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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Wolfen-Nord im demografischen Wandel

 
       
   

Das langsame Verschwinden einer Großwohnsiedlung in einer ostdeutschen Mittelstadt (Teil 2)

 
       
     
   
     
 

Kommentierte Bibliografie (2007 - 2019)

2007

WINTERFELD, Uta von/BIESECKER, Adelheid/ERGENZINGER, Annegret/SCHMITT, Martina/ROTH, Roland (2007): Sozial-ökologisches Tätigsein im Schatten der Moderne? Tätigkeitsräume für eine nachhaltige Regionalentwicklung, Wuppertal Report, No. 4, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal, April

Das Autorenteam berichtet u.a. über die Entstehungsgeschichte der Großsiedlung Wolfen-Nord als Werkssiedlung und das Netzwerk Gemeinwesenarbeit in Wolfen-Nord.

BUNDESTRANSFERSTELLE STADTUMBAU OST (2007): 2. Statusbericht "5 Jahre Stadtumbau Ost - eine Zwischenbilanz", Januar

Der 2. Statusbericht nennt Wolfen-Nord nur im Zusammenhang mit der Renaturisierung der Abrissflächen:

"Um Pflegekosten möglichst gering zu halten, entscheiden sich die meisten Kommen mittlerweile für extensive Gestaltungsformen. An den Rändern vieler Plattenbaugebiete ist es bereits kurz nach dem Abriss oft gar nicht mehr ersichtlich, dass sich hier noch vor kurzer Zeit eine dichte Bebauung befand. Die Flächen werden mit Bäumen bepflanzt (z.B. Wald-Stadt Halle-Silberhöhe, Schwedt) oder als offene Rasenfluren (z.B. Wolfen-Nord, Halberstadt, Zwickau-Eckersbach gestaltet, in denen Baumgruppen der ehemaligen Hofbeflanzung verwildern." (S.53)

BITTERFELD-WOLFEN (2007): GINSEK 2005/2006. Gemeinsames Integriertes Stadtentwicklungskonzept Bitterfeld - Wolfen – Greppin, August

Das Stadtentwicklungskonzept sieht das Hauptproblem in der Großwohnsiedlung Wolfen Nord:

"Auch wenn differenziertere Daten für die Wanderungsbewegungen (Herkunfts- und Zielgebiete) im Zeitraum 1991 bis 2000 nicht verfügbar sind, ist eindeutig, dass die außerordentlichen Wanderungsverluste der Stadt Wolfen und dort vor allem der Großsiedlung Wolfen-Nord nicht allein arbeitsplatzbedingt sondern auch wohnortbedingt waren. Nachweislich zog ein großer Teil der Abwanderer aus Wolfen-Nord in andere Teile des Landkreises, vornehmlich in die Stadt Bitterfeld. So konnte die erstaunlich stabile Entwicklung der kleineren Nachbarstadt ermöglicht werden." (S.1)

Die Großwohnsiedlung Nord wird als drei Stadtteile gezählt:

"Insgesamt gibt es in Bitterfeld zehn Stadtteile, wenn man die 122 Wohnungen im Chemiepark als Stadtteil bezeichnet und in Wolfen acht Stadtteile, wenn man die Großsiedlung Wolfen-Nord in drei Stadtteile unterteilt (Ost, Mitte, West) und das 1993 eingemeindete Dorf Reuden als eigenständigen Stadtteil (Ortsteil) zählt" (S.3)

Die Ortseile Bitterfeld und Wolfen sind ganz unterschiedlich durch den DDR-Wohnbau geprägt. Der Ruf als Plattenbaustadt ist in erster Linie dem Ortsteil Wolfen geschuldet, wobei das Stadtentwicklungskonzept keine Unterscheidung zwischen Plattenbauweise und traditioneller Bauweise macht:

"DDR-Mietwohnungsbau (hier nicht unterschieden nach traditioneller Bauweise und Plattenbauweise): Während der DDR-Wohnungsbau in der altbaugeprägten Stadt Bitterfeld nur eine untergeordnete Rolle spielt (22,2%), stellt er für die Stadt Wolfen mit einem Anteil von 81,5% das absolut prägende Wohnungsangebot dar (Wolfen-Nord mit ehemals 13.400 Wohneinheiten aber auch Krondorf-West mit ca. 1.440 Einheiten). Daneben gibt es in der sehr viel kleineren Gemeinde Greppin überhaupt keinen Mietwohnungsbau aus dieser Zeit." (S.3)

"Prägung durch den DDR-Wohnungsbau: Zu den Merkwürdigkeiten der Städtebaugeschichte von Bitterfeld gehört, dass die Innenstadt am stärksten durch den DDR-Wohnungsbau geprägt ist, obwohl Bitterfeld keine typische Wiederaufbaustadt ist, sondern im Fall der Innenstadt eher ein radikal saniertes Stadtzentrum darstellt. Weitere Bitterfelder Stadtteile mit relevanten DDR-Wohnungsbauanteilen sind die Anhaltsiedlung (35,6%) und das Länderviertel (22,3%). Daneben besteht die Großsiedlung Wolfen-Nord ganz und ausschließlich aus Mietwohnungsbaubeständen aus der Zeit 1948 bis 1989. In dem an die Altstadt nördlich anschließenden Krondorf sind es 83,0%. In Greppin gibt es keine Mietwohnungen aus dieser Zeit." (S.8)

Die negative Bevölkerungsentwicklung von Bitterfeld-Wolfen wird dem Ortsteil Wolfen zugeschrieben:

"Auf eine kurze Formel gebracht verlief die demografische Entwicklung in den Jahren 2001 bis 2005 in der Stadt Bitterfeld besser als erwartet und in der Stadt Wolfen immerhin geringfügig besser als die kritische Prognose der Verwaltung (...) aus dem Jahr 2002, aber kritischer als die empirica-Prognose von 2001."

Aber selbst Wolfen-Nord ist sehr unterschiedlich von der Abwanderungswelle betroffen:

"(D)er große Verlierer der Entwicklung ist die Großsiedlung Wolfen-Nord als Ganzes, die zwischen Anfang 2001 und Ende 2005 weitere 5.863 Einwohner verloren hat (-31,0%) nach einem Verlust von 12.944 Einwohnern (-40,6%) zwischen 1991 und 2000 (vergleiche Tabelle 2), dieser Verlust von 5.863 Einwohnern ist so groß wie der Einwohnerverlust der Gesamtstadt im gleichen Zeitraum (-5.810 EW) und bedeutet, dass die soziale Lage und die Wohnunzufriedenheit in der Großsiedlung die Hauptgründe für die Wanderungsverluste der Stadt Wolfen sind, dabei sieht die Einwohnerentwicklung in den drei Stadtteilen von Wolfen-Nord sehr unterschiedlich aus.
Relativ stabil (-7,7% nach –9,7% zwischen 1991 und 2000) verläuft nach wie vor die Entwicklung im ersten Bauabschnitt Wolfen-Nord-Ost, in dem weitgehend noch die Erstbewohnerschaft lebt, sodass der Stadtteil ein sehr hohes Durchschnittsalter aufweist. Gravierend sind demgegenüber wiederum die Bevölkerungsverluste im zweiten und dritten Bauabschnitt Wolfen-Nord-Mitte (-28,2% gegenüber -42,5% zwischen 1991 und 2000) und im jüngsten Stadtteil Wolfen-Nord-West (-46,9% gegenüber 47,5% zwischen 1991 und 2000), in dem die umfangreichsten Rückbaumaßnahmen durchgeführt worden sind und weitere vorbereitet werden. Bei dieser Verlustbilanz darf jedoch niemals vergessen werden, dass Wolfen-Nord als Ganzes auch Ende 2005 noch annähernd so viele Einwohner hat wie die zehn Stadtteile in Bitterfeld zusammengenommen (13.058 EW gegenüber 15.797 EW) und dass selbst die beiden kleineren Teile Wolfen-Nord-West (3.070 EW) und Wolfen-Nord-Ost (2.785 EW) heute noch so groß und größer sind als die größten Stadtteile in Bitterfeld wie die Auensiedlung (2.603 EW) und die Innenstadt (2.571 EW)." (S.23)

Es sollte eigentlich zu denken geben, dass ausgerechnet dort, wo die Abrissbirne besonders stark wütete, weiterhin die größte Abwanderungswelle vorhanden ist. Hat also der "Rückbau" die Probleme eher verstärkt als gelöst? Die Abwanderung ist jedoch nur das eine Problem, das andere ist der hohe Anteil an 65-Jährigen und Älteren:

"Die Stadtteile mit dem höchsten Anteil älterer Erwachsener sind in Bitterfeld die Anhaltsiedlung (34,8%), die Gartenstadt Süd (30,3%) und die Innenstadt (27,5%). Die entsprechenden Stadtteile in Wolfen sind Wolfen-Nord-Ost mit dem außerordentlichen Seniorenanteil von 48,9%, gefolgt von Krondorf West (33,4%) mit einem ähnlich hohen Anteil wie der Spitzenreiter in Bitterfeld, der Anhaltsiedlung (s.o.). Die Gartenstadtsiedlung Wolfen-Süd folgt mit 28,9% mit einigem Abstand." (S.27)

Der bislang stabilste Wolfen-Nord-Stadtteil könnte aufgrund der Altersstruktur zukünftig andersartig geprägte Probleme bringen. Ob altersgerechte Wohnungen die Lösung sind, muss sich erst noch zeigen. Zum Abriss von Wohnungen von 2002 bis Mai 2006 heißt es:

"Im Stadtteil Wolfen-Nord wurden (...) der Abriss von 3.184 Wohneinheiten realisiert (...).
Laut Leitbild Wolfen-Nord (Stand 2002) sollten bis zum Jahre 2010 4.406 WE vom Markt genommen werden. Davon wurden bis Mai 2006 bereits 3.184 Wohneinheiten abgerissen. Laut Angaben der beiden Wohnungsunternehmen ist das im Leitbild gesteckte Ziel spätestens im Jahr 2007 erreicht. Die Unternehmen haben darum das Abrissziel bis 2010/11 auf insgesamt 6.000 WE erhöht. Bis 2004 gab es nur Fördermittel zum Abriss und zwar insgesamt 6,7 Mio EUR. Im Jahr 2005 wurden erstmals Abriss- und Aufwertungsmittel genehmigt" (S.29f.)

An anderer Stelle heißt es, dass:

"die beiden großen Wolfener Wohnungsunternehmen (WGW und WBG) seit 2000 ca. 3.830 Wohneinheiten durch Abriss vom Markt genommen haben." (S.43)

Die Sozialstruktur der drei Wohnstandorte in Wolfen-Nord wird folgendermaßen beschrieben:

"Wolfen-Nord Ost

Das älteste der Wohngebiete in Nord hat einen extrem hohen Alten- und Rentneranteil. Die Haushalte sind entsprechen klein und haben selten noch Kinder. Das Durchschnittseinkommen entspricht dem Mittel der Region. Soweit die Bewohner noch im Erwerbsleben stehen, sind sie aber zu fast 50% arbeitslos und verdienen unterdurchschnittlich, wenn sie eine Arbeit haben. Die Wohndauer ist sehr hoch. Die Gebietsbewertung durchschnittlich und die Auszugsbereitschaft, angesichts des hohen Alters der meisten Personen, gering. Die Mieten pro Quadratmeter liegen deutlich über dem Durchschnitt!

