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Thema des Monats

 
       
   

Der Mann in der Krise?

 
       
   

Ines Kappert betrachtet in ihrem Buch Der Mann in der Krise die Debatten um Männlichkeit, Identität und Kapitalismus aus feministischer und rassismuskritischer Perspektive. Eine Einordnung in den Kampf der Lebensstile

 
       
     
       
   
     
 

Der Mann in der Krise

"Im gegenwärtigen Krisendiskurs (...) werden Männlichkeit ebenso wie verfehlte Männlichkeit (...) beim Namen genannt und so unmissverständlich wie offensichtlich ins Bild gesetzt. Gleichzeitig wird mithilfe der Figur des in die Krise geratenen Mannes ex negativo funktionierende Männlichkeit als Herzstück einer gesunden, zukunftsfähigen Gesellschaft deklariert (...)."
(2008, S.27)

Einführung

Spätestens seit Ende der 1990er Jahre sieht Ines KAPPERT den Topos vom "Mann in der Krise" als festen Bestandteil des journalistischen Infotainments etabliert. Die Redakteurin der Berliner Tageszeitung taz belegt dies anhand von Schlagzeilen der Printmedien. Dabei klammert sie auch die linke taz nicht aus, während Schlagzeilen der Süddeutschen Zeitung und der Wochenzeitung Die ZEIT fehlen. Diese mediale Frontlinie deckt sich, nebenbei bemerkt, auffällig mit einer familienpolitischen Frontstellung . Dem Journalismus wirft die Autorin vor, eine Biologisierung des Politischen zu betreiben. Dagegen herrsche auf dem Sachbuchsektor eine Kulturalisierung des Politischen vor. Im Zentrum der feministischen und rassismuskritischen Analyse von Ines KAPPERTs Buch Der Mann in der Krise stehen jedoch die Literatur und der Film als Orte der "Verhandlung von symbolischen Ordnungen", hier speziell der Geschlechterordnung. Ihre Hauptthese formuliert sie folgendermaßen:

Der Mann in der Krise

"Durch die offensive Thematisierung, so meine These, vermag die Figur des >Mannes in der Krise< eine spezifische Gesellschaftskritik zu artikulieren: nämlich dass eine Gesellschaft, die selbst ihre normalsten Vertreter nicht glücklich zu machen im Stande ist, sich selbst ihre Legitimation entzieht. Entsprechend müsse umgedacht werden. Gleichzeitig wird die Sehnsucht nach einer weitaus glücklicher erscheinenden Vergangenheit artikuliert. Der Krisendiskurs trägt nostalgische Züge. Der Umstand, dass im Zuge der zu Recht festgestellten weiter fortschreitenden Ökonomisierung der sozialen Beziehungen und einer Verschärfung des Konkurrenzkampfes um existentielle Ressourcen andere Bevölkerungsgruppen ungleich mehr in Mitleidenschaft gezogen werden, findet dagegen keine Berücksichtigung. Themen wie soziale Gerechtigkeit und Umverteilung, eine Auseinandersetzung mit Armut und Deklassierten, Kranken und Marginalisierten interessieren nicht. Alles dreht sich stattdessen um die konstatierte Erkrankung des normativen Zentrums: den männlichen Angestellten"
(2008, S.28)

In diesem Rezensionsessay soll nun gezeigt werden, dass Ines KAPPERT mit ihrem Buch einen wichtigen Aspekt der Krisendebatte überzeugend beleuchtet. Die Einbettung der Geschlechterfrage in den  familien- und bevölkerungspolitischen Zusammenhang bleibt jedoch unterbelichtet.

Literatur und Film als Orte der Verhandlung der Geschlechterordnung

In fünf Kapiteln analysiert KAPPERT paradigmatische Werke aus Literatur und Film, an denen sie jeweils spezielle Aspekte des Themas verfehlter bzw. prekärer Männlichkeit herausarbeitet. Den Anfang macht die Erzählung Die Heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. Eine Legende von Heinrich von Kleist. KAPPERT zeigt anhand der 1811 publizierten Fassung der Erzählung wie sich die bürgerliche Geschlechterordnung im Kontext konkurrierender Machtordnungen herausbildet. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass sich die "Erfindung" der Geschlechterdifferenz historisch im 19. Jahrhundert vollzogen hat. Geschlecht wird in dieser Sicht als Kategorie begriffen, "die es immer erst mit Inhalten zu füllen gilt", also  nicht überhistorisch biologisch als sex, sondern politisch als gender definiert. Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift L'Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft wirft in diesem Sinne die Frage nach spezifischen historischen "Krisen der Männlichkeit" auf, wobei exemplarisch Männlichkeitskonzepte aus fünf historischen Umbruchsphasen vorgestellt werden.

