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Die Determinanten der
"Single-Gesellschaft". Oder warum es sich Stefan Hradil zu
einfach macht
In seinem Aufsatz
Auf dem Wege zur "Single-Gesellschaft"? listet HRADIL die
Bestimmungsgründe einer "Single-Gesellschaft" auf:
Auf dem Wege
zur Single-Gesellschaft?
"Die
Zahl der Singles wird bestimmt durch eine ganze Anzahl
von Faktoren, u.a. durch:
- die
Entwicklung der Alters- und Ausländerstruktur der
Bevölkerung,
- die Bildungsexpansion,
- die Wohlstandsentwicklung,
- familienunabhängige Statuszuweisungsprozesse,
- Wohlfahrtsstaat und soziale Sicherheit,
- Wohnungsangebot und Wohnbedingungen
- Wertewandel und
»Postmaterialismus«,
- individuellen Status von Frauen,
- Entdiskriminierung von Alleinlebenden,
- Karrierechancen für alleinlebende Frauen,
- ökonomische und gesellschaftliche Bedeutung der Ehe,
- Liberalismus der Sexualmoral,
- Protestantismus,
- Urbanisierung,
- Scheidungshäufigkeit,
- Emanzipationsbestrebungen von Frauen,
- Bindungsunfähigkeit,
- demographisch bedingte Asymmetrien des Heirats- und
Partnermarkts,
- Möglichkeiten zum Ausleben einzelgängerischer
Persönlichkeiten".
(1995, S.195)
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Dieses Sammelsurium
an Gründen beschreibt - anders als suggeriert - nicht die
Bestimmungsgründe für die "Single-Gesellschaft", sondern für
eine "Gesellschaft der Einpersonenhaushalte". Um die Entwicklung
der Anzahl von Singles, d.h. der 25-55jährigen Alleinlebenden im
Sinne von HRADIL zu bestimmen, ist in erster Linie die
Zusammensetzung, d.h. die Struktur des Alleinlebens im mittleren
Lebensalter, entscheidend. Wie bereits bei der Betrachtung der
Pflegebedürftigkeit von Alleinlebenden gesehen, hat HRADIL das
Single-Dasein als Alternative zu Ehe und Familie überschätzt. Um
ein realistisches Szenario entwickeln zu können, ist die
Unterscheidung von mindestens 4 verschiedenen Typen von
Alleinlebenden zu unterscheiden:
1) Partnerfreie, d.h.
Singles, die ihr Single-Dasein als Alternative zu Ehe und
Familie leben;
2) Partnersuchende, d.h. Singles, die unfreiwillig partnerlos
sind;
3) Partnerlose, d.h. Singles, die sich eine Partnerschaft
wünschen, derzeit aber aus unterschiedlichen Gründen nicht auf
der Partnersuche sind (z.B. resignierte Singles, die sich mit
ihrer Partnerlosigkeit abgefunden haben; Singles, die aus
beruflichen Gründen derzeit nicht auf der Suche sind);
4) Paare mit getrennter Haushaltsführung.
Während HRADIL davon
ausgeht, dass eine solche Unterscheidung für Fragen des Wohnens
irrelevant sei, wird hier davon ausgegangen, dass es sehr wohl
einen Unterschied macht, ob jemand partnerfrei, partnersuchend,
partnerlos oder alleinwohnend mit Partnerschaft ist. Jemand, der
seinen Zustand nur als vorübergehend betrachtet, wird sich nicht
unbedingt eine große Wohnung leisten
. Wer in absehbarer Zeit mit
seinem Partner zusammenziehen will, der wird sich auch nicht
unbedingt eine große und teure Wohnung zulegen.
Exkurs: Sind Singles die Hätschelkinder der
Konsumgesellschaft?
Horst W. OPASCHOWSKI, der in den Medien gerne als "Freizeitpapst"
tituliert wird, geht sogar davon aus, dass Singles inklusive
Paare mit getrennter Haushaltsführung alle Dinge zwei Mal
brauchen und deshalb den Konsum anheizen:
Einführung in
die Freizeitwissenschaft
"Ein
Paar braucht alles nur einmal, zwei räumlich getrennte
Singles aber brauchen zwei Wohnungen, zwei
Fernsehgeräte, zwei Videos, zwei Stereoanlagen und
zwei Telefonanschlüsse."
