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Zitate: Die Rückkehr der
Klassengesellschaft
Jenseits von Stand und Klasse?
"Gelingt
es, an die Ansprüche und Verheißungen des in Gang gekommenen
Individualisierungsprozesses anzuknüpfen und jenseits von
Stand und Klasse Individuen und Gruppe in neuer Weise als
selbstbewußte Subjekte ihrer persönlichen, sozialen und
politischen Angelegenheiten zusammenzufassen? Oder werden im
Zuge von Individualisierungsprozessen die letzten Bastionen
sozialen und politischen Handelns weggeschmolzen, und die
sich individualisierende Gesellschaft versinkt an der Grenze
zwischen Krise und Krankheit in politische Apathie, die
nichts ausschließt (...)?"
(aus: Ulrich Beck "Jenseits von Stand und
Klasse?", 1983, S.70)
Unsere Klassengesellschaft
"Eigentlich müsste soziale Ungleichheit ein großes Thema
unserer Zeit sein. In allen westlichen Industrieländern hat
sich der Trend zu einer immer egalitäreren
Einkommensverteilung seit den achtziger Jahren markant
umgekehrt. Zeitweise schien sich ein Sensorium für die damit
neu entstehenden, oder wieder verschärfenden, sozialen
Probleme herauszubilden - aber wer spricht heute noch über
die »Zweidrittelgesellschaft«?"
(Paul Nolte in der ZEIT vom 04.01.2001)
Individualisierung als Deutungsmuster sozialer
Ungleichheit
"Die
Klassentheorie sieht (...) die Widerspiegelung
erwerbsbezogener Parameter in der sonstigen Gesellschaft und
- in umgekehrter Blickrichtung - die Herkunftsbedingtheit
beruflicher Karrierechancen als die gültigen Kriterien
zeitgenössischer Klassenstrukturierung sozialer
Ungleichheit.
(...).
Die Studie über »Lebensverläufe und gesellschaftlicher
Wandel« des Berliner Max-Planck-Instituts für
Bildungsforschung hat diesen Zusammenhang auf anspruchsvolle
Weise (...) nachgewiesen. Mayer/Blossfeld (...) haben die
bis 1990 erreichten, gegen die Individualisierungsthese
zugespitzten Thesen folgendermaßen zusammengefasst:
1. Die Bildungsexpansion hat nicht zu einer wesentlichen
Verminderung herkunfts-, also klassenbedingter Wirkungen auf
die Höhe der erreichten Abschlüsse im allgemein bildenden
Schulsystem geführt.
2. Die soziale Herkunft determiniert relativ unverändert die
Qualität der Berufsausbildung.
3. Der Berufseintritt wird weiterhin unmittelbar und
mittelbar über die Herkunftsbedingtheit der Schul- und
Berufsausbildung determiniert.
4. Die sich an Schul- und Berufsausbildung anschließenden
beruflichen Karrierechancen werden weiterhin durch die
soziale Herkunft - also die Klassenstruktur - bestimmt.
5. Die Gründung eigener Familien wird nicht in sinkendem,
sondern in steigendem Maße durch die soziale (Klassen-)
Herkunft bestimmt. "
(Gerd Nollmann & Hermann Strasser in
Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Heft 3, 2002, S.7)
Der amerikanische Albtraum
"das
Amerika der fünfziger und sechziger Jahre, in dem ich
aufwuchs, war eine Mittelklassegesellschaft. Die großen
Einkommens- und Wohlstandsunterschiede des Goldenen
Zeitalters waren verschwunden.
(...).
Doch das ist lange her. Heute leben wir wieder in einem
Goldenen Zeitalter - ähnlich extravagant wie das Original.
Villen und Paläste erleben ihr Comeback. (...).
Nur wenigen Leuten ist bewusst, wie sehr sich in diesem Land
die Kluft zwischen den sehr Reichen und dem Rest innerhalb
relativ kurzer Zeit verbreitert hat. Wer sich mit diesem
Thema beschäftigt, setzt sich unweigerlich dem Verdacht aus,
»Klassenkampf« oder eine »Politik des Neides« zu betreiben.
Und nur wenige Leute sind tatsächlich willens, über die
weitgehenden Auswirkungen dieser sich immer weiter öffnenden
Schere zu sprechen - ökonomische, soziale und politische
Auswirkungen."
(Paul Krugman in der ZEIT vom 07.11.2002)
Der verblassende Mythos der Meritokratie
"Armut,
darunter ganz wesentlich Bildungsarmut, ist auch in den
reichen Gesellschaften nicht verschwunden und zeitigt enorme
negative Konsequenzen für alle Lebensbereiche: Den
Betroffenen verdirbt sie die Chancen auf dem Arbeits- und
Heiratsmarkt (und verkürzt sogar ihre durchschnittliche
Lebenserwartung), und diese Benachteiligung vererbt sich auf
Kinder und Kindeskinder. Zu wenig bedacht wird bisher, dass
zu den Konsequenzen sozialer Ungleichheit auch der
Ausschluss von politischer Partizipation gehört,
Staatsbürger also an der Wahrnehmung ihrer Rechte und
Pflichten gehindert werden. Soziale Exklusion zieht
politische Marginalisierung nach sich, und umgekehrt."
