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Zitate:
Erwachsensein als neue Utopie
"Es
gibt Tage, da geht es besser. Da scheint mir, ich habe alles
im Griff. Ich komme mir erwachsen vor, denn ich weiß, wohin
mit mir in der Welt."
(aus: Global Players 2005, S.11)"Warum kann
nicht irgendeiner in meinem Kopf Wichtiges von Unwichtigem
trennen? Warum bin ich so ein Datenmüllschlucker geworden?
Mein Verdacht ist: Schuld sind die Globalisierung, der
Pop und
die Postmoderne. Vielleicht auch noch die
Agenda 2010 und die
Hirnforschung. Aber wahrscheinlich nur die ersten drei, von
denen ich manchmal befürchte: Sie sind ein und dasselbe."
(aus: Global Players 2005, S.20)
"Ausbildungsstand und berufliche Perspektiven von Frauen haben
sich verbessert. Das ist schön für die Frauen, aber schlecht
für die traditionelle Rollenverteilung und das entsprechende
Familienmodell. Gerade die Einhaltung dieses Modells war und
ist jedoch für viele der Befragten ein Grundkriterium des
Erwachsenseins."
(aus: Global Players 2005, S.43)
"Die
landläufige Vorstellung vom »Erwachsensein« läßt sich
einerseits nur leben unter der Voraussetzung relativen
ökonomischen Erfolges, andererseits ist das Konzept gebunden
an einen ganzen Strauß recht altmodischer Werte:
Verläßlichkeit, Langfristigkeit, Berechenbarkeit, Loyalität,
Treue, Stabilität. Dieser Wertekanon bildet gleichsam die
Grundfeste dessen, worauf sich »Erwachsensein« als moralische
Haltung gründet. Wer erwachsen ist, hat Charakter."
(aus: Global Players 2005, S.52)
"Szene-Bezirke haben das abgelöst, was früher mal »Studentenviertel«
hieß. Was möglicherweise daran liegt, daß die Zahl derer
unaufhaltsam steigt, die nach erfolgreichem Studienabschluß
weiterhin zwanghaft dem Jungbrunnenersatzbiotop »Szene«
angehören möchten. In besagten Bezirken sind jene anzutreffen,
die immerhin den Hintern noch von der elterlichen Couch
hochbekommen haben. Sehr weit sind sie allerdings nicht
gekommen. In der Regel lungern diese plan- und
orientierungslosen Trainingsjackenträger mit Bindungsangst,
fransigen Seitenscheiteln und vager beruflicher Perspektive in
Koffeinschankwirtschaften mit Plüschsesseln und wireless
LAN-Anschluß herum. Dort blättern sie ein bißchen blasiert
blickend in Neon, einem Magazin, in dem vor allem andere
blasiert blickende Trainingsjackenträger mit Fransenscheitel
und Bindungsangst abgebildet sind, und in dem die Probleme
blasiert blickender Trainingsjackenträger mit
Fransenseitenscheitel ausführlich erörtert werden. Zielgruppe
von Neon sind 17- bis 35jährige."
(aus: Global Players 2005, S.54f.)
"Wenn die
Voraussetzung für Erwachsensein Charakterfestigkeit sein soll
und sich ergibt aus der Fähigkeit, den Wunsch nach
kurzfristiger Triebbefriedigung zugunsten langfristiger Ziele
zurückzustellen, dann werden wir künftig nicht mehr allzu
viele »Erwachsene« erleben.
Denn der Kult der Jugendlichkeit, den der globale Markt
propagiert, ist nicht weniger als ein permanenter Anschlag auf
die Bedingungen der Möglichkeit, ansatzweise so etwas wie
Charakter zu entwickeln. Statt gelassener, gereifter, ja,
weiser, in Würde gealteter Erwachsener werden wir eine stetig
Kohorte alternder Stenze und Diven erleben"
(aus: Global Players 2005, S.56) |
Einführung
Sascha LEHNARTZ hat in
seinem Buch Global Players sozusagen die Kerndebatte,
die auf dieser Website geführt wird, auf Buchlänge
zusammengefasst. Regelmäßigen
Lesern von single-dasein.de und single-generation.de
werden bei diesem Buch daher Seite um Seite Deja-vu-Erlebnisse
beschert. Außerdem
hat LEHNARTZ unsere Kritik an Claudius SEIDLs Buch schöne
junge welt beherzigt.