(2006, S.134)
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Einzig zwei Wohnungen
und Kommunikationsgeräte sind eine Grundvoraussetzung für Paare
mit getrennter Haushaltsführung, alles andere steht dagegen zur
Disposition. Zwei Telefonanschlüsse sind reichlich antiquiert im
Handyzeitalter, in dem auch jedes Paar in der Regel zwei Handys
besitzt. Leider gibt es zum Ausstattungsgrad der
Einpersonenhaushalte oder gar der "Singles" keine detaillierten
Angaben. Selbst in der Publikation Alleinlebende in
Deutschland aus dem Jahr 2012 fehlen solche Angaben. Aus dem
Statistischen Jahrbuch 2013 ist lediglich ein grober
Vergleich zwischen Haushalten und Einpersonenhaushalten möglich.
Die Alleinlebenden sind einzig nach dem Geschlecht, aber nicht
nach dem Alter und Familienstand untergliedert. Es ist aber
erkennbar, dass Einpersonenhaushalte im Vergleich mit allen
Haushalten unterdurchschnittlich mit Informations- und
Kommunikationstechnik ausgestattet sind. Da die Ausstattung mit
technischen Geräten stark altersabhängig ist, ist die Tabelle
nicht besonders hilfreich. Man sieht jedoch, dass man
Einpersonenhaushalte keinesfalls mit Haushalten von "Singles"
verwechseln darf.
Ausstattungsgrad
privater Haushalte mit Gebrauchsgütern nach dem
Haushaltstyp am 1.1.2012 |
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Quelle:
Statistisches Jahrbuch 2013, S.169 |
Wohlweislich fehlen
in der Auflistung von OPASCHOWSKI Waschmaschinen bzw.
Geschirrspülmaschinen, d.h. relativ teure Anschaffungen, die
nicht jeder Single besitzt, und die sich selbst Paare mit
getrennter Haushaltsführung nicht unbedingt zweimal anschaffen.
Aus der Tabelle ist erkennbar, dass Einpersonenhaushalte im
Vergleich mit allen Haushalten unterdurchschnittlich mit
Haushaltsgeräten ausgestattet sind. Der Ausstattungsgrad von
alleinlebenden Männern, die im mittleren Lebensalter dominieren,
bleibt zudem weit hinter der von alleinlebenden Frauen zurück
(einzig Mikrowellengeräte sind bei ihnen verbreiteter). Fast 15
% der alleinlebenden Männer besitzen keine Waschmaschine und
nicht einmal 40 % besitzen eine Geschirrspülmaschine.
Ausstattungsgrad
privater Haushalte mit Gebrauchsgütern nach dem
Haushaltstyp am 1.1.2012 |
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Quelle:
Statistisches Jahrbuch 2013, S.169 |
Wie sieht es aber im
Bereich der Unterhaltungselektronik aus, dem Konsumbereich par
Excellenze? Auch hier sind Einpersonenhaushalte im Vergleich mit
allen Haushalten unterdurchschnittlich ausgestattet. Im
Gegensatz zu den Haushaltsgeräten, sind bei der
Unterhaltungselektronik die männlichen Alleinlebenden besser
ausgestattet (wobei Kabelanschlüsse und CD-Player/-Recorder bei
weiblichen Alleinlebenden verbreiteter sind.)
Ausstattungsgrad
privater Haushalte mit Gebrauchsgütern nach dem
Haushaltstyp am 1.1.2012 |
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Quelle:
Statistisches Jahrbuch 2013, S.169 |
Wir können also
festhalten: genaue Analysen sind aufgrund der unzureichenden
Datenlage nicht möglich. Für die Alleinlebenden lässt sich
jedoch sagen, dass über ihre Lebenssituation populistische
Vorurteile verbreitet werden. Dies gilt umso mehr, als
Einpersonenhaushalte oftmals mit "Single"-Haushalten gleich
gesetzt werden.
Die verwendeten Daten zu Singles sind oftmals
völlig veraltet
Noch im Beitrag
Vom Leitbild zum "Leidbild": Singles als Symbole der Moderne
aus dem Jahr 2007, verwendet HRADIL Daten, die bereits im
Beitrag Vom Leitbild zum "Leidbild" aus dem Jahr 2003
stammen, die wiederum auf Daten aus dem Jahr 2000 basieren.
