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Die Ära Macron in Frankreich

 
       
   

Politischer Wandel in Frankreich

 
       
       
   

Der Präsidentschaftswahlkampf 2017 in Frankreich

 
       
   

Die Wahlkampfberichterstattung in der deutschsprachigen Presse. Wie im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahlen (23.04. und 07.05.) und der Wahlen zur Nationalversammlung (11. und 18. Juni) unser Bild von Frankreich durch die Medien geprägt wurde

 
       
   

französische Singles und gesellschaftlicher Wandel in den Medien

 
       
   
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2017

Die Medienberichte März - Juni 2017

GARAT, Jean-Baptiste & Marion MOURGUE (2017): Le jour où Les Républicains ont explosé.
Un nouveau groupe "Républicains constructifs, UDI et indépendants" est né mercredi à l'Assemblée,
in:
Le Figaro v. 22.06.

GARAT & MOURGUE berichten über die Gründung zweier Fraktionen bei den Republikanern:

"A l'Assemblée mercredi, deux groupes ont pris forme: un groupe LR "canal historique" avec 98 inscrits et un nouveau groupe "Républicans constructifs, UDI et Indépendants" composé pour 17 députés LR et de 17 élus UDI."

In der deutschen Presse ist darüber nur spärlich berichtet worden. In der heutigen FAZ heißt es dazu lediglich:

"Die bürgerliche Recht spaltet sich in der Nationalversammlung fortan in Unterstützer und Gegner von Macron. Am Mittwoch schlossen sich Abgeordnete von LR zu einer »Die Konstruktiven« genannten Fraktion zusammen. Unter der Führung von Thierry Solère (LR) und Jean-Christophe Lagarde (UDI) wollen sie die Regierung von Fall zu Fall unterstützen. (...). Der LR-Abgeordnete Christian Jacob wurde als Fraktionsvorsitzender der Rest-LR-Franktion am Mittwoch bestätigt."

Gemäß der Website der Nationalversammlung sind bislang noch keine Fraktionen aufgeführt, d.h. es handelt sich bislang noch um Gründungsabsichten, die noch der offiziellen Bestätigung bedürfen. Christophe LAGARDE (UDI) gewann den 5. Wahlkreis im Département Seine-Saint-Denis. Thierry SOLÈRE (LR) siegte im 9. Wahlkreis im Département Hauts-de-Seine. Sein Parteigenosse Christian JACOB setzte sich im 4. Wahlkreis im Département Seine-et-Marne durch.

REZAGUI, Insaf (2017): Alle lieben Macron.
Ich nicht! Weshalb es sich lohnt, für die Sozialistische Partei Frankreichs zu kämpfen, die kurz vor dem Zusammenbruch steht
,
in:
Die ZEIT Nr.26 v. 22.06.

Die 22-jährige Sozialistin Insaf REZAGUI ist im 5. Wahlkreis des Départements Var angetreten und landete im ersten Wahlgang abgeschlagen auf Platz 9 von 16 angetretenen Kandidaten. Durchgesetzt hat sich im zweiten Wahlgang MACRONs Partei gegen den FN-Kandidaten. Die Kandidatin von France Insoumise landete hinter dem Kandidaten der Republikaner auf Platz 4.

"(V)or allem bin ich den Sozialisten beigetreten, weil die Partei die einzige war, die entschlossen gegen den rechtsextremen Front National gekämpft hat. In meiner Heimatregion im südfranzösischen Var wurde der Front National schon damals immer stärker. (...).
Warum bleibe ich noch dabei? Der Front National und die ganze Faschosphäre macht mir hzu viel Angst, als dass ich mich traute, das Handtuch zu werfen. Seit 2014 stellt in meiner Heimatstadt Frejus der Front National den Bürgermeister. Die PS wird nach wie vor die wichtigste Rolle im Kampf gegen den Rechtsextremismus spielen. Das zeigt die Geschichte der Partei. Zum Beispiel hat die Partei in den 1980er Jahren das Bündnis S.O.S. Racisme mitbegründet, heute die größte Antirassismus-Organisation Frankreichs",

rechtfertigt REZAGUI ihren Parteieintritt 2012 und warum sie weiter den Sozialisten treu bleibt.

WALTHER, Rudolf (2017): Generalstreik der Wähler.
Frankreich: Präsident Macron hat eine sichere Basis im Parlament, weniger im Volk,
in:
Freitag Nr.25 v. 22.06.

Rudolf WALTHER sieht in der niedrigen Wahlbeteiligung ein Legitimationsproblem von MACRON. Außerdem kritisiert er, dass - nicht nur - in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern außerhalb von Frankreich die Gefahr durch den Front National hochgespielt wurde, obwohl der FN chancenlos war wie jeder informierte Leser in Frankreich wusste. WALTHER beschreibt MACRON als "republikanischen Monarch" in der Tradition von Charles de GAULLE. Die Prinzipien der geplanten Arbeitsrechtsreform umschreibt er als "Mehr arbeiten, weniger verdienen, leichter entlassen". 

WIEGEL, Michaela (2017): Zwei weitere Rücktritte.
Macron musste nun vier Posten neu besetzen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.06.

VEIEL, Axel (2017): Emmanuel Macron sortiert weitere Minister aus.
Abtrünnige aus den Reihen der Konservativen und der Zentrumspartei springen Frankreichs Präsident zur Seite,
in:
Frankfurter Rundschau v. 22.06.

Axel VEIEL liefert eine wohlwollende Interpretation der ersten Regierungskrise in Frankreich ab. Dass die Koalition mit Mouvement démocrate (MoDem) schon kurz nach den Parlamentswahlen scheitern könnte, wird von VEIEL nicht als Problem betrachtet, weil die Zentrumspartei UDI, die zur Wahl noch gemeinsam mit den Republikanern angetreten war, eine eigene Fraktion bilden möchte, zu der weitere MACRON-Fans der Republikaner überlaufen könnten.

KLIMM, Leo (2017): Minister-Domino in Paris.
Eine politische Formalie gerät zu Macrons erster Kabinettskrise,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 22.06.

BALMER, Rudolf (2017): Das gibt Macron erst recht freie Hand.
Frankreich: Kurz vor Bekanntgabe der neuen Regierung treten die Minister des Partners Modem zurück,
in: TAZ
v. 22.06.

KLINGSIECK, Ralf (2017): "Ein Viertel der Regierung fällt".
Ministerrücktritte zwingen Frankreichs Präsidenten zu umfassender Regierungsumbildung,
in:
Neues Deutschland v. 22.06.

"Als Parteigründer Bayrou im Februar erklärte, dass er auf eine eigene Prädidentschaftskandidatur verzichtet und Emmanuel Macron unterstützt, hat diesem mehr das Prestige des Zentrumspolitikers als dessen überschaubare Anhängerschaft geholfen.
Erinnert sei daran, dass Bayrou im April bei der Aufstellung der En Marche-Palamentskandidaten medienwirksam seine Verärgerung zum Ausdruck brachte, weil man seiner Partei zu wenig sichere Wahlkreise zugebilligt hatte. Macron lenkte ein, sodass die kleine MoDem-Partei im Parlament nun deutlich überrepräsentiert ist",

berichtet Ralf KLINGSIECK im Zusammenhang mit dem Rücktritt aller MoDem-Minister. Der Republikaner Thierry SOLÈRE, ein Fan von MACRON, will eine eigene Fraktion gründen.

HANKE, Thomas (2017): Macron sucht neue Balance.
Es sollte eine technische Kabinettsumbildung werden. Doch Skandale zwingen Frankreichs Präsidenten, die Gewichte neu auszutarieren,
in:
Handelsblatt v. 22.06.

Thomas HANKE berichtet nicht nur über die drei bereits zurückgetretenen Minister des Koalitionspartners MoDem (Verteidigungsministerin Sylvie GOULARD, Justizminister François BAYROU und Europaministerin Marielle de SARNEZ und den Ex-Sozialisten Richard FERRAND, der als Minister für den ländlichen Raum vorgesehen war. HANKE berichtet auch darüber, dass die zentrale Figur der geplanten Arbeitsrechtsreform, die Arbeitsministerin Murielle PÉNICAUD ebenfalls unter Druck steht  HANKE zählt die Vorzüge der Ministerin auf, die die unbeliebte Reform durchsetzen soll.

GOAR, Matthieu (2017): La droite divorce, de guerre lasse.
Thierry Solère a annoncé la création d'un groupe parlementaire distinct du réste des députés Les Républicains,
in: Le Monde
 v. 23.06.

BESSE DESMOULIÈRES, Raphaëlle (2017): Communistes et "insoumis" feront groupe à part à l'Assemblée.
Le PCF dit pouvoir compter sur quatre députés ultramarins, avec lesquels il est en train de finaliser un accord, en sus des onze élus,
in: Le Monde
 v. 23.06.

MEISTER, Martina (2017): Macrons Machiavellismus.
Leidartikel: Die Revolution frisst gern ihre eigenen Kinder. Mit einem Schlag verliert die neue französische Reformregierung drei Minister. So schnell geht es, wenn man die Politik einem Moraltest unterzieht,
in:
Welt v. 23.06.

Martina MEISTER fragt angesichts der Entledigung des Steigbügelhalters François BAYROU (MDM), ob man MACRON als "knochenharten Macchiavellisten betrachten muss, bleibt aber die Antwort schuldig, denn es sei noch zu früh für solch ein Urteil. Stattdessen beschwört MEISTER die Gefahr, dass der Gesinnungsethik der Vorrang vor der Verantwortungsethik ("Der Zweck heiligt alle Mittel") gegeben wird und dies in einen neuen Tugendterror umschlagen könnte:

"Und die ersten Revolutionäre, Macron weiß das sehr gut und er sollte es nie vergessen, landeten am Ende allesamt selber auf dem Schafott, weil aus ihrem hohen Anspruch auf Tugend der Tugendterror geworden war."

Das klingt ziemlich deutsch.

BACHSTEIN, Andrea (2017): Macrons Befreiungsschlag.
Der französische Präsident präsentiert ein neues Kabinett, aus dem mehrere belastete Minister weichen mussten,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 23.06.

Eine Liste aller aktuellen Kabinettsmitglieder findet sich auf der Website der französischen Regierung.

ULRICH, Stefan (2017): Ein Mann, ein Wort.
Kommentar: Frankreich,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 23.06.

"Belastete Politiker sind verschwunden. Viele neue Gesichter tauchen auf. Und die Hälfte des Kabinetts besteht aus Frauen. Macron steht, fürs Erste, als ein Mann da, der Wort hält.
Das ist eine angenehme Überraschung
", lobt ULRICH.

VEIEL, Axel (2017): Kabinett mit Unbekannten.
Macrons neue Ministerinnen sind bislang kaum öffentlich in Erscheinung getreten,
in:
Frankfurter Rundschau v. 23.06.

Axel VEIEL stellt die neuen Ministerinnen Nicole BELLOUBET (Justiz), Florence PARLY (Verteidigung) und Nathalie LOISEAU (Europaangelegenheiten) vor.

BALMER, Rudolf (2017): Fachkompetenz an Bord geholt.
Emmanuel Macron stellt sein Kabinett um,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 23.06.

Schrieb gestern Rudolf BALMER in der taz:

"Das Ausscheiden der Modem-Leute kann es Macron erlauben, zusätzlich bisherige Konservative oder Sozialisten in die Regierung zu holen und so einerseits die Koalition zu erweitern und die Spaltung in diesen beiden Parteien zu verstärken."

So heißt es heute in der NZZ:

"Das Ausscheiden der Modem-Leute hätte es Macron erlaubt, zusätzlich bisherige Konservative oder Sozialisten aus der Opposition in die Regierung zu holen und so die Koalition zu erweitern und die Spaltung in diesen Parteien zu verstärken. Macron hat solche parteipolitischen Überlegungen offenbar ausgeblendet und es vorgezogen, Fachkompetenz in sein Kabinett zu holen." 

WIEGEL, Michaela (2017): Frankreichs Jupiter.
Macron will erleuchten und Sinn stiften. Die Konkurrenz anderer Parteien ist weg, und am Kabinettssitz sitzen Fachleute, keine Charismatiker,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 25.06.

