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Einführung
Die Philosophie als
Wissenschaft hat sich in den letzten Jahren mit der Liebe vor
allem im Zusammenhang mit dem Geburtenrückgang, der
Sozialpolitik und dem demografischen Wandel beschäftigt (z.B.
Angelika KREBS ("Arbeit
und Liebe"), Harry G. FRANKFURT
"Gründe der Liebe" oder Ludger LÜTKEHAUS "Natalität"). Liebe
wurde dadurch auf Zeugung bzw. Gebären und Sorge verkürzt.
Das Buch von Eva Gesine
BAUR hebt sich von einer solchen Philosophie als Wissenschaft in
mehrerer Hinsicht ab. Zum einen ist BAUR keine Philosophin im
engeren Sinne, sondern Kulturhistorikerin, die Kunstgeschichte,
Literatur- und Musikwissenschaften sowie Psychologie studiert
hat. Es handelt sich also nicht um eine theorielastige
Einführung in philosophische Grundbegriffe. Philosophie ist
natürlich auch nicht im abwertenden Sinne als weltfremd oder
verstiegen gemeint, sondern im Gegenteil: es geht um das gute
Leben. Das Buch will dazu beitragen, den Liebesalltag zu verbessern.
Im Mittelpunkt steht die Liebe zu einem Partner, zu einer
Partnerin und nicht zuletzt zu sich selbst. Dieser
partnerschaftlichen Liebe nähert sich das Buch anhand von über
50 Begriffen an. Das Buch ist allein schon deswegen
begrüßenswert, weil es einem Trend entgegentritt, der die Liebe
entweder ins Korsett der Leistungs- und Fitnessgesellschaft zwingen oder einem
demografischen Notstand unterordnen möchte. Beiden Trends wirkt
das Buch entgegen, indem es zur Selbsterkundung ermuntert.
Alles Pornographie oder was?
Mit Google kann der
kundige Nutzer das Interesse an bestimmten Begriffen
herausfinden. Gibt man z.B. den Begriff "Generation Porno" ein
und schränkt die Suche auf Deutschland ein, dann lässt sich
erkennen, dass erstmals im April 2008 das Interesse sprunghaft
ansteigt und im September 2008 wieder abflaut. Im April 2009
gibt es ebenfalls wieder einen sprunghaften Anstieg, der diesmal
ca. 3mal so stark ist. Eine gleichnamige ZDF-Dokumentation in
der Reihe 37 Grad erreicht in diesem Zeitraum eine hohe Quote
und das Thema wird von allen Printmedien aufgegriffen. In der
Krise der traditionellen Medien steht insbesondere das Internet
am Pranger, das als Worldwide Wollust (SZ v. 05.05.)
kritisiert wird.
BAUR
erörtert Pornographie nicht
anhand aktueller Beispiele, sondern bemüht die Geschichte. Aus heutiger Sicht
mag man z.B. die Bücher
von Anäis NIN und Henry MILLER belächeln. Aber historische
Beispiele zeigen eben auch, dass sich Bewertungen verändern
können, wenn man sie aus der Distanz betrachtet. Immer wieder
unternimmt BAUR Ausflüge in die Antike, die Märchenwelt, in die
Zeit der Hexenverbrennungen, um die Leserin, den Leser mit
Wendungen zu überraschen, die Begriffe im Laufe der Geschichte
nehmen können. BAUR arbeitet bei der Pornographie die Funktion heraus.
Eine kleine Philosophie der Liebe. Von A bis Z
"Pornographie
dient der Deutlichkeit. Sie hilft, Liebe und Sex voneinander
zu trennen und im Labor des Erlebens festzustellen, wie
viele Mischungsmöglichkeiten es für diese Ingredienzien
gibt. Liebe ohne Sex als das eine Extrem, Sex ohne Liebe als
das andere, dazwischen jedoch sämtliche Varianten."
