|
Zitate
aus der Debatte um die Spaßgesellschaft
Die neue Lust am Leiden
"Eine
Kultur, die sich selbst als
'Spaßgesellschaft' verachtet, kann so heiter
nicht sein. Die Spaßgesellschaft hat keinen
Augenblick an sich selbst geglaubt. Und sie
hat sich als Falle erwiesen."
(Georg Seeßlen im
Tagesspiegel v. 21.10.2000)
Die Spaßgesellschaft braucht die kalte Dusche
"Spielen
statt Denken, auch das wäre eine, die
andere, die nur scheinbar harmlose Erbschaft
aus 68. Das dialektische 'make love not war'
verdichtete sich zum eindimensionalen 'have
fun' . Für diesen Befund gibt es ja auch
längst den richtigen Begriff:
Spaßgesellschaft. Bezeichnend ist
allerdings, dass sich diese Spaßgesellschaft
als Negation, nicht als Ergänzung zur einst
so geheiligten Denkgesellschaft
realisiert."
(Alexander Schuller in der
Welt v. 02.02.2001.)
Fellachen der Spaßgesellschaft
"Die
Spaßgesellschaft, der Mythen und Symbole,
die Künste wie die Religion gleichgültig
sind, sieht nicht, dass eine Gesellschaft,
die sich nicht erinnert, zerfällt und eine
Gesellschaft ohne Utopie und exemplarisch
vorgetragener Abweichung von sich selbst
erstickt. Die Spaßgesellschaft gefährdet
den Standort Deutschland mehr, als es die von
der Industrie so gern beklagte
Überregulierung je könnte."
(Alexander Gauland in der
Welt v. 27.03.2001.)
Kein Herz für Familien
"Toleranz
für kleine Kinder - Fehlanzeige: Die
Interessen der Spaßgesellschaft reiben sich
mit denen junger Familien, und die werden
weniger"
(Welt am Sonntag v.
09.09.2001)
Sie machen Witze!
"»Will
ich als Single weiterleben? Haben wir noch
das Recht zu lieben, zu hoffen, auf Glück,
Lachen, Trinken, Unbekümmertheit?« (...)
»Ja verdammt!« "
[mehr]
(Sascha Lehnartz in der
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v.
07.10.2001)
Mitten im Kampf: Kann die Kultur noch überwirklich sein?
"Daß die Spaß- und
Erlebnisgesellschaft plötzlich ein Ende
haben würde, konnte nur annehmen, wer diese
für einen bloßen Zuckerguß hielt, unter
dem eine davon unterschiedene wahre,
substantielle Kultur verborgen sei. Viel
wahrscheinlicher ist, daß beide nach
denselben Regeln funktionieren und daß es
jenseits dieser Regeln nichts gibt, was
kulturell artikulierbar wäre."
(Mark Siemons in der FAZ v.
16.10.2001)
|
Eine kurze
Begriffsgeschichte

Der Begriff
"Spaßgesellschaft" wurde
erstmals in der taz vom 23. Januar 1993
verwendet, wenn die Recherche von Lutz
HACHMEISTER ("Die Phantome der Humor-Analysten", Tagesspiegel v. 07.04.2001)
korrekt ist. Es ging dabei um Fußball, also ein
Phänomen der Freizeitkultur. Damit begann eine
Karriere, deren Höhepunkt um die
Jahrtausendwende erreicht wurde. Seit dem 11.
September 2001 hat die Formel vom "Ende
der Spaßgesellschaft"
Hochkonjunktur. Gestern meldete die Süddeutsche
Zeitung, dass ein Verlag bereits das
Copyright auf diesen Titel erhoben habe. Klaus
PODAK nennt Peter SCHOLL-LATOUR als den
vermutlichen Autor. Dies liegt nahe, denn
Informationen, die sich selbst dementieren
"Peter
Scholl-Latour antwortete in dieser Woche in
meiner Sendung auf die Frage, was jener
Verteidigungsfall, den die Nato beschlossen hat,
für die Welt bedeute, mit einem Satz: Das Ende
der Spaßgesellschaft".
(Michel Friedman in
der SZ v. 18.09.2001)
|
Aber der
11. September bedeutet keinen Bruch - wie das
SCHOLL-LATOUR behauptet - , sondern er hat nur
Tendenzen beschleunigt, die bereits vorher in der
Gesellschaft spürbar waren. »Schafft die
Spaßgesellschaft ab!« Sonst geht die soziale
Lebensqualität in Deutschland verloren
betitelte der Freizeitpapst Horst W. OPASCHOWSKI
ein Essay in der Zeitschrift Spektrum
Freizeit. Forum für Wissenschaft, Politik &
Praxis. Das war vor dem 11. September und
stellte eher schon den Höhepunkt und nicht der
Beginn der Debatte vom "Ende der
Spaßgesellschaft" dar.
