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Einführung
Seit den 1960er/1970er
Jahren ist alles anders. Die Sexuelle Revolution hat die Tabus
hinweggefegt. Jungfräulichkeit spielt seitdem keine Rolle mehr.
Tatsächlich? Das Buch Mythos Jungfrau der
Kulturwissenschaftlerin Anke BERNAU zeigt, dass die alten Mythen
um die Jungfräulichkeit keineswegs mit der sexuellen Revolution
obsolet geworden sind, sondern in veränderter Form
weiter existieren.
Mythos Jungfrau
"Die
von konservativen Beobachtern gemeinhin vertretene Meinung,
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe es, was die
Sexualität betrifft, einen absoluten (und katastrophalen)
Bruch mit den sogenannten traditionellen Werten gegeben, ist
irreführend: Jungfräulichkeit beispielsweise blieb während
der darauf folgenden Jahrzehnte ein wichtiges Kennzeichen
persönlicher und gesellschaftlicher Identität. Auch wenn in
den 1980er und 1990er-Jahren ein Trend zu verzeichnen war,
Jungfräulichkeit als Peinlichkeit für Jungen und
Mädchen anzusehen, war sie nach wie vor bedeutsam und ihr
Verlust wurde als Initiationsritus begriffen. Da fast
überall die Überzeugung herrscht, das Abhandenkommen der
Unschuld sei einer der wichtigsten Wendepunkte im
Sexualleben, dient der Jungfräulichkeitsverlust als
Aufhänger für so manche in der Gesellschaft verbreiteten
Ängste und wurde zum Gegenstand heftiger Diskussionen."
(2007, S.169) |
Die sexuelle Revolution
ist zwar eine Zäsur gewesen, aber es gab bereits davor Epochen,
in denen Jungfräulichkeit andere Bedeutungen hatte, die nicht so
weit von jenen der sexuellen Revolution entfernt waren.
Die USA
ist zudem mittlerweile Vorreiter einer neuen
Keuschheits-Welle, die bereits seit den 1980er Jahren in
zunehmendem Maße die politische Agenda bestimmt. Steht uns also ein
neues viktorianisches Zeitalter bevor?
Das
Buch Mythos Jungfrau schlägt einen weiten Bogen vom
Mittelalter bis zur Jetztzeit. BERNAU beschränkt sich dabei auf
den angelsächsischen Raum. Außerdem wird die Problematik aus der
Genderperspektive betrachtet. Hier wird deshalb gefragt,
inwiefern die Erkenntnisse von BERNAU auch für Deutschland
Relevanz haben.
Was versteht man unter
Jungfräulichkeit?
Eine allgemeingültige
Definition von Jungfräulichkeit gibt es nicht. In der Geschichte
hatte Jungfräulichkeit verschiedene Bedeutungen, die zwischen
den Polen physiologischer Tatbestand und Einstellung liegen. So
stellt sich u.a. die Frage, inwiefern bestimmte sexuelle
Praktiken die Jungfräulichkeit beschädigen oder ob eine
Vergewaltigung zum Verlust der Unschuld führt. Der Untertitel
lautet zwar Die Kulturgeschichte weiblicher Unschuld.
Nichtsdestotrotz wird das Thema männliche Jungfräulichkeit
nicht völlig ausgespart. Es wird z.B. gefragt inwiefern sich
männliche und weibliche Jungfräulichkeit voneinander
unterscheidet.
BERNAU
verfolgt das Thema in verschiedenen Textsorten. So werden
medizinische, religiöse, rechtliche und machtpolitische Aspekte
des Themas sichtbar gemacht. Das Bild von Jungfrauen wird aber
auch anhand der Literatur oder Filmen analysiert.
Jungfräulichkeit aus medizinischer Sicht
In der medizinischen
Literatur steht u.a. die Frage im Mittelpunkt, wie festzustellen
ist, ob eine Frau noch Jungfrau ist. Es scheint nahe liegend, das Ende der Jungfräulichkeit mit dem
so genannten Jungfernhäutchen (Hymen) in Verbindung zu bringen.
Tatsächlich wird dies bis heute immer noch versucht, obwohl der Rückschluss von der Beschädigung des Jungfernhäutchen auf den
Verlust der weiblichen Unschuld mit großer Unsicherheit
behaftet ist, aber bisweilen fragwürdige (Wiederherstellung durch
plastische Chirurgie), wenn nicht gar tödliche Folgen für Frauen
hat.
