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Milieu und Paarbildung
Im Buch Lebensphasen -
Liebesphasen (1997) richtet der Soziologe Günter BURKART den Blick auf die
unterschiedlichen Voraussetzungen der verschiedenen Milieus:
Lebensphasen - Liebesphasen
"Die
Kohabitation wurde (...) in den siebziger Jahren als neue
Lebensform etabliert, zunächst nicht als Alternative zur
Ehe im allgemeinen, sondern als Alternative zur frühen
Ehe, zum Alleinleben und zum längeren Verweilen im
Elternhaus. Ihre Träger waren die jungen Erwachsenen der
Bildungsexpansionsphase.
Hier taucht die Frage auf, ob vielleicht diese Generation
der Bildungsexpansion besonders anfällig ist für das
Scheitern von Ehe und Familie, nicht nur, weil sie die
erste ist, die das Experiment versucht, anders zu leben
(erst mal nicht den gesicherten Weg zu Familie und
Karriere einzuschlagen, aber dann, später, vielleicht
nicht mehr dazu in der Lage zu sein), sondern auch weil es
sich dabei häufig um soziale Aufsteiger handelt. Bei ihnen
sind Probleme mit der habituellen Übereinstimmung in der
Partnerschaft wahrscheinlicher, sind sie doch hin- und
hergerissen zwischen dem Herkunftsmilieu (meist Arbeiter-
oder kleinbürgerliches »Harmoniemilieu«) und dem durch den
Gang ins Bildungsmilieu erworbenen
Selbstverwirklichungsdiskurs."
(1997, S.90f.) |
BURKART legt nahe, dass
auch bei den Töchtern der Emanzipation strikt zwischen
Geburtselite und Aufsteigern zu unterscheiden ist.
Wenn die
Paarbildung jedoch immer noch eine entscheidende Voraussetzung
für die Familiengründung ist, dann heißt dies auch, dass auch
Elternschaft und Kinderlosigkeit in diesem Zusammenhang gesehen
werden müssen.
Dass hier
tatsächlich ein Zusammenhang besteht, hat Gert HULLEN in dem
Beitrag Tempo und Quantum der Reproduktion (2003)
deutlich gemacht. Nicht erst der
Aufschub der Familiengründung, sondern bereits der Aufschub der
Partnerbildung ist die Ursache des Geburtenrückgangs.
Für HULLEN beginnt
die Partnerbildung jedoch erst beim Zusammenziehen, d.h.
Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt werden bei dieser
Untersuchung nicht berücksichtigt.
Studienfachwahl und Kinderlosigkeit
Die Emanzipationsfalle
"Lange Zeit schien die
Trennlinie innerhalb der Gesellschaft vor allem zwischen
Familien und Kinderlosen zu verlaufen, doch die
Schichtkomponente gewinnt an Bedeutung. Wenn wir den
gegenwärtigen Trend der Kinderlosigkeit im akademischen Milieu
fortschreiben, droht Nachwuchs tatsächlich zu einer
Angelegenheit der Unterklasse zu werden - und zwar vor allem,
weil die eine Seite aussteigt. Zynisch formuliert könnte das
heißen: Kinder bekommen in Zukunft nur noch die Gefühlvollen und
Blöden."
(2005, S.95) |
GASCHKE ist vorzuwerfen,
dass sie nicht innerhalb der Gruppe der Akademikerinnen
differenziert, denn diese Gruppe ist keineswegs homogen. Klaus-Jügen DUSCHEK
& Heike WIRTH haben für das Jahr 2004 das Leben mit Kindern von
Akademikerinnen untersucht.
Bei den 37 -
40jährigen westdeutschen Akademikerinnen sind 65 % der
Ingenieurinnen und 64 % der Human- und Veterinärmedizinerinnen
Mütter. Dagegen sind bei den Mathematikerinnen und
Naturwissenschaftlern nur 50 % Mütter. Nicht untersucht wurde
jedoch inwieweit die Studienfachwahl auch Ergebnis der Herkunft
ist und inwiefern die Arbeitsmarktsituation Einfluss auf die
Familiengründung hat.
