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Thema des Monats

 
       
   

Sascha Lehnartz

 
       
   

Global Players. Oder: Der Kampf des Neocons gegen das popmoderne Establishment (Teil 1)

 

 
       
     
       
   
     
 

Zitate: Erwachsensein als neue Utopie

"Es gibt Tage, da geht es besser. Da scheint mir, ich habe alles im Griff. Ich komme mir erwachsen vor, denn ich weiß, wohin mit mir in der Welt."
(aus: Global Players 2005, S.11)

"Warum kann nicht irgendeiner in meinem Kopf Wichtiges von Unwichtigem trennen? Warum bin ich so ein Datenmüllschlucker geworden? Mein Verdacht ist: Schuld sind die Globalisierung, der Pop und die Postmoderne. Vielleicht auch noch die Agenda 2010 und die Hirnforschung. Aber wahrscheinlich nur die ersten drei, von denen ich manchmal befürchte: Sie sind ein und dasselbe."
(aus: Global Players 2005, S.20)

"Ausbildungsstand und berufliche Perspektiven von Frauen haben sich verbessert. Das ist schön für die Frauen, aber schlecht für die traditionelle Rollenverteilung und das entsprechende Familienmodell. Gerade die Einhaltung dieses Modells war und ist jedoch für viele der Befragten ein Grundkriterium des Erwachsenseins."
(aus: Global Players 2005, S.43)

"Die landläufige Vorstellung vom »Erwachsensein« läßt sich einerseits nur leben unter der Voraussetzung relativen ökonomischen Erfolges, andererseits ist das Konzept gebunden an einen ganzen Strauß recht altmodischer Werte: Verläßlichkeit, Langfristigkeit, Berechenbarkeit, Loyalität, Treue, Stabilität. Dieser Wertekanon bildet gleichsam die Grundfeste dessen, worauf sich »Erwachsensein« als moralische Haltung gründet. Wer erwachsen ist, hat Charakter."
(aus: Global Players 2005, S.52)

"Szene-Bezirke haben das abgelöst, was früher mal »Studentenviertel« hieß. Was möglicherweise daran liegt, daß die Zahl derer unaufhaltsam steigt, die nach erfolgreichem Studienabschluß weiterhin zwanghaft dem Jungbrunnenersatzbiotop »Szene« angehören möchten. In besagten Bezirken sind jene anzutreffen, die immerhin den Hintern noch von der elterlichen Couch hochbekommen haben. Sehr weit sind sie allerdings nicht gekommen. In der Regel lungern diese plan- und orientierungslosen Trainingsjackenträger mit Bindungsangst, fransigen Seitenscheiteln und vager beruflicher Perspektive in Koffeinschankwirtschaften mit Plüschsesseln und wireless LAN-Anschluß herum. Dort blättern sie ein bißchen blasiert blickend in Neon, einem Magazin, in dem vor allem andere blasiert blickende Trainingsjackenträger mit Fransenscheitel und Bindungsangst abgebildet sind, und in dem die Probleme blasiert blickender Trainingsjackenträger mit Fransenseitenscheitel ausführlich erörtert werden. Zielgruppe von Neon sind 17- bis 35jährige."
(aus: Global Players 2005, S.54f.)

"Wenn die Voraussetzung für Erwachsensein Charakterfestigkeit sein soll und sich ergibt aus der Fähigkeit, den Wunsch nach kurzfristiger Triebbefriedigung zugunsten langfristiger Ziele zurückzustellen, dann werden wir künftig nicht mehr allzu viele »Erwachsene« erleben.
Denn der Kult der Jugendlichkeit, den der globale Markt propagiert, ist nicht weniger als ein permanenter Anschlag auf die Bedingungen der Möglichkeit, ansatzweise so etwas wie Charakter zu entwickeln. Statt gelassener, gereifter, ja, weiser, in Würde gealteter Erwachsener werden wir eine stetig Kohorte alternder Stenze und Diven erleben"
(aus: Global Players 2005, S.56)

Einführung

Sascha LEHNARTZ hat in seinem Buch Global Players sozusagen die Kerndebatte, die auf dieser Website geführt wird, auf Buchlänge zusammengefasst. Regelmäßigen Lesern von single-dasein.de und single-generation.de werden bei diesem Buch daher Seite um Seite Deja-vu-Erlebnisse beschert. Außerdem hat LEHNARTZ unsere Kritik an Claudius SEIDLs Buch schöne junge welt beherzigt.