Bei
ihrem Streifzug durch die medizinischen Theorien gerät nicht nur
das Jungfernhäutchen, das erstmals im 15. Jahrhundert in
medizinischen Schriften erwähnt wird, in den Blick, sondern man
versuchte Jungfrauen anhand ihres Urinierens, der Blutungen, der
Gebärmutter oder sogar mittels ihres Geruchs (man denke hier an
den Bestseller Das Parfum) von solchen zu unterscheiden,
die ihre Jungfräulichkeit nur vorzutäuschen versuchten.
Eine
andere zentrale Frage ist jene nach dem Zusammenhang zwischen
Jungfräulichkeit und Frauengesundheit. Die
Gesundheitsgefährdung durch Jungfräulichkeit wird von BERNAU
anhand verschiedener Vorstellungen aufgezeigt, die sich im
Mittelalter herausgebildet haben. Neben der weit verbreiteten
Viersäftetheorie von GALEN kursierten u.a. auch Vorstellungen von
"giftigen Jungfrauen":
Mythos Jungfrau
"Nehme
man das Haar einer menstruierenden Frau (wenn der Mond im
Skorpion oder im Widder steht oder aber Venus im Zeichen der
Jungfrau) und es in einen Misthaufen legen, entstehe eine
Schlange." (2007, S.21) |
BERNAU zeigt, dass die
Krankheitsbilder je nach Epoche wechselten. So standen während
der Aufklärung eher psychische Folgen im Vordergrund. Obwohl ab
dem 12. Jahrhundert der Sexualität zwar meist eine
gesundheitsfördernde Qualität zugesprochen wurde, gab es jedoch
immer wieder Einschränkungen, die im Zusammenhang mit Ehe
und Familie standen. Dies galt in England insbesondere für das
Viktorianische Zeitalter.
Jungfräulichkeit aus christlicher Sicht
Wichtiger als die
medizinische Sicht ist für BERNAU die Religion:
Mythos Jungfrau
"Auch
wenn wir Definitionen von Jungfräulichkeit zunächst bei den
Medizinern suchen: Höchste Instanz war in den vergangenen
800 Jahren doch überwiegend die Religion. Die über
Jahrhunderte andauernde zentrale Bedeutung religiöser
Wissenschafts- und Bildungsinstitutionen im abendländischen
Kulturkreis hatte zur Folge, dass das Christentum den
Jungfräulichkeitsbegriff in der Gesellschaft grundlegend
prägte. Wir mögen uns dessen nicht immer bewusst sein, aber
dieser Einfluss ist auch heute noch spürbar." (2007, S.40) |
Es wird ausführlich auch auf Differenzen zwischen den verschiedenen
Glaubensgemeinschaften wie Katholiken und Protestanten
eingegangen, die ihrerseits wiederum ihre Strategien und
Politiken hinsichtlich der Bewertung der Jungfräulichkeit im
Laufe der Zeit änderten.
Während
BERNAU gerade auch im Hinblick auf die USA die Sichtweise des
Protestantismus in den Mittelpunkt rückt, betrachtet Katrin
BAUMGARTEN in ihrer volkskundlichen Arbeit die Abwertung
unverheirateter Frauen in Deutschland insbesondere im
Zusammenhang mit dem Marienkult:
Hagestolz und alte Jungfer
"Erst
in Verbindung mit dem Marienkult der Mystik, der eine
religiös-mystische Vergeistigung und Vergöttlichung der
Jungfräulichkeit nach sich zog, erhält der Begriff
»Jungfrau« den Bedeutungsgehalt des lateinischen virgo.
So werden als »juncvrouwe« zunächst die Gottesmutter und
jene christlichen Märtyrerinnen bezeichnet, bei deren
Martyrium der Aspekt der sexuellen Unberührtheit eine
besondere Rolle spielte. Von hier aus konnte dann »Jungfrau«
als Bezeichnung des noch unberührten Mädchens auch in die
deutschsprachige weltliche Literatur Eingang finden."
