|
|
|
|
|
|
Kommentierte Bibliografie (2016 - 2019)
2016
STEINLEIN, Eva D.
(2016): Eine, die sich gewaschen hat.
ZEIT-Serie Unterschätzte Stadt:
Bitterfeld ist eher als Umweltkatastrophe bekannt denn als Ort.
Dabei ist die giftige Vergangenheit lange her, die Stadt hat
sich gewandelt,
in:
ZEIT Online v. 18.01.
KÄMPER, Vera u.a.
(2016): Wo der Frust wohnt.
AfD-Wahlerfolg in Bitterfeld: Die
AfD hat in Sachsen-Anhalt die größten Erfolge eingefahren - am
deutlichsten in Bitterfeld. Hohe Arbeitslosigkeit, Sozialneid
und Angst vor Flüchtlingen bilden dort den Nährboden für
Rechtspopulismus. Ein Ortsbesuch,
in:
Spiegel Online v. 15.03.
Der Spiegel berichtet über
Bitterfeld (Wahlkreis 29), wo ein AfD-Direktkandidat mit 33,4 %
der Stimmen bei der
Landtagswahl 2016 vorne lag. Aber auch im Wahlkreis 28
(Wolfen) gewann die AfD das Direktmandat mit 31,0 %. Die AfD
gewann insgesamt 15 der 43 Direktmandate in Sachsen-Anhalt.
SCHRÖTER, Stefan (2016): Rückbau in Wolfen-Nord.
Die nächste Abrissrunde kommt,
in: Mitteldeutsche Zeitung v. 01.07.
2017
BMI (2017): Umgang mit Leerstand. Lokale Experten berichten,
Januar
LOBENSTEIN, Caterina
(2017): Hier herrscht Klassenkampf.
Sachsen-Anhalt: In der Arbeiterstadt
Bitterfeld ist die AfD stärkste Partei. Ihre Wähler haben nicht nur
mit Flüchtlingen ein Problem, sondern auch mit dem Kapitalismus,
in:
Die ZEIT Nr.2 v. 05.01.
"Hier blühte bis vor wenigen
Jahren die Hoffnung Ostdeutschlands: ein Fabrikpark, in dem
Tausende Arbeiter Solarzellen bauten und in die ganze Welt
exportierten. »Solar Valley« nannten die Bitterfelder das Gelände,
und damals fühlte es sich an, als habe es die Region endlich
geschafft. Die Firmen, die hier produzierten, klangen nach
Zukunft, sie hießen Q-Cells und Sovello, Solibro und Calixo. Die
Stadt hatte heftig um sie geworben, mit niedrigen Steuerhebesätzen
und hochflexiblen Arbeitskräften, mit millionenschweren
Fördersummen und einer Autobahnzufahrt, die eigens für den
Solarpark gebaut wurde. Die Bundesregierung setzte noch einen
drauf: Mit Subventionen für Solarstrom sorgte sie dafür, dass die
Nachfrage nach Solarzellen stieg. Die Unternehmen kamen – und
brachten Tausende Jobs.
Es dauerte nicht lange, bis Konzerne aus China die gleichen
Solarzellen billiger produzierten, bis sie die Firmen aus
Bitterfeld schluckten und die Arbeitsplätze nach Asien verlegten.
Tausende Menschen aus der Region verloren ihren Job",
beschreibt Caterina LOBENSTEIN
den Aufstieg und Fall de Solarindustrie in Bitterfeld, der Monika
MARON im Jahr 2009 eine vielgepriesene Reportage setzte.
Aber dies ist nur ein Aspekt des
Aufstiegs der AfD in Bitterfeld, wo die Partei das beste Ergebnis in
Sachsen-Anhalt erzielte:
"AfD-Politiker Daniel Roi
(...). Bei den Landtagswahlen im März 2016 bekam er 31 Prozent der
Stimmen, so viele wie kein anderer Kandidat in seinem Wahlkreis.
(...). Die SPD kam hier bei der Landtagswahl auf acht Prozent der
Stimmen. Die Linkspartei sackte ab auf 13 Prozent, was für
ostdeutsche Verhältnisse ein desaströses Ergebnis ist. Und auch
wenn bei der jüngsten Bürgermeisterwahl nicht die AfD gewann,
sondern der von einem breiten Bündnis unterstützte Kandidat der
CDU: Die Alternative für Deutschland könnte in Bitterfeld bei der
Bundestagswahl im September die großen Parteien hinter sich
lassen."