schöne junge welt

"SEIDL ist ein Softi, der allen gefallen möchte, weswegen sein Buch weder jene zufrieden stellen wird, die in schöne junge welt eine Rechtfertigung des Lebensstils der Single-Generation sehen möchten, noch wird es jene befriedigen, die sich als Agenten der neuen Ernsthaftigkeit verstehen und deshalb von SEIDL & Co. eine schonungslose Selbstanklage erwarten. Vielmehr verstärkt das Buch ein diffuses Lebensgefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber was? Darauf bleibt SEIDL wohlweislich die Antwort schuldig. Single-generation.de spitzt deshalb hier den Konflikt zu, der bei SEIDL nur untergründig spürbar wird, weil er zwar den Abschied von der Jugendlichkeit irgendwie nahe legt, aber sich dabei alle Optionen offen halten möchte." [mehr]

LEHNARTZ ist das Erwachsensein, wie es für einen strammen Neocon gehört, ganz traditionell angegangen:

Global Players

"Erwachsensein wird von Soziologen in der Regel umrissen als Eintritt in jene Lebensphase, in der man die Schule beendet, einen Beruf erlernt hat und ausübt, das Elternhaus verlassen und seine eigene Familie gegründet hat. Oder aber, als jener Moment im Leben eines Menschen, in dem jemand die »Fähigkeiten und Einstellungen erworben hat, um fortan erwachsene Rollen« zu spielen."
(2005, S.41f.)

Die unterschiedliche Perspektive auf die Berufsjugendlichen, den die beiden Bücher von Claudius SEIDL und Sascha LEHNARTZ auszeichnen, kennzeichnet die Differenz zweier Generationen. Ersterer, Jahrgang 1959, ist Angehöriger der Single-Generation, während LEHNARTZ, Jahrgang 1969, zur Generation Golf gehört. Auf unserer Website wird behauptet, dass zwischen diesen beiden Jahrgängen eine kulturelle Bruchlinie verläuft, die sich in der Kontroverse Familien contra Singles äußert. Es lässt sich jedoch zeigen, dass es sich bei diesem Konflikt um eine Scheinkontroverse handelt, die auf der Single-Lüge basiert. LEHNARTZ will in seinem Buch beweisen, dass diese Single-Lüge auf dem Kulturkampf zwischen Hipstern und Spießern beruht. Das Schlachtfeld ist die Popkultur.

LEHNARTZ ist ein Angehöriger der globalen Klasse, die in postindustriellen Dienstleistungsgesellschaften zur Elite der Symbolanalytiker gehört. Die Jobkrise hat den Journalisten aus der Bahn geworfen und zur Neupositionierung auf dem Markt der Identitäten gezwungen . Zukünftige Historiker werden dieses Buch in eine neue Flut von Bekenntnisbüchern einordnen dürfen. Zuvor ordnet jedoch LEHNARTZ seinerseits die Bekenntnisliteratur der Nachkriegszeit neu ein. In den folgenden Kapiteln werden wir unsererseits den Inhalt aus der Sicht jener Bevölkerung betrachten, denen zwar die gleichen Leiden wie der globalen Klasse aufgezwungen werden, die sich jedoch von ihrem Einkommen keine individuelle Therapie leisten können, die die Schäden wenigstens einigermaßen kompensieren könnte.

Neustart

Eigentlich sah alles ganz gut aus für unsere Elite. Der Markt für Symbolanalytiker boomte. 1998 wagten die Deutschen dann sogar das Experiment Rot-Grün. Die 68er-Generation und ihre Adepten aus der 78er-Generation eroberten die Zentren der Macht und die Generation Golf - damals noch als 89er hofiert - durfte sich auf popkulturellen Spielwiesen wie den Berliner Seiten der FAZ oder dem SZ-Magazin austoben. Popliteratur wurde wie am Fließband produziert und der Popjournalismus expandierte. Dann brach die New Economy zusammen und New York wurde zum Ort eines Terroranschlages. Beides beschädigte das Selbstbewusstsein der westlichen Welt nachhaltig und verlangte nach Neupositionierung.