(Claus Leggewie in der Frankfurter
Rundschau vom 03.06.2003)
Zukunft ist für alle gut
"Als
es noch keine Reformen gab, gab es die neue Mitte. Ich
wusste nie genau, wo sie lag und was sie bedeutet, aber das
wusste niemand. Die neue Mitte war ein Ort, an dem man sich
nicht zu entscheiden brauchte. Alle waren dabei. Man konnte
SPD wählen, FDP, CDU, die neue Mitte war jeder. Sie war ein
Ausdruck dafür, dass sich die Parteien kaum noch
unterschieden. Dass die Inhalte nicht wichtig waren.
Wahrscheinlich wird die neue Mitte jetzt endgültig
untergehen, sie wird sterben. Die Linien sind klarer
geworden. Entscheidungsmuster, die ich kaum noch kenne,
kommen wieder zum Einsatz. Arm und Reich. Oben und Unten."
(Jochen-Martin Gutsch in der Berliner
Zeitung vom 24.10.2003)
Der Wandel des Wertewandels kommt bestimmt
"Die Sozialdemokratie hat sich seit den siebziger
Jahren erheblich verändert (...). Viele von uns sind
aufgestiegen. Wenn ich mir einen normalen Parteitag
anschauen und frage würde: Wer ist dabei, der in der ersten
Generation Akademiker ist, bei dem der Vater noch Arbeiter
war? Dann würde die Antwort wahrscheinlich lauten: 80
Prozent. Ich selbst bin ja auch so ein Fall - Vater:
Hilfsarbeiter auf dem Schlachthof; Sohn: Hochschullehrer.
Dieser Prozess ist natürlich möglich geworden durch eine
robuste, entschlossene Form der materiellen Umverteilung in
den sechziger und siebziger Jahren. Ohne Umverteilung und
den Ausbau des Staates (...) hätte es diesen massenhaften
Aufstieg nicht gegeben. Und auch ich wäre wahrscheinlich
genau wie mein Vater noch immer auf dem Schlachthof. Wir -
oder doch die meisten von uns - sind also gewissermaßen die
Gewinner von Umverteilung, reden aber jetzt nicht mehr von
Umverteilung, fordern es jedenfalls nicht mehr, weil es uns
möglicherweise auch zu teuer kommt, weil es vielleicht auch
zu teuer ist. Nur ist das eine ganz merkwürdige
Angelegenheit: In dem Moment, in dem wir aufgrund eines
spezifischen politischen Instrumentariums sozial gewonnen
haben, legen wir das Instrument zur Seite und lassen die
anderen ziemlich kaltblütig zurück. Das aber wird moralisch
möglicherweise nicht funktionieren, denn es nimmt de
Sozialdemokratie ihre besondere Aura, ihren
unverwechselbaren Ethos. Und am Ende wäre die SPD dann
nichts anderes als - wenn man so will - die FDP der neuen
Mitte aus der vorangegangenen Bildungsexpansion."
(Franz Walter in der Berliner Republik,
H.5, 2003)
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Die Berliner Republik und der Sozialstaat
Das aktuelle Heft der
Zeitschrift Berliner Republik widmet sich der Frage
Welche Gerechtigkeit? Die Generation Berlin bzw. das
SPD-Netzwerk Berlin beansprucht die intellektuelle Führungsrolle
in der zukünftigen SPD. Mit der Gerechtigkeitsdebatte ist die
Frage nach der Gestaltung des Sozialstaats der Zukunft gestellt.
Bisher galt der Sozialstaat als Garant für eine Gesellschaft, in
der sich soziale Ungleichheiten in Grenzen gehalten haben. Die
Generation Berlin steht nun für einen Umbau des Sozialstaats,
der die Rückkehr zur Klassengesellschaft bedeutet.
In dem Beitrag
Koloss auf tönernen Füßen liefert Heinz BUDE die
Rechtfertigung für den Abbau des Sozialstaats, indem er
einerseits bestreitet, dass es Gruppen gebe, die den Sozialstaat
abbauen wollen, andererseits jedoch die Aufkündigung der
Solidarität behauptet.
Die Generationen und der
Sozialstaat
Heinz BUDE hat in seinem
Beitrag die einzelnen Generationen und ihre Einstellung zum
Sozialstaat thematisiert. Der Soziologe hat einen beängstigten
Legitimationsschwund festgestellt, der sich angeblich
generationenspezifisch ausdrückt.
1) Die
Flakhelfer-Generation als das bundesrepublikanische Ideal einer
Rentnergeneration
BUDE sieht im Anschluss an
Christoph KLEßMANN bei der Flakhelfer-Generation eine
Kollektivverantwortung der Zusammenbruchsgesellschaft am Wirken. Aus dieser Wiederaufbauverpflichtung der um 1928 Geborenen hat
der Sozialstaat eine nicht regenerierbare Legitimationsressource
bezogen, die keine der nachfolgenden Generationen kennzeichnet. BUDE beschreibt ein geradezu symbiotisches Verhältnis zwischen
Flakhelfer-Generation und Wohlfahrtsstaat:
Koloss auf tönernen Füßen
"Die Generation, die den
deutschen Sozialstaat als ihre Errungenschaft ansieht und im
Augenblick am besten dasteht, ist die unserer Turnschuh-Rentner.
