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Einführung
Schon in der
ersten Zwischenbilanz vom Ende August wurde auf dieser
Website auf die Unzulänglichkeiten der Situationsberichte des
Robert-Koch-Instituts (RKI) und die Folgen mangelhafter
Kontaktnachverfolgungen in den Gesundheitsämtern hingewiesen.
Inzwischen ist für aufmerksame Beobachter klar, dass diese
Problematik nun ernsthafte Folgen für die Eindämmung der
Pandemie in Deutschland und die Bewältigung des
Krankheitsaufkommens in den Kliniken zeitigt. Selbst die
pessimistischen Prognosen des Sommers zur Entwicklung der
Todesfälle in Deutschland sind inzwischen übertroffen worden.
So prognostizierte z.B. das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME)
an der Universität in Washington Anfang August noch rund 13.600
Verstorbene bis Ende des Jahres (mehr hier). Am 29. November
meldete das RKI jedoch bereits 16.123 Tote!
Wurde im August noch
darüber gestritten, ob es in Deutschland überhaupt zur zweiten
Welle kommen wird, so dürfte mittlerweile - abgesehen von den
Corona-Leugnern - unstrittig sein, dass wir uns mitten in der
zweiten Welle befinden. Selbst als mehr und mehr europäische
Länder von einer zweiten Welle betroffen waren, galt nicht
wenigen Deutschland als Ausnahmeland. Als die Bundeskanzlerin
Ende September vor über 19.000 Neuinfektionen pro Tag warnte,
war die Empörung in weiten Teilen der Medien groß, weil sich
offenbar viele nicht vorstellen konnten, dass dies eintreffen
könnte.
Merkel warnt vor mehr als 19.000 möglichen
Corona-Infektionen täglich
"Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor
einem starken Anstieg der Corona-Neuinfektionen
in Deutschland gewarnt. Zu Weihnachten könne die
tägliche Zahl der Infektionen bei 19.200 liegen,
»wenn es so weitergeht« wie derzeit, sagte
Merkel nach Informationen der Nachrichtenagentur
AFP aus Parteikreisen in einer Schaltkonferenz
des CDU-Präsidiums. Zuvor hatte bereits die Bild
über diese Äußerung Merkels berichtet. Die
Entwicklung bereite ihr große Sorge, die
Ausbreitung des Virus müsse rasch eingedämmt
werden. "
(Zeit Online v.
28.09.2020)
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Vielen war der
Herbsturlaub wichtiger als eine drohende zweite Welle.
Die Reisebranche und ihre Handlanger in den Medien verharmlosten
die Gefahren oder belächelten sogar die Warnung der
Bundeskanzlerin. In Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,
Schleswig-Holstein und Hamburg wurden die Herbstferien mit dem
Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober eingeläutet. Erster
Schultag war dann in Mecklenburg-Vorpommern der 12. Oktober und
in Hessen, Schleswig-Holstein und Hamburg der 19. Oktober. Im
letzten Bundesland Bayern ging der Schulbetrieb erst wieder am
9. November los. Wie der Herbsturlaub der zweiten Welle den
richtigen Schub verlieh, das soll im nächsten Kapitel gezeigt
werden.
Masken werden im Oktober hip im Heidelberger
Szenestadtteil... |
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Fotos: Bernd
Kittlaus Ende September bis Ende Oktober 2020 |
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Die
zweite Welle nimmt Fahrt auf
In der nachfolgenden
Tabelle sind die Herbstferienzeiten der einzelnen Bundesländer
ersichtlich. Die 7-Tage-Inzidenzwerte der
Bundesländer sind den Zahlen des RKI entnommen:
Bundesland |
Herbstferien |
7-Tage-Inzidenz
50 und mehr |
7-Tage-Inzidenz
100 und mehr |
7-Tage-Inzidenz
150 und mehr |
Höchstwert |
Mecklenburg-Vorpommern |
05.10.
- 10.10. |
09.11.2020 |
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Hamburg |
05.10.
- 16.10. |
23.10.2020 |
01.11.2020 |
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Hessen |
05.10.
- 17.10. |
17.10.2020 |
25.10.2020 |
31.10.2020 |
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Schleswig-Holstein |
05.10. - 17.10. |
31.10.2020 |
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Niedersachsen |
12.10.
- 23.10. |
26.10.2020 |
14.11.2020 |
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Rheinland-Pfalz |
12.10.
- 23.10. |
23.10.2020 |
03.11.2020 |
17.11.2020* |
144,6 |
Saarland |
12.10.
- 23.10. |
17.10.2020 |
29.10.2020 |
12.11.2020 |
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Berlin |
12.10.
- 24.10. |
09.10.2020 |
22.10.2020 |
31.10.2020 |
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Brandenburg |
12.10.
- 24.10. |
01.11.2020 |
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Bremen |
12.10.
- 24.10. |
09.10.2020 |
24.10.2020 |
29.10.2020 |
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Nordrhein-Westfalen |
12.10.
- 24.10. |
17.10.2020 |
26.10.2020 |
02.11.2020 |
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Thüringen |
17.10.
- 30.10. |
28.10.2020 |
19.11.2020 |
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Sachsen-Anhalt |
19.10.
- 24.10. |
31.10.2020 |
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Sachsen |
19.10.
- 31.10. |
23.10.2020 |
02.11.2020 |
09.11.2020 |
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Baden-Württemberg |
26.10.
- 31.10. |
22.10.2020 |
31.10.2020 |
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Bayern |
31.10.
- 06.11. |
20.10.2020 |
28.10.2020 |
06.11.2020 |
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Das Urlaubsgeschehen
erstreckt sich vom 3. Oktober bis zum 9. November. In dieser
Zeit kann sich das Virus in Deutschland besonders gut
ausbreiten. Auch wenn die betroffenen Branchen immer wieder
betonen, dass der Fernverkehr oder die Hotels keine "Treiber des
Infektionsgeschehens" seien, sind sie zentrales Medium des
Ausbreitungsgeschehens. Auch wenn in einzelnen Bundesländern wie
z.B. Berlin und Bayern das Infektionsgeschehen bereits ein
höheres Niveau erreicht hat, so fällt der beschleunigte Anstieg
der Neuinfektionen zeitlich nach den Beginn bzw. das Ende
der Herbstferien.
Wenn hier auf die Zahlen
des Robert-Koch-Instituts zurückgegriffen wurde, dann führt uns
das gleich zur zweiten Problematik, denn die Zahlen des RKI
unterschätzen das Infektionsgeschehen in Deutschland und das
umso mehr, desto rasanter die zweite Welle Fahrt aufnimmt. Die
täglichen Meldungen des RKI ermöglichen keinen realistischen
Blick auf das bundesweite Infektionsgeschehen, sondern sind Teil
der verzerrten Wahrnehmung der Öffentlichkeit vom
Infektionsgeschehen. Das soll nun genauer erörtert werden.
Wie uns
die Zahlen des Robert-Koch-Instituts und ihre Interpretation in
der Medienberichterstattung ein falsches Bild vom
Pandemiegeschehen vermitteln
In Wirklichkeit ist die
7-Tage-Inzidenz in Deutschland weit höher als es die Zahlen des
RKI darstellen. Viele der 412 Kreise bleiben durch die lange
Meldungskette von den Laboren über die Kreisgesundheitsämter und
die Landesgesundheitsämter sowie durch die vorsintflutliche
Infrastruktur auf der Strecke, wenn es um das Niveau des
Infektionsgeschehens geht. Die Nachrichtensender versprechen
zwar eine "Analyse" der RKI-Daten, nicht selten aber bleibt es
nur bei Fake-News. Datenpannen werden nicht als solche
angesprochen, sondern werden gar als Indikator für die Vielfalt
des Infektionsgeschehens gedeutet. So erschien z.B. am 25.
November der brandenburgische Landkreis Potsdam-Mittelmark als
singulärer grüner Fleck (0 Fälle innerhalb von 7 Tagen!) auf der
Landkarte des RKI.
Eine Berichterstatterin auf ntv deutete dies
als Beleg für die Spannbreite des Infektionsgeschehen in
Deutschland und die Notwendigkeit unterschiedlicher
Eindämmungsmaßnahmen. In Wahrheit
zeigt dies vielmehr die Misere der RKI-Daten, die vielfach ein
falsches Bild zeichnen. Anhand einiger Beispiele soll deshalb
dieses Problem aufgezeigt werden.
In Hamburg agiert Peter
TSCHENTSCHER als Erster Bürgermeister der Hansestadt. Als
Mediziner ist er gern gesehener Gast in Talkrunden, der weniger
als Politiker denn als Experte für das Virus gilt. Die
Hansestadt steht beim RKI stets relativ gut da. Ein Vergleich
mit den Werten des Landesgesundheitsamtes zeigt jedoch
gravierende Differenzen. Das folgende Schaubild zeigt, die
Inzidenzentwicklung anhand der Zahlen des Landesgesundheitsamtes
und des RKI:
Das Landesgesundheitsamt (LGA)
rechnet zwar mit einer höheren Einwohnerzahl als das RKI, was
jedoch kaum Auswirkungen auf die Inzidenzentwicklung hat. Legt
man gleiche Zahlen an, dann würde sich die Differenz sogar noch
leicht erhöhen. Gemäß LGA hat Hamburg die 50 Neuinfektionen pro
100.000 Einwohner bereits am 19. Oktober überschritten, beim RKI
geschieht dies erst vier Tage später am 23. Oktober. Während
beim RKI Hamburg nie mehr als 127,1 Neuinfektionen pro 100.00
Einwohner erreicht, sind es nach Berechnungen des LGA jedoch
167,86. In Fallzahlen bedeutet dies, dass beim RKI bis zu 1.129
Fälle unberücksichtigt bleiben, was bei 3.118 Fällen mehr als
ein Drittel der 7-Tage-Inzidenz bedeutet. Und dies bei einer
Stadt mit fast 1,9 Millionen Einwohnern.
