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Wie
Wohlfahrtsregime soziale Probleme auf unterschiedliche Weise
lösen
Nationalstaaten wie
Frankreich, Deutschland oder Großbritannien unterscheiden sich
in der Art und Weise wie sie in der Vergangenheit die soziale
Frage gelöst haben. Gemäß KNECHT wurde die soziale Frage in
Deutschland als Arbeiterfrage bearbeitet, während in
Großbritannien die Frage der Einkommensarmut im Mittelpunkt
stand. In Frankreich wiederum kam die bedrohte Familie auf die
Agenda. Dies prägte auch die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates
in diesen Ländern und wirkt bis heute fort. Gösta ESPING-Andersen
hat die
sozialpolitische Forschung seit Anfang der 1990er Jahre mit
seinen Untersuchungen zu den so genannten Wohlfahrtsregimen
geprägt, mit
denen die unterschiedlichen Entwicklungen von Wohlfahrtsstaaten
erklärt werden sollen. Frankreich und Deutschland gehören gemäß
der Typologie von ESPING-ANDERSEN zu den konservativen
Wohlfahrtsregimen, während Großbritannien als liberales
Wohlfahrtsregime eingestuft wird. Zu den
sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimen gehören dagegen die
skandinavische Staaten sowie die Niederlande.
Eine
zentrale Unterscheidung der Wohlfahrtsregime beruht darauf,
welchen Stellenwert die Arbeitskraft im Hinblick auf den
Lebensstandard hat. In einem liberalen Wohlfahrtsregime wie
Großbritannien kommt dem Arbeitsmarktschicksal eine größere
Bedeutung zu als in einem sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime
wie in Schweden. KNECHT geht in seinem Buch ausführlich auf die
Konsequenzen solcher Unterschiede ein. Im konservativen
deutschen Wohlfahrtsregime spielen dagegen Berufsstatus und
Familie eine große Rolle für die staatliche Ressourcenzuteilung
und die soziale Ungleichheit.
Lebensqualität produzieren
"Zum
konservativen Wohlfahrtsregime gehören Länder wie
Deutschland, Italien, Frankreich, und die Schweiz. Sie
zeichnen sich durch eine lange Tradition aktiver
staatlicher Eingriffe in die Wohlfahrtsproduktion aus. In
diesen Ländern sind die meisten sozialen Leistungen
beitragsfinanziert und abhängig von der Höhe und Länge der
Einzahlung (...). In dem konservativen Wohlfahrtsregime
ist die Familie neben dem Staat eine wichtige
Versorgungsinstanz, und häufig sogar der Adressat von
staatlichen Leistungen (...). Das konservative
Wohlfahrtsregime hat eine statuserhaltende strukturierende
Wirkung; die sozialpolitischen Interventionen haben häufig
eher die Mittelschicht als die Unterschicht im Blick."
(2010, S.193) |
In
der gegenwärtigen Sozialstaatsdebatte geht es auch darum,
inwieweit sich Deutschland anderen Wohlfahrtsregimen annähert
und welche Rolle dabei die Europäische Union spielt. So werden
in Deutschland eher etatistische, korporatistische und
familialistische Lösungen favorisiert während im
sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime universalistische und im
liberalen Wohlfahrtsregime eher individualistische Lösungen
angestrebt werden. Betrachtet man das Politikfeld Familie, dann
zeigt sich, dass die ursprüngliche Typologie von ESPING-ANDERSEN
spezifische Schwächen besitzt. So wurde von feministischer Seite
eingeworfen, dass die Typologie eher auf den männlichen
Arbeitnehmer gemünzt ist, während die Situation der weiblichen
Arbeitnehmerinnen nicht ausreichend berücksichtigt wurde. In
Deutschland wurde dieser Aspekt vor allem von Ilona OSTNER
thematisiert . KNECHT diskutiert
dagegen Erweiterungen der
Typologie, die von Mary DALY und Joachim VOGEL für den Bereich
Familienpolitik und die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie angeregt wurden. VOGEL
unterscheidet Länder danach, inwiefern sie entweder dem Staat
oder den Familien die Hauptlast der Verantwortung für die
Wohlfahrtsproduktion zuschreiben. Am einen Ende (Defamiliarisierung)
befinden sich dann die skandinavischen Länder, am anderen Ende
dagegen südeuropäische Länder wie Italien oder Griechenland (Familiarisierung).
Lebensqualität produzieren
"Defamiliarisierung
(...) korrespondiert damit, dass Kinder früher das
Elternhaus verlassen um mit Partnern zusammenleben, sowie
mit hohen Raten Alleinlebender und Alleinerziehender. Die
Fertilitätsraten sind in diesem Wohlfahrtsmodell höher,
weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser
bewerkstelligt werden kann (...). Das südliche Cluster, zu
dem Italien, Griechenland, Spanien und Portugal gehören,
stellt gemäß Vogels Unterteilung den Gegenpol dar. (...).
