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Einführung
Es ist still geworden um
Techno. In den 90er Jahren prägten Massenveranstaltungen wie die
Loveparade und Raves das Bild von der Partyhauptstadt Berlin. Im
Jahr 1999 erlebte die Berliner Loveparade ihren größten
Besucherandrang, um in den folgenden Jahren bis 2003 ungefähr
wieder die Besucherzahlen von 1995 zu erreichen. Anhand dreier Spex-Cover
aus den Jahren 1990, 1998 und 2002 lässt sich der
Wahrnehmungswandel der Technokultur grob nachzeichnen.
Zuerst euphorische Politisierung, danach DJ-Kult und zuletzt ein
ernüchternder Blick auf das Phänomen.
Das Buch Lost und Sound
von Tobias RAPP wirft einen eher nüchternden Blick auf die
Technokultur und das ist gut so.
Der
langjährige taz-Musikredakteur und intimer Kenner der
Berliner Technoszene hat ein lesenswertes Buch über die neue
Berliner Ausgehmeile geschrieben. Sicherlich bietet es dem
Szenegänger und -kenner nichts wirklich aufregend Neues, aber es
fasst das, was man bisher nur in verstreuten Artikeln und in
einzelnen Publikationen lesen konnte, in einem Buch zusammen und
bringt es auf einen griffigen Nenner:
Berlin, Techno und der
Easyjetset.
Techno
hat zwar sein einstiges Erregungspotenzial und die damit
verbundene Massenaufmerksamkeit verloren, aber gerade dadurch
konnte sich Techno erneuern und so zur einflussreichsten
Hauptstadtkultur werden. Wie dies geschah, das versteht RAPP auf
spannende Weise zu erzählen. Es entsteht so im Laufe der Lektüre
ein differenziertes Bild einer neuen Clubkultur der nuller Jahre.
Lost and Sound
"In
den Neunzigern gab es Rave mit allem was dazugehört:
großer Aufregung, tollen Platten,
Weltherrschaftsfantasien, Chartsplatzierungen - bis das
Ganze nach großen Erfolgen und Exzessen zum Ende des
Jahrzehnts zusammenkrachte. Um die Jahrtausendwende zog
sich die Musik in den Underground zurück, um sich zu
erneuern. Was danach kam, davon handelt dieses Buch."
(2009, S.13) |
Die neue Berliner Ausgehmeile
RAPP konzentriert sich bei
seiner Beschreibung der neuen Berliner Technoclub-Szene auf das Areal zwischen Alexanderplatz und Oberbaumbrücke und die
über Berlin hinaus bekannten großen Technoclubs wie das Berghain,
das Watergate, das Weekend, den Tresor und
die Bar 25.
Es
geht dem Journalisten um die internationale Bedeutung dieser
Kultur, die für Berlin das sei, was die Finanzindustrie für New
York und London ist, Hollywood für Los Angeles und Mode für
Paris oder Mailand. RAPP betreibt in gewisser Weise mit seinem
Buch auch eine moderne Art von Stadtmarketing. Auf diese
angenehme Weise lässt man sich jedoch gerne verführen.
Es
ist sicher auch kein Zufall, dass fast zeitgleich das Buch
Soziologie der Städte von Martina LÖW erschienen ist, in dem
eine differenztheoretische Stadttheorie entwickelt wird. RAPPs
Buch kann in diesem Sinne als gelungener Beitrag zum Verständnis
einer spezifisch Berliner Stadtkultur angesehen werden.
Soziologie der Städte
"Martina
Löw nimmt in ihrem neuen Buch die Stadt als
Erkenntnisgegenstand ernst und entfaltet im Anschluß an
raumtheoretische Überlegungen die These, daß sich urbane
Entwicklungen nur dann hinreichend erklären und effektiv
beeinflussen lassen, wenn man die »Eigenlogik« von Städten
begreift. Um zu verstehen, wie eine Stadt »tickt«, welche
Ideen in ihr generiert, welche realisiert und schließlich
akzeptiert werden, muß man sie wie einen Organismus
betrachten, der einen Charakter ausbildet und über eine
eigene »Gefühlsstruktur« verfügt, die in Städtebildern
gefaßt und in Alltagsroutinen reproduziert werden. Anhand
zahlreicher empirischer Beispiele entwickelt Martina Löw
die Grundlagen für eine differenztheoretische
Stadtsoziologie, in der Städte nicht mehr nur als
Laboratorien zur Analyse sozialer Prozesse begriffen
werden, sondern auch als eigensinnige Objekte
soziologischen Wissens."