Auffällig ist, dass bei
den vom LGA Hamburg ans RKI gemeldeten Neuinfektionen
in den letzten Wochen durchschnittlich nur rund 70 Prozent in
die 7-Tage-Inzidenzberechnung des RKI eingefloßen sind. Warum dies so ist,
das lässt sich den veröffentlichten Daten nicht entnehmen. Es
handelt sich dabei um so genannte Nachmeldungen, die z.B. länger
als 7 Tage zurückliegen. Hamburg liegt bei diesen Nachmeldungen
bundesweit meist an der Spitze. Das aber heißt keinesfalls, dass
es in den anderen Bundesländern besser aussieht.
Wann ist
ein Risikogebiet ein Risikogebiet?
Im Laufe der Pandemie hat
sich der Sinn des Grenzwertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000
Einwohner gewandelt. Ursprünglich war er dazu gedacht die
Nachverfolgung von Kontakten in den Gesundheitsämtern zu
sichern, was wiederum dem Schutz der Krankenhäuser vor
Überlastung dienen sollte. Lag hier also der Fokus auf der
Arbeit der Kreisgesundheitsämter, so verschob sich der Fokus im
Sommer auf das RKI und im Herbst auf die Landesgesundheitsämter.
Wie ist das zu erklären?
1. Das Kreisgesundheitsamt
ist das Maß aller Dinge in Sachen Risikogebiet
Noch am 27. August erklärt
uns das Kreisgesundheitsamt Wiesbaden auf seiner Website als
Hinweis zur eigenen täglichen 7-Tage-Inzidenzberechnung:
Hinweis zur Fallzahlberechnung
"Das Land
Hessen rechnet ausschließlich auf der Grundlage
der eingehenden positiven Laborbefunde
gemeldeten Fallzahlen. Aufgabe der
Gesundheitsämter ist es differenziert im Rahmen
der Ermittlung der Infektionsketten das
Auftreten von Symptomen und damit den möglichen
Beginn der Erkrankung festzulegen.
Erste Symptome treten häufig bereits einige Tage
vor Testung auf, sodass die Berechnungsgrundlage
der Neuinfektionen nicht auf den gleichen
Zeitpunkt fällt, wie die Labormeldung. So kann
es geschehen, dass eine Neuinfektion in der
Wiesbadener Statistik des Gesundheitsamtes nicht
mehr in den sieben Tagen auftaucht, beim Land
Hessen aufgrund des gemeldeten Laborbefundes
jedoch erscheint. Für die Eingrenzung der
Infektionsgeschehen und damit den Schutz der
Bevölkerung ist die Arbeit der Gesundheitsämter
vor Ort maßgebend. Die Statistik des Landes, die
ausschließlich die Labormeldung berücksichtigt,
ist dafür nicht entscheidend."
(27.08.2020)
|
Wiesbaden rechnet zu
diesem Zeitpunkt mit einer internen Obergrenze von 35
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und nicht mit der
50er-Grenze. Während das RKI noch mit einer Einwohnerzahl von
278.342 rechnet (Stand 31.12.2018), setzt Wiesbaden zu diesem
Zeitpunkt 291.109 (30.06.2020) an. Es zeigt sich also, dass es
bereits zwischen Kreisgesundheitsämtern und
Landesgesundheitsämtern eklatante Unterschiede bei der
Berechnung der 7-Tage-Inzidenz gibt.
Auf dem Höhepunkt der
zweiten Welle in Hessen zeigt sich zudem, dass das hessische
Landesgesundheitsamt derart überlastet ist, dass das Inzidenzniveau zwischen KGA und LGA weit auseinanderklafft. Das
nachfolgende Schaubild zeigt diese Problematik:
Zwischen LGA und RKI
(gelbbraune Linie) gibt es im Monat November kaum Unterschiede.
Beide Ämter melden 0:00 Uhr-Werte. Größere Abweichungen gibt es
nur an zwei Tagen (02.11. und 10.11.2020). Zu den gravierenden
Unterschieden zwischen KGA auf der einen Seite und LGA/RKI auf
der anderen Seite merkt das Kreisgesundheitsamt auf seiner
Website an:
Erklärung der Differenz 7-Tage-Inzidenz HLPUG/RKI zu
unseren Zahlen
"Aufgrund
personeller & technischer Engpässe kam es zu
einem deutlichen Verzug der Weitergabe der
Meldungen über SurvNet ans HLPUG/RKI. Aktuell
fehlen dem HLPUG/RKI circa 400 Meldungen, sodass
die dortige 7-Tage-Inzidenz logischerweise einen
niedrigeren Wert aufweist als unsere Statistik.
Durch die Optimierung interner Arbeitsabläufe
ist es gelungen, mehr Personal zur Datenein/-
und Weitergabe abzustellen. Wir gehen davon aus,
dass sich die aktuelle Differenz in den nächsten
Tage angleichen werden. Die Meldungen des
Gesundheitsamtes geben das aktuelle
Infektionsgeschehen in Wiesbaden wieder."
(19.11.2020)
|
Dieser Hinweis wurde jeden
Tag ab dem 19.11. bei den täglichen
Fallzahlmeldungen wiederholt. Erst am 4. Dezember war dieses
Problem gelöst und der Hinweis wurde entfernt. Trotz dieser massiven Probleme in
der Meldekette zum RKI verlieren die Inzidenzberechnungen der
Kreisgesundheitsämter im Laufe der Pandemie immer mehr an
Relevanz und medialer Aufmerksamkeit, wie nun gezeigt werden
soll.
2. Die Definitionsmacht
des RKI in Sachen Risikogebiet
Mit den innerdeutschen
Einreiseverboten wurde das RKI zum Maßstab der
Grenzwertdefinition. Beispielhaft hat das Mecklenburg-Vorpommern
vorexerziert. Bis zum 25. Oktober erstellte das Landesamt für
Gesundheit und Soziales (LAGUS) täglich einen Lagebericht, der
hier im Archiv für die Berichte zu Gebieten mit erhöhter
COVID-19-Aktivität in Deutschland abrufbar ist. Der letzte
Bericht listete alle Gebiete mit mehr als 50 Neuinfektionen pro
100.000 Einwohner auf 6 Seiten ab. An diesem Tag gab es gemäß
Situationsbericht des RKI bereits 251 solcher Gebiete. Das waren
mehr als die Hälfte der deutschen Landkreise!
Mittlerweile
verweist das LAGUS nur noch auf das Dashboard des RKI und
erklärt: "Das täglich aktualisierte Dashboard des Robert
Koch-Institutes (RKI) bildet unter anderem die COVID-19-Fälle
der letzten 7 Tage pro 100.000 Einwohner (7-Tages-Inzidenz)
aller Landkreise und kreisfreien Städte der Bundesrepublik
Deutschland ab. Die hier rot markierten Gebiete gelten als
besonders betroffene Gebiete im Sinne der
Corona-Landesverordnung." Aus dieser Sicht ist also ein
Risikogebiet jener Kreis, der beim RKI als solches aufgeführt
ist. Egal ob Kreis- oder Landesgesundheitsämter niedrigere oder
höhere 7-Tage-Inzidenzen ausweisen. Das führt zu absurden
Situationen, wenn ein Kreisgesundheitsamt eigene Inzidenzen
ausweist, die vom RKI-Richtwert abweichen. So konnten
Reisende in den Herbstferien ungehindert verreisen, obwohl ihr
Landkreis hohe Neuinfektionen aufwies, nur weil diese nicht beim
RKI ankamen!
Das gilt z.B. für die
brandenburgische Großstadt Cottbus, das erste Risikogebiet in
Brandenburg, wenn es nach dem Inzidenzwert des
Kreisgesundheitsamts bzw. dem Landesgesundheitsamt gegangen wäre.
Gemäß diesen Ämtern überschritt Cottbus mitten in den dortigen
Herbstferien am 15. Oktober den Grenzwert. Das RKI wies Cottbus
jedoch erst ab dem 21. Oktober als Risikogebiet aus. Die
7-Tage-Inzidenzentwicklung gemäß den Ämtern ist aus dem
nachfolgenden Schaubild ersichtlich:
Für Cottbuser galt das in
Mecklenburg-Vorpommern gültige Einreiseverbot erst ab dem 21.
Oktober. Wer dienstags am 20. Oktober nach Mecklenburg-Vorpommern reisen
wollte, der durfte dies noch ungehindert tun. Einen Tag später
oder am folgenden Wochenende wäre das jedoch nur
noch mit einer Ausnahmegenehmigung möglich gewesen.
Das Beispiel Cottbus
zeigt, dass auf dem Meldeweg zum RKI viel an Inzidenzniveau
verloren geht. Das LGA (rosa Linie) ist noch nah am
Inzidenzniveau des Kreisgesundheitsamtes. Idealerweise sollte
das Inzidenzgeschehen im Kreisgesundheitsamt maximal um zwei
Tage versetzt beim RKI ankommen. In vielen Fällen ist das jedoch
anders. Bei Cottbus zeigt sich, dass es gravierende
Abweichungen zwischen der Inzidenzentwicklung im
Kreisgesundheitsamt (hellblaue Fläche) und den Inzidenzwerten
gibt,
die vom RKI gemeldet wurden (gelbbraune Fläche). Wenn also
der RKI-Inzidenzwert zur Richtschnur für Maßnahmen wie beim
Einreise- bzw. Beherbergungsverbot gemacht wird, dann kann dies
zu ungerechtfertigten Willkürmaßnahmen führen. Bei den im Herbst
beschlossenen Eindämmungsmaßnahmen ergeben sich dann neue
Konfliktlinien, denn hierbei wurde den Landesgesundheitsämtern
sozusagen das Definitionsmonopol zugeschrieben.
3. Die Definitionsmacht
der Landesgesundheitsämter in Sachen Risikogebiet
Im Laufe der letzten
Monate reduzierte sich die Zahl der Kreisgesundheitsämter
rapide, die eigene 7-Tage-Inzidenzen auswiesen. Von Bundesland
zu Bundesland variierte dies schon im Sommer, aber der Herbst
brachte hier noch einmal mehr Vereinheitlichung - zumindest
vorläufig wie es scheint (Dazu später mehr). Niedersachsen
steht beispielhaft für diese Entwicklung. Am 5. November stellt
z.B. der Landkreis Delmenhorst - eines der ersten Risikogebiete
in Niedersachsen - seine Veröffentlichung der eigenen Inzidenzwerte mit folgender Begründung ein:
Stadt kommuniziert nur noch Corona-Zahlen des Landes
"Ab sofort
kommuniziert die Stadt Delmenhorst nur noch die
vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales,
Gesundheit und Gleichstellung veröffentlichten
Covid-19-Fälle samt Inzidenzwert.