schöne junge welt
"SEIDL
ist ein Softi, der allen gefallen möchte, weswegen sein
Buch weder jene zufrieden stellen wird, die in schöne
junge welt eine Rechtfertigung des Lebensstils der
Single-Generation sehen möchten, noch wird es jene
befriedigen, die sich als Agenten der neuen
Ernsthaftigkeit verstehen und deshalb von SEIDL & Co.
eine schonungslose Selbstanklage erwarten. Vielmehr
verstärkt das Buch ein diffuses Lebensgefühl, dass
irgendetwas nicht stimmt. Aber was? Darauf bleibt SEIDL
wohlweislich die Antwort schuldig. Single-generation.de
spitzt deshalb hier den Konflikt zu, der bei SEIDL nur
untergründig spürbar wird, weil er zwar den Abschied von
der Jugendlichkeit irgendwie nahe legt, aber sich dabei
alle Optionen offen halten möchte."
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LEHNARTZ ist das Erwachsensein, wie
es für einen strammen Neocon gehört, ganz traditionell
angegangen:
Global Players
"Erwachsensein wird von
Soziologen in der Regel umrissen als Eintritt in jene
Lebensphase, in der man die Schule beendet, einen Beruf erlernt
hat und ausübt, das Elternhaus verlassen und seine eigene
Familie gegründet hat. Oder aber, als jener Moment im Leben
eines Menschen, in dem jemand die »Fähigkeiten und Einstellungen
erworben hat, um fortan erwachsene Rollen« zu spielen."
(2005, S.41f.) |
Die unterschiedliche
Perspektive auf die Berufsjugendlichen, den die beiden
Bücher von Claudius SEIDL und Sascha LEHNARTZ auszeichnen,
kennzeichnet die Differenz zweier Generationen. Ersterer,
Jahrgang 1959, ist Angehöriger der Single-Generation,
während LEHNARTZ, Jahrgang 1969, zur Generation Golf
gehört. Auf
unserer Website wird behauptet, dass zwischen diesen beiden
Jahrgängen eine kulturelle Bruchlinie verläuft, die sich in der Kontroverse Familien contra Singles äußert. Es
lässt sich jedoch zeigen, dass es sich bei diesem Konflikt um
eine Scheinkontroverse handelt, die auf der Single-Lüge
basiert. LEHNARTZ
will in seinem Buch beweisen, dass diese Single-Lüge auf dem
Kulturkampf zwischen Hipstern und Spießern beruht. Das
Schlachtfeld ist die Popkultur.
LEHNARTZ
ist ein Angehöriger der globalen Klasse, die in
postindustriellen Dienstleistungsgesellschaften zur Elite der
Symbolanalytiker gehört. Die Jobkrise hat den Journalisten aus der Bahn geworfen und
zur Neupositionierung auf dem Markt der Identitäten
gezwungen
. Zukünftige
Historiker werden dieses Buch in eine neue Flut von
Bekenntnisbüchern einordnen dürfen. Zuvor ordnet jedoch
LEHNARTZ seinerseits die Bekenntnisliteratur der Nachkriegszeit
neu ein. In
den folgenden Kapiteln werden wir unsererseits den Inhalt aus
der Sicht jener Bevölkerung betrachten, denen zwar die gleichen
Leiden wie der globalen Klasse aufgezwungen werden, die sich
jedoch von ihrem Einkommen keine individuelle Therapie leisten
können, die die Schäden wenigstens einigermaßen kompensieren
könnte.
Neustart
Eigentlich sah alles ganz
gut aus für unsere Elite. Der Markt für Symbolanalytiker boomte.
1998 wagten die Deutschen dann sogar das Experiment Rot-Grün. Die
68er-Generation und ihre Adepten aus der
78er-Generation
eroberten die Zentren der Macht und die
Generation Golf - damals
noch als 89er hofiert - durfte sich auf popkulturellen
Spielwiesen wie den Berliner Seiten der FAZ
oder dem SZ-Magazin austoben. Popliteratur wurde wie am
Fließband produziert und der Popjournalismus expandierte. Dann
brach die New Economy zusammen und New York wurde zum Ort eines
Terroranschlages. Beides beschädigte das Selbstbewusstsein der
westlichen Welt nachhaltig und verlangte nach Neupositionierung.
Generation Golf zwei
"Unglücklicherweise
schlittern wir gerade nicht nur kollektiv in die
Quarterlife Crisis hinein, sondern werden zugleich mit der
deutschen Wirtschafts-Crisis konfrontiert. Man könnte auch
sagen: mit der Realität" |
Im
September 2002 beschrieben wir die Generation Golf in der
Jobkrise und ihre Inszenierung als verlorene Generation.