Frühe Mutterschaft
Susanne GASCHKE beschreibt
ihre ungeplante Schwangerschaft als Ausnahme von der Regel:
Die Emanzipationsfalle
"Ich hatte einen
neuen Freund und wurde (...) nach drei Monaten schwanger. Das
war eine extrem eigenartige Situation für mich, die sich nie
etwas aus »Familie« gemacht hatte, und passte ganz und gar nicht
zum »erst mal«-Prinzip, wonach Kinderkriegen eine Leitersprosse
ist, die man definitiv erst nach allen Examina und nach
gelungenem Berufseinstieg erklimmt. Gleichzeitig stellte ich
fest, dass theoretisch über Kinder nachzudenken und praktisch
schwanger zu sein einen dramatischen Unterschied bedeutet:
Während ich mich politisch vehement für ein liberales
Abtreibungsrecht eingesetzt hatte, fand ich es nun eine
scheußliche Vorstellung, tatsächlich einen Abbruch vornehmen zu
lassen. Das war keine große moralische Frage: Ich fand es
einfach traurig, deprimierend, irgendwie versagermäßig. Trotzdem
hätte ich mich wohl nicht auf eine Karriere als Alleinerziehende
eingelassen. Insofern war es spannend, was mein noch sehr neuer
Freund zu dieser Entwicklung sagen würde. (...). Uns wurde sehr
schnell klar, dass die zentrale Frage, die es zu entscheiden
galt, lautete: »Können wir uns denn vorstellen
zusammenzubleiben? Für einen nahezu unvorstellbar langen
Zeitraum, nämlich immer?« Wir konnten, und deshalb konnten wir
auch das Kind behalten."
(2005, S.55f.) |
GASCHKE fühlte sich in
dieser Situation von der Ratgeberliteratur allein gelassen:
Die Emanzipationsfalle
"Ich selbst wurde
Anfang der neunziger Jahre dank politisch korrekter
Verhütungsmethoden schwanger und war mehr mit mir selbst als mit
feministischer Theorie oder praktischer Frauenpolitik
beschäftigt.
(...).
Um mich auf die Geburt vorzubereiten, las ich als Studentin
natürlich Bücher. Bei Frauen meiner Generation war eine
Schwangerschaft mit Anfang zwanzig nicht sehr verbreitet, es gab
also kaum erfahrene Freundinnen, die mich hätten beraten können.
Und so informierte ich mich zum Beispiel aus Unser Körper,
unser Leben, einem amerikanischen Frauengesundheitsbuch vom
Boston Women's Health Collective aus den siebziger Jahren, das
allerdings erst 1980 auf Deutsch erschienen war. Ich fühlte mich
höchst beunruhigt durch die düsteren Warnungen". (2005, S.28f.) |
Aus der Sicht von Katja
KULLMANN stellt sich die Kinderfrage erst gar nicht:
Generation Ally
"Der erste
Mensch, der mich fragte, ob ich Kinder haben wolle, war nicht
mein Freund, nicht meine beste Freundin und auch nicht meine
Mutter. Sondern der Chef eines privaten Radiosenders. Ich war
26, kurz vor Studienende und hatte mich bei mehreren Verlagen
und Sendern um eine Volontariatsstelle beworben."