Michaela WIEGEL arbeitet am Personenkult um MACRON, der wahlweise als neuer Napoleon, Charles de GAULLE oder als Jupiter gesehen wird. WIEGEL hält sich an MACRONs Selbstbild als Jupiter. Ansonsten geht es um den Niedergang des Verbündeten von MARCON, die Skandalumwitterte MoDem-Partei, die als Erbe "christlicher Demokratie" (andere sagen dazu nur Zentrumspartei) von MRP bis zu UDF beschrieben wird. Scheinbeschäftigungen werden als Folge der Parteienfinanzierung in Frankreich gerechtfertigt, die dazu führt, dass große Wahlverluste wie jetzt bei den Sozialisten zu Finanzproblemen führen, die Parteien an den Rande des Ruins bringen können. Dumm ist nur, dass man den Front National eben genau deswegen auch kaltstellen möchte:

"Die mutmaßliche Affäre ist auch deshalb politisch heikel, weil ausgerechnet die Rechtspopulisten vom Front National im Verdacht stehen, auf ähnliche Weise ihre Parteiausgaben gesenkt zu haben. Gegen Marine Le Pen und mehrere andere FN-Europaabgeordnete läuft schon ein Strafverfahren. Aber gerade deshalb machte sich Barou als Justizminister unmöglich, der die Moralisierungsoffensive der Ära Macron verkörpern soll."

MACRON gehört zu jenen Politikern, die wie ERDOGAN in der Türkei, das Parlament ausschalten möchten und möglichst die Machtfülle auf sich ganz allein vereinen möchten. MACRON ist kein Jupiter, sondern Vorbote postdemokratischer Regime mitten im demokratischen Westen, der sich so viel auf seine demokratischen Werte einbildet - doch immer mehr zum postdemokratischen Regieren neigt. 

SCHUBERT, Christian (2017): Zwischen Aristokratie und Aufbruch.
Wohnen in Versailles: Wo früher Frankreichs Könige residierten, hat es sich der Adel bequem gemacht. Nun rüttelt Wandel die Stadt auf,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 25.06.

Christian SCHUBERT liefert weniger eine Wohnungsmarktanalyse, sondern ein Stadtporträt, das Versailles zum adligen Anti-Paris stilisiert:

"In Versailles gehen die Uhren noch anders. Hier schlägt das Herz des französischen Adels, hier ist das Zentrum des Großbürgertums, das am Sonntag in die Kirche geht - die katholische, versteht sich - und seine Kinder zu den Pfadfindern schickt, die meistens auch stark katholisch geprägt sind."

Hier gelten noch Sitten wie im indischen Kastensystem. Ziel ist die "standesgemäße Verkupplung":

"Den sozialen Rang durch die Ehe zu verwässern wäre dann doch zu schade."

Und natürlich zählt in der Oberschicht zahlreicher Nachwuchs zum Statussymbol:

"Die finanziell gut gestellten Familien, von denen es zahlreiche gibt, haben oft vier oder fünf Sprösslinge."

Als Gegenbild wird uns der Pariser Bourgeois Boheme (kurz: Bobo) beschrieben.

Der Sieg von MACRONs REM-Kandidaten wird als Indiz eines Aufbruchs gesehen, obwohl der nicht unbedingt den Bürgern von Versailles zu verdanken war. Versailles gehört zum 1. Wahlkreis des Départements Yvelines:

"Ein Parlamentskandidat der Präsidentenpartei »En Mache« hat kürzlich den Wahlkreis von Versailles gegen die lange dominierenden Konservativen gewonnen. Allerdings lag as vor allem an den Umlandsgemeinden. In der Stadt stimmten 60 Prozent für den Konservativen."

Zum Wahlkreis gehören neben dem Großteil von Versailles die Städte Montigny-le-Bretonneux, Guyancourt und Viroflay.

GOLDBERG, Jörg (2017): Der Mythos vom verkrusteten Frankreich.
Kolumne: Das verzerrte Bild zielt vor allem darauf ab, die Sozialsysteme im Nachbarland zu schleifen,
in:
Neues Deutschland v. 26.06.

Neoliberale, die in Frankreich Reformen nach deutschem Vorbild durchsetzen wollen, sehen in Frankreich den kranken Mann Europas. Dazu gehört auch das Bild von den verkrusteten politischen Strukturen, die Neoliberalen als Reformhindernis gelten. Da erzählt uns Jörg GOLDBERG nichts Neues. Dass aber auch Kritiker des Neoliberalismus die Demografiekeule schwingen, lässt sich an GOLDBERG zeigen:

"Seit Langem hat Frankreich einen deutlichen Geburtenüberschuss - dort werden (pro Frau) durchschnittlich zwei Kinder geboren, in Deutschland sind es etwa 1,4. Infolgedessen ist Frankreichs Bevölkerung jünger: Fast ein Drittel ist unter 25 Jahren, in Deutschland sind des weniger als ein Viertel. Dafür sind bei uns 21,5 Prozent der Menschen älter als 65 in Frankreich wenige als 19 Prozent, obwohl die Lebenserwartung dort zwei Jahre höher ist als in Deutschland."

Abgesehen davon, dass die Geburtenrate in Frankreich bei 1,9 und in Deutschland bei 1,5 liegt - ist die Demografie kein entscheidender Faktor, denn sonst müsste das kinderreiche Afrika südlich der Sahara eine Oase sein. Und viele unter 25-Jährige gelten andernorts als gefährlicher "youth bulge". Frankreich mit seinen Aufständen in den Vorstädten, die immer wieder aufflammen, könnten darunter subsumiert werden, wäre dafür nicht die Demografie, sondern Politikversagen die Ursache. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich wird von GOLDBERG im Grunde als Demografieproblem verstanden, weshalb seine positive Sicht auf die französische Demografie eher verwundert. 

BOICHOT, Loris (2017): Les "marcheurs" partent à l'assault des présidences des commissions,
in:
Le Figaro v. 29.06.

Loris BOICHOT stellt die 8 designierten Vorsitzenden der Fachausschüsse der Nationalversammlung vor, die heute gewählt werden sollen:
1) Jean-Jacques BRIDEY - Ausschuss für Verteidigung und Militär (REM)
2) Yael BRAUN-PIVET - Rechtsauschuss  (REM)
3) Barbara POMPILI - Ausschuss für nachhaltige Entwicklung und Raumplanung (REM)
4) Roland LESCURE - Wirtschaftsausschuss (REM)
5) Brigitte BOURGUIGNON - Ausschuss für Soziales (REM)
6) Bruno Studer - Ausschuss für Kultur und Bildung (REM)
7) Marielle de SARNEZ - Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (MDM), die ursprünglich als Europaministerin vorgesehen war
8) Éric WOERTH - Finanzausschuss (LR)

GARAT, Jean-Baptiste (2017): "Constructifs" et Républicains se déchirent à l'Assembleée.
Avec l'appui de LREM, Solère a battu Ciotti pour le post de questeur de l'opposition,
in:
Le Figaro v. 29.06.

KAUFMANN, Stephan (2017): Charmant asozial.
Frankreichs Präsident Macron will die Lebensverhältnisse der Franzosen verschlechtern. Wofür wird er eigentlich gelobt?
in:
Frankfurter Rundschau v. 29.06.

Die FR gehört zu jenen Zeitungen, die während des Wahlkampfes eisern MACRON protegierte. Nun fällt MACRON in Ungnaden, obwohl nur sein geplantes Programm durchzieht. Das ist wohlfeil!

"Um die Rechte französischer Arbeitnehmer als unzeitgemäße Privilegien darzustellen, wird das Bild von Frankreich als krankem Mann Europas gezeichnet. Dies entspricht nicht ganz der Realität",

erklärt uns Stephan KAUFMANN, als ob wie dumme Leser wären, die den Blödsinn glauben, den uns die Mainstreammedien wie die FR tagtäglich in unsere Köpfe posaunen.  Auch das Neue Deutschland hat vor kurzem den Mythos vom kranken Mann Europas entdeckt, nur hat das Blatt - anders als die FR - MACRON nicht zum Erlöser stilisiert.

FAUTRIER, Pascale & Claus JOSTEN (2017): Da kommt Europas gestiefelter Messias.
Frankreichs neue "extreme Mitte" steht in unguter Tradition. Der neue Präsident betreibt keine Post-, sondern Anti-Politik,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.06.  

WELTTRENDS-Thema: Frankreich im Umbruch

RUß-SATTAR, Sabine (2017): Das Jupiter-Modell.
Wie Emmanuel Macron wurde, was er ist, und was er will,
in:
WeltTrends, Nr.129, Juli

"Seine am Leitstern Chancengleichheit ausgerichtete sozialliberale Orientierung ist in der internationalen Presse oft mit Tony Blairs New Labour und ihrem soziologischen Chefdenker Anthony Giddens in Verbindung gebracht worden. Passender ist jedoch der Verweis auf französische Referenzen wie die um die Zeitschrift Esprit gruppierte Denkschule, die einen dritten Weg propagiert, der auf den christlichen Personalismus gründet. Eine weiteres Beispiel bildet der liberale Flügel der Sozialisten, dem der große Europapolitiker Jacques Delors und der frühere Premier und Mitterrand-Rivale Michel Rocard angehören. Letzterer hatte für die Öffnung der Parti socialiste (PS) zur Mitte geworfen und wird von Marcon, der früher einige Jahre - offenbar ziemlich passives - Mitglied der Partei war, bewundert",

erläutert die Politikwissenschaftlerin Sabine RUß-SATTAR die Wurzeln des Denkens des Ärztesohns Emmanuel MACRON.

KEMPIN, Ronja (2017): Gespaltenes Land, Ende der etablierten Parteien?
Frankreichs politisches System "in Bewegung",
in:
WeltTrends, Nr.129, Juli

"Ende der 1980er Jahre bildete sich eine bipolare Struktur des Parteiensystems heraus. Auf der politischen Linken ging der Niedergang der Kommunisten mit der Dominanz der Parti socialiste einher, auf der gemäßigten Rechten verlor die lockere Parteienföderation UDF zunehmend zugunsten der neobaullistischen RPR an Boden, bevor Teile von ihr in der 2002 gegründeten UMP und Ende Mai 2015 in Les Républicains aufgingen, die seither die dominierende Kraft im rechten Lager war. Diesem Bipolarisierungstrend fiel eine zu Beginn der V. Republik noch existierende autonome politische Mitte zum Opfer: Ihre Bestanteile ordneten sich dem linken oder rechten Lager zu oder verschwanden in der Bedeutungslosigkeit",

skizziert die Politikwissenschaftlerin Ronja KEMPIN die Herausbildung der Links-Rechts-Achse im französischen Parteiensystem. Für KEMPIN sind die Parteien durch das französische Wahlsystem auf die Rolle eines Mehrheitsbeschaffers reduziert worden. MACRON geht es gemäß KEMPIN um einen "Angriff auf den französischen Parlamentarismus", der entweder zu einer Repolitisierung oder einem "Hyper-Präsidentialismus" führen könnte.

UTERWEDDE, Henrik (2017): Frankreichs Wirtschaft.
Reformbedarf und Potenziale,
in:
WeltTrends, Nr.129, Juli

"Das Bild der permanenten Krise trifft (...) nur einen Teil der Wahrheit. Denn Frankreichs Wirtschaft, nach der deutschen die zweitstärkste in der EU, verfügt über eine erstaunliche Reihe von Stärken und Potenzialen. Seine Großunternehmen zählen weltweit zu den führenden Konzernen; in zahlreichen Branchen verfügen sie über starke Positionen (...). Darüber hinaus ist der Standort Frankreich für Unternehmensansiedlungen weiterhin attraktiv und liegt bei Ansiedlungen ausländischer Firmen direkt hinter Großbritannien und Deutschland. Faktoren wie die hervorragende Infrastruktur (Verkehr, Kommunikation, Daseinsvorsorge, Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung), der gute Ausbildungsstand, die Qualität der Forschungseinrichtungen oder auch die dynamische Geburtenentwicklung tragen dazu bei",

erklärt uns der Politikwissenschaftler Henrik UTERWEDDE. Danach fährt er aber mit vier strukturellen Problemen fort, die diesem Bild geradezu widersprechen, weshalb entweder das eine oder das andere nicht stimmen kann. So ist z.B. die Infrastruktur ungleich verteilt, denn sonst dürften die Stadt-Land-Unterschiede nicht diese politische Brisanz haben, die sie in Frankreich besitzen. Die dynamische Geburtenentwicklung stellt zudem in Form einer hohen Jugendarbeitslosigkeit politischen Sprengstoff dar. Der neoliberale Blick blendet dies vollständig aus und konzentriert sich stattdessen auf den üblichen Sozialabbau als Lösung.