Die Familien sind tendenziell größer, die Kinder verlassen
später das Elternhaus und gehen später feste
Partnerschaften ein. Die Trennungsraten sind geringer, es
gibt weniger Singlehaushalte und häufiger
Mehrfamilienhaushalte (...). Die späte partnerschaftliche
Bindung, die geringe Fertilität und das hohe Alter von
werdenden Eltern sind (...) als »Coping-Verhalten« dieses
südlichen Wohlfahrtsmodell zu verstehen".
(2010, S.197) |
Der Zusammenhang von
Wohlfahrtsregime, Familienpolitik und Geburtenrate zeigt jedoch,
dass die Realität komplexer ist, als es
die Wohlfahrtsregime-Forschung Glauben machen will. In der
Wohlfahrtsregime-Forschung wird mit makrosoziologischen
Variablen gearbeitet, die anfällig für so genannte ökologische
Fehlschlüsse sind. Gerade
die Debatte um den demografischen Wandel seit der
Jahrtausendwende hat gezeigt, dass oftmals gar keine
vergleichbaren Daten vorhanden sind. In Deutschland wurde z.B.
erstmals 2008 die tatsächliche Geburtenfolge von Frauen erfasst.
Vorher wurden nur die Geburten von Frauen in bestehenden Ehen
richtig erfasst. Aufgrund von Scheidungen, Wiederverheiratungen
und vor allem hohen Zahlen an Geburten unverheirateter Frauen in
Ostdeutschland ergaben sich große Differenzen in verschiedenen
Statistiken. Insbesondere die Untersuchungen der Soziologin
Michaela KREYENFELD haben zur Erhellung dieser Problematik
beigetragen. Im
Zusammenhang mit der Einführung eines Elterngeldes in
Deutschland, also eines Elementes sozialdemokratischer
Wohlfahrtsregime, zeigten sich zudem Schwächen bei der Erfassung
von kinderlosen Akademikerinnen. Die Veröffentlichung und
Interpretation von demografischen Daten folgt eher politischen
als wissenschaftlichen Gesichtspunkten. FOUCAULT, auf den sich
KNECHT in seinem Buch bei der Macht- und Diskursanalyse bezieht,
spricht in diesem Zusammenhang auch von Biopolitik, bei der es
um auf Körper und Gesundheit gerichtete Politiken geht. Dieses
sensible Feld ist nicht nur in Deutschland hart umkämpft. Im
Heft 3/2009 der Zeitschrift für Familienforschung befasst
sich der Schwerpunkt mit dem vieldiskutierten Zusammenhang
zwischen Frauenerwerbsarbeit und Geburtenrate.
Einleitung zum Schwerpunkt Frauenerwerbstätigkeit und
Fertilität
"Im ersten
Schwerpunktbeitrag stellen Jette Schröder und
Klaus Pforr systematisch den aktuellen Forschungsstand
zur Frage dar, inwieweit ein kausaler Zusammenhang
zwischen Erwerbstätigkeit und Fertilität besteht und in
welche Richtung die Kausalität verläuft. Die beiden
Autoren weisen darauf hin, dass vorliegende Makrostudien
die Frage nach dem kausalen Zusammenhang zwischen
Fertilität und Erwerbstätigkeit aufgrund der Möglichkeit
eines ökologischen Fehlschlusses nicht klären können. Auch
eine Drittvariablenkontrolle kann dieses Problem letztlich
nicht definitiv beseitigen, da die intervenierenden
Variablen zunächst identifiziert werden müssen.
Längsschnittanalysen auf der Mikroebene zeigen, dass
Frauen, die gegenwärtig erwerbstätig sind, eine niedrigere
Übergangsrate zu einem (weiteren) Kind haben als Frauen,
die nicht erwerbstätig sind. Jedoch kann daraus nicht der
Schluss gezogen werden, dass die Erwerbstätigkeit die
Fertilität kausal beeinflusst. Ursache hierfür sind zwei
grundlegende Probleme dieser Analysen: Zum einen lässt sich
nicht ausschließen, dass es sich bei dem beobachteten
Zusammenhang um einen kausalen Einfluss der antizipierten
Fertilität auf die Erwerbsbeteiligung handelt. Zum anderen
erscheint es recht wahrscheinlich, dass unbeobachtete
Faktoren sowohl die Fertilität als auch die
Erwerbstätigkeit beeinflussen, so dass es sich beim
beobachteten Zusammenhang lediglich um eine
Scheinkorrelation oder Selbstselektion handeln könnte."
(Henriette Engelhardt in der Zeitschrift für
Familienforschung, Heft 3, 2009 S.215) |
Es zeigt sich, dass
Makrostudien nicht ausreichend sind, um komplexe Zusammenhänge
wie sie für den Bereich der Lebensqualität typisch sind,
angemessen zu bewerten. Wohlfahrtskultur/Lebensqualitätskultur,
Debatten, politische Interessenverhältnisse und Wohlfahrtsregime
bzw. Lebensqualitätsregime sind allesamt Phänomene, die KNECHT
der Makroebene seines Mehrebenenmodells der Ressourcenzuteilung
und Lebensqualitätsproduktion zuordnet. Die Makroebene ist
identisch mit den Rahmenbedingungen. Hinzu kommen müssen
Betrachtungen der Mesoebene, d.h. der Lebensbedingungen, der
Institutionen und der Netzwerke bzw. der Familie sowie die
Mikroebene, d.h. des Menschen mit seinen verfügbaren Ressourcen
und seinen Fähigkeiten diese Ressourcen in Lebensqualität
umwandeln zu können.
