Meine These
ist, dass das gegenwärtige
Sozialversicherungssystem nicht einmal in der idealen
Familiengemeinschaft zu retten wäre.
Dazu
möchte ich Ihnen ein Gedankenexperiment
vorstellen, das die Mechanismen an einem
einfachen Beispiel aufzeigt. Auch Leute, die
Statistik für etwas halten, das sie lieber den Nerds
überlassen, sollten das Beispiel ohne weiteres
nachvollziehen können, zumal ich die Story in
einem spannenden Sozialstaatskrimi
verpacken werde.
Es waren
einmal ein paar verbrecherische Gentechniker, die
sich entschlossen haben, die Thesen der
Bevölkerungswissenschaftler und
Familiensoziologen experimentell zu überprüfen.
Sie haben sich deshalb drei Inseln als
Experimentierfeld ausgesucht. Damit haben sie Zu-
und Abwanderungsprozesse ausgeschlossen. Die
weiblichen Teilnehmer wurden alle mit einem
bevölkerungswissenchaftlich idealen Gendefekt
ausgestattet. Die Frauen müssen im Alter von 20
Jahren gebären. Weiterhin bewirkt dieser Defekt,
dass jede Frau nur Zwillinge auf die Welt bringt
und zwar immer einen Jungen und ein Mädchen.
Dies ist die Grundbedingung der
Bevölkerungswissenschaftler für eine
vollständige Reproduktion einer Generation in
einer idealen Gemeinschaft.
Auf jeder
Insel werden 4 Neugeborene ausgesetzt. Je 2
Jungen und 2 Mädchen, die 2 Paare ergeben. Jetzt
kommen die Familiensoziologen zu ihrem
Vergnügen. Alle leben das Modell der
lebenslangen Monogamie. Der Gebärzwang sorgt
dafür, dass keine Kinderlose existieren. Also
keine swinging Singles und sonstige
Trittbrettfahrer, sondern eben heile 50er Jahre
Filmidylle.
Liebe
Kinderlose, bitte ruhigbleiben und zurücklehnen
und dann zusehen wie sich dieses
familiensoziologische und bevölkerungspolitische
Gemeinschaftsideal entwickelt.
Wie gesagt,
zum Zeitpunkt Null werden auf jeder Insel die
Neugeborenen ausgesetzt und von einer Roboteramme
betreut. Dieser Roboter ist ein Wunderwerk der
Technik. Er ist in keinster Weise von einer 50er
Jahre Mutti zu unterscheiden, kann sich zwar
nicht fortpflanzen, wird aber locker mit 4
Kindern fertig. Wenn man so will der Kinderlose,
der notwendig ist, um überhaupt das Experiment
durchführen zu können. Die Kinder haben also
die besten Entwicklungsbedingungen.
Dies sind
die Grundbedingungen, die auf allen drei Inseln
gleich sind. Die ganze Idylle hat natürlich
einen Haken. Er liegt in jenen Bedingungen, die
gewöhnlicherweise außer Acht gelassen werden
und nun von unseren verbrecherischen
Gentechnikern experimentell variiert werden. Jede
Population dieser schönen Neuen Gemeinschaften
ist mit einer unterschiedlichen Sterblichkeit
ausgestattet.
Auf der
Insel A leben die Kurzlebigen. Sie sterben mit 40
Jahren an Herzinfarkt, weil sie sich über den
Nachwuchs in der Gemeinschaft so freuen, dass sie
das nicht mehr verkraften. Auf Insel B tritt
dieses Ereignis erst im Alter von 60 Jahren ein
und auf Insel C mit 80 Jahren. Die Zahlen
nochmals im Überblick:
Insel A -
Lebensdauer 40 Jahre
Insel B - Lebensdauer 60 Jahre
Insel C - Lebensdauer 80 Jahre
Jetzt
schauen wir uns einmal an, wie sich diese idealen
Gemeinschaften entwickeln.