Bis heute (5. November) hat die Stadt
Delmenhorst seit Ausbruch der Corona-Pandemie
Mitte März transparent und tagesaktuell die
Zahlen der Coronavirus-Infektionen in
Delmenhorst veröffentlicht. Die unmittelbare
Quelle dafür war das Gesundheitsamt der Stadt
Delmenhorst als offizielle Stelle.
Die künftig von der Stadt ausschließlich
kommunizierten Zahlen des Ministeriums sind
erstmals mit der Corona-Verordnung des Landes
vom 23. Oktober zum alleinigen Richtwert für
eventuelle Verordnungen oder Verfügungen erklärt
worden.
»Bislang hat die Stadtverwaltung die aktuellen
Infektions-Zahlen aus dem Gesundheitsamt sowie
den sich daraus ergebenen Inzidenzwert und
darüber hinaus weitere Zahlen, etwa akut
Erkrankte und Menschen in Quarantäne,
veröffentlicht, um näher am tagesaktuellen
Geschehen zu sein«, sagt Pressesprecher Timo
Frers. »Dies wird jetzt geändert und auf die vom
Land zur Verfügung gestellten Zahlen reduziert.«
Gleichzeitig wird die Stadtverwaltung den selbst
berechneten Wert für die Beurteilung der Lage
intern weiter nutzen, aber nicht mehr öffentlich
kommunizieren."
(Pressemitteilung, 05.11.2020)
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Während das Gesundheitsamt
der kreisfreien Stadt Delmenhorst zumindest öffentlich macht,
dass es intern mit eigenen Inzidenzwerten die Lagebeurteilung
betreibt, verweisen andere Gesundheitsämter lediglich auf die
Landesverordnung als Ursache der Nichtveröffentlichung eigener
Zahlen. Das Gesundheitsamt des
stark betroffenen Landkreises Vechta sah am 11. Oktober noch die
eigene 7-Tage-Inzidenzberechnung als maßgebend an und nicht etwa
diejenige des LGA:
Sechs neue Corona-Infektionen im Landkreis Vechta /
Inzidenz bei 49,55
"Die
Inzidenzzahl für den Landkreis Vechta liegt
derzeit bei 49,55. Das Niedersächsische
Landesgesundheitsamt (NLGA) weist auf seiner
Homepage hingegen einen Wert von 50,4 aus. Laut
Kreisverwaltung ist dieser Unterschied
wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass das
NLGA noch einen Fall in der 7-Tage-Inzidenz
führt, der aus der Statistik des
Gesundheitsamtes bereits wieder herausgefallen
ist. Ausschlaggegend für das öffentliche Leben
im Landkreis Vechta ist die Inzidenzzahl der
Kreisverwaltung, die tagesaktuell auf
www.landkreis-vechta.de veröffentlicht wird.
Außerdem sind Urlauber aus dem Landkreis Vechta
innerhalb Niedersachsens nach wie vor nicht vom
Beherbergungsverbot betroffen. Das kann sich
jedoch kurzfristig wieder ändern. Nach
Berechnungen des Gesundheitsamtes wird die
Inzidenzzahl für den Landkreis Vechta am
morgigen Montag wieder die 50er-Grenze
überschreiten."
(Pressemitteilung, 11.10.2020)
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Einen Tag später wird dann
mit dem Verweis auf ein "lokal eingrenzbares Geschehen" ein
Beherbergungsverbot des Landes als nicht notwendig erachtet:
Eine Corona-Neuinfektion im Landkreis Vechta
"Die
Inzidenzzahl für den Landkreis Vechta liegt
derzeit bei 54,43. Aufgrund des lokal
begrenzbaren Corona-Geschehens ist der Landkreis
Vechta weiterhin nicht von dem
Beherbergungsverbot des Landes Niedersachsen
betroffen."
(Pressemitteilung, 12.10.2020)
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In Niedersachsen war am 9.
Oktober ein Beherbergungsverbot in Kraft getreten, das jedoch
nicht bei einem lokal eingrenzbaren Geschehen angewandt werden
musste. Die von Beherbungsverboten betroffenen Kreise konnten
auf der Homepage des Landes eingesehen werden. Bei dem lokal
eingrenzbaren Geschehen in Vechta handelte es sich um mehrere
Ausbrüche in Pflegeheimen.
Bis zum 26.10.2020
veröffentlichte der Landkreis Cloppenburg eigene 7-Tage-Werte.
Seit dem 27.10. wird dagegen nur noch auf die LGA-Werte
verwiesen. Ersichtlich wird diese Umstellung nur an einem
einzigen Satz in einer Pressemitteilung:
Erneuter Todesfall und Anpassung der Allgemeinverfügung
"Die
Allgemeinverfügung des Landkreises richtet sich
nach dem Inzidenzwert, den das Niedersächsische
Landesgesundheitsamtes (NLGA) ermittelt. Für den
heutigen Tag liegt er bei 193,3."
(Pressemitteilung, 27.10.2020)
|
Diese Praxis ist so lange
unproblematisch wie dies nicht zu großen Unterschieden führt,
die möglicherweise sogar Grenzwerte berühren, die zu
Eindämmungsmaßnahmen führen müssen. Ab 5. Dezember wird auf der
Landeshomepage darauf hingewiesen, dass es große Unterschiede
bei den 7-Tage-Inzidenzen im Landkreis Vechta gibt. Hier zeigt
sich dann, dass die Landkreise intern doch mit eigenen Zahlen
arbeiten, die dann in solchen Fällen publik gemacht werden. So
vermeldet Vechta am 4. Dezember:
87-jähriger Mann verstirbt an Corona-Infektion / 35 neue
Fälle im Landkreis Vechta
"Laut
Homepage des Niedersächsischen
Landesgesundheitsamtes (NLGA) liegt der
Inzidenzwert für den Landkreis Vechta heute bei
137,2. Allerdings sind noch nicht alle neuen
Fallmeldungen in dieser Zahl berücksichtigt. Der
Landkreis und das NLGA vermuten einen Fehler in
der Datenübertragung und prüfen gemeinsam die
Ursache. Der Inzidenzwert beträgt nach der
Landkreis-Statistik heute 170,8."
(Pressemitteilung, 27.10.2020)
|
Einen Tag später meldet
Vechta 173,6 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von
7 Tagen, während der LGA-Wert bei 79,1 liegt.
Der stark betroffene
Landkreis Cloppenburg veröffentlichte bis zum Überschreiten der
50er Grenze beim RKI am 09.10.2020 gar keine 7-Tage-Inzidenzen
auf seiner Homepage. Die Veröffentlichung war auch nur
möglichen innerdeutschen Einreiseverboten geschuldet, wie aus
einer Pressemitteilung hervorgeht:
Derzeit 323 aktuelle Coronafälle – Inzidenzwerte steigen
weit über 50
"Das
Robert-Koch-Institut hat in der Nacht zu Freitag
einen 7-Tages-Inzidenzwert für den Landkreis
Cloppenburg von 72,1 je 100.000 Einwohner
errechnet. Das Niedersächsische
Landesgesundheitsamt sogar einen Wert von 86,1.
Damit gelten für reisende Bürgerinnen und Bürger
des Landkreises Cloppenburg vielerorts
Übernachtungsverbote, die Pflicht zur Quarantäne
oder ähnliche Maßnahmen. Zum Teil gibt es in
jedem Bundesland andere Regelungen, die von den
einzelnen Landkreisen noch einmal verschärft
werden können.
Da der Landkreis nicht alle bundesweiten und
internationalen Regelungen kennen kann, werden
alle Reisenden aus dem Landkreis Cloppenburg
gebeten, sich wenn möglich vor Reisebeginn am
Zielort nach den vor Ort geltenden Regelungen zu
erkunden. Ansonsten ist es möglich, dass nach
Anreise eine Übernachtung verwehrt wird und die
Anfahrt umsonst war. Weitere Informationen
findet man auf den Internetseiten der jeweiligen
Bundesländer oder Landkreise. Sofern eine
Einreise am Zielort mit einem aktuellen
negativen Coronatest möglich ist, muss der
Hausarzt für eine Testung kontaktiert werden.
Das Gesundheitsamt des Landkreises Cloppenburg
und das von ihm betriebene Testzentrum sind dazu
die falschen Ansprechpartner."
(Pressemitteilung, 09.10.2020)
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Zu dieser Zeit
veröffentlicht das KGA Cloppenburg meist sowohl die RKI- als
auch die LGA-Werte. Inzwischen werden die RKI-Werte nur sehr
sporadisch veröffentlicht. Meist ist das nur bei größeren
Differenzen der Fall. Selten wird die Ursache dieser
Unterschiede benannt, so z.B. am 23.10.:
Kontaktbeschränkungen verschärft / 126 Neuinfektionen am
Freitag
"Das
Niedersächsische Landesgesundheitsamt hat um 9
Uhr eine 7-Tagesinzidenz pro 100.000 Einwohner
von 187,5 für den Landkreis Cloppenburg
errechnet, das Robert Koch-Institut kam um 0 Uhr
auf 77,3. Die hohe Differenz zwischen den beiden
Werten resultiert aus einem Update des
EDV-Programms des Kreisgesundheitsamtes. Dieses
Update hat die Datenübertragung zum
Landesgesundheitsamt unterbrochen, ohne dass die
Kreisverwaltung zunächst davon Kenntnis hatte.
Es sind durch das Update keine Datensätze
verloren gegangen."