(2009, S.143) |
Kann es gute Pornographie
überhaupt geben? BAUR ist dieser Meinung. Bezogen auf die
aktuelle Debatte könnte dann eine mögliche Antwort lauten:
Im Rahmen dessen, was bei uns gesetzlich erlaubt ist,
erleichtert gute Pornographie partnerschaftliche
Aushandlungsprozesse. Das Konzept der neuen Verhandlungsmoral
propagiert z.B. der Sexualwissenschaftler Gunter SCHMIDT.
Das neue Der Die Das
"Zwei
Diskurse bestimmen die heutigen sexuellen Verhältnisse in den
westlichen Industriegesellschaften. Zum einen der liberale
Diskurs der 1960er und 1970er (...). Zum anderen der
Selbstbestimmungsdiskurs der 1980er Jahre, der den freien »deregulierten«
Liebesmarkt, der durch die Liberalisierung entstanden war,
zivilisierte und männliche Dominanz und männliche Definitionen
auf diesem Markt kontrollierte, sexuelle Rechte, Chancen und
Optionen geschlechtsgerechter machte. Der
Selbstbestimmungsdiskurs wurde von Frauen und der Frauenbewegung
zum Tanzen gebracht, thematisierte sexuellen Zwang/sexuelle
Gewalt in allen ihren Gestalten, Verkleidungen und Verdünnungen.
Vergewaltigung, Pornographie, sexueller Mißbrauch, sexuelle
Belästigung, Sexismus im Alltag und in den Medien, wurden, Punkt
für Punkt, auf die Tagesordnung gesetzt und verhandelt. Das
führte zu einer Sensibilisierung gegenüber sexuellem Zwang und
sexuellen Übergriffen - und brachte zugleich, als Nebenfolge,
einen neuen Sexualkodex hervor, einen Kodex, der nicht alte
Verbote neu installieren, sondern der den sexuellen Umgang
friedlicher, kommunikativer, berechenbarer, rationaler
verhandelbar, herrschaftsfreier machen oder regeln will.
Das Ergebnis moralischer Modernisierung habe ich
Verhandlungsmoral andere Konsensmoral genannt. Die alte
Sexualmoral verschwindet."
(2004, S.11) |
Andere könnten auch
der Meinung sein, dass gute Pornographie im Grunde gar keine
ist. Aber um solche ideologischen Differenzen geht es in dem Buch von BAUR nicht.
Es geht letztendlich immer um die Verbesserung unserer
alltäglichen Liebesfähigkeit. Die entscheidende Frage ist: was tut uns gut
und was nicht.
Selbstliebe und Empathie
Was uns gut
tut, das könnte dem anderen schaden. Dieser Ansicht sind
Kritiker der Spaß- bzw. Egogesellschaft
.
Narzissmus gilt als das Grundübel unserer Zeit. Paarsex ist gut,
Singlesex ist schlecht - so lautet eine traditionelle
Trennlinie. Am rigidesten verfechtet wohl die katholische Kirche eine
überholte Sexualmoral, wie man bei BAUR im Kapitel
Orgasmus lesen kann.
Eine kleine Philosophie der Liebe. Von A bis Z
"Der
Sommer 1969 war für den Vatikan eine schwierige Zeit. Ein
Jahr erst war vergangen, seit Papst Paul VI. seine Enzyklika
Humane Vitae herausgegeben hatte, in der er bekräftigte,
dass die christliche Ehe ein Bund sein, der bis ans
Lebensende Gültigkeit besitze, und dass jeder eheliche
Akt der Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben
muss.
Das, worum es ging, wurde nicht beim Namen genannt, weder
die Antibabypille noch der Orgasmus, die Botschaft aber war
eindeutig: ein Liebesakt aus reiner Lust verstieß gegen
Gottes Auftrag an die Menschen."