(Klappentext) |
RAPP klammert in seinem
Buch auch die ökonomisch-politischen Aspekte nicht aus. Die
Berliner Clubs werden als eine der Interessengruppen
dargestellt, die Einfluss auf die Stadtentwicklung nehmen und
damit an Auf- und Abwertungsprozessen beteiligt sind. Die
Auseinandersetzung um das Großprojekt MediaSpree wird in diesem
Zusammenhang ausführlich behandelt.
Warum
haben die Clubs der 90er Jahre wie der alte Tresor, das
E-Werk oder das WMF keine Spuren im Stadtbild von
Berlin hinterlassen? Dies ist eine andere spannende Frage, der
RAPP nachgeht. Dabei werden auch die Unterschiede zu anderen
Szenevierteln wie das Schanzenviertel in Hamburg oder Kreuzberg
deutlich.
Lost and Sound
"Subkulturelles
Leben ist immer eingebunden in größere städtische
Entwicklungen, in die Aufwertung oder Abwertung urbaner
Gegenden. Der manichäische Kampf Sanierer versus
angestammte Wohnbevölkerung zieht sich durch die
Geschichte aller Szeneviertel, und normalerweise bleiben
die Spuren dieser Auseinandersetzungen lange sichtbar.
Nicht so an der Leipziger Straße, was vor allem der ganz
banalen Tatsache geschuldet sein dürfte, dass - anders als
im Schanzenviertel in Hamburg etwa oder in
Berlin-Kreuzberg - nur wenige Menschen in dieser Gegend
wohnten und wohnen. »Vertreibung« bedeutete in der
Berliner Mitte der neunziger Jahre vor allem, dass die
Zwischennutzung vorbei war und man sich eine neue Location
suchen musste. Und so zogen sie weiter, die Clubmacher,
und überließen die Gegend den Immobilienentwicklern."
(2009, S.60f.) |
Wäre es nach dem Willen
des Tresor-Betreibers Dimitri HEGEMANN gegangen, dann
wäre mit dem Tresor-Tower dem Techno bereits in den 90er
Jahren ein Denkmal gesetzt worden. Immer wieder stellt RAPP
namhafte Protagonisten der Technoszene vor, ob es nun DJs,
Produzenten oder Clubbetreiber sind.
Die Entstehung der neuen europäischen
Clubgeografie
Zwei voneinander
unabhängige Entwicklungen haben gemäß RAPP dazu geführt, dass
der Easyjetraver zum dominierenden Subjekt der Ausgehkultur der
nuller Jahre wurde: zum einen die Zunahme der Billigflieger und
zum anderen der wirtschaftliche Einbruch Berlins.
Lost and Sound
Der "Easyjetraver
(ist) das Zufallskind von zwei Entwicklungen (...), die im
Grunde nichts miteinander zu tun haben: der
Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs und es
Entstehens der Billigfluglinien auf der einen Seite und
des ökonomischen Ruins der Stadt Berlin auf der anderen.
Ersteres entwertete das Fliegen: Es ist nicht länger ein
teurer Luxus, sondern ein preiswertes Massenvergnügen,
übers Wochenende in europäische Metropolen zu jetten;
Städtetourismus ist zum Massenphänomen geworden, dafür ist
der Service nicht besser als in der zweiten Klasse eines
ICE. Der wirtschaftliche Einbruch Berlins ist das traurige
Ergebnis einer allzu optimistischen Rechnung aus den
frühen Neunzigern. Damals wurden für die künftige
Hauptstadt Entwicklungsparameter festgelegt, die in
wenigen Jahren eine florierende Weltstadt hervorbringen
sollten. Nichts davon traf ein. Die Folge: Berlin, eine
Stadt, in der dreieinhalb Millionen Menschen leben, die
für rund fünf Millionen Einwohner ausgelegt ist, wuchs
nicht etwa, sondern schrumpfte. Mit der Konsequenz, dass
die Brachflächen und ungenutzten Gebäude in zentraler Lage
erhalten blieben. Und eine Partyszene, die in den
Neunzigern gelernt hatte, wie man aus diesen Gelegenheiten
temporäre Clubs und Partys macht, gab es schon."