LOBENSTEIN führt den Erfolg AfD
nicht auf Identitäts- sondern auf Verteilungspolitik zurück und
vergleicht ihre Erfolge mit anderen Gebieten, in denen
rechtspopulistische Parteien in Europa erfolgreich waren:
"Im deindustrialisierten Norden
Englands und im ländlichen Polen, im Osten Deutschlands und im
Süden Frankreichs. (...). Und die AfD baut im Ruhrgebiet eine
Arbeitnehmerorganisation auf, um SPD und Linken Wählerstimmen
abzujagen, im einst roten Pott, im Milieu der Kohlekumpel und
Stahlarbeiter."
Für LOBENSTEIN spiegeln die Daten
nicht die Lebenswirklichkeit der Abgehängten wieder:
"Wo einst marode Fabriken
standen, wird heute nach hohen Umweltstandards produziert. Wo nach
dem Zusammenbruch der DDR-Industrie Zehntausende Menschen ihren
Job verloren, ist die Arbeitslosenquote mittlerweile wieder
gesunken: vom mehr als 20 Prozent im Jahr 2003 auf weniger als
acht Prozent im Jahr 2016. Die Löhne in der Chemiebranche, dem
wichtigsten Wirtschaftszweig der Region steigen (...).
Viele gut bezahlte Fachkräfte aber, die bei Bayer oder Guardian
arbeiten, leben nicht in Bitterfeld, sie wohnen in Halle oder
Leipzig - und geben dort das Geld aus, das sie in Bitterfeld
verdienen. Auch die Arbeitslosenzahlen erscheinen bei näherem
Hinsehen nicht mehr ganz so rosig: Viele Menschen sind einfach in
Rente gegangen oder weggezogen."
LOBENSTEIN porträtiert eine
Arbeiterin des Niedriglohnsektors, die sich abgehängt fühlt, Angst
um ihren Arbeitsplatz und Vorbehalte gegen Migranten hat und mit der
AfD sympathisiert.
"In Bitterfeld werden die
Bedürfnisse der Bürger mit dem immergleichen Satz gestutzt: Es
gibt kein Geld (...).
Bitterfeld-Wolfen ist die am höchsten verschuldete Kommune in
Sachsen-Anhalt, ein extremes Beispiel für ein verbreitetes
Problem: Während die deutsche Volkswirtschaft insgesamt prächtig
gedeiht, geht es einzelnen Kommunen miserabel. Nicht nur in
Ostdeutschland, auch im Ruhrgebiet, in Rheinland-Pfalz, im
Saarland."
Kreisreformen sollen gemäß
LOBENSTEIN nur über die Probleme der Kommunen hinwegtäuschen:
"Im Jahr 2007 gab es eine
Kreisreform, Bitterfeld wurde mit der Nachbarstadt Wolfen
zusammengelegt, gegen den Willen der Bürger. So machen es viele
Kommunen hier: Sie verschmelzen, damit sie sich als Standort
besser vermarkten können. Sie rücken zusammen, damit man nicht
sieht, wie schnell sie schrumpfen und altern. (...).
Es gab in all den Jahren immer wieder Konzerne, die Jobs nach
Bitterfeld brachten, aber nie waren diese Jobs sicher. Es gab
Lokalpolitik, die Unternehmen bewusst anlockten. Aber dass sie
auch blieben, stand außerhalb ihrer Macht."
LOBENSTEIN beschreibt hier den
ruinösen Standortwettbewerb der Kommunen um die Gunst der Konzerne,
den Neoliberale mit dem Etikett "Fortschritt" glorifizieren.
STADT BITTERFELD-WOLFEN (2017): Statistische Kurzinformationen
der Stadt Bitterfeld-Wolfen (Stand 06.03.),
in:
bitterfeld-wolfen.de v. 17.04.