Der Einfluss von Lebensbedingungen,
Wohlfahrtsstaat, Markt und Familie auf die Produktion von
Lebensqualität
In der sozialpolitischen
Debatte um die Reform des Wohlfahrtsstaates wird die Erhöhung
der Lebenserwartung in seinen gesellschaftlichen Folgen als
negativ angesehen. Mit den Schlagworten Vergreisung,
Gerontokratie, Kollaps der sozialen Sicherung sind die zentralen
Problemlagen einer Debatte beschrieben, in der dem
Wirtschaftswachstum eine zentrale Rolle bei gesellschaftlichen Problemlösungen
zugeschrieben wird
. In einer solchen
Sichtweise wird Alter und Krankheit einzig unter
Kostengesichtspunkten thematisiert. Eine Auseinandersetzung mit
der Frage wie wir leben wollen und was Lebensqualität in einer
Gesellschaft der Langlebigen bedeuten könnte, wird nicht geführt.
Auf dieser Webseite wird weder der Begriff Vergreisung noch der
Begriff alternde Gesellschaft verwendet, weil beide Begriffe
eine negative Sichtweise bzw. eine Demografisierung sozialer
Probleme implizieren. Genauer und wertneutral bezeichnet der
Begriff Gesellschaft der Langlebigen die Problemlage in
Deutschland.
Im
November letzten Jahres wurde vom Bundestag die Einsetzung der
Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege
zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt
in der Sozialen Marktwirtschaft beschlossen. Eine
Aufgabe der Kommission besteht in der Entwicklung eines
ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikators, der den
Lebensstandardindikator Bruttoinlandsprodukt (BIP) ergänzen
soll.
Auszug aus dem Antrag zur Einsetzung der Enquetekommission
"Um
eine geeignete Grundlage zur Bewertung politischer
Entscheidungen anhand ökonomischer, ökologischer und
sozialer Kriterien zu schaffen, ist zu prüfen wie die
Einflussfaktoren von Lebensqualität und gesellschaftlichem
Fortschritt angemessen berücksichtigt und zu einem
gemeinsamen Indikator zusammengeführt werden können.
Insbesondere folgende Aspekte sind dabei zu beachten:
– der materielle Lebensstandard;
– Zugang zu und Qualität von Arbeit;
– die gesellschaftliche Verteilung von Wohlstand, die
soziale Inklusion und Kohäsion;
– intakte Umwelt und Verfügbarkeit begrenzter natürlicher
Ressourcen;
– Bildungschancen und Bildungsniveaus;
– Gesundheit und Lebenserwartung;
– Qualität öffentlicher Daseinsvorsorge, sozialer
Sicherung und politischer Teilhabe;
– die subjektiv von den Menschen erfahrene Lebensqualität
und die Zufriedenheit.
Hieraus soll die Enquete-Kommission nach Möglichkeit einen
neuen Indikator entwickeln, der nicht auf objektive
Messbarkeit und Vergleichbarkeit verzichtet und das BIP
ergänzt. Die Enquete-Kommission soll dazu bestehende
Informationslücken identifizieren und den Aufbau
statistischer Kompetenz in diesen Bereichen vorbereiten.
Sie soll dabei auch auf die Erfahrungen mit bereits
existierenden alternativen Wohlfahrtsindikatoren
zurückgreifen."
(Bundestagsdrucksache 17/3853 v.
21.11.2010, S.3) |
Anfang Februar wurden 17
Sachverständige berufen, u. a. Martin JÄNICKE, Meinhard MIEGEL
und Gert G. WAGNER. Bereits die Reihenfolge der Begriffe im
Namen der Enquete-Kommission zeigt den Stellenwert von Wachstum,
Wohlstand und Lebensqualität an. In der Aufgabenbeschreibung
wird Lebensqualität zweimal genannt: zum einen geht es um
Faktoren, die Lebensqualität erzeugen, und zum anderen um die
subjektiv erfahrene Lebensqualität. Auch die Reihenfolge der
Aspekte, die im Indikator berücksichtigt werden sollen, geben
Aufschluss über ihren jeweiligen Stellenwert.
Welche
Probleme die Entwicklung eines solchen "ganzheitlichen
Wohlstands- und Fortschrittsindikators" mit sich bringt,
beschreibt eindrucksvoll Alban KNECHTs Buch Lebensqualität
produzieren anhand der Umsetzungsversuche des
Lebensqualitätskonzeptes von Amartya SEN. So gilt der so
genannte Human Development Index (HDI) der UN, an dessen
Entwicklung SEN mitgearbeitet hat, als Indikator für die
Entwicklung von Nationen. Der Index umfasst die Komponenten
Wissen bzw. Bildungsstand, Einkommen und Lebenserwartung. Der
Lebenserwartung kommt dabei eine zentrale Rolle im Hinblick auf
die Lebenschancen von Menschen zu, weil sie als Voraussetzung
für die Entwicklung von persönlicher Fähigkeiten angesehen wird,
die wiederum eine wichtige Ressource darstellen.