Die abservierte Elite
"Ein
Land, das in jüngster Zeit wirtschaftlich nicht geglänzt hat,
schickt branchenübergreifend seine meistversprechenden Kräfte in
die Warteschleife und wurschtelt mit denen weiter, die den
Karren vor die Wand gefahren haben"
(FAS 21.07.2002), |
mokierte sich LEHNARTZ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Unserer
Journalist ließ damals kein gutes Haar an Rot-Grün und im
November, nachdem Gerhard SCHRÖDER wider Erwarten die Bundestagswahlen
noch einmal gewonnen hatte und Edmund STOIBER in den Fluten
untergegangen war, organisierte LEHNARTZ sogar den Aufstand der Pensionäre.
Die
Sonntags-FAZ druckte einen Freundlichen Aufruf zur
Revolte (17.11.2002) und zwei Tage später rief der Pensionär
Arnulf BARING Bürger, auf die Barrikaden!
Am
24. November 2002 konnte man den Erfolg dieser Aktion in der
Sonntags-FAZ bewundern. Danach las man von LEHNARTZ erst mal
nicht mehr viel und wenn, dann Unverdächtiges. Dass er seine
Lektion nun gelernt hat, zeigt sein neues Buch:
Global Players
"Wenn sich herausstellt, daß
etwas wirklich dämlich war, dann ist die letzte Rettung,
zu behaupten, es sei ironisch gemeint gewesen. Bloß zu
keinem Fehler stehen".
(2005, S.230) |
erklärt uns LEHNARTZ im
Rahmen seiner Kritik an der Spaßgesellschaft. Man könnte
LEHNARTZ versehentlich der
neuen Ernsthaftigkeit
zuordnen. Das
Buch ist jedoch schwer ironisch. Es liefert seinen
Disclaimer
gleich mit: "kabarettistischen Essayismus" pappt sich LEHNARTZ
an die Stirn, falls es schief geht und wenn es klappt, dann ist
sowieso alles in Butter. LEHNARTZ
ist ganz Münchner Lässigkeitsjournalismus wie Claudius SEIDL.
Das ist zwingend notwendig, denn LEHNARTZ konkurriert auf dem
Markt der Identitäten mit Konkurrenzprodukten wie
Genial
dagegen von Robert MISIK oder Neon (hier gibt es
jedoch entschieden mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen).
Der
Familienwahlkampf
hat es offen gelegt: MERKEL ist einfach noch zu unhip. Im urbanen
Milieu, das immer noch eher grün als schwarz wählt, hat man im
letzten Moment zurückgeschreckt. Paul KIRCHHOF war einfach zu
sehr square, um die Lieblingsvokabeln dieses
popkulturellen Essayismus zu verwenden. Ganz
klar: nächstes Mal wird es besser. LEHNARTZ kämpft in diesem
Buch an dieser Front als subversiver Arbeiter im Weinberg der
Popmoderne. Er gehört sozusagen zur 5. Kolonne des Antipop.
Schluss mit lustig?
Für LEHNARTZ leben wir immer
noch in einer Spaßgesellschaft.
Wir haben den Stand dieser Debatte bereits zweimal im Thema des
Monats vorgestellt.
Aber
keine Angst, LEHNARTZ gehört nicht zur Fraktion
der popkulturell ungebildeten Vertreter der neuen
Ernsthaftigkeit von
SCHOLL-LATOUR bis Peter HAHNE. Nein.
LEHNARTZ
hat sowohl seinen Diedrich DIEDERICHSEN ("Sexbeat") als auch Ulf POSCHARDT ("Cool") verinnerlicht. Bereits
am 26. Januar 2005 hat die Popjournalistin Elke BUHR in der
Frankfurter Rundschau die These aufgestellt, dass
Bevölkerungspolitik an der Popkultur scheitern muss (siehe
hierzu: "Grüße aus Neverland", FR 26.01.2005). Dieser
Auffassung folgt LEHNARTZ, wenn er schreibt:
Global Players
"Pop weiß
nicht, was er will, aber er weiß definitiv, was er nicht will:
square sein. Denn square zu sein heißt: Spießer
sein. Oder noch schlimmer: Erwachsen.
