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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Brandenburg im demografischen Wandel

 
       
   

Die Gleichwertigkeit der Regionen als politisches Ziel? (Teil 1)

 
       
     
   
     
 

Kommentierte Bibliografie (Teil 1: 2000 - 2010 )

Einführung

In Brandenburg stellte nach der Wende die SPD bislang immer den Ministerpräsidenten. Zuletzt gab es rot-rote Landesregierungen. Bei der Landtagswahl 2019 könnte die AfD in Brandenburg die erstmals stärkste Partei werden. Die geplante Kreisreform brachte die Landesregierung von SPD und Linkspartei in große Schwierigkeiten und wurde deshalb abgesagt. Diese Dokumentation soll Aufschluss geben über die sozioökonomischen und demografischen Entwicklungen im Land und der Frage nachgehen, inwiefern die Demografisierung der gesellschaftlichen Probleme der SPD und der Linkspartei geschadet haben und mit welchen Strategien der AfD entgegen getreten wird.

Tabelle: Liste der Rankings zur Zukunftsfähigkeit der Landkreise, kreisfreien Städte und Gemeinden in Sachsen
Organisation Publikation Jahr Anzahl
Untersuchungseinheiten
(Brandenburg)
Untersuchungsebene 
Berlin-Institut Deutschland 2020 - Die demografische Zukunft der Nation 2004 440 Landkreise und kreisfreie Städte
Die demografische Lage der Nation 2006 439 Landkreise und kreisfreie Städte
Bertelsmann-Stiftung Wegweiser Kommune
(Bevölkerungsprognose 2020)
2006 2.959 Gemeinden über 5.000 Einwohner
Wegweiser Kommune
(Bevölkerungsprognose 2006-2025)
2008 2.959
Wegweiser Kommune
(Bevölkerungsprognose 2012-2030)
2015 2.944
Prognos AG Zukunftsatlas 2004 439 Landkreise und kreisfreie Städte
2007 439
2010 412
2013 412
2016 402

 

Eine detaillierte Analyse der Aussagekraft der Rankings wird zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Dies ist in erster Linie eine Bestandsaufnahme.

Städterankings zur Zukunftsfähigkeit, zur Entwicklung des Immobilienmarkts und anderen Themen

Rankings sind Ausdruck der Demografisierung gesellschaftlicher Probleme im neoliberalen Standortwettbewerb. Durch die mediale Verbreitung entsteht eine Städtehierarchie, die sich im Bewusstsein festsetzt. Die Indikatorenbildung ist nicht wertfrei, sondern ist interessengeleitet. Dadurch, dass bestimmte Indikatoren immer wieder in unterschiedlichen Kontexten maßgeblich die Bewertungen von Städten bestimmen, erhalten sie im Laufe der Zeit den Rang einer unhinterfragbaren Selbstverständlichkeit.

Bewertungen von städtischen Immobilienmärkten führen nicht nur zu einer Hierarchie der Städte, sondern führen auch zu einer innerstädtischen Hierarchie, die zwischen sozialen Brennpunkten, Szenevierteln, Trendvierteln oder Toplagen unterscheiden. In der folgenden Liste sind einige der Städterankings aufgeführt, die in Zeitschriften in regelmäßigen Abständen wiederholt werden:

Tabelle: Liste diverser Städterankings bzw. Stadtviertelrankings in Zeitschriften
Zeitschrift Typus Erstes Ranking
(Jahr)
Weitere
Rankings
(Jahr)
Abstand zwischen
den Rankings
Rankingebene Zielgruppe
Capital Immobilien-Kompass     jährlich Stadtviertel in ausgewählten Großstädten Investoren
Euro Immobilienatlas     jährlich Stadtviertel in Großstädten und Städte ab 20.000 Einwohner Investoren
Focus Großstadtranking von HWWI / Berenberg Bank 2008   zwei- bis dreijährlich Zukunftsfähigkeit bzw. Wirtschaftsstärke der 30 einwohnerstärksten Großstädte  
Focus Regionenranking   2015
2016
2018
  Wirtschaftsstärke und Lebensqualität in den Kreisen und kreisfreien Städten  
Handelsblatt Trendviertel 2011   jährlich Stadtviertel, in denen die Preise im Dreijahreszeitraum überdurchschnittlich gestiegen sind Investoren
WirtschaftsWoche Großstadtranking 2004   jährlich Zukunftsfähigkeit bzw. Wirtschaftsstärke der 50 einwohnerstärksten Großstädte oder der kreisfreien Großstädte  
WirtschaftsWoche Immobilienatlas     jährlich 50 einwohnerstärkste Großstädte Investoren