Lebensqualität produzieren
"Langlebigkeit
wird verstanden als »Fähigkeit des Menschen, ein langes
und gesundes Leben zu führen; dies ist die Voraussetzung
für die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten (capabilities)«."
(2010, S.58f.) |
Der verstorbene Soziologe
Karl Otto Hondrich ist noch einen Schritt weiter gegangen und
sieht in seinem Buch Weniger sind mehr längere
Lebensspannen als eine der Voraussetzungen der soziokulturellen
Evolution an, die das Individuum hervorgebracht hat
.
Die
Debatten um die Apparatemedizin und die Sterbehilfe haben
deutlich gemacht, dass die Erhöhung der Lebenserwartung allein
kein ausreichender Indikator für mehr Lebensqualität sein kann.
In letzter Zeit wird die Auseinandersetzung mit Krankheit,
Sterben und Tod auch vermehrt öffentlich verhandelt und
mittlerweile auch belletristisch verarbeitet (z.B.
Todeskämpfe von Matthias KAMANN,
Der Tod meiner Mutter von Geord DIEZ und
Der alte König in seinem Exil von Arno GEIGER. Diese
"Bekenntnisliteratur" wurde zuweilen kontrovers diskutiert.
KNECHT betrachtet neben
der Lebenserwartung sowohl die Sterblichkeitsrate (Mortalität)
als auch die Erkrankungsrate (Morbidität). Diese geben Hinweise
auf soziale Ungleichheiten im Bereich der Gesundheit. Auch im
Auftrag der Enquete-Kommission gehören "Gesundheit und
Lebenserwartung" zu den Aspekten, die im Wohlstands- und
Fortschrittsindikator zu berücksichtigen sind.
In
seinem Bestseller Deutschland schafft sich ab schreibt
Thilo SARRAZIN, dass nicht Armut krank macht, sondern der
Lebensstil der Unterschichten macht krank. Als Beispiel nennt er
die Herzkreislauf-Erkrankungen als Hauptursache der
unterschiedlichen Lebenserwartungen in Berlin.
Deutschland schafft sich ab
"Ein dummer und
polemischer Spruch lautet: »Weil du arm bis, musst du
früher sterben.« Im Sozialstrukturatlas von Berlin scheint
dieser Spruch Bestätigung zu finden. Der Atlas stellt für
die 12 Berliner Bezirke und die kleinere Einheit der
Planungsräume soziostrukturelle Faktoren zusammen, unter
anderem zu den Bereichen Bildungsverhalten,
Arbeitsmarktdaten, Transferempfänger, Ausländeranteile.
Die hier ermittelten Daten offenbaren einen engen
Zusammenhang zwischen dem Sozialindex und der
Lebenserwartung: Im Durchschnitt leben die Männer in
Charlottenburg-Wilmersdorf 4,1 Jahre länger als in
Friedrichshain-Kreuzberg, bei den Frauen beträgt der
Unterschied zwischen dem besten und dem schlechtesten
Bezirk 2,8 Jahre. Der Berliner Fall ist deshalb so
interessant, weil die Umweltbedingungen und die
Infrastruktur der sozialen und gesundheitlichen Versorgung
in allen Bezirken weitgehend gleich sind. Alle Empfänger
von Transferleistungen sind Mitglied in einer gesetzlichen
Krankenkasse und haben genau dieselben Leistungsansprüche
wie jedes andere Mitglied.
Die Unterschiede in der Lebenserwartung ergeben sich
größtenteils aus Herzkreislauf-Erkrankungen und bösartigen
Neubildungen. Das eine wie das andere hängt nicht
unerheblich vom Lebensstil ab (Ernährung, Bewegung, Tabak-
und Alkoholgenuss). In Friedrichshain-Kreuzberg sind 40
Prozent der Bevölkerung Raucher. Individuelles Verhalten,
nicht Armut steckt hinter solchen Zahlen."
(2010,
S.121)
|
KNECHT erläutert dagegen
an 3 unterschiedlichen Beispielen, dass sich die
unterschiedliche Lebenserwartung eben nicht so einfach
darstellt, wie SARRAZIN es glauben machen will. Die
meisten Studien, so auch der von Thilo SARRAZIN angeführte
Berliner Sozialatlas, beruhen auf Querschnittsdaten, die
erst einmal nur Korrelationen ergeben, aber keine Rückschlüsse
über Kausalitäten zulassen, d.h. sowohl Armut macht krank
(Verursachungsthese) als auch Krankheit macht arm
(Selektionsthese) wären als Erklärungen möglich. Es bedarf
deshalb prospektiver Langzeituntersuchungen um die beiden
Erklärungen auseinander zu halten. Der
Vorteil, dass alle Transferempfänger Mitglied einer gesetzlichen
Krankenkasse sind, ist eher ein Nachteil, denn es wird
behauptet, dass die Armen identisch seien mit den
Transferempfängern. Es fallen jedoch alle Armen heraus, die sich
schämen Transfers zu beziehen (verdeckte Armut). Außerdem fehlen
die Wohnungslosen.