Was ist die
Spaßgesellschaft?
Was mit dem Begriff
"Spaßgesellschaft" bezeichnet wird,
das ist von Autor zu Autor unterschiedlich. Dies
spricht nicht für die Behauptung von Wolfgang
SCHÄUBLE (Welt v. 12.09.2001), dass
dies ein soziologischer Begriff geworden ist.
Ganz zu schweigen davon, dass innerhalb
der Soziologie viele
Gesellschaftsbegriffe um die Beschreibung unserer
Wirklichkeit konkurrieren. Armin PONGS
hat z.B. 24 gebräuchliche soziologische
Gesellschaftsbegriffe in einem 2 Bände
umfassenden Werk (In welcher Gesellschaft
leben wir eigentlich?) aufgeführt. Die
Spaßgesellschaft fehlt jedoch!
Die Erlebnisgesellschaft
"1992
erschien Die Erlebnisgesellschaft zum ersten Mal –
und machte rasch Furore. Heute kann der Text mit Fug und
Recht als moderner Klassiker der Soziologie gelten.
Gerhard Schulze konstatierte einen umfassenden Wandel in
unserer Gesellschaft, durch den das Leben zum
Erlebnisprojekt geworden ist. Die Erlebnisorientierung ist
die unmittelbarste Form der Suche nach Glück. Eine Suche,
die noch längst nicht abgeschlossen ist – diese neue Art
zu leben müssen wir erst lernen und die Folgen noch
bewältigen. Dies gilt auch heute noch: Die Sucht nach dem
Kick und nach Performance ist eher gewachsen, und damit
ist Gerhard Schulzes Analyse aktueller denn je."
(aus: 2. Auflage, 2005) |
Nichtsdestotrotz gibt es einen
soziologischen Begriff, der dem nahe kommt, was
in erster Linie damit gemeint ist. Es ist der
Begriff
"Erlebnisgesellschaft", der
von dem Kultursoziologen Gerhard SCHULZE geprägt
wurde. Sein Buch "Die
Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der
Gegenwart" ist 1992 erschienen und hat
es bisher auf 8 Auflagen gebracht. Seitdem hat
der Soziologe sein Konzept
"Erlebnisgesellschaft" immer wieder den
veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen
angepasst. SCHULZE stützt sich
mit seinem Gesellschaftsverständnis auf den
Prozess der Individualisierung,
der von dem Soziologen Ulrich BECK seit Ende der
1980er Jahre popularisiert worden ist. Mit der
Individualisierung werden Phänomene wie
Vereinzelung
oder Atomisierung des Sozialen in
Verbindung gebracht. Hierfür hat sich auch das
Schlagwort von der "Single-Gesellschaft"
eingebürgert.
SCHULZE interessiert sich
dagegen für die Entstehung neuer Milieus,
die durch diesen Prozess hervorgebracht werden.
Der Soziologe unterscheidet 5 verschiedene
Erlebnismilieus, die sich in den 1980er Jahren
herausgebildet haben sollen:
-
1) Das Niveaumilieu entspricht
am ehesten bildungsbürgerlichen Vorstellungen,
wonach es eine strikte Trennung zwischen
Hochkultur (E-Kultur) und seichter Unterhaltung
(U-Kultur) geben sollte.
2) Das Harmoniemilieu kommt
Vorstellungen vom Unterhaltungsbedürfnis der
Arbeiterschicht nahe, das früher für
Heimatfilme und Volksmusik stand.
3) Das Selbstverwirklichungsmilieu
ist dagegen jenes Milieu, das in Medienberichten
oftmals im Mittelpunkt des Interesses steht.
Diesem Milieu werden Hedonismus
und Narzissmus zugeschrieben.
4) Das Unterhaltungsmilieu ist
an Spannung und Action interessiert (hier finden
sich die Liebhaber von Computerspielen und
Action-Videos wieder), während
5) das Integrationsmilieu alle
Unterschiede zwischen U- und E-Kultur ignoriert
und sich aller Stilelemente der vorgenannten
Milieus bemächtigt.
Die
Mediendebatte um die Spaßgesellschaft
Gegenüber den Differenzierungen im
Konzept "Erlebnisgesellschaft" von
Gerhard SCHULZE fallen die Debatten in den Medien
weit zurück. Die Debattenteilnehmer lassen sich
jedoch unschwer jeweils den verschiedenen
Erlebnismilieus zuordnen.
Die Debatte
um die Popliteratur und ihr Ende ist in diesem Sinne
ein Nebenschauplatz der Debatte um das Ende der Spaßgesellschaft
. Nach SCHULZE lassen
sich die Erlebnismilieus auf die Faktoren
Alter/Generation und Bildung zurückführen. In
den Medien steht dagegen der Generationenkonflikt
im Vordergrund:
Generation Golf
und 68er sind jene
Kontrahenten, die am profiliertesten in den Feuilletons in Szene
gesetzt werden
.