Übersicht: Gliederung von Brandenburg in Landkreise und kreisfreie Städte

Tabelle: Die vierzehn Landkreise und vier kreisfreien Städte sowie 14 Kreisstädte im Brandenburg des Jahres 2018
Landkreise/
kreisfreie Städte
Kreisstadt Stadttyp
Barnim (Sektoralkreis) Eberswalde Mittelstadt
Brandenburg an der Havel (kreisfreie Stadt) - Mittelstadt
Cottbus (kreisfreie Stadt) - Großstadt
Dahme-Spreewald (Sektoralkreis) Lübben (Spreewald) Kleinstadt
Elbe-Elster Herzberg (Elster) Kleinstadt
Frankfurt (Oder); kreisfreie Stadt - Mittelstadt
Havelland (Sektoralkreis) Rathenow Mittelstadt
Märkisch-Oderland (Sektoralkreis) Seelow Kleinstadt
Oberhavel (Sektoralkreis) Oranienburg Mittelstadt
Oberspreewald-Lausitz Senftenberg Mittelstadt
Oder-Spree (Sektoralkreis) Beeskow Kleinstadt
Ostprignitz-Ruppin Neuruppin Mittelstadt
Potsdam (kreisfreie Stadt; Landeshauptstadt) - Großstadt
Potsdam-Mittelmark (Sektoralkreis) Bad Belzig Kleinstadt
Prignitz Perleberg Kleinstadt
Spree-Neiße Forst (Lausitz) Kleinstadt
Teltow-Fläming (Sektoralkreis) Luckenwalde Mittelstadt
Uckermark Prenzlau Kleinstadt
Quelle: Wikipedia

Übersicht: Die Sektoralkreise mit den Gemeinden im Berliner Umland

Tabelle: Gemeinden der acht Sektoralkreise im Berliner Umland in Brandenburg
Landkreis/
kreisfreie Stadt
Gemeinden Stadttyp
Potsdam Potsdam (Landeshauptstadt) Großstadt
Barnim Ahrensfelde  
Bernau bei Berlin Mittelstadt
Panketal  
Wandlitz  
Werneuchen Kleinstadt
Dahme-Spreewald Eichwalde  
Königs Wusterhausen Mittelstadt
Mittenwalde  
Schönefeld  
Schulzendorf  
Wildau  
Zeuthen  
Havelland Brieselang  
Dallgow-Döberitz  
Falkensee Mittelstadt
Schönwalde-Glien  
Wustermark  
Märkisch-Oderland Altlandsberg  
Fredersdorf-Vogelsdorf  
Hoppegarten  
Neuenhagen bei Berlin  
Petershagen/Eggersdorf  
Rüdersdorf bei Berlin  
Strausberg Mittelstadt
Oberhavel Birkenwerder  
Glienicke/Nordbahn  
Hennigsdorf Mittelstadt
Hohen Neuendorf Mittelstadt
Leegebruch  
Mühlenbecker Land  
Oberkrämer  
Oranienburg Mittelstadt
Velten Kleinstadt
Oder-Spree Erkner Kleinstadt
Gosen-Neu Zittau  
Grünheide (Mark)  
Schöneiche bei Berlin  
Woltersdorf  
Potsdam-Mittelmark Kleinmachnow  
Michendorf  
Nuthetal  
Schwielowsee  
Stahnsdorf  
Teltow Mittelstadt
Werder (Havel) Mittelstadt
Teltow-Fläming Blankenfelde-Mahlow  
Großbeeren  
Ludwigsfelde Mittelstadt
Rangsdorf  
Quelle: Grundstücksmarktbericht 2018, S.11

2001

WEFING, Heinrich (2001): Eine Million Wohnungen ohne Interessenten.
Schwedt: Stirb langsam: Unsere kleinere Stadt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.02.

"Spätestens am Dienstag ist dieser Traum von der »Herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse« (...) zerbrochen. Er zerbrach im zehnten Stockwerk eines Plattenbaublocks im brandenburgischen Schwedt, aus dem Gerhard Schröder in eine Großsiedlung schaute, deren Abriß schon begonnen hat. (...).
Nur wenige Jahre nach der Demontage der ostdeutschen Industrie fallen nun auch die seriell errichteten Wohnmaschinen, in denen die Arbeiter untergebracht wurden. Eine Million Wohnungen, so lauten die Schätzungen, stehen in den neuen Ländern leer, knapp die Hälfte davon in den Großtafelsiedlungen am Stadtrand, die übrigen in Gründerzeitbauten in Innenstadtlagen. (...). Eine Million Wohnungen oder dreizehn Prozent des Gesamtbestandes, für die sich (...) keine Interessenten mehr finden. (...). (D)ie Verödung ganzer Stadtteile in Ostdeutschland (...) ist (...) eine Spätfolge der massiven Deindustrialisierung der ehemaligen DDR - und das notwendige Resultat einer Pluralisierung der Lebensstile",

meint Heinrich WEFING in diesem theatralischen Artikel, der wie damals üblich eine drastisch schrumpfende Bevölkerung imaginierte:

