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Das Dosenmilchtrauma
"Kinder,
sagt man, treten in die Fußstapfen ihrer
Eltern, oder sie machen alles anders. Ich
liege irgendwo dazwischen.
Sicher, gemessen an den Idealen meiner
Erzeuger bin ich ein reichlich missratener
Spross, aber im praktischen Leben sind wir
gar nicht so verschieden. Ich lebe zum
Beispiel in einer Wohngemeinschaft. Das
finden die Renate und der Eberhard ziemlich
cool, ihr Sohn wohnt in 'ner WG! Zugegeben,
es handelt sich um eine Doppelhaushälfte -
doch wir leben da zu viert. Zwei Paare.
Marion und A gehören zusammen und meine
Angetraute und ich natürlich.
Ohne denen, die in sentimentalen Erinnerungen
an ihre Kommunenzeit schwelgen, allzu nahe
treten zu wollen, aber unser Zusammenleben
klappt bestens."
(Jess
Jochimsen, 2000,
S.41)
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Die
Grünen - Auf dem Weg zur Partei der Kinder von Ulrich Beck
und VW Golf?
Das
Pfarrhaus im Thüringschen Ingersleben ist nach
Jochen BUCHSTEINER ("Lasset die Kinder zu uns kommen", Die Zeit 10.05.2001) der Ort gewesen,
an dem die Grünen der
Generation Golf einen
"Aufstand mit ungewissen Folgen
geprobt" haben. Es war der Versuch einer
Antwort auf den Düsseldorfer Parteitag der FDP,
die mit Guido WESTERWELLE auf Freiheit und
Bildung setzte. Die Grünen scheinen sich die
FDP-Parole vom "Kampf gegen den
Abstieg" zu eigen machen zu wollen. Von
einer Partei, die sich am Abgrund sieht, kann man
jedoch keine vernünftige Politik, sondern nur
hektische Imagepflege erwarten. Revolten, die im
Pfarrhaus beginnen, haben in Deutschland zudem
einen zweifelhaften Ruf. Ob hier gar
Benjamin STUCKRAD-BARRE Pate gestanden hat? Schließlich
ist Familie derzeit Pop! Von Katrin GÖRING-ECKARDT ist jedenfalls der
Satz überliefert: "Wir Jüngeren müssen
zeigen, dass wir keine 68er-Partei mehr
sind".
Es sieht
aber nicht danach aus, als ob diese Grünen
wüssten, wovon sie reden. Sie sind jedoch
offensichtlich gelehrige Schüler des Soziologen Ulrich BECK aus der
68er-Kohorte. Die 68er
wollten ursprünglich zurück zur
Großfamilie und lebten deshalb in
Kommunen, die im Laufe der Zeit zu
Wohngemeinschaften
und Hausgemeinschaften mutierten. Die
68er wollten also die Kleinfamilie zugunsten
einer älteren Familienform überwinden. Es muss
als eine Ironie der Geschichte angesehen werden,
dass diese neuen Wohnformen der 68er wesentlich
zum rapiden Anstieg der Single-Haushalte
geführt haben, weil das Statistische Bundesamt weder Wohn- noch
Hausgemeinschaften kennt
.
Ulrich BECK
hat diesen Wandel der Haushaltsformen als Beleg
dafür genommen, dass Deutschland auf dem
Weg in
die "Single-Gesellschaft"
ist. Auch jene 68er, die zurück zur Großfamilie
wollten, kritisierten die Vereinzelung und
Individualisierung. BECK hat diese Kritik
lediglich aufgegriffen und weitergeführt. Seit
BECK will man jedoch nicht mehr zurück zur
Großfamilie, sondern zurück zur
Kleinfamilie. Und da wären wir genau bei diesen Grünen
um GÖRING-ECKARDT
.
Das
Gemeinsame der 68er und der Grünen aus der
Generation Golf ist die
Orientierung
an Familienmythen. Die Großfamilie war
kein historisch weit verbreitetes Familienmodell,
sondern ein bürgerliches Familienideal. Aufgrund
der gestiegenen Lebenserwartung wäre die
Großfamilie heutzutage erstmals wirklich lebbar,
aber das gegenwärtig gelebte Modell ist die
Multilokale
Mehrgenerationen-Familie
. Die
postmodernen Grünen wollen hinter dieses Modell
zurück. Dem stehen jedoch sowohl die Zwänge der
zukünftigen Wissensgesellschaft, als auch das
veränderte Lebenslaufregime und die veränderten
Wohnbedingungen entgegen.