(2002, S.91)
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Der Lebensentwurf von
KULLMANN sieht Kinder erst - wenn überhaupt - in den Dreißigern
vor:
Generation Ally
"Auf die
Mutterschaftsfrage hatte ich mir keine pfiffige Antwort
überlegt, denn ich hatte bis dahin noch nie ernsthaft darüber
nachgedacht. Ich wollte beruflich durchstarten, wie es damals
hieß. Ich freute mich auf glamouröse Jobs in aufregenden
Städten, wollte die Nächte durchtanzen und tagsüber Karriere
machen. Kinder kamen in diesem Panorama nicht vor, dieses
Phänomen verbannte ich weit hinter meinen 30. Geburtstag. Und
fast alle meine Freundinnen machten es genauso. wir düsten in
dieser Zeit von Assessment Center zu Auswahlverfahren, wir
sprachen bei Roland Berger und Young & Rubicam, dem Stern
und der Commerzbank vor, einige gründeten gleich einen eigenen
Hutladen (...) und immer, wenn wir erfuhren, dass eine frühere
Bekannte, Kommilitonin oder Schulfreundin ein Kind bekommen
hatte, schüttelten wir den Kopf und hatten kurz Mitleid. Sie
waren zu früh dran, fanden wir. (...). Mütter in unserem Alter,
zwischen 20 und 28, waren dies Ausnahme, die die Regel
bestätigten. (...). Die Einsamkeit der postmodernen Frau vor der
Familiengründung - wir haben sie anfangs genossen".
(2002, S.92f.)
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KULLMANN begründet dies
damit, dass das Single-Dasein in den 1990er Jahren im Trend lag:
Generation Ally
"Das Singletum
war (...) der gesamtgesellschaftliche Megatrend der 90er. Alles
musste Event-Charakter haben, als Ausgleich für fehlende
Gefühle. Singles machen zwar nur 17 Prozent der deutschen
Bevölkerung aus, aber sie verfügen über 21 Prozent des frei
verfügbaren Einkommens. Es gab plötzlich Single-Bettwäsche,
Single-Reisen - etwa auf dem Clubschiff Aida -,
Single-Menüs im Tiefkühlregal, Single-Shows im Fernsehen und
Single-Partys in jeder Stadt. Fisch sucht Fahrrad oder
Konrad sucht Conny hießen die Kuppelveranstaltungen, die
Anfang der 90er von linksalternativen Stadtmagazinen erfunden
worden waren".
(2002, S.126)
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Es stimmt zwar, dass in
den 1990er Jahren die Singles ein mediales Modethema waren, dieser
Single-Ästhetik in den Medien entspricht jedoch kein
diesbezüglicher Anstieg der Einpersonenhaushalte .
Ganz im Gegenteil:
die anschwellende Single-Rhetorik muss als Abgesang auf
das Single-Dasein gelesen werden. Der Wandel des Wertewandels
und damit die Rückbesinnung auf die Familie ging in den 1990er
Jahren mit einer aggressiven Single-Rhetorik einher
.
Rückblickend
erweist sich das Reden über die Familie im Gewande der
Single-Rhetorik als kontraproduktiv.
Der Terror der
Individualisierungsthese dürfte viel dazu beigetragen haben,
dass Singles sich Illusionen über ihre Situation gemacht haben.
Nicht der
Feminismus hat - wie GASCHKE meint - Kollateralschäden
verursacht, sondern die Single-Rhetorik, die den Umbau des
Sozialstaats begleitet, ist für die Kollateralschäden
verantwortlich.
Die Avantgarde der Mütterelite:
Frühgebärende
Die Erfahrung von Susanne
GASCHKE war kein Einzelfall, sondern offenbar typisch, zumindest
für die Medienbranche. Elke BUHR schreibt dazu im Artikel
Dieser Zustand ist nicht tanzbar:
Dieser Zustand ist nicht tanzbar
"Als ich schwanger wurde, war ich zwar im
statistischen Durchschnittsalter für das erste Kind - 27
Jahre war es damals, demnächst dürfte es 30 Jahre
erreichen -, aber in der studentischen Peer Group war das
Kind der erste Fall dieser Art. Es gab Menschen mit
Kindern in der Bekanntschaft, sie hatten sie mit siebzehn
oder achtzehn bekommen, Resultate postpubertären
Verhütungschaos. Alle anderen, so schien es, würden dann
erst an Kinder denken, wenn das Studium abgeschlossen und
der Job sicher war - nicht vor Mitte oder Ende Dreißig,
wenn überhaupt. »Da ist jetzt das Kind drin?« fragte der
Freund, der in der Schwulenbar kellnerte, und schaute
skeptisch auf meinen dicken Bauch: »Ist das nicht
irgendwie eklig?« Später umstanden die Freundinnen zu
fünft das Krankenhausbett und staunten, als hätte ich
gerade das Jesuskind auf die Welt gebracht."