"Entvölkerte Städte hat es in Deutschland zuletzt nach dem Dreißigjährigen Krieg gegeben, Zonen abgestorbener Zivilisationen kennen wir nur aus apokalyptischen Visionen (...). Daß Städte wieder zu Dörfern werden könnten, daß Dörfer mangels Menschen von der Landkarte verschwinden, ist in unserem Denken nicht vorgesehen. Wir alle aber werden es erleben."

Keine zwei Jahrzehnte später erleben wir etwas ganz anderes: Die Folgen dieser neoliberalen Politik per Abrissbirne! 

MOZ (2001): Schwedt.
Die Stadt junger Familien wurde zur Single-Stadt,
in: Märkische Oderzeitung v. 26.06.

Wer einen Einpersonenhaushalt führt, der ist so etwas wie ein Untermensch. Berichte über die Veränderung der Haushaltszahlen klingen deshalb so ähnlich wie Berichte von der Front, wenn klar ist, dass die Schlacht verloren ist. Welche Stadtteile sind schon in der Hand der Singles? Wann fällt der nächste Stadtteil? Bange Fragen. Familien sind schließlich eine aussterbende Gattung!

Solange Journalisten nur Haushalte zählen und nicht die Menschen, lässt sich dieses verzerrte Gesellschaftsbild aufrechterhalten. Aber da 85 % der Bevölkerung in Deutschland nicht im Einpersonenhaushalt lebt, wäre eine solch stumpfsinnige Auflistung ziemlich öde und langweilig. Kriegsberichtserstattung ist da eben spannender!

RICHTER, Peter (2001): Region erahnter Kindheitsmuster.
Schwermut Ost: Die schrumpfenden, abrißbedrohten - und die malerischen Städte,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.09.

RICHTER vergleicht in seinem Bericht über den geplanten Stadtumbau Ost brandenburgische Städte mit Geisterstädten, weil sich die in die EU-Ost-Erweiterung gesetzten Erwartungen nicht erfüllen werden:

"Die Sorben (...) sind vom wirtschaftlichen Niedergang der Braunkohlereviere (...) betroffen und verlieren ihren Nachwuchs an den Westen. (...) Nicht einmal mit der Aussicht auf Reslawisierung könnten sich diese entvölkerten Städte Mut machen. Das Wahrscheinlichste wäre, daß sie enden (...) wie Lüderitz in Namibia (...), wo durch die leeren Fenster der Standsturm pfeift.
Ähnlich wie da (...) sieht es im heutigen Deutsch-Nordost stellenweise schon aus. Das ganze gründerzeitliche Packhofviertel im brandenburgischen Wittenberge dient nur noch als Kulisse für Kriegsfilme."

2002

KRANICH, Michael (2002): Schönbohm hält Baby-Begrüßungsgeld für fragwürdig.
Kommunen mit üppig gefüllter Gemeindekasse können Bargeldzuwendungen an Neugeborene als "Patenschaftsgeld" deklarieren,
in: Märkische Allgemeine v. 09.01.

Bericht über den Streit um die Geburtenprämie, die von der Gemeinde Basdorf in Brandenburg eingeführt wurde:

"Um dem Kinderwunsch Nachdruck zu verleihen, hatte Basdorf auf eigene Faust beschlossen, neue Erdenbürger mit 1000 Mark Begrüßungsgeld zu empfangen. Das war Bestandteil eines ganzen Systems von kinder- und familienfreundlichen Maßnahmen und hat Familienminister Alwin Ziel (SPD) so gut gefallen, dass er Basdorf im Mai 2001 sogar zur familienfreundlichsten Gemeinde des Landes Brandenburg gekürt hat."

BISKY, Jens (2002): Angenehm leer.
In der demographischen Zeitenwende: Ziellos mobil,
in: Süddeutsche Zeitung v. 04.09.