(2009, S.131) |
Für BAUR ist Selbstbefriedigung bzw. Selbsterkundung im
Sinne von Selbstliebe Voraussetzung für eine erfüllende
Partnerschaft. Das
Kapitel Masturbation beginnt die Autorin mit einer
Erzählung über einen mittelalterlichen Hexenprozess. Die
Geschichte ist typisch für die vielen kleinen Erzählungen, die
immer wieder in die Abhandlungen eingeflochten werden, um eine
Sache treffend auf den Punkt zu bringen.
Eine kleine Philosophie der Liebe. Von A bis Z
"Bei
einem Hexenprozess im Jahr 1593 untersuchte einer der
Schergen die Angeklagte. Wie es das Gesetz befahl, war er
ein verheirateter Mann. Der Scherge war gründlich und machte
eine Entdeckung: er stieß bei der verdächtigen Frau auf ein
Teufelsmal. Seiner Verantwortung bewusst beschrieb er es als
ein »kleines Stück Fleisch herausstehend, als ob es eine
Zitze sei, einen halben Zoll lang«. Der Scherge betonte,
dass er das Teufelsmal sofort bemerkt habe, aber es liege an
einer Stelle, die als unschicklich gelte. Am Ende siegte
seine Pflichtgefühl über die Scham: er beschloss, seinen
Fund nicht zu verschweigen, und führte ihn mehreren
männlichen Zeugen vor, wie das Gesetz es befahl, ebenfalls
verheiratet. Auch sie hatten noch nie etwas Derartiges
gesehen.
Die Hexe wurde verurteilt und verbrannt.
Offenbar fühlte sich der Scherge und auch keiner der Zeugen
bemüßigt, bei der eigenen Ehefrau nachzusehen, ob sich da
Ähnliches finde. Gut einerseits, denn sonst wäre früher oder
später die gesamte Bevölkerung ausgerottet worden. Schlecht
andererseits, denn so kam keine der Gattinnen zum Lustgewinn
durch kundige Stimulation."
(2009, S.114) |
Auch aus der
Wortgeschichte kann man einiges lernen. So verwendet die Autorin
den Begriff Masturbation nur deswegen, weil der
Alternativbegriff Onanie für die sexuelle Selbstbefriedigung
noch missverständlicher ist. Die gekonnte Sezierung der
jeweiligen Wortwahl und das Aufzeigen von
Bedeutungsverschiebungen durch die Jahrhunderte sind oftmals
genauso spannend zu lesen wie die pointierten Erzählungen.
Eine
andere Herangehensweise ist die Darstellung eines Sachverhaltes
am typischen Beispiel einer herausragenden Persönlichkeit des
öffentlichen Lebens. Ob PICASSO, Marilyn MONROE, Edith PIAF oder
Woody ALLEN. Die Frage ist dann immer, was bedeutet dies für uns
Normalbürger?
Eine kleine Philosophie der Liebe. Von A bis Z
"Wenn
Woody Allen sagt: »Masturbation ist guter Sex mit jemanden,
den ich liebe«, gestehen wir ihm das zu als einem, der seine
Neurosen filmreif kultiviert. Kaum einer aber ließe diesen
Satz seines Lebensmenschen durchgehen. Altruismus gilt als
unumstößliches Gesetz der Zweierbeziehung, wenngleich jeder
die schlichte Einsicht kennt, dass ein Mensch, der lieben
will, zuerst einmal sich selbst lieben lernen müsse. Wie
aber soll diese Liebe zu sich selber aussehen? Wann ist sie
richtig dosiert? Vielleicht sind es diese offenen Fragen,
die uns die Selbstbefriedigung verdächtig machen."
(2009,
S.118) |
In der
öffentlichen Debatte wird ein enger Kausalzusammenhang zwischen
der Pornographisierung der Gesellschaft, zunehmender
Selbstbefriedigung und Geburtenrückgang hergestellt. Im Jahr
2005 erschien ein Spiegel Essay und zwei Jahre danach das
gleichnamige Buch
Der Tanz um die Lust. Eine 1978
geborene Adlige spitzt darin die Argumentation zum Thema
Pornographie, Selbstbefriedigung und demografischer Notstand zu.