(2009,
S.79) |
RAPP schätzt -
verlässliche Zahlen gibt es nicht -, dass pro Wochenende 10.000
Billigfluggäste die Berliner Clubs zum Ziel haben. Dieser neue
Easyjetset (in Anlehnung an die Billigfluglinie Easyjet) setzt
sich aus jenen Subkulturen zusammen, die House und Techno
hervorgebracht haben.
Mit Andreas BECKER, dem Gründer des ersten Techno-Hostels The Circus unterhält sich RAPP über
die Entwicklung des Feiertourismus und dessen Europäisierung. Die
Ausdifferenzierung der Lebensstile trifft hierbei auf eine
verkehrstechnische Entwicklung. Während die Zielgruppe der Hostels zuerst die Backpacker waren,
dominieren inzwischen die Raver. Und auch das Internet trägt dazu bei. Websites wie das
Online-Magazin Resident Advisor informieren ausführlich
über die Programme der Berliner Clubs.
Lost and Sound
"Resident
Advisor, ein Online-Magazin für die europäische House- und
Techno-Szene, wird von London aus betrieben, die Nutzer
kommen aus aller Welt, doch die Informationen über
Berliner Clubs und Afterhours sind genauer und
vollständiger als irgendwo sonst, die Restrealität
vielleicht ausgenommen. Tatsächlich dürften viele der
Feiertouristen ihre Informationen von dort beziehen. Wer
wissen will, was in europäischen - besonders: in Londoner
und Berliner - Clubs gespielt wird, für den reicht es im
Grunde, den Podcast von Resident Advisor zu abonnieren."
(2009, S.187) |
Die Berliner Clubs als popkulturelle
Sehnsuchtsorte: zwischen Heimat und geschlossener
Gesellschaft
Was ein Techno-Club ist,
das lässt sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise
beschreiben. Der Jugendsoziologe Ronald HITZLER hat in dem
Sammelband Techno-Soziologie den Club vom Rave
abgegrenzt.
Erlebniswelt Techno
"Raves
sind Tanzveranstaltungen, die in oder auf »locations«
stattfinden, welche groß genug sind, daß etliche Tausend
bis zigtausend Liebhaber von Techno-Musik zuammenkommen
und raven, d.h. sich tanzvergnüglich austoben und dabei
ihren »Spaß haben« können. Die Location für einen Rave ist
also typischerweise eine Großhalle bzw. ein Hallenkomplex
oder auch ein Open Air Gelände (...). Raves zeichnen sich
üblicherweise dadurch aus, daß den Teilnehmern mehrere »areas«,
also mehrere Tanzbereiche zur Verfügung stehen, die
normalerweise auch mit unterschiedlichen Stilrichtungen
von Techno-Musik beschallt werden. Nicht nur quantitativ
und logistisch, sondern auch sozusagen »athmosphärisch«
unterscheidet sich der Rave von z.B. einer typischen
Partynacht im Techno-Club: Während die Club-Nacht in der
Regel die institutionalisierte Form einer z.B. wöchentlich
oder monatlich sich wiederholenden, typischerweise
thematisch bzw. stilistisch fokussierten Veranstaltung mit
der Option zum Abhängen oder Tanzen ist, ist der Rave eben
ein besonderes, ein aus dem Alltag auch der Techno-Szene
herausgehobenes Ereignis zum dezidierten »Abfeiern«. Die
habituellen Grundsituationen bei der Club-Nacht ist
Coolness, Vertrautheit mit der Situation. Die
Grundstimmung beim Rave hingegen ist Ausgelassenheit,
Sensationslust, Exhibitionismus. Kurz: Die Club-Nacht ist
ein »Treff«, der Rave ist ein »Fest«."
(aus: Techno-Soziologie 2001, S.13) |
Liest man das Buch von
Tobias RAPP, dann ist auffällig dass bei der Beschreibung der
Techno-Clubs die Elemente des Raves und des Clubs im Sinne von
HITZLER verwischen. Die Berliner Clubs der Ausgehmeile können
sowohl den Charakter eines Treffs als auch eines Fests annehmen,
das hängt dann davon ab, welche Gruppen man ins Visier nimmt. In
der taz-Kolumne Von Disco zu Disco hat der DJ Hans
NIESWANDT bei seiner Club-Definition dagegen den Unterschied
zwischen Diskothek und Club in den Mittelpunkt gestellt.
