Kommentar
Alice
SCHWARZER
möchte gerne der Boss der
Frauengewerkschaft sein, die per
Gebärstreik die
Arbeitsbedingungen der Frauen
verbessern möchte. Der
gegenwärtige Geburtenstand ist
aber nicht das Ergebnis eines
Gebärstreiks, den die
Frauenbewegung organisiert
hätte. Die
Frauenbewegung schreibt sich
Erfolge zu, an denen sie so gut
wie gar keinen Anteil hat. Der
gegenwärtige Geburtenrückgang
ist nichts anderes als die Folge
des
Geburtenrückgangs
von 1964 bis 1978.
Selbst ein Baby-Boom wie in den
1950er Jahren würde diesen Trend
nicht umkehren können. Der Trend
kehrt sich erst dann um, wenn die
Kohorten ab 1978 Mütter werden.
Familienpolitik
kann durch Kosmetik (z.B.
erhöhtes Kindergeld) diese
Auswirkungen zu vertuschen
suchen, indem potenzielle Mütter
dazu ermuntert werden, die Geburt
eines gewünschten Kindes um ein
paar Jahre vorzuziehen. Am Trend
selbst, ändert sich nichts. Der Babyboom
der Wirtschaftswunderjahre zeigt
vielmehr, dass die Bedingungen
auf dem Arbeitsmarkt einen viel
größeren Einfluss auf die
Anzahl der kinderlosen Frauen
hat, als alle anderen Faktoren.
SCHWARZER
weist zwar auf die gute
Infrastruktur bei der
Kinderbetreuung in Ostdeutschland
hin, ohne jedoch zu erwähnen,
dass Ostdeutschland das beste
Beispiel dafür ist, dass
zwischen Kinderlosigkeit und
guter Infrastruktur kein direkter
Zusammenhang bestehen muss. In
Ostdeutschland ist die
Geburtenrate seit 1989 wesentlich
niedriger als in Westdeutschland
- trotz der besseren
Betreuungsstruktur. Auch hier ist
die Situation auf dem
Arbeitsmarkt der entscheidendere
Faktor.
Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen
"Gerade die Hausfrauen
bekommen die wenigsten Kinder. Die Euroskala der Relation zwischen
Frauenerwerbstätigkeit und Geburtenrate enthüllt eine Sensation:
Je berufstätiger die Frauen sind, um so mehr Kinder bekommen sie -
und je weniger berufstätig sie sind, um so weniger Kinder", |
meint
SCHWARZER. Über die Kinderzahl pro
Hausfrau sagt dieser Internationale Vergleich überhaupt gar nichts
aus! Es werden hier sozusagen zwei verschiedene Sachverhalte
unzulässigerweise vermengt. Aus dem internationalen Vergleich ist
weder zu ersehen, ob die Frauen teilzeitbeschäftigt oder
vollbeschäftigt sind, ob sie im Agrarsektor, in der Industrie oder
im Dienstleistungssektor beschäftigt sind. Sind diese europäischen
Länder deshalb überhaupt vergleichbar? Wie sah die demographische
Struktur dieser Länder in den letzten 50 Jahren aus? SCHWARZER
unterstellt wie so viele andere, dass diese Faktoren keinerlei
Rolle spielen. Der gesellschaftliche Wandel ist in diesen Ländern
jedoch durchaus unterschiedlich verlaufen.
Ein
wichtiger Punkt in der
Argumentation ist der behauptete
Arbeitskräftemangel. Dies ist
auch der entscheidende Punkt und
nicht die
Vereinbarkeitsproblematik von
Beruf und Familie.
Die
Lösung der Vereinbarkeitsproblematik ist
abhängig von der jeweiligen
strukturellen und konjunkturellen
Arbeitsmarktsituation und nicht
umgekehrt.