(aus: Kursbuch 154 Die 30jährigen, 2003, S.138) |
Dieser Beitrag erschien im
Dezember 2003 im Kursbuch zum Thema Die 30jährigen.
In den letzten
Jahren hat sich jedoch einiges getan. Studieren mit Kind
ist kein Exotenfach mehr. Es wird jedoch noch einige Jahre
dauern bis sich dieser Trend auch bevölkerungsstatistisch sicher
belegen lässt. So lange dürfen sich die früh gebärenden
Elitemütter als Besonderheit inszenieren. Danach wird sie der
Mainstream zu neuen Inszenierungen zwingen.
Das Ende der Single-Ästhetik ist längst
eingeläutet
Die aktuelle Debatte um
die Infantilisierung der Gesellschaft und die Rolle der Popmusik
ist der verspätete Abgesang auf den Hipster-Pop
.
Statistisch
gesehen, leben wir längst nicht mehr in der jugendlichen
Gesellschaft, sondern in einer Gesellschaft der 30-40jährigen.
Der neue Stern am
Pop-Himmel heißt Adult-Pop. Es droht die Marius
Müller-Westernhagenisierung der Republik: "Lass uns
runterfahrn ans Meer/Und uns dort am Strand vermehrn" heißt es im Song Eins.
Wir werden
demnächst Demografie-Thriller als Lektüre vorgesetzt bekommen
und Ildiko von KÜRTHY wird über die Panik der 35jährigen
Singlefrau schreiben. Die
Britin HELEN FIELDUNG lässt Bridget Jones schwanger werden und in
den USA löst Baby and the City die Serie Desperate
Housewives ab.
Wenn sich Susanne
GASCHKE über die Single-Ästhetik echauffiert, dann hat das
höchstens noch historischen Wert. Die historische
Singleforschung wird sich damit beschäftigen müssen. Die Kultur
ist dagegen längst weiter.
Single-generation.de wird diesen Aspekt in einem späteren
Beitrag näher beleuchten.
Doppelkarriere-Familien erobern die Stadt zurück
Global Players
"Ich
verlasse das Haus. Es ist kurz nach sechs, im Umkreis von
500 Metern gibt es hier mindestens vier Coffeeshops, aber
keiner beginnt mit dem Aufschäumen von fettfreier Milch
und dem Verkauf von Trendgebäck vor acht Uhr. Zwischen
sechs und acht trinkt Deutschland noch real-überbrühten
Filterkaffee mit Glücksklee und ißt Hackepeterbrötchen
oder Bockwurst. Ungetoastete Bagels mampfende
New-York-Simulanten stehen später auf."
(aus: Sascha
Lehnartz "Global Players", 2005, S.23)
Die
Emanzipationsfalle
"Wenn man selbst
die Einzige ist, die morgens blass und unausgeschlafen aussieht,
weil man nachts dreimal wachgeschrien wurde und um halb sieben
endgültig aufstehen musste, hasst man die Ganztagsfrühstücker."
(2005, S.170f.)
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Lief man Anfang der
1980er
Jahre durch die innenstadtnahen Wohngebiete, konnte man den
Beginn der Aufwertung dieser Gebiete feststellen.
Hausbesetzer und
Punks, Künstler und Studenten - Kinderlose also - eroberten
damals diese Quartiere. Dieser Vorgang wurde später als
Yuppisierung beklagt
.