Die ehemalige Gemeinde
Bitterfeld ist seit Mitte 2007 ein Ortsteil der Stadt
Bitterfeld-Wolfen. Das Gebiet der Stadt Bitterfeld-Wolfen hat
zwischen den Jahren 2000 und 2016 rund 14.000 Einwohner
verloren. Der
Aufstieg zum "Solar-Valley" nach der Jahrtausendwende ist an
der Stadt als Wohnstandort also spurlos vorbeigegangen. Die
Erfolgsgeschichte endete mit der ersten Insolvenz eines
Solarmodulsherstellers Ende 2008. Zwischen den Jahren 2000 und
2008 verlor die Stadt Bitterfeld-Wolfen bereits rund 10.000
Einwohner.
RICHTER, Christoph D.
(2017): Frustriert und vergessen in Bitterfeld.
Sachsen-Anhalt: Diesig, neblig,
grau: Bitterfeld galt mal als die dreckigste Stadt Europas.
Davon ist längst nichts mehr zu sehen – doch die Stimmung ist
gedrückt. Eine ganze Generation entlassener Industriearbeiter
sieht sich bis heute um ihre persönliche Lebensleistung
gebracht,
in:
Deutschlandfunk v. 15.09.
"Bitterfeld wurde im aktuellen
Raumordnungsbericht des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung als strukturschwach eingeschätzt. Und das, obwohl die
Region in den vergangenen 27 Jahren auch einen Wirtschaftsaufschwung
erlebt hat. Im Chemiepark Bitterfeld beispielsweise sind seit 1998
knapp 11.000 neue Jobs entstanden. 360 Firmen haben sich
angesiedelt, 4,5 Milliarden Euro wurden investiert. Über allem
schwebt das Bayer-Kreuz, denn fast jede Aspirin-Tablette in Europa
kommt aus Bitterfeld. Die Arbeitslosigkeit liegt mit acht Prozent im
einstelligen Bereich. 1991 lag sie noch bei 20 Prozent.
Die Erfolge kommen bei den Menschen aber wenig an, stattdessen
herrscht noch immer das Bild, in Bitterfeld abgehängt und vergessen
zu sein",
berichtet Christoph D. RICHTER
aus Bitterfeld-Wolfen.
2018
BUNDESBAUMINISTERIUM (2018): Bundesprogramm Stadtumbau Ost 2018
Die folgende Tabelle zeigt die
Wohnungsdaten zu Wolfen-Nord aus den Programmjahren 2009 bis 2018:
Jahr |
Wohnungs-
bestand |
Leerstands-
quote |
Geförderter Wohnungsabriss
bis Programmjahr |
2009 |
9.155 WE |
16,4 % |
- |
2010 |
9.155 WE |
16,4 % |
5.185 WE |
2011 |
9.155 WE |
16,4 % |
5.227 WE |
2012 |
9.155 WE |
16,4 % |
5.435 WE |
2013 |
9.155 WE |
16,4 % |
5.580 WE |
2014 |
7.375 WE |
16,4 % |
5.733 WE |
2015 |
7.183 WE |
16,4 % |
6.147 WE |
2016 |
7.183 WE |
16,4 % |
6.190 WE |
2017 |
7.183 WE |
18
% |
6.793 WE |
2018 |
7.183 WE |
18
% |
- |
ROSTALSKY,
Ulf
(2018): Stadtentwicklung in Wolfen-Nord.
Das Sorgenkind braucht eine Zukunft,
in:
Focus Online v. 08.08.
2019
IfS (2019): Jahresbericht 2018 der Begleitforschung Stadtumbau Land
Sachsen-Anhalt (Datenstand: 31.12.2017) im Auftrag der Stadt Halle,
Juni
Vier der aktuelle 45 Stadtumbaustädte
liegen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld:
Kommunen |
Landkreis
(Anzahl Kommunen) |
Gemeindegröße
(2018) |
Typisierung
gemäß
dominierendem
Wohnungs-
bestand |
Rang gemäß
Bevölkerungs-
entwicklung
(2002-2017 |
Bevölkerungs-
entwicklung
(2002-2007 |
Aken |
Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Köthen) |
Kleinstadt |
k.A. |
31 |
- 15 -
20 % |
Bitterfeld-Wolfen |
Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Bitterfeld) |
Mittelstadt |
Plattenbaustadt |
45 |
- über
25 % |
Köthen (Anhalt) |
Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Köthen) |
Mittelstadt |
k.A. |
27 |
- 15 -
20 % |
Zerbst (Anhalt) |
Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Köthen) |
Mittelstadt |
Altbaustadt |
30 |
-15 - 20
% |
Bitterfeld-Wolfen gehört neben
Hohenmölsen, Sangerhausen und Stendal zur Minderheit der
"Plattenbaustädte" bei den näher betrachteten 25 Stadtumbaustädten (
vgl. S.74). Bitterfeld-Wolfen gehört gemäß den Stadtforschern zu den
zehn Städten mit dem höchsten Anteil an geförderten Abrissen:
"Relativ hohe absolute Fördersummen
von je mehr als 4 Mio. Euro entfallen im Zeitraum 2002 bis 2017 auf
die 15 Mittelstädte Aschersleben, Bernburg, Bitterfeld-Wolfen, Burg, Dessau-Roßlau,
Genthin, Halberstadt, Köthen, Merseburg, Sangerhausen, Schönebeck,
Staßfurt, Stendal, Wittenberg und Zeitz. (...).
