verläuft nicht zwischen Kinderlosen und
Eltern
In der
Argumentation von SINN wird unterstellt, dass Kinderlose
aufgrund ihrer Kinderlosigkeit Vermögen anhäufen könnten. Die
soziale Ungleichheit aufgrund der Herkunft oder sonstiger
Benachteiligungen wird dagegen völlig ausgeklammert. Singles
werden mit Yuppies gleichgesetzt. Tatsächlich sind Singles eine
genauso heterogene Gruppe wie Familien. Kinderlosigkeit aufgrund
ungleicher Lebenschancen ist für Hans-Werner SINN kein
Thema. Kinderlose werden damit zu Sündenböcken für Versäumnisse
der Politik gemacht.
In der Erbengeneration gibt es eine Erbenelite
und ein Erbenproletariat
Gerechtigkeit anders herum
"Zwischen den
Jahren 2001 und 2010 werden, laut Meinhard Miegel, in
Deutschland rund zwei Billionen Euro zu erben sein, die
insgesamt fünfzehn Millionen Haushalten zugute kommen, in
unterschiedlichen Dimensionen. 80 Prozent erben so gut wie
nichts (...). Und 2 Prozent ein Viertel der
gesamten Vermögen. Gerecht ist er zweifellos nicht, der
Kapitalismus."
(Klaus Harpprecht in der TAZ vom 15.08.2003) |
Wer zum
Erbenproletariat gehört und nur auf ein niedriges Einkommen
durch Erwerbsarbeit verwiesen ist, der wird durch die SINN-Rente
zur Armut verdammt.
Durch
den Bestandsschutz wird einseitig die junge Generation belastet
Dieses
Problem sieht Hans-Werner SINN selbst:
Wann kippt Deutschland um?
"In jedem Fall entsteht
eine enorme Belastung für die Übergangsgeneration, die sie
veranlassen wird, die Reform abzulehnen. Wenn die
Situation der Rentner unverändert bleibt, doch die derzeit
lebende Erwerbsbevölkerung die Gruppe der Verlierer
darstellt, ist eine strukturelle Mehrheit für Reformen in
Richtung Kapitaldeckung nicht vorhanden."
(aus: Ifo-Schnelldienst 28-29, 2000, S.21) |
Deshalb
schreibt er auch:
Wann kippt Deutschland um?
"Um eine Reform in
Richtung Kapitaldeckung mehrheitsfähig zu machen, führt
kein Weg daran vorbei, die bereits erworbenen
Anwartschaften zu kürzen und stattdessen die
Erwerbsbevölkerung zu entlasten".
(aus: Ifo-Schnelldienst 28-29, 2000, S.22) |
Jeder kann
sich selbst einen Reim auf diesen Widerspruch zu seinen
Vorstößen bei der Rente nach Kinderzahl machen.
Die
Beitragszahler sind nicht identisch mit der erwachsenen
Bevölkerung in Deutschland
In der
Stuttgarter Zeitung vom 01.04. 2003 trägt Willi REINERS die
Einwände von Franz RULAND, dem Geschäftsführer des Verbandes
Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), gegen die Rente nach
Kinderzahl vor, die inzwischen auch von Angela MERKEL in die
politische Debatte eingebracht wurde:
Zuviel spricht gegen Merkels Rentenpläne
"In diesem
Fall blieben gerade die stärksten Glieder der Gesellschaft außen
vor, nämlich Beamte, Selbstständige sowie Personen mit Einkommen
aus Vermögen und oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze."
(Stuttgarter Zeitung v. 01.04.2003) |
Auch eine
Auswanderung würde dem Rentensystem Beitragszahler entziehen.
Dieses Argument wird jedoch vor allem als Drohung (Exitoption)
benutzt, gerne z.B. von Konrad ADAM.
Eltern
werden bereits durch die Einbeziehung von Erziehungszeiten
ausreichend berücksichtigt
Im
Rheinischen Merkur vom 10. April 2003 wendet Anne MEURER
gegen SINNs Vorschlag ein, dass Kinderlose bei gleichen
Beiträgen auf der Leistungsseite weniger zu erwarten haben als
Eltern:
Nein, Familien werden bereits enorm begünstigt
"Die
gesetzliche Rentenversicherung erbringt schon heute eine
erhebliche Umverteilung zugunsten von Familien: Für Geburten
seit 1992 werden je Kind drei Kindererziehungsjahre angerechnet.
Dies führt zu einer monatlichen Rentensteigerung von zurzeit 78
Euro (alte Bundesländer).
Erziehende werden damit so gestellt, als ob sie in den drei
Jahren Kindererziehungszeit ein durchschnittliches
Bruttoarbeitsentgelt erzielt und dafür Beiträge gezahlt hätten.
Die ersten zehn Jahre der Erziehung eines Kindes gelten als
Kinderberücksichtigungszeit; niedrige Pflichtbeitragszeiten und
beitragsfreie Zeiten wie zum Beispiel Schul- oder Studienzeiten
werden im Rahmen der Rentenberechnung höher bewertet.
Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten mit
Kinderberücksichtigungszeiten sind deutlich höher als Renten von
Kinderlosen mit vergleichbaren Erwerbsbiografien. Und durch die
Rentenreform 2001 wurden die kindbezogenen Familienleistungen
noch erweitert: Erziehende erhalten während der ersten zehn
Lebensjahre des Kindes eine Aufwertung ihrer
Rentenanwartschaften von bis zu 50 Prozent, wenn ein
unterdurchschnittlicher Verdienst – etwa wegen Teilzeitarbeit –
erzielt wird.
Im Ergebnis führen alle diese Leistungen dazu, dass Familien
bereits heute für eine geringere Beitragsbelastung relativ
höhere Leistungen erhalten als Kinderlose."
(Rheinischer Merkur v. 10.04.2003) |
Desweiteren
weist MEURER darauf hin, dass Kinderlose auch über Steuern einen
Beitrag zur Finanzierung der Erziehungszeiten leisten:
Nein, Familien werden bereits enorm begünstigt
"Seit Juni
1999 werden die Beiträge für Kindererziehungszeiten durch den
Bund entrichtet – in diesem Jahr 11,9 Milliarden Euro. Da diese
Mittel aus Steuereinnahmen finanziert werden, tragen auch hier
Kinderlose zur Finanzierung bei. Ein weiterer Teil der
Familienleistungen wird aus dem Finanzaufkommen der
Rentenversicherung finanziert, das ebenfalls unter Beteiligung
von Versicherten ohne Kinder aufgebracht wird."
(Rheinischer Merkur v. 10.04.2003) |
Kindererziehung ist kein Garant dafür, dass die Kinder später
Beitragszahler werden
Die
Rentenversicherung ist der falsche Ort für einen
Familienlastenausgleich, weil nicht alle Kinder auch später
Beitragszahler werden. Weder Beamte noch Selbständige zahlen
Beiträge und wer auswandert, der kann zur Finanzierung auch
nicht herangezogen werden.
Das Modell berücksichtigt Biografien jenseits
des Normallebenslauf nicht ausreichend
Altersarmut
ist keine Angelegenheit der Vergangenheit, sondern die
Veränderungen der letzten 30 Jahren führen dazu, dass die
Altersarmut wiederkehrt. Bei Christoph BUTTERWEGGE und Michael
KLUNDT heißt es
dazu:
Die Demografie als Ideologie und Mittel sozialpolitischer
Demagogie?
"Aufgrund der
Zunahme diskontinuierlicher Erwerbsverläufe, der Kürzungen im
Sozialbereich (Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe,
Verringerung der Beiträge zur Rentenversicherung, welche die
Bundesanstalt für Arbeit entrichtet, Senkung des Rentenniveaus
und Teilprivatisierung der Altersvorsorge), aber auch von
Scheidungen und der Anzahl unzureichend gesicherter Frauen
dürfte sich die Struktur der Armutspopulation künftig wieder
mehr in Richtung der Senior(inn)en verschieben. Infolge neuerer
Entwicklungstendenzen im Bereich der Ökonomie (Arbeitsmarkt),
der Reproduktion (Zerfall der »Normalfamilie«) und der
Sozialpolitik (Leistungskürzungen) sind wohl »vermehrt Abstiege
aus gesicherten Zonen in prekäre Einkommenslagen« zu erwarten."
(aus: Kinderarmut und Generationengerechtigkeit 2002,
S.66) |
Männliche Singles als Reformverlierer
In einem
Interview mit der Berliner Zeitung (09.08.2003) hat Bert
RÜRUP den männlichen Singles bei der Rente eine Rendite, die
gegen Null geht, prophezeit.
Männliche
Alleinlebende gehören im Gegensatz zu allein lebenden Frauen
bereits heutzutage überproportional zu den Geringverdienern (HRADIL 1995).
Einige Soziologen
gehen von einem Männerüberschuss aus, der für
Partnerlose im mittleren Lebensalter die Chancen auf eine
Normalfamilie verringert (z.B. Thomas KLEIN).
In seinem Buch
Generation Golf zwei beschreibt Florian ILLIES die Ängste
seiner Generation:
Generation Golf zwei
"Die 68er
befinden sich zurzeit im Stadium eines gefährlichen
Selbstbewusstseins. Bis auf Heinz sehen alle Männer aus wie
Richard Chamberlain in Dornenvögel, wie Lehrer Doktor
Specht oder wie Ulrich Wickert und werden plötzlich zu
gefährlichen Konkurrenten um die schönsten Frauen, die sie uns
in der Regel, braun gebrannt und charmant parlierend, beim
Stehempfang ausspannen."
(2003, S.215) |
Während
ILLIES hier offensichtlich auf Michel HOUELLEBECQ anspielt,
zeigen empirische Studien bisher, dass die alten Heiratsregeln,
wonach innerhalb der gleichen Schicht geheiratet wird, auch im
Neoliberalismus nicht außer Kraft gesetzt wurden (z.B. Heike
WIRTH).