Generation Golf zwei

"Unglücklicherweise schlittern wir gerade nicht nur kollektiv in die Quarterlife Crisis hinein, sondern werden zugleich mit der deutschen Wirtschafts-Crisis konfrontiert. Man könnte auch sagen: mit der Realität"

Im September 2002 beschrieben wir die Generation Golf in der Jobkrise und ihre Inszenierung als verlorene Generation.

Die abservierte Elite

"Ein Land, das in jüngster Zeit wirtschaftlich nicht geglänzt hat, schickt branchenübergreifend seine meistversprechenden Kräfte in die Warteschleife und wurschtelt mit denen weiter, die den Karren vor die Wand gefahren haben"
(FAS 21.07.2002),

mokierte sich LEHNARTZ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Unserer Journalist ließ damals kein gutes Haar an Rot-Grün und im November, nachdem Gerhard SCHRÖDER wider Erwarten die Bundestagswahlen noch einmal gewonnen hatte und Edmund STOIBER in den Fluten untergegangen war, organisierte LEHNARTZ sogar den Aufstand der Pensionäre. Die Sonntags-FAZ druckte einen Freundlichen Aufruf zur Revolte (17.11.2002) und zwei Tage später rief der Pensionär Arnulf BARING Bürger, auf die Barrikaden!

Am 24. November 2002 konnte man den Erfolg dieser Aktion in der Sonntags-FAZ bewundern. Danach las man von LEHNARTZ erst mal nicht mehr viel und wenn, dann Unverdächtiges. Dass er seine Lektion nun gelernt hat, zeigt sein neues Buch:

Global Players

"Wenn sich herausstellt, daß etwas wirklich dämlich war, dann ist die letzte Rettung, zu behaupten, es sei ironisch gemeint gewesen. Bloß zu keinem Fehler stehen".
(2005, S.230)

erklärt uns LEHNARTZ im Rahmen seiner Kritik an der Spaßgesellschaft. Man könnte LEHNARTZ versehentlich der neuen Ernsthaftigkeit zuordnen. Das Buch ist jedoch schwer ironisch. Es liefert seinen Disclaimer gleich mit: "kabarettistischen Essayismus" pappt sich LEHNARTZ an die Stirn, falls es schief geht und wenn es klappt, dann ist sowieso alles in Butter. LEHNARTZ ist ganz Münchner Lässigkeitsjournalismus wie Claudius SEIDL. Das ist zwingend notwendig, denn LEHNARTZ konkurriert auf dem Markt der Identitäten mit Konkurrenzprodukten wie Genial dagegen von Robert MISIK oder Neon (hier gibt es jedoch entschieden mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen).

Der Familienwahlkampf hat es offen gelegt: MERKEL ist einfach noch zu unhip. Im urbanen Milieu, das immer noch eher grün als schwarz wählt, hat man im letzten Moment zurückgeschreckt. Paul KIRCHHOF war einfach zu sehr square, um die Lieblingsvokabeln dieses popkulturellen Essayismus zu verwenden. Ganz klar: nächstes Mal wird es besser. LEHNARTZ kämpft in diesem Buch an dieser Front als subversiver Arbeiter im Weinberg der Popmoderne. Er gehört sozusagen zur 5. Kolonne des Antipop.   

Schluss mit lustig?

Für LEHNARTZ leben wir immer noch in einer Spaßgesellschaft. Wir haben den Stand dieser Debatte bereits zweimal im Thema des Monats vorgestellt. Aber keine Angst, LEHNARTZ gehört nicht zur Fraktion der popkulturell ungebildeten Vertreter der neuen Ernsthaftigkeit von SCHOLL-LATOUR bis Peter HAHNE. Nein. LEHNARTZ hat sowohl seinen Diedrich DIEDERICHSEN ("Sexbeat") als auch Ulf POSCHARDT ("Cool") verinnerlicht. Bereits am 26. Januar 2005 hat die Popjournalistin Elke BUHR in der Frankfurter Rundschau die These aufgestellt, dass Bevölkerungspolitik an der Popkultur scheitern muss (siehe hierzu: "Grüße aus Neverland", FR 26.01.2005). Dieser Auffassung folgt LEHNARTZ, wenn er schreibt:

Global Players

"Pop weiß nicht, was er will, aber er weiß definitiv, was er nicht will: square sein. Denn square zu sein heißt: Spießer sein. Oder noch schlimmer: Erwachsen.
        