Im Zeitraum 2002-2017 wurde nach Angaben des Ministeriums für
Landesentwicklung und Verkehr (MLV) in den 45 Stadtumbaustädten der
Rückbau von insgesamt 81.699 Wohnungen bewilligt und der Rückbau von
78.438 Wohnungen umgesetzt (96,0 Prozent). Drei Viertel aller
Rückbauten entfielen mit 58.647 der insgesamt 78.438 realisierten
Rückbauten auf die zehn rückbaustärksten Städte (Halle, Dessau-Roßlau,
Magdeburg, Bitterfeld-Wolfen, Stendal, Merseburg, Sangerhausen,
Halberstadt, Wittenberg, Zeitz). Die Rückbautätigkeit ist allerdings
auch in diesen zehn Städten stark rückläufig". (S.88)
BRANDT, Martina/DAHLBECK,
Elke/FLÖGEL, Franz/GÄRTNER, Stefan/SCHLIETER, Dajana/SCHILCHER,
Christian (2019) Raum und Unternehmen. Zur Funktionsweise von
Unternehmensengagement in Regionen mit Entwicklungsbedarf, Nomos
Verlag
Das Autorenteam legt u.a.
Ergebnisse zu einer Fallstudie über Bitterfeld-Wolfen in
Sachsen-Anhalt dar. Die Stadt wird mit Daten von Ende 2016
folgendermaßen charakterisiert:
"Wolfen bildet mit rund 16.641
(40,6 Prozent) Einwohnerinnen und Einwohnern den größten Ortsteil,
dich gefolgt von Bitterfeld mit 15.250 (37,2 Prozent) Einwohnerinnen
und Einwohnern. Die 45- bis 64-Jährigen bilden mit einem Anteil von
32,4 Prozent die am stärksten vertretene Altersgruppe, gefolgt von den
65-Jährigen und älter mit 28,9 Prozent. Hinsichtlich der
Altersverteilung bestehen in den Ortsteilen der Stadt
Bitterfeld-Wolfen große Unterschiede, so liegt der Anteil der
65-Jährigen und älter in der Stadt Wolfen bei 35,5 Prozent, in Reuden
hingegen bei knapp 19,0 Prozent. Das Durchschnittsalter lag am
31.12.2016 bei 49 Jahren und stieg seit 2007 um zwei Jahre.
Bitterfeld-Wolfen verzeichnet seit der Zusammenlegung im Jahr 2007
einen Bevölkerungsrückgang um 10,6 Prozent zwischen den Jahren 2007
(45.830 Einwohnerinnen und Einwohner) und 2016 (40.964 Einwohnerinnen
und Einwohner)." (S.81f.)
Für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld
wird die 6. regionalisierte Bevölkerungsprognose 2014 bis 2030
herangezogen:
"Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld
wird einer Prognose zufolge bis zum Jahr 2030 einen
Bevölkerungsrückgang von 14,7 Prozent verzeichnen, wobei insbesondere
die Altersgruppe 67 Jahre und älter zunehmen wird (+ 17,1 Prozent).
Diese demographische Veränderung stellt eine der zentralen
Herausforderungen Bitterfeld-Wolfens dar. Neben dem Rückgang der
Bevölkerung insgesamt, wird dem Raum Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg vom
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung bis zum Jahr 2035
ein Rückgang der Erwerbspersonen um bis zu 40 Prozent prognostiziert (BBSR
Raumordnungsprognose 2035). (...).