Herz-Kreislauferkrankungen ist ein Sammelbegriff, der
Todesursachen wie Herzinfarkt und Schlaganfall zusammenfasst.
KNECHT führt 6 verschiedene Erklärungsansätze auf, die das
Erkrankungsrisiko zu erklären versuchen. KNECHT kommt zum
Schluss, dass die von SARRAZIN betonten gesundheitsschädigenden
Verhaltensweisen nur einen kleinen Teil erklären können.
Lebensqualität produzieren
"Insgesamt zeigt
das Beispiel, wie komplex die Wirkungen sind, die zu
Herz-Kreislauf-Krankheiten führen. Strukturelle
Bedingungen, Handeln und Verhalten sowie Prädispositionen,
die auf die Kindheit zurückgehen, verursachen in
Kombination die Unterschiede im Ausmaß und der Art von
Morbidität und Mortalität. Dabei ist der Anteil, der
allein durch unterschiedliches gesundheitliches Verhalten
(z.B. Rauchen) zu erklären ist, eher gering."
(2010, S.58f.) |
Anhand der Beispiele
psycho-sozialer Folgen von Arbeitslosigkeit und Feinstaub zeigt
KNECHT die vielfältigen Krankheitswege, die zur Entstehung von
Krankheiten beitragen können. Anschließend veranschaulicht
KNECHT das ganze Spektrum möglicher Ursachen, die
sozialepidemiologische Untersuchungen zur gesundheitlichen
Ungleichheit herausgefunden haben. Eine solch umfassende
Betrachtung verhindert, dass man sich wie die gegenwärtige
Debatte vorschnell auf vermeintlich typische
Unterschichtenkrankheiten versteift, während andere Aspekte
ausgeblendet werden.
Gesundheit
und Lebenserwartung wird in der öffentlichen Debatte, die
oftmals dem Muster der Demografisierung sozialer Probleme folgt,
in erster Linie als Kostenexplosion thematisiert. Der
Wohlfahrtsstaat wird in dieser Sicht auf die sozialen
Sicherungssysteme und ihre Finanzierung reduziert. Solche
Engführung der Debatte schlägt sich dann in der Forderung nach
Generationengerechtigkeit nieder. Beispielhaft ist dafür die
Debatte um Wohlfahrtsgenerationen
. Zählt man jedoch
zum Wohlfahrtsstaat auch die öffentliche Daseinsvorsorge,
dann kommt der Wohlfahrtsstaat als Garant öffentlicher
Institutionen, also auch die sozialen Dienste und sonstige
Infrastrukturen in den Blick . Ein solche
Perspektive nimmt z.B. der Sozialwissenschaftler Berthold VOGEL
in seinem Buch Wohlfahrtskonflikte ein. In dieser
Perspektive zeigt sich, dass das Phänomen der
Wohlfahrtsgenerationen mit ihren Gewinn- und Verlustbilanzen
ganz anders darstellt. Auch Alban KNECHT folgt einem solchen
erweiterten Wohlfahrtsstaatverständnis.
Lebensqualität produzieren
"Interventionen
der Lebensqualitätspolitik (...) werden hauptsächlich
durch staatliche bzw. öffentliche Institutionen
vermittelt. Dazu zählen Institutionen, die monetäre (Um-)Verteilungen
und Zuteilungen organisieren, wie Sozialämter,
Wohnungsämter und andere ressourcenzuteilende Behörden. In
diesem Bereich wird, durch den Staat selbst und im Auftrag
des Staates, ein nicht zu vernachlässigender Teil der
gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit erbracht. (...). Zu
diesem Bereich der öffentlichen Institutionen sollen hier
auch die sozialen Dienste gezählt werden, soweit sie
staatlich finanzierte Leistungen erbringen. Unter den
Interventionen der sozialen Dienste werden solche
Interventionen verstanden, bei denen Menschen bei
psycho-sozialen Problemen geholfen wird (...). Zu den
sozialen Diensten zählen Beratungseinrichtungen,
Tagesstätten oder Heime, die der Erziehung, Betreuung,
Erholung, Gesundung, Rehabilitation oder der Pflege dienen
(...). In diesem Bereich finanziert der Staat häufig
Leistungen, die durch Einrichtungen der sogenannten freien
Wohlfahrtspflege unter dem Dach der Wohlfahrtsverbände,
durch weitere Non-Profit-Organisationen (Vereine,
gemeinnützige GmbHs etc.) und zunehmend auch durch
gewinnorientierte Unternehmen erbracht werden."
(2010, S.219f.) |
Neben diesen öffentlichen
Institutionen nehmen auch Unternehmen und Märkte, soziale
Netzwerke und die Familie Einfluss auf die Gesundheit und
Lebenserwartung. Auch die Wohnbedingungen, die natürliche Umwelt
und die Umweltbelastungen (z.B. Feinstaub) dürfen nicht
vergessen werden.