Gemeint sind damit diejenigen, die der Flakhelfer-Generation der
um 1928 Geborenen angehören. Die erfreuen sich in ihrer Mehrheit
guter Renten, haben oft noch Eigenheim- oder sonstige
Immobilienrücklagen, sind in der Welt unterwegs und können sich
generös gegenüber ihren Enkeln zeigen, was die zahlen über
erhebliche private Transfers in der Generationenfolge belegen."
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.26) |
Die jüngeren Generationen
blicken neidvoll auf diese Rentnergeneration. Sie hätten gerne
die gleichen Sicherheiten, sind sich jedoch aufgrund der
Sozialstaatsdebatte der letzten Jahre sicher, dass sie im
Rentenalter auf alle Fälle schlechter gestellt sein werden.
2) Die
68er-Generation
als Profiteure der Bonner Republik
Aus der Perspektive der
jüngeren Kinder sind die 68er die Glückskinder der Republik:
Koloss auf tönernen Füßen
"Diese um 1940 geborenen
Kriegskinder des Zweiten Weltkriegs sind die eigentlichen
Profiteure des westdeutschen Wohlfahrtsstaates. Die hatten
gegenüber der Flakhelfer-Generation den zusätzlichen Vorteil,
dass sie in die expandierende Wohlfahrtsstaatlichkeit
hineingeboren worden sind, was ihnen enorme berufliche Chancen
eröffnet hat. Für sie war der Wohlfahrtsstaat nicht nur ein
Sicherungsinstitut, sondern auch gleichzeitig eine
Beschäftigungsmaschine."
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.26) |
3) Die Generation Heinz
Bude als nochmals Davongekommene
BUDE sieht seine
Altersgenossen als erste Generation, die mit den Grenzen des
Wachstums konfrontiert war:
Koloss auf tönernen Füßen
"die Angehörigen der
defensiven Sozialstaatsgeneration, die in den siebziger Jahren
politisch sozialisiert worden sind (...)(,) sind schon mit den
»Grenzen des Wachstums« groß geworden, haben dann aber die
unbeschwerten achtziger Jahre als ihre Zeit mit dem Punk und der
Postmoderne erlebt. Daraus ergibt sich die merkwürdige
Zwischenlage dieser Generation der um das Jahr 1960 Geborenen:
dramatisiert in der frühen Jugend, dass alles zu Ende geht, und
beruhigt in der späten Jugend, dass alles weitergeht."
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.26) |
4) Die
Generation Golf als Sozialstaatsgegner
BUDE stilisiert die
Generation Golf zur ersten postsozialstaatlichen Generation:
Koloss auf tönernen Füßen
"Sie sind sowieso der
Meinung, dass der Wohlfahrtsstaat, sowohl was ihre persönlichen
Lebensmodelle als auch was seine Finanzierungsleistungen angeht,
eine schlechte Karte darstellt. Das sind die Virtuosen des
Wechsels zwischen dem jeweils Günstigen. Aber nicht weil sie
nichts anderes kennen würden als die egoistische Vorteilsnahme.
Sondern weil ihren hergebrachte Vorstellungen von
Sozialverpflichtung wie Schutzbehauptungen von Sozialkartellen
und Besitzstandskoalitionen erscheinen. Daher glauben sie, dass
»exit« einfach ehrlicher und wirkungsvoller sei als »voice«."
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.26) |
Die Generationenerzählung
von Heinz BUDE klingt auf den ersten Blick plausibel. Die
generationell gestaffelte Absetzbewegung vom deutschen
Sozialstaat lässt sich in dieser Form jedoch anhand der
Sozialstaatsdebatte nicht belegen.
Die Generationenerzählung von Heinz BUDE als
das Märchen der Besitzstandswahrer
Die erste Generation
der Sozialstaatsgegner ist in Wirklichkeit die 68er-Generation
und zwar nicht, weil sie die Früchte des Sozialstaats für sich
selbst ablehnen, sondern weil sie befürchten, dass sie sonst
nicht mehr in den vollen Genuss eines angenehmen Lebensabend
kommen.
Die schärfsten
Kritiker des Wohlfahrtsstaates haben sich um eine These
gruppiert, die der 68er Soziologe Ulrich BECK (Jahrgang 1944)
popularisiert hat. Mit dem Begriff
Individualisierung wird seit Anfang der 1990er Jahre die
Notwendigkeit des Abbaus des Sozialstaats immer aggressiver
begründet.