"Etwas unaufgeregt Verlässliches zeichnet Brandenburg heute schon aus. (..). Zwei Drittel der 1.697 Gemeinden haben weniger als 500 Einwohner. Die meisten Städte der Region sind erfreulich überschaubar und aller Wachstumssorgen enthoben. Schwedt etwa, vor kurzem noch das Zentrum der sozialistischen Petrolchemie, das 1998 immerhin 44.500 Einwohner hatte, wird im Jahr 2015 von nur noch 30.000 bewohnt werden. 26,6 Prozent von ihnen werden älter als 65 Jahre sein. Schwedt zeigt besonders deutliche einen allgemeinen Trend. (...). Dass die gut Ausgebildeten und Ehrgeizigen in den Westen gehen und nur wenig Rückkehrwillen zeigen, dass vor allem junge Frauen aus Ostdeutschland samt ihrer geborenen und ungeborenen Kinder fortziehen, ist (...) vielfach beklagt worden",

erklärt uns Jens BISKY, für den Schwedt lediglich ein Pionier ist für das, was auch im Westen passieren wird: endloses Schrumpfen! Ende 2015 wird Schwedt tatsächlich nur noch 30.262 Einwohner haben. Doch die Bevölkerungsentwicklung in Schwedt ist nicht die Regel, sondern eine Ausnahme.

2004

LDS-BB (2004): Bevölkerungsprognose des Landes Brandenburg für den Zeitraum 2003 - 2020,
in: Landesumweltamt Brandenburg,
Februar

"In den 32 ausgewählten Städten lebten im Jahr 2002 insgesamt 1 161 000 Einwohner, das sind 45 Prozent der Brandenburger, darunter der größere Teil in den 18 Städten des äußeren Entwicklungsraumes. (...). Alle peripheren Städte müssen sich auch weiterhin auf Einwohnerverluste von mindestens neun Prozent einstellen. Besonders negative Entwicklungen sind für Schwedt/Oder, Lauchhammer, Wittenberge, Guben und Eisenhüttenstadt wahrscheinlich, die bis 2020 nochmals mehr als ein Fünftel ihrer derzeitigen Bevölkerungszahl verlieren werden" (S.22), heißt es in der Prognose.

Für Schwedt wird ein Bevölkerungsrückgang von 2002 bis 2020 um 22,1 % auf rund 30.670 Einwohner angenommen (vgl. S.165). 

GEO (2004): Der demographische Wandel: Daten, Trends und Analysen.
Kreise und Städte im Test,
in: GEO. Beilage zu den demographischen Perspektiven Deutschlands, Mai

PROGNOS (2004): Zukunftsatlas 2004.
Das Ranking zur Zukunftsfähigkeit der 439 Regionen in Deutschland,
in: Pressemitteilung der Prognos AG v. 21.07.

2005

PLATZECK, Matthias (2005): Hier Entvölkerung, dort Verdichtung.
Brandenburg erlebt beispielhaft für andere Bundesländer eine gegenläufige demografische Entwicklung. Der Osten hat die Chance, den Bevölkerungsrückgang selbst zu bewältigen. Der Aufbau Ost ist längst nicht am Ziel. Dabei macht die Abnahme der Bevölkerung schwierige Anpassungsprozesse nötig. Das Land Brandenburg will die Entwicklung aus eigener Kraft steuern,
in: Frankfurter Rundschau v. 16.04.

Warum ist jetzt plötzlich das Thema "Demografische Entwicklung" bei Politikern so überaus populär? Offenbar eignet es sich dazu, aktuelles Politikversagen zu verschleiern. Falsche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik kann elegant zum demografischen Problem umdefiniert werden. Tatsache aber ist: das so genannte demografische Problem ist weder für die Abwanderung aus den neuen Bundesländern verantwortlich noch ist der Geburtenrückgang Ursache für ökonomische Probleme schlechthin. Würde in den neuen Bundesländern die Wirtschaft florieren, dann gäbe es dort auch ausreichend Arbeitnehmer. Der Versuch, die Kausalitäten umzukehren mag populär sein, ist aber ein billiger Taschenspielertrick von Politikern, die ihre Verantwortung gerne anderen zuschieben...

2006

BÖLSCHE, Jochen (2006): Keine Zukunft für die Kuhzunft.
Sterbendes Land: Bauerndörfer ohne Bauern, Landgemeinden ohne Gemeinderat, ohne Kneipe, ohne Arzt - das Dorfsterben hat begonnen. Nicht einmal die Kirche ist heilig. Kritiker befürchten eine "soziale und politische Erosion größten Ausmaßes". Doch das Land ohne Volk hat keine Lobby in Berlin,
in: Spiegel online  v. 15.03.