Solch eine Präsentation überholter Daten ist leider typisch für
Beiträge über Singles und nicht die Ausnahme! Folglich kommt
HRADIL zum Schluss, dass sich - trotz Wandel des Wertewandels
- die Zahl und das Leben der Singles nicht ändern:
Vom Leitbild
zum "Leidbild": Singles als Symbole der Moderne
"Singles künden in
letzter Zeit eher von Irrwegen oder besser: Abwegen der
Modernisierung, die jetzt wieder verlassen werden. (...).
Konsequenterweise werden Singles heute von ihren
Mitmenschen als Warnung wahrgenommen (...).
Die Zahl und das Leben der Singles werden sich durch diese
kritischer gewordene Sichtweise allerdings kaum ändern.
Allenfalls werden die Zwänge, ihre Lebensform vor anderen
und vor sich selbst zu begründen, denen Singles ohnehin
ausgesetzt sind, weiter zunehmen."
(2007, S.146) |
Obwohl sich die Zahl
der "Singles" - oberflächlich gesehen - nicht entscheidend
geändert hat, hat sich das Leben der Singles - anders als von
HRADIL behauptet - durchaus geändert. Z.B. werden weder die Hartz-Gesetzgebung oder Änderungen bei der Pflegeversicherung,
noch die Auswirkungen der Finanzkrise (konnte zum Zeitpunkt des
Beitrags nicht berücksichtigt werden) bei HRADIL
berücksichtigt, obgleich sie - seinen eigenen Ausführungen
zufolge - berücksichtigt werden müssten.
Hartz IV als Hindernis für die Paarbildung
Im Jahr 2008 hat der
Ökonom Hans-Werner SINN das mit Hartz IV im Jahr 2005
eingeführte Arbeitslosengeld II als Trennungsprämie beklagt.
Paare würden sich trennen oder gar nicht erst zusammenziehen, um
in den Genuss von Arbeitslosengeld zu kommen:
Der
bedarfsgewichtete Käse und die neue Armut
"Wenn ein Partner gut
verdient und der andere länger arbeitslos ist, hat der
arbeitslose Partner nur dann Anspruch auf Hilfe, wenn er
nicht mit dem gut verdienenden Partner in einer
Bedarfsgemeinschaft zusammenwohnt. Bilden beide einen
gemeinsamen Haushalt, entfällt die Hilfe. Die staatliche
Unterstützung nimmt also den Charakter einer
Trennungsprämie an, die der Staat nur unter der Bedingung
des Verzichts auf Heirat oder anderweitigen
Zusammenschluss zahlt. Kein Wunder, dass viele junge Leute
von vornherein gar nicht erst zusammenziehen bzw. sich
trennen, wenn sie vorher zusammengelebt haben. Die Folge:
Im ersten Jahr des ALG II stieg die Zahl der
Ein-Personen-Haushalte in Deutschland um 1%, im zweiten
sogar um 5%."
(IFO Schnelldienst, Nr.10, 30.05.2008, S.16) |
Man kann es aber auch
anders sehen: Hartz IV trägt durch eine vorschnelle Einstufung
von Partnerschaften als Bedarfsgemeinschaften dazu bei, dass
Paare, das Zusammenziehen hinausschieben, weil sie sich ihrer
Partnerschaft noch nicht sicher sein können. Eine solche
Sichtweise legt der Zeitschriftenartikel "Hartz" oder Herz?
von Katharina DIENER & Michael FELDHAUS nahe. Dort werden
die Kriterien für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft
folgendermaßen beschrieben:
"Hartz" oder
Herz?
"Eine
Bedarfsgemeinschaft wird vermutet (...), wenn Paare
»länger als ein Jahr zusammenleben, mit einem gemeinsamen
Kind zusammenleben, Kinder oder Angehörige im Haushalt
versorgen oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen
des anderen zu verfügen« (...). Sobald einer dieser vier
Punkte zutrifft, vermutet die Bundesagentur für Arbeit
(BA) eine Bedarfsgemeinschaft (...). Leben Paare weniger
als ein Jahr zusammen, darf in der Regel nicht automatisch
von einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen werden. Es kann
aber trotzdem eine BG vorliegen, wenn z.B. gemeinsam
gewirtschaftet wird, der Mietvertrag oder Versicherungen
zusammen abgeschlossen wurden, also Anzeichen für eine auf
Dauer ausgerichtete Partnerschaft bestehen. (...). Die
Praxis der Anrechnung von Partnereinkommen wurde durch die
vom Gesetzgeber eingeführte Beweislastumkehr verschärft".