(1997,
S.8) |
BERNAU beschreibt dagegen
den Aufstieg der Evangelikalen in den USA, der Mitte der 1970er
Jahre sichtbar wird:
Mythos Jungfrau
"Evangelikale
waren vor Mitte der 1970er-Jahre auf dem Radarschirm des
öffentlichen Lebens in Amerika so gut wie unsichtbar. Sie
zählten über zehn Millionen und ihre Anhängerschaft und
institutionelle Stärke wuchs, aber jahrzehntelang waren sie
im amerikanischen Mainstream verschwunden. Mit der Wahl des
»wiedergeborenen« Präsidenten Jimmy Carter im Jahr 1976 und
dem Aufstieg der »Moral Majority«, der »Moralischen
Mehrheit« Jerry Falwells gegen Ende der 1970er-Jahre änderte
sich das jedoch. Evangelikale waren plötzlich Teil der
kulturellen und politischen Landschaft und sind dies seither
jahrzehntelang geblieben.
(2007, S.62) |
Jungfräulichkeit in Literatur und Film
Im Hinblick auf die
Literaturgeschichte stellt BERNAU fest, dass Jungfräulichkeit
zum Teil auf widersprüchliche Weise dargestellt wird.
Jungfräulichkeit
wird Reinheit und Wahrheit zugeschrieben, aber die
Möglichkeit der Täuschung muss immer einkalkuliert werden. In
Literatur und Film steht einerseits die
Jungfräulichkeitsprüfung, also die Zuordnung von Frauen zur
Kategorie der "anständigen" (heiratsfähigen) Frauen oder zu
"Schlampen" im Vordergrund und anderseits die Entjungferung
selber.
BERNAU
geht auch der Frage nach, inwieweit Jungfräulichkeit
ausschließlich an Heterosexualität gebunden ist. Können lesbische
und homosexuelle Praktiken zum Verlust der Jungfräulichkeit
führen? Immer wieder geht es gemäß BERNAU um den Marktwert
der Jungfräulichkeit:
Mythos Jungfrau
"Ob
die Jungfrau ein moderner Teenager, eine Aristokratin,
Bürgerstochter oder ein Arbeitermädchen, eine Braut oder
Prostituierte ist, ihre Jungfräulichkeit wird als
wertvollster Besitz bezeichnet. Die Jungfrau erzielt einen
höheren Preis als andere Frauen, nicht zuletzt, weil sie
keine sexuell übertragbaren Krankheiten hat und weil die
jungfräuliche Braut den ungestörten Fortbestand der Familie
des Mannes gewährleisten und ihrem Vater eventuell einen
gewissen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen kann."
(2007, S.107) |
Alternativ dazu wird
Jungfräulichkeit aber auch als Fluchtweg aus der
männerdominierten Gesellschaft beschrieben. Frauen können sich
dadurch Aktivitäten widmen, von denen sie ansonsten
ausgeschlossen waren. Dazu gehört das Studieren, berufliche
Karriere machen oder sich selbst zu verwirklichen. Jungfrauen
können aber auch kriegerisch sein (Von den Amazonen bis zu Jean
D'Arc) oder sich zu Frauengemeinschaften (in Deutschland sind
vor allem
Beginen bekannt geworden) zusammenschließen. Eine
wichtige Frage ist, ob erst die sexuelle Revolution das Bild der
Jungfrau grundlegend verändert hat:
Mythos Jungfrau
"Trotz
der gängigen Ansicht, Jungfräulichkeit sei bis zur sexuellen
Revolution der 1960er Jahre geschätzt worden, um sich dann
plötzlich in etwas zu verwandeln, dessen man sich schämte,
enthalten literarische Quellen schon viel früher
Darstellungen von Jungfräulichkeit als langweiligem und
glanzlosem Zustand. Zwischen der Überzeugung, sie sei
unnatürlich und ungesund, und der Ansicht, sie sei ihrem
Wesen nach unbedeutend oder veraltet, besteht zwar ein
Unterschied, aber auch eine gewisse Verwandtschaft. Dies
geht aus literarischen Zeugnissen hervor, die bis ins 17.
Jahrhundert zurückreichen."