Neoliberale
Sozialstaatsgegner wie Meinhard MIEGEL (Jahrgang 1939)
benutzen die Individualisierungsthese in ihrer
sozialpopulistischen Variante, um eigene Besitzstände gegenüber
den nachfolgenden Generationen zu verteidigen. Die »Exit«-Position
wird am engagiertesten vom Welt-Leitartikler Konrad ADAM
(Jahrgang 1942) verfechtet:
Ein Patriot verlässt das Land
"Wer würde es den Beckers
und den Schumachers nicht gleichtun, wenn er könnte?
Ich kann es leider nicht. Denn das Kapital, das ich gebildet
habe, ist Humankapital, sind Kinder. Und die lassen sich nicht
ganz so einfach wie Bankguthaben ins Ausland verschieben,
zumindest so lange nicht, wie sie noch klein und unselbstständig
sind. Aber das ändert sich ja mit der Zeit: glücklicherweise,
wie man als deutscher Staatsbürger hinzufügen muss. Die Kinder
werden mit den Jahren älter, und wenn sie vernünftig sind, gehen
sie dann denselben Weg wie das mobile Kapital, ins Ausland also.
Zwei meiner Kinder sind dort schon, das jüngste wird wohl noch
folgen. Wir, ihre Eltern, sehen das mit grimmiger Genugtuung,
Grimmig, weil wir die Kinder gern in unserer Nähe hätten; mit
Genugtuung, weil sie, die Jüngeren, mit leichter Hand das tun
können, wofür es für uns Ältere zu spät ist."
(Welt vom 20.10.2003) |
Die Sozialstaatsfeinde der
68er-Generation missbrauchen also ihre Kinder für einen
egoistischen Stellvertreterkrieg.
Es verwundert
deshalb auch kaum, dass die Verunsicherungen über die
Stabilität der Sozialsysteme von der 68er-Generation in
Umlauf gebracht worden sind. Das Schlagwort vom
demografischen Wandel - mit Vehemenz von Herwig BIRG
(Jahrgang 1939) popularisiert - wird dazu herangezogen, um die
Notwendigkeit der Umstellung vom Umlageverfahren auf die
Kapitaldeckung zu rechtfertigen.
Diese Umstellung
bedeutet jedoch in erster Linie eine Umverteilung von unten
nach oben. Geringverdiener sind durch die Umstellung stärker
betroffen als die Eliten, die von diesem Umbau profitieren. Ein
solcher Umbau der Sozialsysteme beschleunigt die Rückkehr zur
Klassengesellschaft.
Nach uns die Eigenverantwortung
Das Prinzip der
Besitzstandswahrer lautet ganz uneigennützig: Wir müssen die
letzte Sozialstaatsgeneration sein und die nachfolgenden
Generationen haben uns gefälligst zu alimentieren. Der gegenwärtige
Kampf um die Rentenversicherung dreht sich in erster Linie darum, bei welchen Jahrgängen der Umschlagspunkt zwischen
Gewinnern und Verlierern der Reformen liegen wird.
Die Generation
Heinz BUDE sieht offensichtlich in einer
Besitzstandswahrerallianz zusammen mit der 68er-Generation ihren generationellen Vorteil. In dieser Sicht ist
es konsequent, die Generation Golf zur postsozialstaatlichen
Generation zu adeln und ihnen die Bürde schmackhaft zu machen.
Die Generation Berlin verschafft der
68er-Generation einen Freispruch erster Klasse
Die Generation Berlin
hat sich diese Aufgabe auf die eigene Fahne geschrieben. Susanne
GASCHKE hat willfährig in der ZEIT vom 14.08.2003 ihre
eigenen Altersgenossinnen der Gebärfaulheit bezichtigt und der
68er-Generation damit einen Freispruch erster Klasse verschafft.
Single-generation.de hat dagegen belegt, dass die
68er-Generation Teil des Problems ist
.
Andererseits ist
die Forderung von GASCHKE die bevölkerungspolitisch korrekte
Vermehrung zum Maß aller Dinge zu machen, selbst mehr als
problematisch. Detlef GÜRTLER hat
in der taz vom 15.05.2003, den Fehlschluss einer
demografisch begründeten Politik kritisiert.
Der demografische Wandel als altbekanntes
Phänomen
Nicht die Demografie
bestimmt das Schicksal unserer Republik, sondern die ökonomische
Entwicklung macht die demografischen Entwicklungen beherrschbar.
Demografischer
Wandel ist ja kein neues Problem, sondern die Geschichte kennt
eine Vielzahl demografischer Übergänge. Beschleunigtes
Bevölkerungswachstum oder beschleunigter Bevölkerungsrückgang
sind Phänomene, die in der Vergangenheit immer wieder bewältigt
werden mussten.
"Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsschrumpfungsphasen gab es
seit eh und je", schreibt Klaus JENTZSCH ("Sterben wir aus?")
und erwähnt hier u. a. den 30jährigen Krieg (1618 - 1648). Damals
hat Deutschland "etwa die Hälfte seiner Bevölkerung und auch die
Hälfte seines Volksvermögens eingebüßt".