Alban
KNECHT entwickelt in dem Buch Lebensqualität produzieren
ein Mehrebenen-Modell der Ressourcenzuteilung und
Lebensqualitätsproduktion, das er gegenüber
sozialepidemiologischen Modellen, die Interventionen auf der
Meso-Ebene bevorzugen, und dem sozialpolitischen Modell von
Franz-Xaver KAUFMANN abgrenzt, das keine Interventionen im
Bereich Umweltschutz berücksichtigt. Mithilfe dieses Modells
können unterschiedliche Interventionsformen auf der Mikro-,
Meso- und Makroebene sichtbar gemacht werden. Desweiteren
kann man die Vorlieben unterschiedlicher Wohlfahrtsregime für
bestimmte Interventionsformen erkennen. So zeichnen sich
konservative Wohlfahrtsregime wie Deutschland und Frankreich
durch die Bevorzugung von Ressourceninterventionen (Beispiele
sind finanzielle Transfers und ärztliche Behandlungen) aus,
sozialdemokratische Wohlfahrtsregime zielen insbesondere auf die
Verbesserung der Fähigkeiten (Beispiele sind pädagogische
Interventionen oder direkte Arbeitsmarktregulierungen). Dagegen
zeichnen sich liberale Wohlfahrtsregime durch indirekte
sozial-ökologische Interventionen aus, (z.B. staatliche
Regulierung privater Altersvorsorge)
Aktivierender Sozialstaat,
Sozialinvestitionsstaat und pädagogischer Früh-Förderstaat aus
Sicht der Ressourcentheorie
Unter dem Schlagwort
Agenda 2010 wurde in Deutschland der Paradigmenwechsel vom so
genannten fürsorgenden zum aktivierenden Sozialstaat vollzogen.
Der Soziologe Heinz BUDE, Erfinder der Generation Berlin,
die diesem Paradigmenwechsel zum Durchbruch verhelfen sollte,
hat diese Reform in allen ihren Phasen öffentlichkeitswirksam
begleitet. Öffentliche Soziologie nennt er dies in seinem Buch
Die Ausgeschlossenen. Der aktivierende Sozialstaat
scheidet gemäß BUDE die Menschen in zwei Typen: jene, die
mitmachen wollen und können und jene, die auf der Strecke
bleiben.
Die Ausgeschlossenen
"Der
»aktivierende«, »ermutigende« oder »befähigende« - oder
wie die Attribute sonst noch heißen - Wohlfahrtsstaat soll
die Leute nicht mehr vor der Anarchie der Märkte schützen,
sondern sie zum Mitgehen verleiten und auf den Wechsel
einstellen. Nicht Politik gegen, sondern für Märkte ist
das leitende Prinzip. (...). An die Stelle von Versorgung
im Anstaltsstaat tritt das »Assessment« nach den
Prinzipien der »Beschäftigungsfähigkeit«
Wie auch immer man die Transformation von einem
Wohlfahrtsstaat, der die Passivität duldet und die
Hilflosigkeit erlernt, zu einem, der Eigenaktivität
prämiert und die Selbstverantwortung einfordert,
beurteilt, ein perverser Effekt ist nicht zu vermeiden:
Das Programm der Aktivierung und Mobilisierung erzeugt
unweigerlich eine Restkategorie von Menschen, die sich
trotz aller Angebote und Anreize nicht aktivieren und
mobilisieren lassen."
(2008, S.28)
"Daran schließen
nahtlos die neueren Managementtheorien an, die die
Projektförmigkeit der Arbeitsabläufe, die Generalisierung
von Zuständigkeiten und die Flexibilität von
Einsatzfähigkeiten gerade für die hochproduktiven
Tätigkeiten herausstellen. (...). Das Regime des
rationierten Statuserwerbs wird durch jenes des
Versetzungsaufstiegs, der Prämienzahlungen und der
Extravergütung ersetzt. Gefördert werden die Kompetenten,
Mobilen und Flexiblen, auf der Strecke bleiben die
Unbeweglichen, Ängstlichen und Engstirnigen."
(2008, S.31) |
Während BUDE dieses System
des Förderns und Forderns rechtfertigt, weist KNECHT kritisch
auf die damit verbundenen Verschiebungen im
Sozialstaatsverständnis hin. Sozialpolitik wird z.B. zunehmend
auf Arbeitsmarktpolitik reduziert, während das Fördern - so auch
BUDE - als sinnlos angesehen wird. Die Einübung in
Selbsttechnologien spielen in diesem Zusammenhang eine große
Rolle. Auf dieser Webseite wurde auf diesen Aspekt insbesondere
im veränderten gesellschaftlichen Umgang mit Einsamkeit näher
eingegangen
. Verstärkt
wird diese Tendenz der Ausgrenzung durch den aktivierenden
Sozialstaat noch durch die geforderte Umstellung auf einen
Sozialinvestitionsstaat. In dieser Sicht gelten Bildung und
Gesundheit als Investition in die Zukunft, während Transfers und
Umverteilung diffamiert werden. Eine solche Sozialpolitik soll
den Jungen zugute kommen, während "Investitionen" in Ältere als
unrentabel erscheinen. Während die Apologeten des aktivierenden
Sozialstaats oder des Sozialinvestitionsstaates wie Paul NOLTE,
Heinz BUDE oder Thilo SARRAZIN eine Individualisierung sozialer
Probleme betreiben, kritisiert Alban KNECHT die Kurzsichtigkeit
solcher Denkweisen, denn konsequenterweise dauert die Umstellung
von Denk- und Verhaltensweisen in einer Bevölkerung längere
Zeit. Wer heute eine neue Politik implementiert, der muss den
Menschen auch Zeit zum Umlernen zugestehen.