(2007, S.119) |
Der Frage, wie sich das
erste Mal für Männer und Frauen darstellt, geht BERNAU ebenfalls
nach. Die Bedeutsamkeit dieses Initiationsritus zeigt sich auch
darin, dass es in der Erinnerung besonders haften bleibt:
Mythos Jungfrau
"Der
Verlust der Unschuld wird von Männern und Frauen als
besonderes Ereignis an der Schwelle zum Erwachsenensein
wahrgenommen, wenn auch nicht auf dieselbe Weise. Dieses
Ereignis scheint so bedeutsam, dass es in der Regel im
Gedächtnis bleibt. Erinnerungen an »das erste Mal« bilden
ein eigenes literarisches und filmisches Genre, mit eigenen
Konventionen, Lieblingsthemen und Handlungsabläufen. Dies
ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass diese individuelle
Erfahrung zumindest bis zu einem gewissen Grad von der
Erzähl- und Romankultur beeinflusst wird, zu der eben nicht
nur der Einzelne Zugang hat."
(2007, S.124f.) |
Am Beispiel des auch bei
uns bekannt gewordenen Schriftstellers Jeffrey EUGENIDES und
seinem Roman Die Selbstmord-Schwestern (The Virgin Suicides),
der von Sofia COPPOLA verfilmt wurde, beantwortet BERNAU diese
Frage.
Jungfräulichkeit und Nation
Dem Gemeinwohl
abträglich heißt das 4. Kapitel. Angesichts der heftigen
Debatten über den demografischen Wandel in Deutschland, würde
man in diesem Kapitel eine Auseinandersetzung mit
bevölkerungspolitischen Konzepten erwarten. Aber bei BERNAU
findet sich nichts dergleichen. Stattdessen
geht es in diesem Kapitel einerseits um die Verwendung der
Jungfräulichkeitssymbolik zur Darstellung und Selbstdarstellung
des Herrschertums und zum anderen um die Zuweisung der Frau zu
Haus und Familie. Frauen, die sich dem widersetzten, wurden als
Mannweiber oder als Straßenmädchen beschrieben. Dass
der Feminismus zu weit gegangen sei, diese antifeministische
Klage ist auch in England, mehr noch in den USA ein gängiger
Vorwurf.
BERNAU setzt sich mit den
Ansätzen von Wendy KELLER und Wendy SHALIT auseinander, die das
Konzept der Jungfräulichkeit als Lösung propagieren.
Mythos Jungfrau
"Die
Sorge, die sichtbare Präsenz und Aktivität von Frauen in der
Öffentlichkeit rufe bei Männern Ärger und Gewalt hervor, ist
nicht verschwunden. Heute gibt es ein eigenes Genre, das
deutlich zum Ausdruck bringt, der Feminismus sei »zu weit
gegangen« und Jungfräulichkeit die Lösung dieses Problems.
Wendy Shalit fordert im Titel ihres Buches eine »Rückkehr
zur Sittsamkeit« und behauptet, der Verlust der »weiblichen
Tugend« infolge von Feminismus und Sexualkundeunterricht
habe zu einem Anstieg männlicher Respektlosigkeit und Gewalt
gegen Frauen geführt (...). Mit Beispielen aus der Literatur
»belegt« sie, dass Frauen »früher« nicht sexuell belästig
worden seien. In dieser undefinierten und idealisierten
Vergangenheit »machte Sittsamkeit ... jede Frau zur Dame,
Ehre jedes männliche Wesen zum Mann«. Frauen sollten wieder
sittsam werden, weil sei nur so hoffen könnten, männliches
Verhalten zu ändern (...).
Wendy Keller argumentiert in ihrem Buch The Cult of the
Born Again Virgin (...) bisweilen ähnlich: »Wir stellen
fest, dass die sexuelle Freiheit, die wir uns seit den
1960ern erlaubt haben, nicht mehr gut für uns ist. Sie
bringt uns nicht das, was wir von ihr erwartet haben.
Dreißig Jahre lang haben wir es ausprobiert - lange genug
für einen Testlauf.« Hier sind einige interessante
Vorannahmen enthalten: dass die »sexuelle Freiheit« in den
1960er-Jahren sehr plötzlich (bei allen!) Einzug hielt, als
ob traditionelle Einstellungen zu Sexualität über Nacht
abgeschafft werden könnten, und dass die Dauer von 30 Jahren
als zuverlässiger Maßstab dienen kann, um Veränderungen
festzustellen. Wie Shalit gibt auch Keller zu bedenken,
Enthaltsamkeit mache Frauen stärker und gebe ihnen die
Möglichkeit zu definieren, was sie von einem Partner, aber
auch vom Leben überhaupt erwarten. Insofern sind die beiden
Bücher Teil einer Tradition, die Jungfräulichkeit oder
Enthaltsamkeit als etwas betrachtet, das Frauen mehr
Selbstbestimmung ermöglicht, weil sie dadurch den
Anforderungen der (Hetero-)Sexualität und der Ehe (zumindest
teilweise) entgehen."