(Pressemitteilung, 23.10.2020)
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Der weiter oben
geschilderte Fall Cottbus wurde zu einem der Auslöser, der in
Brandenburg dazu führte, dass sich das Landesgesundheitsamt zur
maßgebenden Instanz in Sachen 7-Tage-Inzidenz und Risikogebiet
erklärte. RBB 24 schreibt dazu in einem Artikel:
Verwirrung um Statistik
"Verwirrung
herrscht im Moment in Cottbus, dem ersten
Corona-Hotspot Brandenburgs. Laut den Zahlen des
RKI vom Freitag wurde dort die Obergrenze für
Neuinfektionen noch nicht überschritten. Der
Richtwert ist hier die 7-Tage-Inzidenz, also die
Neuerkrankungsrate in den zurückliegenden sieben
Wochentagen.
Das Robert-Koch-Institut [experience.arcgis.com]
gab diesen Wert für Cottbus am Freitag mit 36,1
Fällen pro 100.000 Einwohnern an, was unter dem
Richtwert von 50 Fällen der als Hotspots
definierten Gebiete liegt. Das Brandenburger
Gesundheitsministerium verwendet allerdings
aktuellere Zahlen und nutzt dafür als Quelle
nicht das RKI. Ministerin Ursula Nonnemacher
(Grüne) erklärt hier, es gelten die Zahlen des
Landesamts für Gesundheit. Demnach hat Cottbus
am Freitag eine 7-Tage-Inzidenz von 70,2 pro
100.000 Einwohner. Die Stadt Cottbus meldet
mittlerweile sogar 75. Nonnemacher sagte, das
Robert Koch-Institut nutze andere Datenbanken
und hinke mit den Zahlen üblicherweise etwas
hinterher."
(RBB
24, 16.10.2020)
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Tatsächlich klafft in
Brandenburg eine besonders große Lücke zwischen den Zahlen des
LGA und des RKI wie die nachfolgende Grafik zeigt:
Während Brandenburg die
50er-Marke beim RKI erst am 01.11. überschreitet, geschieht dies
nach den LGA-Daten bereits am 27. Oktober , d.h. 3 Tage nach
Ende der Herbstferien. Bei der 100er-Marke sind die Unterschiede
noch krasser. Beim LGA wird die erste Überschreitung bereits am
09.11. gemeldet, beim RKI dagegen fast einen Monat später am 4.
Dezember. Dies führt dazu, dass auf der Kreisebene zeitweise bis
zu einem Drittel weniger Risikogebiete beim RKI ausgewiesen
wurden.
Der brandenburgische
Landkreis Dahme-Spreewald überschritt z.B. nach Angaben des LGA
den 7-Tage-Wert von 50 bereits am 27.10. während dies beim RKI
erst am 14.11. geschah. Drei Tage lang wurde der Landkreis gar
deutschlandweit als einziger Landkreis mit 0 Fällen innerhalb
von 7 Tagen ausgewiesen, obwohl er gemäß LGA bei rund 100
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag. Am 06.12. war
Dahme-Spreewald an 41 Tagen beim LGA als Risikogebiet gelistet.
Im selben Zeitraum waren es beim RKI gerade einmal 17 Tage. Dies
sind leider keine seltenen Ausnahmen, denn sonst dürften die
7-Tage-Inzidenzen nicht in vielen Bundesländern regelmäßig weit
weg von den KGA- und LGA-Werten liegen. Mit einem reinen
Meldeverzug ist das genauso wenig zu erklären wie mit Problemen
nach Software-Updates. Denn wie lässt sich erklären, dass
regelmäßig die Fälle ganz bestimmter Gesundheitsämter sozusagen
verloren gehen?
Seit dem 20. Oktober lagen
gemäß dem saarländischen LGA alle sechs saarländischen Landkreise dauerhaft
über der 50er 7-Tage-Grenze. Beim RKI geschah dies erstmals am
23. Oktober. In der Zwischenzeit fiel beim RKI zuerst der
Landkreis Merzig-Wadern und neuerdings der Landkreis
Neunkirchen immer wieder einmal unter diese Schwelle. Dies
war nicht etwa der Fall, weil der Landkreis nur knapp über der
Grenze lag. Merzig-Wadern lag z.B. am 9. November bei 201 (RKI
34,1). Neunkirchen lag einen Tag später bei 173,5 (RKI 47,9).
Ganze 4 Tage in Folge (27.11. - 30.11.) lag Neunkirchen beim RKI
unter 50, während er beim LGA bei 100 und mehr lag. Und auch um
das zweite Dezemberwochenende wiederholt sich dieses Phänomen.
Weder die Homepage des Landes, noch die des Landkreises geht auf
diesen Sachverhalt ein. Vertrauenserweckend ist das nicht
gerade! Das folgende Schaubild zeigt die krassen Abweichungen
bei den Inzidenzwerten zwischen KGA/LGA einerseits und RKI
(gelbbraune Linie) auf
der anderen Seite:
Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass in der Pandemiebekämpfung die Ergreifung von
Eindämmungsmaßnahmen, die durch das Erreichen von bestimmten
7-Tages-Inzidenzwerten gekennzeichnet sind, grundsätzlich
immer auch durch die Auslegungspraktiken einzelner Ämter und
Ebenen (KGA, LGA oder RKI) geprägt sind. Ob ein Kreis bestimmte
Maßnahmen ergreift oder auch nicht, ist nicht allein eine Frage
der Überschreitung genau bestimmter Werte (35, 50 oder
neuerdings auch 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner
innerhalb von 7 Tagen ), sondern es gibt in Deutschland ganz
unterschiedlich geprägte politische Kulturen, die einen enormen
Ermessensspielraum beinhalten. Sachsen steht z.B. für eine
zentralistische Ausgestaltung mit allen ihren Problemen, wie nun
gezeigt werden soll.
Der
ostdeutsche Musterknabe Sachsen könnte in der Pandemie das
Schicksal der italienischen Lombardei erleiden
Der sächsische
Ministerpräsident Michael KRETSCHMER hat das schwere Erbe von
"König" BIEDENKOPF angetreten. Zentralismus statt Verankerung in
den Regionen prägt dieses Erbe. In kaum einem anderen Bundesland
fand die Alternative für Deutschland (AfD) einen besseren
Nährboden als in
Sachsen. Sie konnte das Machtvakuum in den Landkreisen
nutzen, die die lange Alleinherrschaft der CDU hervorgebracht
hat. Lokale Eliten in den sich vernachlässigt fühlenden Regionen
fanden in der AfD eine neue Heimat (mehr
hier). Die
Liste der Wahlkreise, in denen die AfD bei der sächsischen
Landtagswahl im September 2019 das Direktmandat gewann, liest
sich wie die Liste der Corona-Hotspots Anfang Dezember. Sachsen
führt im ersten Dezemberdrittel die Hotspotliste unangefochten
an. Die RKI-Zahlen sehen Sachsen bei einem Durchschnitt von über
300 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen.
Das ist mehr als das Doppelte des Durchschnitts von Deutschland
wie das nachfolgende Schaubild zeigt:
Sachsen lag noch bis zum
8. November unter dem deutschen Durchschnitt, um dann im
Gegensatz zum deutschen Trend weiter im expotentiellen Wachstum
zu verharren. Während der so genannte Teil-Lockdown, der am 2.
November in Kraft trat, im restlichen Deutschland scheinbar die Welle
brechen konnte, zeigte er in Sachsen so gut wie keinerlei
Wirkung.
Vielleicht erinnert sich
noch jemand daran, dass noch im Oktober immer wieder die Frage
durch die deutschen Medien geisterte, warum Ostdeutschland von
der Corona-Pandemie weitgehend verschont geblieben ist. Im Mai
erklärte uns die Apotheken-Umschau
Warum der Osten weniger unter Corona leidet und sah die
Demografie (viele Alte!) und die geringe Bevölkerungsdichte als
Vorteil. Der MDR fragte schon im April
Warum hat der Osten weniger Corona-Fälle? Und Mitte
Oktober fragte der RBB
Warum hat Ost-Berlin niedrigere Fallzahlen? (siehe auch
Neues Deutschland 15.10.20). Und die Wochenzeitung
Die Zeit erklärte uns gar
Mitte Oktober: "Die Corona-Krise trifft den Osten
Deutschlands bislang deutlich weniger heftig als den Westen. In
der Pandemie werden die Schwächen der Region plötzlich zu
Stärken".
Mittlerweile jedoch
erscheint höchstens noch Mecklenburg-Vorpommern als Insel der
Glückseligen, aber auch das scheint eher der Selektivität des
Blicks geschuldet zu sein. Dazu später mehr. Nachdem anfangs
Nordrhein-Westfalen die zweite Welle vorantrieb (zuerst das
Ruhrgebiet als Hotspot, dann aber auch landesweit), hat sich
seit der zweiten Novemberhälfte der Osten an die Spitze der
zweiten Welle geschoben. Neben Sachsen gehen auch in Thüringen
die Fallzahlen rasant nach oben. Beide Länder kennzeichnet, dass
sie erstens die miserabelste Dokumentation der Pandemie auf
ihren Landeswebseiten betreiben und zweitens ihre
Ministerpräsidenten von der AfD vor sich her getrieben werden.
Sie stehen quasi mit dem Rücken zur Wand, was wohl die
Zaghaftigkeit bei den Eindämmungsmaßnahmen erklärt.
Sachsen ist das einzigste
Bundesland, das am Wochenende noch immer keine Zahlen veröffentlicht. Alle
anderen Bundesländern haben ihre Enthaltsamkeit nach und nach
aufgegeben. Sachsen jedoch ging noch einen Schritt weiter und
veröffentlicht seit dem 1. Dezember nur noch RKI-Inzidenzwerte.
Diese sind offenbar schmeichelhafter. Hatte Sachsen am 30.
November noch eine 7-Tage-Inzidenz von 275 gemeldet, so waren es
tags darauf wundersamer Weise nur noch 257. Die sächsische
Verordnung hat die RKI-Werte für die Ergreifung von
Eindämmungsmaßnahmen zur Richtschnur gemacht. Prompt folgten
einige Landkreise dieser Praxis. Der Landkreis Meißen schrieb
z.B. in einer Pressemeldung:
Corona-Situation im Landkreis Meißen
"Nach § 8
Abs. 5 der Corona-Schutz-Verordnung sind für den
Inzidenzwert künftig die veröffentlichten Zahlen
des tagesaktuellen Lageberichts des Robert
Koch-Instituts maßgeblich. Das Erreichen des
maßgeblichen Inzidenzwertes wird das Landratsamt
Meißen unter Bekanntmachungen auf der Website
www.kreis-meissen.de entsprechend öffentlich
bekannt machen. Nach RKI beträgt der
Inzidenzwert 213,1 (30.11.2020, 00:00 Uhr)."