Nun - 25 Jahre später -
sind diese Quartiere Keimzellen einer Entwicklung, die in den
Medien bislang kaum Beachtung findet. Erst das Phänomen der
Prenzlauer Berg-Eltern lenkte die Aufmerksamkeit darauf,
dass sich in den schicken Quartieren eine neue Elternelite
etabliert.
Familienfundamentalisten
versuchen zwar noch, diese Entwicklung zu verleugnen. Es wird
behauptet, dass es sich dabei um Ausnahmen handelt oder es
werden Statistiken herangezogen, die belegen sollen, dass sich
hier keineswegs ein neuer Baby-Boom anbahnt.
Zuviel
Aufmerksamkeit hätten nämlich die Pläne der mächtigen
Elternlobby durchkreuzen können. Inzwischen ist das
Elterngeld in den Koalitionsvereinbarungen von Schwarz-Rot
festgeschrieben worden. Dies bedeutet, dass die Kinder der
Erfolgreichen besser gefördert werden als die Kinder der
Erfolglosen. Wer hat, dem wird noch gegeben!
Die
Geburtseliten werden durch diese Maßnahme gegenüber den
Aufstiegswilligen privilegiert. Diese bevölkerungspolitische
Maßnahme stärkt also den Trend zur Klassengesellschaft. Das
Elterngeld wird auch den Trend zur Doppelkarriere-Familie
stärken. Diese Familienform wohnt eher in der Stadt statt weit
draußen auf dem Lande. Die Soziologin Monika ALISCH hat diese
Entwicklung bereits 1993 als Konsequenz der Durchsetzung des
Feminismus beschrieben
.
Nun wird auch in
einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik diese
Entwicklung bestätigt (Welt 22.10.2005)
Der Normalo: Fehlanzeige!
Das Buch von Susanne
GASCHKE widmet sich lediglich den Problemen, die unsere
extremistischen Milieus betreffen: das Niveaumilieu der
Geburtselite und das "hedonistische" Milieu der erfolgreichen
Aufsteigerinnen. Wer nicht zu diesen Mitte-Eliten gehört,
der muss sich sagen lassen:
Die Emanzipationsfalle
"Die Netten (...)
sind längst verheiratet. Übrig bleiben diejenigen, die sich
nicht festlegen mögen und ihre Freiheit mit Klauen und Zähnen
verteidigen. Und natürlich die absoluten Zumutungen, über die
wir gar nicht weiter zu reden brauchen."
(2005, S.59) |
Jenseits der Geburtseliten
und den erfolgreichen Aufsteigern beginnt für GASCHKE sozusagen
die Unterschicht. Das Problem unserer
schreibenden Zunft ist, dass sie weit weg ist vom Rest der
Gesellschaft. Eine frei schwebende Intelligenzia, die
Selbstreferenzialität für eine Tugend hält.
Der Kulturkampf
zweier extremistischer Milieus verhindert einen
vorurteilsfreien Blick auf die Gesamtgesellschaft.
GASCHKEs Buch liest
sich in weiten Teilen wie eine verspätete Antwort auf Katja
KULLMANNs Bestseller Generation Ally. Manche Passagen
sind auch lottmannesk, wenn sie
Die Jugend von heute
beschreiben.
Die Jugend von heute
"Die
von mir so bewunderte und angagierte Jugend von heute war
vollkommen krank. Und zwar in einem Ausmaß, das noch
keiner vor mir erkennt hatte. Mehr noch: Definierte man
die Jugend als die Zeit nach der Kindheit und vor der
Berufstätigkeit, so gab es seit den 90er Jahren gar keine
Jugend mehr. Keiner erreichte mehr postpubertäre Reife.
Ich war der letzte lebende Teenager. Ich hatte es noch
erlebt: Petting, Matratzenpartys, Pink Floyd,
Liebesbriefe, nackt im Wald liegen und sich stundenlang in
die Augen schauen. Derartiges ist der Jugend von heute
ganz und gar unbekannt. Das kennen sie noch nicht einmal
aus dem Kino."