Lebensqualität produzieren
"Was in der
Diskussion des Sozialinvestitionsstaates auch fehlt, ist
eine Berücksichtigung des time lags. Würde man
heute beginnen, soziale Ungleichheit über Bildung
herzustellen, dann ließen die egalisierenden Effekte fast
eine Generation auf sich warten. Konsequenterweise müsste
solange auch mit
»strafenden« Aktivierungsmaßnahmen gewartet werden, die
denjenigen gelten sollen, die es anglich verpasst haben,
auf diese Angebote einzugehen. Die
Langzeitarbeitslosigkeit von heute stellt sich aber mehr
und mehr - und gerade in der Perspektive der
Sozialinvestitionen - als das Produkt einer verfehlten
Bildungs- und Sozialinvestitionspolitik der Vergangenheit
dar".
(2010, S.272f.) |
Da der
Sozialinvestitionsstaat eher den jüngeren und besser
ausgebildeten Arbeitssuchenden zugute kommt, trägt er in der
gegenwärtigen Form zur weiteren Vergrößerung der Ungleichheit
bei. KNECHT
sieht jedoch im ursprünglichen Gedanken des
Sozialinvestitionsstaates durchaus einen Ansatz für eine
gerechtere Gesellschaft. Dabei müsste jedoch der Schwerpunkt auf
der Förderung der gesundheitlichen und psychischen Ressourcen
gelegt werden. Die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit wird in
der gegenwärtigen Debatte insbesondere im Zusammenhang mit dem
demographischen Wandel und speziell im Hinblick auf die Rente
mit 67 thematisiert. So forderte unlängst der Ökonom Axel
BOESCH-SUPAN Gesundheit nicht unter Kostengesichtspunkten zu
sehen, sondern als Investition in die Zukunft.
Unsere gewonnenen Jahre
"Wenn es gelänge, bis
zum Jahr 2030 durch Prävention, bessere Arbeitsbedingungen
und verstärkte Anstrengungen des Gesundheitssystems den
physischen Gesundheitszustand derjenigen Bürger im Alter
zwischen 50 und 67 Jahren, die sich »schlecht« fühlen, auf
»mittelmäßig« zu verbessern, könnten etwa 3,4 Millionen
mehr Menschen erwerbstätig sein. Die Güter und
Dienstleistungen, die sie produzieren, würden das
Bruttoinlandsprodukt um etwa 7,5 Prozent steigern. Diese
hypothetische Rechnung zeigt, warum gezielte Maßnahmen zur
Verbesserung der Gesundheit eine Investition mit hohen
Zukunftserträgen und keineswegs nur ein Kostenfaktor sind."
(FAZ
v. 24.02.2011) |
Während BOESCH-SUPAN mit
solchen Investitionen nur die Steigerung des
Wirtschaftswachstums im Blick hat, müsste ein
Lebensqualitätsansatz darüber hinausgehen und auch andere
gesellschaftliche Teilbereiche berücksichtigen. Der
Politikwissenschaftler Stephan LESSENICH sieht in einer
Aktivierung Älterer eine produktivistische Mobilmachung, wenn
dabei lediglich auf Anreize gesetzt wird statt zu fördern. Eine
Zuspitzung könnte das Konzept des Sozialinvestitionsstaates im
pädagogischen Frühförderstaat finden. Wie die US-amerikanische
und deutschsprachige Debatte um die Erziehungsmethoden der
"Tigermutter" Amy CHUA gezeigt hat, ist die Gefahr
nicht von der Hand zu weisen, dass Bildung zukünftig weniger zur
Verringerung, sondern zur Verschärfung der sozialen Ungleichheit
führt. Gerade konservative Wohlfahrtsregime sind nach KNECHT für
solche Tendenzen anfällig.
Lebensqualität produzieren
"Betrachtet
man das Leitbild des pädagogischen Früh-Förderstaates aus
einer ressourcentheoretischen Perspektive, so haben
Kindertagesstätten dort eine mehrfache Funktion:
Einerseits vermitteln Sie den Kindern Bildung und
Fähigkeiten. Dabei ist die Qualität der Betreuungsangebote
von entscheidender Bedeutung (...). Des Weiteren stellen
sie Einrichtungen dar, die den Eltern die Ressource Zeit
zur Verfügung stellen. Diese Zur-Verfügung-Stellung von
Ressourcen interagiert allerdings auch mit den
ökonomischen Ressourcen: Esping-Andersen weist
darauf hin, das gerade der egalisierende Effekt nur dann
erreicht werden kann, wenn die Betreuungs- und
Bildungsangebote möglichst viele und insbesondere auch Kinder
aus »bildungsfernen« Familien erreichen (...). Andernfalls
wären sie nur ein neuer Mechanismus der Stratifikation. (...).