Krise(n) der Männlichkeit?

"Die Männerforschung ist mittlerweile ein wichtiger Teilbereich der Geschlechtergeschichte. Dabei stehen epochen-, zeit- und raumübergreifende historische Narrative, wie jenes des »Patriarchats«, offeneren Deutungen gegenüber, die von dem Grundsatz ausgehen, dass Männlichkeit, männliche Identitäten und männliche Rollen keine überhistorischen Größen sind, sondern vielfältig und wandelbar. Nicht zuletzt deshalb fand in den letzten Jahren die Frage nach spezifischen historischen »Krisen der Männlichkeit« größeres Interesse in der Forschung. Dieses Konzept zielt nicht nur darauf ab zu klären, auf welche Weise Männlichkeitsnormen und -bilder durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Umbrüche erschüttert wurden, sondern auch, wie solche Erschütterungen sich ihrerseits im historischen Prozess niederschlagen konnten. Nicht wenige Historikerinnen und Historiker begegnen dem Krisenkonzept indes skeptisch, weil es häufig wenig reflektiert und bisweilen geradezu inflationär gebraucht wird, aber auch - und das erscheint besonders bedenkenswert -, weil sich gerade mit der Rede von den »Männlichkeitskrisen« nicht selten Re-Souveränisierungen verbinden."
(Aus dem Editorial von Claudia Opitz-Belakhal & Christa Hämmerle in der Zeitschrift L'Homme, Heft 2, 2008, S.7)

Den Abschluss der Einzelanalysen bildet der Roman Schande (2000) des südafrikanischen Literaturnobelpreisträger John M. COETZEE, in dem es um den Aspekt der Hautfarbe geht, denn bei der Krise des Mannes steht der Niedergang des weißen Mittelschichtmannes im Zentrum. KAPPERT streicht zum einen die Parallelisierung von männlicher Midlife-Crisis mit dem Ende des südafrikanischen Apartheid-Regimes heraus und zum anderen den Gegensatz von Stadt und Land, sodass sich weiter konkretisieren lässt: es geht um den Niedergang des weißen, urbanen Mittelschichtmannes.

Schande

"Davie Lurie, Literaturprofessor in mittleren Jahren und zweimal geschieden, ist in Ungnade gefallen: eine Affäre mit einer seiner Studentinnen ist an die Öffentlichkeit gedrungen. Der peinlichen Befragung entzieht er sich durch ein Schuldbekenntnis. Er quittiert seinen Dienst und verläßt Kapstadt, um für eine Weile zu seiner Tochter aufs Land zu ziehen.

Lucy, die keinerlei Ambitionen in der Welt ihres Vaters hat, versucht auf einem entlegenen Stück Land eine kleine Farm aufzubauen. Zunächst scheint es, als könnten der Einfluss Lucys und der natürliche Rhythmus des Farmlebens Davids aus den Fugen geratenem Leben neuen Halt geben, doch dann werden Vater und Tochter Opfer eines brutalen Überfalls, in dessen Folge der grundlegende existentielle Konflikt zwischen beiden offen zutage tritt."
(Klappentext)

Es wäre sicherlich zu einfach, John M. COETZEE als Reaktionär entlarven zu wollen. Mit der Figur der Elizabeth Costello hat der südafrikanische Autor z.B. eine Frauenfigur geschaffen, die auch frauenbewegten Frauen als Identifikationsfigur dient. Ingke BRODERSEN & Renée ZUCKER schreiben dazu:

Werden Sie wesentlich!

"Nicht immer sind die beiden Autorinnen einer Meinung, nicht immer haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht, nicht immer sind wir auf vergleichbare Abenteuer aus - das muss kein Nachteil sein. Wohl aber teilen wir die Maxime von Elizabeth Costello, einer von J. M. Coetzee, dem südafrikanischen Nobelpreisträger für Literatur, erdachten Romanfigur über das richtige Leben auf den letzten Metern - über Möglichkeiten und Versäumnisse, über Verantwortlichkeiten und üner das bewusste Leben. Elizabeths Aufforderung möchten wir allen unseren Leserinnen zurufen: »wagen Sie etwas. Werden Sie wesentlich. Seien Sie eine Hauptfigur - wozu sonst leben?«."
(2007, S.21)

Der Topos von der Krise des Mannes speist sich eben auch aus einem diffusen linken Unbehagen an gegenwärtigen Entwicklungen. Der Untertitel des Buches von KAPPERT bezeichnet den gemeinsamen Nenner: Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur. Darauf verweisen die Analysen der Werke von Sam MENDES ("American Beauty"), David FINCHER ("Fight Club") und Michel Houellebecq ("Ausweitung der Kampfzone", "Elementarteilchen" und "Plattform"), die im Zentrum der Kritik von KAPPERT stehen.