MEISTER, Martina (2017): Macrons Geheimwaffe.
Sylvie Goulard ist Frankreichs neue Verteidigungsministerin. Sie nennt Deutschland einen "idealen Partner" - und will ein neues Sicherheitsbündnis für Europa schaffen,
in:
Cicero, Juli

"Sylvie Goulard ist der Joker der Deutschen in der neuen Regierung Frankreichs",

schwärmt Martina MEISTER. Doch das Heft war noch kaum am Kiosk erhältlich, da war der Joker bereits Vergangenheit, denn Sylvie GOULARD fiel dem geplanten Gesetzt zur Moralisierung der Politik zum Opfer und damit der Parteiraison des "Saubermanns" MACRON.

"Perfekt viersprachig verkörpert sie, was man die französische Meritokratie nennt: sozialer Aufstieg einzig und allein aufgrund von Leistung",

schwadroniert MEISTER, obwohl in Frankreich - noch mehr als in Deutschland - Herkunft entscheidender ist als Leistung. Das hat zuletzt eindrucksvoll das Buch Rückkehr nach Reims von Didier ERIBON gezeigt. Unterwerfung ist der Preis des Aufstiegs heißt es dort. Unterwerfung aber ist etwas anderes als lediglich Leistung im Sinne einer Meritokratie.

GEIGER, Klaus & Michael HÖFLING (2017): Sind die Franzosen wirklich fauler als wir?
Unsere Nachbarn arbeiten wenig, gehen früh in Rente, müssten auch mal Hartz IV einführen. So heißt es in Deutschland oft. Doch was trifft zu, und was ist Klischee? Die Welt hat einige Voruteile überprüft,
in:
Welt v. 01.07.

Neoliberale zertrümmern gerne Vorurteile, die es ohne sie gar nicht gäbe.

"In Frankreich liegt das offizielle Renteneintrittsalter bei 62 Jahren. Wer mehr als 41,5 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, kann schon mit 60 Jahren in Rente gehen. In Deutschland müssen die Menschen drei Jahre länger arbeiten, mit der Einführung der Rente mit 67 steigt die Differenz schrittweise sogar auf fünf Jahren. Ein Unterschied, der sich auch beim tatsächlichen Rentenalter wiederfindet. In Frankreich gingen die Menschen im Jahr 2014 im Schnitt mit 59,4 Jahren (Frauen) und 59,8 Jahren (Männer) in den Ruhestand. In Deutschland liegt der Wert für beide Geschlechter bei 62,7 Jahren und damit gut drei Jahre über dem französischen Wert"

erklären uns GEIGER & HÖFLING. Die höhere Geburtenrate beschreiben sie dagegen als Entlastung, obwohl die Demografie gar nicht entscheidend ist, sondern die Entwicklung des Verhältnisses von Beitragszahlern und Rentenempfängern. Darüber lesen wir - wie auch in Deutschland - bei Neoliberalen nichts. 

WÜPPER, Gesche (2017): Eine Zahl setzt Präsident Emmanuel Macron gehörig zu.
Noch immer wächst der Schuldenberg in Frankreich schneller als von der EU erlaubt. Harte Einsparungen stehen an. Widerstand droht,
in:
Welt v. 03.07.

Gesche WÜPPER würde den Franzosen gerne bei den Beamten und Renten kürzen. Dazu bietet der französische Rechnungshof den gewünschten Steilpass, den Neoliberalen gerne anderen überlassen, um ihre Politik als alternativlos deklarieren zu können.

KLINGSIECK, Ralf (2017): Ross und Reiter auf dem Absprung.
Kann sich Frankreichs Sozialistische Partei nach dem Wahldebakel neu erfinden?
in:
Neues Deutschland v. 04.07.

Ralf KLINGSIECK berichtet über die Austritte von Manuel VALSS und Benoit HAMON aus der Sozialistischen Partei. Ersterer, um sich En Marche anzuschließen, letzterer um noch eine linke Bewegung zu gründen. Aufgrund des Verlusts von 251 Mandaten in der Nationalversammlung steht die Partei nicht nur ideologisch, sondern auch finanziell vor großen Problemen.

VEIEL, Axel (2017): Revolution von oben.
Präsident Macron verordnet der französischen Republik royale Würde,
in:
Frankfurter Rundschau v. 04.07.

WIEGEL, Michaela (2017): Im Reich des Sonnenkönigs.
Macron versucht seine Zuhörer im Schloss von Versailles mit seinem Veränderungswillen anzustecken. Den Vorwurf, sich als Monarch zu gerieren, weist er scharf zurück,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.07.

Michaela WIEGEL stützt den Personenkult um MACRON durch eine wohlwollende Interpretation des Auftritts in Versailles.

MAYER, Helmut (2017): Einige Schemen linker Hand.
Frankreich als Beute einer "extremen Mitte", die es mit dem neuen kleinen Napoleon Macron hält? So stellten Pascale Fautrier und Claus Josten unlängst die französischen Verhältnisse nach der Wahl im Nachbarland dar. Eine Replik,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.07.

KLINGSIECK, Ralf (2017): Macron sucht den Eroberungsgeist.
Französischer Premierminister Edouard Philippe beklagt "unerträglichen Schuldenberg"r,
in:
Neues Deutschland v. 05.07.

Ralf KLINGSIECK berichtet über den Boykott des Auftritts von MACRON in Versailles durch Jean-Luc MÈLENCHON und seine Partei La France Insoumise und die Kommunisten. Von den 577 Abgeordneten der Nationalversammlung und der 348 Senatoren blieben insgesamt rund 50 Eingeladene der Veranstaltung fern.   

SCHUBERT, Christian (2017): Auch Macron zögert bei Steuersenkungen.
Déjà-vu in der französischen Fiskalpolitik: Entlastungen sind verschoben - einzelne Abgaben steigen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 06.07.

"Die Wirtschaft muss (...) auf die ersehnten Erleichterungen noch warten. Dabei lastet auf den Franzosen eine Steuer- und Abgabenquote von 47,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Damit ist Frankreich Europameister vor Belgien.",

erklärt uns Christian SCHUBERT. Im April hat das noch ganz anders geklungen, da galten der FAZ Deutschland nach Belgien als die Länder mit der höchsten Steuer- und Abgabenlast. Frankreich stand dagegen nur auf Platz 4 (vgl. Dietrich CREUTZBURG "Staat nimmt Mittelschicht halbes Einkommen", FAZ 12.04.2017). Neoliberale wählen also immer jene Statistik aus, die zu ihrer Argumentation am besten passt. Das Schaubild zeigt nur eine Auswahl und als Quelle wird nur EU angegeben.

Dabei handelt es sich nicht um die tatsächliche, sondern nur um die geschätzte Steuer- und Abgabenlast, denn für 2017 gibt es keine Angaben. Für Deutschland stammen die aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2013. Von daher wird die Last als zu hoch ausgewiesen, weil die Rückzahlungen durch die Finanzämter fehlen. Dieses Verdummungsspiel ist unter Neoliberalen weit verbreitet.

BERG, Anna Lea (2017): "Es bleibt nur die Straße".
Der linke Sozialforscher Bruno Amable über Protest, ein neues Bürgertum und die Zukunft Frankreichs,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 06.07.

Interview mit dem Schweizer Ökonom Bruno AMABLE, der mit L'illusion du bloc bourgeois nach Meinung von Anna Lea BERG ein Schlüsselwerk zur politischen Situation in Frankreich veröffentlicht hat. Seine These:

"die alten Blöcke - links und rechts - sind zerfallen, aber die europafreundlichen oberen Schichten beider Lager haben sich zu einem neuen, nämlich dem »bürgerlichen Block« zusammen, der allerdings noch keine stabile soziale Basis hat." 

WERNICKE, Christian (2017): Ein rechtes Durcheinander.
Frankreichs Bürgerliche gleichen einer Trümmerlandschaft. Noch haben sich die gedemütigten Erben de Gaulles nicht von ihrer verheerenden Wahlschlappe erholt. Doch im Hintergrund werden schon die Messer für die nächste Vorstandswahl bei den Republikanern gewetzt: Populismus gegen einen Rest Vernunft,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 08.07.

Christian WERNICKE beschwört einen Zweikampf zwischen Laurent WAUQUIEZ  (Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes) als Anführer der strammen Rechten innerhalb der Partei der Republikaner und Valérie PÉCRESSE (Präsidentin des Regionalrats der Île de France) als Protagonistin, die die Flügel zusammenhalten soll.

Am Dienstag soll entschieden werden, ob die drei Minister MACRONs (Édouard PHILIPPE, Bruno Le MAIRE und Gérald DARMANIN), die noch der Partei der Republikaner angehören, aus der Partei ausgeschlossen werden sollen.

BOEHRINGER, Simone & Leo KLIMM (2017): Paar der Gegensätze.
Deutschlands und Frankreichs Wirtschaft streben auseinander. Das tut beiden Seiten auf Dauer nicht gut, sagen die Regierungen. Sie wollen sich annähern,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 08.07.

Der Artikel präsentiert eine Vielzahl von Statistiken, deren Aussagekraft eher zweifelhaft ist. Wenn es z.B. heißt, dass es 2080 mehr Franzoschen als Deutsche geben wird, dann ist das nichts als Kaffeesatzleserei. Die Wirtschaftsleistung (BIP) wird nur in absoluten Zahlen, aber nicht pro Kopf angegeben, obwohl das für die Vergleichbarkeit entscheidender wäre. Zur Altersstruktur heißt es: "In Frankreich leben mehr junge Menschen". Das Schaubild zeigt aber auch, dass es mehr über 80-Jährige gibt, was auch an der höheren Lebenserwartung (1,7 Jahre) in Frankreich liegt. Auch die Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit sind wenig aussagekräftig, denn es fehlen Angaben darüber wie viele dieser angeblich Arbeitslosen in Wahrheit im Bildungssystem ihren Studienabschluss absolvieren.

SCHIERMEYER, Matthias (2017): Die neue Zeit zieht ohne sie.
Die Brücke zur Welt Niedergang: Bei fast jeder Wahl in einem EU-Mitgliedsland müssen Sozialdemokraten und Sozialisten schwere Niederlagen einstecken. Linke Volksparteien leiden unter einem steten Verfall. Sie werden nach wie vor gebraucht, doch dafür müssten sie sich grundlegend erneuern,
in: S
tuttgarter Zeitung v. 08.07.

"Nur noch acht Regierungen in der EU werden von Sozialdemokraten oder Sozialisten geführt - nicht einmal ein Drittel der bald 27 EU-Staaten. An sechs weiteren Regierungen sind sie beteiligt",

erklärt uns Matthias SCHIERMEYER, der die portugiesischen Sozialisten der Sozialdemokratie zuordnet, während dies für Frankreich ebenfalls zutrifft, aber verschwiegen wird:

"Insbesondere in Frankreich drohen die Sozialisten ins Bodenlose zu fallen. Viele Wähler sind zu Emmanuel Macron übergelaufen (...). Linke sehen ihn als Wirtschaftsliberalen - rechte Politiker stufen ihn als Sozialdemokraten ein."

Da passt es natürlich nicht, wenn die Sozialisten die eigentlichen Sozialdemokraten sind. Auch sonst bleibt der Artikel oberflächlich und ungenau, was die angebliche Wählerschaften in Frankreich angeht.

SCHUBERT, Christian (2017): Frankreichs Steuern sinken bald.
Präsident Macron zieht Entlastung nun doch vor,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.07.

Christian SCHUBERT berichtet darüber, dass das Jammern der Wirtschaft geholfen hat. Die Abschaffung der Vermögenssteuer auf Lebensversicherungen und Wertpapiere soll die Profite der Finanzdienstleister steigern. Die Rentner werden dagegen durch die Sozialsteuer CSG zur stärker zur Kasse gebeten. SCHUBERT glaubt nicht daran, dass Frankreich wie versprochen die 3-Prozent-Defizitgrenze einhalten kann. Von den Steuerentlastungen von rund 13 Milliarden Euro profitieren in erster Linie Unternehmen und Besserverdienende.

SCHUBERT, Christian (2017): Wo Frankreich sparen könnte.
Paris durchkämmt die Ausgaben. Rentner haben höhere Einkommen als die arbeitende Bevölkerung,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.07.