Wolfen-Nord Mitte

Mitte nimmt auch sozialstrukturell in Wolfen-Nord eine Mittelstellung ein. Bei den meisten Indikatoren liegt Mitte nahe am jeweiligen Durchschnitt der Netzregion. Allerdings ist die Auszugsbereitschaft überdurchschnittlich hoch. Die Mieten sind gering, gegenüber Ost 0,60 /qm niedriger.

Wolfen-Nord West

Der westliche Teil ist sozialstrukturell das absolute Problemquartier. Da Wolfen-Nord West der jüngste bauliche Abschnitt von Wolfen-Nord ist, gibt es einen hohen Anteil an Familien mit Kindern und sehr wenige Rentner. Dramatisch sind die Werte bei den Sozialindikatoren. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 60%, der Anteil der Hartz IV-Haushalte bei 20% und das Einkommensniveau knapp 20% unter dem Durchschnitt. Selbst das Einkommensniveau der Haushalte, die über ein Arbeitseinkommen verfügen, liegt 26% unter dem Durchschnitt aller Haushalte mit Arbeitseinkommen." (S.106)

SEDLACEK, Peter (2007)(Hrsg.): Räumliche Konsequenzen des demographischen Wandels. Teil 10: Umdenken – Umplanen – Umbauen. Stadt- und Regionalentwicklung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unter Schrumpfungsbedingungen, ARL: Hannover

Die Stadt Wolfen wird von Ralf SCHMIDT als Stadt mit überwiegend ungünstigen Voraussetzungen charakterisiert.

2008

IfS (2008): Jahresbericht 2007 der Begleitforschung Stadtumbau Land Sachsen-Anhalt im Auftrag der Stadt Halberstadt, 25.06.

"Sehr hohe Rückbaubewilligungen im Zeitraum 2002 bis 2006 sind für die Umbaustädte Bitterfeld-Wolfen, Burg, Gräfenhainichen, Halberstadt, Havelberg, Merseburg, Oschersleben, Querfurt, Sangerhausen, Schönebeck, Stendal, Zeitz und Zerbst feststellbar. Ausschließlich Rückbau wurde für die Städte Blankenburg, Salbe, Genthin, Nebra, Salzwedel und Thale bewilligt", (S.36)

berichten die Stadtforscher zu Bitterfeld-Wolfen.

BERTELSMANNSTIFTUNG (2008): Regionalreport Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.  Differenzierung des »Wegweisers Demographischer Wandel« für drei ostdeutsche Bundesländer, August

Die Stadt Wolfen belegt bei der Bertelsmann-Prognose den letzten Platz in Sachsen-Anhalts Städten mit mehr als 5.000 Einwohnern hinsichtlich des Bevölkerungsverlusts und der Alterung:

Tabelle: Prognostizierter Bevölkerungsverlust von Bitterfeld und Wolfen zwischen 2005 und 2020
Rang
(2005)
Rang
(2018)

Kommune

Bevölkerung
2005

Bertelsmann-Prognose

Typ
(2008)
Typ
(2015)
Bevölkerung
2005 - 2020
Median-
alter
2020
17 8 Wolfen 24.908 - 43,20 % 60,18 Jahre 4 9
27 8 Bitterfeld 15.728 - 11,80 % 49,49 Jahre 4 9
Quelle: Regional-Report Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen 2008, S.103ff.

MINISTERIUM FÜR LANDWIRTSCHAFT UND VERKEHR (2008): Bericht zur Stadtentwicklung und zum Stadtumbau Ost sowie zur Mieten- und Wohnungsmarktentwicklung im Land Sachsen-Anhalt. Berichtsjahre 2006 und 2007

Der Bericht zählt Bitterfeld-Wolfen zu jenen Stadtumbaustädten, die beim Abriss von Wohnungen besonders aktiv sind:

(A)b dem Programmbeginn 2002 (ist) die Anzahl der Wohnungsabgänge deutlich angestiegen (...).
Bei den abgerissenen Wohnungen handelt es sich vorwiegend um Plattenbauten des komplexen Wohnungsbaus aus der Zeit ab 1971. (...).
Das heißt, dass dort, wo zu DDR-Zeiten große Plattenbausiedlungen entstanden sind, heute die meisten Wohnungsabrisse stattfinden und dementsprechend in diesen Kommunen der höchste Förderbedarf aus dem Programmteil Abriss besteht.
Hierzu gehören die kreisfreien Städte Magdeburg und Halle und vor allem die einstigen Industriestandorte Bitterfeld-Wolfen, Merseburg und Stendal.
Infolgedessen sind diese Kommunen bei der Vergabe der Fördermittel aus dem Programmteil Abriss vorrangig bedient worden. So hat bis zum Programmjahr 2007 die kreisfreie Stadt Halle mit 19,1 v. H. den höchsten Anteil an Abrissfördermitteln erhalten, gefolgt von der Landeshauptstadt Magdeburg mit 13,3 v. H., Bitterfeld-Wolfen 8,8 v. H., Stendal 6,8 v. H. und Merseburg 5,9 v. H..
Eines der wesentlichen Ziele des Stadtumbauprogramms ist es, den weiteren Anstieg des Leerstands aufzuhalten und den Leerstand – wo dies möglich ist – zu senken." (S.18ff.)

Nicht erwähnt wird jedoch, dass in Bitterfeld-Wolfen sich die Abrisse in der Großwohnsiedlung Wolfen-Nord konzentrieren.

LASCH, Hendrik (2008): Die beiden Enden der Sonnenallee.
Aufschwung, Abschwung Bitterfeld-Wolfen, einst als industrielles Dreckloch verschrieen, wird heute als Zentrum der Solar-Technik gepriesen. Im Schatten ihres "Leuchtturms" leidet die Stadt unter sozialer Erosion und Abwanderung,
in:
Freitag Online v. 03.10.

Hendrik LASCHs Reportage beschreibt die auseinandertriftenden Welten in Bitterfeld-Wolfen: Auf der einen Seite der kürzlich eingemeindete Ort Thalheim mit seinem "Solar Valley" und der Erfolgsstory von Q-Cells, auf der anderen Seite die Welt des Plattenbaugebiets Wolfen-Nord, deren Bewohnen sich nicht einmal die neuen touristischen Attraktionen ("Vom Giftsee zur Riviera") leisten können:

"Das Loch, aus dem einst Kohle gekratzt und das beim Hochwasser 2002 vorfristig geflutet wurde, ist heute ein See namens Goitzsche, in dem vor einigen Sommern die Kanadische Wasserpest wucherte - nach Aussage von Biologen ein Indiz dafür, dass das Wasser zu sauber ist. An Stegen liegen Yachten; an den Ufern entstehen Ferienhäuser und Restaurants; auf einer Halbinsel werden Konzerte veranstaltet. Die Rede ist von der »Bitterfelder Riviera«, die mit stählernen Landmarken wie einem Pegelturm im See und der »Bogen« genannten Aussichtsplattform auf einem nahe gelegenen Hügel auch Touristen anzieht (...).
Aber ist Fremdenverkehr im Armenhaus ein Rezept für die Zukunft? In Bitterfeld-Wolfen gibt es nicht wenige Menschen, die sich selbst einen Naherholungsausflug an die Goitzsche nicht leisten können. Viele leben in Wolfen-Nord, einem Plattenbaugebiet, das einst den Arbeitern des Fotokombinats komfortable Wohnungen mit Heizung und Warmwasser bot. Zeitweise zogen 1.500 Menschen im Jahr hierher. Nach dem Ende der DDR ergriffen dann bis zu 2.000 pro Jahr die Flucht; von 33.000 Einwohnern blieb ein Drittel.
Heute ist die Siedlung dreigeteilt: In den älteren, grünen Quartieren wohnen Rentner, die ein gutes Einkommen und keinen Grund haben, Wohnung und langjährige Nachbarn aufzugeben. Anderswo aber wurden bereits ganze Straßenzüge samt Schulen, Kindergärten und Kaufhallen abgerissen. Und Teile von Wolfen-Nord sind das, was euphemistisch als »sozialer Brennpunkt« bezeichnet wird: mit Häusern, deren Bewohner seit Jahren keinen Betrieb mehr von innen sehen durften, und mit einer auffälligen Häufung von Einrichtungen wie Drogen- und Suchtberatung, Familien- oder Straffälligenhilfe."

2009

LIEBMANN, Heike & Martin KARSTEN (2009): Stadtumbau Ost und Stadtumbau West.
Geschwister mit Eigenarten und Gemeinsamkeiten,
in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 7 v. 01.08.

LIEBMANN & KARSTEN beschreiben die Stadtentwicklungsplanung in Bitterfeld-Wolfen folgendermaßen:

"Ein Beispiel für eine besonders weitreichende Kooperation zweier Mittelstädte ist der 2007 erfolgte Zusammenschluss der ehemals eigenständigen Städte Bitterfeld und Wolfen sowie weiterer sieben Gemeinden zu der Stadt Bitterfeld-Wolfen mit ca. 45.000 Einwohnern (2007). Beide Städte haben nach 1990 durch Schließung mehrerer großer Industriebetriebe (Filmfabrik Wolfen, Chemisches Kombinat Bitterfeld, Braunkohlenkombinat) den Verlust tausender Arbeitsplätze und die massive Abwanderung von Bevölkerung verkraften müssen. Die Zahl der Beschäftigten in der Region sank in der ersten Hälfte der 1990er Jahre auf weniger als ein Zehntel der ehemals 60.000 Beschäftigten. Nur allmählich erfolgte danach eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Wohnungsleerstand lag im Jahr 2001 bei rund 20 % und verteilte sich auf die beteiligten Städte und Gemeinden höchst unterschiedlich.
Dem Zusammenschluss vorausgegangen ist eine lange Phase der Kooperation, die 1996 mit der Erstellung eines gemeinsamen Masterplans begann und 2005/06 in der Erarbeitung eines Gemeinsamen Stadtentwicklungskonzepts (GINSEK) mündete. Wesentliche Ergebnisse des GINSEK waren die gemeinsame Festlegung von Umstrukturierungsgebieten und Schwerpunkten des Stadtumbaus, die Entwicklung eines Balancemodells zur Lastenverteilung unter den Wohnungsunternehmen sowie die gemeindeübergreifende Verortung von weiteren 3.000 abzureißenden Wohnungen bis 2020. Erwartungen, die mit der Umsetzung des auf dem GINSEK basierenden Stadtumbaus in der gemeinsamen Stadt Bitterfeld-Wolfen verbunden werden, liegen insbesondere in der Stärkung der Stadtteilzentren von Wolfen und Bitterfeld sowie in der Stabilisierung der Wohnquartiere und einer stabilen und heterogenen Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum." (S.465)

PETER, Andreas (2009): Stadtquartiere auf Zeit. Lebensqualität im Alter in schrumpfenden Städten, Verlag für Sozialwissenschaften

Andreas PETER beschreibt DDR-Entwicklungsstädte als Städte, die nach der Wende durch hohe vergangene und zukünftige Bevölkerungsrückgänge, ein steigendes Durchschnittsalter, hohen Leerstand und umfassende Stadtumbaumaßnahmen geprägt sind:

"Mit einem solchen Etikett wurden Städte versehen, die auf der Basis wirtschaftspolitischer Entscheidungen in den 1950er und 1960er Jahren in kürzester Zeit zu einem Industriestandort anwuchsen. Für die zuziehenden, meist jungen und qualifizierten Arbeitskräfte wurde ein großmaßstäblicher Wohnungsbau in industrieller Bauweise realisiert, der in der Regel über 80 Prozent des Wohnungsbestandes dieses Städtetyps umfasst (BMVBW 2000: 22 ff.).
Mit dem Zusammenbruch der (...) Wirtschaftsstruktur zu Beginn der 1990er Jahre setzte ein deutlich über dem ostdeutschen Durchschnitt liegender und bis heute anhaltender Bevölkerungsrückgang ein.  Der selektive Wegzug vor allem jüngerer Bevölkerungsgruppen führt zu einem steigenden relativen Anteil der älteren Bewohnerschaft (...).
In der Folge des Bevölkerungsrückgangs ist ein drastischer Anstieg des Wohnungsüberangebots zu beobachten. Aufgrund des daraus resultierenden (...) Proglemdrucks, nahmen die DDR-Entwicklungsstädte bei der Umsetzung von Konzepten zur Reduzierung des Leerstandes eine Vorreiterrolle ein. Die überschaubare Anzahl von Großvermietern (Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften)(...) ermöglichte abgestimmte größere Abrissmaßnahmen. In allen Städten dieses Typs werden inzwischen umfassende Rückbaumaßnahmen realisiert, wobei ganzen Wohngebieten nur noch eine begrenzte Zukunft zugeschrieben werden." (S.93f.)