(Landkreis Meißen, Pressemitteilung v.
30.11.2020)
|
Am Tag zuvor, einem
Sonntag, vermeldete Meißen noch eine 7-Tage-Inzidenz von 304.
Einen Tag später, also am 1. Dezember erklärt uns der Landkreis:
Corona-Situation im Landkreis Meißen
"Veränderungen gibt es auch bei der täglichen
Meldung der Fallzahlen. Da nach der Sächsischen
Corona-Schutz-Verordnung der Inzidenzwert des
RKI maßgeblich ist, wird das Landratsamt den auf
der aktuellen Datenlage des Gesundheitsamtes
basierenden Inzidenzwert nicht mehr
veröffentlichen."
(Landkreis Meißen, Pressemitteilung v.
01.12.2020)
|
Zu diesem Zeitpunkt wird
der LGA-Wert jedoch bereits gar nicht mehr auf der
Freistaatwebsite veröffentlicht. Am 4.
Dezember heißt es dann jedoch:
Corona-Situation im Landkreis Meißen
"Ab heute
sind auch wieder die Übersichten zu den
Fallzahlen auf der Website des Landkreises
Meißen zu finden (www.kreis-meissen.de –
Gesundheitsamt – Corona-Virus-Statistiken).
Neben dem maßgeblichen Inzidenzwert des RKI ist
ebenfalls der Inzidenzwert nach Datenlage des
Gesundheitsamtes dort zu finden. Beide Werte
nähern sich nach der erfolgten Systemumstellung
infolge der neuen Rechtslage an. Abweichungen
zwischen den Inzidenzen des Landkreises und den
Daten des RKI-Dashboards können auch weiterhin
bestehen und haben verschiedene Ursachen, wie
beispielsweise einen Übermittlungsverzug und
einen anderen Datenstand, das RKI verwendet den
Datenstand jeweils 0:00 Uhr, das Gesundheitsamt
8:30 Uhr. Die Daten werden automatisiert und
elektronisch übermittelt. Die anschließende
Qualitätskontrolle kann dazu führen, dass
Datensätze im Verlauf ergänzt oder korrigiert
werden. Die Korrektur der Daten erfolgt immer
durch das Gesundheitsamt."
(Landkreis Meißen, Pressemitteilung v.
04.12.2020)
|
Am 4. Dezember liegt die
7-Tage-Inzidenz des Kreisgesundheitsamts bei 377,3, während das
RKI 363,2 vermeldet. 6 Tage später gibt es aber bereits wieder
größere Differenzen bei beiden Werten. Am 10. Dezember liegt der
KGA-Wert bei 457,6 und der RKI-Wert bei 426,5. Auch der
Landkreis Leipzig hat bereits am 30. November mit Verweis auf
die sächsische Verordnung die Veröffentlichung der eigenen
Inzidenzberechnung eingestellt.
Die Pandemie in
Chemnitz als Beispiel für die sächsische Entwicklung
Die kreisfreie Stadt Chemnitz
ging bei der Veröffentlichung der 7-Tage-Inzidenzen einen
anderen Weg. Sie veröffentlicht zwar auch keine KGA-Werte mehr
seit dem 1. Dezember, sondern nur noch RKI-Werte. Aber aus den
veröffentlichten Fällen der letzten 7 Tage kann sich jeder den
Wert selber errechnen. Chemnitz war in Sachsen nach dem
Erzgebirgskreis das zweite Risikogebiet.
Chemnitz
folgt dem LGA-Gebaren und veröffentlicht am Wochenende keine
Zahlen, weshalb erst am Montag den 19. Oktober die
Überschreitung der 50er-Marke per Pressemitteilung verbreitet
wurde. Beim LGA wurde Chemnitz erst eine Woche später mit einer
7-Tage-Inzidenz von mehr als 50 gelistet. Am selben Tag erschien
Chemnitz auch beim RKI als Risikogebiet. Das nachfolgende
Schaubild zeigt diese Entwicklung bis zum 10. Dezember:
Aus dem Schaubild ist
ersichtlich, dass am 1. Dezember die rosafarbene LGA-Linie
verschwindet. Sie ist seitdem identisch mit der gelbbraunen
RKI-Linie. Die hellblaue Fläche zeigt die Inzidenzwerte des KGA
an. Ab dem 1. Dezember würde die Fläche mit der gelbbrauen
RKI-Linie abschließen. Für das Schaubild wurden jedoch die
7-Tage-Fallzahlen in 7-Tage-Inzidenzen umgerechnet und damit die
KGA-Werte weitergeführt. Es zeigt sich, dass diese Werte in der
Regel deutlich höher liegen als die LGA/RKI-Werte. Teilweise
liegen sie fast um 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner
binnen 7 Tage höher. Später wird noch gezeigt werden, dass
selbst diese Zahlen die Realität des Infektionsgeschehens nur
unzureichend abbilden. Chemnitz steht aber noch in anderer Weise
für die ganze Tragweite der sächsischen Situation.
In der ersten Zwischenbilanz
wurde darauf hingewiesen, dass in Italien während der ersten
Welle drei Regionen über zwei Drittel der Toten in Italien zu
beklagen hatten, allen voran die Lombardei (mehr
hier). Die Stadt Bergamo errang sogar traurige Berühmtheit
durch nächtliche Militärkonvois, die Verstorbene
abtransportierten, weil die Beerdigungskapazitäten der Region
erschöpft waren.
Chemnitz hatte während der
ersten Welle nur 6 Tote zu beklagen. Am 19. Oktober meldete das
Kreisgesundheitsamt den 7. Todesfall. Damit lag Chemnitz bei
2,84 Tote pro 100.000 Einwohner. Keine zwei Monate später sind
es über 100 Tote. Am 10. Dezember gibt es in Chemnitz 41 Tote
pro 100.000 Einwohner und in 18 Pflegeheimen der Stadt gibt es
immer noch
Ausbrüche. Ein Ende des Sterbens ist also nicht abzusehen.
Chemnitz liegt bei den Todesfällen keineswegs an der Spitze,
sondern liegt im sächsischen Mittelfeld. Das folgende Schaubild zeigt die
Entwicklung der Todesfälle in den 13 sächsischen Landkreisen:
Seit dem 1. Dezember haben
die Todesfälle in Sachsen rasant zugenommen. Lag Sachsen zu
Beginn des Dezembers bei den Toten pro 100.000 Einwohnern noch
mit 23,70 hinter den von der ersten Welle stark betroffenen
Bundesländern Bayern (29,43), Saarland (25,84) und
Baden-Württemberg (25,01), so liegt Sachsen seit dem 11.
Dezember mit 36,96 Toten pro 100.000 Einwohner deutschlandweit
an der Spitze. Dieser Trend wird sich auch kaum noch umkehren lassen,
denn Sachsen liegt bei den 7-Tage-Inzidenzwerten einsam an der
Spitze. Besonders stark betroffen war zuerst das erste
Risikogebiet Sachsens, nämlich der Erzgebirgskreis.
Mittlerweile trifft es den
Landkreis Görlitz besonders hart. Der Landkreis Görlitz mit der
Kreisstadt
Görlitz hat bei der Bundestagswahl 2017 überregionale
Aufmerksamkeit erhalten, weil dort im
Wahlkreis 157 der jetzige sächsische Ministerpräsident
Michael KRETSCHMER einem Nobody von der AfD unterlag. In jenen
Landkreisen, in denen die AfD besonders stark ist und die
Corona-Leugner das Verhalten vieler Menschen prägen, sind die
stärksten Zuwächse an Toten zu beklagen: Erzgebirgskreis,
Görlitz, Bautzen und Meißen. Ob jedoch die rasant steigenden
Todeszahlen einen Bewusstseinswandel in diesen Landstrichen
bewirkt, bleibt abzuwarten.
Abzuwarten bleibt auch, ob
der "harte Lockdown" in Sachsen Wirkung erzielen kann, wenn er
von vielen Menschen nicht mitgetragen wird. Das zögerliche
Verhalten des Ministerpräsidenten und seiner Regierung hat viel
Schaden angerichtet und die Folgen dieser Versäumnisse werden
sich noch in sehr vielen Todesopfern niederschlagen. Daran wird der "harte Lockdown" nicht mehr viel ändern, denn die Intensivstationen in
Sachsen sind bereits überfüllt und die vielen freien
Intensivbetten nützen wenig, wenn es an Personal fehlt. Die
Vorstellung, dass man viele künstlich zu beatmende Patienten
durch die halbe Republik transportieren kann, um sie in den
immer weniger werdenden betreibbaren Intensivbetten zu pflegen,
geht wohl weit an der deutschen Krankenhausrealität vorbei.
Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass in Sachsen die Advents- und Weihnachtszeit keine
besinnliche Zeit werden wird, sondern eine Zeit des großen
einsamen Sterbens. Eine Bilanz dieser zweiten, tödlichen Welle
wird sich frühestens im März ziehen lassen. Aber zurück zu den
Neuinfektionen, die eigentlich Aufschluss über die weitere
Entwicklung der Fallzahlen geben sollte. Es soll nun gezeigt
werden, dass dies ein Trugschluss ist.
Die
7-Tage-Inzidenzen, die täglich in den Medien verkündet werden, unterschätzen
das Infektionsgeschehen in Deutschland sehr stark
Wenig erfreulich ist, dass
nicht nur die RKI-Inzidenzwerte in vielen Landkreisen niedriger
sind als die Inzidenzwerte der Kreisgesundheitsämter und dadurch
das wirkliche Infektionsgeschehen zu spät sichtbar wird. Noch
erschreckender ist, dass in den Medien - und nicht nur dort -
lediglich die Tagesmeldungen der Neuinfektionen registriert
werden. Es bleibt dadurch außen vor, dass Aussagen über das Infektionsgeschehen
erst nach 7 Tagen einigermaßen realistisch eingeschätzt werden
kann.