Christian SCHUBERT spielt Sparkommissar und sagt den Franzosen, wo sie sparen sollten:

"Frankreich gibt besonders viel Geld für das Soziale aus. Mit fast 32 Prozent des BIP war es 2016 mehr als in jedem anderen Staat der OECD. Seit 1980 hat sich dieser Anteil um mehr als die Hälfte erhöht. Unter den Sozialausgaben ist wiederum der erste Posten das staatliche Rentensystem. Mit gut 14,2 Prozent am BIP ist es eines der teuersten in der OECD, die nur jenen Durchschnitt von 8,4 Prozent aufweist. Denn die französische Altersvorsorge zahlt nicht nur vergleichsweise hohe Renten, die Franzoschen gehen auch früh in Ruhestand und haben eine lange Lebenserwartung. Das führt zu einer absurden Lage: In Frankreich haben die Rentner im Durchschnitt höhere Einkommen als die Gesamtbevölkerung.
Nach den jüngsten Zahlen der OECD kamen die über 65-Jährigen auf Gesamteinkommen von 103 Prozent des Durchschnitts. In Deutschland beträgt der Wert nur 88 Prozent. Einkünfte aus privaten Ersparnissen wie Immobilien und Lebensversicherungen finden sich zwar auch in dieser Kennziffer, doch der Löwenanteil stammt in Frankreich aus dem staatlichen Umlageverfahren. Volkswirtschaftlich ist das problematisch, denn die Pensionäre erzielen keine Arbeitseinkommen."

Die Kritik am französischen Rentensystem kommt also ganz ohne Hinweis auf die Demografie aus, was nichts anderes bedeutet, dass für Neoliberale die Demografie nichts als ein Scheinargument ist, das andere Interessen verschleiert. Denn während uns Deutschen der Geburtenrückgang vorgehalten wird, ist das aufgrund der nahe an der Bestandserhaltung liegenden Geburtenrate in Frankreich kein schlagkräftiges Argument.

"Immerhin korrigiert die Erhöhung der Sozialsteuer CSG für Rentner. Doch mit der Erhöhung des Rentenalters von heute 62 Jahren wäre mehr möglich",

jammert SCHUBERT sein neoliberales Lamento. Während Neoliberale Vielfalt (neudeutsch: Diversity) in anderen Bereichen durchaus loben, sind sie beim Sozialen auf Gleichschaltung bedacht.

RANDOW, Gero von (2017): Heute ein König.
Emmanuel Macron will Frankreich reformieren und die Deutschen einholen. Überschätzt er sich?
in:
Die ZEIT Nr.29 v. 13.07.

Gero von RANDOW liefert einen grauenhaft geschwätzigen Artikel auf einer ganzen Zeitungsseite, den man gerne auf das Maß einer kurzen Agenturmeldung gekürzt sehen würde. Am Ende ist der Leser nicht schlauer als am Anfang. 

JANDL, Paul (2017): Provinz ist, wo ich nicht bin.
Das Verhältnis zwischen den Zentren und der Peripherie ist angespannt wie schon lange nicht mehr, aber wer ist schuld daran?
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 14.07.

"Selbst die Soziologen sind davon ausgegangen, dass die Digitalisierung die Zentren und die Peripherien näher zusammenrücken wird. Aber nichts davon. Die Gräben zwischen den Städten und dem flachen Land sind gefährlich tief geworden, und es gibt politische Kräfte, die wohl auch künftig Schaufel bei Fuss stehen.
In den ländlichen Gebieten im Norden und Süden Frankreichs hat der Populismus von Marine Le Pen sich ein Aufmarschgebiet gesichert. Donald Trump hat seine Wähler in den strukturschwachen, nichturbanen Gliedstaaten geholt. Wäre über den Brexit allein in London abgestimmt worden, dann wäre England weiterhin Mitglied der EU",

beschreibt Paul JANDL die Ausgangssituation all jener unzähligen Artikel, die sich mit den Wahlerfolgen so genannter populistischen Parteien in den westlichen Industrieländern beschäftigen. JANDL behauptet im Gegensatz zu Mark SCHIERITZ in der gestrigen ZEIT, dass sich die Angelegenheit in allen Ländern gleich darstellt: in der Niederlausitz genauso wie in North Carolina.

"Die Arbeiterstadt Hénin-Beaumont im Norden Frankreichs ist prototypische Provinz (...). Die Rechte ist hier zu einem Harmoniemilieu mit einfachen Antworten geworden. Da passt es, dass auch die Meinungsforschung ihre Ratlosigkeit hinter eher schlichten Mutmassungen verbirgt.
Jérôme Fourquet vom französischen Institut Ifop hat kürzlich verkündet, was politisch passiert, wenn die Provinz immer weiter an den Rand gedrängt wird. Seine Zahlen: Schliesst ein Restaurant auf dem Land, dann bringt das dem Front national 2,1 Prozentpunkte bei den Wahlen, bei einem Lebensmittelgeschäft sind es 2,5 Prozentpunkte. Verschwindet die Post, kann sich die Rechte sogar über 3,5 Prozentpunkte freuen. Das ist vielleicht weniger Empirie, als es schon wieder Arbeit am Mythos ist."

Hénin-Beaumont zeigt vielmehr wie die Rechten einen korrupten sozialistischen Bürgermeister beerbt haben - mit Provinz hat das nichts zu tun. Und diese Stadt ist kein Einzelfall. Das korrupte politische Establishment war auch in anderen französischen Städten dafür verantwortlich, dass sie in die Hände der Rechtspopulisten fielen. Mit Spießertum hat das nichts zu tun!

Das Zitat, das Jérôme Fourquet zugeschrieben wird, ist eine Verkürzung der Studie L’influence de l’isolement et de l’absence de services et commerces de proximité sur le vote FN en milieu rural vom März 2016. Die Studie bezog sich auf die Europawahlen im Jahr 2014 und gilt nur für Orte mit weniger als 1.000 Einwohner, weshalb die Ergebnisse auch nur in diesem Rahmen Sinn machen, während sie in der deutschsprachigen Berichterstattung (z.B. FR 20.04.17) verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen wurden.

Fazit: Unsere Medien schaffen sich ihre Mythen selber!

ALTWEGG, Jürg (2017): Lügen für den Präsidenten.
Burnout in Paris: Macrons Amtsantritt hat auch eine neue Ära in der Beziehung zwischen Macht und Medien eingeleitet. Was als Allianz begann, ist Distanz und offener Feindseligkeit gewichen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.07.

Der Umgang von MACRON mit den Medien zeigt, dass hier Tendenzen vorhanden sind, die bei ERDOGAN bereits deutlicher aufscheinen. Es werden von MACRON nur jene Journalisten bedient, die ein angenehmes Bild von MACRON zeichnen. Die Hofberichterstattung ist monopolisiert.

Die französischen Medien, die wie in Deutschland eng mit der Politik verbunden waren, müssen sich nun neu ausrichten, was dazu führt, dass die alten Seilschaften nicht mehr funktionieren und Berichterstatter sich neuen Sujets zuwenden müssen:

"Ein für die Sozialisten zuständiger Korrespondent muss sich künftig auch um die Linksextremisten kümmern. Bei »tf1« wird die Berichterstattung über die verbleibenden »Republikaner« mit dem Front National zusammengelegt. Das Boulevardblatt »Le Parisien« will sich »weniger auf die Parteien und mehr auf die Orte der Macht konzentrieren«. In zahlreichen Medien scheint ein Generationenwechsel in Gang zu kommen",

berichtet Jürg ALTWEGG, der merkwürdigerweise ausgerechnet die "Promiskuität von Macht und Medien" als "Teil des Verlusts von Vertrauen in die Eliten" beklagt, die ja auch in Deutschland die Mainstreammedien prägt. Und wenn er schreibt:

"Unter Ministern war es gang und gäbe, sich in zweiter oder dritter Ehe mit prominenten Fernseh-Journalistinnen zu vermählen",

dann gilt das für Deutschland ebenfalls. Was aber vor allem daran lag, dass die obere Mittelschicht noch nicht die Politik prägte, was jedoch inzwischen vermehrt der Fall ist. Der Politikstil sagt von daher auch viel über die Herkunft der Politiker aus. MACRON ist kein sozialer Aufsteiger, sondern als Arztsohn Teil der oberen Mittelschicht. Und wenn ihn schon ein liberaler Publizist als "aufgeklärten Despoten" bezeichnet, dann dürfte den Franzosen in den nächsten Jahren noch einiges bevorstehen. Noch sind Säuberungen in westlichen Demokratien noch nicht so weit verbreitet, doch mit MACRON könnte sich das nun ändern!   

HANKE, Thomas (2017): Erster Test für Macron.
Die Generäle sind wütend wegen Einsparungen, Regionen und Gemeinden kritisieren geplante Steuersenkungen: Frankreichs Präsident steht Ärger ins Haus,
in:
Handelsblatt v. 19.07.

BRÄNDLE, Stefan (2017): Populisten ohne Perspektiven.
Marine Le Pen und der FN kommen auf ihrem Weg in die Bedeutungslosigkeit gut voran,
in:
Frankfurter Rundschau v. 19.07.

WALTHER, Rudolf (2017): Neoliberaler Bonapartismus.
Frankreich: Emmanuel Macron will das Wahl- und das Arbeitsrecht reformieren. Er regiert technokratisch, bisweilen autoritär. Und der Ausnahmezustand? Auch damit hat er etwas vor,
in:
Freitag Nr.29 v. 20.07.

Rudolf WALTHER berichtet nur kurz über die Fraktionsbildung in der Nationalversammlung:

"Die Sozialisten (PS) haben 90 Prozent ihrer Sitze verloren und verfügen über eine Fraktion von nur noch 29 Mitgliedern. Eine Versammlung des böse gescheiterten PS-Präsidentenbewerbers Benoît Hamon wird als Auftakt zur Gründung einer neuen Partei gedeutet, während die Parteilinke um Arnaud Montebourg beabsichtigt, die alte PS wiederzubeleben und zu »rekonstruieren«. Zwischen der Linken von Mélenchons La France Insoumise und den Kommunisten der PCF scheiterten die Verhandlungen über eine gemeinsame Fraktion."

Die ehemaligen Sozialisten ("nouvelle gauche") haben zwar 29 Sitze erobert, bilden aber mit weiteren Abgeordneten zusammen eine Fraktion mit 31 Mitgliedern. 

WIEGEL, Michaela (2017): Ein Generalstreik der Wähler?
Wie Frankreich zu einem Land ohne echte parlamentarische Opposition geworden ist,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.07.

Michaela WIEGEL berichtet über die Fraktionsbildung in der französischen Nationalversammlung:

"Die Nationalversammlung zählt erstmals sieben Fraktionen, ein Rekord in der Geschichte der V. Republik. Fünf Fraktionen ordnen sich selbst der Opposition zu. François Bayrous Mouvement démocrate mit 47 Abgeordneten gehört zur Präsidentenmehrheit, die sich aus 313 Abgeordneten zusammensetzt. (...).
Die Republikaner (...) teilen sich fortan in zwei Fraktionen auf: 100 Abgeordnete für die Republikaner und 35 Abgeordnete für Les constructifs. (...). Die sozialistische Fraktion zählt nur noch 31 Abgeordnete (...). Ihre Mitglieder nennen sich künftig »neue Linke«. Die Kommunisten verfügen über 16, das »Unbeugsame Frankreich« über 17 Abgeordnete. Der Front National hat nicht einmal Fraktionsstärke erreicht."

17 Abgeordnete gehören keiner der Fraktionen an, darunter auch die Mitglieder von Front National.

WERNICKE, Christian (2017): Patriotisch, rechts, lauwarm.
Front National,
in:
Süddeutsch Zeitung v. 20.07.

Christian WERNICKE berichtet nur über innerparteiliche Konflikte in der Partei Front National.