Der Zahl der Arbeitslosen ist im Landkreis Anhalt Bitterfeld seit dem
Jahr 2014 (8.788 Arbeitslose) um über 30 Prozent zum Jahr 2017 (6.119
Arbeitslose) gesunken." (S.82f.)
Die gute Verkehrsanbindung soll
dazu führen, dass viele Pendler in Bitterfeld-Wolfen arbeiten,
entscheidender dürfte jedoch das schlechte Image der Stadt sein:
"Bitterfeld-Wolfen ist
verkehrstechnisch gut erschlossen: Die Städte Halle (Saale), Leipzig
und Dessau-Roßlau sind in kurzer Zeit erreichbar, wobei insbesondere
die gute Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln hervorzuheben ist.
Die Autobahn A 9 sowie die Bundesstraßen 183 und 184 verbinden
Bitterfeld-Wolfen mit größeren Städten wie Halle (Saale), Magdeburg,
Leipzig und Berlin. Die gute Anbindung an nahe liegende Großstädte,
der relativ hohe Besatz an industriellen Arbeitsplätzen und das
relativ schlechte Image der S6adt haben unter anderem zur Folge, dass
Bitterfeld-Wolfen einen Pendlerüberschuss von 5.191 (12.316
Einpendlerinnen und Einpendler bei 7.125 Auspendlerinnen und
Auspendlern; Stand 2015) aufweist." (S.84)
Das Autorenteam beschreibt die
Industriegeschichte des Landkreises, wobei der Braunkohleabbau, die
Chemie- und Filmindustrie sowie die Versuche eines "Solar Valleys"
hervorgehoben werden. Das Resümee:
"(D)er Raum Bitterfeld-Wolfen
(wurde) zu DDR-Zeiten zunächst mit hohem finanziellem Aufwand zu einem
zentralen Industriestandort ausgebaut (...). Diese industrielle Basis
brach mit der Wiedervereinigung zu großen Teilen weg, was hohe
Einwohnerverluste, Brachflächen und Wohnungsleerstand zur Folge hatte.
Der Versuch eines weiteren industriellen Standbeins - der Solarenergie
- konnte keinen anhaltenden Erfolg bieten. Am Standort durchgesetzt
hat sich ein Branchenmix mit Fokus auf der Chemieindustrie. Hinzu kam
eine »massenmediale Stigmatisierung als ökologische
Katastrophenregion« (...) - ein Image, das sich in Teilen bis heute
trotz aller positiven Entwicklungen hält. Hinsichtlich dieser
anhaltenden Herausforderungen zeigt sich ein Druck für Akteure auf
allen Ebenen, sich in der Region zu engagieren und strategische
Allianzen zu bilden." (S.88)
Als Strategie gegen die Probleme
wird uns der Stadtumbau Ost beschrieben:
"Im Jahr 2002 startete die erste
Förderperiode des Bund-Länder-Programms »Stadtumbau Ost - für
lebenswerte Städte und attraktives Wohnen«. In Bitterfeld-Wolfen
konzentriert sich das Programm »Stadtumbau Ost« auf verschiedene
Stadtteile (Anhaltsiedlung, Dichterviertel, Grppin-Gagfah, Innenstadt,
Kraftwerksiedlung, Länderviertel, Mittlere Vorstadt, Krondorf,
Musikerviertel und Wolfen-Nord) mit den Schwerpunkten Aufwertung und
Rückbau, wobei bisher nahezu 80 Prozent der Mittel auf Rückbau
verwandt wurden (STEG 2015).
Stadtentwicklung bedeutete zu DDR-Zeiten, insbesondere für den
Stadtteil Wolfen-Nord, Neubau von Wohnungen in der sogenannten
»Plattenbauweise«. Nach massiver Abwanderung wurden hier insbesondere
Rückbaumaßnahmen notwendig. Von 2002 bis 2015 wurden 6.090 Wohnungen
zurückgebaut (IfS 2017). Rückbaumaßnahmen bedeuten in diesem
Zusammenhang, die Entkernung der Wohnung, der Abriss und daran
anschließend die Gestaltung der entstehenden Freifläche (STEG 2015).