Der Tanz um die
Lust
"Das
metrosexuelle Weichei ist die Warenform des Mannes, dessen
Preis unbezahlbar geworden ist. Außer für ihn. Und seine
Hand. Onanie ist die äußerste Form des ästhetischen
Narzissmus.
Ich meine hier nicht Wichsen an sich, das ist ja gut und
schön, und mich entspannt es immer so. Sondern das
narzisstische »Um-sich-selbst-Kreisen«, das die Gegenwart
eines oder einer anderen nicht mehr zulässt. Wenn man zu
toll geworden ist, um zu kommunizieren. Asoziale
Auto-Erotik."
(2007, S.36)
"Fakt ist (...), dass in einer
pornographischeren Gesellschaft die Leute weniger Sex haben.
Mit anderen Leuten. Die Erwartungen steigen, die
Geburtenrate sinkt."
(2007, S.38)
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Im letzten
Jahr erschien in Deutschland das Buch Die einsame Lust.
Das Buch des US-amerikanischen Historikers Walter W. LAQUEUR war
bereits im Jahr 2003 als Solitary Sex in Amerika
erschienen. Nach
LAQUEUR wurde die Onanie erst im Zeitalter der Aufklärung
verteufelt. Diesen Argumentationsstrang greift BAUR auf, wenn
sie auf die Unterscheidung von Jean-Jacques ROUSSEAU in
Selbstliebe (amour de soi) und Selbstsucht (amour propre)
hinweist. Wo diese Scheidelinie zwischen Selbstliebe und
Selbstsucht verläuft, daran entzündet sich auch heute noch die
öffentliche Debatte wie das Beispiel Ariadne von SCHIRACH zeigt.
Während früher die Selbstbefriedigung in Zusammenhang mit
körperlichen Krankheiten gebracht wurde, so wird sie im
psychoanalytischen Kontext seit den 1970er Jahren als Narzissmus
gegeißelt und im gesellschaftlichen Kontext seit der
Jahrtausendwende mit dem demographischen Niedergang in
Verbindung gebracht. Dieser Aspekt bleibt bei BAUR
außen vor. Selbstbefriedigung ist gut, wenn sie die
Liebesfähigkeit in einer Partnerschaft verbessert. Der Tanz um
die Lust, so könnte man sagen, ist nicht das Problem derjenigen,
die BAUR mit ihrem Buch ansprechen möchte.
Im
Kapitel Mitgefühl macht BAUR mit den Erkenntnissen einer
naturwissenschaftlich orientierten Forschung bekannt. Resonanz
ist hier der Schlüsselbegriff, besser bekannt ist er aber als
Empathie. Unser Gehirn sei auf Empathie programmiert, so das
optimistische Menschenbild, das BAUR vermittelt. Selbstliebe und
Empathie bedingen sich in dieser Sicht.
Flirten. Oder warum Neil Strauss dieses Buch
empfehlen müsste
Was
unterscheidet einen erfolgreichen und einen erfolglosen
Aufreisser? In seinem Buch Der Aufreisser stellt sich der
US-amerikanische Frauenversteher Neil STRAUSS diese Frage, denn
offensichtlich gab es Männer, die zwar alle Techniken der
Verführung beherrschten, aber bei den Frauen keine Chance
hatten.
Der Aufreisser
"Schüchtern,
Single, frustriert – das war gestern. Meister-Verführer
Neil Strauss zeigt, wie Mann in nur 30 Tagen lernt, jede
Frau zu erobern. Und das ist keine blasse Theorie: Neil
Strauss alias »Style« hat die Tipps und Tricks selbst
erprobt und weiß genau, womit man zielsicher bei Frauen
landet. Er weiß, wie man Topmodels rumkriegt, coole
Businessfrauen knackt und wie man zwei heiße Schwestern
gleichzeitig haben kann."