 
The Wild One ist das Manifest einer in Gründung befindlichen Jugendbewegung, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, daß sie in den kommenden fünfzig Jahren den Planeten kulturell dominieren wird. (...).
        
 
Unbegründeter und wortkarger Widerspruchsgeist wird fortan eine Grundvoraussetzung für Coolness. Coolness als Daseinsform ist emotionsfeindlich, anti-familiär, anti-sozial und anti-bürgerlich."
(2005, S.87)

In dem Kapitel Pop ist schuld beschreibt LEHNARTZ die Geschichte der Popkultur von Elvis PRESLEY bis Michael JACKSON.

Der Hipster ist bei LEHNARTZ männlich, Frauen spielen in dieser letzten Jungsdomäne noch keine wichtige Rolle. Da ist er ganz Tristesse Royale. Von daher stützen diese Ausführungen eher die These vom Zeugungsstreik, den Journalistinnen wie Ulrike WINKELMANN und Meike DINKLAGE beklagen.

Die traditionelle Geschichte des Hipstertums aus der Sicht des Neo-Spießers

Im Zeitgeist-Magazin Tempo schrieb Maxim BILLER Ende der 1980er Jahre eine Kolumne, die sich 100 Zeilen Haß nannte. Damals legte der Puppie den Grundstein jener Hipster-Theorie, der auch LEHNARTZ folgt:

Die Tempojahre

"Wandten sich die Beats gegen die »squares«, die Spießer, so sind ihre Schüler, Nachfolger und Enkel heute selbst nichts anderes als »squares« (...) - sie reproduzieren lediglich alte Verhaltensweisen, die einst rebellisch und ein bißchen weise waren, heute aber nichts anderes als bequem, gewöhnlich und stereotyp sind - spießig eben. Und also wurden sie Werbetexter."
(1991, S.96f.)

In dem Buch Die Tempojahre (1991) befinden sich die Texte Die Beat-Story und Der letzte Hipster, in denen die Mutation des Hippies zum Yuppie beschrieben wird. BILLER bezieht sich mit seinen Ausführungen - wie auch LEHNARTZ - auf Norman MAILERs Beschreibungen der Beat-Generation. Spätestens seit die linke Gegenkultur das neue Establishment stellt und selbst Friedrich MERZ eine wilde Jugend als Mopedrocker im Sauerland gehabt haben will, ist das Hipstertum eigentlich völlig uncool geworden. Die Hipster wissen das nur noch nicht. LEHNARTZ erzählt uns noch einmal diese ganze Geschichte. Dabei wurde die Generation Golf doch schon mit dieser Geschichte sozialisiert. Das macht nur Sinn, weil seit BILLER ja bereits wieder 15 Jahre vergangen sind und es nun Zeit für ein Update ist. LEHNARTZ bringt das Hipstertum mit der Instinkttheorie des Psychoanalytikers Robert LINDNER und mit der Neotonie-Theorie in der Version von Robert Pogue HARRISON in Verbindung:

Global Players

"Mit der Erfindung des »Rebellions-Instinktes« liefert Lindner die ideologische Rechtfertigung lebenslänglicher Jugendlichkeit und Reife-Verweigerung: Denn nur wer den falschen Reifebegriff der repressiven Konformistengesellschaft ablehnt, ist für Lidner in der Lage die menschliche Evolution voranzutreiben. Die wahre Natur des Menschen ist dazu erkoren, dem kraftvollen Rebellions-Instinkt zu huldigen: »Ruhelos, suchend, neugierig, ewig unbefriedigt, stets kämpfend und nur eventuelle siegreich.« Damit schreibt Lindner der jugendlichen Pop- und Rebellionskultur der nächsten fünfzig Jahre ihr erstes, ungelesenes Manifest.
Hipstertum war somit definiert als jugendlicher Widerstand gegen die drohende Anpassung an eine monotone, konformistische Erwachsenenwelt."
(2005, S.103f.)