Brandenburg, das bislang durchgängig von einem SPD-Ministerpräsidenten regiert wird, dient als Beispiel verfehlter Gemeindereformen:

"In dem Bundesland ist die Zahl der selbständigen Gemeinden seit der Wende von fast 2000 auf 727 zusammengeschnurrt. Wer nicht freiwillig mit dem Nachbardorf fusionieren wollte, wurde vom Land zwangsvereinigt. Ein Volksbegehren gegen den weiträumigen Demokratieabbau scheiterte, wie der Berliner »Tagesspiegel« kommentierte, an der »inzwischen großen Lethargie« in der entkräfteten, erschöpften Provinz. Wenn solche Sparmaßnahmen Schule machen, werden bundesweit Zigtausende von idealistischen Feierabendpolitikern überflüssig - was allerdings manch ein Parteifunktionär insgeheim mit Erleichterung quittieren würde. Denn in den ausgedünnten Regionen ist nicht nur die Bereitschaft gesunken, Posten in der Feuerwehr oder im Sportverein zu übernehmen, auch den Parteien fällt es immer schwerer, geeignete Bewerber für Ratsmandate zu finden."

BÖLSCHE, Jochen (2006): Polinnen als letzte Hoffnung.
Verlassenes Land, verlorenes Land: Auf der Suche nach einem guten Job oder einer guten Partie fliehen junge Frauen massenhaft vom Land in die Städte. Zurück bleiben Männer, die sich in Fernsehsucht, Suff und Fremdenhass flüchten. Politiker erwägen bereits, Ausländerinnen für die Frustrierten anzuwerben - ein fragwürdiges Konzept,
in: Spiegel online  v. 16.03.

Das brandenburgische Forst gilt BÖLSCHE als exemplarisch für die Abwanderung im Osten:

"Mittlerweile, beobachtet Markus Goldschmidt, Baudezernent der früheren Textilstadt Forst, »gehen sogar die Alten weg, sie ziehen ihren Kindern hinterher, in den Westen«. Seit der Wende hat der Ort in der Lausitz jeden fünften Einwohner verloren. Goldschmidt: »Wenn die Entwicklung so weitergeht wie jetzt, dann werden ganze Städte von den Landkarten verschwinden.« Mehr als alles andere aber schreckt die Fachleute ein Trend, der im Osten bereits spektakuläre Ausmaße angenommen hat und auch in den alten Ländern bereits wahrnehmbar ist: die Massenflucht junger Frauen aus dem ländlichen Raum in die prosperierenden Stadtregionen. Dieser Aderlass trifft die Abwanderungsregionen doppelt hart: Die Frauen sind zumeist besser gebildet als die Männer, zugleich verlieren die Regionen potenzielle Mütter - weiterer Schwund ist damit programmiert."

KRÖHNERT, Steffen/MEDICUS, Franziska/KLINGHOLZ, Reiner (2006): Die demographische Zukunft der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen? München: Dtv, April

METZNER, Thorsten (2006): In der Altmark.
Brandenburg organisiert den Generationenwandel,
in: Tagesspiegel v. 28.05.

TUTT, Cordula (2006): "Man wird Jeep und Handy brauchen".
FTD-Serie Deutschland schrumpft - Brandenburg (2): Bis auf den Speckgürtel rund um Berlin blutet Brandenburg immer weiter aus. Die Potsdamer Regierung hat sich immerhin entschlossen, den Menschen reinen Wein einzuschenken. Tenor: Die Forderung nach gleichwertigen Lebensverhältnissen im Land ist unerfüllbar,
in: Financial Times Deutschland v. 18.07.

"Lena fährt (...) in die Grundschule nach Flecken Zechlin, ihr 14-jähriger Bruder (...) zur Gesamtschule nach Rheinsberg. (...). Ab Sommer muss die Elfjährige nach Neuruppin pendeln (...) - in Rheinsberg gibt es keine gymnasiale Oberstufe. Alltag im schrumpfenden Norden Brandenburgs",

berichtet Cordula TUTT über den Landkreis Ostprignitz-Rupping. TUTT lobt den SPD-Ministerpräsidenten Matthias PLATZEK, weil der den ländlichen Raum aufgeben möchte:

"Seit kurzem gilt: Investitionen sollen nicht mehr mit hohem Aufwand in die Peripherie gelockt werden. Gefördert wird, im »Wachstumskern« um Berlin und was sich rechnet. Regionalplanung ist künftig eher Wirtschafts- denn Sozialpolitik."

Keine eineinhalb Jahrzehnte später wird sich diese kurzsichtige Sicht rächen. Da existiert die Zeitung, in der dies steht, schon längst nicht mehr!