(2011, S.202f.) |
Gemäß DIENER &
FELDHAUS greift Hartz IV in die Paardynamik ein, indem es hohe
Hürden für einen Zusammenzug setzt:
"Hartz" oder
Herz?
"Gerade in einer Phase
der Partnerschaft, die heutzutage als Findungs- und
Probierphase gilt und die eben noch nicht eingegangen wird
unter der Prämisse einer breit angelegten, wechselseitigen
Versorgungsgemeinschaft, können (...) die Kosten dieser
Entscheidung zum Zusammenziehen in die Höhe getrieben
werden. In einem größeren, gesellschaftlichen und
sozialstaatlichen Kontext gestellt, ergibt sich aus den
vorliegenden Ergebnissen, dass die intendierten Änderungen
der Arbeitsmarktreform in Deutschland mit vermutlich nicht
intendierten Folgen im Hinblick auf den
partnerschaftlichen Institutionalisierungsprozess
einhergehen. Mit der Einführung es ALG II und der damit
auftretenden Verschärfung der Anrechnung von
Partnereinkommen wurden rechtlich Anreize wie auch
Restriktionen geschaffen, die auf den privaten,
paarinternen Entscheidungsprozess einwirken. Gerade für
Paarbildungsprozesse können hiermit hohe Hindernisse
verbunden sein (...). Diese Beeinträchtigung erreicht
ihren Höhepunkt, wenn bereits zusammenlebende Paare aus
ökonomischen Gründen, die mit dem eingeschränktem
ALG-II-Bezug verbunden sind, wieder auseinanderziehen."
(2011, S.216) |
Es gibt inzwischen
mehrere Studien, die auf einen Anstieg der Partnerlosigkeit in
Deutschland hindeuten (z.B.
EBERT & FUCHS
"Haushalt, Familie und soziale Nahbeziehungen", 2012
;
Jan ECKHARD "Partnerschaftswandel und Geburtenrückgang", 2011).
Sowohl der gestiegene Mobilitäts- und Flexibilitätszwang,
inzwischen sogar in Gesetze wie Hartz IV gegossen, als auch
durch strukturelle Geschlechterungleichgewichte bzw.
Partnerwahlprozesse verursachte Probleme auf dem Partner- bzw.
Heiratsmarkt, sind Gründe für die Zunahme der Partnerlosigkeit.
Die soziale Arbeit als Teil eines aktivierenden Sozialstaats hat
sich auf diese Problematik (noch) nicht eingestellt
. Insofern stellt sich die Frage, warum dieses Thema erst seit
einigen Jahren in den Blickpunkt rückt. Wer hat(te) ein
politisches Interesse? Ein Punkt für die mangelnde Sichtbarkeit
des Problems ist sicher die rückständige
amtliche Statistik.
Kosmetische Operation: Die Einführung des
Lebensformenansatzes in der amtlichen Statistik und seine
Auswirkungen auf die Anzahl der Alleinlebenden
Obwohl bereits seit
den 1980er Jahren heftig über die Individualisierung und den
Trend zur "Single-Gesellschaft" diskutiert wurde, verweigerte
die amtliche Statistik lange Zeit Auskunft über Lebensformen
jenseits der Normalfamilie. So schreibt Andrea LENGERER in ihrem
Buch Partnerlosigkeit in Deutschland über die
Vernachlässigung von unverheiratet zusammenlebenden Paaren:
Partnerlosigkeit in Deutschland
"Dass Paare unverheiratet zusammenleben, wird von der
amtlichen Statistik erst seit 1996 mit der Einführung
des Konzepts der Lebensformen systematisch
berücksichtigt (...). Seither werden unterhalb der
Ebene des Haushalts nicht nur Familien, sondern auch
Lebensgemeinschaften als soziale Einheiten abgegrenzt.
Entlang der Kriterien Partnerschaft und Elternschaft
zählen dazu Paare mit Kindern, Paare ohne Kinder sowie
Alleinerziehende. (...).