Seit 2016 wurden diese vor allem in Wolfen-Nord durchgeführt. Die
Begleitung und Organisation dieser Umbaumaßnahmen ist ein
Hauptaufgabenfeld der Standentwicklungsgesellschaft Bitterfeld-Wolfen
mbH (STEG)." (S.89)
Im Jahr 2002 wurde außerdem die IBA
Stadtumbau 2010 in die Wege geleitet. Während die Kommune in der
Plattenbausiedlung Wolfen-Nord nur Abrisspotential sah, haben sich
dort alternative Akteure engagiert. Das Autorenteam nennt hier den
Verein Freundeskreis Herzensgemeinschaft Wolfen e.V., der sich im
"Quartier 4.4" für ein ökologische Stadtteilprojekt engagiert.
Die Unternehmen in
Bitterfeld-Wolfen engagieren sich lediglich im Bereich
Fachkräftemangel. Das Autorenteam sieht ein unterdurchschnittliches
Engagement im Vereins- Kultur- und Gaststätten-Bereich.
Im Grunde ist nicht der
demografische Wandel das Hauptproblem, sondern das massive
Imageproblem der Stadt Bitterfeld-Wolfen. Dieses resultiert aus drei
Faktoren: Erstens in den ökologischen DDR-Altlasten, zweitens in der
Unattraktivität als Wohnstandort und nicht zuletzt darin, dass diese
ungelösten Probleme dazugeführt haben, dass die Stadt heutzutage eine
AfD-Hochburg ist. Das Fazit des Autorenteams ist dagegen eher milde:
"Die Übernahme von Verantwortung
für die Region kann dadurch erschwert werden, dass verhältnismäßig
viele Personen aufgrund der Nähe zu Großstädten (...) nach
Bitterfeld-Wolfen einpendeln. Somit bleibt nicht nur die in
Bitterfeld-Wolfen erwirtschaftete Kaufkraft fern, auch die
Identifikation der Personen mit der Region kann erschwert werden.
(...).
Der bis Anfang der 2000er Jahre geleistete Aufbau neuer Strukturen hat
durch das schnelle Ende der Solarindustrie und das damit verbundenen
Webbrechen zahlreicher Arbeitsplätze erneut einen Rückschlag erlitten.
(...). Deshalb ist es wichtig, (...) das Image sowohl nach außen als
auch nach innen zu ändern - weg von der einst stark umweltbelasteten
Region hin zu einer, die vielfältige Möglichkeiten, Sehenswürdigkeiten
und touristischen Attraktivitäten bietet. Erschwert wird dies noch
durch die erst im Jahr 2007 stattgefundene Zusammenlegung der sieben
Ortsteile. Weiterhin hat Anhalt- Bitterfeld durch die Medien das Image
einer »AfD-Hochburg« (...). Kooperatives und strategisch gegen rechtes
Gedankengut gebündeltes Unternehmensengagement kann ein wichtiger
Baustein oder sogar der Aufhänger für Imagekampagnen sein.
Für eine positive Regionalentwicklung, im Besonderen im Kontext von
Fachkräftegewinnung, erscheint es notwendig, das zuvor beschriebene,
teilsweise noch negativ konnotierte Bild zu verbessern und die
positiven Eigenschaften Bitterfeld-Wolfens hervorzuheben. Zu nennen
seien hier insbesondere die durch die Neuansiedlung und Festigung der
Unternehmen bestehenden Zukunftsaussichten junger Menschen. Eine
bedeutende Rolle in diesem Zusammenhang nehmen die Bau- und
Wohnungsgesellschaften in Bitterfeld-Wolfen ein. Mit der
Modernisierung und Sanierung sowie dem Rückbau maroder Wohngebäude
tragen sie zur Steigerung der Wohnqualität bei. (...).
Als zentrale Herausforderungen bleiben festzuhalten: der
demographischen Wandel, die Akquise von Fachkräften und die
Verbesserung des Images, insbesondere als attraktive touristische
Region."
Die Zukunft wird zeigen müssen, ob
diese Sicht der tatsächlichen Lage in der Stadt gerecht wird.
IZAH (2019): Das andere Bauhaus-Erbe: Leben in den
Plattenbausiedlungen Sachsen-Anhalts heute, Halle, 01.07.