KÜPPER, Moritz (2006): Eine Stadt schrumpft sich gesund.
Schwedt an der Oder: Mit dem Abbruch ganzer Plattenbau-Viertel will Schwedt an der Oder seine Zukunft sichern. Doch die Strategie des kontrollierten Schrumpfens, die als Vorbild für viele deutsche Städte gilt, kuriert nur Symptome. Die Probleme bleiben,
in: Spiegel Online v. 10.09.

"Seit 1997 wird die 36.000-Einwohner-Stadt Schwedt systematisch geschrumpft - ein bundesweit einmaliger Vorgang. Weil die Menschen die Industriestadt im äußersten Norden Brandenburgs verlassen und die Bevölkerungszahl seit der Wende um ein Drittel zurückgegangen ist, musste die Stadtführung reagieren. Sie beschloss, ganze Viertel einzustampfen, um die Stadt vor der Verwahrlosung zu bewahren. Jetzt schrumpft Schwedt von außen nach innen: Knapp 5000 Wohnungen sind bereits verschwunden, mehrere tausend Menschen wurden umgesiedelt. Auf der Straße trifft man fast nur Menschen, die in den letzten Jahren ihre Wohnung wechselten.
Wegen der kompromisslosen, mutigen Vorgehensweise ist Schwedt zum Vorbild geworden. Das Bundesbauministerium hat sich informiert, das amerikanische Magazin »Newsweek
« hat der Stadt eine Geschichte gewidmet. Eine japanische Delegation war bereits da, im Oktober kommt eine weitere. Auch westdeutsche Städte interessieren sich für das Konzept. Bürgermeister Jürgen Polzehl wurde als Redner auf einen Kongress in Münster eingeladen. (...).
Er redet von der
»Kunst des Schrumpfens«. Er holt ein großes Luftbild von Schwedt. Es nimmt fast den ganzen Tisch ein. Dann zeigt er auf die ausgelöschten Wohnungsquartiere. Insgesamt werden wohl in der ersten Phase 6.000 Wohnungen abgerissen werden. Doch dabei soll es nicht bleiben. Die Einwohnerzahl sinkt weiter. »Mittlerweile haben wir eine Hochrechnung, die uns zeigen soll, wie viele Wohnungen noch abgerissen werden müssen»«, sagt Polzehl. Bei 30.000 Einwohnern soll sich die Bevölkerungszahl einpendeln. Polzehl spricht von »Schwedt 2015« und sagt, dass ab 2008 wohl wieder Wohnungen abgerissen werden müssen. (...).
Der Bürgermeister weiß von der ungünstigen geographischen Lage, er kennt die wirtschaftlichen Probleme und den Frust der Bürger. Daher spricht er von
»wachsen, schrumpfen, erhalten«, wenn er von der Zukunft seiner Stadt redet. So wirksam und einleuchtend dieser Dreiklang klingt, so schwierig ist er. Vor allem das Wirtschaftswachstum und der Erhalt von Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind ein Problem. Die Infrastruktur ist auf eine größere Stadt ausgelegt, kürzlich wurde bereits das Kino geschlossen. Um das Theater, das Schwimmbad und die beiden Einkaufszentren zu halten, müssen Menschen aus dem Umland gelockt werden", berichtet Moritz KÜPPER aus Schwedt.

ERB, Nadja (2001): Bonjour Tristesse.
Schwedt: Eine Reportage vom rechten Rand der Republik,
in:
Frankfurter Rundschau v. 11.10.