The
Wild One ist das Manifest einer in Gründung befindlichen
Jugendbewegung, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß,
daß sie in den kommenden fünfzig Jahren den Planeten kulturell
dominieren wird. (...).
Unbegründeter
und wortkarger Widerspruchsgeist wird fortan eine
Grundvoraussetzung für Coolness. Coolness als Daseinsform ist
emotionsfeindlich, anti-familiär, anti-sozial und
anti-bürgerlich."
(2005, S.87) |
In dem
Kapitel Pop ist schuld beschreibt LEHNARTZ die
Geschichte der Popkultur von Elvis PRESLEY bis Michael
JACKSON.
Der
Hipster ist bei LEHNARTZ männlich, Frauen
spielen in dieser letzten Jungsdomäne noch keine wichtige Rolle.
Da ist er ganz Tristesse Royale. Von daher stützen
diese Ausführungen eher die These vom Zeugungsstreik,
den Journalistinnen wie Ulrike WINKELMANN und Meike DINKLAGE
beklagen.
Die traditionelle Geschichte des Hipstertums aus der Sicht
des Neo-Spießers
Im
Zeitgeist-Magazin Tempo schrieb Maxim BILLER Ende
der 1980er Jahre eine Kolumne, die sich 100 Zeilen Haß
nannte. Damals legte der
Puppie den Grundstein jener
Hipster-Theorie, der auch LEHNARTZ folgt:
Die Tempojahre
"Wandten sich die Beats gegen die
»squares«, die Spießer, so
sind ihre Schüler, Nachfolger und Enkel heute selbst nichts
anderes als »squares« (...) - sie reproduzieren lediglich alte
Verhaltensweisen, die einst rebellisch und ein bißchen weise
waren, heute aber nichts anderes als bequem, gewöhnlich und
stereotyp sind - spießig eben. Und also wurden sie
Werbetexter."
(1991, S.96f.) |
In dem Buch
Die Tempojahre (1991) befinden sich die Texte Die
Beat-Story und Der letzte Hipster, in denen die
Mutation des Hippies zum Yuppie beschrieben wird. BILLER
bezieht sich mit seinen Ausführungen - wie auch LEHNARTZ - auf Norman MAILERs
Beschreibungen der Beat-Generation. Spätestens
seit die linke Gegenkultur das neue Establishment stellt und
selbst Friedrich MERZ eine wilde Jugend als Mopedrocker im
Sauerland gehabt haben will, ist das Hipstertum eigentlich
völlig uncool geworden. Die Hipster wissen das nur noch nicht.
LEHNARTZ
erzählt uns noch einmal diese ganze Geschichte. Dabei wurde
die Generation Golf doch schon mit dieser Geschichte
sozialisiert. Das macht nur Sinn, weil seit BILLER ja bereits
wieder 15 Jahre vergangen sind und es nun Zeit für ein Update
ist. LEHNARTZ
bringt das Hipstertum mit der Instinkttheorie des
Psychoanalytikers Robert LINDNER und mit der Neotonie-Theorie
in der Version von Robert Pogue HARRISON in Verbindung:
Global Players
"Mit der
Erfindung des »Rebellions-Instinktes« liefert Lindner die
ideologische Rechtfertigung lebenslänglicher Jugendlichkeit
und Reife-Verweigerung: Denn nur wer den falschen Reifebegriff
der repressiven Konformistengesellschaft ablehnt, ist für
Lidner in der Lage die menschliche Evolution voranzutreiben.
Die wahre Natur des Menschen ist dazu erkoren, dem kraftvollen
Rebellions-Instinkt zu huldigen: »Ruhelos, suchend, neugierig,
ewig unbefriedigt, stets kämpfend und nur eventuelle
siegreich.« Damit schreibt Lindner der jugendlichen Pop- und
Rebellionskultur der nächsten fünfzig Jahre ihr erstes,
ungelesenes Manifest.
Hipstertum war somit definiert als jugendlicher Widerstand
gegen die drohende Anpassung an eine monotone, konformistische
Erwachsenenwelt."