Die Ökonomisierung der sozialen Beziehungen aus konservativer Sicht

KAPPERT charakterisiert die Figur des Mannes in der Krise folgendermaßen:

Der Mann in der Krise

"Gemeinhin ist der >Mann in der Krise< ein Stadtbewohner und zwischen dreißig und fünfzig Jahren alt. Er verfügt über einen Job, und Geldnot zählt nicht zu seinen Problemen. In seiner zurückgenommenen Körperlichkeit, tatsächlich erscheint er als eher blass und unsexy, ist er ein unauffälliger Vertreter der weißen Mittelschicht und zeichnet sich durch Teilnahmslosigkeit, Verunsicherung und eine eher zynische Haltung gegenüber seinen Mitmenschen aus. Von den Konventionen ist er so überfordert wie ihnen treu ergeben; nur widerwillig beginnt er sie in Frage zu stellen. Doch er muss sich eingestehen, dass er sich in dem gegenwärtigen Ordnungssystem immer weniger zurechtfindet. Es will ihm einfach nicht gelingen, seinem Leben und der Gesellschaft, in der es stattfindet, eine sicherheitsstiftende Sinnhaftigkeit abzutrotzen. Zu Frauen hat er in der Regel ein gestörtes Verhältnis und zu seinen Kindern, so vorhanden, wahrt er Distanz: sein Sexleben ist eine Katastrophe. Die Figur des >Mannes in der Krise< zeichnet sich durch eindeutig depressive Züge aus."
(2008, S.209f.)

Was nun ist das Konservative an der Kritik? Für KAPPERT hat der Krisendiskurs das Ziel das patriarchale System, d.h. die bürgerliche Familie mit ihrer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, zu restaurieren. Die Gesellschaftskritik entbehre emanzipativer Ansätze, wirft KAPPERT den Werken von MENDES, FINCHER und HOUELLEBECQ vor.

Die Autorin kritisiert insbesondere, dass sich der Mann als Opfer begreife, obwohl er doch Täter sei:

Der Mann in der Krise

"Der >Mann in der Krise< begreift sich als Opfer. Die Ignoranz ihm gegenüber, mithin die Unterbewertung gegenwärtiger und spezifischer Probleme von Männern und Jungen, löst eine bittere Kritik an der aus seiner Sicht ewigen Sorge um benachteiligte Frauen aus. Die gleichfalls in der Normalität verankerte Gewalt gegen Frauen oder Mädchen, das Armutsrisiko von alleinerziehenden Müttern oder die systematisch geringere Entlohnung von weiblichen Erwerbstätigen, ihre weitgehende Absenz in Führungspositionen, um nur Augenfälliges zu streifen, finden in diesem Diskursregime keine Erwähnung."
(2008, S.11)

Hinter dieser Kritik könnte sich die Vorstellung verbergen, dass - solange Frauen als Geschlecht benachteiligt sind - Männer kein Recht haben, ihre eigenen Probleme zu thematisieren. KAPPERT kritisiert, dass "Der Mann an sich" mit der "Frau an sich" verglichen wird, mithin soziologische Kategorien, mit denen die Figuren differenziert dargestellt werden könnten, keine Rolle spielen. Frauen werden dadurch generell zu Systemgewinnerinnen und Männer zu Verlierern stilisiert. In der Tat wäre eine solche Vereinfachung problematisch. Nicht weniger problematisch wäre es aber auch, wenn dies - mit umgekehrten Vorzeichen behauptet würde, d.h. Frauen generell als Verliererinnen zu sehen und Männer zu Systemgewinnern erklären. Solche Tendenzen finden sich leider auch in dem Buch. Die Geschlechterfrage muss deshalb durch die Frage nach der Lebensform ergänzt werden, wie die nachfolgende Passage zeigt:

Der Mann in der Krise

"Nach wie vor genießen weiße Männer im westlichen Europa bei gleicher Qualifikation einen deutlichen Lohnvorteil, teilen Führungsposten fast ausschließlich mit ihren Geschlechtsgenossen und halten sich bei der Erledigung von Reproduktionsarbeiten, von Kindererziehung, Haushalt, Pflegetätigkeiten auffällig zurück. Das Armutsrisiko betrifft nicht den männlichen Single, sondern die alleinerziehende Mutter beziehungsweise Haushalte mit mehreren Kindern. In dieser Hinsicht stellt der in Lohn und Brot stehende vereinsamte, weiße, heterosexuelle Mann westlicher Industriegesellschaften kaum den Systemverlierer eins dar."
(2008, S.149f.)