BAILLY, Jean-Christophe (2017): Der Norden?
in:
Merkur Nr.819, August

Der französische Schriftsteller Jean-Christophe BAILLY, der bislang in Deutschland unbekannt ist und von dem im Herbst Fremd gewordenes Land erscheinen soll, beschreibt den Gegensatz von Nord und Süd innerhalb von Frankreich. Für Nordfrankreich stehen die Regionen Nord-Pas-de-Calais und die Picardie. BAILLY hebt den Gegensatz der Metropolen und den, gesichtslosen "allgemeingültigen" Städten als "Kondensationspunkte für die Tendenzen eines Zeitalters" hervor:

"wenn es etwas Allgemeingültiges in den Regionen des Nord-Pas-de-Calais und der Picardie gibt, was sie im Übrigen mit weiten Teilen Belgiens gemein haben, vor allem mit der Wallonie, dann ist es ein gewisser Vorstadt- oder Dorfvorstadtcharakter, eine gewisse Tradition der städtischen Ausdehnung, mal ermattet, mal aufgefrischt, mit der die Trabantensiedlungen bewegliche und zumeist unzusammenhängende Partituren bilden.
Dieses bunte, in gewissen Ballungsgebieten so gut wie ununterbrochene Geflecht, das aus kleinen Verschönerungen und großen Trostlosigkeiten besteht, ist wie das Fixierband oder -mittel, das die eigentlichen Städte mit ihren zuweilen sehr schönen Zentren umhüllt".

Beispielhaft gelten ihm dafür Béthune, Valenciennes und Saint-Quentin, nicht jedoch Lille (mit der Vision von Euralille), Dunkerque und Roubaix. Letztere wird bei BAILLY zum Inbegriff des Nordens:

"Stadt, die zu ihren Glanzzeiten dank der florierenden Textilindustrie bis zu 125.000 Einwohner zählte. Heute sind es weniger als 100.000, und alle anderen Zahlen sind genauso beunruhigend und aufschlussreich: eine Arbeitslosenquote von 30 Prozent, drei Viertel der Einwohner leben in einer »sensiblen städtischen Zone«, wie es die französischen Bürokraten nennen (das Ungedachte besteht zweifellos darin, das »Nichtsensible« zum Ziel zu erheben)."

Roubaix, wo der Niedergang der Industrie bereits in den 1970er Jahren einsetzte, wird zum Gegenpol zu Cannes mit seiner nächtlich strahlenden Croisette und seinen Filmfestspielen, die das Bildnis per Fernseher in jedes Wohnzimmer senden. Vor diesem Hintergrund zeichnet BAILLY ein düsteres Bild von der Bindungskraft der Republik:

"Selbst kurze Aufenthalte innerhalb der deutlichsten und extremsten Kluft dieser Unterschiede vermindern (...) den Wunsch, große brüderliche Gesänge anzustimmen, doch möchte ich hier (...) über die Art und Weise, wie derartige Klüfte mit ihren sie nährenden Kategorien von Gegenständen eben die Vorstellung problematisch machen, dass es von einem Rand zum anderen, irgendetwas Gemeinsames oder Teilbares geben kann in dem Sinn, wie es eine Republik trotz ihrer Unterschiede erfordert.
Die Trennung ist komplett: geografisch, klimatisch, sozial und natürlich politisch. Aber vielleicht ist es nicht einmal gerechtfertigt, hier von »Trennung« zu sprechen, denn das hieße, dass es zuvor ein gemeinsames Leben gegeben hätte, worauf aber nichts schließen lässt."

BAILLY geht sogar so weit die Ärmlichkeit eines Eckladens in Roubaix mit der "Dritten Welt" zu vergleichen, was das Trennende der französischen Lebenswelten besonders deutlich werden lässt.

Ob Emmanuel MACRON der Richtige ist, diese Gegensätze zu negieren, darf als unwahrscheinlich gelten - schließlich steigert er die Gegensätze sogar noch durch seinen enthobenen Regierungsstil.

Beschreibungen der französischen Gesellschaft anhand der Geografie sind in Frankreich durch den Aufstieg des Front National populär geworden. Das nun ins Deutsche übersetzte Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel Le Dépaysement. Solche Reisereportagen (im gleichen Jahr erschien von Eric DUPIN Voyages en France (Den Untertitel La fatigue de la modernité könnte man mit Die Erschöpfung der Moderne übersetzen). 2014 erschien En France von der Journalistin Florence AUBENAS sowie La France Peripherique von dem Geograf Christophe GUILLUY, das immer noch der Übersetzung ins Deutsche harrt. GUILLUY wurde in Deutschland vielfach erst im französischen Präsidentschaftswahlkampf entdeckt, wie z.B. der deutsch-französische Geograf Christophe NEFF in seinem Blog bemängelt.

HANKE, Thomas (2017): Frankreich reformiert den Arbeitsmarkt.
Freie Hand für Macron: Das französische Parlament hat die Regierung von Macron ermächtigt, das Arbeitsgesetz mit Erlassen zu reformieren,
in:
Handelsblatt v. 03.08.

"Streit gibt es (...) über betriebsbedingte Kündigungen: Derzeit ist die Voraussetzung, dass ein Unternehmen weltweit Umsatzeinbußen erleidet. Das will die Regierung ändern",

schreibt Thomas HANKE lapidar zu dem Aspekt, der im Mittelpunkt des Artikels von Ralf KLINGSIECK steht.

KLINGSIECK, Ralf (2017): Kompromiss begünstigt große Konzerne.
Frankreichs Nationalversammlung entmachtet sich selbst. Macron kann Arbeitsrecht per Dekret reformieren,
in: Neues Deutschland
v. 03.08.

Ralf KLINGSIECK weist darauf hin, dass die Nationalversammlung bereits zugestimmt hat, während der Senat erst heute zustimmt:

"Für diesen Donnerstag steht das Votum des Senats an. Dessen Zustimmung steht außer Zweifel, obwohl hier die rechtskonservativen Republikaner dominieren."

In den Republikanern sieht KLINGSIECK jene Partei, die eine Privilegierung der Konzerne bei den betriebsbedingten Kündigungen durchgesetzt hat:

"In den Verhandlungen konnten die Republikaner eine bedeutsame Verschärfung durchsetzen. Sie betrifft internationale Konzerne mit Filialen in Frankreich. Dort sollen künftig mit wirtschaftlichen Problemen begründete Massenentlassungen statthaft sein, selbst wenn der Konzern im Ausland blendend dasteht und dort üppige Gewinne ausschütten kann."

Als Verhandlungsführer im Schlichtungsausschuss werden Laurent PIETRASZEWSKI (REM) und Alain MILON (LB) genannt.

DEAN, Martin R. (2017): In Marseille lerne ich den Schmutz zu lieben.
Die Schönheit ist die kleine Schwester des Hässlichen. Sie ist ohne ihr Gegenteil nicht zu haben,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 04.08.

Während Marseille in den diesjährigen Wahlkämpfen als Hochburg von Links- und Rechtspopulismus beschrieben wurde, erscheint nun diese Polarisierung im milden Licht des Schriftstellers Martin R. DEAN als Offenheit und Unfertigkeit der Hafenstadt.

SIEBECK, Florian (2017): Ollivier und die Ausbeuter.
Alte Baustoffe für neue Häuser sind der Renner. Doch woher stammt das Material? In Frankreich kämpft ein Bürgermeister mit allen Mitteln gegen den Ausverkauf seiner Stadt,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 06.08.

Florian SIEBECK berichtet über die schrumpfende französische Kleinstadt Joinville, in der der Bürgermeister gegen den Niedergang kämpft:

"Die Gemeinde ist ein schmuckes Städtchen, aber in Teilen gleicht es einer Filmkulisse: Hinter der altehrwürdigen Fassade herrscht Leere. Der Ort an der Marne wurde von der französischen Tourismusindustrie als »Petite Cité de Caractère« ausgezeichnet (...). Darauf ist man hier sehr stolz, nicht viele Orte in Frankreich dürfen dieses Prädikat tragen.
In Joinville lässt sich aber auch die tragische Entwicklung, die viele dieser kleinen Städte durchmachen, besonders eindrücklich beobachten. Die Herren von Joinville gehörten im hohen Mittelalter zum führenden Adel der Champagne, die Stadt wuchs im 16. Jahrhundert zu höchster Blüte. Später, nach der Französischen Revolution waren die Glanzzeiten (...) vorüber (...). Noch bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts florierte die Wirtschaft, die Leute arbeiteten in Gießereien für Zulieferer der Auto-Industrie.
Dann aber ging es bergab, als die Aufträge wegbrachen und die Stadt in Lethargie versank. Die Arbeitslosenquote stieg auf 20 Prozent, die Bevölkerung schrumpfte innerhalb von 30 Jahren von 5.000 auf gerade mal 3.000 Einwohner. Die Häuserpreise kollabierten. Die reichen Leute haben die Stadt längst verlassen, ihre Häuser ließen sie zurück."

In diesem Zusammenhang wird der Markt für alte Baustoffe gesehen. Alte Häuser werden ausgeschlachtet statt saniert. Bertrand OLLIVIER, seit 2006 Bürgermeister der Kleinstadt will diesem Treiben ein Ende setzen. Seit 2012/13 tritt er diesem Ausverkauf der Stadt entgegen. Ob sich dieser Kampf gegen den Niedergang gewinnen lässt, das wird jedoch die Zukunft zeigen müssen.

KLINGSIECK, Ralf (2017): Schnell, bequem, erfolgreich, aber viel zu teuer.
Mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV entstand ein Zwei-Klassen-System im französischen Bahnverkehr,
in:
Neues Deutschland v. 12.08.

"Am 20. September 1981 wurde die erste Strecke zwischen Paris und Lyon eingeweiht. Im Abstand von jeweils mehreren Jahren folgten die Strecken von Paris nach Tours, Le Mans und Lille, nach Calais und durch den Eurotunnel nach London, nach Marseille und Straßburg. Durch die jetzt in Betrieb genommenen (...) Streckenabschnitte Tours-Bordeaux und Le Mans-Rennes verkürzt sich die Fahrtdauer zwischen Paris und Bordeaux von 3 Stunden 15 Minuten auf 2 Stunden, 5 Minuten und zwischen Paris und Rennes von 2 Stunden, 4 Minuten auf 1 Stunde, 25 Minuten,"

beschreibt Ralf KLINGSIECK den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken in Frankreich. Als problematisch beschreibt er, dass die TGV-Züge auch auf unwirtschaftlichen Strecken, jenseits der Hochgeschwindigkeitsstrecken, eingesetzt wurden:

"Die 500 TGV-Züge, die täglich 350.000 Fahrgäste befördern (...) fahren landesweit 200 Bahnhöfe an, also nicht nur die der Großstädte. Wo es keine spezielle TGV-Strecke gibt (...) können sie im Schnitt nur 160 km/h schnell fahren, oft sogar nur 80 km/h, selten bis zu 220 km/h. Die Ursache für diese unwirtschaftliche Nutzung liegt in der Innenpolitik. Die wurde jahrzehntelang durch Politiker dominiert, die in Personalunion Bürgermeister und Parlamentsabgeordneter oder Senator waren. Diese setzten bei den Regierungsbehörden in Paris ihren Einfluss ein, damit auch ihre Stadt ins TGV-Netz einbezogen wurde."

In Deutschland sieht es mit dem ICE auch nicht besser aus, der auf vielen Strecken lediglich als teurer IC eingesetzt wird.

Emmanuel MACRON gilt KLINGSIECK als Hoffnungsträger, denn er legt die Priorität nun auf Verbesserungen auf den Regionalbahnstrecken und hat den weiteren Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken auf Eis gelegt. Inwiefern das nicht nur Programm, sondern auch umgesetzt werden wird, muss sich jedoch zeigen.     

JARDINE, Anja (2017): Held seines Lebens.
Frankreichs Präsident Macron legt Tatkraft, Souveränität und ein majestätisches Gebaren an den Tag - nicht jedem gefällt das,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 21.08.

Anja JARDINE frönt anlässlich der ersten 100 Tage der Präsidentschaft von Emmanuel MACRON einem boulevardblattmäßigen Personenkult, das mit lebensgeschichtlichen und voluntaristischen Darstellungen nicht geizt.

"Selbstherrlichkeit wird ihm vorgeworfen, majestätisches Gebaren. Nur zu gut erinnern alle, dass er vor zwei Jahren in einem Interview sagte, den Franzosen fehle ihr König: mit der Hinrichtung von Louis XVI. sei ein emotionales Vakuum entstanden. Wie es scheint, traut er sich zu, es auszufüllen",

meint JARDINE. Biografietheoretisch kann man zwischen positiven und negativen Verlaufskurven sprechen, erstere beschreiben sich als Gestalter - insbesondere Elitenangehörige - letztere sind Getriebene. JARDINE beschreibt hier MACRONs Steigkurve. Inwiefern dies der Realität entspricht, wird die Zukunft zeigen.

