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- Der
Individualisierungsbegriff wurde in den
1980er Jahren durch Ulrich BECK (1983,
1986) in die neuere soziologische Debatte
um gesellschaftliche
Modernisierungsprozesse eingeführt.
Eingang in den öffentlichen Diskurs fand
der Begriff erst Ende der 1980er Jahre.
Seine Popularität verdankte er der
sozial-
und bevölkerungspolitischen Debatte um
die Krise der Familie, die Mitte
der 1990er Jahre ihren ersten Höhepunkt erlebte.
Im Rahmen der öffentlichen
Debatte um die Homo-Ehe
zeichnet sich um die Jahrtausendwende eine Renaissance
individualisierungstheoretischer
Argumentationen ab.
-
- Mit
Individualisierung
wird von Ulrich BECK (1) (2) dreierlei
bezeichnet:
1) Die Menschen werden aus traditionellen
Klassenbindungen und Versorgungsbezügen
der Familie herausgelöst und auf ihr
individuelles Arbeitsmarktschicksal
verwiesen (Freisetzungsdimension). In
diesem Sinne kann man auch vom
Single
als "Pionier der Moderne"
sprechen.
2) Mit der Auflösung der
industriegesellschaftlichen Lebensform
Kleinfamilie
geht ein Verlust traditionaler
Sicherheiten im Hinblick auf
Handlungswissen, Glauben und leitende
Normen einher (Entzauberungsdimension).
3) Gleichzeitig erfolgt jedoch eine neue
Art der sozialen Einbindung (Kontroll-
und Reintegrationsdimension). Die
freigesetzten Individuen werden
arbeitsmarktabhängig und damit abhängig
vom Bildungssystem,
Beschäftigungssystem, Sozialstaat
und der Dienstleistungsgesellschaft.
-
- Die
öffentliche und innersoziologische
Kontroverse hat sich vor allem an der
These von der Auflösung der
Kleinfamilie
entzündet. BECK spricht in diesem
Zusammenhang auch von einem
Trend
zur Single-Gesellschaft. Ein
Indiz für diesen Trend sieht BECK in der
veränderten Zusammensetzung der
Haushalte.
"Immer
mehr Menschen leben allein"
ist der Standardsatz, der seitdem den
statistischen Beweis für die Richtigkeit
der Individualisierungsthese erbringen
soll.
Auf dem 25. Soziologentag 1990
prognostizierte BECK für die nahe
Zukunft einen Anstieg der
Einpersonenhaushalte in
Großstädten auf 70 % und provozierte
damit eine lang anhaltende Debatte (3). Zehn Jahre
danach stagnieren die Zahlen eher. Sie
bewegen sich annähernd auf dem gleichen
Level wie Anfang der 1990er Jahre.
-
Empirische
Untersuchungen seit Mitte der 1990er Jahre
zeichnen zudem ein differenzierteres Bild
von der gesellschaftlichen Entwicklung,
die BECKs Individualisierungsthese
weitgehend relativieren.
Außerdem
wird die Rede über die Krise der
Familie zunehmend selbst zum
Gegenstand von Untersuchungen gemacht (4) (5). Dabei wird
zwischen zwei Ebenen unterschieden, die
in der öffentlichen und
wissenschaftlichen
Individualisierungsdebatte selten
getrennt wurden. Zum einen geht es um das
Familienleitbild bzw. um
Familienideale und zum anderen
um die Familienrealität bzw.
empirisch auffindbare Familienformen (6).
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In der
Individualisierungsdebatte ging es zu
allererst um die Definition eines
neuen Familienleitbildes. Die
Formel von der
Single-Gesellschaft diente
der Durchsetzung einer solchen
Definition. Die Singles waren in diesem
Sinne Mittel zum Zweck. Dies lässt sich
auch daran erkennen, dass sich eine
Singleforschung
nicht etablieren konnte. Wären Singles
eine ernstzunehmende gesellschaftliche
Gruppierung, dann hätte dies ihren
Ausdruck in entsprechenden empirischen
Forschungen gefunden und nicht nur in
gesellschaftlichen Diskursen, die meist
ohne ausreichende empirische Belege
auskommen.
weiterführende Literatur:
- (2)
BECK, Ulrich (1986):
Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine
andere Moderne, Frankfurt a/M: Suhrkamp
BECK, Ulrich (1987): Die Zukunft der
Familie, in: Psychologie Heute, November,
S.44-49
BECK, Ulrich/BECK-GERNSHEIM, Elisabeth
(1990): Das ganz normale Chaos der Liebe,
Frankfurt a/M: Suhrkamp
BECK-GERNSHEIM, Elisabeth & Ulrich
BECK (1990): Gesellschaftliche
Individualisierungsprozesse und soziale
Lebens- und Liebesformen, in: Frankfurter
Rundschau v. 27.03.
-
BECK,
Ulrich (1994): Phänomen mit
Überlebungschancen. Zum statistischen
Ringkampf um die Familie, in: Süddeutsche
Zeitung v. 13.01.
BECK, Ulrich (1995): Solidarischer
Individualismus, in: Süddeutsche
Zeitung v. 02.03.
weiterführende wissenschaftliche
Literatur:
(1)
BECK, Ulrich
(1983): Jenseits von Klasse und Stand?
in: Kreckel, R. (Hg.) Soziale
Ungleichheiten, Sonderband 2 der Sozialen
Welt, Göttingen: Schwartz, S. 35-74
(3)
BECK, Ulrich (1991): Der
Konflikt der zwei Modernen, in: Zapf,
W. (Hg.) Die Modernisierung moderner
Gesellschaften: Verhandlungen des 25.
Deutschen Soziologentages in Frankfurt am
Main 1990, Frankfurt/New York:
Campus
BECK, Ulrich (1993): Auflösung der
Gesellschaft? Theorie gesellschaftlicher
Individualisierung revisted. In: Lenzen,
D. (Hg.) Verbindungen: Vorträge
anläßlich der Ehrenpromotion von K.
Mollenhauer an der FU Berlin am
15.01.1993, Weinheim: Deutscher
Studien Verlag, S.63-80
BECK, Ulrich (1995): Die
"Individualisierungsdebatte".
In: Schäfers, B. (Hg.) Soziologie in
Deutschland. Entwicklung,
Institutionalisierung und Berufsfelder,
theoretische Kontroversen, Opladen:
Leske + Budrich, S.185-197
EBERS, Nicola (1995): Individualisierung:
Georg Simmel - Norbert Elias - Ulrich
Beck, Würzburg: Königshausen und
Neumann
(6)
LÜSCHER, Kurt (1995): Was
heißt heute Familie? Thesen zur
Familienrhetorik, in: Gerhardt, U./
Hradil; S./Lucke D./Nauck, B. (Hg.)
Familie der Zukunft, Opladen: Leske
und Budrich, S. 51-66
(4)
MÜHLFELD, Claus (1995):
Krisenattribuierungen in der
Familiensoziologie, in: Bögenhold,
D. (Hg.) Soziale Welt und soziologische
Praxis: Soziologie als Beruf und
Programm; Festschrift für Heinz Hartmann
zum 65. Geburtstag, Sonderheft der
Sozialen Welt, Göttingen: Schwartz,
S.353-368
(5)
SKOLNICK, Arlene (1991):
Embattled Paradise. The American Family
in an Age of Uncertainty, New York: Basic
Books
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