Nordrhein-Westfalen ermöglicht hier den tiefgehendsten
Einblick in das Geschehen. Nordrhein-Westfalen meldet seit
September sowohl die Fälle des ersten Tages als auch die Fälle
innerhalb von sieben Tagen - und das nicht nur an fünf Tagen,
sondern an allen sieben Tagen. Das war bis dahin nicht der Fall, wie
bereits bei der ersten Zwischenbilanz bemängelt wurde.
Nachmeldungen werden dadurch transparenter gemacht. Es wird
sichtbar, dass viele so genannte Neuinfektionen entweder spät
oder sogar gar nicht in die
7-Tage-Inzidenzberechnung eingehen.
In Zeiten stark steigender
Fallzahlen sind viele Gesundheitsämter an die Grenzen der
Kontaktnachverfolgung gelangt, was natürlich auch Folgen für die
Aktualität der Statistik hat. Es gibt z.B. viele Ämter, die die
Mehrzahl der Fälle nicht am Meldetag weiter melden, sondern erst
am nächsten Tag. In diesen Fällen sind die Tageswerte zu niedrig
und spiegeln Erfolge der Bekämpfung wider, die gar keine sind.
Das folgende Schaubild zeigt
exemplarisch die 7-Tage-Inzidenz der kreisfreien Stadt Gelsenkirchen vom 5.
November bis zum 3. Dezember 2020. Die gelbbraune Fläche
markiert die Inzidenzentwicklung wie sie tagtäglich in den
Situationsberichten des RKI erscheint:
Das LGA in
Nordrhein-Westfalen veröffentlicht wie das RKI 0:00
Uhr-Inzidenzen. Nur bei Übermittlungsproblemen weichen diese von
jenen Werten ab, die beim RKI veröffentlicht werden. Unsichtbar
bleibt dagegen, dass die Neuinfektionen eines Tages nicht immer
am selben Tag das RKI erreichen. Die dunkelblaue Fläche zeigt
jene 7-Tage-Inzidenz, deren Fälle erst am zweiten Tag
weitergemeldet wurden. Diese Inzidenz deckt sich zeitweise mit
jener 7-Tage-Inzidenz, die bis zu einer Woche nachgemeldet
wurde. Je weniger die Statistik auf der Höhe des
Infektionsgeschehens ist, desto größer sind die Unterschiede
zwischen den Fallzahlen, die zuerst gemeldet wurden und jenen,
die zuletzt gemeldet wurden.
Die folgende Tabelle zeigt
für 10 Tage die 7-Tage-Inzidenzwerte für Gelsenkirchen:
DATUM |
05.11. |
06.11. |
07.11. |
08.11. |
09.11. |
10.11. |
11.11. |
12.11. |
13.11. |
14.11. |
15.11. |
1. Tag |
194,5 |
213,4 |
202,2 |
200,3 |
194,5 |
177,2 |
133,6 |
158,3 |
156,4 |
140,6 |
136,3 |
2. Tag |
247,6 |
213,4 |
202,2 |
257,3 |
218,8 |
177,2 |
196,8 |
168,3 |
156,4 |
140,6 |
209,5 |
7. Tag |
249,2 |
254,2 |
260,4 |
262,7 |
228,4 |
214,5 |
216,1 |
194,5 |
217,2 |
217,2 |
220,7 |
Für den 5. November lag die
vom RKI gemeldete 7-Tage-Inzidenz für Gelsenkirchen bei 194,5.
Tatsächlich lag die 7-Tage-Inzidenz jedoch aufgrund von vielen
nachgemeldeten Fällen an diesem 5. November bei 249,2. Vom RKI
wurden diese 54,7 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen 7
Tagen niemals gemeldet, weil diese Fälle zwischen dem 6. und 12.
November gemeldet wurden. Auch dieser Wert stimmt nicht
wirklich, denn 30 Tage später lag er bei 251,9. Aber diese
Differenz ist minimal im Vergleich zu jener Differenz bei den
Nachmeldungen bis zu 7 Tagen.
Nicht alle diese
nachgemeldeten Fälle sind jedoch wirklich verloren, sondern sie
gehen in die Inzidenz des nächsten Tages mit ein. Doch je
überlasteter ein Gesundheitsamt ist bzw. je mehr die Statistik
vernachlässigt wird, desto mehr Fälle fallen aus der
Inzidenzberechnung des RKI ganz heraus und gehen auch nicht mehr in
die Inzidenz der nachfolgenden Tage ein. Auf dem Meldeweg zum
RKI geht also einiges an Inzidenzniveau verloren, das unser Bild vom
Pandemiegeschehen verzerrt. Das Beispiel der Städteregion Aachen
zeigt, dass es zu drastischen Verzerrungen kommen kann. Die
Website von Nordrhein-Westfalen zeigt tagtäglich den Verlauf der
7-Tage-Inzidenzen anhand von Kurven. Die nachfolgende Grafik
zeigt für den 29. November und den 1. Dezember den Verlauf des
Pandemiegeschehens in Aachen:
Am 29. November scheint sich
ein großartiger Erfolg bei der Pandemiebekämfpung anzubahnen,
denn die Städteregion hat sich von einer 7-Tage-Inzidenz von
258,5 (30. Oktober) heruntergekämpft auf 64,8 Neuinfektionen pro
100.000 Einwohner binnen 7 Tagen. Der Betrachter könnte der
Ansicht sein, dass die nordrhein-westfälische Städteregion bald
unter die 50er-Marke fallen könnte. Doch weit gefehlt! Nur 3
Tage später steht die Städteregion bei 112,7. Am 10. Dezember
werden es 130 sein, auch wenn dazwischen am 2. Dezember noch ein
Tiefstwert von 83,8 liegt.
Dieses Hoch und Nieder hat wenig mit dem
tatsächlichen Infektionsgeschehen zu tun, sondern ist dem
Meldeverhalten geschuldet. Das Kreisgesundheitsamt
veröffentlicht nur von Montag bis Freitag Zahlen. Manche Ämter
veröffentlichen zwar keine Zahlen, melden aber dennoch Fälle -
sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit - weiter. Das LGA
meldet jedoch nicht nur an zwei, sondern sogar an 3 Tagen keine
Fälle aus der Städteregion. Während im KGA in diesem Zeitraum
über 400 Fälle auftrafen, wurde vom LGA nichts an das RKI
weitergemeldet. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Fallzahlen am
ersten Tag und die nachgemeldeten Fallzahlen zwischen dem 26.
November und dem 4. Dezember:
Datenstand: |
27.11.2020 |
28.11.2020 |
29.11.2020 |
30.11.2020 |
01.12.2020 |
02.12.2020 |
03.12.2020 |
04.12.2020 |
05.12.2020 |
Meldedatum |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
04.12.2020 |
|
|
|
|
|
|
|
|
51 |
03.12.2020 |
|
|
|
|
|
|
|
0 |
218 |
02.12.2020 |
|
|
|
|
|
|
81 |
0 |
73 |
01.12.2020 |
|
|
|
|
|
0 |
235 |
1 |
14 |
30.11.2020 |
|
|
|
|
7 |
0 |
56 |
1 |
1 |
29.11.2020 |
|
|
|
0 |
367 |
0 |
1 |
1 |
1 |
28.11.2020 |
|
|
0 |
0 |
347 |
0 |
1 |
1 |
0 |
27.11.2020 |
|
0 |
0 |
0 |
265 |
0 |
0 |
1 |
0 |
26.11.2020 |
51 |
0 |
0 |
0 |
119 |
0 |
0 |
1 |
0 |
7-Tage-Inzidenz |
112,6 |
81,5 |
64,8 |
62,7 |
112,7 |
83,8 |
133,6 |
102,5 |
124,6 |
Wie ist die Tabelle zu lesen?
Mit Stand von 0:00 Uhr am 27. November leitete das LGA 51 Fälle, die am 26. November
ans KGA gemeldet wurden, an das RKI weiter. Die 7-Tage-Inzidenz
betrug an diesem Tag 112,6. Am 28. November leitete das LGA
keinen einzigen Fall an das RKI weiter und es gab auch keine
nachgemeldeten Fälle (Ämter können auch nur nachgemeldete Fälle
melden, was aber eher die Ausnahme ist).
Nullmeldungen gab es auch an den beiden nächsten
Tagen so, wodurch die 7-Tage-Inzidenz steil bergab ging und eine
erfolgreiche Pandemiebekämpfung vorgaukelte. Am 1. Dezember
jedoch wurden 7 Fälle, die am 30. November ans KGA gemeldet
wurden, weitergeleitet. Was jedoch üblicherweise nicht an die Öffentlichkeit
kommt, das sind die nachgemeldeten Fälle, die bereits vom 26.
bis zum 29. November ans KGA gemeldet wurden, aber erst an
diesem Tag ans RKI weitergeleitet wurden. Diese nachgemeldeten
Fälle fallen umso früher wieder aus der 7-Tage-Inzidenzberechnung
heraus, je später sie weiter geleitet wurden. Am 26.11. wurden
bereits 119 Fälle ans KGA gemeldet, die dann am 3. Dezember
bereits wieder aus der 7-Tage-Inzdenzberechnung herausfallen. Am
27. November wurden weitere 146 Fälle ans KGA gemeldet, was zu
265 nachgemeldeten Fällen an diesem Tag führt. Diese 146 Fälle
fallen aus der 7-Tage-Inzidenzberechnung am 4. Dezember wieder
heraus. Wenn herausgefallene Fälle nicht wieder durch neu
hinzugekommene Fälle ersetzt werden, dann fällt der 7-Tage-Inzidenzwert.