KLINGSIECK, Ralf (2017): Unsozial, außenpolitisch geschickt.
ND-Tagesthema 100 Tage Macron: Präsident Emmanuel Macron enttäuscht viele seiner Wähler. Umfragewerte im freien Fall,
in:
Neues Deutschland v. 21.08.

"Nach jüngsten Umfragen sind heute nur noch 36 Prozent der Franzosen mit Macron zufrieden. Bei seiner Amtseinführung waren es noch 64 Prozent.
Noch nie in der seit 1958 bestehenden Fünften Republik hat ein Präsident in so kurzer Zeit so viel Vertrauensvorschuss verspielt. Am stärksten hat Macron viele links eingestellte Franzosen enttäuscht, deren Wunschkandidat er nicht war, die aber nach dem Versagen der sozialdemokratischen Parti socialiste und des Präsidenten François Hollande auf den jungen Hoffnungsträger Macron gesetzt hatten",

berichtet Ralf KLINGSIECK. Beispielhaft wird dafür die Sicht eines Ex-Bürgermeisters genannt:

"Stellvertretend für viele linke Wähler bringt das der ehemalige kommunistische Bürgermeister von Saint-Denis, Patrick Braouezec in einem Beitrag für die Zeitung »Le Monde« zum Ausdruck. Unter der Überschrift »Ich habe Macron unterstützt und bin enttäuscht«, schreibt der Kommunalpolitiker, der 2010 die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) aus Protest gegen deren Erstarrung verlassen hatte: »Ich habe vom ersten Wahlgang an für Emmanuel Macron gestimmt, trotz meines Engagements für die Linke. Meine Unterstützung für ihn war ohne Illusionen, aber ich habe auf Macrons Willen vertraut, mit der Unbeweglichkeit von Hollande und der reaktionären Politik von Sarkozy zu brechen.« Grund für seine Enttäuschung sei nicht die Außen-, sondern die Wirtschafts- und Sozialpolitik."

Hätte Patrick BRAOUEZEC keine Illusionen gehabt, wie er sagt, dann könnte er jetzt nicht enttäuscht sein!

SCHMID, Bernard (2017): Front National streitet über Euro-Austritt und Neonazis in den USA.
ND-Tagesthema 100 Tage Macron: Seit sich Marine Le Pen bei der französischen Präsidentschaftswahl geschlagen geben musste, debattiert die rechte Partei über die Gründe,
in:
Neues Deutschland v. 21.08.

"Sophie Montel ist Vorsitzende der FN-Franktion im Regionalparlament Bourgogne-Franche Comté in Ostfrankreich, wo die Partei bei den Regionalwahlen 2015 ihren höchsten Stimmenanteil erhielt. Sie steht dem Vize Florian Philippot nahe und schlug (...) nach dem Scheitern bei der Parlamentswahl vor, die Selbstdarstellung der Partei beim Thema Einwanderung zu überdenken. (...).
Doch dass sie (...) an ideologischen Grundfesten der Partei (...) zu rütteln beabsichtige, wurde der 47-Jährigen zum Verhängnis. Am 30. Juni dieses Jahres wurde sie durch Marine Le Pen kalt abserviert und verlor ihren Fraktionsvorsitz",

berichtet Bernard SCHMID über innerparteiliche Querelen. Was SCHMID nicht schreibt: Sophie MONTEL schied bei den Parlamentswahlen im Juni im 4. Wahlkreis des Departéments Doubs im 2. Wahlgang gegen den REM-Kandidaten aus.

KLINGSIECK, Ralf (2017): Das Telefon steht nicht mehr still.
Viele in Frankreich lebende Briten wollen angesichts des Brexits französische Staatsbürger werden,
in:
Neues Deutschland v. 28.08.

SOLDT, Rüdiger (2017): Weniger historisch und näher an der Basis.
Die Regierung in Stuttgart ordnet ihre Beziehungen zur französischen Grenzregion neu,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.08.

"Institutionell und personell ist durch die Gründung der neuen Region Grand Est (...) einiges in Bewegung gekommen. »Durch die Gebietsreform in Frankreich, die Fusion von Alsace, Champagne-Ardenne und Lorraine zur Region Grand Est hat sich der Charakter der deutsch-französischen Beziehungen in den Grenzregionen verändert: Das politische Zentrum sind nicht nur der Oberrhein und Straßburg«, sagt Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts (DFI) in Ludwigsburg. Die Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland müssten ihre Arbeit nun besser koordinieren, weil sie es auf französischer Seite gemeinsam mit der neuen Region zu tun hätten",

schreibt Rüdiger SOLDT über die deutsche Sicht auf die Gebietsreform, die in Frankreich zur Stärkung des Front National beigetragen hat.

KUCHENBECKER, Tanja (2017): Macrons Schicksalsprojekt.
Hohe Erwartungen, große Gegenwehr: Der französische Präsident hat seine Arbeitsmarktreform vorgestellt,
in:
Handelsblatt v. 01.09.

KUCHENBECKER, Tanja (2017): Experiment Mietspiegel.
HB-Serie Wege aus der Wohnungsnot: Das Nachbarland Frankreich versucht, steigende Wohnungskosten mit ähnlichen Mitteln wie Deutschland zu bremsen. In Paris gelingt dies - wenn auch auf hohem Niveau. Und der befürchtete Einbruch der Neubauanträge blieb aus,
in:
Handelsblatt v. 01.09.

FINKENZELLER, Karin (2017): Er ist nicht allein.
Emmanuel Macron: Der Reformer verliert an Zustimmung. Doch das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Junge Unternehmer haben das alte Denken längst abgeschafft,
in:
Wirtschaftswoche Nr.36 v. 01.09.

"(I)n Frankreich ist längst eine Revolution im Gange - und moderne Unternehmer könnten zu den wichtigsten Reformhelfern für den jungen Präsidenten werden. Flachere Hierarchien, Eigeninitiative, der Mut zum Risiko und auch zu Irrtum und Umkehr treten quer durch viele Branchen an die Stelle einer Tradition der Besitzstandswahrung. Was vielen Franzosen früher als Garant sozialer Sicherheit schien, wird heute als Gefahr für die Zukunftsfähigkeit empfunden",

meint Karin FINKENZELLER. Dieser Sound war hierzulande auch in den Nuller Jahren zu hören - als Begleitmusik zur Agenda 2010. Floskeln aus der New Economy-Ecke und die Anrufung der neuen Bürgerlichkeit, mit der endlich die Bonner Arbeitnehmerbeschaulichkeit über Bord geworfen werden sollte, gehören seitdem zum Neusprech in Deutschland. Nun soll also das gleiche Neusprech Frankreich auf Trab bringen. Wird also demnächst eine Titelgeschichte zu Frankreich über die dortige selbstzufriedene Republik erscheinen?  

SCHUBERT, Christian (2017): Frankreichs Personalchefin.
Muriel Pénicaud verantwortet mit dem Umbau des Arbeitsrechts die erste große Reform von Emmanuel Macron. Sie fühlt sich dabei in ihrem Element,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.09.

WÜPPER, Gesche (2017): Macron wagt den Angriff auf die Rente.
Nach dem Arbeitsrecht will der französische Präsident nun weitere Teile des Sozialsystems reformieren,
in:
Welt v. 04.09.

Gesche WÜPPER beschreibt keine anstehenden Reformen des Rentensystems in Frankreich, sondern die Wunschliste Neoliberaler in Zeiten des Bundestagswahlkampfes (vgl. Dietrich CREUTZBURG, FAZ 05.09.2017)!

MEISTER, Martina (2017): Marine Le Pen versucht ein Comeback.
Front-National-Chefin war nach der Niederlage bei der Präsidentschaftswahl abgetaucht. Gibt es für sei eine zweite Chance?
in:
Welt v. 12.09.

Martina MEISTER bekräftigt ihre bekannte Sicht zum Front National. Anlass war das Ende der politischen Sommerpause:

"»Ich komme mit großer Entschlossenheit zurück«, sagt Le Pen am Samstag in Brachay, jenem winzigen Dorf im Osten Frankreichs, das sie auserkoren hat, Schauplatz ihrer politischen »Rentrée« zu sein, weil 90 Prozent des 55 Seelen zählenden Dorfes den FN wählen, die meisten davon Landwirte im Rentenalter."

KLINGSIECK, Ralf (2017): Macrons Partei fehlt die Kraft zum Sturm des Senats.
Bei den am Sonntag anstehenden Teilwahlen zur zweiten Kammer des französischen Parlaments ist die bürgerliche Rechte im Vorteil,
in:
Neues Deutschland v. 22.09.

"Von den 348 Sitzen des Senats sind am Sonntag 171 für die nächsten sechs Jahre zu besetzen.
Die Senatoren werden nicht direkt gewählt, sondern durch ein Gremium aus Abgeordneten von Kommunal-, Departemental- und Regionalräten. Und dieses stehen mehrheitlich rechts, entsprechend den Kommunal- und Regionalwahlen der letzten Jahre. Die junge Bewegung En marche ist dort bislang überhaupt nicht vertreten",

beschreibt Ralf KLINGSIECK die Lage vor den Wahlen zum Senat am 24. September. Gemäß einer Pressemeldung des Senats vom 8. September werden 170 Senatoren gewählt.

Gemäß KLINGSIECK gehören im Senat derzeit nur 29 Senatoren zur Bewegung von MACRON. Er zitiert den Fraktionsvorsitzenden François PATRIAT, der als Ziel für die Teilwahl eine Erhöhung um 60 Sitze gesetzt hatte. Die Kandidaten kommen

"zu 40 Prozent von den Republikanern, zu 40 Prozent von den Sozialisten und zu 15 Prozent von der Zentrumspartei, ein Kandidat war vorher bei den Grünen",

berichtet KLINGSIECK. Diese Kandidaten sieht er nun von MACRON im Stich gelassen.

WIEGEL, Michaela (2017): Der Euro oder ich.
Florian Philippot will sich nicht lächerlich machen und verlässt den Front National - der Richtungsstreit in der Partei ist vorläufig entschieden,
in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 22.09.

KLIMM, Leo (2017): Die Rache der Marine Le Pen.
Die Front-National-Chefin drängt ihren Stellvertreter aus der Partei. Doch ein größerer Konflikt steht noch bevor,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 22.09.

KAFSACK, Hendrik (2017): Im Super-Sozial-Europa.
Protektionismus nach außen, Schutz vor "Sozialdumping" nach innen, lautet Macrons Formel,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.10.

Hendrik KAFSACK legt unfreiwillig die darwinistischen Wurzeln des Neoliberalismus frei. In dieser Sicht sind Sozialsysteme grundsätzlich "marode" und müssen "reformiert" werden, denn nur der "Markt" ist angeblich der einzige Garant einer funktionierenden Weltgesellschaft. Die Hackordnung der Länder im globalen Wettbewerb wird als Win-Win-Situation dargestellt. Unproduktive Länder erkaufen sich durch Sozialdumping (im neoliberalen Gebäude heißt das Wettbewerbsvorteil!) ihren Platz in der Hackordnung der Wettbewerbsfähigkeit. Oder wie es schönfärberisch heißt:

"EU-Staaten (gleichen) (...) ihre geringere Produktivität (...) durch Wettbewerbsvorteile wie günstigere Löhne, Sozialleistungen oder steuern (aus)."

So jedenfalls steht es im Lehrbuch des neoliberalen Idealisten. Dort existiert weder Intransparenz noch Monopolbildung. Der Markt ist hier eine Art Gott, der jedem seinen gerechten Anteil zukommen lässt. Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun!

KAFSACK erregt sich nun darüber dass Emmanuel MACRON den neoliberalen Weg der Marktkonkurrenz verlasen will:

"Seine Ziele für eine europäische Sozialunion hat Macron offen benannt. Er will nicht mehr die Wettbewerbsfähigkeit der EU in den Mittelpunkt der Politik stellen, sondern die soziale Angleichung. »Convergence« statt »concurrence« heißt das auf Französisch.

KAFSACK beschreibt MACRON also als bessere Marine Le PEN und malt das Schreckgespenst des Protektionismus an die Wand:

"Da das französische Sozialsystem innereuropäisch nicht konkurrenzfähig ist, sollen es möglichst alle EU-Staaten einführen."