Einführungen in die Clubkultur
"Ein
Club war doch etwas ganz anderes als eine normale Disco.
In eine Disco kann man gehen wie ein Tourist: Spaß haben,
ohne dazuzugehören. Sich passiv unterhalten lassen, zahlen
und verschwinden. Ein guter Klub dagegen ist ein Stück
Glück und Heimat, eine Vertrauenssphäre, in die man sich
begibt, um mitzumischen. Um Sachen zu machen. Oder sich
mal gepflegt aufs Ohr zu hauen. Ein Ort, an dem man Ruhe
in der Aktivität entwickelt."
(taz v. 26.02.2003) |
Die Soziologin Gabriele
KLEIN unterscheidet in ihrem Buch electronic vibration
die Techno-Clubs danach, ob es sich um avantgardistische oder
kommerziell ausgerichtete Clubs handelt. Avantgardistische Clubs
seien zum einen an ihrer Größe und zum anderen daran zu
erkennen, dass sie nicht allgemein bekannt sind.
electronic vibration
"Noch
heute existieren, neben den rein kommerziell
ausgerichteten Clubs, ein paar avantgardistisch
angehauchte, die sich, wie in den Anfängen der
Club-Kultur, als Orte des Experiments entpuppen. Sie sind
klein, sehr originell ausgestattet und werden als
Geheimtips gehandelt, denn sie haben zumeist keine lange
Lebensdauer, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie illegal
sind. Man findet sie in verwahrlosten Rändern des urbanen
Raumes in einem Ambiente, das zu den elektronisch
erzeugten Sounds paßt: in den Ruinen der
Industrielandschaften, in leerstehenden Fabrikhallen und
Lagerräumen, in Zechen oder auf Schrottplätzen.
Environment, Architektur, Musik und Tanz gehen hier
zumindest temporär eine Symbiose ein."
(1999, S.151) |
In den neuen großen Clubs
der Ausgehmeile wie dem Berghain gehen Avantgarde und
Kommerz zusammen wie man bei RAPP erfährt. Es zeigt sich also,
dass die Club-Definitionen wie sie für die Techno-Clubs der 90er
Jahre entwickelt wurden, der neuen Berliner Clubkultur der
Ausgehmeile nicht mehr ganz gerecht werden. Die
Techno-Soziologie muss in dieser Hinsicht weiter entwickelt
werden. Bei
Tobias RAPP findet man mindestens vier Zugänge: zum einen sind
die Berliner Clubs für ihn die eigentlichen Stars der Stadt. Sie
sind in diesem Sinne sozialökologische Gebilde.
Lost and Sound
"Nein,
dieses Berlin der nuller Jahre unterscheidet sich in
vielen Punkten vom New York der Achtziger. Und der größte
Unterschied besteht vermutlich darin, dass die Stars
dieser Stadt keine Einzelpersonen sind, sondern kollektive
Subjekte: die Berliner Clubs und ihr Publikum."
(2009,
S.12) |
Zum zweiten sind die Clubs
Orte - vergleichbar mit der WG-Küche oder der Straße, an denen
Geschichte erfahrbar wird. Damit kommt ein Moment der
Generationenerfahrung hinzu.
Lost and Sound
"Jeder
hat den Ort, der für ihn oder sie am stärksten mit
Wirklichkeit aufgeladen ist. Der Ort, der zählt, an dem
die wirklich wichtigen Dinge verhandelt werden, wo man
sich als Teil der Welt fühlt, weil von hier aus ein
ideeller Kontakt zu anderen, ähnlich gesinnten Räumen
besteht und den Menschen, die sie bevölkern. Der Ort, zu
dem man die anderen Orte in Beziehung setzt, an denen man
sich bewegt. Früher mag das mal die WG-Küche gewesen sein.
Oder die Straße. Für mich und viele andere, die ich in den
vergangenen zwanzig Jahren in Berlin getroffen habe, war
das der Club. Der Ort, an dem Geschichte gemacht wird, an
dem man das Gefühl hat, sein eigenes kleines Treiben sei
Teil eines großen Jetzt."