(2004, S.48f.)
Die Emanzipationsfalle
"Einzelne Männer
aus ihrem politischen Bekanntenkreis sind vor Sehnsucht nach
Susi fast wahnsinnig geworden. Sie gehört zu einer neuen
Generation von Frauen, die es wahrscheinlich selbst glauben,
wenn sie sagen, sie hätten mit einem Typen bei Vollmond am
Strand gesessen, »als Freunde«. Frauen, die ehrlich überrascht
sind, wenn ihnen jemand zu Leibe rückt, mit dem sie »nur so« in
einem Bett übernachten wollten.
(2005, S.136.) |
Obwohl GASCHKE durchaus
repräsentative Lebensverlaufsstudien durchgesehen hat, bevorzugt
sie doch lieber fragwürdige Meinungsumfragen, die ihre
Vorurteile bestätigen. Es würde hier zu
weit führen, die Zahlen zu widerlegen. Single-Generation.de
wird jedoch in einem späteren Beitrag die Entwicklung der
Einpersonenhaushalte in den 1990er Jahren näher unter die Lupe
nehmen. Im Beitrag Die
Anzahl der Einpersonenhaushalte - Mythen und Fakten haben
wir zwar die generelle Entwicklung aufgezeigt, nicht jedoch die
Entwicklung einzelner sozialer Gruppen.
Das Buch von
GASCHKE ist zugespitzt auf Entscheidungssituationen. Wer sich
nicht entscheidet, der gehört zur Gruppe der Unentschiedenen.
Diese Perspektive
negiert das Vorhandensein von Entwicklungen zwischen zwei
Entscheidungszeitpunkten. Die punktuelle Betrachtungsweise
ignoriert Entwicklungsprozesse wie sie z.B. bei der
Paarbildung notwendig sind. GASCHKE geht es
darum, Entscheidungen zu erzwingen. Dahinter steht
durchaus ihre eigene Erfahrung, dass ungeplante Ereignisse
entweder revidiert oder angenommen werden können.
Der Soziologe
Günter BURKART hat eine Entscheidungstheorie entwickelt, bei der
die Elternschaft als biografische Entscheidung betrachtet
wird.
Entscheidungen im
Lebensverlauf sind demnach sehr komplex, weil sowohl
unterschiedliche Lebensbereiche (Beruf, Freizeit), strukturelle
Restriktionen (Arbeitsmarktsituation, Finanzsituation), die
Bedürfnisse des Partners usw. berücksichtigt werden müssen.
Dieses Arrangement ist bei zwei grundsätzlich gleichberechtigten
Partnern nun einmal problematischer als wenn sich ein Partner
den Entscheidungen des anderen fügt. Je nach
Milieuzugehörigkeit ist diese Entscheidung also einfacher oder
schwieriger zu fällen. Es ist also gar nicht nötig mit Begriffen
wie Hedonismus oder Selbstverwirklichung, also Egoismus
herumzufuchteln.
Die Probleme, um
die es GASCHKE geht, entspringen dem individualisierten Milieu,
denn nur dort ist gemäß BURKART die Elternschaft optional
und keine kulturell normierte biographische
Selbstverständlichkeit.
GASCHKE dagegen
sieht das individualisierte Milieu als stilprägend auch
für andere Milieus:
Die Emanzipationsfalle
"Die
Kinderabstinenz der weiblichen Bildungsavantgarde wirkt übrigens
doppelt und dreifach, denn es geht ja nicht nur um die Zahl der
nicht geborenen Kinder, sondern auch um eine Trend- und
Vorbildfunktion.
(...).
Die Konsumforschung hat herausgefunden, dass der Lebensstil der
Privilegierten den gesellschaftlichen Trend prägt: Was, wenn
dieser Lebensstil Kinderlosigkeit zur Norm erhebt?"