(aus: Klappentext 2009) |
Sein
Schlüsselbegriff für die Lösung dieses Problems ist die
Empathie. Wer sich z.B. beim Online-Buchhändler Amazon
die Rubrik Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften
auch diesen oder jenen anschaut, der sucht sowohl bei BAUR als auch
bei STRAUSS vergeblich nach einer Empfehlung die beiden Bücher
zusammen zu kaufen.
Anhänger
von STRAUSS sind auf das Erlernen von Verführungstechniken
fixiert und die Leserinnen von BAUR machen einen Bogen um solche
Ratgeberliteratur. Der Soziologe Gerhard SCHULZE hat in seinem
Buch Erlebnisgesellschaft Anfang der 1990er Jahre
zwischen fünf Milieus unterschieden
. Zur Zielgruppe von BAUR
gehört in erster Linie das Niveaumilieu, das die Werte des
traditionellen Bildungsbürgertums vertritt. Neuerdings wird auch
von einem neuen Bürgertum gesprochen, das sich ebenfalls von
BAUR angesprochen fühlen dürfte. Die Anhänger von Neil STRAUSS
gehören eher nicht zum Niveaumilieu, wenngleich sie nicht
unbedingt ungebildet sein müssen. Die Schnittmenge bildet das Integrationsmilieu.
Was
BAUR und STRAUSS über die Kunst der Verführung schreiben, das
hat vieles gemein, auch wenn die Erfahrungswelten differieren
mögen. Menschen ohne oder mit wenig Beziehungserfahrung
könnten
z.B. viel aus dem Buch von BAUR lernen. Vor allem auch deswegen,
weil beide das Lesen als Ausgangspunkt und nicht als Endpunkt
von Erfahrungen betrachten.
Eine kleine Philosophie der Liebe. Von A bis Z
"Ist
Flirt die erotische Form der Unverbindlichkeit oder die
unverbindlichste Form der Erotik? Die Kunst liegt darin,
Absichten unabsichtlich wirken zu lassen und nur zu
wünschen, nicht zu wollen. Wo zu viel Wille ist, ist kein
Weg."
(2009,
S.61)
"Worin liegt das
Geheimnis derer, die verführen können? Man könnte meinen, in
ihrem Willen, es zu tun. Doch die Erfahrung beweist, dass
die Offensichtlichkeit des Wollens verschreckt. Nicht der
schnurgerade Weg wirkt verführerisch, die Abwege locken.
Verwirrung ist die Basis der Verführung. Der schillernde
Charakter besitzt mehr Verführungskraft als der glasklare.
Das Eindeutige führt. Das Vieldeutige verführt. Mag sein,
dass uns deshalb die orientalische Welt über mehr
Verführungskräfte zu verfügen scheint als unsere westliche.
(2009, S.180) |
Was unter dem
Begriff Flirt bei BAUR nur angerissen wird, das steht
u.a. im Kapitel Werbung im Mittelpunkt. Was BAUR über das
Werben von Salvador DALI und Fürst PÜCKLER schreibt, das nennt
STRAUSS z.B. die Pfauenmasche. Während sich bei BAUR Beispiele
aus der so genannten Hochkultur finden, begibt sich STRAUSS in
die Niederungen der Popkultur. STRAUSS verkauft seine Strategien
als universell anwendbar, aber die Kunst der Empathie besteht
auch darin, den kulturellen Habitus nicht zu vernachlässigen.
Das Buch von BAUR zeigt wie Frauen des Niveaumilieus ticken.