LEHNARTZs These läuft darauf hinaus, dass nicht die 68er es waren, die unsere Gesellschaft liberalisierten, sondern der neue Mensch der 68er-Generation entsprach mit seinem Wesen den Interessen der neu entstehenden Konsumindustrie. Um dies zu belegen muss LEHNARTZ auf die US-amerikanische Literatur zurückgreifen. The Conquest of Cool (1997) von Thomas FRANK, Hip - The History (2004) von John LELAND und The Rebel Sell (2004) von Joseph HEATH & Andrew POTTER (mittlerweile auch in deutscher Übersetzung verfügbar) haben auf diesem Feld Vorarbeit geleistet. In Deutschland ist vor kurzem der Roman Geschäftsjahr 1968/1969 von Bernd CAILLOUX erschienen, der dieses Thema ebenfalls aufgegriffen hat.

Das Problem von LEHNARTZ ist, dass die damaligen Konflikte geleugnet werden. Im Rückblick erscheint die Liberalisierung als alternativlos. Wem das irgendwie aus der Agenda-2010-Debatte bekannt vorkommt, der liegt nicht falsch. Die 68er werden zu Getriebenen der linearen Geschichte erklärt. (Natürlich gibt es hier irre viel Disclaimer, sonst würde dies seine Zielgruppe übel nehmen!). Der Motor ist jedoch nicht der technische Wandel, es ist auch nicht der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, sondern - wir ahnen es schon, es ist der demografische Wandel. Jugend wird in der Nachkriegszeit zur neuen Zielgruppe. Die Baby-Boomer werden zur ewigen Zielgruppe (Martin SCHACHT).

Die ewige Zielgruppe

"Sie waren die Babyboomer, die Generation, der allein wegen ihrer Größe Zukunftsängste und Konkurrenzdenken eingeimpft wurde. Sie waren immer zu viele. Doch etwas Entscheidendes wurde lange Zeit übersehen: Wo Masse ist, ist immer auch Macht, ist immer auch ein Markt! Die geburtenstärkste Generation des 20. Jahrhunderts, die der heute 30- bis 49-Jährigen, ist der Markt der Gegenwart - und der Zukunft!"
(aus: Klappentext 2004)

Der US-amerikanische Soziologe David RIESMAN hat in seinem Buch Die einsame Masse (1958) einen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsweise und Charakter hergestellt. Helmut SCHELSKY hat im Vorwort zur deutschen Ausgabe darauf hingewiesen:

Die einsame Masse

"Die traditions-geleitete Verhaltensweise scheint ihm zu der Epoche des hohen Bevölkerungsumsatzes, d.h. der hohen Geburts-, aber auch Sterberate vorindustrieller Gesellschaftsformen zu gehören. Die erste Epoche der Industrialisierung wiederum wird in Europa und Amerika getragen von einer geschichtlich einmaligen Bevölkerungsvermehrung oder Bevölkerungswelle, die aus dem Absinken der Sterbefälle bei bleichbleibender Geburtenhöhe resultiert; ihr ist der »innen-geleitete« Verhaltenstyp zuzuordnen. Mit der Konsolidierung des industriellen Gesellschaftssystems - in Europa-Amerika etwa in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts - setzt nun auch jene Beschränkung der Geburtenzahlen ein, die als Anpassung an die moderne Gesellschaftsstruktur, z.B. an deren gesunkene Sterblichkeitsrate, anzusehen ist und zu einer neuen Konstantheit, ja, sogar zu einer gewissen Schrumpfung führt; mit diesem Vorgang scheint für RIESMAN die Geburt des »außen-geleiteten« Menschentyps verbunden zu sein."

Der außen-geleitete oder flexible Mensch wäre nach RIESMAN Ausdruck einer schrumpfenden Bevölkerung. LEHNARTZ dagegen bringt den menschlichen Charakter entsprechend den Ausführungen in Richard SENNETTs Bestseller Der flexible Mensch (1998) mit dem Wandel der kapitalistischen Produktionsweise zusammen.