Beispielhaft beschreibt PETER die Entwicklung neben Hoyerswerda auch in Wolfen:

"Um den Wohnraumbedarf der zuziehenden Arbeitskräfte zu decken, erfolgte ab 1960 außerhalb der bis dahin bestehenden Siedlungsstruktur die Errichtung des Stadtteils Wolfen-Nord. Bis 1989 entstanden in vier Wohnkomplexen 13.500 Wohnungen in industrieller Bauweise für mehr als 30.000 Einwohner (...). Der DDR-Wohnungsbau stellte 1990 für die Stadt Wolfen mit einem Anteil von knapp 82 Prozent das absolut prägende Wohnungsangebot dar". (S.95)

Ab Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich gemäß PETER eine Leerstandsproblematik, die in erster Linie mit einem Flächenabriss beantwortet wurde:

"Während die Großvermieter vor Ort bis zur Mitte der 1990er Jahre die Vollbelegung ihrer Bestände gewöhnt waren, zeigten sich innerhalb sehr kurzer Zeit die ersten Leerstände. Diese konzentrierten sich, ebenso wie der Bevölkerungsrückgang, auf die Großsiedlungen und dort vor allem auf die jüngeren Wohnkomplexe, die in der Regel die größeren städtebaulichen Defizite aufzeigten und in denen die Bevölkerung noch überdurchschnittlich jung und damit mobil war.
Im Jahr 2000 stand in Wolfen jede vierte Wohnung leer, in Wolfen-Nord sogar mehr als 30 Prozent. Von den damals insgesamt 4.800 leeren Wohnungen gehörten 4.500 den beiden großen Wohnungsunternehmen, der Wohnungs- und Baugesellschaft Wolfen mbH oder der Wohnungsgenossenschaft Wolfen e.G. (...).
Ausgehend von der erfolgten und zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung bestimmten die lokalen Akteure (...) die für eine städtebauliche und wohnungswirtschaftliche Stabilisierung notwendigen Abrissvolumen und nahmen eine räumliche Verortung vor. (...)(I)n Wolfen-Nord wurde eine Bestandsreduzierung um mehr als ein Drittel festgelegt. Die Festlegung erfolgte (...) nach Kriterien (1. Abriss vorwiegend unsanierter und teilsanierter Gebäude mit hohen Leerständen, 2. Beseitigung städtebaulicher Defizite und 3. Rückbau von Außen nach Innen). (...).
In Wolfen wurden dementsprechend die Wohnkomplexe 4.1, 4.2 und 4.3 zum Flächenabriss vorbestimmt (...). In den anderen Wohnkomplexen sollten nur einzelne Blöcke beseitigt werden. Die bis zum Jahr 2010 zu realisierende Abrissmenge wurde im »Leitbild Wolfen-Nord« zunächst mit 4.400 Wohneinheiten angegeben. Doch selbst angesichts dieser Summen (wurde davon ausgegangen), dass (...) der Leerstand bis zum Jahr 2015 in den dann noch vorhandenen Beständen erneut auf über 30 Prozent anwachsen könnte" (S.98f.)

Das Untersuchungsinteresse von PETER richtete sich auf den Wohnkomplex 2, der nur 1.500 Wohneinheiten umfasst, und Teile des Wohnkomplexes 3 (500 von 3.400 WE).

2010

STALA SACHSEN-ANHALT (2010): Anteil der Plattenbauten beim Gebäudeabbruch weiterhin hoch,
in:
Pressemitteilung Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt v. 07.07.

"Das Abbruchsgeschehen war im Landkreis Anhalt-Bitterfeld mit 1.182 wegfallenden Wohnungen im Kreisvergleich am höchsten. Es folgen die kreisfreien Städte Magdeburg mit 817 sowie Halle mit 573 Wohnungen", meldet das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt.

BUNDESBAUMINISTERIUM (2010): Bundesprogramm Stadtumbau Ost 2010

Das Bundesprogramm Stadtumbau Ost gibt für Wolfen-Nord einen Wohnungsbestand von 9.155 WE (2002) an. Der geförderte Abriss bis 2010 beläuft sich auf 5.185 WE. Die Zahlen 2009 bis 2018 befinden sich hier.

2012

WUTTIG-VOGLER, Uljana (2012): Schule und Wohnblöcke vor dem Abriss,
in: Mitteldeutsche Zeitung v. 19.03.

Uljana WUTTIG-VOGLER berichtet über den Stadtumbau Ost in Wolfen-Nord:

"Gebäude im Wohnkomplex 4.4 stehen bereits seit längerem leer, weil sie nicht mehr gebraucht werden, wie (...)(die) Bauleiterin der Entwicklungsgesellschaft Wolfen-Nord sagt. Den Bildungs- und Sportstätten folgen werden die Wohnblöcke in der Raguhner Straße 15 bis 19 und 16 bis 20 sowie in der Wittener Straße 35 bis 55. Das entspricht rund 230 Wohnungseinheiten. Sie gehören zum Bestand der Wohnungsgenossenschaft Wolfen (vier Blöcke) und der Wohnungs- und Baugesellschaft Wolfen (ein Block). Die Quartiere sind teilweise noch bewohnt, bis zum 30. April werden die Mieter in neue Wohnungen ziehen. Der Abriss erfolgt im Rahmen des Stadtumbaues Ost und wird finanziell gefördert. (...).
Der Abriss von Wohnungen und anderen Einrichtungen in Wolfen-Nord ist seit dem Jahr 2000 in vollem Gange. Grundlage für die verschiedensten Maßnahmen ist das städtebauliche Leitbild, das vom Stadtrat verabschiedet wurde. Seit Beginn sind bereits 6.000 Wohnungseinheiten abgerissen worden. Hintergrund für diese Maßnahmen ist die demographische Entwicklung. So hat Bitterfeld-Wolfen seit 1990, insbesondere in Wolfen-Nord, schon rund 27.500 Einwohner verloren. Bis zum Jahr 2025 werden weitere 10.000 Menschen die Stadt verlassen."

SCHIERHOLZ, Alexander (2012): MZ-Serie Heimat: Wolfen-Nord,
in: Mitteldeutsche Zeitung v. 15.10.

Alexander SCHIERHOLZ berichtet über die Entwicklung der Großsiedlung Wolfen-Nord von der Wende bis heute:

"1990 lebten noch 35.000 Menschen in Wolfen-Nord. Heute sind es nur noch 10.000. Tendenz fallend. (...)(Das) Mehrgenerationenhauses in der Straße der Jugend (...) wirkt ein wenig wie ein Fremdkörper, mitten im Plattenbaugebiet, angestrichen leuchtend rot und gelb. Entstanden 2010 aus einem ehemaligen Kindergarten, ist es Nachbarschaftstreff und Domizil für Vereine in einem. (...).
Harald Rupprecht (...) ist (...) Geschäftsführer der EWN. Das Kürzel steht für (...) Erneuerungsgesellschaft Wolfen-Nord. Seit Mitte der 90er Jahre kümmert sich die von Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften und der damaligen Stadt Wolfen gegründete Gesellschaft um die Stadtentwicklung in dem Plattenbauviertel. (...).
»Allein zwischen 1996 und 2000 sind jedes Jahr 2.000 Menschen aus Wolfen-Nord weggezogen«, schildert Rupprecht, »überwiegend Familien mit Kindern.« Übrig blieben die Älteren, und diejenigen, die keinen Job mehr fanden, weder vor Ort noch anderswo.
Rasch standen ganze Wohnblöcke leer, auch solche, die erst 1991 »mit Westgeld« (Rupprecht) fertiggestellt worden waren. »Dort waren überwiegend junge Leute eingezogen, die waren natürlich als erste weg.« Im Jahr 2000 begann die EWN damit, einzelne leere Häuser in Wolfen-Nord abzureißen. »Abriss war damals noch ein Schimpfwort, auch für die Politik«, erinnert sich Rupprecht. »Aber wir haben früh erkannt, dass es nicht um Einzelfälle geht, sondern um strukturellen Leerstand«, bedingt durch Wegzug im großen Stil.
Was folgte, war Abriss im großen Stil. Die EWN-Experten tüftelten dafür eigens ein Konzept aus: In der Regel wird von den Rändern des Viertels zu dessen Mitte hin abgebrochen. (...).
Bis zum Jahresende sollen die Abrissbagger 6.300 Wohnungen dem Erdboden gleichgemacht haben. 7.500 sind dann noch übrig. Auch Schulen und Kindergärten verschwanden.
Mit den leerstehenden Häusern verschwinden in Wolfen-Nord freilich nicht alle Probleme. Im Gegenteil: Anfang der 90er Jahre stürzten auch die Geburtenraten ins Bodenlose - mit Folgen, die sich erst heute so richtig zeigen. Rupprecht formuliert es so: »Die Kinder, die damals nicht geboren worden sind, können heute oder in den nächsten Jahren keine Kinder bekommen.« Die Konsequenz ist das, was der Stadtentwickler »die zweite demografische Welle« nennt: Wolfen-Nord überaltert, wie so viele Quartiere, Stadtteile, ganze Ortschaften im Land. »Junge Familien sind hier in der Minderheit.» In den sogenannten Wohnkomplexen I und II von Wolfen-Nord, gebaut ab 1960, liege das Durchschnittsalter bei 60 Jahren. (...).
Wie wird Wolfen-Nord in 20 Jahren aussehen? Das ist Harald Rupprechts Szenario: 8.000 Einwohner, 2.000 weniger als heute, aber die große Abwanderung werde gestoppt sein. »Wir werden ein gutes soziales Netzwerk haben. Wolfen-Nord wird lebenswert bleiben.« Die Betonung liegt auf bleiben."

ROSTALSKY, Ulf (2012): Ein blendes Fahrgefühl im Skaterpark,
in: Mitteldeutsche Zeitung v. 29.12.

