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Das Jahr 2005 im Spiegel der
Medien
1) Singles
und Politik
Der kurze Bundestagswahlkampf wird wohl als erster
offen bevölkerungspolitisch orientierter Familienwahlkampf in
die deutsche Geschichte der Nachkriegszeit eingehen.
Mit dem Elterngeld rückte die Familienministerin
Renate SCHMIDT die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen in den
Mittelpunkt. Die Mitte-Medien waren sich so gut wie einig:
Akademikerinnen-Kinder müssen den Deutschen mehr wert sein als
die Kinder von Nicht-Akademikerinnen (vgl.
z.B.
Daniel BAHR, "Unfruchtbare Elite", Welt am Sonntag
vom 27.02.).
Die
Dramatisierung der
Akademikerinnen-Kinderlosigkeit war das
Kennzeichen des bevölkerungspolitischen Wahlkampfes. Erst nach
der Wahl wurden die überhöhten Zahlen wieder
dementiert. Der
Zweck heiligt jedes Mittel!
In dem kürzlich vorgestellten Bericht Starke
Familie heißt es nun sogar, dass die
Kinderlosigkeit westdeutscher Akademikerinnen im Jahr 1971 höher
war als im Jahr 2003:
Starke Familie
"Vergleicht
man die Kinderlosigkeit in der früheren BRD bei den 40- bis
44jährigen Frauen 1971 mit 1995 und 2003, so waren die höchst
qualifizierten Frauen auch schon 1971 überdurchschnittlich
häufig kinderlos. (...). Überraschend ist aber, daß heute der
Anteil der Frauen, die kinderlos sind und über einen
Fachhochschul- oder Hochschulabschluß verfügen, um etwa sieben
Prozent unter der Zahl von 1971 liegt. Die Kinderlosigkeit der
Akademikerinnen fiel damals nicht auf, weil bei fünf bis sechs
Prozent Akademikern insgesamt und etwa zwei bis drei Prozent
Akademikerinnen dies nicht ins Gewicht fiel, wohingegen das
heute bei 30 Prozent sehr wohl zu einem Thema geworden ist."
(S.47f.) |
Das alte Bürgertum gab sich erst gar nicht die
Mühe, zu behaupten, dass das Elterngeld eine Geburten fördernde
Wirkung habe. Warum sollte man das Elterngeld nicht auch noch
mitnehmen?
Beim neuen Bürgertum feierte dagegen das
Klassenbewusstsein sein Comeback. Warum sollten in Deutschland
nur noch die Unterschichten und die Asozialen die Kinder
bekommen?
Nachdem jedoch keiner die Wahl so richtig gewonnen
hatte, soll nun das Elterngeld in modifizierten Form kommen. Wer
die Gewinner und wer die Verlierer dabei sein werden, das ist
noch nicht ganz sicher. Nur eines ist sicher: Allein die Debatte
hat die Gesellschaft grundlegend verändert.
2) Singles
in der Gesellschaft
Unverkennbar ist inzwischen eine
familienfundamentalistische Strömung
spürbar. Der Single-Begriff ist
mittlerweile kein Garant mehr dafür, dass mit ihm das
Unverheiratetsein eine neue Bedeutung erhalten hat. Die 1950er Jahre-Ideologie ist damit zurück! In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
befürchtete Albert SCHÄFFER gar, dass die Kinderlosen zu den
"Aussätzigen der deutschen Gesellschaft" werden könnten:
Nur eine Schuldfrage?
"Sie
drohen die Aussätzigen der deutschen Gesellschaft zu
werden: die Kinderlosen. (...). Die Kinderlosen werden als
ein Krebsgeschwür in den sozialen Sicherungssystemen
gegeißelt, das nur durch drastische Leistungskürzungen und
Abgabenerhöhungen herausgeschnitten werden kann. Der
jüngste Vorstoß des Instituts der deutschen Wirtschaft,
die gesetzlichen Renten für Kinderlose mehr als zu
halbieren, ist nur eine Etappe in diesem Feldzug.
Die Herausforderungen, vor denen Deutschland bei der
Sanierung des Sozialstaats steht, werden durch solche
Feuerwerke der Affekte nicht zu bewältigen sein. Es ist
zwar notwendig, darüber zu streiten, ob der
gesellschaftliche Ausgleich zwischen Familien und Menschen
ohne Kinder noch stimmig ist - in einer Zeit, in der die
Lebenserwartung ständig wächst und die Altersstruktur sich
dramatisch wandelt; schon jetzt leben in Deutschland mehr
Menschen, die 65 Jahre und älter sind, als Kinder unter
fünfzehn Jahren. Diese Debatte kann sich aber weder in
einer kalten Ökonomie der Zahlen, die Transfers zugunsten
der Familien wie Erziehungs- und Kindergeld mit Leistungen
aus dem Generationenvertrag für Kinderlose zu verrechnen
sucht, noch in einer demagogisch verkürzten
familienpolitischen Korrektheit erschöpfen.
Es ist eine
Verkürzung, bei der Kinderlosen letztlich die
staatsbürgerliche Legitimation abgesprochen wird. (...).