Im Kapitel Verführung erläutert BAUR warum Scheherazade
besser bezirzte als Circe. Wenn die Autorin z.B. vor dem Glamour
warnt, dann gibt sie sich auch als Angehörige des Niveaumilieus
zu erkennen, denn das Integrationsmilieu kennt diese Ängste
nicht, sondern reißt gerade die Schranken dieser kulturellen
Distinktion ein. Das
Offensichtliche des Wollens verschreckt. Sowohl BAUR als auch
STRAUSS sehen in Scheherazades Erzählkunst ein Geheimnis der
Verführungskunst. Während STRAUSS in seinem Buch die Technik
dieser Erzählkunst vermittelt, lernt man bei BAUR das
Verführerische von Erzählungen kennen. Wenn z.B. STRAUSS
indirekte Opener empfiehlt, dann um das Offensichtliche des
Wollens zu kaschieren. Wenn er mit offenen Loops
(Handlungssträngen), Hooks (Gesprächsaufhänger) und neuen
Threads (Gesprächsfäden) die Elemente einer anregenden
Unterhaltung herausstreicht, dann lohnt es sich zum Beispiel,
sich die Abhandlungen des Buches vorlesen zu lassen. Verzaubert
es mich, macht es mich neugierig oder bin ich gelangweilt und
wenn warum?. Man kann es aber auch dazu benutzen,
partnerschaftliche Aushandlungsprozesse zu initiieren. Das Buch
lässt sich auf verschiedene Weise gewinnbringend lesen. Nur ein
Mangel an Phantasien könnte davon abhalten, aber dazu
gibt es das passende Stichwort.
Karrierepaare - eine Konstellation, die zum
Scheitern verurteilt ist?
Erfolgreiche
Frauen finden keinen Mann, erfolgreiche Männer suchen keine
Karrierefrauen, so in etwa lautet das gegenwärtige Lamento in
der öffentlichen Debatte. Das Stichwort Karrierepaare sucht man
bei BAUR vergeblich, aber unter Konkurrenz und
Unterschied wird diese Konstellation abgehandelt. Anhand von
2 Künstlerpaaren und einem Wissenschaftlerpaar verdeutlicht BAUR
die Vorzüge und Probleme solcher Paare unter dem
Gesichtspunkt der Konkurrenz. Gleichberechtigung ist das
Gegenteil von Unterschied. Peer-Couples heißt bei BAUR das
Stichwort dazu. Ansonsten bleibt das Thema unterbelichtet. In
den Blick kommen eher die Probleme von Stars (z.B. Einsamkeit
wegen fehlendem Charme) und nicht das moderne Doppelkarrierepaar
.
Ist die lebenslange Ehe heute noch lebbar?
Das
zentrale Problem von Liebesbeziehungen sieht die Autorin in der Aufrechterhaltung einer lebendigen Partnerschaft.
Lebensmenschen nennt BAUR Partner oder Partnerinnen. Die
Mehrzahl der Abhandlungen umkreisen diese Thematik. Die Autorin
knüpft bewusst an alten Begrifflichkeiten an und lehnt moderne
wie z.B. Beziehungsarbeit ab. Das Scheitern von Ehen wird in
einem Mangel an Bemühen gesehen. Entweder weil die Ehe als
einmalige Investition missverstanden wird, weil es an
gegenseitigem Respekt mangelt, weil die Sinnlichkeit zu kurz
kommt oder weil das Werben um den Partner nicht Teil
des alltäglichen Repertoires ist. Die Mängelliste zieht
sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Abhandlungen.
Nicht die Umwelt oder die Umstände sind schuld, sondern das
eigene Verhalten ist das Problem. Es sind dies die Probleme der
Lebensmitte bzw. kinderloser Paare in der gesellschaftlichen
Mitte.
Fazit: Das Buch ist unterhaltsam geschrieben
und lädt zur Selbsterkundung ein
Die Autorin schreibt mit
viel Esprit über die Liebe. Im Gegensatz zum herrschenden Zeitgeist, der in
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie das
Hauptproblem von Partnerschaften sieht, befasst sich BAUR mit der
Frage, was Ehen bzw. Partnerschaften über die Jahre hinweg lebendig
erhält. Dadurch kommen Selbstliebe,
Selbsterkundung und andere Faktoren in den Blick, die zu einer
erfüllten Partnerschaft beitragen. In dieser Rezension wurde
zudem gezeigt, dass man das Buch auf ganz verschiedene Weise gewinnbringend lesen kann.
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