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Monarchie und Alltag
"Ich
schau mich um und seh´ nur Ruinen,
vielleicht liegt es daran, daß mir
irgendetwas fehlt."
(aus: Fehlfaben "Paul ist tot",
Album "Monarchie und Alltag", 1980) |
Ein
Abgesang auf die Abgesänge
Abgesänge
sind gerade hip und single-generation.de möchte dazu
seinen ureigensten Beitrag leisten. Seit dem 11.
September muss alles anders sein, damit sich
nichts verändern muss. Die
Vorreiterin des Abgesangs war MADONNA, die mit
"American Pie" von Don McCLEAN
dem Anti-Pop sein erstes popmodernes Feeling verliehen hat
. Stimmt nicht, werden jetzt die
Besserwisser sagen und sie haben recht, aber
MADONNA passt in diesem Zusammenhang einfach am
besten. Womit wir ganz nebenbei das
Leistungsprinzip von Pop abgehakt haben. Spassgesellschaft,
Popliteratur und Grüne. Sie alle haben eines
gemeinsam. Auf sie werden Abgesänge verfasst,
denn Totgesagte leben länger - und zwar als
Untote.
Pop
muss sterben - Eine Ursachenanalyse
Hintergrund
der Abgesänge auf den Pop sind jedoch nicht die
Ereignisse vom 11. September, sondern ein
externes und ein internes Problem des
Kulturbetriebs. Massiver
Stellenabbau droht! Angst vor dem Absturz
(Barbara EHRENREICH) bedroht eine Branche, in der
man bisher zur Karriere verdammt war, wenn man
der Yuppie-Literatur glaubt.
Distinktionsgewinne
müssen also her. BOURDIEU hat in seinem Buch
"Die feinen Unterschiede" die
überholte Lightversion für diese Situation
verfasst.
Popliteratur
ist gekennzeichnet durch die Provokation, die
einem Steigerungsmechanismus unterliegt, den
Gerhard SCHULZE in seinem Buch "Kulissen
des Glücks" ausführlich beschrieben
hat. Dieser Steigerungsmechanismus funktioniert
jedoch nicht mehr so richtig. Das zeichnete sich
schon längere Zeit ab.
Das
Funktionsprinzip von Anti-Pop
Ein neues -
pardon altes - Prinzip muss her: die
Dialektik
von Pop und Antipop als grundlegendes
Funktionsprinzip der Popmoderne. Pop
funktionierte nach dem Muster: Sexy - sexier - am
sexiesten. Wahlweise auch: Spass - spassiger - am
spassigsten. Das nannten die Verächter dann
Spassgesellschaft
.
Anti-Pop
funktioniert dagegen nach dem Prinzip: anders -
andersier - am andersten. Die populärste
Variante dieses Prinzips heisst: bedroht -
bedrohter - am bedrohtesten. Das zeigt schon,
warum die Grünen auf alle Fälle überleben
werden. Sie haben den Naturschutz salonfähig
gemacht. Als Untoter lebt er nun im Prinzip des
Anti-Pop erst so richtig auf!
Die
bedrohtesten Arten - Eine Naturschutzkunde und
ihre Naturschützer
Die
Bedrohungen in der "Risikogesellschaft"
sind vielfältig, weswegen hier nur 3 typische
Bedrohungen herausgegriffen werden sollen.
Der Monarch
- Der Untote der Spassgesellschaft
An
erster Stelle der bedrohten Arten steht der Adel. Es sind
jedoch weniger die Blaublüter selbst, die
gefährdet sind, sondern ihre guten Sitten, d.h.
die adelige Etikette. Die Nachfahren des Freiherr
von KNIGGE waren lange Zeit ein untergeordnetes
Phänomen. Seit Cora STEPHAN - eine Angehörige
der 78er-Generation - den Hilferuf "Neue
deutsche Etikette" (1995) verfasst hat,
sind solche Kniggen jedoch inflationär geworden.
