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Debatte

 
       
   

Wie Wissenschaft, Politik und Medien zur Beschleunigung des Geburtenrückgangs beigetragen haben

 
       
   

Der aktuelle Bericht zur demographischen Lage in Deutschland bestätigt erstmals, dass der Vorwurf der Single-Lüge berechtigt ist.

Eine Einschätzung von single-generation.de anlässlich des Beitrags "Die demographische Lage in Deutschland 2005" von Evelyn Grünheid in der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1/2006

 
       
     
       
   
     
 

Warum erscheint das Heft 1/2006 der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft erst im Herbst 2006?

Leben wir in einer Bananenrepublik? Warum erscheint der Bericht zur demographischen Lage erst jetzt? Die präsentierten Zahlen beziehen sich in erster Linie auf das Jahr 2004, obwohl die Zahlen für 2005 längst bekannt sind. Das Heft hätte eigentlich bereits im März diesen Jahres erscheinen müssen. Wir erinnern uns jedoch, damals erschien gerade das Buch Minimum von Frank SCHIRRMACHER und die Presse heizte die Stimmung auf, indem falsche Geburtenzahlen in Umlauf gebracht wurden und die Kinderlosigkeit in Deutschland stark übertrieben wurde . Wir erinnern uns, dass das Elterngeld noch von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden musste. Dies ist nun Anfang November endgültig geschehen. Es wird ab Januar 2007 das Elterngeld geben. Aber war es das wirklich wert? Der Bericht zur demographischen Lage in Deutschland 2005 zeigt nun endlich, was single-dasein.de und single-generation.de schon seit Jahren belegen: die Kinderlosigkeit ist geringer als von Familienfundamentalisten behauptet. Noch schlimmer: der Geburtenrückgang wurde durch die singlefeindlichen Medienkampagnen offenbar beschleunigt. Die Single-Lüge hat dazu geführt, dass unsere Gesellschaft familienfeindlicher erscheint, als sie es tatsächlich ist. Und das alles, um ein paar Gesetze durchzusetzen, die nicht wirklich familienfreundlich sind. Dafür aber wurden die Singles an den Pranger gestellt.

Die positive Geburtenentwicklung wurde durch die Sozialschmarotzerkampagnen negativ beeinflusst

Die differenzierte Analyse der Geburtenentwicklung in Deutschland von 1991 bis 2004 von Evelyn GRÜNHEID zeigt Erstaunliches. Der Rückgang der Geburtenzahlen in Deutschland wird nicht mehr in erster Linie durch das generative Verhalten der jungen Generation bestimmt, sondern durch die Veränderungen der Altersstruktur.

Die demographische Lage in Deutschland 2005

"Veränderungen in der Altersstruktur der Frauen im gebärfähigen Alter führen zu einem kontinuierlichen Rückgang der absoluten Geburtenzahlen. In den alten Ländern wirkt dieser Faktor seit 1994 in negativer Richtung, wenn auch deutlich weniger ausgeprägt als in den neuen Ländern."
(aus: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2006, S.36)

Was aber wirklich erstaunlich ist, das ist die Entwicklung des generativen Verhaltens. Während in Ostdeutschland eine Anpassung an das westdeutsche Geburtenniveau zu verzeichnen ist, schwankt das Geburtenniveau in Westdeutschland beträchtlich (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Einfluss des generativen Verhaltens
auf die Geburtenentwicklung 1991 - 2004

Jahr Deutschland West Ost Berlin
1991 -8,4 -2,1 -34,5 -17,4
1992 -3,0 -1,2 -15,6 -2,8
1993 -1,1 -0,7 -7,1 -2,9
1994 -2,8 -3,2 -0,4 0,2
1995 0,5 -0,7 8,3 1,4
1996 5,3 4,3 13,9 5,5
1997 4,1 3,1 9,9 3,6
1998 -1,0 -1,9 5,0 -0,4
1999 0,4 -0,6 5,6 2,9
2000 1,3 2,0 6,1 -0,1
2001 -2,2 -3,8 -0,6 -3,1
2002 -0,5 -0,8 0,5 0,7
2003 -0,1 -0,5 2,1 0,2
2004 1,1 0,6 3,4 3,1
Quelle: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, H.1/2006, S.37