"(D)ie Skateranlage (entstand) als Teil des Nordparks zu Expo-Zeiten auf einer Brache mitten im Wohngebiet. Ein Dutzend Jahre später sieht die Situation ganz anders aus. Filmband und Skateranlage finden sich mitten im Grünen. Die Wohnblöcke ringsherum sind abgerissen",

berichtet Ulf ROSTALSKY.

2013

ROSTALSKY, Ulf (2013): Wolfen-Nord: WBG plant Abriss von 850 Wohnungen,
in: Mitteldeutsche Zeitung v. 11.04.

Ulf ROSTALSKY berichtet über den Rückzug der WBG aus dem Wohnkomplex 4 und Abriss im Wohnkomplex 3:

"»Wir werden uns komplett aus dem vierten Wohnkomplex zurückziehen«, bestätigt Jürgen Voigt, Geschäftsführer der kommunalen Wohnungs- und Baugesellschaft (WBG) das Aus für weitere 550 Wohneinheiten im Plattenbaurevier. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollen die schon jetzt zu mehr als 50 Prozent leerstehenden Blöcke dem Abrissbagger zum Opfer fallen. (...).
Von einst gut 30.000 Einwohnern sind in Wolfen-Nord 9.900 geblieben. (...).
Auch im Wohnkomplex drei sollen 300 Wohnungen rückgebaut werden. Allerdings zieht sich die WBG nur im jüngsten Viertel von Wolfen-Nord komplett zurück."

BITTERFELD-WOLFEN (2013): Archivale des Monats: Wolfen-Nord, September

"Als 1970 das sozialistische Neubaugebiet Wolfen-Nord sein 10-jähriges Bestehen feierte, konnte folgende Bilanz gezogen werden: 74 Wohnblöcke fertiggestellt und 9000 Menschen in Neubauwohnungen eingezogen", heißt es im Stadtarchivartikel.

2014

WGW (2014): 60 Jahre WGW,
in:
besser wohnen, Heft 1

Die Wohngenossenschaft Wolfen (WGW) beschreibt die Entwicklung in Wolfen-Nord aus ihrer Sicht folgendermaßen:

"1961 folgte der Baubeginn des 2. Wohnkomplexes (heute Akademikerviertel); erstmalig mit Fernwärme. Am 10. Oktober 1967 wurden 881 Wohneinheiten in Wolfen-Nord bezogen. (...).
Im Juli 1975 wurde die Großblockbauweise mit dem 2. Wohnkomplex abgeschlossen – 1.827 Wohneinheiten standen hier ab sofort zur Verfügung.
1975 wurde der erster Block in Plattenbauweise im 3. Wohnkomplex (heute Fuhnetalviertel) errichtet, jährlicher Zuwachs bis 300 Wohneinheiten.
Im November 1983 folgten die erste Wohnblöcke vom Typ WBS 70 in sechsgeschossiger Bauweise. Zum 31. Dezember 1983 verfügte man über 3.787 Wohneinheiten in Wolfen- Nord." (S.2)

WGW (2014): Demografische Entwicklung.
Wie die WGW sich für die Zukunft fit macht,
in:
besser wohnen, Heft 1

"Die WGW hat (...) ihren Wohnungsbestand seit 1998 primär durch Rückbau um rund 4.200 Wohnungen reduziert" (S.8),

berichtet die WGW über ihre Reaktion auf die Leerstandsproblematik, die sich seit 1996 entwickelt hatte. Der Stadtteil Wolfen-Nord (Ost) wird von der WGW Autorenviertel genannt. Der Stadtteil Wolfen-Nord (Mitte) beinhaltet Teile des Akademiker- und des Fuhnetalviertels, das sich auch über den Stadtteil Wolfen-Nord (West) ausdehnt. Folgende Straßen werden den drei Wohnvierteln zugeordnet:

Autorenviertel
Wolfen-Nord (Ost)
WK 1
Fuhnetalviertel
Wolfen-Nord (Mitte/West)
WK 3 (Teile), WK 4.2, WK 4.4
Akademikerviertel
Wolfen-Nord (Mitte)
WK 2, WK 3 (Teile)
Franz-Mehring-Straße Straße der Völkerfreundschaft Fritz-Reuter-Straße
Hans-Beimler-Straße Straße der Jugend Humboldtstraße
Max-Lademann-Straße Fritz-Weineck-Straße Virchowstraße
Straße der Republik Paracelsusstraße  
Comeniusstraße Dr.-Otto-Nuschke-Straße  
Ernst-Toller-Straße Straße der Chemiearbeiter  
Hermann-Fahlke-Straße Albert-Schweitzer-Straße  
Käthe-Kollwitz-Straße Ring der Bauarbeiter  
Erich-Mühsam-Straße Willi-Sachse-Straße  
Dessauer Allee Bitterfelder Straße  
  Raguhner Straße  
  Grünstraße  
  Auenstraße  
  Wittener Straße  
  Im Akazienwinkel  

Die in der Grafik eingezeichnete Zuordnung der Viertel zu den früheren Gebieten entspricht nicht der Gebietsabgrenzung, die dann im Leitbild 2030 vorgenommen wird.

WBG/NEUBI (2014): 2015: Zwei Gebäude in Wolfen-Nord werden zurückgebaut,
in: Gemeinsames Mietermagazin, Dezember

Die WBG meldet, dass sie die Gebäude Wittener Straße 7-13 und Raguhner Schleife 7-13 abreißen wird.

Bitterfeld-Wolfen (2014): Stadtentwicklungskonzept STEK 2015 - 2025, Dezember

Das Stadtentwicklungskonzept gilt als Fortschreibung des GINSEK 2005/2006. Die geplante Reduzierung des Wohnungsbestandes in Wolfen-Nord von 6.000 Wohneinheiten wird als erledigt betrachtet:

"Der OT Wolfen mit der Siedlung Wolfen-Nord trägt die notwendigen Reduzierungen des Wohnungsbestandes in der Stadt überproportional. (von 2000-2013 wurden in Wolfen-Nord insgesamt 5.955 WE rückgebaut!)". (S.7)

In der Gesamtstadt wird ein Abgang von ca. 6.600 Wohneinheiten seit 2001 angegeben. Für Wolfen-Nord werden zwischen 1997 und 2013 folgende Einwohnerverluste angegeben (vgl. S.9):

Gebiet

1997/1998

2007

2013

Einwohnerverluste 1997-2013

Wolfen-Nord (Ost) 3.139 Einwohner 2.717 Einwohner 2.379 Einwohner 760 Einwohner - 338 %
Wolfen-Nord (Mitte/West) 23.123 Einwohner 9.056 Einwohner 6.215 Einwohner 16.908 Einwohner - 2.841 %

Der Abriss in Wolfen-Nord wird mit Bevölkerungsverlusten begründet:

"Der OT Wolfen hatte im Zeitraum von 15 Jahren einen Bevölkerungsverlust von 50,37 % (vorrangig in Wolfen-Nord) zu verkraften.
Die überdurchschnittlichen Bewohnerverluste haben den Ausschlag für die zwischen 2000 und 2013 erfolgten Abbrüche von ca. 6.000 WE gegeben.
Innerhalb Wolfen-Nords gestalten sich die Leerstände im Bereich
»Ost« moderat. Das resultiert im Wesentlichen aus dem hohen Anteil der betagten Bewohner, die wesentlich weniger mobil als die jüngere Bevölkerung sind.
Das Durchschnittsalter in diesem Stadtteil liegt bei 61 Lebensjahren.
In den Bereichen Wolfen-Nord (Mitte und West) ist der größte Einwohnerverlust der Stadt Bitterfeld-Wolfen zu verzeichnen. Die Einwohnerzahlen haben sich hier mehr als halbiert. Durch die in den kommenden Jahren geplanten Abbrüche erfolgt eine gewisse Kompensation in diesen Stadtgebieten. Die Erfahrungen der letzten 10-13 Jahre zeigt einen verlangsamten Anstieg der Leerstände. Die großen Bewohnerverluste in den Jahren nach 1997 haben sich auf geringere Werte eingepegelt. (...).
Von 1.268 arbeitslosen Bewohnern im OT Wolfen im Jahr 2013, lebten 814 Bewohner in Wolfen- Nord, das sind 64,2 % aller Arbeitslosen des OT Wolfens." (S.11f.)

Die Auflistung der Bevölkerungsverluste in der obigen Tabelle lassen jedoch keinen Rückschluss auf den behaupteten Kausalzusammenhang zu. Vielmehr könnte der Abriss selber die Abwanderung auch zusätzlich beschleunigt haben. In Wolfen-Nord (Ost) wurden nur 144 Wohnungen abgerissen, während es in Wolfen-Nord (Mitte/West) im gleichen Zeitraum 5.982 Wohnungen waren (vgl. Steckbriefe). Der Abriss in Mitte/West könnte in erster Linie der Stigmatisierung des Teilgebiets als sozialer Brennpunkt und der niedrigen Einkommen der Bewohner geschuldet sein.

2015

BITTERFELD-WOLFEN (2015): Archivale des Monats: 100 Jahre Wohnkolonie Wolfen, Januar

WBG/NEUBI (2015): Bisher 57 Millionen Euro Fördermittel für Stadtumbau in Bitterfeld-Wolfen.
Wir sprachen über Probleme und Perspektiven der Städtebauförderung mit Stefan Hermann, Geschäftsbereichsleiter Stadtentwicklung und Bauwesen in der Stadtverwaltung,
in: Gemeinsames Mietermagazin, April

Stefan HERMANN beschreibt rückblickend das Expo 2000-Projekt als Fehler:

"Wo im Jahre 1990 noch 34.000 Menschen lebten, sind es heute noch 8.000. Hätte man das Tempo der Abwanderung nach der Jahrhundertwende vorausgesehen, dann wäre wohl kaum die Sanierung des WK 4.4 um den Villefontainer Platz zu einem Expo-Objekt erklärt worden." (S.3)

WBG/NEUBI (2015): Die WBG und der Stadtumbau.
Visionen für Wolfen Nord,
in: Gemeinsames Mietermagazin, April

Die WBG erklärt uns, warum großflächiger Abriss in Wolfen Nord sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft sein musst(e):

"Angesichts des enormen Instandhaltungsstaus und der Notwendigkeit, den Mietern zeitgemäße Wohnungen zu bieten, realisierte die WBG in den 90er Jahren ein umfangreiches Modernisierungsprogramm; unterstützt durch umfangreiche Fördermittel. Damals gingen alle Experten davon aus, dass es möglich sein würde, Wolfen-Nord als Ganzes zu erhalten. Keiner hatte mit dem Tempo gerechnet, in welchem wegen des Wegbrechens der Arbeitsplätze in der Industrie die Menschen abwanderten und damit der Leerstand (...) entstand. (...).
Damit sich Wolfen-Nord nicht in eine »Geisterstadt« mit leeren und halbleeren Häusern verwandelte, begann die WBG den Abriss im Jahre 2000 mit der Willy-Sachs-Straße 11-16. Bis heute wurden fast 2.500 WBG-Wohnungen (von ursprünglich etwa 6.000) abgerissen, was ein wesentlicher Beitrag zur Bereinigung des Wohnungsmarktes und zur Stabilisierung der Wohnungsunternehmen darstellt. (...).
Bis Ende dieses Jahrzehnts wird die WBG aufgrund der Bevölkerungsentwicklung noch weitere 1.000 Wohnungen abreißen müssen. (...). Seit Anfang 2013 hat deshalb die WBG ihre Mieter (...) in verschiedenen Medien darüber informiert, dass sie den WK 4.4 aufgibt und sich auf zentrumsnahe Bereiche konzentriert" (S.4)  