(2007, S.151f.) |
BERNAU zeigt anhand der
Diskussion von Vergewaltigungsdelikten in Rechtstexten, dass
Jungfräulichkeit keine Lösung ist. Die Vorstellung, was eine
Vergewaltigung ist, hat sich im Laufe der Rechtsgeschichte
mehrmals geändert. Heutzutage wird Vergewaltigung als "ohne
Einverständnis erfolgter sexueller Übergriff" definiert.
Dahinter verbirgt sich das Konzept der Verhandlungs- bzw.
Konsensmoral . BERNAU
ist der Auffassung, dass der Nachweis eines
Vergewaltigungsdelikt schwer zu erbringen ist, dass man sich
dagegen aber leicht verteidigen kann.
In
einem Rezensionsessay zum Thema
Menschen ohne
Beziehungserfahrung wurde bereits darauf hingewiesen, dass
verunsicherte bzw. erfolglose Männer in Sachen Partnersuche sich
auch als Opfer der Frauenbewegung sehen
. Im Buch
Unberührt von Arne HOFFMANN kommen 10 Betroffene zu Wort:
Unberührt
Simon,
25
"Verschärft wird die Problematik für Männer durch einen
Männerüberschuss in den relevanten Jahrgängen sowie durch eine
in Deutschland übers Ziel hinausgeschossene Frauenbewegung.
Diese hat zur Verunsicherung unter jungen Männern geführt. Die
Frage »Wer bin ich?« beziehungsweise »Wie soll ich sein?« lässt
sich nicht mehr schlüssig beantworten, jede Option scheint
falsch. Männer sind nicht selten verschüchtert. Die Omnipräsenz
von Meldungen über »sexuelle Belästigung« von Frauen sind oft im
eigenen Denken vorhanden, das Ansprechen einer unbekannten Frau
wird nicht einmal mehr erwogen. Diese Angst ist für hässliche
Männer durchaus berechtigt: Ein Vordringen in die Privatsphäre
einer Frau wird ihnen wesentlich schneller als Belästigung
ausgelegt, als dies bei einem attraktiven Mann der Fall wäre,
dem dasselbe Verhalten häufig sogar positiv als soziale
Aufgeschlossenheit angerechnet wird. Der Feminismus ist nicht
gerecht; die »Political Correctness« verbietet uns jedoch, dies
offen auszusprechen."
(2006,
S.31) |
Solche
beziehungsunerfahrene Männer, die sich als Opfer des Feminismus
empfinden, haben zum einen offenbar ein eher rigides,
traditionell orientiertes Konzept von Jungfräulichkeit im Kopf
und zum anderen machen sie für ihre Erfolglosigkeit nicht eigene
Unwissenheit, mangelnde Erfahrung bzw. Übung oder unpassende
Situationen verantwortlich, sondern die Frauenbewegung. Dies hat
aber nicht unbedingt eine steigende Gewalttätigkeit gegen Frauen
zur Folge, sondern führt zu Resignation, Intoleranz im Denken
und einer Unfähigkeit, sich die neuen Spielregeln anzueignen.
Arne
HOFFMANN führt auch Gespräche mit Menschen, die er als Experten
einstuft, so z.B. mit Wolfgang CRONRATH, der an einem Buch zum
Thema Absolute Beginner, kurz AB (so der Name eines
Forums, in dem sich Menschen ohne Beziehungserfahrung
austauschen) arbeitet. CONRATH sieht diese Männer u.a. auch als
Opfer der Frauenbewegung:
Unberührt
"Ich
glaube aufgrund der Äußerungen und der Wortwahl von männlichen
ABs, dass auch der Feminismus insgesamt einen großen Beitrag zur
Verunsicherung beim Umgang zwischen den Geschlechtern geleistet
ha, nicht nur was sexuelle Belästigung betrifft.