(2009, S.14) |
Man tut der
68er-Generation jedoch unrecht, wenn man behaupten würde,
dass bei ihnen Clubs keine Rolle gespielt hätten. Es gab sowohl
die Tradition der Jazz-Clubs sowie der Republikanischen Clubs.
Die Regelung des Zugangs unterschied sich jedoch, wie noch
ausgeführt wird. Aber es finden sich bereits auch Vorformen, die
für Techno relevant werden. Paul Gerhard Hübsch beschreibt in
einem Beitrag für die Protestfibel u.a. den Club Cream
Cheese in Düsseldorf.
Clubs: Zentren der neuen Kultur
"Das
»creamcheese« in Düsseldorf, wohl das originellste Lokal
in der Bundesrepublik, das nach englischem Vorbild bemüht
ist, einen »psychedelic-Charakter« zur Schau zu
tragen, bietet nicht nur Lichtspiele und pausenlos
hämmernden Beat, sondern gibt auch Künstlern (...) die
Gelegenheit, Aktionen zu starten."
(aus Protestfibel 1968, S.140) |
In einen Spex-Interview
erläutert Bernd CAILLOUX, der mit seinem Roman Geschäftsjahr
1968/69 den Beitrag der Underground-Szene und der Hippies
zur heutigen Kultur herausstrich, dass Clubs wie das
Düsseldorfer Cream Cheese die Blaupausen für die heutige
Clubkultur waren.
In
einer singulären Nacht begann unsere Gegenwart
"Die
drei großen Clubs in Deutschland damals - das Blow-Up in
München, das Cream Cheese in Düsseldorf und das Grünspan
in Hamburg - waren die Blaupausen für alles, was wir heute
kennen."
(Spex #313, März/April 2008) |
Das weiß natürlich auch
RAPP. Zum dritten sind Clubs
halböffentliche Räume mit speziellen Merkmalen.
Lost and Sound
"Clubs (...) machen
spät auf, eigentlich nie vor Mitternacht, sie nehmen
Eintritt, sie haben Türsteher, die Gäste kommen meistens
gezielt, weil der Name eines DJs oder der Ruf des Clubs
sie lockt."
(2009, S.30) |
Und
nicht zuletzt spielen die Menschen im Club eine Hauptrolle.
Man kann sie als Techno-Szene beschreiben. Dann gehören hierzu
sowohl die Clubbesucher als auch diejenigen, die professionell
mit Techno zu tun haben, d.h. DJs, Veranstalter,
Clubbetreiber usw.
RAPP
unterscheidet vier Gruppen, aus denen sich die Clubbesucher
zusammensetzen. In
einem ersten Schritt kann man zwischen Einheimischen (inklusive
Zugezogenen) und Szene-Touristen unterscheiden. In einem zweiten
Schritt lassen sich dann auch die Einheimischen unterscheiden:
in Ossis, Schwule und die Kreativen. Dies ist keine
empirische, sondern eine idealtypische Typologisierung, d.h. es
gibt natürlich auch schwule Ostdeutsche, die als Kreative
arbeiten.
Lost and Sound
"»Ossi« ist (...) nicht
das Gegenteil von Wessi, sondern ein Begriff, der eine der
drei Gruppen beschreiben soll, die seit den Neunzigern das
Berliner Nachtleben tragen. Die Ossis, die Schwulen und die
Kreativen, manchmal auch Mittis genannt. In den nuller
Jahren sind als vierte und genauso wichtige Gruppe die
Touristen dazugekommen.
(...).
Die große Feierallianz von Ossis und Schwulen hat Techno
in den frühen Neunzigern getragen, viele der kleineren
Clubs der mittleren Neunziger befanden sich nicht nur in
Berlin-Mitte, sondern wurden auch von Mittis frequentiert.
Und die Feierszene der nuller Jahre hätte niemals eine
solche Dynamik entwickelt, wenn nicht das neue Subjekt des
Easyjetravers die Berliner Bühne betreten hätte." (2009,
S.101f.) |
Aus dieser Gruppenzusammensetzung ergeben sich
zwei grobe Konfliktlinien, sodass es
keinesfalls selbstverständlich ist, dass diese Gruppen in einem
Club koexistieren.
Lost and Sound
"Das Nachtleben folgt
einem komplizierten Regelwerk, das noch nie jemand
aufgeschrieben hat, weil es sich ständig ändert. Man
beherrscht es, indem man einfach immer weiter ausgeht.