Der
Niedergang der Frauenbewegung in
den 1970er Jahren fiel nicht
zufällig mit einer veränderten
Arbeitsmarktlage zusammen,
sondern war vom Ende der
Vollbeschäftigung und dem Beginn
der Massenarbeitslosigkeit
mit bedingt. Wer wie
SCHWARZER Bevölkerungspolitik
als Frauenpolitik betreiben
möchte, der ist von den
ökonomischen Verhältnissen
direkt abhängig. Die Rede vom
"Gebärstreik" versucht
diese Abhängigkeit zu negieren.
SCHWARZERs
"Gebärstreik" ist
jedoch nichts als ein
Papiertiger...
Die
weiteren Artikel der Titelgeschichte
SCHWARZER,
Alice (2001): Nach außen emanzipiert.
Nach innen abhängig.
Sie sind ein
emanzipiertes junges Paar, und es ging
auch lange gut - bis, ja bis die beiden
Kinder kamen. Heute findet Anna die Lage
nur noch "entwürdigend",
in:
Emma,
Juli/August
KOPPETSCH, Cornelia (2001): Emanzipierte Frauen vertuschen am
meisten.
Sieh an. Niemand vertuscht die
Ungleichheit im Haushalt so eifrig wie - emanzipierte Frauen.
Wollen sie damit die Männer über die Gleichheit im Beruf
hinwegtrösten?,
in:
Emma,
Juli/August
Cornelia KOPPETSCH hat nach dem Vorbild von Jean-Claude
KAUFMANNs Buch
Schmutzige Wäsche
die häusliche Arbeitsteilung des "egalitären Paares" Paul und
Beate analysiert.
KOPPETSCH
geht es um die "Gleichheitsfiktion" in emanzipierten
Beziehungen. Die Prämisse ist dabei, dass der Mann sich der
Hausarbeit zu entziehen sucht, während die Frau ihre
Mehrarbeit zusätzlich vor sich selbst rechtfertigen muss.
Dieses Muster wirkt
heutzutage jedoch antiquiert und ist in den
Paarbeziehungen der Neuen Mitte schon längst ad akta
gelegt worden. In der Dienstleistungsgesellschaft wird der
Geschlechterkonflikt mitsamt der Hausarbeit ausgelagert. Die Generation Golf ist da
pragmatischer als die übrig gebliebenen 1970er-Jahre-Emanzen (siehe
hierzu Simone ODIERNA).
BUSCHHEUER, Else (2001): Der arme Vater und die Rabenmutter.
Else Buschheuer arbeitet im
Fernsehen und schreibt Bücher ("Masserberg"). Und sie hat eine
Tochter. Die ist heute 15. Und lebt beim Vater. Dabei gehören
die Kinder doch zur Mutter! Oder?
in:
Emma,
Juli/August
Else
BUSCHHEUER liefert einen
Erfahrungsbericht über den
Wechsel vom Leben mit Tochter zum
Leben ohne Tochter und die damit
verbundenen Selbstzweifel,
Rechtfertigungszwänge und
Lügen.
NÜRNBERGER,
Christian (2001): Die Karrieremutter und der Hausmann.
Als Erstes, dachte ich, werde
ich ein Buch über mein Leben als Hausmann und Vater schreiben.
Seht her, werde ich Alice Schwarzer und den anderen mitteilen:
Hier bin ich, der neue Mann, ein Held unserer Zeit!
in:
Emma,
Juli/August
Offensichtlich gibt es bei
Emma (und nicht nur hier) ein Problem: Die
Artikelschreiber sind Teil der Medienbranche und gehören damit
zu einem Milieu, das für die Gesamtgesellschaft wenig
repräsentativ ist, aber dafür wenigstens die besten
Möglichkeiten besitzt "Politik in eigener Sache" zu betreiben
und es gibt Einblicke in die Familien der Neuen Mitte.
Christian NÜRNBERGER ist kein freiwilliger neuer Vater,
sondern hat sich erst dazu entschlossen, nachdem seine
berufliche Perspektive nicht mehr ganz so rosig aussah.