Ich habe den Eindruck, dass vor allem männliche ABs einige
feministischen Forderungen aus Schule und Massenmedien
aufgenommen haben und sie perfekt erfüllen (...). Sie sind (...)
das Gegenteil von dem Feindbild der Frauenbewegung, dem bösen
Macho.
(...).
»Leider« entspricht der Männergeschmack der Feministinnen, wie
die Praxis zeigt, nicht dem Männergeschmack der Mehrheit der
Frauen. Die Anpassung an diese Forderungen bewirkt, dass
männliche ABs als seelischer Müllabladeplatz missbraucht und als
Männer schlicht ignoriert werden. Nicht einmal Feministinnen
selbst (...) honorieren die Neuen Männer! (...).
Stattdessen wurden deutsche Männer rund 30 Jahre durch radikalen
Feminismus mit einseitigen und unerfüllbaren Forderungen
konfrontiert, verunsichert, kollektiv als Tätergeschlecht
beschimpft und psychisch demontiert (...). Viele deutsche Männer
scheinen sich diesen Forderungen angepasst zu haben und sind
schlicht eingeschüchtert. Sie sehen Frauen als das höhere, reine
Geschlecht und treten ihnen gegenüber devot auf."
(2006,
S.156f.) |
Im Buch Unberührt
wird nicht Jungfräulichkeit als Lösung propagiert, sondern eine Kultur der Verkupplung, die jedoch in individualistischen
Kulturen auf Vorbehalte stoße. Es
zeigt sich, dass sich der männliche und der weibliche Blick auf
das Phänomen der Jungfräulichkeit grundsätzlich unterscheidet.
Gerade hinsichtlich des gegengeschlechtlichen Rollenverhaltens
gibt es ein strukturelles Dilemma, das jeweils auf eine Seite
hin aufgelöst wird.
Im
Jahr 2005 erschien das Buch Konsumrebellen. Der Mythos
der Gegenkultur von Joseph HEATH & Andrew POTTER auf
deutsch. Es ist so etwas wie die Bibel der Neubürgerlichen, die
das Wertesystem der Popkultur revolutionieren wollen
. Die
Autoren gehörten selber der Gegenkultur an und beklagen darin
nun, dass durch die sexuelle Revolution und den Feminismus die
alten Spielregeln aufgelöst, aber nicht durch neue, bessere
ersetzt wurden. Anarchie bestimme demnach den Partnermarkt:
Konsumrebellen
"Wenn
man erkennen will, was da schief gelaufen ist, muss man nur auf
die Kontroverse zurückblicken, die ein populärer Flirtratgeber
in Amerika ausgelöst hat. Er wurde 1995 von Ellen Fein und
Sherrie Schneider unter dem Titel The Rules
veröffentlicht und fand in erster Linie wegen seiner sehr
konservativen Ratschläge Beachtung. (...). Die Feministinnen
waren außer sich. (...). Bei aller Empörung wurde allerdings
versäumt, die eigentliche Lehre aus diesem Ereignis zu ziehen.
Die Popularität von The Rules macht nämlich deutlich,
dass schlechte Regeln besser sind als gar keine.
(...).
Die sexuelle Revolution hat (...) letztlich alle traditionellen
gesellschaftlichen Normen zerstört, von denen die
Geschlechterverhältnisse beherrscht wurden; sie hat sie aber
nicht durch neue ersetzt. Sei hinterließ ein Vakuum. Meine
eigene Generation, die Ende der siebziger Jahre erwachsen wurde,
war deshalb gezwungen, ihren eigen Weg durch die vertrackten
Probleme der Adoleszenz zu finden. Das war keine Befreiung, es
war die Hölle."
(2005,
S.87ff.) |
Diese Kritik zeigt, dass
es längst nicht mehr nur religiöse Fundamentalisten sind, die
eine Revision der Geschlechterverhältnisse anstreben, sondern
das Establishment der Gegenkultur, auf dieser Website als Neue
Mitte beschrieben, ist ebenfalls in diesen Kulturkampf
involviert.
Jungfräulichkeit als Konzept mit Zukunft
So heißt das abschließende
Kapitel im Buch Mythos Jungfrau, das sich mit Trends zur
Jungfräulichkeit beschäftigt, insbesondere zur Sexualerziehung.