In der folgenden Tabelle sind die
Plattenbausiedlungen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld aufgeführt (vgl.
S.6f.):
Kommunen |
Landkreis |
Gemeinde-
größe |
Name des Plattenbaugebiets |
Anzahl
Wohnungen
1991 |
Anzahl
Wohnungen
nach Rückbau
ab 2000
(Jahr) |
Aken |
Anhalt-Bitterfeld |
Kleinstadt |
Dessauer
Chaussee/Dessauer Landstraße |
k. A. |
k. A. |
Bitterfeld-Wolfen |
Anhalt-Bitterfeld |
Mittelstadt |
Krondorf
(Wolfen) |
k. A. |
k. A. |
Wolfen Nord |
11.100 |
8.282 (2008) |
Köthen (Anhalt) |
Anhalt-Bitterfeld |
Mittelstadt |
Rüsternbreite |
3.600 |
k. A. |
Zerbst (Anhalt) |
Anhalt-Bitterfeld |
Mittelstadt |
Zentrum-Nord |
1.200 |
k. A. |
Das
Stadtentwicklungskonzept der Stadt
Bitterfeld-Wolfen (Stand: August 2007) nennt mit 13.400
Wohneinheiten für Wolfen-Nord
höhere Zahlen, wobei dort nicht nur Plattenbauten betrachtet werden.
Bitterfeld-Wolfen (2019): Leitbild 2030 Wolfen-Nord und Krondorf,
Städtebauliches Leitbild 4. Fortschreibung (finaler Entwurf)
Das Wohngebiet Wolfen-Nord soll in
drei neue Stadtteilviertel umbenannt werden: Fuhnetalviertel,
Akademikerviertel und Autorenviertel (vgl. S.6) Der Wohnungsbestand
für 2017 wird mit 6.015 WE angegeben. Bis Mitte 2018 sollen weitere
640 WE abgerissen werden. Bis 2025 ist ein weiterer Abriss um 1.030
WE, auf dann nur noch 4.000 WE, geplant (vgl. S.16).
WINTER, Steffen (2019): Der Ost-Komplex.
Landtagswahlen:
Nirgendwo sonst im Land ist die AfD so stark wie im Osten, nirgendwo
sonst fühlen sich die Menschen so benachteiligt und abgehängt - dabei
geht es den meisten besser denn je. Ein Blick in die ostdeutsche
Seele,
in: Spiegel
Nr.35 v. 24.08.
Am Ende des Artikels kommt
Steffen WINTER auf Bitterfeld-Wolfen im Landkreis
Anhalt-Bitterfeld zu sprechen:
"Wohnten in der
inzwischen fusionierten Kommune
Bitterfeld-Wolfen 1989 fast 80.000 Menschen, sind es
heute nur noch die Hälfte. Selbst der Kulturpalast soll
abgerissen werden. Im DDR-Vorzeigeplattenbau
Wolfen Nord
wohnten einst 35.000 Menschen. Zuletzt waren es weniger als
7.000. Ganze Straßenzüge werden dem Erdboden gleichgemacht.
Die Versorgung der verbliebenen Menschen bereitet Mühe.
Gerade beklagte die Kassenärztliche Vereinigung, dass elf
Hausarztstellen nicht besetzt werden könnten.
(...). Bei der Europawahl im Mai wählten im Landkreis
Anhalt-Bitterfeld 22,6 Prozent der Stimmberechtigten die AfD.
(...).
Nachdem Chemie und Kohle weitgehend aus Bitterfeld
verschwunden waren, versuchte die Stadt, neue Industrien
anzusiedeln. Mit 40 Millionen Euro Fördermitteln kam die
Solarfirma Q-Cells, doch wenige Jahre später war sie pleite
und waren die gut bezahlten Industriearbeitsplätze wieder
verschwunden. Im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen arbeiten heute
noch 11.000 Menschen, die Arbeitsquote liegt bei sieben
Prozent."
Das sollen die Ostdeutschen
bitte positiv sehen wie der zitierte westdeutsche Direktor des
Kreismuseums der Stadt, der z.B. die Marina für Segelboote
lobt. Aber welcher Normalo kann sich schon ein Segelboot in
einer Marina leisten?
|
|
|
|
|
|
|