Es ist unbestreitbar richtig, dass Frauen in den Industriegesellschaften immer noch benachteiligt sind, aber dies gilt eben nicht mehr generell. Das aktuelle Heft der österreichischen Zeitschrift für Soziologie, das sich mit dem Verhältnis von Soziologie und Geschlechterforschung auseinandersetzt, zeigt anschaulich wie kontrovers diese Frage gegenwärtig diskutiert wird. Handelt es sich beim Geschlecht um eine soziologische Grundkategorie oder nur um eine Variable unter anderem? Der Soziologe Thomas SCHWINN, der diese Frage in seinem Beitrag Ist "Geschlecht" ein soziologischer Grundbegriff? ausführlich behandelt, kommt zu folgendem Schluss:

Ist "Geschlecht ein soziologischer Grundbegriff?

"Die normative Gleichberechtigung der Geschlechter ist heute weitgehend akzeptiert und rechtlich verankert. Die Karriere der Anerkennung der Gleichberechtigungsnorm ist eine Voraussetzung, damit geschlechtsspezifische Ungleichheit überhaupt wahrgenommen und als illegitim erklärt wird. Dafür sind die Bedingungen besser geworden.
(...).
Bereiche, in denen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern praktisch verschwunden sind (z.B. Recht und Bildung), stehen solchen gegenüber, in denen die Geschlechterungleichheit fortbesteht (Verteilung der Hausarbeit, Besetzung von privilegierten Positionen, sexuelle Gewalt).
(Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Heft 4, 2008, S.31)

Wenn KAPPERT den männlichen Single mit der alleinerziehenden Mutter vergleicht, dann handelt es sich um einen unzulässigen Vergleich, weil es sich um zwei verschiedene Lebensformen handelt. Warum vergleicht also KAPPERT nicht die kinderlose Singlefrau mit dem kinderlosen Singlemann im mittleren Lebensalter? Und warum nicht die partnerlose Alleinerziehende mit dem alleinerziehenden, partnerlosen Vater? Die aktuelle Studie Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalter von BAAS/SCHMITT/WAHL zeigt, dass die Situation von Singles differenziert betrachtet werden muss. Und auch in der neueren Sozialstrukturforschung geraten alleinstehende Männer neuerdings in den Blickpunkt.

Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalter

"Weibliche Singles (hier definiert als alleinwohnende Personen) verdienen wesentlich mehr als Frauen, die mit anderen Personen zusammenwohnen (Hradil, 1998). In einer Replikationsstudie konnte Hradil diese vorteilhafte materielle Lage der Singles bestätigen (Hradil, 2003), weist allerdings auf eine hohe Einkommensstreuung bei männlichen Singles hin, die bei jüngeren männlichen Singles zu einer höheren Armutsquote führe. Bachmann (1992) stellt die besondere Situation geschiedener männlicher Singles dar, die zum Teil nach Abzug der Unterhaltszahlungen nur sehr wenig Geld zur Verfügung haben."
(2008, S.46)

Sozialstruktur Deutschlands

"Familien mit vielen Kindern und Alleinerziehende erfahren in Deutschland ein vergleichsweise hohes materielles Armutsrisiko. Aber auch Single-Haushalte liegen über dem Durchschnitt bei den Armutsrisikoquoten. Hier sind vor allem alleinstehende Männer hervorzuheben. Dass sie höhere Armutsquoten aufweisen, ist allerdings eher nicht eine Folge ihres Single-Daseins, sondern dessen Ursache."
(2008, S.153)

Die Daten der Haushaltsstatistik, auf die sich KAPPERT beruft, sind zudem nicht in der Lage moderne Lebensformen adäquat zu erfassen. Nur Analysen, die haushaltsübergreifende Sozialbeziehungen berücksichtigen, werden ihnen gerecht. Die Defizite der traditionellen Sozialforschung wurden in anderen Rezensionen zu den Themen Kinderlosigkeit , Vaterschaft und Partnerlosigkeit  ausführlich dargestellt. Es ist also erforderlich bei der Analyse genauer hinzuschauen. Dazu sollen zwei Beispiele herausgegriffen werden: zum einen der Film American Beauty von Sam MENDES und zum anderen die beiden Bücher Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen von Michel HOUELLEBECQ.