Es ist erschreckend, daß nicht der Berufszyniker Harald
Schmidt, sondern der Finanzwissenschaftler Bernd
Raffelhüschen der Generation der Dreißig- bis
Fünfzigjährigen angesichts der demographischen
Herausforderungen empfohlen hat, in den Spiegel zu schauen
und »mea culpa« auszurufen, weil sie völlig freiwillig auf
Kinder verzichtet habe. Mit solchen Vereinfachungen
werden, auch wenn es nicht beabsichtigt sein mag,
Stimmungen geschürt. In den Kategorien von Schuld,
Versagen und Verweigerung wird eine ernsthafte Debatte
darüber, wie die Vergreisung der deutschen Gesellschaft
aufgehalten werden kann, nur im medialen Krawall der
Talkshows verdampfen.
(...).
Wert- und Unwerturteile, garniert mit imaginären
Frontstellungen zwischen »Gebärfreudigen« und
»Gebärfaulen«, taugen nicht als Aufstiegshilfen aus dem
demographischen Tal.
Die
Inszenierung eines Verteilungskampfs zwischen Familien und
Kinderlosen mag Politikern und Wissenschaftlern
Medienpräsenz garantieren; zu einer gemeinsamen
Anstrengung wird sie nicht führen. (...). Das
buchhalterische Aufrechnen von Vor- und Nachteilen ist ein
gesellschaftliches Nullsummenspiel; wie die
Bundesregierung die Forderung des
Bundesverfassungsgerichts, in der Pflegeversicherung
Familien zu entlasten, schlicht in eine neue Belastung für
Kinderlose umgedeutet hat, wirft darauf ein entlarvendes
Licht. Ein bevölkerungspolitischer Aufbruch, in dem sich
Familien und Kinderlose gleichermaßen wiederfinden, läßt
sich darauf nicht gründen."
(FAZ 21.05.2005) |
Der Artikel des Psychiaters Holger Betrand
FLÖTTMANN ("Der Wunsch nach einem Kind", FAZ
13.06.2005) bedeutete dann die Wiederkehr psychoanalytischen
Gedankenguts, das man lange überwunden glaubte.
Das Single-Dasein gilt den neuen Werteeliten als abweichendes Verhalten, das bedenkenlos bestraft werden
darf. Diese neue Kultur der Freiheit (Udo Di FABIO) geht
mit einer neuen Doppelmoral einher: Einerseits herrscht
seitens des Wirtschaftssystems Individualisierungszwang,
andererseits wird sozialpolitisch die Individualisierung nur
noch bei jenen geduldet, die über die nötigen Ressourcen
verfügen. Eigenverantwortung und Subsidiarität sind die
Leitbegriffe der neuen Klassengesellschaft.
3)
Singles in TV, Film und Literatur
Die neuen Werteeliten haben die Single-Ästhetik
entdeckt. Angeblich sei der Single das Leitbild der Medien.
Von Susanne GASCHKE bis Udo Di FABIO schallt der
Ruf nach einem neuen Erwachsenenbild, das doch sehr nach 1950er
Jahre aussieht.
Tatsächlich ist die Single-Ästhetik spätestens im
Jahr 2002 mit der Medienkrise untergegangen. Katja KULLMANN hat
ihr mit Generation Ally den Nachruf zur rechten Zeit
verschafft.
Jetzt beklagen sich nur noch die Ewiggestrigen
über dieses Phänomen. Das Grimme-Institut liefert mit einer
Untersuchung aus dem Jahr 2003, die nun erst erschienen ist, die
erste akademische Historisierung.
Während die
Single-Ästhetik nur noch durch
Wiederholungen künstlich am Leben erhalten wird, ist
Partnersuch-, Kinderkrieg- und Erziehungs-TV angesagt.
Das hat schlichtweg demografische Ursachen:
junge Familien sind die dominante gesellschaftliche Gruppe. Die
allein wohnende Karrierefrau im mittleren Alter ist keine
ernstzunehmende Zielgruppe. Über 90 % der 35-44jährigen
Frauen leben nicht allein! Dies wird in den nächsten Jahren auch
der Letzte verstanden haben.
4) Ausblick
Es fehlt in
Deutschland eine ernstzunehmende Auseinandersetzung, die endlich
Schluss macht,
mit der Scheinkontroverse Singles contra Familien.
Dazu bedarf es
aber Menschen, die den Mut haben, der Single-Lüge den
Kampf anzusagen. Nicht die Single-Ästhetik in den Medien ist das
Problem, sondern die
Single-Rhetorik.
Singles kann nicht
daran gelegen sein, dass sie weiterhin als Sündenböcke für das
Politikversagen der Eliten herzuhalten haben. Die Richtung ist
vorgegeben.
Eines dürfte jetzt
schon klar sein: Die Kritik an der "Single-Gesellschaft" zielt
keineswegs nur auf die Singles im engeren Sinne, sondern auf
alle Familienformen jenseits der Normalfamilie.
Sollten sich die Vertreter des nationalkonservativen Paradigmas von Herwig
BIRG über Meinhard MIEGEL, Jürgen BORCHERT bis zu Hans-Werner
SINN durchsetzen - und das ist nicht so abwegig -, dann werden
im zunehmenden Maße sowohl Alleinerziehende als auch Patchworkfamilien an den Pranger gestellt werden.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
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