(2005, S.79) |
fragt GASCHKE. Angesichts der
Tatsache, dass selbst die Mittelschichten Angst vor dem
Absturz haben und Überflüssigkeit nicht allein die
Lebenssituation der Unterschichten bedroht, ist
Individualisierung keineswegs mehr so verheißungsvoll.
Vielmehr wird
Individualisierung heutzutage eher als
Zwangsindividualisierung erlebt
.
Urlaub oder Kind,
eine solche Entscheidung stellt sich für viele in Zukunft
möglicherweise gar nicht mehr, weil - entweder das Geld oder die
Zeit fehlt. Durch den
forcierten Arbeitsplatzabbau, die Durchsetzung von Niedriglöhnen
und die Kürzung von sozialstaatlichen Leistungen, verändern sich
die Bedingungen von Lebensentscheidungen rapide.
Kinderlosigkeit
wird zukünftig weniger eine Frage der Optionsvielfalt, sondern
eine Frage der Chancengleichheit sein.
Wenn bei GASCHKE
das Frühgebären zur generellen gesellschaftlichen Problemlösung
verkommt, gerät der aktuelle gesellschaftliche Wandel völlig aus
dem Blick. Die Verengung auf
eine kleine Elite führt dazu, dass deren Probleme als
gesamtgesellschaftliche Probleme erscheinen. Dies ist aber nicht
der Fall.
Fazit: Die Avantgarde der Mütterelite ist
vergangenheitsfixiert
Liest man im Jahr
2010 das Buch Die Emanzipationsfalle von Susanne GASCHKE
noch einmal, wird man sich fragen, wie es dazu kam, dass damals
solch gravierende Fehleinschätzungen an der Tagesordnung waren.
Man wird dies auf
die damals weit verbreitete Single-Rhetorik zurückführen, die
sowohl Singles als auch Eltern ein falsches Bild ihrer Lage
vermittelt hatte.
Bis zur Jobkrise
der Generation Golf kurz nach der Jahrtausendwende konnte man
sich als aufstiegswillige Singlefrau noch an die Single-Ästhetik
klammern, die von erfolgreichen Aufsteigerinnen - als Gegengift
zur zunehmend geschlosseneren Gesellschaft - in Umlauf gebracht
wurde.
Sozialpolitiker
werden ihre damalige Single-Rhetorik damit rechtfertigen, dass
die damit verbundenen Kollateralschäden der notwendige Preis
waren, um die neue Klassengesellschaft zu etablieren. Die dritte
Mütterbewegung wird GASCHKEs Buch als frühes Manifest feiern,
das ihren Belangen Ausdruck verliehen hatte, bevor
offensichtlich wurde, dass Singles die wahren
Modernisierungsverlierer waren. Im Jahre 2010 ist
für jeden klar, dass lebenslang Kinderlose eine quantitativ zu
vernachlässigende Randgruppe sind.
In den schicken
Großstadtquartieren dominieren Doppelkarriere-Familien mit einem
Kind, während die Mehrzahl der männlichen Kinderlosen in tristen
Quartieren oder Wohnwagensiedlungen haust, weil sie sich die
Mieten in Arbeitsplatznähe nicht mehr leisten können.
Der
Geburtenrückgang konnte jedoch nicht gestoppt werden, denn es
stellte sich heraus, dass lebenslange Kinderlosigkeit gar nicht
die Hauptursache des Geburtenrückgangs war. Susanne GASCHKE
hatte deshalb im Jahr 2007 das Buch Die Ein-Kind-Falle
geschrieben.
Die Emanzipationsfalle
"Freundin Tanja, wie ich
Mutter einer Vierzehnjährigen. »Hast du eigentlich mal über ein
zweites Kind nachgedacht?«, fragte sie am Ende eines weinseligen
Abends. Ich sah sie entgeistert an: »Jetzt noch?« - »Vielleicht
würde es uns jünger machen«, sagte sie."
(2005, S.60) |
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