Die Doppelkarrierefamilie in der Kritik - Das Beispiel "American Beauty" von Sam Mendes

Im Kapitel Der Mann in der Familie und der geplatzte Amerikanische Traum analysiert KAPPERT den Debütfilm American Beauty von Sam MENDES.

Ich Prada, Du Armani

Der "Film American Beauty enthält eine Abrechnung mit der abgehetzten, künstlich erregten Konkurrenzgesellschaft, die all ihre Passionen, all ihre Ideen vom guten Leben vergessen hat. Niemand in seiner Familie weiß, welche Bedeutung er seinem Leben noch geben könnte - jenseits der Achtlosigkeit, des muddling through, des Kampfes um Status und Güter. So bleibt auch hier die Fragilität der Welt unbemerkt; die Leidenschaft der Möglichkeit verstummt; das Bewusstsein ist unglücklich, die Liebe erschöpft und die Tochter ein Biest im Familienbesitz." [mehr]
(Thomas Assheuer in der ZEIT Nr.12 v. 16.03.2000)

Im Mittelpunkt des Films steht der Angestellte Lester Burnham, 42 Jahre alt und Sachbearbeiter bei einer Zeitung. Er lebt zusammen mit seiner Frau Carolyn, die als Immobilienmaklerin arbeitet, und seiner Tochter Jane in einem typischen weißen US-amerikanischen Vorort. Der Name Anytown verweist bereits darauf, dass die Geschichte überall spielen könnte. Die dreiminütige Eingangssequenz, die von KAPPERT ausführlich beschrieben wird, umreißt die Ausgangssituation eines Mannes in der Krise. Der amerikanische Traum ist nur noch eine Fassade.

Der Mann in der Krise

"Die Tristesse seiner Midlife-Crisis tränkt das gesamte Setting, und die Symptome seines Unglücklichseins und seiner Desorientierung zeigen sich im Schnelldurchlauf: Er ist ein ordnungsgemäßer Mann, sein Leben ist aufgeräumt. Er lebt den amerikanischen Traum von der Familie im Eigenheim in gepflegter Nachbarschaft. Offenbar geht er nicht fremd und befriedigt sich trotz frostiger Ehe stattdessen allmorgendlich selbst. Die bürgerlichen Normen bezüglich Erwerbstätigkeit, Monogamie und des Lebens in der sauberen Vorstadt achtet er, auch wenn er unglücklich ist."
(2008, S. 70)

Dass Sam MENDES nicht etwa die bürgerliche Familie in den Mittelpunkt rückt, sondern die moderne Doppelkarrierefamilie ist für KAPPERT nicht erwähnenswert. Dies mag daran liegen, dass sowohl Ines KAPPERT als auch Sam MENDES jener postfeministischen Generation angehören, in der der Kampf der Lebensstile scheinbar entschieden ist und sich eine F-Klasse selbstbewusst artikuliert . Tatsächlich ist aber die amerikanische Familie ein umkämpftes Paradies (so der Titel eines populären amerikanischen Soziologiebuches ). Genauso wie in Deutschland stehen sich in den USA die Verteidiger der traditionellen Hausfrauenfamilie, die auf dieser Website auch als Managerehe bezeichnet wird , und die Befürworter einer Doppelkarrierefamilie gegenüber. Der Kampf zwischen der alten Managerelite, die der Industriegesellschaft zugeordnet werden kann, und der neuen Wissenselite der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft (zu denen Symbolanalytiker im Sinne von Robert REICH bzw. die kreative Klasse im Sinne von Richard FLORIDA gehören) wird auf dieser Website als Kampf der Lebensstile bezeichnet . Modernisierungstheoretisch stellen Doppelkarrierepaare und -familien Lebensstilpioniere dar.

Cornelia BEHNKE & Michael MEUSER haben in ihrem Beitrag Karriere zu zweit - Projekt oder Problem? das Verhältnis von beruflichem Erfolg und Lebensform untersucht. Sie heben hervor, dass die Alternative zur traditionellen männlichen Karrierestrategie (Managerehe) nicht der Single - wie Ulrich BECK und die populistische Individualisierungsthese behauptet - sondern die Doppelkarriere ist. Deren Grundlage ist die Homogamieneigung der AkademikerInnen, d.h. Frau und Mann besitzen das gleiche Bildungsniveau.

Karriere zu zweit - Projekt oder Problem?