(2005, S.103f.) |
LEHNARTZs
These läuft darauf hinaus, dass nicht die 68er es waren, die
unsere Gesellschaft liberalisierten, sondern der neue Mensch
der 68er-Generation entsprach mit seinem Wesen den Interessen
der neu entstehenden Konsumindustrie. Um dies zu belegen muss LEHNARTZ auf die US-amerikanische Literatur zurückgreifen. The
Conquest of Cool (1997) von Thomas FRANK, Hip - The
History (2004) von John LELAND und The Rebel Sell
(2004)
von Joseph HEATH & Andrew POTTER (mittlerweile auch in
deutscher Übersetzung verfügbar) haben auf diesem Feld
Vorarbeit geleistet. In
Deutschland ist vor kurzem der Roman
Geschäftsjahr
1968/1969 von Bernd CAILLOUX erschienen, der dieses Thema
ebenfalls aufgegriffen hat.
Das
Problem von LEHNARTZ ist, dass die damaligen Konflikte
geleugnet werden. Im Rückblick erscheint die Liberalisierung
als alternativlos. Wem das irgendwie aus der
Agenda-2010-Debatte bekannt vorkommt, der liegt nicht falsch. Die
68er werden zu Getriebenen der
linearen Geschichte erklärt. (Natürlich gibt es hier irre viel Disclaimer, sonst würde dies seine Zielgruppe übel nehmen!). Der
Motor ist jedoch nicht der technische Wandel, es ist auch
nicht der Wandel von der Industrie- zur
Dienstleistungsgesellschaft, sondern - wir ahnen es schon, es
ist der demografische Wandel. Jugend wird in der
Nachkriegszeit zur neuen Zielgruppe. Die
Baby-Boomer werden
zur ewigen Zielgruppe (Martin SCHACHT).
Die ewige Zielgruppe
"Sie waren die Babyboomer,
die Generation, der allein wegen ihrer Größe
Zukunftsängste und Konkurrenzdenken eingeimpft wurde. Sie
waren immer zu viele. Doch etwas Entscheidendes wurde
lange Zeit übersehen: Wo Masse ist, ist immer auch Macht,
ist immer auch ein Markt! Die geburtenstärkste Generation
des 20. Jahrhunderts, die der heute 30- bis 49-Jährigen,
ist der Markt der Gegenwart - und der Zukunft!"
(aus: Klappentext 2004) |
Der
US-amerikanische Soziologe David RIESMAN hat in seinem Buch
Die einsame Masse (1958) einen Zusammenhang zwischen
Bevölkerungsweise und Charakter hergestellt. Helmut SCHELSKY hat im Vorwort zur deutschen Ausgabe darauf
hingewiesen:
Die einsame Masse
"Die
traditions-geleitete Verhaltensweise scheint ihm zu der Epoche
des hohen Bevölkerungsumsatzes, d.h. der hohen Geburts-, aber
auch Sterberate vorindustrieller Gesellschaftsformen zu
gehören. Die erste Epoche der Industrialisierung wiederum wird
in Europa und Amerika getragen von einer geschichtlich
einmaligen Bevölkerungsvermehrung oder Bevölkerungswelle, die
aus dem Absinken der Sterbefälle bei bleichbleibender
Geburtenhöhe resultiert; ihr ist der »innen-geleitete«
Verhaltenstyp zuzuordnen. Mit der Konsolidierung des
industriellen Gesellschaftssystems - in Europa-Amerika etwa in
den 20er Jahren dieses Jahrhunderts - setzt nun auch jene
Beschränkung der Geburtenzahlen ein, die als Anpassung an die
moderne Gesellschaftsstruktur, z.B. an deren gesunkene
Sterblichkeitsrate, anzusehen ist und zu einer neuen
Konstantheit, ja, sogar zu einer gewissen Schrumpfung führt;
mit diesem Vorgang scheint für RIESMAN die Geburt des »außen-geleiteten«
Menschentyps verbunden zu sein." |
Der
außen-geleitete oder flexible Mensch wäre nach RIESMAN
Ausdruck einer schrumpfenden Bevölkerung. LEHNARTZ
dagegen bringt den menschlichen Charakter entsprechend den
Ausführungen in Richard SENNETTs Bestseller Der flexible
Mensch (1998) mit dem Wandel der kapitalistischen
Produktionsweise zusammen.
Der flexible Mensch
"Flexibilität ist
das Zauberwort des globalen
Kapitalismus. Auch der ganz normale
Arbeitnehmer muß ständig bereit
sein für Veränderungen, muß immer aufs neue wagen
und gewinnen. (...). Sennetts Fazit ist eindeutig: Eine
Gesellschaftsordnung, die das Bedürfnis des Menschen nach
Stabilität so sehr vernachlässigt, kann nicht von Bestand
sein."