Im Neoliberalismus herrscht also das Diktat der "Konkurrenzfähigkeit". Was das ist, das definiert allein der Markt. Sozialsysteme sichern jedoch - wenn man nicht auf Waffengewalt setzt - den inneren Frieden. Dieser Aspekt kommt im neoliberalen Denken nicht vor, sondern als Ideal wird die Ersetzung des Sozialstaats durch den Markt angesehen. Letztlich heißt das Bürgerkrieg!

Inwiefern MACRON lediglich auf Symbolpolitik setzt, diese Frage stellt sich für einen Neoliberalen erst gar nicht.

BRÄNDLE, Stefan (2017): Jean-Luc Mélenchons "Bürgermedium".
Der Sender "Le Média" des französischen Linken-Chefs lässt die Grenze zwischen Journalismus und Politik zerbröseln,
in:
Frankfurter Rundschau v. 25.10.

Welche Grenze zwischen Medien und Politik soll da eigentlich noch zerbröseln können? Parteizeitungen gibt es schon längst. Jede neue politische Bewegung schafft sich ihre eigenen Medien, um sich abseits der Konsensmedien des Establishments Gehör zu verschaffen.

BRÄNDLE kritisiert, dass heutzutage nicht mehr ersichtlich sei, "ob gerade Politiker oder Journalisten sprechen". Liest man die Mainstreamzeitungen, dann schreiben dort möglicherweise zwar Journalisten, aber nur als Durchlauferhitzer von Interessen, die verschleiert werden. Wenn von "Experten" und "Fachleuten" geschwafelt wird, die angeblich etwas Alternativloses oder Unumstrittenes von sich geben, dann hat das nichts mit seriösem Journalismus zu tun. Alternativlosigkeit und Unumstrittenes sind Floskeln, um den eigenen Standpunkt nicht argumentativ gegen andere Standpunkte begründen zu müssen. Fazit: Ideologie statt Aufklärung ist bereits heutzutage der Kern des Mainstreamjournalismus. Wenn sich also eine politische Bewegung ein eigenes Medium schafft, dann ist das ehrlicher als ein Journalismus, der seine Interessen nicht offen legen will.

BÜCHI, Christophe (2017): Der Sowohl-als-auch-Präsident.
An Emmanuel Macron scheiden sich Frankreichs Intellektuelle,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 04.11.

Christophe BÜCHI teilt die intellektuelle Kritiker von Emmanuel MACRON in Linke (Didier ERIBON, Édouard LOUIS) und rechte Kritiker (Alain FINKIELKRAUT, Eric ZEMMOUR) ein. Aber im Grunde sind ihm die Intellektuellen einerlei (bzw. Opportunisten), wenn es heißt:

"Sollten (...) die Revision des Arbeitsrechts und die Reduzierung der Steuerbelastung hoher Einkommen zu Wirtschaftswachstum und dieses dereinst zu einer Senkung der Arbeitslosigkeit führen, könnte Macrons Popularität wieder steigen. Dann wird es auch nicht an Intellektuellen fehlen".

MEISTER, Martina (2017): Der unglaubliche Absturz der alten Politik-Elite.
Frankreich hat kurzen Prozess gemacht mit einem als ausgedient empfundenen System und etablierter Politiker wie Ex-Premier Valls gnadenlos aussortiert. Die sind jetzt auf Entzug - denn die Macht ist eine harte Droge,
in:
Welt v. 06.11.

Martina MEISTER widmet sich drei Verlierern der Sozialistischen Partei (PS) in Frankreich: dem ehemaligen Parteichef Jean-Christoph CAMBADÉLIS, der nach 4 Legislaturperioden gegen MACRONs Nobody aus dem Parlament flog und seinen Frust in Buchform ("Chronique d'une débâcle") niederschrieb. Desgleichen der Kurzzeit-Innenminister Bernard CAZENEUVE ("Chaque jour compte"). Zuletzt wird der Ex-Premierminister Manuel VALLS als deklassierter Parteihinterbänkler von MACRONs Gnaden als Aussätziger beschrieben.

WIEGEL, Michaela (2017): Wohlgemeinte Ratschläge aus Amiens.
Anders als die französischen Staatschefs vor ihm hat Emmanuel Macron keine gewachsene Wählerbastion. Auch in seiner Heimat Amiens gilt er manchen als Präsident der Reichen. Selbst einige seiner Anhänger haben Zweifel am Kurs Macrons,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.11.

Michaela WIEGELs Reportage über Amiens, der Heimatstadt von Emmanuel MACRON beginnt mit der UDI-Bürgermeisterin Brigitte FOURÉ, die sich von MACRON Unterstützung für ihre niedergehende Stadt erhofft, sieht sich jedoch vor allem vom linken Feind bedroht:

"Amiens (sei) viel weiter links als der Präsident. Macron erhielt dort im ersten Wahlgang 28 Prozent der Stimmen. Der linksextreme Kandidat Jean-Luc Mélanchon 24,8 Prozent und die Rechtspopulistin Marine Le Pen 18,4 Prozent. Fouré glaubt, dass die kommunistische Vergangenheit in der früheren Arbeiterhochburg, einst einer der wichtigsten Standorte der französischen Textilindustrie, nachwirkt."

MACRON sei ein Präsident der Reichen zitiert WIEGEL sowohl François RUFFIN vom Unbeugsamen Frankreich (FI) als auch Yves DUPILLE vom Front National (FN). Ersterer gewann einen der zwei Wahlkreise von Amiens. WIEGEL porträtiert die beiden Widersacher MACRONs. RUFFIN ist über Amiens hinaus bekannt geworden, weil er die Proteste gegen die Arbeitsrechtsreform unter HOLLANDE anstieß.

"Er quartierte sich zwei Jahre in einer Sozialwohnung in den heruntergekommenen Arbeitervierteln im Norden von Amiens ein, als journalistischer Selbstversuch. 2006 widmete er dieser Erfahrung das Buch »Quartier Nord«, in dem er die Bewohner als Bürger zweiter Klasse beschreibt",

berichtet WIEGEL über den Publizisten RUFFIN (hier ein Artikel von ihm über die Gentrifizierung von Marseille aus dem Jahr 2007).

Zuletzt lässt WIEGEL einen Anhänger MACRONs der ersten Stunde zu Wort kommen: Olivier WILLIAME, der seinem Präsidenten wohlgemeinte Ratschläge erteilt.

"Er entlastet die Superreichen steuerlich, in der Hoffnung, dass sie das Geld in die Wirtschaft pumpen. Aber was passiert, wenn sie das nicht tun?"

BALMER, Rudolf  (2017): Macron-Fans wollen keinen Sonnenkönig.
Die Partei des französischen Präsidenten hat vor ihrem ersten Parteitag mit internen Kritikern zu kämpfen: Sie kritisieren Strukturen wie im Ancien Régime,
in:
TAZ v. 16.11.

TZERMIAS, Nikos (2017): Mitglieder von Macrons Partei beklagen ein Demokratiedefizit.
Die Basis der Präsidentenbewegung La République en marche beschwert sich über den Mangel an Mitspracherechten,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 18.11.

HANKE, Thomas (2017): Marcheur der ersten Stunde.
Christophe Castaner: Emmanuel Macron hat mit dem Ex-Sozialisten bei seiner Partei "La République en Marche" einen engen Vertrauten installiert,
in:
Handelsblatt  v. 20.11.

Thomas HANKE berichtet über den Akklamationsverein LREM, mit dessen Hilfe Emmanuel MACRON willfährige Zuarbeiter in Ämter hievt.

"Statt der völlig neuen Politik und des veränderten hierachiefreien Stils, die versprochen wurden, gab es Durchregieren von oben herab",

schreibt HANKE, als ob das nicht im Voraus absehbar war. Die Partei der Blauen will dieses autoritäre Modell in Deutschland installieren.

BALMER, Rudolf (2017): Neue Risse durch Frankreichs Rechte.
Macrons Bewegung spaltet die Bürgerlichen zunehmend,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 30.11.

Rudolf BALMER berichtet über die Parteigründung Agir, la droite constructive, die aus der Nationalversammlungs-Fraktion Les Constructifs entstanden ist und ein Spaltprodukt der Partei Les Républicains ist. Außerdem wird gemeldet, dass der Budgetminister Gérald DARMANIN, der Staatssekretär für Umwelt Sébastian LECORNU und der Abgeordnete Thierry SOLÈRE zu MACRONs Partei LREM übergewechselt sind. Damit hat sich nur vollzogen, was sich bereits im Sommer abzeichnete.

2018

ROSEN, Björn (2018): "Die Linke protestiert für sich selbst".
Der französische Geograf und Gesellschaftsanalyst Christophe Guilluy über die innere Spaltung seines Landes, das mangelnde Problembewusstsein der Eliten gegenüber der Immigration - und über den zweifelhaften Erfolg des jungen Staatspräsidenten Emmanuel Macron,
in:
Cicero, Januar

VEIEL, Axel (2018): Ruine der Hoffnung.
Frankreich gehört wieder zu den wichtigen Ländern, verkündete Emmanuel Macron jüngst nicht ohne Stolz. In der Kleinstadt Villers-Cotterêts plant der Präsident ein Zentrum für französische Sprache und Kultur. Der FR-Korrespondent hat dort mit Idealisten gesprochen - aber auch Menschen getroffen, die schon zu oft enttäuscht worden sind,
in:
Frankfurter Rundschau v. 15.02.

Axel VEIEL berichtet darüber, dass Emmanuel MACRON die vom Front National regierte Kleinstadt Villers-Cotterêts, die gemäß Christian WERNICKE im "periurbanen Gürtel" von Paris liegt, aufwerten will:

"Auf dem flachen Land, wo sich nicht viele Franzosen vom Fortschritt abgehängt fühlen, ihr Heil in nationaler Abgrenzung suchen, verordnet der Staatschef Weltläufigkeit. Das Schloss soll als Zentrum der Frankophonie Furore machen, der französischsprachigen Welt. Der 11.000 Einwohner zählende Ort ist auserkoren, als Mekka französischsprachiger Künstler, Literaten oder auch Professoren globale Bedeutung zu erlangen."

Außer Absichtsbekundungen und einem baufälligen Schloss gibt es in der Kleinstadt mit seiner fragmentierten Stadtbevölkerung jedoch nichts, was nach Aufbruchstimmung aussieht. Durch die symbolische Aufwertung könnte der Front National eher gestärkt werden - insbesondere, wenn das Projekt scheitert.

TZERMIAS, Nikos (2018): "Ich gewinne, oder ich lerne".
Nach der Schlappe bei den Präsidentschaftswahlen versucht Front-national-Chefin Marine Le Pen ihre Partei regierungsfähig zu machen,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 05.03.

WIEGEL, Michaela (2018): Die Methode Macron.
Frankreichs Präsident setzt eine Reform nach der anderen um. Von Widerständen lässt er sich nicht aufhalten - und irritiert damit Gewerkschaften und Arbeitgeber,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.03.

Michaela WIEGEL berichtet über Erfolge bei den Reformen bei Bahn, Bildung und öffentlicher Dienst.

WIEGEL, Michaela (2018): Der Visionär.
Emmanuel Macron ist kein verblendeter europäischer Jasager. Er ist ein kritischer, ein fordernder Europäer, der die Ängste der Bürger ansprechen will - auch und gerade in den Fragen, die mit der Einwanderung und dem Islam in Europa verknüpft sind,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.03.

SCHUBERT, Christian (2018): Französische Lichtblicke.
Macron zieht seine innenpolitischen Pläne durch. Die Gegner stecken in der Defensive,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.03.

"Das Potential der Unzufriedenen bleibt hoch, solange die großen gesellschaftlichen Herausforderungen - Arbeitslosigkeit, Sicherheit und Einwanderung - nicht bewältigt sind",

meint Christian SCHUBERT. Die größte Herausforderung für Frankreich fehlt in dieser Aufzählung, nämlich die Bewältigung des Geburtenanstiegs der vergangenen Jahre, den Frankreich aufgrund seiner Bevölkerungspolitik zwar erhofft hatte, dessen Erfordernisse die Politik jedoch sträflich ignoriert hat. Das französische Erziehungs- Bildungs- und Arbeitssystem ist in keiner Weise auf diese neuen Erdenbürger vorbereitet. Den Deutschen stehen diese Probleme noch bevor, wenngleich der Geburtenanstieg in Deutschland scheinbar gering ausfällt.