"In Schwedt beträgt der Ausländeranteil derzeit knapp zwei Prozent.
(...). Aus der sozialistischen Modellstadt, am Reißbrett als idealer Industriestandort entworfen, wurde zu Beginn der 90er Jahre die »Brown-Town« (Berliner Morgenpost), terrorisiert von rechtsradikalen Jugendbanden. »Ein Ort - nicht zum Leben« betitelte der Spiegel 1996 ein Porträt der einstigen »Perle der Uckermark« und berichtete von Übergriffen auf Ausländer und Jugendliche mit langen Haaren. Inzwischen ist es ruhiger geworden in der Stadt. (...).
(D)erzeit ist die NPD in der Schwedter Parteienlandschaft kaum präsent. Weder sie noch die DVU sitzen im Stadtparlament und Kreistag. Bei den Landtagswahlen 2004 in Brandenburg überließ die NPD der DVU das Feld. Die gewann in Schwedt 4,9 Prozent der Zweistimmen - 0,4 Prozent weniger als im Landesdurchschnitt. Allerdings gaben fast 18 Prozent der Brandenburger Männer zwischen 18 und 25 Jahren ihre Stimme der DVU. (...).
Arbeitslosenquote 23,9 Prozent (...). Vor der Wende lag die Stadt an der polnischen Grenze am Ende der DDR. Und auch heute geht es von hier aus vor allem in eine Richtung: gen Westen. 55.000 Einwohner hatte Schwedt Mitte der 80er Jahre, als Chemiekombinat und Papierfabrik noch Musterbetriebe des Ostblocks waren, die Zigtausende beschäftigten. 2005 waren es noch 36.000, Tendenz fallend. (...).
Wo früher die zehnstöckigen Plattenbauten dicht an dicht standen, wächst heute viel Rasen, stehen frisch gepflanzte Bäume. Viel Leere zwischen ein paar bunt sanierten Neubauten. Platte um Platte hat die Kommune abreißen lassen, weil ins Eigenheim zieht, wer einen Job hat, und wegzieht, wer keinen hat. Im Neubauviertel »Am Waldrand« ist trotzdem noch fast ein Drittel der Wohnungen unbewohnt. (...).
Kleinstadt Angermünde, 20 Kilometer von Schwedt entfernt, an der Straße nach Berlin. Die Zugstrecke ist eingleisig, viel Verkehr ist hier nicht. (...).
In Angermünde wird gebaut. Obwohl von den 11.500 Einwohnern seit der Wende 2.000 den Ort verlassen haben. Viele Häuser sind eingerüstet, vor dem Sozialamt, das hier nur Hartz IV-Amt genannt wird, ist die ganze Straße aufgerissen - ein Kreisverkehr soll entstehen. An einem Gemüseladen in der Fußgängerzone ist noch der verwitterte Schriftzug »HO - Lebensmittel« zu lesen, in der Gaststätte »Haus Uckermark« sind die Scheiben eingeschlagen. Aber die meisten Häuserfassaden strahlen frisch saniert in Pastellblau und Gelb. Doch in den hübschen kleinen Läden kauft kaum jedmand ein, das an die Bäckerei angeschlossene Café liegt im Dunkeln - keine Gäste, kein Licht",

berichtet Nadja ERB aus Schwedt und Angermünde. Warum Schwedt und Angermünde? Das ergibt sich aus einem anderen Artikel der heutigen Frankfurter Rundschau, der mit Protest der Unzufriedenen betitelt ist und in dem der Historiker Wolfgang BENZ schreibt:

"Die bisher originellste Theorie bemüht Ergebnisse der Demographie und gründet auf Einsichten in die männliche Physiologie. Die Landflucht des weiblichen Geschlechts (...), die daraus resultierende Abwesenheit junger Frauen in ausreichender Zahl im ländlichen Raum führe, so eine Erklärung für das rechtsextreme Treiben, zu vermehrter Produktion des männlichen Hormons Testosteron, dessen Wirkungen dann mangels natürlicher Aktionsfelder irgendwie politisch relevant würden."

2007

PROGNOS (2007): Zukunftsatlas 2007.
Studie: Alle 439 Städte und Kreise im Test. Ostdeutschland holt auf Bayern und Baden-Württemberg deutschlandweit vorne,
in: Pressemitteilung der Prognos AG v. 26.03.

2008

BÜCHNER, Gerold (2008): Gesund schrumpfen.
BERLINER ZEITUNG-Tagesthema Demographischer Wandel: Die Bundesregierung fördert Initiativen gegen den Bevölkerungsschwund. Zwei Gebiete wurden für Vorzeigeprojekte ausgewählt. Brandenburg entwickelt eigene Ansätze,
in: Berliner Zeitung v. 09.01.

BERTELSMANNSTIFTUNG (2008): Abwanderung aus Brandenburg geht zurück.
Große Unterschiede zwischen Landkreisen und Berliner Speckgürtel,
in:
Pressemitteilung der BertelsmannStiftung v. 08.12.

"Mit rund fünf Prozent und damit 140.000 weniger Einwohnern erwartet Brandenburg den geringsten Bevölkerungsrückgang der östlichen Flächenländer. 2,4 Millionen Bürger wird das Land in 17 Jahren zählen: Dies ist ein Ergebnis der neuen Bevölkerungsvorausberechnung der Bertelsmann Stiftung bis zum Jahr 2025 (...).
Deutschlandweite Zuwächse gibt es bei den über 80-Jährigen: bis zum Jahr 2025 um 70 Prozent. In dieser Bevölkerungsgruppe führt Brandenburg die Länderliste mit etwa 122 Prozent Zuwachs an. Die Alterssprünge ergeben für 2025 auch viele Jubilare. So wird beispielsweise jeder Dritte in Frankfurt/ Oder mindestens 65 Jahre alt sein, in acht Kreisen wie Spree-Neiße oder Elbe-Elster wird jeder Zehnte über 80 Jahre alt sein. Auch die Spanne beim Medianalter ist deutlich. Dieser Mittelwert, der die Einwohner in zwei gleich große Altersgruppen teilt, liegt im Landkreis Prignitz bei 57 Jahren, in der kreisfreien Stadt Potsdam dagegen bei 45 Jahren. Im Kreis Prignitz wird die Hälfte der Menschen älter als 57 Jahre sein, in Potsdam älter als 45 Jahre", heißt es in der Pressemitteilung. 