Positiv gewendet: "Aussteigen. Vater werden!".
Der Autor beschwert sich wie
Paul-Hermann GRUNER
über das negative Image von neuen Vätern, aber das war wohl
nicht das Hauptproblem:
Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen
"Nach einem Jahr hatte
ich vom Hausmännerdasein die Nase voll. Wir engagierten
Putzfrauen, Babysitter, au-Pair-Mädchen und überhaupt
alles, was man so braucht, und ich atmete auf. Endlich
konnte ich wieder meinem Vergnügen nachgehen, meinem
Beruf, wenn auch weiter von zu Hause aus." |
Nicht nur die Lösung der
Geschlechterfrage, auch die Lösung der Kinderfrage wird
heutzutage in der Neuen Mitte pragmatisch der
Dienstleistungsgesellschaft anvertraut...
LESSMANN, Ulla (2001): Jeder
fünfte Mann will Teilzeit arbeiten.
Jetzt können auch Männer
Teilzeit arbeiten. Zumindest theoretisch. Denn die ist seit dem
1. Januar ein Rechtsanspruch. Na denn,
in:
Emma,
Juli/August
-
Die Überschrift ist
irreführend! Es geht nicht um Männer, sondern nur um die
Untergruppe der Väter.
EMMA
(2001): 5 nach 12. Und worauf wartet Vater Staat?
Mikrosoziologen sind zuständig
für das Funktionieren in der kleinsten Zelle: für Bräuche,
Sitten oder Gefühle von Menschen. Prof. Hans Bertram lehrt
Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin. Und er
findet das Verhalten der Geschlechter in Deutschland total
gestrig,
in:
Emma,
Juli/August
Der Soziologe Hans BERTRAM
fordert Solidarleistungen von allen:
Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen
"Die Gesellschaft muss
von allen ihren Mitgliedern die zeitlich gleiche
Solidarleistung für die Gesellschaft verlangen -
mindestens fünf Jahre -, und die muss jedes Mitglied in
seinem Lebenslauf unterbringen oder aber eine
entsprechende Kürzung seiner Rente hinnehmen." |
BERTRAM plädiert damit für eine
zivilgesellschaftliche Lösung, die
nicht auf Freiwilligkeit, sondern auf Zwang beruht.
SCHENK, Herrad
(2001): Mutterliebe Oder: Muttie ist die Dümmste.
Die moderne 24-Stunden-Mutter
ist neu in der Menschheitsgeschichte. Und sie ist eine Reaktion
auf die Frauenbewegung. Belegt Herrad Schenk,
in:
Emma,
Juli/August
Die Soziologin Herrad SCHENK
behauptet, dass sich Frauen seit den 1970er Jahren entweder
für oder gegen Kinder entscheiden können. Die
"Neue Mütterlichkeit"
der 1980er Jahre ist mit einem neuen Mutterkult
einhergegangen:
Gebärstreik - Warum Frauen immer weniger Kinder kriegen
"Frauen können heute
leben, wie sie wollen - aber nur, solange sie keine Kinder
haben. Entschließen sie sich aber, Mütter zu werden - dann
sind sie mehr denn je der Mutter-Ideologie unterworfen." |
Der gegenwärtige, extrem an
den kindlichen Bedürfnissen orientierte Erziehungsstil führt
nach SCHENK dazu, dass "man nur ein einziges Kind unter drei
Jahren" betreuen kann.
Diese
Aufwertung der Mütterlichkeit ist für SCHENK die Folge der
Wahlfreiheit und dem damit verbundenen Rechtfertigungszwang. Im
Gegensatz zu Barbara VINKEN, die den Mutterkult
kulturhistorisch herleitet,
argumentiert SCHENK hier sozialpsychologisch. Der Mutterkult,
d.h. die Überzeugung für das eigene Kind unersetzlich zu sein,
könnte nach SCHENK aber auch eine kompensatorische Funktion im
Zusammenhang mit der Belastung von Müttern haben.
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