NAGEL, Tobias (2015): Wolfen-Nord, April

Dokumentation zum Stand des Wohnungsabrisses mit Fotos. Tobias NAGEL beziffert den Wohnungsbestand auf 13.636 WE. Im April 2015 hat sich dieser auf 8.268 WE verringert. NAGEL unterscheidet vier Wohnkomplexe, wobei der vierte WK nochmals in 4 WKs untergliedert ist. Dazu werden folgende Zahlen vermerkt:

Wohnkomplexe Bauzeit Bauweise Wohneinheiten
(Bauende)
Wohneinheiten
(Abriss)
1 1959 - 1963 Blockbauweise 1.935 WE 16 WE
2 1963 - 1966 Blockbauweise 1.520 WE 184 WE
3 1973 - Plattenbauweise 3.430 WE 512 WE
4

- 1989

Plattenbauweise    
4.1     1.286 WE 1.286 WE
4.2     1.212 WE 1.152 WE
4.3     1.396 WE 1.396 WE
4.4     2.857 WE max. 1.057 WE
Insgesamt     13.636 WE 5.603 WE

Nimmt man die Zahlen des Textes, dann gibt es nur noch 8.033 Wohneinheiten, d.h. von den 8.268 WE im April 2015 müssen noch 235 WE abgerissen werden. Das Stadtentwicklungskonzept der Stadt Bitterfeld-Wolfen gibt dagegen an, dass es Ende 2014 nur noch 6.988 Wohnungen im Bestand der organisierten Wohnungswirtschaft gab, die mehr als 99 % des Wohnungsbestandes in Wolfen-Nord ausmachen. Bis Ende 2014 waren dort demnach 6.036 Wohnungen abgerissen worden.

CZERWONN, Frank (2015): 55. Jahrestag von Wolfen-Nord: Verwirrung um Jubiläum.
Grundsteinlegung wird am falschen Tag gefeiert,
in: Mitteldeutsche Zeitung v. 14.06.

Frank CZERWONN berichtet darüber, dass der 55. Jahrestag der Grundsteinlegung von Wolfen-Nord einen Monat zu früh gefeiert wird. Grundsteinlegung war erst am 15. Juli 1960.

BERTELSMANNSTIFTUNG (2015): Sachsen-Anhalts Bevölkerung schrumpft weiter und wird immer älter.
Länderbericht Sachsen-Anhalt: Sachsen-Anhalts Bevölkerung wird in den kommenden Jahren im bundesweiten Vergleich am stärksten schrumpfen. Während die Städte weniger stark von dieser Entwicklung betroffen sind, dünnt der ländliche Raum weiter aus. Die Kommunen stellt das vor ganz unterschiedliche Herausforderungen,
in: Pressemitteilung BertelsmannStiftung v. 07.08.

Eine Abfrage der Bevölkerungsprognose 2012 bis 2030 im Wegweiser Kommune ergab für Bitterfeld-Wolfen folgendes Ergebnis (Stand: 20.02.2020):

Rang
(2018)
Gemeinde Landkreis Bevölkerung
(31.12.2018)
Bevölkerung
(31.12.2012)
Prognose BertelsmannStiftung Typ
2012
(Basis)
2020 2025 2030 Median-
alter 2030
(Durchschnitts-
alter 2030)
8 Bitterfeld-Wolfen Anhalt-Bitterfeld 38.475 41.816 41.840 36.210
(- 13,4 %)
33.240
(- 20,6 %)
30.610
(- 26,8 %)
56,8 Jahre
(52,3 Jahre)
9

WBG/NEUBI (2015): 55 Jahre Wolfen-Nord.
Kleiner, aber attraktiver und lebenswerter als jemals zuvor,
in: Gemeinsames Mietermagazin, September

Die WBG erzählt uns die Geschichte von Wolfen-Nord, die am 15.07.1960 mit der Grundsteinlegung begann. Das Gebiet wurde demnach als Wohnstandort ausgewählt, weil es dort keine abbaubare Braunkohle gab und gute Verkehrsanbindungen zu den Industriegebieten bestand. Eine geplante Bahnanbindung wurde jedoch nie realisiert. Statt der Bahntrasse kam im Jahr 2000 der Nordpark. Geplant waren ursprünglich nur 4.768 Wohnungen, entstanden sind aber bis Anfang der 1990er Jahre rund 13.500 Wohnungen auf der grünen Wiese für ca. 34.000 Menschen. Da die Siedlung weitab von einem Stadtzentrum entstand, waren ursprünglich entsprechende Einrichtungen geplant, aber auch diese wurden nie realisiert.

Die Bebauung wird folgendermaßen beschrieben:

"Von 1961 bis 1965 wurde der 1. Wohnkomplex mit ca. 2.000 Wohnungen gebaut. Die 4-stöckigen Gebäude in Großblockbauweise sind in aufgelockerter Zeilenstruktur angeordnet. Diese Struktur wurde im 2. Wohnkomplex (1966-70) beibehalten. Dazu gehören ca. 1.5000 Wohnungen in 5-stöckigen Häusern in Plattenbauweise. Es folgten der 3. Wohnkomplex mit ca. 3.400 Wohnungen und der 4. Wohnkomplex mit etwa 6.800 Wohnungen in den Jahren 1971 bis 1979 und 1980 bis 1991. (...). An die Stelle der lockeren Zeilenbauweise ist hier die Anordnung in Wohnblöcken mit Innenhöfen getreten. Die Häuser haben anfangs noch fünf, später sechs Etagen. Die Bebauungsdichte war hoch, vor allem in den beiden zuletzt errichteten Bauabschnitten des 4. Wohnkomplexes. Allerdings weist der 3. Bauabschnitt eine große Lücke auf, da er nicht fertig gestellt wurde. In den beiden letzten Bauabschnitten des 4. Wohnkomplexes wurden Häuser vom Typ WBS 70 mit relativ großen Wohnungen gebaut." (S.6)

Im Rahmen des Expo 2000-Projektes "Vorsorgende Erneuerung der Plattenbausiedlung Wolfen-Nord" wurde dann in die letzten beiden Bauabschnitte kräftig investiert. Es entstand der Nordpark. Während in den 1990er Jahren massiv in die Sanierung der Wohnkomplexe investierte, wurde in den Nulller Jahre die Leerstandsproblematik zum Hauptproblem. Aus der Sicht der WBG wird dieses Problem folgendermaßen beschrieben:

"Durch den Strukturwandel der Wirtschaft (Wegfall alter Industrien, geringer Personalbedarf der neuen Unternehmen) fehlte es einfach an Arbeitsplätzen - was vorwiegend in der jungen Bevölkerung der zuletzt gebauten Bereiche (WK 4) zu massenhafter Abwanderung führte. Trotz massiven Abrisses setzt sich die Verringerung der Bevölkerungszahl von Wolfen-Nord bis heute fort, wobei seit einigen Jahren allerdings nicht mehr die Abwanderung, sondern die geringe Geburtenrate die Hauptursache ist. So sank die Einwohnerzahl von etwa 36.000 auf heute etwa 8.000.
Weit 2000 konnte dank Fördermitteln aus dem Projekt »Stadtumbau Ost« und Eigenmitteln der beiden Wohnungsunternehmen durch den Abriss nicht mehr benötigter Gebäude das Entstehen einer »Geisterstadt« mit vielfältigen negativen Folgen verhindert werden." (S.7)

BERNT, Matthias (2015): Schlüsselfiguren bei der Entstehung des "Stadtumbau Ost", ISR-Diskussionspapier, Erkner, November

Matthias BERNT sieht das Thema "struktureller Wohnungsleerstand" erst seit 1997 auf der politischen Agenda stehen. Innerhalb von 4 Jahren mündete dies dann ins Bundesprogramm Stadtumbau Ost. Wohnungsunternehmen in strukturschwachen Regionen, die von der Krise der Wohnungswirtschaft seit Mitte der 1990er Jahre besonders betroffen waren, sind Treiber dieses Themas gewesen. Dazu gehören die DDR-Entwicklungsstädte Sangerhausen, Hoyerswerda, Schwedt (Oder) und Wolfen. Entscheidend für den Stadtumbau Ost waren auch die Handlungsempfehlungen der  Expertenkommission Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern. Das Stadtumbauprogramm Ost wurde von den Wohnungsgesellschaften vorrangig als Abrissunternehmen interpretiert.

Als Schlüsselfiguren werden je eine Person aus Staat (Staatssekretär im sächsischen Innenministerium und späterer Innenminister), Wohnungswirtschaft (Geschäftsführerin des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft) und Politikberatung (Geschäftsführer der Empirica AG) präsentiert. Den Namen, den uns BERNT für Sachsen präsentiert, stimmt nicht mit jener Person überein, die dort 2005 Innenminister war.

Bitterfeld-Wolfen (2015): Stadtentwicklungskonzept STEK 2015 - 2025, Dezember

Die Steckbriefe ergeben folgende Abriss- und Gebietsentwicklungen in den Statistischen Gebieten von 2001 - 2014:

Gebietsname Gebietstyp

Wohnungsabrisse

Förder-
programm
Wohnungs-
bestand
(insgesamt)
Ende 2014

Organisierte Wohnungswirtschaft

2001-2014

Planziele

Wohnungsbestand Leer-
stand
Ende
2014
2020 Wohnungs-
wirtschaft
2025
Stadt
2025
Ende
2014
Anteil am
Gesamt-
bestand
Ende
2014
Bitterfeld-Wolfen   ca. 6.600 WE 3.095 WE     verschiedene 27.998 WE 13.153 WE - 26,0 %
OT Bitterfeld                    
Anhaltssiedlung Siedlung 70 WE 67 WE 140 WE keine Stadtumbau

-

1.009 WE 95 % 19,3 %
Dichterviertel Siedlung 43 WE 40 WE unbekannt keine Stadtumbau - 656 WE 75 % 24,8 %
Dessauer Vorstadt - keine 90 WE unbekannt keine Stadtumbau - 212 WE 20 % 24,1 %
Auensiedlung - keine 16 WE unbekannt keine Stadtumbau - 219 WE 12 % 11,4 %
Innenstadt - 65 WE 114 WE unbekannt keine verschiedene   912 WE 65 % 20,4 %
Mittlere Vorstadt zentrale
Wohnlage
2 WE 29 WE unbekannt keine Stadtumbau   140 WE 20 % 19,3 %
Gartenstadt Süd - keine keine unbekannt keine Stadtumbau   10 WE 7 % 0 %
Länderviertel zentrale
Wohnlage
keine 9 WE unbekannt keine Stadtumbau   368 WE 40 % 18,2 %
Kraftwerkssiedlung Siedlung 14 WE 242 WE unbekannt keine Stadtumbau   459 WE 30 % 11,0 %

Industrie- bzw.
Chemiepark

k. A.