2009

KREITLING, Holger (2009): Die Pleite-Gemeinde.
So eine Finanzkrise ist beispiellos: In Niemegk wurde das städtische Konto gepfändet. Nichts geht mehr. Weiter geht es trotzdem,
in: Berliner Illustrierte Zeitung, Beilage der Berliner Morgenpost v. 05.04.

FISCHER, Konrad (2009): Kommunen im Wickelkrieg.
Aus Angst vor dem drohenden Einwohnerverlust liefern sich Städte und Gemeinden eine teure Werbeschlacht um junge und bauwillige Familien,
in: Wirtschaftswoche Nr.34 v. 17.08.

"In Schwedt können sich Deutschlands Bürgermeister schon mal anschauen, was es bedeutet, wenn die Einwohner immer weniger werden. In der Industriestadt an der Oder lebten 1990 fast 50.000 Menschen, heute sind es 37.000, in 20 Jahren wird Schwedt nur noch 25.000 Einwohner haben. Schulen und Kindertagesstätten wurden bereits geschlossen, jetzt bangen die Bewohner um ihr Theater und die Stadtbücherei. Die Plattenbauten rund um den dörflichen Stadtkern könnten schon in wenigen Jahrzehnten wie eine überdimensionierte Stadtmauer wirken: ein menschenleerer Betonring, in dessen Mitte sich die letzten Bewohner verschanzen. Auf die Frage, was man tun könne, um dieses Szenario abzuwenden, haben sie in Schwedt nur eine Antwort: abreißen. 5.000 Wohnungen sind seit 1999 bereits gefallen, 1.000 weitere sollen in den nächsten Jahren folgen. (...).
Der Bürgermeister von Schwedt, Jürgen Polzehl, hält nichts von Bauförderung (...) Lieber gezielt abreißen und die Infrastruktur frühzeitig an die demografische Entwicklung anpassen, als später in einer Geisterstadt wohnen - ein Ansatz, der von Wissenschaftlern gestützt wird. »Abwanderung hat einen Multiplikator-Effekt«, beschreibt das Gregor Jekel vom Deutschen Institut für Urbanistik. Wenn Teile der Bevölkerung eine Stadt verlassen, dann wird die Stadt allein dadurch unattraktiver. Das bewegt dann wiederum auch andere dazu ihren Wohnsitz zu wechseln.
Jekel empfiehlt (...): Substitution.
»Der Zuzug von älteren Menschen kann für viele Städte eine Chance sein.« (...). Mit ihrem Konsum können sie (...) neuen Schwung bringen, und nicht zuletzt werden sie durch das Alterseinkünftegesetz auch als Steuerquelle interessanter",

berichtet Konrad FISCHER über die Stadt Schwedt, die 9 Jahre später bereits auf unter 30.000 Einwohner geschrumpft ist. Man könnte auch sagen: Wer sich wie Schwedt auf Schrumpfung beschränkt, der forciert diese auch noch. Solche Selbstigmatisierung forciert Abwanderung. 

2010

SCHMIDT-TYCHSEN, Ingo (2010): Angst vor sozialer Ansteckung.
Die ostdeutsche Gesellschaft zerfällt immer mehr. Dies ist das Ergebnis einer in der brandenburgischen Kleinstadt Wittenberge realisierten Langzeitstudie, die von der Bundesregierung mit 1,7 Millionen Euro unterstützt wurde,
in: Tagesspiegel v. 03.03.

NUTT, Harry (2010): Als die Forscher in der Stadt blieben.
Niedergang einer Kommune,
in: Frankfurter Rundschau v. 03.03.

USLAR, Moritz von (2010): Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung Köln: Kiepenheuer & Witsch

SCHOLL, Joachim (2010): Schreibtischtäter im Kuhstall.
Zwei Neuerscheinungen porträtieren die deutsche Provinz. Gespräch mit Barbara Bollwahn und Moritz von Uslar,
in: DeutschlandRadio v. 08.12.

PROGNOS (2010): Zukunftsatlas 2010.
Alle 412 Städte und Kreise im Test,
in: Pressemitteilung der Prognos AG v. 15.11.

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 20. Juli 2019
Update: 21. Oktober 2019