Aber eines der ewigen Grundprinzipien ist das der
Anciennität, (...) das Berliner Magazin De:Bug machte sich
einmal den Spaß daraus, für eine Modestrecke lauter
Veteranen des Berliner Nachtlebens diverse Clubmarken wie
Orden ans Revers zu heften. Das erklärt einen Teil der
Ablehnung gegenüber den Touristen - sie sind schließlich
nur für ein oder zwei Wochenenden da.
Hinter der Abneigung zwischen Mittis und Ossis steht
dagegen ein Klassenkonflikt. Erstere sind tendenziell
Bürgerkinder, letztere tendenziell nicht. Die Mittis sind
oft Teil der »digitalen Boheme«] (...). Oft sind sie auch Praktikantinnen oder
Praktikanten, die ihr Geld von den Eltern bekommen. Die
wiederum nicht in Berlin wohnen. Denn die Mittis sind in
der Regel zugezogen, meistens aus Westdeutschland.
Wie alle Klassenkonflikte bildet sich auch dieser in
Geschmacksfragen ab"
(2009, S.104f.) |
In einem Text, der von
Alex WALTZ stammt, beschreibt dieser wie sich das herrschende
Feiermodell in dem Club Ostgut, dem Vorgängerclub des
Berghain herausgebildet hat.
Lost and Sound
"Das Ostgut ist der
mythische Gründungsort der Clubkultur der nuller Jahre,
dort wurde das heute herrschende Feiermodell maßgeblich
entwickelt - diese besondere Konstellation, die sozial
davon geprägt ist, dass sich alle Feierwilligen unter der
Hegemonie der schwulen Communitys Berlins versammeln.
(...).
Besonders in der alten Panoramabar formte sich der
aktuelle Clubsound, in dem Techno und House, der neue
Minimal-Sound und ältere Stile miteinander verschmolzen."
(Alexis Waltz, 2009, S.125f.) |
Die Gruppen verteilen sich
in der Regel auf verschiedene Areale innerhalb des Clubs. Aber
RAPP beschreibt auch, dass es Überschneidungen gibt, die er mit
dem Begriff queer beschreibt. Wollte man dieses Modell
literarisch beschreiben, dann steht für diese Entwicklungen
nicht mehr der Schriftsteller Rainald GOETZ Pate, sondern Thomas
MEINECKE.
Lost and Sound
"Das Berghain hat ein
sehr heterogenes Publikum. Das war nicht immer so. Der
Vorgängerclub Ostgut etwa war die längste Zeit ein
schwuler Laden, in dem man als Hetero zwar wohl gelitten
war, wenn man hart feiern wollte. Man blieb aber die
Ausnahme. Die Eröffnung der Panoramabar änderte das, erst
ein wenig, dann deutlich. Wer wissen will, wie sich in den
Neunzigern sexuelle Identitätspolitik in Berlin verändert
hat, könnte das schön an dem Verhältnis des Ostgut zur
Panoramabar erzählen: Queer schlägt eine kleine Bresche
ins schwule Feld, diese wird rasch größer, und am Ende ist
gar nicht mehr so klar, was jetzt eigentlich schwul ist
und was nicht, außer einer sexuellen Vorliebe. Jeder ist
ja irgendwie queer, den man so sieht, wenn man sich
Sonntagnachmittag in der Panoramabar umschaut." (2009,
S.148) |
Clubs
sind halböffentliche Räume. Handelt es sich nicht um
Mitgliederclubs, so muss der Zugang anders geregelt werden. Es
könnte zum einen die Höhe des Eintrittspreises sein. Dies ist
aber in der Regel nicht der ausschlaggebende Punkt, sondern ein
Türsteher bzw. eine Türsteherin entscheidet, wer in den Club
darf und wer nicht.
In
ihrer aufschlussreichen Ethnografie der Berliner Techno-Szene,
die den Stand im Jahr 1998 widerspiegelt, weist Julia WERNER
darauf hin, dass die Zusammensetzung der Clubs auf insgesamt
drei Prinzipien basiert: der Selbstselektion, der
Kommunikationswege und der Türpolitik.
Die Club-Party: Eine Ethnographie der Berliner
Techno-Szene
"»Self-selection«
ergibt sich aus dem jeweiligen Clubcharakter, der aus der
Kombination von Raum und der im Club gespielten speziellen
Techno-Variante hervorgeht, nachdem durch Flyer, Medien
oder Freunde über den Club informiert worden ist.