Der flexible Mensch

"Flexibilität ist das Zauberwort des globalen Kapitalismus. Auch der ganz normale Arbeitnehmer muß ständig bereit sein für Veränderungen, muß immer aufs neue wagen und gewinnen. (...). Sennetts Fazit ist eindeutig: Eine Gesellschaftsordnung, die das Bedürfnis des Menschen nach Stabilität so sehr vernachlässigt, kann nicht von Bestand sein." [mehr]
(aus: Klappentext 1998)

Wir hatten LEHNARTZ bereits im Jahr 2002 dieses Buch in unserer Kritik an seinem bereits weiter oben erwähnten Artikel Die abservierte Elite empfohlen. LEHNARTZ beschreibt diesen flexiblen Menschen, den die Kultur des neuen Kapitalismus (so ein neueres Buch von SENNETT) fordert, als Version 2.0 des Hipsters. Für LEHNARTZ ergibt sich das Hippie-Bashing von Maxim BILLER im  Zeitgeistmagazin Tempo folgendermaßen:

Global Players

"Nicht nur für Tempo war der Hippie ein Feindbild, der Prototyp des Lifestyle-Analphabeten, der die falschen Platten hörte, grauenhafte Klamotten trug - und uncoolerweise nie Termine hatte. Allerdings rannte man mit Hippie-Bashing Ende der Achtziger bereits offene Türen ein. Das lag nicht zuletzt daran, daß nicht wenige Alt-Hippies ihre selbstgebatikte Vergangenheit inzwischen längst peinlich war und sie in den meisten Fällen die Flokatiteppiche und Apfelsinenkisten schon entsorgt und Lavalampen durch Artemide ersetzt hatten."
(2005, S.153)

In dieses Bild passen dann auch die Bobos, die bourgeoisen Bohemiens, die der US-amerikanische Neocon David BROOKS im Jahr 2000 entdeckte. Der Bobo versöhnt den Hippie mit dem Yuppie. Bereits in den 1980er Jahren hatte Matthias HORX darauf hingewiesen, dass die Yuppie-Debatte das Ergebnis eines Kulturkampfes innerhalb verschiedener linker Gruppierungen war. Auf dieser Website wurde das linke Establishment bereits seit längerem als Bobokratie (siehe hierzu auch das Kleine Wörterbuch des Sozialpopulismus ) beschrieben. LEHNARTZ bezeichnet die Bobos als "alt- oder halblinke Kulturrevolutionsgewinnler" . LEHNARTZs Geschichte des Hipstertums ist anschlussfähig an Ulf POSCHARDTs Popper-Theorie aus dem Buch Cool.

In einem WamS-Artikel hatte POSCHARDT den Popper als Gegenkultur der 1980er Jahre zum 68er-Mainstream umgedeutet:

Die Rebellion der Kaschmir-Kinder

"Die Popper benahmen sich anständig, nahmen keine Drogen, trugen Kaschmir-Pullover und College-Loafer, wollten später Juristen oder Manager werden, um viel Geld zu verdienen. Die obszöne Offenheit, mit der sie bürgerliche Werte und Ideale skandierten, machte sie zu Provokateuren. 23 Jahre vor Arnulf Baring waren diese jungen Bürger auf den Barrikaden. Die Avantgarde nicht der Angepassten, sondern als neubürgerlichen Vernunft, die sich in Deutschland erst im 21. Jahrhundert durchsetzen kann.
(...).
25 Jahre danach darf man sagen: Die Popper waren und sind die unterschätzteste deutsche Jugendkultur. Ihr Instinkt hat jenen bürgerlichen Ruck vorweggenommen, den Präsidenten wie Herzog und Köhler heute beschwören.
"
(WamS 04.07.2004)

LEHNARTZ räumt den Poppern eine Sonderrolle in der deutschen Jugendkultur ein:

Global Players

"Nicht aufgebrochen, aber doch karikiert haben diese schier endlose Kette sich ablösender Fertig-Rebellionsidentitäten eigentlich erst die gerade unter Rebellions-Illusionisten besonders verachteten Popper und die Generation Golf. Die haben einfach nur noch konsumiert, ohne so zu tun, als seien sie dagegen."
(2005, S.160)

Nichtsdestotrotz geht für LEHNARTZ die Geschichte der Jugendkulturen in Deutschland weiter:

Global Players

"Es entspricht der Logik der wechselnden Verkörperungen der Metapher »Jugend«, daß die nächste Jugend nach der Generation Golf wieder eine sich konsumkritisch gebärdende ist, deren Vorreiter den Markenwahn durch die Flucht ins Retro-Reservat bekämpfen."
(2005, S.160)

Musik von Wir sind Helden und Filme wie WEINGARTNERs Die fetten Jahre sind vorbei gelten ihm hierfür als Beispiele.

 
     
 
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 16. Oktober 2005
Update: 22. November 2018