GRÜNHEID fällt dazu nichts ein. Aber wenn man die Entwicklung des generativen Verhaltens, d.h. die Entscheidung ein Kind zu gebären oder nicht, in Verbindung mit den singlefeindlichen Medienkampagnen der letzten 15 Jahre bringt, dann ist hier ein deutlicher Zusammenhang feststellbar.

Jahre, in denen Bundestagswahlen stattfanden, waren in den letzten Jahren schlecht fürs Kinderkriegen. Der erste Familienwahlkampf fand 1994 statt. Danach 1998, 2002 und 2005.

Das Jahr 2002 ist hier scheinbar eine Ausnahme. Das liegt aber offenbar daran, dass in den Jahren 2000/2001 eine groß angelegte Medienkampagne begann, die einen ersten Höhepunkt im April/Mai 2001 fand. Damals fällten die Bundesverfassungsrichter das Pflegeurteil. Das Magazin Stern konnte deshalb am 03.05.2001 fragen Sind Kinderlose jetzt Sozialschmarotzer? Danach wurde die Rückkehr zur Familie propagiert. Im Jahr 2003 forderte Susanne GASCHKE, für ihre Altersgenossinnen Kein Nachwuchs, keine Rente!

Tabelle 2: Anteil, den die beiden Einflussfaktoren auf die westdeutschen Geburtenzahlen haben
Jahr Altersstruktur Gebärverhalten
1991 1,4 -2,1
1992 1,0 -1,2
1993 0,4 -0,7
1994 -0,6 -3,2
1995 -0,6 -0,7
1996 -1,2 4,3
1997 -1,8 3,1
1998 -2,3 -1,9
1999 -2,1 -0,6
2000 -3,2 2,0
2001 -0,7 -3,8
2002 -1,4 -0,8
2003 -1,6 -0,5
2004 -1,3 0,6
Quelle: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, H.1/2006, S.37

Ein Blick auf Tabelle 2 zeigt, dass seit 1996 fast durchgängig in erster Linie die Altersstruktur und nicht die Entscheidung für bzw. gegen ein Kind den Geburtenrückgang verursachte.

Einzig das Jahr 2001 bildete hier eine extreme Ausnahme. 2001 ist aber zugleich das Basisjahr für die 10. koordinierte Bevölkerungsvorausrechung, die im Juni 2003 veröffentlicht wurde. Kein Wunder also, dass diese Bevölkerungsvorausberechnung bereits nach nur 3 Jahren korrigiert werden musste .

Im Jahr 2003 verteidigte einzig single-dasein.de und single-generation.de die junge Generation gegen Susanne GASCHKE. "Den heutigen Generationen droht im Gegensatz zu früheren Generationen das Erbe einer ungünstigen Altersstruktur", argumentierte single-generation.de damals. Die Analyse von GRÜNHEID bestätigt diesen Befund. Wer wie Susanne GASCHKE den schwarzen Peter den jungen Singles zuschiebt, der trägt zur Lösung der Probleme nichts bei, sondern verschärft das Problem zusätzlich.

Auch das Argument von single-generation.de, dass die Zunahme der Spätgebärenden nicht ausreichend berücksichtigt wurde, wird durch GRÜNHEID bestätigt .            

Die demographische Lage in Deutschland 2005

"In den alten Bundesländern ließ sich bis Mitte der 1990er Jahre ein leichter Rückgang der Geburtenhäufigkeit bei den jungen Frauen unter 25 Jahren erkennen und ein deutlich ausgeprägtes Absinken bei den 25- bis unter 30-Jährigen. Nach einer leichten Stagnation setzt ab etwa 2000 in diesen Altersgruppen ein erneuter Rückgang der Geburtenhäufigkeit ein, gleichzeitig ist bei den Frauen über 30 und insbesondere über 35 Jahren eine steigende Geburtenhäufigkeit festzustellen".
(
aus: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2006, S.45)

Im Jahr 2004 war die Geburtenrate der 35-40Jährigen in Westdeutschland fast genauso hoch wie die Geburtenrate der 20-25Jährigen. Im Zeitraum von 1991 bis 2004 erhöhte sich die altersspezifische Geburtenrate der 35-40Jährige gar um 50 %.