»Türpolitik« ist dann die letzte Instanz, welche die
Zusammensetzung des Publikums bestimmt". (aus:
Techno-Soziologie 2001, S.41)
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Wenn das Berghain
bei RAPP als paradigmatischer Club betrachtet wird, dann gilt
das nicht in gleichem Maße für alle anderen Clubs der Stadt. In
Berlin dominiert tendenziell jedoch - im Gegensatz zu München -
eine andere Türpolitik.
Lost and Sound
"Gemeinhin geht man ja
davon aus, das Warten vor einer Clubtür habe etwas mit dem
Anspruch auf Exklusivität zu tun, den der jeweilige Laden
geltend mache. Ein Glaube, der wahrscheinlich noch immer
fernes Echo des gequälten Stöhnens all derjenigen ist, die
in den späten Siebzigern einmal darauf warteten, in das
New Yorker Studie 54 hereingelassen zu werden, die
berühmteste Discothek des 20. Jahrhunderts. Dort stellte
das Schreckensregime des Türstehers jene Mischung aus
Celebrity, Geld, Schönheit und Jugend her, um die sich
auch heute noch einige Sehnsüchte ranken.
(...).
Tatsächlich endeten ausnahmslos alle Versuche von
Clubbetreibern in den Neunzigern, eine Discothek
aufzumachen, die nach diesem Prinzip funktioniert, im
Fiasko. Geschmack und Geld gehören in Berlin eben nicht
zusammen, sieht man einmal von der Kunstszene ab. Diese
jedoch hat ihre einstmals enge Allianz mit den Techno- und
Houseclubs gemeinsam mit der Idee, jede Vernissage
bräuchte unbedingt einen DJ, seit den Neunzigern fast
völlig aufgegeben. Heute treffen sich Künstler,
Galeristen, Sammler und Kritiker lieber in einigen
Restaurants und Bars in Berlin-Mitte. Dort ist dann auch
der einzige Laden, dessen Tür entfernt an das
Studio-54-Prinzip erinnert: das Cookies Unter den Linden."
(2009, S.134f.) |
Die Debatte, wem die Stadt
gehört, blitzt immer einmal wieder in den Feuilletons der
überregionalen Tageszeitungen auf. So wenn z.B. in der FAS
v. 14.09.2008 der Wegzug von DJ Fetisch zum Weggang der
Avantgarde aus Berlin stilisiert wird. Interviewt wurde der DJ
von dem Münchner Berliner-Hasser Claudius SEIDL
. DJ Fetisch gab
im Club Cookies - einem Club also, in dem das bürgerliche Modell
der Exklusivität gilt - seinen Abschied. Vier Tage später gab es
prompt von RAPP eine entsprechende Erwiderung in der taz. Warum
in Berlin - im Gegensatz zu München - das "Modell der sozialen
Korruption" gilt, liegt an der besonderen Struktur Berlins. Hier
dominiert nicht das finanzielle oder kulturelle Kapital, sondern
das Sozialkapital oder anders ausgedrückt: "arm aber sexy".
Lost and Sound
"Die Schlangen der
meisten Clubs funktionieren nach dem Modell der sozialen
Korruption: Alle müssen warten, nur die nicht, die
irgendjemanden kennen, der jemanden kennt, der einen auf
die Gästeliste schreibt. Das ist zum einen der einzige
Vorteil, den man gegenüber den zahllosen Touristen hat.
Zum anderen logische Konsequenz des Lebens in einer Stadt,
in der nicht das finanzielle oder kulturelle, sondern das
soziale Kapital entscheidend ist."
(2009, S.136) |
Auf die eine oder andere
Weise gehören aber alle Clubgänger zur Mittel- und nicht zur
Unterschicht, selbst wenn sie Hartz-IV-Empfänger sind. Der
Betreiber des Watergate bringt das auch unumwunden zum
Ausdruck.
Lost and Sound
"»Wir haben irgendwann
erkannt, dass du mit Techno und House nicht nur am besten
Geld verdienen kannst - es zieht auch das intelligenteste,
angenehmste und feierwütigste Publikum an.«
(Steffen Hack,
Betreiber des Watergate, 2009, S.37) |
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