k. A. k. A. k. A. k. A. k. A. k. A. k. A. k. A. k. A.
OT Wolfen                    
Altstadt Eigenheim-
geprägt
135 WE 88 WE unbekannt keine Stadtumbau   633 WE 25 % 15,3 %
Musikerviertel - 80 WE keine keine keine Stadtumbau   380 WE 95 % 8,2 %
Wolfen-West Siedlung 0 0 keine keine kein   0 WE 0 % 0 %
Krondorf Stadtteil 0 0 140 WE keine Stadtumbau   1.326 WE 98 % 25,0 %
Steinfurth Eigenheim-
siedlung
0 0 keine keine kein   0 WE 0 % 0 %
Wolfen-Süd Eigenheim-
gebiet
0 0 keine keine kein   0 WE 0 % 0 %
Wolfen-Nord Plattenbau-
siedlung
6.036 WE 2.235 WE min. 2.100 WE keine Stadtumbau
Soziale Stadt
  6.998 WE    
Wolfen-Nord (Ost) Plattenbau-
siedlung
144 WE 0 min. 700 WE keine Stadtumbau
Soziale Stadt
  1.782 WE 100 % 23,7 %
Wolfen-Nord
(Mitte/West)
Plattenbau-
siedlung
5.892 WE 2.235 WE 1.400 WE keine Stadtumbau
Soziale Stadt
  5.216 WE 99 % 33,1 %
OT Bobbau Dorflage 0 0 keine keine Dorferneuerung   0 WE 0 % 0 %
OT Greppin                    
Ortsteil Dorflage 0 0 keine keine Dorferneuerung   0 WE 0 % 0 %
Gagfah-Siedlung Siedlung 0 165 WE 258 WE keine Dorferneuerung   258 WE 70 % 74,0 %
Wachtendorf dörfliche
Siedlung
0 0 keine keine Dorferneuerung   0 WE 0 % 0 %
OT Holzweißig                    
Holzweißig Alt Dorflage 0 0 keine keine Dorferneuerung   220 WE 15 % 6,0 %
Holzweißig Neu - 0 0 keine keine Dorferneuerung   0 WE 0 % 0 %
OT Reuden Dorflage 0 0 keine keine kein   0 WE 0 % 0 %
OT Rödgen Dorflage 0 0 keine keine kein   0 WE 0 % 0 %
OT Thalheim Dorflage 0 0 keine keine Dorferneuerung   0 WE 0 % 0 %
OT Zschepkau Dorflage 0 0 keine keine kein   0 WE 0 % 0 %

Für Ende 2014 wird im Steckbrief für Bitterfeld-Wolfen ein Wohnungsbestand von 27.998 WE angegeben. Dies entspricht jedoch dem Wohnungsbestand im Jahr 2010 wie er im Statistischen Jahresbericht 2012 der Stadt Bitterfeld-Wolfen angegeben wird. Ende 2014 ging dagegen der Wohnungsbestand auf 27.679 WE zurück. Die Angaben zur Einwohnerschaft von Bitterfeld-Wolfen und  Wolfen-Nord stammen dagegen vom Ende des Jahres 2014. 

Ende 2014 gab es 6.998 Wohnungen im Bestand der organisierten Wohnungswirtschaft in Wolfen-Nord. Bei einem Abrissvolumen von 6.036 Wohnungen (144 WE im Osten und 5.892 WE in Mitte/West)  ergibt sich ein Anfangsbestand von 13.024 WE Ende es Jahres 2000.

Die Tabelle zeigt, dass zwischen Planung und tatsächlichen Abrisszahlen teilweise erhebliche Differenzen bestehen. Abrisszahlen, die weit über dem Plansoll liegen gibt es insbesondere in Gebieten mit einem hohen Anteil der organisierten Wohnungswirtschaft und in den Plattenbaugebieten. Nach dem Stadtentwicklungskonzept (ohne Industrie- bzw. Chemiepark) war der Abriss von 3.095 Wohnungen bis 2020 geplant. Tatsächlich wurden mehr als doppelt so viele Wohnungen (6.445) abgerissen.

Auf Seite 21 wird für Wolfen Nord der Abriss von 3.401 WE (2005 - 2013) und von 5.955 WE (2000 - 2013) angegeben. Daraus ergibt sich ein Abriss von 2.554 WE von 2000 - 2005. Zur Bewohnerschaft in Wolfen-Nord heißt es:

"Von 1.063 arbeitslosen Bewohnern im Ortsteil Stadt Wolfen im Jahr 2014, lebten 664 Bewohner in Wolfen-Nord, das sind 62,5 % aller Arbeitslosen des Ortsteil Stadt Wolfens." (S.26)

2016

WBG/NEUBI (2016): Abriss im Ring der Bauarbeiter,
in: Gemeinsames Mietermagazin, März

Die WBG verkündet den bevorstehenden Abriss der Gebäude Ring der Bauarbeiter 87-93 und 111-125, der dann jedoch erst größtenteils im Jahr 2017 stattfinden wird.

SCHRÖTER, Stefan (2016): Rückbau in Wolfen-Nord.
Die nächste Abrissrunde kommt,
in: Mitteldeutsche Zeitung v. 01.07.

Stefan SCHRÖTER kündigt den Rückbau von 900 Wohnungen in Wolfen-Nord an. Folgende Wohnblöcke stehen auf der Abrissliste: Ring der Bauarbeiter 59 - 125 (ungerade Hausnummern), Auenstraße 5 - 8, Grünstraße 1 - 5, 7 - 13, Raguhner Schleife 31 - 37 & 39, Straße der Völkerfreundschaft 40 - 50, Virchowstraße 22-30, Wittener Straße 1 - 5

WGW (2016): Baumaßnahmen,
in:
besser wohnen, Heft 3

Die WGW berichtet über Teilrückbaumaßnahmen in Wolfen-Nord:

"Aus dem ehemaligen 5-Geschosser (Straße der Chemiearbeiter 21 – 37) sind zwei kleinere 3-Geschosser (Straße der Chemiearbeiter 23 – 27 und 31 – 35) entstanden."

2017

BMI (2017): Umgang mit Leerstand. Lokale Experten berichten, Januar

Stefan HERMANN von der Stadt Bitterfeld-Wolfen berichtet über die Entwicklung in Wolfen-Nord nach der Wende bis zum ersten Abriss im Jahr 2000:

"Anfang der 1990er Jahre, also lange vor der Fusion mit Bitterfeld. Da verfolgte die Stadt Wolfen eine Aufwertungsstrategie für die gesamte Großwohnsiedlung Wolfen-Nord mit 35.000 Einwohnern und 13.000 Wohnungen. Das hat sich 1995 grundsätzlich gewendet, nachdem die Erstprivatisierung des Chemieparks gescheitert ist und eine der größten Beschäftigungsgesellschaften der neuen Bundesländer begonnen hat, die Produktionsstätten abzureißen. Damit setzte der Bevölkerungsschwund ein. Die jungen Familien, die in den 1980er Jahren nach Wolfen-Nord gezogen waren, verließen die Region. Wir haben dann 1996 die Erneuerungsgesellschaft Wolfen-Nord (EWN) gegründet, die 1997 mit den damals noch drei Wohnungsunternehmen und der Stadt gemeinsam das erste Leitbild für die Stadt entwickelt hat. 2002 wurden die Stadtwerke Mitgesellschafter der EWN, dadurch war der Infrastrukturversorger fast von Anfang an direkt in den Stadtumbau eingebunden. 1999 haben wir den ersten Antrag auf Rückbau gestellt und 2000 haben wir die ersten beiden Blöcke vom Markt genommen. Parallel wurde noch vor dem Stadtumbau-Ost- Programm das Stadtentwicklungskonzept erarbeitet. Darin wurde festgelegt, bis 2010 circa 6.000 Wohnungen allein in Wolfen-Nord abzureißen, ein Ziel das wir tatsächlich erreicht haben." S.49f.)

Zur Leerstandsproblematik heißt es:

"In Wolfen-Nord standen im Jahr 2000 rund 30 Prozent der damals rund 13.000 Wohnungen leer. Unter der Leitung der Entwicklungsgesellschaft Wolfen-Nord wurde der Rückbau dann stringent durchgezogen. Bis 2010 haben wir 6.100 Wohnungen vom Markt genommen und einen Leerstand von rund 15 Prozent erreicht. Die Unternehmen haben dann gesagt, damit können wir erst mal leben. Wir haben uns daher in Abstimmung mit dem Land zwei Ruhejahre auferlegt. Aber schon 2013 war der Leerstand wieder bei 26 Prozent. Mittlerweile liegt das nicht mehr am Wanderungsverlust, sondern an der Überalterung der Bevölkerung. (...).
Wir gehen davon aus, dass wir in der Gesamtstadt, also Bitterfeld und Wolfen zusammen, bis 2025 noch etwa 3.500 bis 4.000 Wohnungen vom Markt nehmen müssen, um auf eine Leerstandsquote zwischen zehn und 15 Prozent zu kommen. Der Großteil des Abrisses wird in Wolfen- Nord stattfinden. In drei bis vier anderen Siedlungen sollen außerdem punktuell Rückbaumaßen erfolgen." (S.43f.)

HERMANN schildert die Probleme beim Abriss:

"In Wolfen-Nord war das (...) nicht so einfach mit dem Rückbau, weil die drei Wohnungsunternehmen verschiedene Strategien haben. Eine Genossenschaft hat sich ganz aus der Siedlung zurückgezogen. Unsere kommunale Gesellschaft investiert ausschließlich im Kernbereich von Wolfen-Nord. Gemeinsam mit der zweiten Wohnungsgenossenschaft verfolgt sie das Ziel, das Quartier 4.4 perspektivisch in Gänze aufzugeben. Das geschieht auch in Rückkoppelung mit den Versorgungsunternehmen, die sonst Probleme bekommen, irgendwo noch zwei beziehungsweise drei Blöcke zu versorgen. Ansonsten verlagert sich das Thema Rückbau mehr und mehr auf die etwas kleinteiligeren Siedlungsgebiete. Wir haben in Wolfen noch Krondorf, eine in Blockbauweise errichtete Siedlung mit einem derzeitigen Altersdurchschnitt der Bewohner von über 65 Jahren (...).
Bis auf zwei Blöcke gibt es in Wolfen schon seit 2005 keinen nicht mindestens teilsanierten Block mehr. Das heißt, der Rückbau betrifft auch sanierte Gebäude." (S.55)

Die verschiedenen Akteure in Wolfen-Nord haben dabei ganz unterschiedliche Interessen:

"Unsere kommunale Gesellschaft hat vor zwei Jahren gesagt, wir ziehen uns bis 2025 komplett aus dem außenliegenden Quartier 4.4 zurück. Jetzt kann man sagen, das wird der Kommunalen nicht schwer gefallen sein, weil die dort nur noch rund 350 Wohnungen hat. Die Genossenschaft ist in dem Quartier mit etwa zwei Dritteln ihres gesamten Bestandes am Markt, das ist natürlich eine ganz andere Situation.
Die hatte gehofft, dass Mieter des kommunalen Unternehmens zur Genossenschaft wechseln. Aber das ist nicht eingetreten. Viele zahlen lieber 50 Euro mehr Miete für eine adäquate, zentrumsnähere Wohnung. Die Genossenschaft hat dann gesagt: Wir halten unsere Bestände noch, weil wir unsere Mieter nicht verlieren wollen, werden aber nicht mehr groß investieren. Und daraufhin hat die Stadt entschieden, wir investieren in die kommunale Infrastruktur nicht mehr. Der mitdenkende Bürger weiß, wo es langgeht." (S.58)

Fehlprognosen hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung haben zu Überkapazitäten bei der Infrastruktur geführt:

"Bei uns ist es eher problematisch, dass wir – abgesehen von den Kindereinrichtungen und Schulen – trotz des massiven Bevölkerungsverlustes immer noch dieselbe kommunale Infrastruktur haben. Wir haben in Wolfen-Nord einen völligen Überbesatz beim Verkehr, der Ver- und Entsorgung, bei Handel und Dienstleistungen und auch bei Ärzten. (...).
Wir waren 2006 noch sehr euphorisch und haben im INSEK eine Stabilisierung für Wolfen-Nord bei rund 9.000 Einwohnern beschrieben. Jetzt haben wir knapp 8.000. Fakt ist aber, man sollte versuchen, den städtebaulichen Kern zu halten. Deshalb gibt es bei uns Überlegungen auf Rückbauflächen Neubau zu machen." (S.62f.)