BERNAU geht in diesem Kapitel speziell auf die Bewegungen zur
Enthaltsamkeitserziehung in den USA ein. Die Entstehung der
Keuschheitsbewegung beschreibt sie folgendermaßen:
Mythos Jungfrau
"Die
Keuschheitsbewegung entstand 1981, als der Baptist und
republikanische Senator Jeremiah Denton in Alabama ein Gesetzt
gegen Abtreibung und Teenagersex einführte. Zunächst ausgelacht
oder ignoriert, gewann die Bewegung an Stärke, und 20 Jahre
später hatte die Rechte »die Sexualkundekriege so gut wie
gewonnen. 1997 hat der US-Kongress 250 Millionen Dollar zur
Finanzierung von noch mehr Keuschheitserziehung bereitgestellt,
die nach ihrer Umbenennen in 'Enthaltsamkeitserziehung' weniger
nach Kirche und mehr nach Anonymen Alkoholikern klingt.«
Nicht nur die Republikaner förderten die
Enthaltsamkeitserziehung, auch Präsident Clinton soll sie 1994
mit seiner 400-Millionen-Dollar-Kampagne gegen
Teenagerschwangerschaften unterstützt haben." (2006,
S.173) |
Mit der
Enthaltsamkeitsbewegung, die vorehelichen Sex zurückdrängen
möchte, sollen Abtreibungen, Teenagerschwangerschaften, die
Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten verhindert und der
Gruppenzwang zu verfrühter sexueller Aktivität verringert
werden. Auch
in Deutschland stehen diese Themen zunehmend auf der politischen
Agenda. Sie sind jedoch stark in die Debatte um den
demografischen Wandel eingebunden.
Im
Gegensatz zu Großbritannien und den USA ist das Thema
Teanagerschwangerschaften in der Unterschicht eher sekundär.
Angesichts der Tatsache, dass bevölkerungspolitische Strategien
auf die Verringerung des Erstgebäralters setzen, könnte
dies aber auch bald hierzulande ein größeres Thema werden.
Die
Ökonomie der medialen Aufmerksamkeit wird derzeit in Deutschland
von dem Motto Oversexed and Underfucked geprägt. Die
Lösung der Probleme wird nicht in der Zunahme sexueller
Enthaltsamkeit, sondern gerade in deren Überwindung gesehen.
Indikator für den Erfolg ist natürlich keineswegs die Zunahme
sexueller Handlungen an sich, sondern die Zunahme von Geburten
.
Anthologien
wie Sex ist eigentlich nicht so mein Ding. Oder Pamphlete
gegen die Pornografisierung der Gesellschaft wie Tanz um die
Lust wenden sich gegen die Sexualisierung der
Öffentlichkeit. Hier schwingt immer auch eine neu erwachte
Lust zur Abgrenzung gegenüber der Unterschicht mit.
Eine erstarkende
Männerbewegung, die sich um den Säulenheiligen Michel
HOUELLEBECQ scharrt, könnte angesichts der allseitigen Klagen
über einen Kindermangel zur Revidierung der
Geschlechterverhältnisse führen. Inwiefern das Konzept der
Jungfräulichkeit dabei eine zentrale Rolle spielt, bleibt
abzuwarten.
Fazit: Das Buch gibt einen guten Einblick in das
Konzept der Jungfräulichkeit, das durch die sexuelle Revolution
keineswegs bedeutungslos geworden ist
Das Buch von Anke BERNAU
beschäftigt sich zwar fast ausschließlich mit den
Entwicklungstendenzen in den angelsächsischen Ländern, wobei der
Bedeutungswandel der Jungfräulichkeit vom Mittelalter bis zur
Jetztzeit beschrieben wird, aber es konnte hier gezeigt werden,
dass das Thema Jungfräulichkeit auch für Deutschland Relevanz
hat.
Entgegen
neokonservativer Klagen über die Auflösung aller Normen durch
die sexuelle Revolution zeigt BERNAU, dass Jungfräulichkeit zwar
eine Veränderung erfahren hat, aber alte Vorstellungen in der
Gegenwart weiterhin vorhanden sind und unser Denken
stärker prägen als wir wahrhaben wollen.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
Die
Single-Debatte ist längst in eine Sackgasse geraten. Dies
wird in diesem Buch u.a. der Individualisierungsthese des
Münchner Soziologen Ulrich Beck angelastet.
Das Buch
sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte
verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine
neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der
Demografiepolitik. |
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