Frankreich fehlen nicht die Babys wie Georg BLUME in typisch deutscher Fixierung auf das Aussterben meint, sondern eine angemessene Politik zur Bewältigung des Geburtenanstiegs.  

SCHUBERT, Christian (2018): Macron will neues Sozialsystem für Frankreich.
Erstmals Pflegeversicherung, neue Rentenversicherung. Fernsehduell mit kritischen Journalisten,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.04.

SCHUBERT, Christian (2018): Spaltpilz Macron.
Vor einem Jahr kam der junge französische Präsident ins Amt. Er hat sich viel vorgenommen. Doch jetzt bläst ihm Gegenwind ins Gesicht, das soziale Klima in Frankreich ist von Gereiztheit geprägt. Was kann er tatsächlich erreichen?
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.04.

Je größer der Widerstand gegen die Reformen, desto größer der Erfolg von Emmanuel MACRON, so könnte man das Motto der Bilanz von Christian SCHUBERT umschreiben. Seinem neoliberalen Kompass folgt SCHUBERT unbeirrt, denn alle anderen sind orientierungslos.

"Macron ist kein Versöhner, sondern der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich viel, aber nicht alle Bürger gerade so einigen können",

charakterisiert SCHUBERT den Typus des westlichen Autokraten, der Erdogan von allen europäischen Regierungschefs am Nächsten ist.

SCHMIDT, Robert (2018): Die Wasserschlacht.
Die Bewohner der französischen Gemeinde Vittel sollen Wasser sparen, aber der Konzern Nestlé darf es weiterhin in Flaschen füllen,
in: Die ZEIT Nr.22 v. 24.05.

MEISTER, Martina (2018): Macron und seine Jungs.
Der Präsident regiert mit zwei Männern, die selbst in Frankreich kaum jemand kennt. Diese Konzentration der Macht kommt nicht gut an,
in: Welt v. 24.05.

WIEGEL, Michaela (2018): Macron und die Legitimität des weißen Mannes.
Die Rede des Präsidenten über die Banlieues hat die Bürgermeister der Vorstädte empört - und Marine Le Pen überrascht,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.05.

KLINGSIECK, Ralf (2018): Stadtentwicklung abgespeckt.
Frankreichs Präsident Macron sind die ehrgeizigen Programme für Problemregionen zu teuer,
in: Neues Deutschland v. 13.06.

Über zwei Wochen später liefert nun Ralf KLINGSIECK Hintergründe zu einer Rede von Emmanuel MACRON vor Bürgermeistern, in dem es um politische Maßnahmen in Problemvierteln ging. KLINGSIECK berichtet über den im April publizierten Bericht Vivre ensemble, vivre en grand pour une réconciliation nationale, in dem der frühere Minister für Stadtentwicklung Jean-Louis BORLOO 19 Maßnahmen zur Verbesserung der Lage in den sozialen Problemvierteln vorstellte.   

SATTLER, Uwe (2018): Alte Kamellen, neue Bündnisse.
Mélenchons Parti de Gauche verlässt Europäische Linkspartei,
in: Neues Deutschland v. 05.07.

Uwe SATTLER warnt vor einer Zersplitterung der Linken, was angesichts der Zerstrittenheit der Linken (wenn man bei den Parteien der Europäischen Linken (EL) überhaupt von "Linken" sprechen kann!) ziemlich niedlich ist.

BALMER, Rudolf & Harriet WOLFF (2018): Die Arroganz der Ohnmacht.
Fast nirgends zeigt sich das Debakel der Sozialdemokratie so drastisch wie in Frankreich. Doch statt sich zu erneuern, drischt man meist Phrasen,
in: TAZ v. 13.07.

BALMER & WOLFF entdecken unter den Sozialisten und Sozialdemokraten lediglich Phrasendrescher. Offenkundig sehen sie in der SPD nur eine Bürgerpartei, als ob die Grünen  besser wären! BALMER & WOLFF halten den spanischen Regierungschef Pedro SÁNCHEZ für den idealen EU-Spitzenkandidaten der Sozialisten für die Europawahlen im Mai 2019. Was vermeintliche Heilsbringer tatsächlich Wert sind zeigt der schnelle Aufstieg und Niedergang des Martin SCHULZ. Die Linke sollte zu allererst an eine grundlegende Erneuerung denken.  

TZERMIAS, Nikos (2018): Paris und die französische Wüste.
Im zentralistischen Frankreich werden Provinzstädte wie das im grünen Herzen des Landes gelegene Limoges zunehmend abgehängt,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 18.07.

Der NZZ-Auslandskorrespondent Nikos TZERMIAS verabschiedet sich mit dieser Reportage über Limoges in den Ruhestand:

"Nicht nur der Bahnhof, wo ein TGV-Anschluss immer noch fehlt und unlängst das Buffet geschossen wurde, wirkt wie ausgestorben. Öde und abgestanden erscheint auch das Stadtzentrum. Im mittelalterlichen Metzgerei-Viertel, das in Reiseführern als besonders pittoresk angepriesen wird, zerfallen die Fassaden der kostbaren Fachwerkhäuser. (...).
Vincent Léonie, als Vizebürgermeister für die Stadtentwicklung zuständig (...) erklärt, dass im Stadtbild (...) urbanistische Sünden begangen worden (seien). Die früheren linken Stadtbehörden hätten das Stadtzentrum zum Teil in ein Auffangbecken für Sozialfälle verwandelt. Dafür wurden an der Peripherie kostspielige Prestigebauten wie etwa eine (...) Konzerthalle errichtet. Zudem entstand am Stadtrand ein gigantisches Shoppingcenter mit Fast-Food-Restaurants, Sportanlagen, Kinokomples und Hotels von grossen Ketten. (...).
Die Verödung traditionsreicher Stadtzentren ist ein landesweites Problem geworden. Sie hat zu einer spürbaren Einebnung regionaler wie lokaler Identitätsmerkmale zugunsten des Sortiments landesweit präsenter, zumeist in Paris domizilierter Grosskonzerne geführt.",

beschreibt TZERMIAS den Niedergang von Limoges und anderer französischer "Mittelstädte", den er der sozialistischen Regierung unter François HOLLANDE zuschreibt, wobei er die Sicht der Arbeitgeberlobby einnimmt:

"Der Bau eines Grossteils der Shoppingmals sei während der letzten zwei Jahrzehnte weniger aus Effizienzüberlegungen, gefördert worden als vielmehr aus beschäftigungspolitischen Überlegungen."

"Effizienz" lautet das ökonomistische Credo des Neoliberalismus, das der Staatsverschuldung und Steuerlast entgegengestellt wird, als ob die Privatisierung öffentlicher Aufgaben ein Allheilmittel wäre. Wo Effizienz sein sollte, herrscht jedoch meist nur Subvention und Monopolbildung, also das genaue Gegenteil dessen was der Neoliberalismus zum Ideal erhebt.

Die neue neoliberale Erlöserfigur Emmanuel MACRON verspricht mit mickrigen Summen die

"Revitalisierung der Zentren von 222 mittelgrossen Städten (...). Nutzniesser des Programms sollen neben Limoges auch etwa Arles, Besançon, Saint-Malo, Troyes, Colmar oder Mulhouse sein."

Wenn TZERMIAS von Mittelstädten spricht, dann entspricht das nicht unbedingt deutschen Mittelstädten (50.000 - 100.000 Einwohner), sondern dazu gehören auch Großstädte wie Limoges (über 130.000 Einwohner),  Besançon (über 116.000 Einwohner) oder Mulhouse (ca. 110.000 Einwohner). Nur Arles (rund 53.000 Einwohner), Saint-Malo (rund 46.000 Einwohner), Troyes (rund 61.000 Einwohner) oder Colmar (über 70.000 Einwohner) entsprechen deutschen Mittelstädten. Die Unterschiede in der Stadt-Klassifikation sind der Tatsache geschuldet, dass in Deutschland die neoliberale Zentralisierung noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Frankreich:

"Als Ausdruck jakobinischer Willkür gilt an der Vienne besonders, dass die traditionsreiche Region Limousin, deren Hauptstadt Limoges war, Ende 2015 vom damaligen Präsidenten François Hollandeaufgelöst und in die neue Grossregion Nouvelle-Aquitaine eingegliedert wurde; deren Hauptstadt ist die drei Autostunden entfernt gelegene und doppelt so grosse Metropole Bordeaux. Dadurch drohten Limoges und seine Umgebung noch stärker marginalisiert zu werden.",

berichtet TZERMIAS. In Deutschland lässt sich eine solche neoliberale Zentralisierung insbesondere im Osten und hier vor allem in Mecklenburg-Vorpommern betrachten.

"Hollande liess sich mithin von der typisch zentralistischen Vorstellung leiten, dass Grösse Erfolg garantiere, und er förderte die Bildung grosser Metropolen wie Lyon, Marseille, Aix-en-Provence, Bordeaux oder Toulouse. Die einst vom Präsidenten François Mitterrand Anfang der 1980er in die Wege geleitete Dezentralisierung wurde nicht weiter vorangetrieben",

schreibt TZERMIAS. Die Städte Toulouse (rund 472.000 Einwohner), Lyon (rund 513.000 Einwohner) und Marseille (ca. 862.000 Einwohner),  würde man in Deutschland zu den Metropolen zählen, während Bordeaux (ca. 250.000 Einwohner) und Aix-en-Provence (rund 143.000 Einwohner) eher zu den kleinen Großstädten zählen würden.

"Nicolas Schmitt vom Institut für Föderalismus an der Universität Freiburg i. Ü. stellte unlängst fest, dass die jahrhundertealte Ballung der Macht in Paris bis heute den Rest des Landes zur »französischen Wüste« verdamme und sich seit dem derart betitelten Pamphlet des Geografen Jean-François Gravier von 1947 im Grunde nicht viel geändert habe. Zwar sind seither einige Metropolen wie Bordeaux, Nantes, Toulouse oder Montpellier aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht, und diese Städte erfreuen sich einer erheblichen Zuwanderung aus dem Moloch Paris, in dem sich immer mehr soziale Probleme anzusammeln drohen. Doch laut Daten des Statistikamtes Insee hat sich das demografische und wirtschaftliche Übergewicht der Hauptstadt während der letzten drei Jahrzehnte kaum wesentlich verringert, geschweige denn das politische. Der mehr als 12 Millionen Einwohner zählende Ballungsraum an der Seine macht weiterhin fast 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus und erwirtschaftet 31 Prozent des Bruttoinlandprodukts",

beschreibt TZERMIAS die Kluft zwischen dem Großraum Paris und dem provinziellen Restfrankreich. Das Ende des Artikels ist einem Ausblick auf die neoliberale Ära MACRON geschuldet, in dem die Zukunft der ehemaligen Region Limousin in einem milderen Licht erscheint. Mit MACRON - so scheint es, wird alles gut. Dazu wird nach La Creuse, in die Landgemeinde Aubusson, umgeschwenkt. Dort wurde ein Landwirt zum Abgesandten von La République en marche im Wahlkreis La Creuse gewählt, der nun Klientelpolitik in eigener Sache betreibt. Die Region Limosin wird zum Widerstandsnest gegen den Rechtspopulismus verklärt:

"Die Partei der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen habe in La Creuse wie im Rest von Limousin nur wenig Erfolg gehabt, im Unterschied zu anderen wirtschaftlich abgehängten Gegenden".

FAUTH, Lea (2018): Die Früchte des Widerstandes.
Jahrelang besetzten Aktivist*innen in Frankreich Land, um einen neuen Flughafen zu verhindern. Der kommt jetzt nicht. Die Nachbar*innen des alten sind sauer. Und die Besetzer*innen fürchten um ihr Werk,
in: TAZ v. 20.07.

Lea FAUTH berichtet über eine Landkommune in der französischen Gemeinde Notre-Dame-des-Landes, die gegen einen geplanten Neubau des Flughafens von Nantes kämpfte. Auf der anderen Seite kämpfen neoliberal wählende Landhausbewohner mit Pool in der Einflugschneise des Flughafens für den Umzug des Flughafens und sind wütend auf Emmanuel MACRON, der sein Wahlversprechen gebrochen habe.

 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt am: 26. Dezember 2017
Update am: 19. September 2019