"Im Zuge und als Folge der Transformation der Geschlechterordnung, wie sie seit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts vonstatten geht, ist die traditionelle männliche Karrierestrategie (...) zunehmend schwieriger zu verfolgen. (...).
Die Alternative ist freilich nicht die Single-Existenz, die gerade nicht, wie die Daten des Familiensurveys zeigen, karrierefördernd ist (Tölke 1998) - aus welchen Gründen auch immer. Eine Alternative, die zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Konstellation des sogenannten »Doppelkarrierepaares«".
(2003, S, 190)

BEHNKE & MEUSER unterscheiden 3 Bereiche, denen sich  Karrierepaare zuordnen lassen: klassische Freiberuflichkeit, wissenschaftliche Tätigkeit und Manager in leitender Funktion. Die neuen Formen der Selbständigkeit, die von Holm FRIEBE & Sascha LOBO in ihrem Buch Wir nennen es Arbeit beschrieben werden, zeigen jedoch, dass in der jungen Generation nochmals mit geänderten Verhältnissen gerechnet werden muss. Die Ausgangsposition in American Beauty, die von KAPPERT geschildert wird, entspricht nicht einer Karriere als Projekt (Kooperation), sondern als Problem (Konkurrenz) im Sinne von BEHNKE & MEUSER. Karriere als Projekt ist in der Geschichte von MENDES keine Alternative, wie KAPPERT überzeugend zeigt, sondern die Geschichte steuert unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu. Zuvor wird jedoch die Ehefrau Carolyn als kaltblütige, systemkonforme Karrierefrau dargestellt, während der Mann in seinem neu erwachten Begehren zur Kindfrau Angela aus dem neoliberalen System ausbrechen kann und geschlechtsrollenadäquates Verhalten an den Tag legt. Damit kann er für KAPPERT die Sympathien des Publikums gewinnen. Denn eines wird ganz deutlich: die Ökonomisierung der sozialen Beziehungen wird nicht mehr durch Liebe reguliert. Zugleich wird die "Unersetzlichkeit des gesunden, glücklichen Mannes" als normatives Zentrum durch die Dramaturgie dieses Geschehens verdeutlicht. Wie dies durch filmische Mittel, Figurenzeichnungen und eine Stimme aus dem Off gelingt, das beschreibt KAPPERT mit viel Liebe zum Detail.

Der Singlemann als Opfer der Emanzipation - Das Beispiel "Ausweitung der Kampfzone" und "Elementarteilchen" von Michel Houellebecq

Wohl kaum ein zweiter Autor wurde in den letzten 10 Jahren so kontrovers diskutiert wie der französische Schriftsteller Michel HOUELLEBECQ. Mit seinen beiden Werken Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen, die in Deutschland beide im Jahr 1999 erschienen, löste er eine umfangreiche Feuilletondebatte um den Zustand von Ehe und Familie aus, die auf dieser Website ausführlich dokumentiert wurde. Das Buch Phänomen Houellebecq, herausgegeben von Thomas STEINFELD, einem Redakteur der Süddeutschen Zeitung, vermittelt einen Überblick über die Rezeption der beiden Werke.

Während die Werke auf dieser Website im engen Zusammenhang mit der Debatte um den demografischen Wandel gesehen wurden , bleibt dieser Zusammenhang bei KAPPERT unerwähnt bzw. erschöpft sich im Konservatismusvorwurf, weil HOUELLEBECQ die Hausfrauenehe verteidigt.

Die Romane werden unter dem Gesichtspunkt Ressentiment und Depression betrachtet, worauf bereits die Kapitelüberschrift hinweist. Ressentiments richten sich in erster Linie gegen Frauen, die nicht der patriarchalen Logik gehorchen, d.h. keine treu sorgenden Hausfrauen sind, die sich um ihre Kinder und Partner kümmern, sondern beruflichen  Erfolg anstreben. KAPPERT beschreibt ausführlich die literarischen Methoden, den Aufbau der Erzählungen, aber auch die öffentliche Inszenierung des Autors im Stile eines Popliteraten . Ressentiments gegen Karrierefrauen zeigen sich in Passagen wie jener über Cathrerine Lechardoy, die als agressive Streberin charakterisiert wird, die an Männern nicht interessiert ist. 

Ausweitung der Kampfzone

"Catherine Lechardoy bestätigt von Anfang an alle meine Befürchtungen. Sie ist fünfundzwanzig, hat ein Technikerdiplom in Informatik und schlechte Zähne. Ihre Aggressivität ist erstaunlich".
(1999, S.27).