Neue deutsche Etikette
"Von den modernen
Benimmbüchern verdient zumal eines immer
wieder Erwähnung »1x1 des guten Tons« von
Sybil Gräfin Schönfeldt. In diesem
souveränen Handbuch für die kultivierte
Jugend geht es längst nicht mehr nur allein
um die Tischordnung, wie man einen
Heiratsantrag macht und warum es unschön
ist, sich in Gesellschaft anderer über die
Funktion der eigenen Verdauungsorgane
auszusprechen (...) Das »1x1 des guten
Tons« ist vielmehr ein ungemein
aufgeklärtes Werk, das (...) mit einer
angenehmen Lebensphilosophie aufwartet: daß
gutes Benehmen (...) den demokratischen
Gepflogenheiten nachgerade kongenial
sei."
(1995,
S.29f.) |
Man
kann das Schreiben eines Knigges oder das
Unterrichten in guten Manieren als eine ABM für
den unterforderten Adel auffassen. Der
Monarchist Dirk SCHÜMER hat in der FAZ von der durchgesetzten
Spassgesellschaft geträumt
(vgl. "Gekrönte Moderne", FAZ 19.11.2001). Zur
Vollendung fehlt ihm in Deutschland nur noch die
Monarchie. Der Popadel von Steffi GRAF bis Boris
BECKER ist ihm nicht genug, um der Politik jene
absolutistische Handlungsfreiheit zu gewähren,
die ihm notwendig erscheint. Die
Monarchie garantiert für SCHÜMER zudem das
ungezügelte Konsumieren und einen
angstfreien
Hedonismus. Es reicht nicht, wenn Steffi
Mutter wird. Blaues Blut ist notwendig: statt der
Bundestagswahl soll in der gekrönten
Spassgesellschaft die "Gattenwahl des
Aristokratenclans" im Zentrum des
öffentlichen Interesses stehen.
Astrid von
FRIESEN hat bereits zu Zeiten des
New-Economy-Hypes die Vorzüge dieser
Adelsgesellschaft gepriesen (SZ v. 29.04.2000
).
Ihre gekrönte Moderne sieht jedoch weniger
hedonistisch, dafür mehr familär aus. Beide
zusammen sollten doch in der Lage sein den
drohenden Bevölkerungsrückgang
(Bedrohungsszenario: Aussterben) zu stoppen. Die Methode
Scharping zeigt jedoch bereits die Klippen dieser
genetischen Altengesellschaft auf. Wer nicht
dazugehört, der muss Hürden nehmen, wobei wir
bei der nächsten bedrohten Art wären.
Die
Hochkultur - Der Untote der Popliteratur
Neben
dem Adel ist auch die Hochkultur bedroht. Dorothea
DIECKMANN träumt deshalb in der ZEIT von jener goldenen Zeit, als der
Begriff
"Trivialliteratur" die Grenze
zwischen der Elite und den Massen definierte
(vgl. "Wenn Literatur zum Geschwätz verkommt", Die Zeit
22.11.2001).
Dies wird oft als eine Frage des guten oder
schlechten Geschmacks missverstanden. DICKMANN
nennt das literaturwissenschaftlich korrekt
Ästhetik, BOURDIEU nennt das dagegen
soziologisch schlicht die feinen Unterschiede. Elitismus
verzeichnet schon seit einiger Zeit ungeahnte
Distinktionsgewinne. Bestes Beispiel dafür ist
der Popliterat Jonathan FRANZEN, der den
zeitgeistigen Roman "The Corrections"
geschrieben hat. FRANZEN würde dieses Label
natürlich strikt ablehnen, denn er ist ein
Popliterat in Form des Anti-Pop-Literaten. Im Urland
der Chancengleichheit - den USA - ist Elitismus
eine gezielte Provokation, der
Medienaufmerksamkeit garantiert. FRANZENs
Strategie des beschränkten Tabubruchs bescherte
ihm den begehrten National Book Award. Kulturgüter
von "Hochkulturhütern" für die
Massen, dieser Spagat ist auch der Traum von
DIECKMANN. Als Beispiel für Hochkultur nennt
DIECKMANN ausgerechnet den Popliteraten der
68er-Generation Peter HANDKE! Was hätten die
Gralshüter vor einer Generation dazu gesagt? Das
gleiche wie DIECKMANN über Judith HERMANN:
Trivialliteratur! Und dass sie ihren
konkurrierenden Seelenverwandten Dietrich
SCHWANITZ abwertet, gehört schließlich zum
Geschäft des Literaturbetriebs. Noch
einen Schritt weiter ist F. C. DELIUS in seinem Buch Der Königsmacher gegangen.