Die Reformen auf
dem Arbeitsmarkt mit verschärften Zumutbarkeitsregeln für
Singles sowie drastische Einschnitte ins soziale Netz gepaart
mit zunehmenden Belastungen, könnten zur Etablierung neuer
Heiratsbarrieren führen.
Hinzu kommt, dass
Männer nach einer Trennung beim Kampf um die
Erziehungsberechtigung für ein Kind rechtlich in der
schlechteren Position sind. Eine Staffelung nach Kinderzahl
könnte hier zusätzliche Konflikte bei Scheidungen
bedeuten. Die Frage, wer das einzige Kind bei einer Scheidung
zugesprochen bekommt, würde dann auch über die spätere
Rentenhöhe mitentscheiden. Hans-Werner SINN lässt sich über
"halbe Kinder" erst gar nicht aus.
Die Steuerwirkung ökonomischer Anreize
ist nicht nachweisbar
Hans-Werner
SINN behauptet erst gar nicht, dass seine Reform einen
großartigen bevölkerungspolitischen Effekt hätte, sondern
formuliert vage:
Wer keinen Nachwuchs hat, muss zahlen
"Manch ein bislang noch
unschlüssiges Paar wird sich unter diesen Umständen
vielleicht doch für Kinder entscheiden"
(FTD
29.12.2002). |
Seine
Beispiele für erfolgreiche Anreize können genauso gut mit
kurzfristigen Verschiebungen durch vorgezogene Geburten erklärt
werden, die langfristig keine grundsätzliche Veränderung des
reproduktiven Verhaltens hervorgerufen haben. Ein
monokausales Erklärungssystem wird dem Problem nicht
gerecht. Ein nachhaltig und
langfristig geändertes Geburtenverhalten gibt es in keinem
westlichen Industrieland. Selbst Frankreich ist von der
"bevölkerungspolisch korrekten" Vermehrung noch weit entfernt
und die USA haben ihr jetziges Geburtenniveau auch erst vor
kurzem erreicht.
Die Anpassung des Rentensystems wäre auch
ohne Einstieg in die private Altersvorsorge möglich gewesen
Norbert
REUTER hat eine Alternative zur Kapitaldeckung aufgezeigt, die
Geringverdiener weniger benachteiligt:
Generationengerechtigkeit als Richtschnur der
Wirtschaftspolitik?
"Hätte man
die bewährte umlagefinanzierte Rente beibehalten, wäre aller
Voraussicht nach im Jahr 2030 mit einem Arbeitnehmeranteil von
11,8 Prozent das bisherige Leistungsspektrum bei paritätischer
Finanzierung und einem Rentenniveau von rund 69,5 Prozent
finanzierbar gewesen. Dagegen sind die mit dem Aufbau eines
zusätzlichen Kapitalstocks verbundenen Risiken (nachfolgende
nachlassende binnenwirtschaftliche Nachfrage, Kapitalexport,
Inflation von Vermögenstiteln, Währungsturbulenzen, Börsencrashs
etc. ) kaum kalkulierbar. Hätten sich unter Beibehaltung des
grundlos diskreditierten Umlageverfahrens tatsächlich
unvorhergesehene Belastungen der Beitragszahler/innen
ergeben, wäre das System - etwa durch Erweiterung der
Versicherungspflicht auf Vermögenseinkommen (»Schweizer
Modell«), An- oder Aufhebung von
Versicherungspflichtgrenze und Einbeziehung neuer
Beschäftigtengruppen - flexibel genug gewesen, auf
derartige Probleme zu reagieren."
(aus: Kinderarmut und Generationengerechtigkeit 2002,
S.97) |
Damit sind
zwar nicht alle Einwände gegen den Rentenvorschlag abgehandelt,
aber die zentralen Kritikpunkte der bisherigen Debatte sind
genannt worden.
Fazit
Fasst man das
Gesagte zusammen, dann bleibt festzuhalten, dass die Rente nach
Kinderzahl weder den Eltern hilft, noch Kinderlose dazu anregt
Kinder zu bekommen.
Eltern wäre mehr
damit gedient, wenn eine Infrastruktur die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie besser ermöglichen würde. Dies wäre eine
Sache der Steuerfinanzierung, bei der nicht nur die
Beitragszahler im Rentensystem, sondern alle Erwachsenen ihren
Beitrag leisten müssten.
Kinderlosigkeit hat
vielfältige Ursachen, die mit ökonomischen Anreizen nicht zu
beheben sind. Die Staffelung nach Kinderzahl könnte sogar
kontraproduktiv sein.
Ein Klima der
Kinderlosenfeindlichkeit könnte das Entstehen einer
Single-Bewegung fördern und erst jene Verhältnisse erzeugen, die
heute schon Singles unterstellt werden. Bisher sind Singles im
Gegensatz zu Familien nicht organisiert. In anderen Ländern ist
man da weiter. Singles sind hierzulande eine sozialstatistische
Kategorie, aber keine soziale Gruppe. Dies könnte sich ändern.
Wem wäre aber gedient mit einem Krieg zwischen Singles und
Familien? Verlierer wären am Ende beide Seiten.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
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