"Jedes Wochenende fährt sie nach Hause, ins Béarn. Und abends besucht sie Kurse am CNAM, um beruflich voranzukommen. Noch drei Jahre, und sie hat vielleicht ihr Ingenieurdiplom in der Tasche. (...). Abends arbeitet sie oft bis Mitternacht in ihrer kleinen Einzimmerwohnung, um ihre Aufgaben zu machen. Auf alle Fälle muß man kämpfen, um im Leben etwas zu bekommen: Das war immer schon ihre Meinung. (...). Sie ist wirklich nicht sonderlich hübsch. Abgesehen von den schlechten Zähnen hat sie glanzloses Haar und kleine, vor Zorn funkelnde Augen. Kaum Brüste, keinen Hintern. Gott hat es wirklich nicht gut mit ihr gemeint. (...) Ich bin sicher, daß sie nicht im Traum daran denkt, mit irgendeinem Typ etwas anzufangen."
(1999, S.28f.)

Die Männer sind frauenfixiert, fühlen sich aber gleichzeitig von starken Frauen bedroht. Die Argumentation von KAPPERT ist überzeugend, wenn sie das Frauen- Mütter und Männerbild der Protagonisten herausarbeitet und die Mittel beschreibt, mit denen die diversen Autoren ihre Geschichten vom Niedergang des weißen Mittelschichtmannes als Skandal inszenieren, während andere Sichtweisen entweder gar nicht in den Blick kommen oder als unakzeptabel erscheinen.

Über das Ziel hinaus schießt KAPPERT jedoch dann, wenn sie versucht die Probleme von Männern in dieser Gesellschaft als unwichtig erscheinen zu lassen. Z.B. wenn sie mit Hinweis auf das Armutsrisiko von alleinerziehenden Frauen den Singlemännern die Thematisierung ihrer Probleme verbieten möchte, wie weiter oben bereits angesprochen. Der Erfolg von HOUELLEBECQ wäre nicht so groß, wenn er nicht auch ein weit verbreitetes Lebensgefühl ansprechen und Männern Identifikationsangebote machen würde. KAPPERT betrachtet das Identifikationsangebot jedoch nur unter dem Aspekt des neoliberalen Leistungsdrucks:

Der Mann in der Krise

"Worin besteht jenseits des vermeintlich dokumentarischen Charakters dieser Prosa das spezielle Identifikationsangebot dieser Literatur? (...).
Eine mögliche Antwort wäre (...). Der sich beschädigt fühlende und in seiner Männlichkeit verunsicherte männliche Leser findet in den Romanen einen Verwandten und Vertrauten und muss sich nicht mehr als alleinstehend ansehen. Dies wäre eine diskrete Möglichkeit, sich temporär vom ubiquitären Leistungsanspruch in einer neoliberalistisch organisierten Gesellschaft zu erholen. Zusätzlich liefern die Romane eine greifbare Begründungskette für das Gefühl, die eigene Gesellschaft befände sich in einer fundamentalen Krise."
(2008, S. 157)

Man muss jedoch nicht unbedingt so weit ausholen, denn bereits die reißerische und überzeichnete Darstellung des Single-Daseins und des Sexuallebens in den Medien löst z. B. bei Menschen ohne Beziehungserfahrung Ängste aus, die viel mit dem zu tun haben, was in dieser Gesellschaft als normal gilt. Diese Menschen gehören zu den treuesten Fans von HOUELLEBECQ. In einem solchen Umfeld greifen auch am ehesten antifeministische Ressentiments . Generell ist das Thema Partnerlosigkeit und Alleinleben von Männern unterbelichtet. Erst in den letzten Jahren wird dieses Phänomen publik gemacht. Höhergebildete heiraten nicht nur später, sondern ein größerer Teil macht auch später erste sexuelle Erfahrungen, wie man in der aktuellen Ausgabe von Unicum nachlesen kann.

Höhere Bildung bedeutet spätere sexuelle Erfahrung

"Eine Studie der Sexualforscher Gunter Schmidt und Konrad Weller ergab, dass 13 Prozent der Studenten noch keine partnerschaftlichen sexuellen Erfahrungen gesammelt haben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung meldet, dass ein Drittel aller 18-Jährigen Jungfrau ist. Laut Forschungsinstitut Infratest Dimap hatten zehn Prozent aller 30-jährigen Männern noch nie Sex. »Es sind mehr als man denkt«, bestätigt Sexualforscher Weller von der Hochschule Merseburg. Es betreffe vor allem männliche Akademiker."
(Nathalie Klüber in Unicum 2/2009)

Solche Aspekte sollten ernst genommen werden, statt sie zu ignorieren .