Kaum diskutiert werden in der Öffentlichkeit bisher die
Auswirkungen des Besuchs von Kindertagesstätten auf die
Gesundheit (...).
Soweit es zu
einer Umsetzung des Leitbildes des pädagogischen
Früh-Förderstaates kommt, ist allerdings zu erwarten, dass die
konkrete Ausgestaltung je nach Wohlfahrtsregime divergiert:
(...). (Im konservativen Wohlfahrtsstaat) könnte man auf die
Idee kommen, dass nach der Welt der Arbeit und der Schule nun
die Welt der Frühpädagogik als neue Sphäre der Stratifikation
entdeckt wird. In der Schule wird Stratifikation durch einen
Glauben an genetische Begabung,
also durch Naturalisierung, legitimiert - und zugleich
produziert. Ein Transfer dieser stratifizierenden
Mechanismen könnte darin bestehen, die Dreigliedrigkeit
der Sekundarstufe auf Kindergarten, Vorschule und
Grundschule auszudehnen."
(2010, S.277ff.) |
In einem "Befähigkeitsstaat"
müsste der Verringerung sozialer Ungleichheit und der
Verbesserung der Gesundheit auch in den benachteiligten
Schichten ein größeres Gewicht zukommen als dies heutzutage der
Fall ist. Das BUCH von Alban KNECHT zeigt auf, mit welchen
Konflikten in Zukunft vermehrt gerechnet werden muss, denn
obwohl die Bildungs- oder Wissensgesellschaft in Sonntagsreden
gern beschworen, zeigt die politische Realität und die
öffentliche Debatte eher Gegenteiliges.
Bildungsgesellschaft Deutschland?
"Es
käme darauf, analog zur Frauenbewegung eine
Bildungsbewegung zu initiieren mit dem Ziel, die Rangfolge
des Bildungsinteresses auch nach Schichten zu überwinden.
Ohne die Bereitschaft vieler Menschen aus den gebildeten
Mittelschichten, nicht nur das besonders begabte Arbeiter-
und Migrantenkind zu fördern, sondern Solidarität in der
Breite aufzubringen, wird das kaum zu erreichen sein. Aber
warum sollten Menschen sich für die Kinder anderer Leute
einsetzen, wenn diese Kinder massenhaft zu Konkurrenten
der eigenen zu werden drohen? So etwas kann man von
niemandem verlangen. Da es aber den Bildungsfernen an
Kraft und Interesse fehlt, sich selbst zu nehmen, was
ihnen und ihren Kindern zusteht, wird sich die Litanei der
schlimmen Befunde weiter fortsetzen."
(Bruno
Preisendörfer, Universitas, Heft 1, 2011) |
Vielleicht könnten gerade
Kinderlose, die ja keine eigenen Kinder im Bildungssystem um
jeden Preis unterbringen müssen, diese Gesellschaft auf dem
Gebiet der Bildung voranbringen.
Fazit: Die Lebensqualitätsproduktion wird in
unserer Gesellschaft der Langlebigen zukünftig eine größere
Rolle spielen
Mit der Einsetzung einer
Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege
zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt
in der Sozialen Marktwirtschaft ist die
Lebensqualitätsproduktion in Deutschland auf die politische
Agenda gesetzt worden. Eine ihrer Aufgaben ist die Entwicklung
eines Wohlstands- und Fortschrittsindikator. Wer sich als
Sozialwissenschaftler näher mit dieser Thematik beschäftigen
möchte, für den sollte das Buch Lebensqualität produzieren
von Alban KNECHT Pflichtlektüre sein. Es bietet sich durch seine
klare Strukturierung und seine verständliche Sprache sowohl als
Einführungs- als auch Überblickswerk an, das zu vertiefender
Lektüre in Sachen Lebensqualität, soziale Ungleichheit und
Wohlfahrtsstaat anregt. In diesem Beitrag konnten nur
wenige Aspekte in dem breit angelegten Buch beleuchtet werden,
aber bereits diese zeigen, dass sich die Lektüre lohnt. Es
konnte u. a. gezeigt werden, dass die von Thilo SARRAZIN mit
seinem Bestseller Deutschland schafft sich ab angestoßene
Debatte gravierende Schieflagen aufweist. Mehr
Lebensqualität wird oftmals mit dem eingängigen Slogan
Weniger ist mehr vermarktet. Oftmals versteckt sich dahinter
lediglich die Propagierung einer größeren sozialen Ungleichheit
und die Rechtfertigung von ungerechten Reformen. Die
Ressourcentheorie und Machtanalyse im Sinne von Alban KNECHT
ermöglicht es, einzelne wohlfahrtsstaatliche Politiken auf ihre
Brauchbarkeit hin zu beurteilen. Es werden Schieflagen sicht-
und kritisierbar sowie Alternativen erkennbar.
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