Angesichts solch
eines demografischen Wandels ist die gegenwärtige Situation
vergleichsweise harmlos. Denn Deutschland kennzeichnet bisher
keinen beschleunigten Bevölkerungsrückgang, sondern in der
Vergangenheit ist die Bevölkerung trotz Geburtenrückgang
gewachsen.
Ulrich BERGER &
Christoph STEIN haben im Beitrag
Die Baby-Boomer in Deutschland für das Web-Magazin Telepolis einen kritischen Beitrag zur bevölkerungspolitisch
geprägten Sozialstaatsdebatte geliefert, der in einer Behauptung
gipfelt, die vor einigen Monaten so undenkbar gewesen wäre:
Die Baby-Boomer in Deutschland
"Ein
demografisch begründbarer Handlungsbedarf zur Stabilisierung der
Rentenkassen entsteht erst ab 2025 und das auch nur, wenn die
unsicheren und umstrittenen Prognosen zur Geburtenrate und zur
Lebenserwartung richtig sein sollten."
(Telepolis 20.10.2003) |
Der Widerstand gegen
das Mantra der neoliberalen Sozialstaatsfeinde wächst und
selbst die
Floskeln vom demografischen Wandel werden nicht mehr
einfach geschluckt, sondern in Frage gestellt.
Die Vorreiterrolle von single-generation.de
bei der Dokumentation der sozialpolitischen Demagogie
Single-generation.de hat auf
diesem Gebiet eine Vorreiterrolle gespielt. Nirgendwo sonst
existiert eine derart umfangreiche Dokumentation von Einwänden
gegen die Argumente der bevölkerungspolitisch unterfütterten
Sozialstaatsdebatte.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der »Single-Gesellschaft«
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
Ein Politikwissenschaftler liest der
Generation Berlin gehörig die Leviten
Der mit Abstand
bemerkenswerteste Beitrag im aktuellen Heft der Berliner
Republik stammt von dem Göttinger Politikwissenschaftler Franz
WALTER. Mit
Der Wandel
des Wertewandelskommt bestimmt ist die Anklageschrift
betitelt. Der Beitrag ist eine gekürzte Version eines Vortrages
vom 22.06.2003. Mit dem Wandel des Wertewandels greift
Franz WALTER ein Thema auf, das er im Anschluss an Stefan HRADIL
ausführt. Single-generation.de hat sich bereits im April
2003 ausführlich mit den Thesen des Lebensstilforschers HRADIL
beschäftigt
.
Der Wandel des Wertewandels und die
Individualisierungsverheißungen als Ladenhüter
In der unveröffentlichten
Magisterarbeit Das Single-Dasein von Bernd KITTLAUS aus
dem Jahr 1998 wurden die Anfänge dieses Wandels des Wertewandels
bereits anhand der 1980er-Jahre-Zeitgeistmagazine Wiener
und Tempo nachgewiesen
.
Auf dieser Website
wurde von Anfang an die
These von der Single-Gesellschaft
in Frage gestellt und stattdessen die Gültigkeit der
Individualisierungsthese von Ulrich BECK angezweifelt und
zahlreiche Belege für einen neuen Familienfundamentalismus
dokumentiert.
Mit dem
September-Thema Der Terror der
Individualisierungsthese wurden die Folgen von 20 Jahren
Individualisierungsdebatte aufgezeigt
.
Was nun Franz
WALTER neuerdings schreibt, das stimmt in vielen Punkten mit dem
überein, das bei single-generation.de bereits seit längerem
immer wieder unter neuen Blickwinkeln betrachtet worden ist:
Der Wandel des Wertewandels kommt bestimmt
"Autonomie,
Individualisierung, Emanzipation haben eine lange
gesellschaftliche Kultur der Gemeinschaftungen, Kollektive und
paternalistischen Betreuungen abgelöst.
Individualisierungsmöglichkeiten waren in den sechziger Jahren
des 20. Jahrhunderts noch eine Mangelware - daher die mächtige
Strömung in diese Richtung danach. Nur: Heute ist die
Abständigkeit, die Unabhängigkeit von Vergemeinschaftungen keine
Mangelware mehr. Im Gegenteil. (...). Es kann sich ein großer
Bedarf entwickeln - nicht nach noch mehr Individualisierung,
nicht nach noch mehr Autonomie, nicht nach noch weiterer
Entstrukturierung, übrigens auch nicht nach zusätzlicher
Entstaatlichung, sondern, ein bisschen jedenfalls, in die
entgegengesetzte Richtung: nach neuerlicher Bindung, nach der
Geborgenheit in schützenden Vergemeinschaftungen."
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.45) |
Die Durchsetzung des neuen
Paradigmas beschreibt WALTER ein wenig zu euphorisch, denn
Stefan HRADIL ist keineswegs ein Avantgardist, sondern die These
vom "Wandel des Wertewandels" ist vielmehr die überfällige
Konsequenz eines längst obsolet gewordenen Paradigmas der
Lifestylesoziologie.