Die Schätzung des Anteils der lebenslang Kinderlosen bleibt vage

Im 100seitigen Bericht zur demographischen Lage wird dem umstrittenen Thema gerade einmal eine halbe Seite gewidmet. Das ist gewissermaßen eine Bankrotterklärung der deutschen Bevölkerungswissenschaft. Zu den Frauen, die nach dem Krieg geboren wurden, vermeldet GRÜNHEID nur, dass "bei den Frauen der 1960er Geburtsjahrgänge (...) etwa jede vierte Frau kinderlos bleiben wird. Damit gehört Deutschland im internationalen Vergleich zu den Ländern mit der höchsten Kinderlosigkeit." Single-generation.de hat erst kürzlich aufgezeigt, dass die Schätzungen des Anteils lebenslang Kinderloser des Frauenjahrgangs 1965 von 23,3 bis 32,1 % reichen . Eine weitere halbe Seite wird dem Kinderwunsch gewidmet. Nach einer Umfrage des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaft ist der Kinderwunsch gesunken. Aber ist das angesichts der Medienkampagnen verwunderlich? Es ist jedoch umstritten, ob solche Umfragen überhaupt sinnvoll sind und inwieweit abgefragte Kinderwünsche mit dem tatsächlichen generativen Verhalten in Verbindung stehen.

Die Entwicklung der Singlehaushalte in Deutschland

Single-generation.de hat seit Jahren nachgewiesen, dass der Münchner Soziologe Ulrich BECK, dessen Individualisierungsthese seit Beginn der 1990er Jahre die Debatte um die Single-Gesellschaft bestimmt, grandios daneben lag, als er Anfang der 1990er Jahre prophezeite, dass es nicht mehr lange dauern würde, dass in westdeutschen Großstädten die Singlehaushalte einen Anteil von 70 % erreichen würden .

Single-Geklingel

"Die dramatische Vorhersage wurde bis heute keine Realität. Im Gegenteil, betont Kittlaus: »Die größte Zunahme vollzog sich in den 70er und 80er Jahren, danach stagnieren die Zahlen - oder sind teilweise sogar rückläufig, zumindest in den alten Ländern.« Im Osten sorgte die Veränderung der Wohn- und Lebenssituation nach der Wende zunächst für viel Dynamik, pendelt sich jetzt aber auf Werte ein, die immer noch unter den westdeutschen liegen.
Berlin als größte deutsche Stadt liegt mit einer Quote von unter 50 Prozent Singlehaushalten weit unter der befürchteten Prognose à la Beck."
(aus: Das Maganzin 2006, S.16f.)

Im aktuellen Monatsheft Das Magazin hat die Chefredakteurin Manuela THIEME dies u. a. zur Titelgeschichte gemacht. Die Analyse von GRÜNHEID bestätigt nun diese Sicht.

Die demographische Lage in Deutschland 2005

"Der Anteil der Haushalte, die sich in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern befinden, hat sich seit 1991 verringert. Hier haben sich die erheblichen Strukturveränderungen zugunsten kleinerer Haushalte - vor allem in den westdeutschen Großstädten - bereits vor 1991 vollzogen."
(
aus: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2006, S.83)

GRÜNHEIDs Analyse bestätigt auch, dass sich seit 1991 in Ostdeutschland die Strukturveränderung zu kleineren Haushalten vollzieht, die in Westdeutschland bereits vor 1991 stattgefunden hat.