[mehr]
(aus: Klappentext 1998) |
Wir
hatten LEHNARTZ bereits im Jahr 2002 dieses Buch in unserer
Kritik an seinem bereits weiter oben erwähnten Artikel Die
abservierte Elite empfohlen. LEHNARTZ
beschreibt diesen flexiblen Menschen, den die Kultur des neuen
Kapitalismus (so ein neueres Buch von SENNETT) fordert, als
Version 2.0 des Hipsters. Für LEHNARTZ
ergibt sich das Hippie-Bashing von
Maxim BILLER im Zeitgeistmagazin Tempo folgendermaßen:
Global Players
"Nicht nur
für Tempo war der Hippie ein Feindbild, der Prototyp
des Lifestyle-Analphabeten, der die falschen Platten hörte,
grauenhafte Klamotten trug - und uncoolerweise nie Termine
hatte. Allerdings rannte man mit Hippie-Bashing Ende der
Achtziger bereits offene Türen ein. Das lag nicht zuletzt
daran, daß nicht wenige Alt-Hippies ihre selbstgebatikte
Vergangenheit inzwischen längst peinlich war und sie in den
meisten Fällen die Flokatiteppiche und Apfelsinenkisten schon
entsorgt und Lavalampen durch Artemide ersetzt hatten."
(2005, S.153) |
In dieses Bild passen dann auch die
Bobos, die bourgeoisen Bohemiens, die der
US-amerikanische Neocon David BROOKS im Jahr 2000 entdeckte.
Der Bobo versöhnt den Hippie mit dem Yuppie. Bereits
in den 1980er Jahren hatte Matthias HORX darauf hingewiesen,
dass die Yuppie-Debatte das Ergebnis eines
Kulturkampfes innerhalb verschiedener linker Gruppierungen
war. Auf
dieser Website wurde das linke Establishment bereits seit
längerem als Bobokratie (siehe hierzu auch das
Kleine Wörterbuch des Sozialpopulismus
) beschrieben. LEHNARTZ bezeichnet die Bobos
als "alt- oder halblinke Kulturrevolutionsgewinnler"
.
LEHNARTZs
Geschichte des Hipstertums ist anschlussfähig an Ulf
POSCHARDTs Popper-Theorie aus dem Buch Cool.
In einem WamS-Artikel hatte POSCHARDT den Popper als Gegenkultur der
1980er
Jahre zum 68er-Mainstream umgedeutet:
Die Rebellion der Kaschmir-Kinder
"Die
Popper benahmen sich anständig, nahmen keine Drogen, trugen
Kaschmir-Pullover und College-Loafer, wollten später Juristen
oder Manager werden, um viel Geld zu verdienen. Die obszöne
Offenheit, mit der sie bürgerliche Werte und Ideale
skandierten, machte sie zu Provokateuren. 23 Jahre vor Arnulf
Baring waren diese jungen Bürger auf den Barrikaden. Die
Avantgarde nicht der Angepassten, sondern als neubürgerlichen
Vernunft, die sich in Deutschland erst im 21. Jahrhundert
durchsetzen kann.
(...).
25 Jahre danach darf man sagen: Die Popper waren und sind die
unterschätzteste deutsche Jugendkultur. Ihr Instinkt hat jenen
bürgerlichen Ruck vorweggenommen, den Präsidenten wie Herzog
und Köhler heute beschwören."
(WamS 04.07.2004) |
LEHNARTZ
räumt den Poppern eine Sonderrolle in der deutschen
Jugendkultur ein:
Global Players
"Nicht
aufgebrochen, aber doch karikiert haben diese schier endlose
Kette sich ablösender Fertig-Rebellionsidentitäten eigentlich
erst die gerade unter Rebellions-Illusionisten besonders
verachteten Popper und die Generation Golf. Die haben einfach
nur noch konsumiert, ohne so zu tun, als seien sie dagegen."
(2005, S.160) |
Nichtsdestotrotz geht für LEHNARTZ die Geschichte der
Jugendkulturen in Deutschland weiter:
Global Players
"Es
entspricht der Logik der wechselnden Verkörperungen der
Metapher »Jugend«, daß die nächste Jugend nach der Generation
Golf wieder eine sich konsumkritisch gebärdende ist, deren
Vorreiter den Markenwahn durch die Flucht ins Retro-Reservat
bekämpfen."
(2005, S.160) |
Musik von
Wir sind Helden und Filme wie WEINGARTNERs Die
fetten Jahre sind vorbei gelten ihm hierfür als Beispiele.
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