Immerhin hat diese
Soziologie ein Jahrzehnt im Tiefschlaf verharrt, aber lassen wir
WALTER die neue Erkenntnis würdigen:
Der Wandel des Wertewandels kommt bestimmt
"Nun befinden wir uns
gegenwärtig wieder in einer (...) Übergangsphase, ohne dass die
Öffentlichkeit - gerade die publizistische Öffentlichkeit - oder
die Politik es schon zur Kenntnis genommen hätte. Zumindest
schreiben einige kluge Soziologen in diesen entlegenen
Fachzeitschriften mit ihren 30 bis 40 Lesern vom »Wandel des
Wertewandels« (Stefan Hradil). Und sie begründen das mit viel
Empirie, deuten das außerordentlich plausibel. So kann es aber
sein, dass gerade die sich ganz furchtbar modern dünkenden
Sozialdemokraten derzeit auf die Ladenhüter des Wertewandels von
gestern setzen, wenn sie sich mit antitraditionalistischem Furor
für die Individualisierung und den Zuwachs von Optionen stark
machen. Das wäre 1965, auch 1975 und 1985, wahrscheinlich noch
1995 ein unbestreitbar wichtiger Beitrag zur Modernisierung von
Sozialdemokratie und Gesellschaft gewesen. Aber für das Jahr
2005 oder 2015 geht es ziemlich ins Leere".
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.46) |
Für die Leser von
single-generation.de dürfte das alles keineswegs neu sein. Wenn
WALTER der Generation Berlin ins Stammbuch schreibt:
Der Wandel des Wertewandels kommt bestimmt
"Wer sich aber auf die
Entwicklung für das Jahr 2010 und 2020 vorbereiten will, der
muss jetzt eigentlich schon andere Begriffe antizipieren, als
die in den derzeit zirkulierenden Agenden und Leitartikeln
bevorzugt gebrauchten",
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003) |
dann kann das nur ein
müdes Lächeln hervorrufen. Single-generation.de ist hier der
Zeit schon immer weit voraus.
Den Verheißungen
der Individualisierung ist hier von Anfang mit Misstrauen
begegnet worden. Die schöne neue Single-Welt wurde als
Mythos entlarvt und stattdessen aufgezeigt, dass das
dauerhafte Single-Dasein mehrheitlich unerwünscht ist.
Was nun auch
offizieller Tenor der Lebensstilforschung geworden ist, das war
bei single-generation.de von Anfang an Richtschnur der
Beurteilung von Medienberichten über die angebliche
Single-Gesellschaft.
Die
Rückkehr der Klassengesellschaft
Während die
Individualisierungstheoretiker von einer Übernahme der Normen
der Neuen Mitte in den anderen Milieus ausgehen, deuten alle
Anzeichen auf eine verstärkte Abschottung der Milieus.
Die Bobos
(David BROOKS)
machen es sich in ihren schicken Quartiers gemütlich. Aus
vielen ehemaligen Häuserkämpfern sind Hausbesitzer geworden, die
gnadenlos selektieren.
Die Anfänge der
großstädtischen Segregation hat Matthias HORX in seinem
Märchen vom Erwachsenwerden aus dem Sammelband Infrarot
aus dem Jahr 1983 am Beispiel
Frankfurt beschrieben:
Das Märchen vom Erwachsenwerden
"Das Häuserkampfbewußtsein
machte jeden Besitz von Immobilien zum Verdikt.
Doch die Sache mit dem Besitz scheint ein wichtiger Faktor
gewesen zu sein. Heute nämlich ist die einstmalige Utopie so gut
wie verwirklicht - aber von anderen Leuten: Ende 1979 kaufte
eine Gruppe das Haus. In der Folgezeit gab es zwischen den
restlichen Mieter-Wohngemeinschaften und den neuen Eigentümern
einen erbitterten Streit, der bis in die alternative
Öffentlichkeit hineinragte (...).
Natürlich waren die neuen Besitzer für die Mieter »Arschlöcher«,
obwohl auch jene neue Gruppe sich als Linke, ja als
»Alternative« bezeichnete, als »Hauskollektiv«, und nicht allein
die Tatsache, daß zwei Architekten bei der Gruppe sind, hat sie
zum Kauf veranlaßt. Ein ehemaliger Buchhalter hatte ihnen einen
so günstigen Kaufvertrag ausgehandelt, daß sie monatlich weniger
Belastung hatten, als in ihren früheren Wohnungen. Dazu kam, daß
6 der 12 Leute seit Jahren in stabilen Paarbeziehungen leben
(der Rest in ebenfalls stabilen Dreier-Wohngemeinschaften).
Bis auf die drei »Kleinfamilien« (mit Kindern) hat sich die
ursprüngliche Vorstellung eines schönen, lebendigen
Kollektivhauses also durch die »Arschlöcher« verwirklicht. Im
Parterre ist zwar kein Café, dafür aber eine selbstverwaltete
Krabbelstube und ein Stadtteilbuchladen.
(...).
Während die Verräter, jener neue »linke Mittelstand« also,
Häuser kauft, statt zu besetzen, wird in den Großstädten heftig
von der bald zu erwartenden Apokalypse phantasiert."