Außer dem Abriss und Aufwertungsmaßnahmen an Gebäuden gibt es so gut wie keine Maßnahmen zur Erhöhung der Lebensqualität:

"Das Quartiersmanagement hat von Anfang an die Erneuerungsgesellschaft Wolfen-Nord betrieben. Wir haben es nur dahingehend umstrukturiert, dass wir das Büro in das Mehrgenerationshaus verlagert haben. Es wird jetzt parallel über ein lokales Netzwerk kofinanziert. Die lokalen Unternehmen geben ein gewisses Budget für soziale Projekte vor Ort. Ein drittes Standbein ist das aus EU-Geldern finanzierte Bundesprogramm »Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier« (BIWAQ), ein Partnerprogramm des Städtebauförderprogramms Soziale Stadt." (S.66)

LOBENSTEIN, Caterina (2017): Hier herrscht Klassenkampf.
Sachsen-Anhalt: In der Arbeiterstadt Bitterfeld ist die AfD stärkste Partei. Ihre Wähler haben nicht nur mit Flüchtlingen ein Problem, sondern auch mit dem Kapitalismus,
in:
Die ZEIT Nr.2 v. 05.01.

Kreisreformen sollen gemäß LOBENSTEIN nur über die Probleme der Kommunen hinwegtäuschen:

"Im Jahr 2007 gab es eine Kreisreform, Bitterfeld wurde mit der Nachbarstadt Wolfen zusammengelegt, gegen den Willen der Bürger. So machen es viele Kommunen hier: Sie verschmelzen, damit sie sich als Standort besser vermarkten können. Sie rücken zusammen, damit man nicht sieht, wie schnell sie schrumpfen und altern. (...)."

WGW (2017): Vorschau: Baumaßnahmen 2017,
in:
besser wohnen, Heft 1

Die WGW meldet Vollzug beim Teilrückbau in der Straße der Chemiearbeiter 21-37 (2 von 5 Stockwerken und 3 Hausgänge sind entfallen). Als nächster Teilrückbau steht die Albert-Schweizer-Str. 2-20 an (2 von 5 Stockwerken und 2 Hauseingänge entfallen). Abgerissen werden sollen die Gebäude Virchowstr. 22-30 (5 Stockwerke), die Grünstraße 16-20 (6 Stockwerke) und die Wittener Str. 19-27 (6 Stockwerke). In der Straße der Völkerfreundschaft sollen Neubauten (4-Familienhäuser und Reihenhäuser entstehen). 

STADT BITTERFELD-WOLFEN (2017): Statistische Kurzinformationen der Stadt Bitterfeld-Wolfen (Stand 06.03.),
in: bitterfeld-wolfen.de v. 17.04.

WGW (2017): Baumaßnahmen in Wolfen-Nord,
in:
besser wohnen, Heft 3

Die WGW meldet die Fertigstellung des Teilrückbaus in der Albert-Schweitzer-Straße 4-18. Für 2018 wird ein Teilrückbau in der Straße der Chemiearbeiter 39-61 in Aussicht gestellt.

WBG/NEUBI (2017): Vorhaben in Wolfen-Nord und Krondorfer Gebiet.
in: Gemeinsames Mietermagazin, September

"Abriss von 180 Wohnungen
Bekanntlich gehört neben der Aufwertung der Wohngebäude notwendigerweise zur WBG-Strategie auch der Abriss nicht mehr benötigter Wohnung. In diesem Jahr erfolgt eine der größten Abrissaktionen der letzten Jahre: der Abriss der Gebäude Ring der Bauarbeiter 59-69, 89-93 und 111-125. An diesem Standort werden 180 Wohnungen vom Markt genommen" (S.7), meldet die WBG.

2018

BUNDESBAUMINISTERIUM (2018): Bundesprogramm Stadtumbau Ost 2018

Die folgende Tabelle zeigt die Wohnungsdaten zu Wolfen-Nord aus den Programmjahren 2009 bis 2018:

Jahr Wohnungs-
bestand
Leerstands-
quote

Geförderter Wohnungsabriss
bis Programmjahr

2009 9.155 WE 16,4 % -
2010 9.155 WE 16,4 % 5.185 WE
2011 9.155 WE 16,4 % 5.227 WE
2012 9.155 WE 16,4 % 5.435 WE
2013 9.155 WE 16,4 % 5.580 WE
2014 7.375 WE 16,4 % 5.733 WE
2015 7.183 WE 16,4 % 6.147 WE
2016 7.183 WE 16,4 % 6.190 WE
2017 7.183 WE 18 % 6.793 WE
2018 7.183 WE 18 % -

ROSTALSKY, Ulf (2018): Stadtentwicklung in Wolfen-Nord.
Das Sorgenkind braucht eine Zukunft,
in:
Focus Online v. 08.08.

"Die bisher gültige Prognose geht von 8.000 Einwohnern in der Wohnsiedlung aus - ein riesiger Einschnitt. Immerhin lebten zur Wendezeit in Wolfen-Nord fast 35.000 Menschen. Heute rudert die Stadt noch weiter zurück. Aktuell haben im Plattenbauquartier nur 6.900 Leute ihr Zuhause",

berichtet Ulf ROSTASKY von der Mitteldeutschen Zeitung über Wolfen-Nord, deren Bewohnerschaft im Durchschnitt 51 Jahre alt ist.

2019

IfS (2019): Jahresbericht 2018 der Begleitforschung Stadtumbau Land Sachsen-Anhalt (Datenstand: 31.12.2017) im Auftrag der Stadt Halle, Juni

Vier der aktuell 45 Stadtumbaustädte liegen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld:

Kommunen

Landkreis (Anzahl Kommunen) Gemeindegröße
(2018)
Typisierung
gemäß
dominierendem
Wohnungs-
bestand
Rang gemäß
Bevölkerungs-
entwicklung
(2002-2017
Bevölkerungs-
entwicklung
(2002-2007
Aken Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Köthen)
Kleinstadt k.A. 31 - 15 - 20 %
Bitterfeld-Wolfen Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Bitterfeld)
Mittelstadt Plattenbaustadt 45 - über 25 %
Köthen (Anhalt) Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Köthen)
Mittelstadt k.A. 27 - 15 - 20 %
Zerbst (Anhalt) Anhalt-Bitterfeld
(bis 2007: Landkreis Köthen)
Mittelstadt Altbaustadt 30 -15 - 20 %

Bitterfeld-Wolfen gehört neben Hohenmölsen, Sangerhausen und Stendal zur Minderheit der "Plattenbaustädte" bei den näher betrachteten 25 Stadtumbaustädten ( vgl. S.74). Bitterfeld-Wolfen gehört gemäß den Stadtforschern zu den zehn Städten mit dem höchsten Anteil an geförderten Abrissen:

"Relativ hohe absolute Fördersummen von je mehr als 4 Mio. Euro entfallen im Zeitraum 2002 bis 2017 auf die 15 Mittelstädte Aschersleben, Bernburg, Bitterfeld-Wolfen, Burg, Dessau-Roßlau, Genthin, Halberstadt, Köthen, Merseburg, Sangerhausen, Schönebeck, Staßfurt, Stendal, Wittenberg und Zeitz. (...).
Im Zeitraum 2002-2017 wurde nach Angaben des Ministeriums für Landesentwicklung und Verkehr (MLV) in den 45 Stadtumbaustädten der Rückbau von insgesamt 81.699 Wohnungen bewilligt und der Rückbau von 78.438 Wohnungen umgesetzt (96,0 Prozent). Drei Viertel aller Rückbauten entfielen mit 58.647 der insgesamt 78.438 realisierten Rückbauten auf die zehn rückbaustärksten Städte (Halle, Dessau-Roßlau, Magdeburg, Bitterfeld-Wolfen, Stendal, Merseburg, Sangerhausen, Halberstadt, Wittenberg, Zeitz). Die Rückbautätigkeit ist allerdings auch in diesen zehn Städten stark rückläufig". (S.88)

BRANDT, Martina/DAHLBECK, Elke/FLÖGEL, Franz/GÄRTNER, Stefan/SCHLIETER, Dajana/SCHILCHER, Christian (2019) Raum und Unternehmen. Zur Funktionsweise von Unternehmensengagement in Regionen mit Entwicklungsbedarf, Nomos Verlag

Das Autorenteam legt u.a. Ergebnisse zu einer Fallstudie über Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt dar. Die Stadt wird mit Daten von Ende 2016 folgendermaßen charakterisiert:

"Wolfen bildet mit rund 16.641 (40,6 Prozent) Einwohnerinnen und Einwohnern den größten Ortsteil, dich gefolgt von Bitterfeld mit 15.250 (37,2 Prozent) Einwohnerinnen und Einwohnern. Die 45- bis 64-Jährigen bilden mit einem Anteil von 32,4 Prozent die am stärksten vertretene Altersgruppe, gefolgt von den 65-Jährigen und älter mit 28,9 Prozent. Hinsichtlich der Altersverteilung bestehen in den Ortsteilen der Stadt Bitterfeld-Wolfen große Unterschiede, so liegt der Anteil der 65-Jährigen und älter in der Stadt Wolfen bei 35,5 Prozent, in Reuden hingegen bei knapp 19,0 Prozent. Das Durchschnittsalter lag am 31.12.2016 bei 49 Jahren und stieg seit 2007 um zwei Jahre.
Bitterfeld-Wolfen verzeichnet seit der Zusammenlegung im Jahr 2007 einen Bevölkerungsrückgang um 10,6 Prozent zwischen den Jahren 2007 (45.830 Einwohnerinnen und Einwohner) und 2016 (40.964 Einwohnerinnen und Einwohner)." (S.81f.)

Für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld wird die 6. regionalisierte Bevölkerungsprognose 2014 bis 2030 herangezogen:

"Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld wird einer Prognose zufolge bis zum Jahr 2030 einen Bevölkerungsrückgang von 14,7 Prozent verzeichnen, wobei insbesondere die Altersgruppe 67 Jahre und älter zunehmen wird (+ 17,1 Prozent). Diese demographische Veränderung stellt eine der zentralen Herausforderungen Bitterfeld-Wolfens dar. Neben dem Rückgang der Bevölkerung insgesamt, wird dem Raum Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung bis zum Jahr 2035 ein Rückgang der Erwerbspersonen um bis zu 40 Prozent prognostiziert (BBSR Raumordnungsprognose 2035). (...).
Der Zahl der Arbeitslosen ist im Landkreis Anhalt Bitterfeld seit dem Jahr 2014 (8.788 Arbeitslose) um über 30 Prozent zum Jahr 2017 (6.119 Arbeitslose) gesunken." (S.82f.)