Insel A hat
nach 30 Jahren ihre endgültige Bevölkerungszahl
erreicht. Diese Gemeinschaft wird immer aus 8
Menschen bestehen. Das Durchschnittsalter dieser
Bevölkerung beträgt zu diesem Zeitpunkt 20
Jahre. Welch eine virile Gemeinschaft! Das Herz
unserer Bevölkerungswissenschaftler hüpft vor
Freude.
Insel B hat
sich nach 30 Jahren ebenfalls prächtig
entwickelt. Es besteht kein erkennbarer
Unterschied zu Insel A. Nach weiteren 20 Jahren
leben aber 12 Menschen auf der Insel und es
werden immer 12 Personen bleiben. Das
Durchschnittsalter liegt aber bei 30 Jahren. Die
Bevölkerungswissenschaftler werden dies
mürrisch registrieren, aber mit 30 ist man noch
wirtschaftlich produktiv und die Bevölkerung ist
zumindest fruchtbar.
Halten wir
einen Moment inne. Wir haben die Entwicklung von
zwei Inseln betrachtet. Auf jeder Insel herrscht
Gleichheit hinsichtlich der Kinderzahl pro Frau.
Nach 50 Jahren hat jede Insel ihr maximales
Bevölkerungsniveau erreicht, aber die Anzahl der
Menschen ist genauso verschieden wie das
Durchschnittsalter. Welch ein Glück, dass es auf
den beiden Inseln keine Sozialpolitiker gibt, die
würden doch glatt die Roboteramme für die
unterschiedliche demografische Entwicklung
verantwortlich machen!
Jetzt aber
zur Insel C. Hier werden die Unterschiede erst
nach 70 Jahren deutlich. Dann ist die endgültige
Bevölkerungszahl von 16 Personen erreicht. Auf
der Insel leben zu diesem Zeitpunkt doppelt so
viele Menschen wie auf Insel A. Aber, ach du
Schreck! Das Durchschnittsalter ist mit 40 Jahren
doppelt so hoch wie auf Insel A. Greisenstaat!
Aber weit und breit ist kein Kinderloser, außer
der Roboteramme, die inzwischen im Museum steht,
weil sie ja nur zur Aufzucht der ersten
Generation gebraucht worden ist. Es ist also ein
bevölkerungsreicher Greisenstaat entstanden und
das ganz ohne Kinderlose!
Welch ein
Glück, dass es sich um eine Gemeinschaft handelt
und nicht um eine fortschrittliche Gesellschaft
mit Arbeitsteilung und Sozialstaat, denn dies
wäre der Ruin dieser idealen
Familiengesellschaft.
Liebe
Eltern und Kinderlose! Stellen Sie sich das vor.
Die Beseitigung der lebenslangen Kinderlosigkeit
schafft dieses Problem nicht aus der Welt. Die
steigende Lebenserwartung hat den statisch
verstandenen Generationenvertrag
gekündigt. Jede Generation muss mehr Kinder zur
Welt bringen als die Elterngeneration, wenn die
Altersstruktur gleichbleiben soll. Dieser Geburtenwettlauf
kann nicht gewonnen werden. Wer den Effekt der
zunehmenden Lebensdauer durch steigende
Geburtenzahlen kompensieren will, der erhöht
ständig das Bevölkerungsniveau und damit wird
letztlich das Problem nur verschoben, aber nicht
gelöst.
Die
steigende Lebenserwartung führt dazu, dass
heutzutage immer mehr Menschen ihre Urgrosseltern
oder Urenkel kennen lernen können. Diese Chance
hat einen Preis, den alle bezahlen müssen.
Der
generative Wandel in den 60er Jahren war kein
Fluch, sondern ein Glück. Wir sollten die
gegenwärtigen Probleme der Rentenversicherung
ebenfalls als Chance begreifen - für einen
Umbau, der die Rentenversicherung auf eine
breitere Basis stellt und für mehr Gerechtigkeit
sorgt. Es ist nicht einzusehen, dass
Selbständige, Beamte und besser verdienende
Angestellte bisher nicht einzahlen oder nicht im
Rahmen ihrer Möglichkeiten. Eine Möglichkeit
wäre die weitgehende Steuerfinanzierung der
Renten, wie es in anderen europäischen Ländern
schon der Fall ist.