(aus: Infrarot 1983, 32ff.) |
Unschwer lassen sich hier
die Fronten erkennen, die HORX beschworen hat: Auf der einen
Seite die Neue Linke, die sich auf den langen Weg zur Neuen
Mitte gemacht hat, auf der anderen Seite jene Leute, die man
damals mit dem Etikett "Neuer Sozialisationstyp" (Thomas ZIEHE) belegt und als
narzisstisch Gestörte abgewertet hat.
Indem HORX
Hausbesetzer und Häuserkäufer zwei verschiedenen Fraktionen
zuordnet, leugnet er die Tatsache, dass auch aus jungen
Häuserkämpfern ältere Hausbesitzer geworden sind. Dies wird
neuerdings in Filmen wie Was tun, wenn's brennt
thematisiert.
Handelt es sich
hier also um einen Kulturkampf innerhalb der Neuen Linken,
so geht es WALTER dagegen um die Abgrenzung der Neuen Mitte
gegen den Rest der Gesellschaft.
Die Folgen der
Homogenisierung innerhalb von Quartieren fasst WALTER
folgendermaßen zusammen:
Der Wandel des Wertewandels kommt bestimmt
"Bereits in den neunziger
Jahren nahm die Durchmischung ab, und seit der Jahrtausendwende
ist ganz deutlich zu sehen: Die verschiedenen Wohnquartiere
mischen sich erheblich weniger. Umgekehrt erleben wir eine Form
der sozialen Homogenisierung innerhalb der einzelnen
Stadtteilquartiere.
Aber nicht nur da. (...). Selbst in Liebesbeziehungen mischen
sich die sozialen Gruppen heute erheblich weniger als in den
fünfziger, sechziger, siebziger und achtziger Jahren. Man
liebt sich in der eigenen Schicht. Man heiratet in
der eigenen Schicht. Man bildet sich in der eigenen
Schicht. Das Interessante dabei ist: Wir erleben seit zehn
Jahren das Phänomen, dass sich seit den frühen neunziger Jahren
das gehobene Bürgertum, als die kulturelle und vor allem die
wirtschaftliche Elite, in einer Weise aus sich selbst rekrutiert
wie während etlicher Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nicht. Wir
haben (..) eine bemerkenswerte Öffnung auch der bürgerlichen
Schichten erlebt, die nun abgebrochen ist. Und das finde ich
wirklich phänomenal, vor allem aber bedrückend. Schließlich
befinden wir uns im fünften Jahr einer sozialdemokratisch
geführten Regierung. Für die das aber kein Thema ist."
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.49f.) |
Den Aspekt der
geschlossenen Gesellschaft hat neuerdings auch der
Elitenforscher Michael HARTMANN anhand einer empirischen Studie
als Mythos von den Leistungseliten entlarvt.
Die neue Bobokratie schottet sich ab
Bezeichnenderweise sind
die anstehenden Sozialreformen für die Grünen gar kein Thema
mehr, das auf soziale Ungleichheit verweist. Die grüne Partei
hat sich bereits in den 1980er Jahren erfolgreich vom Proletariat
verabschiedet. Darauf deuten die Kampfschriften der
Pflasterstrand-Autoren hin, die in den 1980er Jahren dem
Neobourgeois neoliberaler Prägung den Weg bahnten. Allein der SPD
steht nun diese Spaltung bevor, die WALTER anspricht:
Der Wandel des Wertewandels kommt bestimmt
"In der Geschichte der
Menschen und der Politik ist das ja kein neuer Vorgang: Eine
Gruppe, die aus der unterlegenen Position zunächst sehr
emanzipatorisch agiert, die sehr dezidiert und voller Energien
in der Vertretung eigener Ziele auftritt, erreicht schließlich
diese Ziele, steigt auf, verlässt die Subalternität, bildet
fortan das Establishment. Im Moment des eigenen Erfolges - ein
tausendfach erlebter Prozess - wird sie konservativ, verteidigt
ihren neuen Status. Sie koppelt sich nicht nur mental und
kulturell ab, sondern sie wird auch sozial aggressiv
besitzstandswahrend - gegen diejenigen, die es nicht geschafft
haben. Aggressiv distanzieren sich die neuen Aufsteiger von
denen, die nicht mitgekommen sind. Und sie wollen die
Abgehängten auch nicht alimentieren, weil man nichts dabei
gewinnen kann. Das ist ein historisch nicht gerade
ungewöhnlicher Prozess. Und für mich ist die ausschlaggebende
Frage: Ist dieser Prozess eigentlich das, was die
Sozialdemokratie gerade mitmacht? Ist es so, dass die
Sozialdemokratie soeben dabei ist, zur Vertretung der neuen,
avancierten, arrivierten, parvenühaften, aufgestiegenen
gesellschaftlichen Mitte zu werden und dadurch überhaupt keine
Bindung mehr an ihre Ursprünge zu haben, keine biografischen
oder kulturellen Affinitäten, weder vom Ort des Wohnens noch vom
sozialen Umfeld der Geselligkeiten her, um sich irgendwann
einmal von all dem auch politisch abzukoppeln? Denn Solidarität,
das wissen wir, ist etwas, was nur innerhalb einer Gruppe mit
ganz ähnlichen oder gleichen Interessen existiert."