Kompliziert wird dieses Spiel dadurch, dass auch Löschungen zu
den Nachmeldungen zählen. Die dunkelblau markierten Zellen sind
Nachmeldungen, die in die jeweilige Inzidenzberechnung eingehen,
während die gelb markierten Zellen jenen Bereich von Fällen
kennzeichnen, der so spät nachgemeldet wird, dass er gar nicht
erst in die 7-Tage-Inzidenz eingeht. In diesem Fall wäre das nur
ein Fall gewesen. Je überlasteter ein Amt, desto mehr Fälle
summieren sich im gelben Bereich. Auch Pannen, bei denen an sehr
vielen Tagen keine Fälle weitergemeldet werden können, gehen
niemals in die 7-Tage-Inzidenzberechnung ein.
Auch die Daten aus
Nordrhein-Westfalen können letztlich nicht alle Fragen
beantworten. Dazu wäre es nötig, dass jeweils für alle 7 Tage
die Fallzahlen veröffentlicht werden. Einige
Kreisgesundheitsämter veröffentlichen solche Fallzahlen wie z.B.
Chemnitz (siehe oben) oder Sonneberg in Thüringen aus der ersten Zwischenbilanz. Dadurch
lässt sich erkennen, ob und wann es zwischen dem ersten und
letzten der sieben Tage zu Löschungen gekommen ist.
In den
letzten Wochen ist es zu einer Vielzahl von Löschungen gekommen.
Dies ist z.B. der Fall, wenn es zu falsch positiven
Laborergebnissen gekommen ist oder der Wohnort falsch zugeordnet
wurde. Im ersten Fall wurde die Inzidenz tatsächlich zu hoch
ausgewiesen. Bei falscher Wohnortzuordnung jedoch erhöht der
Fall die Inzidenz eines anderen Landkreises. Auch Fehler bei der Dateneingabe bzw. Weiterleitung sind
kaum vermeidbar. Aachen gehört zu den so genannten "Faxämtern",
d.h. Daten kommen per Fax an und müssen händisch in den Computer
eingegeben werden. Das ist fehleranfällig, aber auch bei einer
automatisierten, digitalen Weiterleitung kann es zu Fehlern
kommen. Software-Updates und Übertragungspannen sind bei 412
Kreisen keine Seltenheit, sondern passieren tagtäglich in
Dutzenden von Kreisen. Eher selten werden solche Pannen
jedoch öffentlich gemacht, obwohl dies eigentlich notwendig wäre.
Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass es in der langen Meldekette vom Kreisgesundheitsamt
über die jeweiligen Landesgesundheitsämter zum RKI zu
Verlusten des Inzidenzniveaus kommt, die umso größer sind, desto
überlasteter die Ämter sind. Gerade dann, wenn das
Infektionsgeschehen Fahrt aufnimmt, ist das Bild, das vom RKI
zur Lage in Deutschland vermittelt wird, besonders irreführend.
Daran ändern auch angebliche Frühwarnindikatoren wie der R-Wert
nichts.
Letztlich ist unser Bild in solchen Zeiten erst nach
rund 7 Tagen einigermaßen genau. Oder anders gesagt: Wenn am 3.
Dezember die Inzidenz eines Kreise gemeldet wird, dann ist
erst am 10. Dezember der Inzidenzwert vom 3. Dezember wirklich einigermaßen aussagekräftig, weil
dann auch die meisten nachgemeldeten Fälle eingearbeitet wurden. Der
R-Wert gibt vor, dies zu leisten. Doch die Datenlage des RKI ist
offensichtlich zu schlecht, um realitätsgerechte Aussagen machen
zu können. Vor diesem Hintergrund ist eine Aufarbeitung der
zweiten Welle, die viel tödlicher sein wird als die erste Welle
im Frühjahr, bitter nötig. Auf dieser Website wird deshalb die
Entwicklung weiter verfolgt werden.
Ein Blick ins Ausland
Deutschland schlitterte eher
unvorbereitet in die zweite Welle. Man war überrascht über die
Wucht dieser zweiten Welle, so jedenfalls der Tenor in den
Medien. Die Medien sind jedoch Teil des Problems. Sie bieten
keine brauchbaren Analysen, sondern berichten stark Interessen
geleitet. Die Berichterstattung über die USA ist ein besonders
übles Beispiel dafür. Donald TRUMP ist so sehr Feindbild, dass
dabei die Wahrheit über den Pandemieverlauf auf der Strecke
bleibt. Der Demokrat Joe BIDEN dagegen wird durch eine "rosa
Brille" betrachtet.
Meist werden lediglich absolute Zahlen in der
Berichterstattung verwendet, die keinen brauchbaren
internationalen Vergleich liefern. Die USA haben mehr als 300
Millionen Einwohner, mehr als jeder europäische Staat. Wenn die
USA also die meisten Toten zu verzeichnen haben, ist das wenig
überraschend. Überraschend wäre nur das Gegenteil. Am 12. Dezember wurden 3.000 gemeldete Tote an nur
einem einzigen Tag als "Meilenstein" bezeichnet und BIDEN wurde
zum Präsidenten stilisiert, der alles besser machen wird. In der
Osterwoche wurden jedoch an einem Tag über 4.600 Tote
gemeldet. In dieser Woche wurden überhaupt die bislang meisten
Toten in den USA gemeldet. Mitte Dezember könnte diese Zahl an
Todesfällen tatsächlich übertroffen werden.
Die USA hat sicherlich eine
gänzlich andere Entwicklung genommen als westeuropäische Länder,
doch bislang hat die USA keineswegs die meisten Toten pro
100.000 Einwohner zu verzeichnen wie das nachfolgende Schaubild
zeigt:
Die USA zeigen einen relativ
kontinuierlichen Anstieg der Todesfälle, während die
europäischen Länder einige Monate eine "Verschnaufpause" hatten,
bevor die Todesfälle umso steiler berauf gingen. Gerade Länder
wie Österreich und Deutschland, die die erste Welle besonders
gut gemeistert haben, scheinen die Tödlichkeit der zweiten Welle
unterschätzt zu haben. Aber auch Länder, die in der ersten Welle
härter getroffen wurden, haben nicht unbedingt daraus besonders
viel gelernt. Dazu gehört insbesondere die Schweiz.
Man könnte
daraus den falschen Schluss ziehen, dass alle Maßnahmen zur
Eindämmung der Pandemie nichts bringen, aber viel Geld kosten.
Diese Sicht scheint inzwischen auch in diversen Milieus und
ausgehend von politischen Parteien von FDP bis AfD auch in
Deutschland vermehrt um sich zu greifen.
Deutschland wurde von der
zweiten Welle im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern
vergleichsweise spät erfasst. Dadurch hat es nun z.B. weniger
Tote pro 100.000 Einwohner zu beklagen als Österreich, das
bislang besser dastand als Deutschland. Jedoch ist nicht
ausgemacht, dass dies so bleiben wird. Allen voran in Sachsen,
aber auch in Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, zeichnen
sich mittlerweile dramatische Entwicklungen ab.
Vom "Teil-Lockdown"
zum "harten Lockdown" - Warum es zum tragischsten Weihnachtsfest
der Nachkriegsgeschichte kommen wird
Als am 28. Oktober ein "Teil-Lockdown"
beschlossen wurde, der am 2. November in Kraft trat, war die
Einigkeit der Länderchefs noch groß. Als am 25. November nach
einer erfolglosen Sitzung am 16. November eher widerwillig die
Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns beschlossen wurde,
da wurden Hoffnungen durch die Impfstoffzulassung und ein
besinnliches Weihnachtsfest im Kreise der Familie geweckt. Die
Welle sei zwar gebrochen worden, weil der exponentielle Anstieg
gestoppt wurde, aber das Infektionsgeschehen blieb auf einem
hohen Niveau, sodass weitere Maßnahmen erforderlich seien, so
die Erklärungen.
Dem unterschiedlichen
Infektionsgeschehen sollte durch mehr Lockerungsmöglichkeiten in
"Niedriginzidenzgebieten" und Verschärfungen in Hotspots mit 200
und mehr Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen 7 Tagen
begegnet werden. Der 25. November setzte damit ein fatales
Signal, denn das Virus hält sich nicht an politische
Kreis- oder Landesgrenzen.
Die Eindämmungsmaßnahmen
betrafen zudem ganz überwiegend nur den schwer kontrollierbaren
privaten Bereich, denn Betriebe, Kitas, Schulen und der
Einzelhandel sollten unbedingt offen gehalten werden. Und obwohl
das Gastgewerbe nur noch "to go" verkaufen durfte und Hotels nur
noch Geschäftsreisen übrig blieben, entwickelte sich das was mit
dem Begriff "Kölner Glühwein-Anarchie" (Express, 07.12.2020) auf
den Punkt gebracht wurde, aber nicht nur in Köln praktiziert
wurde (mehr dazu
hier). Im weitesten Sinne geht es hier darum, dass die
Kontaktbeschränkungen durch viele Menschen unterlaufen wurden.
Das RKI sieht für Deutschland
erst ab dem 4. Dezember einen Anstieg der Fallzahlen. Ein Blick
nach Brandenburg zeigt, dass dies eher der schlechten Datenlage
beim RKI geschuldet ist. Das nachfolgende Schaubild zeigt die
Entwicklung der Neuinfektionen seit Beginn des Teil-Lockdowns in
Deutschland:
Brandenburg zeigt bereits
während des Teil-Lockdowns einen kontinuierlichen Anstieg der
Fallzahlen. Liegt die 7-Tage-Inzidenz nach den genaueren Zahlen
des LGA bereits um 80. So liegt sie am 2. Dezember, also einen
Monat später bereits bei 131, um dann in nicht einmal zwei
Wochen die 200er Marke zu überschreiten. Seit dem 3. Dezember
liegen alle 18 Brandenburger Kreise dauerhaft über der
50er-Marke. Beim RKI werden dagegen immer wieder bis zu 3 Kreise
unter der 50er Marke gesehen.