In diesem Roman spielt der erfolglose
Schriftsteller Albert Rusch aus der
78er-Generation die Hauptrolle.
Der Königsmacher
"Albert
Rusch, ein Schriftsteller mit wenig Erfolg,
will endlich einen Bestseller schreiben und stößt auf der Suche
nach einem passenden Stoff auf eine alte Familiengeschichte:
Seine Urururgroßmutter war das uneheliche Kind einer Berliner
Tänzerin und des Prinzen von Oranien, der später als Willem I.
den holländischen Thron bestieg. Die heimliche Königstochter
wuchs in einer mecklenburgischen Adelsfamilie auf, wurde zur
Hochzeit mit dem falschen Mann gezwungen, erhielt ein Vermögen
und starb nach einer freudlosen Ehe mit 23 Jahren, ohne je
erfahren zu haben, wer ihre Eltern waren.
Adel und
Boheme, Macht, Liebe, Geld, Intrigen, Leidenschaft, Tod
- ideale Voraussetzungen für einen auflagenträchtigen
Frauenroman. Doch wie lässt sich eine romantisch-traurige
Geschichte aus dem 19. Jahrhundert heute erzählen? Als
konventionelle historische Schmonzette, wie es ihm sein Verlag
nahe legt, oder als anspruchsvolle Literatur, wie es ihm selbst
vorschwebt? Ist ein Roman überhaupt Erfolg versprechend, oder
sollte es ein Drehbuch sein?"
(aus: Klappentext 2001) |
Diese
Single-Generation
ist arbeitsmarktmäßig eine Lost Generation, vor
allem, wenn man als Mann auf die Welt gekommen
ist: um vom Wirtschaftswunder zu profitieren ist
man zu spät geboren und zu früh, um die
Freiräume des digitalen Kapitalismus zu nutzen.
Vor diesem Selbstbekenntnis dieser Generation der
Zukurzgekommenen wird der Roman verständlich.
Auswege aus
der Misere der Erfolglosigkeit bietet neben
Lotto- oder Börsenspiel eigentlich nur die
Selbstvermarktung
als Adliger. In den Exklusionskämpfen
der Mediengesellschaft - Bodo KIRCHHOFF nennt das
auch den "Verteilungskampf um
Prominenz" - garantiert die Blaublütigkeit
Distinktionsgewinne. Man muss diese aber zu
nutzen wissen, wie der Roman zeigt.
Der
Familienmensch - Der Untote der
Singlegesellschaft
Die
bedrohteste Art der
"Singlegesellschaft" ist die
Normalfamilie. Diese viel beschworene
Normalfamilie
wird erst so richtig begehrenswert vor dem Gegenbild ihrer
Bedrohung: dem Single
.
Jürgen
LINK bezeichnet die Methode, die heutzutage
angewandt wird, als "flexiblen
Normalismus". Mittels Statistik und
Begriffspolitik wird der Single als die
dominierende Lebensform konstruiert, um damit den
Untergang der Familie bis zum Aussterben
der Deutschen plausibel machen zu können . Der
Individualisierungsprozess führt nach den
apokalyptischen
Varianten, die man als
Manifeste
der Anti-Single-Gesellschaft bezeichnen
könnte, bis zur Selbstauslöschung der
individualistischen Kultur. Im
schlimmsten Fall soll der Familienmensch - wie
ein Phönix aus der Asche - den Ruinen der
Single-Gesellschaft entsteigen.