(aus: Berliner Republik, Heft 5, 2003, S.52) |
Was für WALTER noch ein
umkämpftes Terrain ist, das kümmert die Verfechter der Agenda
2010 schon nicht mehr.
Die Agenda 2010 als Programm zur Durchsetzung
der neuen Klassengesellschaft
Die Agenda hat sich die
Rückkehr zur Klassengesellschaft zum Ziel gesetzt. Die
Durchsetzung eines Niedriglohnsektors ist kein Sachzwang
aufgrund des zunehmenden Globalisierungsdrucks, sondern der neue
Niedriglohnsektor ist die konsequente Umsetzung einer Politik
für die neue Mütterelite.
Der Baby-Boom der Mütterelite und
die Notwendigkeit des Niedriglohnsektors
Der SPD geht es weniger um
einen generellen Baby-Boom, sondern im Mittelpunkt steht einzig
und allein der gewollte Babyboom der Akademikermütter
.
Man könnte das
Motto der SPD als abgewandelten ADENAUER-Spruch fassen: "Kinder
bekommen Geringverdiener immer". Den gewünschten Babyboom erwartet man
- nicht von der Refeudalisierung der Familie (Ulrich BECK
),
sondern - von einer Refeudalisierung der Gesellschaft.
Der dänische
Politikwissenschaftler Gösta ESPING-ANDERSEN steht für dieses
Programm der gesellschaftlichen Refeudalisierung:
Politik vom Wickeltisch
"Esping-Andersen
(ist) überzeugt, dass es ohne eine spürbare Ausweitung des
Niedriglohnsektors nicht geht – und zwar vor allem wegen der
Eltern, die viele Dienstleistungen brauchen, wenn sie
Berufstätigkeit und Kindererziehung verbinden wollen. »Wir
brauchen einen servicebasierten Wohlfahrtsstaat«, sagt er.
»Und wir brauchen mehr Jobs am unteren Ende der Lohnskala,
wenn es weniger Hausfrauen und mehr berufstätige Mütter
gibt.«"
(Elisabeth Niejahr in der ZEIT vom
02.10.2003) |
Im Spiegel vom 27.10.2003
wird die Wirksamkeit dieser neuen Politik anhand eines
Baby-Booms im Münsterland nachzuweisen versucht:
Baby-Boom bei Dämmerlicht
"Mit mathematisch genau
13,5 Neugeborenen pro 1000 Einwohner gehört Laer zu den
geburtenstärksten Orten der Republik, in Nordrhein-Westfalen
steht er sogar - gleichauf mit der Kleinstadt Augustdorf - ganz
an der Spitze. Der Bundesschnitt lag 2002 bei 8,7 Neugeborenen.
Der Baby-Boom im Münsterland ist umso bemerkenswerter, weil
gesellschaftliche Gruppen, die ansonsten durch Kinderreichtum
auffallen, in Laer keine besondere Rolle spielen: Weder gibt es
hier überdurchschnittlich viele Gastarbeiter, der
Ausländeranteil liegt bei nur 6,3 Prozent, noch leben
außergewöhnlich viele sozial schwache Familien in der Gemeinde.
Auch katholische Gebärfreude, billiges Bauland oder eben die
abendliche Schummerbeleuchtung, da ist sich Bürgermeister
Schimke sicher, reichen nicht aus, um den Kindersegen zu
erklären. Verantwortlich ist etwas anderes.
In Laer gibt es keinen Supermarkt, kein Kino, keinen McDonald's
- aber fünf öffentliche Einrichtungen, die Eltern viel Arbeit
abnehmen: darunter eine Ganztagsgrundschule, mehrere
Tagesstätten, die bis zum Nachmittag die Kinder betreuen, und
eine Elterninitiative, die Kinder von vier Monaten bis sechs
Jahren aufnimmt und ebenfalls öffentlich gefördert wird."
(Andrea Brandt im Spiegel Nr.44 v. 27.10.2003) |
Während Rot-Grün eine
Politik für die Neue-Mitte-Familie anstrebt, die
idealtypisch als Dual-Career-Family gedacht ist, setzt
die Politik für die alte Mitte auf die traditionelle
Manager-Ehe, bei der die "Frau an seiner Seite" ebenfalls
von den üblichen Hausfrauenpflichten entlastet werden soll.
Dienstmädchen für die nicht standesgemäßen Arbeiten erfordern
eine Ausweitung der haushaltsnahen Dienstleistungen.
Fazit: Gering verdienende männliche Singles sind
die
großen Verlierer der neuen Demografiepolitik
Da weder
alte, noch neue Mitte für sich allein eine ausreichende
politische Mehrheit
besitzt, werden alle Kosten dieser Politik für die Eliten der
Mitte-Familien zu Lasten der Singles gehen. Vor allem die
gering verdienenden männlichen Singles werden die Verlierer
dieser neuen Demografiepolitik sein.
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