Der
Lebenslauf der Menschen wird bildungs- und damit
arbeitsmarktabhängiger als je zuvor. Die Rede
vom "lebenslangen Lernen" ist Ausdruck
dieser Veränderung. Die gestiegene
Lebenserwartung führt dazu, dass mehr
Generationen als jemals zuvor miteinander
auskommen müssen und dass die
Familienphase an Bedeutung verliert.
Eine 80jährige Frau ist nur ein halbes
Erwachsenenleben gebärfähig. Elternschaft ist
jedoch nicht nur in diesem biologischen Sinne,
sondern auch im sozialen Sinne zu verstehen.
Ältere Frauen können soziale Eltern
sein und sind dies oftmals auch.
Der Hinweis
darauf, dass Haushalte mit Kindern
in der Minderzahl sind, verführt zu falschen
Schlussfolgerungen. Haushaltsübergreifende
Generationenzusammenhänge und
Erziehungszusammenhänge werden statistisch nicht
sichtbar. Kürzlich hat der Soziologe Bruno
HILDENBRAND (Ostthüringische Zeitung v.
25.05.2001) darauf hingewiesen, dass gerade in
den Städten die Entfernung zwischen
Familienangehörigen wesentlich niedriger ist als
auf dem Land. Hausgemeinschaften
von Eltern und Kindern in Einliegerwohnungen
werden genauso wenig erfasst wie jene von Singles,
Paaren und Familien. Wer - wie die Grünen - die
gemeinsame Wohnung zum Zentrum des
Familienbegriffs macht, der blendet viele
Familienformen und soziale Wohnformen aus.
Wenn Fritz KUHN
(vgl.
"Ab in die Mitte",
Welt 16.05.2001) fordert, "dass in
der Partei auch diejenigen für Kinder einstehen,
die selbst keine haben" und dies als Beitrag
zur Überwindung einer "Spaltung der
Gesellschaft in Eltern und Kinderlose"
bewertet, so unterstellt er den
Kinderlosen, dass
sie bisher nicht für Kinder eingestanden sind.
Eine solche Sichtweise ist ungerechtfertigt. Es
deutet aber vor allem darauf hin, dass
innerparteiliche Willensbildungsprozesse, in
denen Kinderlose ihre spezifische Perspektive
einbringen möchten, unerwünscht sind. Wenn eine
kinderfreundliche Gesellschaft aber zur
Kinderlosenfeindlichkeit
führt, dann ist dies bedenklich, weil Familien
und Singles in Zukunft in verstärktem Masse
miteinander auskommen müssen. Nicht weil - wie
allgemein unterstellt wird - die Zahl
freiwilliger Kinderloser zunehmen wird, sondern
aufgrund struktureller Kinderlosigkeit.
Die
strukturelle Kinderlosigkeit ist wie bereits
erwähnt die Folge der steigenden
Lebenserwartung, Des Weiteren gibt es seit
längerem einen Männerüberschuss
bei den jüngeren Jahrgängen. Kinderlosigkeit
wird also zunehmend das Schicksal von Männern
werden. Hinzu kommt, dass Männer sich immer noch
als Alleinernährer von Familien
verstehen. In der Dienstleistungsgesellschaft
nehmen jedoch die McJobs zu, die eine
"standesgemäße" Familiengründung
unmöglich machen. Nicht
vergessen werden darf die Zunahme von
Unfruchtbarkeit.
Grüne
Familienpolitik kann deshalb nicht allein
heißen, Politik für Familienhaushalte zu
machen, sondern Familienpolitik muss ihre Aufgabe
auch darin sehen, die sozialen Potenziale der
beiden Lebensformen "Single" und
"Familie" zu fördern. Wer die Spaltung
der Gesellschaft in Eltern und Kinderlose
verhindern will, der muss Integrationsangebote
machen. Ein Beispiel wäre z.B. die Förderung
von Hausgemeinschaften, bei denen Singles, Paare
und Familien jeweils ihren besonderen Beitrag zum
Gemeinwohl leisten können. Das
Beispiel des Bremer Beginenhofs zeigt,
dass einerseits ein gesellschaftlicher Bedarf
dafür besteht, andererseits aber eine
geschlechtsspezifische Spaltung bei den
Wohnformen droht. Eine solche Spaltung ist jedoch
genauso wenig wünschenswert wie eine
generationenspezifische Spaltung, die dann droht,
wenn die Zeitdimension "Lebenslauf" bei
der familienpolitischen Debatte vernachlässigt
wird und die multilokale
Mehrgenerationen-Familie nicht als
Familienform wahrgenommen wird.
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