Die Phantome der Humor-Analysten
"Die Spaßgesellschaft ist
ein Phantom denkfauler Politiker und Mittelstandsjournalisten,
denen die Muße zur intelligenten Beschreibung kultureller
Ursachen und Wirkungen fehlt"
(Tagesspiegel 07.04.2001)
|
heißt es bei Lutz HACHMEISTER, aber er ist optimistisch, dass sich
die Debatte bald erledigt:
Die Phantome der Humor-Analysten
"Wenn sich ein
Schlagwort erst einmal von der 'taz' über den
'Spiegel' bis zum 'Focus'-Titel durchgefressen
hat, so wissen wir aus der modernen
Medienforschung, ist der Exitus meist nicht mehr
fern."
(Tagesspiegel 07.04.2001)
|
Mit
der
Formel vom "Ende der
Spaßgesellschaft" ist die Debatte
jedoch nicht beendet, sondern der Konflikt ist
nur transformiert worden. Alexander
GAULAND schreibt dazu unter der Überschrift Es
geht wieder um etwas:
Es
geht wieder um etwas
"Unter der
Oberfläche der Spaßgesellschaft tobt ein neuer
Kulturkampf - und das ist gut so." Er
plädiert in diesem Artikel für einen
"Aufstand der Verwurzelten".
(Welt
vom 11.09.2001)
|
Dies zeigt, dass es nicht
allein um die Frage der "Geschmacksdiktatur
in der Spaßgesellschaft" (Focus vom
26.03.2001) geht. Nicht die Frage, welche
Fernsehformate ("Big Brother") oder
welche Personen für den Spaß stehen (Harald
SCHMIDT, Verona FELDBUSCH usw.) ist entscheidend,
sondern im weiteren Sinne geht es um einen Kampf
der Kulturen oder genauer: Kampf der
Lebensstile.
Die
Ausweitung der Kampfzone
Nicht nur die Mediengesellschaft
wird verhandelt, sondern in erster Linie die
Pluralisierung
der Lebensformen. Hier erfolgt dann ein
folgenreicher Kurzschluss in der Argumentation:
Die unterschiedlichen Erlebnismilieus werden
bestimmten Lebensformen zugeschrieben. Damit wird
aus einer Frage des Geschmacks unter der Hand
eine Frage der Haushaltsform.
Für den Spaßtheoretiker
Reinhard MOHR ist klar:
Entzauberung von rechts
"Die
Spaßgesellschaft zeugte ihre Computerkids, und
der Single wurde zum Symbol, zur Leitfigur tief
greifender Veränderungen der Lebensformen"
[mehr]
(Spiegel Nr.5 v. 31.01.2000).
|
Hier wird
nahe gelegt: Spaßgesellschaft =
Single-Gesellschaft. In diesem Sinne sind wir
mitten in der Kontroverse "Familien
contra Singles", die von den
Polarisierern zugespitzt wird.
Der sozialpolitische
Verteilungskampf hat seit der Wiedervereinigung
seinen Ausdruck in der Polarisierungsthese
gefunden. Die Rede von einem Familien- und einen
Nicht-Familiensektor lässt sich leicht mit einem Antagonismus in
der Spaßgesellschaft verbinden
. Der Bevölkerungsrückgang
wird dann genauso zu einem Problem der
Spaßgesellschaft wie die fehlende Bereitschaft
Verantwortung für Familie und Gesellschaft zu
übernehmen. Selbstverwirklichung, Hedonismus und
Narzissmus sind dann Merkmale der Singles,
während der Familie Opferbereitschaft,
Verantwortung und Selbstlosigkeit zugeschrieben
wird.
Nach dem 11.
September war es Heimo SCHWILK, der den bisher
umfassendsten "Gegenentwurf"
zur Spaßgesellschaft vorgelegt hat
("Der Bürger kehrt zurück"; Welt
am Sonntag vom 30.09.2001). Der
Spaßgesellschaft soll die
Verantwortungsgemeinschaft folgen.
SCHWILK beruft sich u. a. auf Meinhard MIEGEL,
dessen Bevölkerungstheorie sich auf den
Gegensatz
von "individualistischen" und
"kollektivistischen" Kulturen gründet.
Individualistische Kulturen sind nach MIEGEL dem
Untergang geweiht, weil sie aussterben oder
ausgelöscht werden
. SCHWILK möchte ein
"Zurück zur Familie" und beklagt
deshalb, dass die Berufstätigkeit der
Mutter in unserer Gesellschaft nicht als
unmoralisch gilt.
Fazit
Der 11. September hat Tendenzen
beschleunigt, die bereits vorher spürbar die
Mediendebatte beherrscht haben. Singles geraten
dadurch noch stärker in die Defensive.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
|
|