Die gute Verkehrsanbindung soll dazu führen, dass viele Pendler in Bitterfeld-Wolfen arbeiten, entscheidender dürfte jedoch das schlechte Image der Stadt sein:

"Bitterfeld-Wolfen ist verkehrstechnisch gut erschlossen: Die Städte Halle (Saale), Leipzig und Dessau-Roßlau sind in kurzer Zeit erreichbar, wobei insbesondere die gute Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln hervorzuheben ist. Die Autobahn A 9 sowie die Bundesstraßen 183 und 184 verbinden Bitterfeld-Wolfen mit größeren Städten wie Halle (Saale), Magdeburg, Leipzig und Berlin. Die gute Anbindung an nahe liegende Großstädte, der relativ hohe Besatz an industriellen Arbeitsplätzen und das relativ schlechte Image der S6adt haben unter anderem zur Folge, dass Bitterfeld-Wolfen einen Pendlerüberschuss von 5.191 (12.316 Einpendlerinnen und Einpendler bei 7.125 Auspendlerinnen und Auspendlern; Stand 2015) aufweist." (S.84)

Das Autorenteam beschreibt die Industriegeschichte des Landkreises, wobei der Braunkohleabbau, die Chemie- und Filmindustrie sowie die Versuche eines "Solar Valleys" hervorgehoben werden. Das Resümee:

"(D)er Raum Bitterfeld-Wolfen (wurde) zu DDR-Zeiten zunächst mit hohem finanziellem Aufwand zu einem zentralen Industriestandort ausgebaut (...). Diese industrielle Basis brach mit der Wiedervereinigung zu großen Teilen weg, was hohe Einwohnerverluste, Brachflächen und Wohnungsleerstand zur Folge hatte. Der Versuch eines weiteren industriellen Standbeins - der Solarenergie - konnte keinen anhaltenden Erfolg bieten. Am Standort durchgesetzt hat sich ein Branchenmix mit Fokus auf der Chemieindustrie. Hinzu kam eine »massenmediale Stigmatisierung als ökologische Katastrophenregion« (...) - ein Image, das sich in Teilen bis heute trotz aller positiven Entwicklungen hält. Hinsichtlich dieser anhaltenden Herausforderungen zeigt sich ein Druck für Akteure auf allen Ebenen, sich in der Region zu engagieren und strategische Allianzen zu bilden." (S.88)

Als Strategie gegen die Probleme wird uns der Stadtumbau Ost beschrieben:

"Im Jahr 2002 startete die erste Förderperiode des Bund-Länder-Programms »Stadtumbau Ost - für lebenswerte Städte und attraktives Wohnen«. In Bitterfeld-Wolfen konzentriert sich das Programm »Stadtumbau Ost« auf verschiedene Stadtteile (Anhaltsiedlung, Dichterviertel, Grppin-Gagfah, Innenstadt, Kraftwerksiedlung, Länderviertel, Mittlere Vorstadt, Krondorf, Musikerviertel und Wolfen-Nord) mit den Schwerpunkten Aufwertung und Rückbau, wobei bisher nahezu 80 Prozent der Mittel auf Rückbau verwandt wurden (STEG 2015).
Stadtentwicklung bedeutete zu DDR-Zeiten, insbesondere für den Stadtteil Wolfen-Nord, Neubau von Wohnungen in der sogenannten »Plattenbauweise«. Nach massiver Abwanderung wurden hier insbesondere Rückbaumaßnahmen notwendig. Von 2002 bis 2015 wurden 6.090 Wohnungen zurückgebaut (IfS 2017). Rückbaumaßnahmen bedeuten in diesem Zusammenhang, die Entkernung der Wohnung, der Abriss und daran anschließend die Gestaltung der entstehenden Freifläche (STEG 2015). Seit 2016 wurden diese vor allem in Wolfen-Nord durchgeführt. Die Begleitung und Organisation dieser Umbaumaßnahmen ist ein Hauptaufgabenfeld der Standentwicklungsgesellschaft Bitterfeld-Wolfen mbH (STEG)." (S.89)

Im Jahr 2002 wurde außerdem die IBA Stadtumbau 2010 in die Wege geleitet. Während die Kommune in der Plattenbausiedlung Wolfen-Nord nur Abrisspotential sah, haben sich dort alternative Akteure engagiert. Das Autorenteam nennt hier den Verein Freundeskreis Herzensgemeinschaft Wolfen e.V., der sich im "Quartier 4.4" für ein ökologische Stadtteilprojekt engagiert.

Die Unternehmen in Bitterfeld-Wolfen engagieren sich lediglich im Bereich Fachkräftemangel. Das Autorenteam sieht ein unterdurchschnittliches Engagement im Vereins- Kultur- und Gaststätten-Bereich.

Im Grunde ist nicht der demografische Wandel das Hauptproblem, sondern das massive Imageproblem der Stadt Bitterfeld-Wolfen. Dieses resultiert aus drei Faktoren: Erstens in den ökologischen DDR-Altlasten, zweitens in der Unattraktivität als Wohnstandort und nicht zuletzt darin, dass diese ungelösten Probleme dazugeführt haben, dass die Stadt heutzutage eine AfD-Hochburg ist. Das Fazit des Autorenteams ist dagegen eher milde:

"Die Übernahme von Verantwortung für die Region kann dadurch erschwert werden, dass verhältnismäßig viele Personen aufgrund der Nähe zu Großstädten (...) nach Bitterfeld-Wolfen einpendeln. Somit bleibt nicht nur die in Bitterfeld-Wolfen erwirtschaftete Kaufkraft fern, auch die Identifikation der Personen mit der Region kann erschwert werden. (...).
Der bis Anfang der 2000er Jahre geleistete Aufbau neuer Strukturen hat durch das schnelle Ende der Solarindustrie und das damit verbundenen Webbrechen zahlreicher Arbeitsplätze erneut einen Rückschlag erlitten. (...). Deshalb ist es wichtig, (...) das Image sowohl nach außen als auch nach innen zu ändern - weg von der einst stark umweltbelasteten Region hin zu einer, die vielfältige Möglichkeiten, Sehenswürdigkeiten und touristischen Attraktivitäten bietet. Erschwert wird dies noch durch die erst im Jahr 2007 stattgefundene Zusammenlegung der sieben Ortsteile. Weiterhin hat Anhalt- Bitterfeld durch die Medien das Image einer »AfD-Hochburg« (...). Kooperatives und strategisch gegen rechtes Gedankengut gebündeltes Unternehmensengagement kann ein wichtiger Baustein oder sogar der Aufhänger für Imagekampagnen sein.
Für eine positive Regionalentwicklung, im Besonderen im Kontext von Fachkräftegewinnung, erscheint es notwendig, das zuvor beschriebene, teilsweise noch negativ konnotierte Bild zu verbessern und die positiven Eigenschaften Bitterfeld-Wolfens hervorzuheben. Zu nennen seien hier insbesondere die durch die Neuansiedlung und Festigung der Unternehmen bestehenden Zukunftsaussichten junger Menschen. Eine bedeutende Rolle in diesem Zusammenhang nehmen die Bau- und Wohnungsgesellschaften in Bitterfeld-Wolfen ein. Mit der Modernisierung und Sanierung sowie dem Rückbau maroder Wohngebäude tragen sie zur Steigerung der Wohnqualität bei. (...).
Als zentrale Herausforderungen bleiben festzuhalten: der demographischen Wandel, die Akquise von Fachkräften und die Verbesserung des Images, insbesondere als attraktive touristische Region."

Die Zukunft wird zeigen müssen, ob diese Sicht der tatsächlichen Lage in der Stadt gerecht wird.

IZAH (2019): Das andere Bauhaus-Erbe: Leben in den Plattenbausiedlungen Sachsen-Anhalts heute, Halle, 01.07.

In der folgenden Tabelle sind die Plattenbausiedlungen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld aufgeführt (vgl. S.6f.):

Kommunen

Landkreis Gemeinde-
größe

Name des Plattenbaugebiets

Anzahl
Wohnungen
1991
Anzahl
Wohnungen
nach Rückbau
ab 2000
(Jahr)
Aken Anhalt-Bitterfeld Kleinstadt Dessauer Chaussee/Dessauer Landstraße k. A. k. A.
Bitterfeld-Wolfen Anhalt-Bitterfeld Mittelstadt Krondorf (Wolfen) k. A. k. A.
Wolfen Nord 11.100 8.282 (2008)
Köthen (Anhalt) Anhalt-Bitterfeld Mittelstadt Rüsternbreite 3.600 k. A.
Zerbst (Anhalt) Anhalt-Bitterfeld Mittelstadt Zentrum-Nord 1.200 k. A.

Das Stadtentwicklungskonzept der Stadt Bitterfeld-Wolfen (Stand: August 2007) nennt mit 13.400 Wohneinheiten für Wolfen-Nord höhere Zahlen, wobei dort nicht nur Plattenbauten betrachtet werden.

Bitterfeld-Wolfen (2019): Leitbild 2030 Wolfen-Nord und Krondorf, Städtebauliches Leitbild 4. Fortschreibung (finaler Entwurf)

Das Wohngebiet Wolfen-Nord soll in drei neue Stadtteilviertel umbenannt werden: Fuhnetalviertel, Akademikerviertel und Autorenviertel (vgl. S.6). Der Wohnungsbestand für Ende 2017 wird mit 6.015 WE angegeben. Bis Mitte 2018 sollen weitere 640 WE abgerissen werden. Bis 2025 ist ein weiterer Abriss um 1.030 WE, auf dann nur noch 4.400 WE, geplant (vgl. S.16).

Gemäß der Prognose wird für 2030 mit 5.600 Einwohnern in Wolfen-Nord gerechnet.

Seit 1998 wurden folgende Straßen in Wolfen-Nord zurück gebaut: Emma-Krause-Straße, Erich-Winkler-Straße, Nordring und Sella-Hasse-Straße. Die Grünstraße und die Schulstraße wurden teilweise zurückgebaut (S.27).

WINTER, Steffen (2019): Der Ost-Komplex.
Landtagswahlen: Nirgendwo sonst im Land ist die AfD so stark wie im Osten, nirgendwo sonst fühlen sich die Menschen so benachteiligt und abgehängt - dabei geht es den meisten besser denn je. Ein Blick in die ostdeutsche Seele,
in: Spiegel
Nr.35 v. 24.08.

"Im DDR-Vorzeigeplattenbau Wolfen Nord wohnten einst 35.000 Menschen. Zuletzt waren es weniger als 7.000. Ganze Straßenzüge werden dem Erdboden gleichgemacht. Die Versorgung der verbliebenen Menschen bereitet Mühe. Gerade beklagte die Kassenärztliche Vereinigung, dass elf Hausarztstellen nicht besetzt werden könnten", erklärt uns Steffen WINTER.

VDW SACHSEN-ANHALT (2019): Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven in Siedlungen industrieller Bauweise aus Sicht der Wohnungswirtschaft, Workshop 26.09.

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 01. März 2020
Update: 21. März 2020