Die demographische Lage in Deutschland 2005

"Besonders hoch ist die Dynamik in den neuen Bundesländern, die auch hier einen Nachholeffekt in der Durchsetzung der Einpersonenhaushalte gegenüber Westdeutschland offenbar. Im Jahr 2004 ist der Anteil Jüngerer in Einpersonenhaushalten unter den ostdeutschen 20-25-Jährigen bereits deutlich höher als unter den gleichaltrigen Westdeutschen (...), auch in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren liegen die ostdeutschen über den westdeutschen Werten."
(
aus: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2006, S.85)

Für manchen überraschend, dürfte sein, dass sich nach GRÜNHEID eine wesentliche Veränderung bei den älteren alleinstehenden Frauen vollzieht. Familienfundamentalistische Annahmen gehen davon aus, dass sich in Zukunft vor allem die Gruppe der älteren Singles enorm erhöhen wird. Auch die neue Familienministerin Ursula von der LEYEN ist Anhängerin dieser pessimistischen Sichtweise.

Die demographische Lage in Deutschland 2005

"Besonders hoch ist die Dynamik in den neuen Bundesländern, die auch hier einen Nachholeffekt in der Durchsetzung der Einpersonenhaushalte gegenüber Westdeutschland offenbar. Im Jahr 2004 ist der Anteil Jüngerer in Einpersonenhaushalten unter den ostdeutschen 20-25-Jährigen bereits deutlich höher als unter den gleichaltrigen Westdeutschen (...), auch in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren liegen die ostdeutschen über den westdeutschen Werten."
(
aus: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2006, S.85)

Single-generation.de hat bereits des Öfteren darauf hingewiesen, dass sich durch die Veränderung des Paarungsverhaltens und die höhere Lebenserwartung der Männer der Charakter des Alters verändern könnte . Familienfundamentalisten könnten in Zukunft also eines besseren belehrt werden.

Die Ideologie des Nichtfamiliensektor wird sichtbar

Bereits im Januar 2001 hat single-generation.de die Ideologie entlarvt, die mit dem Begriffspaar "Familiensektor" und "Nichtfamiliensektor" verbunden ist .

Die demographische Lage in Deutschland 2005

"In den letzten Jahren hat sich im Gegensatz zum früher üblichen ehorientierten ein neuer kindorientierter Familienbegriff durchgesetzt. (...). Es muss an dieser Stelle jedoch angemerkt werden, dass dieses Lebensformenkonzept eigentlich nur sinnvoll auf die Altersgruppe der Bevölkerung anzuwenden ist, bei denen die Kinder noch im Haushalt leben."
(
aus: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1, 2006, S.89)

GRÜNHEID sieht sich nun gezwungen, der Kritik, die hier geäußert wurde, Rechnung zu tragen. Dies hindert sie jedoch nicht daran - absurderweise - das Konzept trotzdem auf die Gesamtgesellschaft anzuwenden. Warum liefert GRÜNHEID keine Zahlen zu den haushaltsübergreifenden Familienformen? Dies wäre doch sinnvoller gewesen, statt ständig nur zu betonen, dass der Begriff "Nichtfamiliensektor" keineswegs bedeutet, dass dieser nur von Kinderlosen bevölkert wird.

Fazit: Die Single-Lüge wird in den nächsten Jahren für jeden deutlich sichtbar werden

Hier konnten nur einige wenige Aspekte des ca. 100seitigen Berichts zur demographischen Lage in Deutschland 2005 herausgegriffen werden. Was seit Mai 2006 auch im Buch Die Single-Lüge nachzulesen ist, nämlich der Versuch von Wissenschaft, Politik und Medien die Singles für die gegenwärtige demografische Lage allein verantwortlich zu machen, lässt sich mittlerweile immer weniger aufrechterhalten. Die Statistiken, die GRÜNHEID präsentiert, können als Belege für die Richtigkeit des Vorwurfs der Single-Lüge gesehen werden.        

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dies ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt. Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
          
 Es wird aufgezeigt, dass sich die nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen."

 
     
 
       
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 18. November 2006
Update: 22. November 2018