Mit dem neuen Konzept erschließt die amtliche
Statistik erstmals Lebensformen jenseits der
»Normalfamilie«. Obwohl es im Mikrozensus seit 1996
umgesetzt ist, basieren die dazu veröffentlichten
Ergebnisse bis einschließlich 2004 auf
Sonderauswertungen (...). Das standardisierte
Tabellenprogramm der amtlichen Familienstatistik ist
erst seit 2005 umgestellt. Seither gilt auch ein neuer
Familienbegriff".
(2011, S.21)
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Während
zusammenwirtschaftende Paare (in offizieller Lesart:
unverheiratet zusammenlebende Paare) inzwischen von der
amtlichen Statistik berücksichtigt werden, bleiben Paare mit
getrennter Haushaltsführung weiterhin unberücksichtigt.
Die einzige Neuerung
durch die Einführung des Lebensformenansatzes für "Singles" ist,
dass nun zwischen Einpersonenhaushalten (Anzahl der
"Alleinlebenden" am Haupt- und Nebenwohnsitz) und Alleinlebenden
(Anzahl der "Alleinlebenden" am Hauptwohnsitz) unterschieden
wird. Dies führt dazu, dass jährlich zwei verschiedene Zahlen
zur Entwicklung der "Single-Haushalte" in den Medien kursieren. Die
prinzipielle Kritik von single-generation.de am
Alleinlebendenbegriff der amtlichen Statistik
gilt also weiterhin,
nur dass nun begrifflich zwischen Einpersonenhaushalten und
Alleinlebenden im Sinne des Lebensformenansatzes unterschieden
werden muss. Im Jahr 2011 machte die Differenz zwischen der
Anzahl der Einpersonenhaushalte und der Anzahl der
Alleinlebenden ca. 3 % aus. Weder in der öffentlichen noch in
der wissenschaftlichen Debatte um Singles, wird diese Differenz
überhaupt für erwähnenswert gehalten.
Der Single als Phantom der
"Single-Gesellschaft"
Wir sind keine
"Single-Gesellschaft", sondern eine paar- und
familienorientierte Gesellschaft. Wir sind auch keineswegs auf
dem Weg dorthin. Wir sind noch nicht einmal eine Gesellschaft
der Alleinlebenden. Es stellt sich also die Frage, warum der
Begriff "Single-Gesellschaft" dennoch derart beliebt ist.
Schließlich zielt er auf einen Lebensstil ab, den maximal 3 %
der Bevölkerung leben. HRADIL sieht die einzige Gefahr, die
Singles darstellen, in ihrem Vorbildcharakter. Dieser ist jedoch
in erster Linie ein Medienbild:
Vom Leitbild
zum "Leidbild": Singles als Symbole der Moderne
"Singles
wurden im Laufe der 1970er und 1980er Jahre zu Vorbildern
mit einer großen Ausstrahlungskraft auch und gerade auf
Nicht-Singles, d.h. auf diejenigen, die mit anderen
zusammen leben. Die Werbung bediente sich ihrer als
Sympathieträger. (...). »So autonom, so frei möchte ich
auch leben.« In diese Richtung gingen die Konnotationen
des Fernseh-, Hörfunk- und Pressepublikums, wenn die
Medien über Singles berichteten. (...) Und das hatte
Folgen: Singles wurden zu Leitbildern. Ihrem Vorbild wurde
gefolgt. Nicht in wörtlichem Sinne, die wenigsten ließen
sich davon verleiten, allein zu leben. Wohl aber in
übertragener Bedeutung wurden große Teile der Bevölkerung
zu Singles. (...).
Diese seit vielen Jahren andauernden Tendenzen hin zur
»Single-Gesellschaft« (in übertragener Bedeutung) (...)
haben sich auf breiter Front durchgesetzt"
(2007, S.141f.) |
Nicht der real
existierende Single, sondern der Single als Phantom unserer
Mediengesellschaft (bzw. als Projektionsfigur für Nicht-Singles)
stellt die Grundlage des Redens von der "Single-Gesellschaft"
dar. Es ist offensichtlich, dass starke gesellschaftliche Kräfte
an diesem Yuppie-Bild des Alleinlebenden mitwirkten. Erst mit
dem geplanten Umbau des Sozialstaats wird nun der Single als
"Leidbild" benötigt. Dass der Single in beiden Fällen nur ein
nützlicher Idiot ist, zeigt die Tatsache, dass innerhalb von
wenigen Jahren das Single-Bild geändert werden konnte, ohne
große Gegenwehr auf Seiten der Singles. Schließlich haben die
meisten Singles genug andere Probleme, weshalb eine politische
Einmischung zu kurz kommt.