HOUELLEBECQs Romane gelten Kritikern als realistisch, was KAPPERT dahingehend auslegt, dies wäre gleichbedeutend mit einer  "soziologisch überprüfbaren Faktenlage". Die Methode Houellebecq orientiert sich jedoch nicht an einer solchen Vorstellung von quantitativer Sozialforschung, sondern begibt sich in die Nähe zur  qualitativen Sozialforschung. HOUELLEBECQ zu widerlegen ist ungefähr genauso schwierig wie Ulrich BECKs Individualisierungsthese empirisch widerlegen zu wollen. Beide betreiben eine Popsoziologie, die ihre Plausibilität der manigfachen Anschlussfähigkeit an die öffentlichen Debatten verdanken . Wenn KAPPERT den Romanen von HOULLEBECQ vorwirft eine Verdichtung zu Stereotypen zu betreiben, dann sind dies Vorwürfe, die in ähnlicher Weise immer wieder auch an die Adresse der qualitativen Sozialforschung gerichtet worden sind. Gerade die Methode Houellebecq macht die Romane auch für die Literatursoziologie attraktiv . So sehen die Soziologen Thomas KRON & Uwe SCHIMANK in Romanen einen Konkurrenten für die Soziologie in der Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst.

Die Gesellschaft der Literatur

"Ein (...) Konkurrent für die Soziologie in der Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst ist (...) die Literatur. Literarische Interpretationen der Gesellschaft sind weder - wie die Massenmedien - an Aktualität, noch an  wissenschaftliche Wahrheit gebunden. Und doch schaffen es literarische Texte immer wieder, Aktualität und Wahrheit nicht nur zusammenzuführen, sondern sogar präziser auf den Punkt zu bringen, als dies Soziologen oder Journalisten gelingt. Nicht nur die Interpreten, auch die Leser der Romane Franz Kafkas oder Michel Houellebecqs sind ohne Zweifel zahlreicher, als man dies für Max Weber oder Michel Foucault sagen kann.
Angesichts dessen lässt sich die Idee, die zu dem vorliegenden Sammelband führte, auf die Frage bringen: Liefert Literatur vielleicht sogar bessere (genauere, tiefgreifendere, differenziertere...) Diagnosen der Gegenwartsgesellschaft als die Soziologie?"
(Thomas Kron & Uwe Schimank, 2004, S.11)

In dem Sammelband Die Gesellschaft der Literatur befassen sich gleich zwei Beiträge mit den Romanen von Michel HOUELLEBECQ. Je nach Methode - ob Diskursanalyse oder objektive Hermeneutik - kommen dabei andere Aspekte in den Blick. Die Romane von Michel HOUELLEBECQ lassen vielfältige Lesarten zu. Jene von Ines KAPPERT ist eine davon und sicher nicht die Uninteressanteste.   

Fazit: Das Buch von Ines Kappert leistet einen wichtigen Beitrag zur Erhellung der Debatte um die Krise des Mannes

Das Buch Die Krise des Mannes arbeitet anhand paradigmatischer Werke von Heinrich von KLEIST, Sam MENDES, David FINCHER,  Michel HOUELLEBECQ und J. M. COETZEE überzeugend heraus, dass im Mittelpunkt der Männlichkeitskrise in Medien, Literatur und Film der Niedergang des weißen, urbanen Mittelschichtmannes als Skandal steht.

Die diversen Protagonisten eignen sich ideal als Identifikationsfiguren für Männer, die sich als Opfer der Frauenemanzipation betrachten. Aber auch postfeministische Frauen fühlen sich angesprochen. KAPPERT zeigt en detail, dass Strategien der Tabuisierung und Verschleierung als Absicherung des männlichen Dominanzanspruches ausgedient haben und stattdessen andere Strategien wie die Exponierung der Karrierefrau als entseelte Systemkonformistin und die offensive Thematisierung des Unglücks des normalen Mannes als Ausweis einer unmenschlichen Gesellschaft an Bedeutung gewonnen haben.

Das Buch ist allen zu empfehlen, die sich für die Frage interessieren, wie heutzutage in Film und Literatur eine Geschlechterordnung abgesichert wird, in der nicht mehr die Benachteiligung der Frau, sondern die des Mannes im Mittelpunkt steht. Das Buch bietet eine anregende Lektüre und die vielfältigen Querverweise ermöglichen es dem Leser, einzelne Aspekte der Thematik eigenständig weiterzuverfolgen.

 
     
 
       
   

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Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 09. Februar 2009
Update: 20. November 2018