Seit dem erneuten starken Anstieg
Anfang Dezember klafft die Kluft zwischen LGA- und
RKI-Werten immer stärker auseinander. Die Dramatik der
Entwicklung - nicht nur hier in Brandenburg - lässt sich an Hand
der RKI-Daten nur unzureichend erkennen. Die überregionalen
Medien vermitteln das Pandemiegeschehen in Deutschland jedoch
ausschließlich anhand der RKI-Tages-Daten. Das Dashboard des RKI ist
ein schönes Spielzeug für die Nachrichtensender. Man kann damit
bunte Deutschlandkarten auf die Bildschirme bringen. Dumm nur,
wenn die Medienmacher die Zahlen unreflektiert und ohne ins
"Kleingedruckte" zu schauen, unter das Volk bringen. In den
Sensationsnachrichten bleibt kein Platz für tiefer gehende
Analysen, sondern durch die ständige Wiederholung der immer
gleichen Bilder führen sie eher zu Abwehrreaktionen und
Reaktanzgefühlen, statt zu einem Bewusstseinswandel in der
Bevölkerung.
Das Bild vom Hochplateau auf
dem wir uns angeblich während des Teil-Lockdowns befanden, war
trügerisch. Stattdessen gab es Abwärts- und Aufwärtsbewegungen
in den einzelnen Bundesländern. Gerade in den ostdeutschen
Ländern Sachsen und Thüringen wurden die Entwicklungen durch
angenehme Zahlen konterkarriert. Sachsen schaffte am 1. Dezember
seine LGA-7-Tage-Inzidenzen ab. Wer also nicht auf die einzelnen
KGA-Werte sah (wenn diese überhaupt veröffentlicht wurden!), dem
wurden rückgehende Zahlen für Sachsen vorgegaukelt. Während beim
RKI am 13. Dezember einzig der bayrische Kreis Regen über 600
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen lag,
sprechen die sächsischen KGA-Zahlen eine andere Sprache. Der
Landkreis Görlitz meldete z.B. am 12. Dezember eine
7-Tage-Inzidenz von 654,1. Beim RKI liegt er an diesem Tag bei
457,8. Das sind fast 200 weniger. Darf man sich also wundern,
dass der Ernst der Situation nicht begriffen wird?
Die Wirkung des
Teil-Lockdowns ist sozusagen bereits im November in weiten
Teilen Ostdeutschlands eher bescheiden gewesen. Im Dezember
haben die verschärften Eindämmungsmaßnahmen sogar zu einem
exponentiellen Anstieg der Zahlen geführt. Sachsen, Thüringen
und Brandenburg haben eine rasante Entwicklung durchgemacht.
Baden-Württemberg ist das
westdeutsche Bundesland, das innerhalb kürzester Zeit von einem
Höchstwert zum Nächsten geeilt ist. Selbst vor dem Teil-Lockdown
gab es niemals einen solch rasanten Anstieg wie vom 4. bis zum
12. Dezember. Am 12. November hatte das LGA mit 17.363 Fällen
pro Wochen einen Rekord zu vermelden. Die Inzidenz lag damals
bei 134. Am 7. Dezember wurden diese Wochenzahlen dann nach
einem zwischenzeitlichen Rückgang auf 16.159 mit einem neuen
Rekord von 17.599 übertroffen. Am Samstag, den 12. Dezember,
wurden 21.114 Fälle innerhalb von 7 Tagen gemeldet. Die Inzidenz
liegt damit bei 180, d.h. die 200er-Marke ist nicht mehr allzu
fern, wenn diese Entwicklung weiter anhält. Seit diesem Tag
gelten in Baden-Württemberg zwar Ausgangsbeschränkungen wie in
den 200er-Hotspots, aber das dürfte keine Wende bringen.
Schließlich verpuffte die Wirkung dieser Eindämmungsmaßnahmen in
den Hotspots.
Die baden-württembergische
AfD-Hochburg Pforzheim führt seit dem 30. November die Rangliste
der Kreise mit den höchsten Inzidenzen in Baden-Württemberg an. Das nachfolgende
Schaubild zeigt die dortige Entwicklung gemäß dem LGA im
Vergleich zu Baden-Württemberg (LGA-Zahlen) und Deutschland (RKI-Zahlen):
Während der
baden-württembergische Landesdurchschnitt und der
Deutschlandwert einen Erfolg der Eindämmungsmaßnahmen zeigen,
der jedoch seit Anfang Dezember wieder verpufft, sieht es in den
Hotspots wie Pforzheim ganz anders aus. Dort gibt es bereits
seit Mitte November einen kontinuierlichen, aber immer stärker
werdenden Anstieg der Fallzahlen. Die erfolglos verlaufende
Bund-Länder-Konferenz am 16. November scheint kontraproduktiv
gewesen zu sein. Baden-Württemberg gilt als liberales Land. Es
wird gern als "Stammland der FDP" bezeichnet. Doch diese
Liberalität ist mittlerweile im negativen Sinne zur AfD
abgewandert. Bewegungen wie Querdenken 711 stehen für diese
Mentalität. Wenn dies zudem auf einen zaudernden
Ministerpräsidenten wie Winfried KRETSCHMANN und einen grünen
Gesundheitsminister wie Manfred LUCHA trifft, dann könnte dies zu einer
brisanten Stimmungslage führen. Im Frühjahr soll ein neuer
baden-württembergischer Landtag gewählt werden. Schwarz-Grün
steht deshalb gewaltig unter Druck.
Der "harte Lockdown" kommt in
jedem Fall zu spät. Bis Weihnachten wird sich das von Angela
MERKEL anvisierte Ziel, dass die Inzidenzen auf 50 und niedriger
gedrückt werden sollen, nicht erreichen. Auch bis zum 10. Januar
wird dieses Ziel nicht erreicht werden. Vielmehr sind über
Weihnachten hohe Todeszahlen zu erwarten (ob sie gemeldet
werden, steht auf einem anderen Blatt!). Lockerungen vom 23.
Dezember bis 26. Dezember konterkarieren dieses Ziel sowieso.
Angesichts der derzeitigen Uneinsichtigkeit eines nicht geringen
Teils der Bevölkerung steht uns eine unruhige Zeit bevor.
Schluss: Kommt es zu
einer dritten Welle oder löst ein Impfstoff die Probleme?
Wie sich die zweite Welle
weiter entwickelt ist noch nicht wirklich abzusehen. Sicher ist nur,
dass die Todeszahlen wesentlich höher sein werden als während
der ersten Welle. Sicher ist auch, dass die ostdeutschen
Bundesländer - einschließlich Mecklenburg-Vorpommern - besonders
hart von der zweiten Welle getroffen werden. Bis zum 1.
September starben in ganz Mecklenburg-Vorpommern nur 20 Menschen
mit bzw. am Coronavirus. Am 12. Dezember sind es bereits 96
Menschen. Dies ist mit 5,97 Toten pro 100.000 Menschen immer
noch der niedrigste Wert in ganz Deutschland. Am 1. September
waren es jedoch erst 1,29. Sachsen zeigt, dass sich die
Pandemie-Betroffenheit ganz schnell ändern kann. Am 1. September
hatte Sachsen nach Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und
Schleswig-Holstein die wenigsten Toten zu beklagen. Innerhalb
von nicht einmal 3 Monaten steht Sachsen in Sachen Todesfällen
unter den 16 Bundesländern einsam an der Spitze.
Alle Hoffnungen konzentrieren
sich auf die entwickelten Impfstoffe. Noch ist keiner in
Deutschland zugelassen, während in China, Russland,
Großbritannien und den USA bereits die Impfungen begonnen haben.
Wenig ist bislang wirklich bekannt. Doch der in Mainz
entwickelte Impfstoff, der in Großbritannien eingesetzt wird,
scheint für Allergiker nicht besonders verträglich zu sein. Über
die Wirkung auf Übertragungshemmung und Dauer der Immunität ist
wenig bekannt. Dazu wurde die Entwicklung zu schnell
vorangetrieben. Eine "Herdenimmunität" zu erlangen, ist eine
logistische Herausforderung. Auch wenn die Impfstoffe wirken,
wird es in diesem Winter keine wirkliche Entspannung der Lage
geben. Es wird auch im Frühjahr 2021 weitere Tote geben und ob
sich das Virus endgültig besiegen lässt, ist eher
unwahrscheinlich. Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen.
Ob es zu einer dritten Welle
kommt, hängt auch mit dem Erfolg der Impfung zusammen. Wenn es
zu einer Überlastung des Gesundheitssystems und zur Anwendung
der Triage kommt, dann wird uns die zweite Welle noch eine ganze
Weile beschäftigen. Eine dritte Welle ist also momentan unser
geringstes Problem, denn wir stecken noch mitten in der zweiten
Welle. Viel hängt jedenfalls vom weiteren Verhalten der Menschen
in Deutschland ab.
Ein Blick in die Niederlande
zeigt, dass auch ein "harter Lockdown" nicht davor schützt, dass
in der Phase der Lockerungen die Fallzahlen wieder schnell
ansteigen. Die Niederlande hatten Ende Oktober mit fast 69.000
Neuinfektionen innerhalb einer Woche einen Höchststand erreicht.
Ende November war ein Tiefststand von rund 35.000 Neuinfektionen
pro Woche erreicht. In der jetzigen 50. Kalenderwoche werden die 57.000 Neuinfektionen pro Woche nach Zahlen der
US-amerikanischen
Johns Hopkins Universität (JHU)
wieder überschritten.
Die Woche zuvor waren es erst 39.000 pro Woche. Daraus kann man
ableiten: Wenn Lockerungen zugelassen werden, wenn die Zahl der
Neuinfektionen noch sehr hoch sind, dann verpufft die Wirkung
eines Lockdowns sehr schnell. In Deutschland leben fast 5 mal
mehr Menschen als in den Niederlanden. 35.000 Neuinfektionen in
den Niederlanden entsprechen rund 170.000 Neuinfektionen pro
Woche in Deutschland. Was einer täglichen Zahl von 24.000
Neuinfektionen entspräche. Das belegt eindrucksvoll, dass die
Zahlen in Deutschland unbedingt stark nach unten gehen müssen,
um eine nachhaltige Entspannung zu erzielen.
Uns bleibt vorerst also nur zu
hoffen, dass die Menschen sich in den nächsten drei Wochen
vernünftiger verhalten werden als in den zurückliegenden Wochen.
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Haustür an der
hessischen Bergstraße Ende September
Foto: Bernd Kittlaus |
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