Fazit: Singles sollten sich wehren, statt
weiterhin nur die nützlichen Idioten im Kulturkampf der alten
und neuen Mitte zu sein!
Die
"Single-Gesellschaft" ist keine realistische Option, sondern ein
Horrorgemälde, das dem Kulturkampf zweier Eliten entspringt, die
um die Vorherrschaft in Deutschland kämpfen. Leidtragende dieses
Kulturkampfes sind die mehr oder weniger unfreiwilligen
Alleinlebenden dieser Republik. Sie sind die Sündenböcke für das
Markt- und Staatsversagen, obwohl die Mehrzahl der
Alleinlebenden unter ihrer erzwungenen Lebenssituation leidet,
bzw. sich notgedrungen arrangieren muss. 85 % der Alleinlebenden
müssen die Folgen tragen, dass 15 % der Alleinlebenden einen
Lebensstil führen, der vor allem in den 1990er Jahren zum
Leitbild erhoben wurde, um ihn danach umso nachhaltiger
demontieren zu können. Dazu ist es notwendig die Beweispflicht
umzukehren. Dies geht nur, durch eine Umstellung der amtlichen
Statistik auf haushaltsübergreifende Lebensformen und die
Ersetzung aller Längsschnitts- auf Querschnittsuntersuchungen.
Dass Singles
es schwerer haben werden, das sah auch der
Sozialstrukturforscher Stefan HRADIL bereits im Jahr 2003 so,
aber wie wir gesehen haben, sind seine Analysen allzu
populistisch und oberflächlich gewesen. Aktuelle und tiefgehende
Analysen zu den Alleinlebenden bzw. "Singles" sind noch
Mangelware, weswegen auf dieser Webseite die vorhandenen
Analysen und Daten auch in Zukunft genauer dahingehend
untersucht werden, inwiefern sie die Heterogenität der
Alleinlebenden widerspiegeln.
Vom Leitbild
zum "Leidbild"
"Berücksichtigt
man, wie vielfältig die Gründe und Wege sind, die ins
Single-Dasein führen, und wie wenig die meisten von
ihnen mit der gesellschaftlichen Einschätzung von
Singles zu tun haben, so wird verständlich, dass sie
Zahl der Singles auch dann kaum zurückgehen wird, wenn
sie nicht mehr die gesellschaftliche Leitfigur
darstellen. (...). Es gibt (...) neben dem eigenen
Wollen viele andere Bestimmungsgründe, die ins
Single-Leben führen, Menschen darin halten und das
Single-Dasein prägen. Viele stellen Zwangslagen dar
(Scheidungen, berufliche Mobilitätszwänge, schlechte
Verwertungsmöglichkeiten der eigenen Qualifikation bei
Partnerschaft und bei Familienbildung, wenig
Kontaktmöglichkeiten durch zwangsweise intensive
Berufstätigkeit, steigende Anforderungen an
potentielle Partner etc.) und es ist nicht absehbar,
dass diese Beweggründe an Bedeutung verlieren.
Das Leben der Singles wird also schwieriger werden und
mehr Konflikte mit sich bringen." (2003, S.53)
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Mit diesem
Beitrag konnten viele Aspekte nur grob skizziert werden. Am
Beispiel der prognostizierten Pflegebedürftigkeit von
Alleinlebenden und den Auswirkungen von Hartz IV auf die
Paarbildung konnte gezeigt werden, dass auf dem Rücken von
Alleinlebenden Politik betrieben wird, und zwar weder zum Wohle
der Singles noch zum Wohle der Gesellschaft.
Inwiefern Singles
Schuld an der Wohnungsnot sind, das wird in einem der weiteren
Beiträge zu klären sein. Eines steht jedoch fest: Singles haben
an der Wohnungsnot weniger Schuld als ihnen Wissenschaft, Medien
oder Politik zuschreiben,
denn zum einen ist die Sozialstruktur der Alleinlebenden
wesentlich heterogener als es politisch motivierte Berichte und
Studien darstellen und zum anderen klafft eine große Lücke
zwischen der "Theorie des Alleinlebens" und der "Empirie des
Alleinlebens".
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen." |
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