Demian
"Sie fühlen alle, daß
ihre Lebensgesetze nicht mehr stimmen, daß
sie nach alten Tafeln leben, weder ihre
Religionen noch ihre Sittlichkeit, nichts von
allem ist dem angemessen, was wir brauchen.
Hundert und mehr Jahre lang hat Europa bloß
noch studiert und Fabriken gebaut! Sie wissen
(...) nicht, wie man zu Gott betet, sie
wissen nicht einmal, wie man eine Stunde lang
vergnügt sein kann. Sieh dir einmal so eine
Studentenkneipe an! Oder gar einen
Vergnügungsort, wo die reichen Leute
hinkommen! Hoffnungslos! - Lieber Sinclair,
aus alledem kann nichts Heiteres kommen.
Diese Menschen, die sich so ängstlich
zusammentun, sind voll von Angst und voll von
Bosheit, keiner traut dem andern. Sie hängen
an Idealen, die keine mehr sind, und
steinigen jeden, der ein neues aufstellt. Ich
spüre, daß es Auseinandersetzungen gibt.
Sie werden kommen, glaube mir, sie werden
bald kommen! (...) Diese Welt, wie sie jetzt
ist, will sterben, sie will zugrunde gehen,
und sie wird es."
(aus: Hermann Hesse
"Demian", 1919, zitiert nach 1974) |
Diese
Klage über die Spassgesellschaft am Vorabend des
1. Weltkrieges klingt heutzutage erschreckend
modern. KÜPPER schreibt in ihrer Dissertation
"Sind Singles anders als die anderen?
Ein Vergleich von Singles und Paaren"
zum Thema "Single-Gesellschaft":
Sind Singles anders?
"Singles haben
Symbol-Funktion gewonnen, so daß aus dem
Blick geraten ist - oder vielleicht auch gar
nicht interessiert - wie sie denn eigentlich
wirklich sind. So wird ein
»Phantom« instrumentalisiert und
damit sowohl trivialisiert als auch
dämonisiert"
(2002) |
Diese
Einschätzung aus dem Jahre 2000 (unveröffentlichte Dissertation) gilt heutzutage
mehr denn je.
Ein
Ausblick: Houellebecq ist tot. Es leben die
"Elementarteilchen"!
Der schöne
Vogel Phönix
"Die
Schneematschmonate werden jetzt kommen oder
auch Monate mit richtigem Schnee, das bleibt
sich gleich, ich habe den Winter nie gemocht,
er ist zu nichts gut als zum Frieren. Ich
werde mein Bestes tun, um ihn zu überleben.
Überleben ist schwieriger geworden."
(1979, S.253) |
Das sind die letzten Sätze in
Jochen SCHIMMANGs Buch
Der schöne
Vogel Phönix. Erinnerungen eines
Dreißigjährigen Im
Mittelpunkt dieses Romans steht nicht die
Generation Golf, sondern er handelt
von den Jahren 1964 bis 1978. Der Protagonist
Murnau ist Single und hat die Spätphase der
Studentenbewegung in Berlin miterlebt. Er ist ein typischer
Angehöriger der Single-Generation,
aufgebrochen aus der Provinz in die
verheißungsvolle Großstadt Berlin
. Gerade noch rechtzeitig gekommen, um vor dem
Scherbenhaufen der Ansprüche zu stehen. Es sind die
Worte eines Menschen im beziehungsfähigen Alter
ohne feste Partnerschaft, wie KÜPPER sie
untersucht hat. Partnerlosigkeit in der
Paargesellschaft ist wie Überwintern,
wenn man nicht zu den überzeugten Singles
gehört.
"Wenn die Nacht am
tiefsten ist, ist der Tag am nächsten",
hat Rio REISER zu jener Zeit gesungen, das war
lange bevor er der König
von Deutschland wurde.
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