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Rezension

 
       
   

Was hält Paare zusammen?

 
       
   

Christian Thiel ("Was glückliche Paare richtig machen") und Doris Märtin ("Love Talk") geben Denkanstösse und Tipps für eine erfüllte Partnerschaft

 
       
     
       
   
     
 

Perspektivenwechsel: Paar-Gesellschaft statt Single-Gesellschaft

Dauerhaft ist nur die Trennung, titelte der Spiegel 1991 und der 68er Peter SCHNEIDER schrieb mit Paarungen den Roman zum ganz normalen Chaos der Liebe . Individualisierung killt die Liebe war der Tenor Anfang der 1990er Jahre. Gut 15 Jahre später haben die 68er ihr Deutungsmonopol in Sachen Liebe verloren. Was oberflächlich als Trend zur Single-Gesellschaft daher kam, war in Wirklichkeit eine Renaissance der Paar-Gesellschaft. 1991 erschien das Buch Was hält Paare zusammen? von Jürg WILLI. Der Schweizer Psychoanalytiker fragte nicht - wie der Mainstream - warum sich so viele Menschen trennen oder scheiden lassen, sondern warum es immer noch Paare gibt, die zusammen bleiben. Diesen Perspektivenwechsel kennzeichnet mittlerweile eine wachsende Literatur der Paarforschung. Im Jahr 2005 hat der Soziologe Christian SCHULDT in dem Buch Der Code des Herzens  das Liebesverständnis der Nach-68er-Generationen als "postproblematisch" bezeichnet. Im Mittelpunkt steht ein neues Geschlechterarrangement, das auf den Errungenschaften der letzten 30 Jahre aufbaut .      

Der Code des Herzens

"Die Romantik feiert ein Comeback in eigenartiger Gestalt: als pragmatische Liebe. Nachdem die Grabenkämpfe der Geschlechter ausgefochten und die Problempotenziale ausdiskutiert sind, scheint der Weg frei zu sein für den Eintritt des Liebescodes in eine neue, gewissermaßen »postproblematische Phase«. Die Liebe auf Verhandlungsbasis ließ das Problematische an der Passion so weit ins kollektive Bewusstsein einsickern, dass jetzt ein Gespann aus Pragmatik und Romantik die Zügel übernommen hat."
(2005, S.104)

Die Bücher von Christian THIEL und Doris MÄRTIN sind nicht mehr dem symbiotischen Paarideal verpflichtet, sondern propagieren das individualisierte Paar, das mit der partnerschaftlichen Wende in den 1970er Jahren dominant wurde.

Das individualisierte Paar als neues Ideal

Die Rede von der "Single-Gesellschaft" hat insofern einen wahren Kern als mittlerweile Single-Phasen zum selbstverständlichen Bestandteil des Lebenslaufs vieler Menschen gehören. Dies hängt zum einen mit den gesellschaftlichen Anforderungen zusammen. Der Arbeitsmarkt fordert eine hohe Mobilität und Flexibilität. Zum anderen hat sich aber auch die Rolle der Frau gewandelt. Junge Frauen sind heutzutage besser gebildet und auch als Mütter weiter berufstätig. Während bis Mitte der 1960er Jahre früh geheiratet wurde, haben heute die Menschen oftmals längere Single-Phasen und auch Partnerschaftserfahrungen hinter sich bis sie die Liebe fürs Leben finden. Doris MÄRTIN beschreibt die Konsequenzen dieser veränderten Lebensverläufe folgendermaßen:

Love Talk

"Exakt sieben Jahre liegt das Heiratsalter heute höher als in den siebziger Jahren. Diese sieben Jahre haben es in sich: War man mit Anfang bis Mitte zwanzig noch unfertig, formbar und leicht zu beeindrucken, hat man um den 30. Geburtstag herum ein Maß an Individualität entwickelt, das man so leicht nicht mehr aufgibt, auch für den geliebten Menschen nicht. Gerade für ihn nicht. Denn die Zeiten, in denen man die eigenen Erwartungen für die Beziehung zurücksteckte, sind vorbei. Moderne Paarbeziehungen leben davon, dass die Partner ihre wechselseitigen Träume und miteinander kollidierenden Vorstellungen aushalten und am besten sogar liebenswert finden".
(2007, S.68f.) 

Die beiden Bücher von THIEL und MÄRTIN bieten Denkanstösse und Tipps für diese historisch neue Lebensform des individualisierten Paares. Die 68er-Generation gilt den nachkommenden Generationen oftmals als abschreckendes Beispiel. Christian THIEL, ein Angehöriger der Single-Generation, beschreibt die Konsequenzen des Abschieds vom Patriarchat, die zu einer Streitkultur geführt hat, die lange Zeit als vorbildhaft galt:

Was glückliche Paare richtig machen

"Der Glaube, dass Probleme in Beziehungen durch langwierige, kontroverse Gespräche geklärt werden können, ist in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, als das heute gültige Partnerschafsmodell entstand. Bis dahin wurden Auseinandersetzungen zwischen Partnern sehr einfach entschieden: In weniger wichtigen Angelegenheiten des Haushalts hatte die Ehefrau das Sagen. Alles andere bestimmte der Ehemann. Verglichen mit heute war das allerdings nicht sonderlich viel, denn 90 Prozent des Lebens regelte früher ohnehin die Konvention."
(2007, S.28)

Das Konfrontationsmodell, das die 68er-Generation in der Privatsphäre eingeführt hat, gilt heutzutage als nicht mehr zeitgemäß. Endloses Ausdiskutieren, falsch verstandene Beziehungsarbeit und eine unproduktive Streitkultur sind in Zeiten des Turbokapitalismus kontraproduktiv geworden. Die Partnerschaft wird inzwischen nicht mehr als Ort des Geschlechterkampfes, sondern als wichtige Ressource verstanden. Diese postfeministische Wende unterscheidet die "neuen" Feministinnen von den Altfeministinnen und wird in aktuellen Büchern wie Die neue F-Klasse (Thea DORN) oder Das F-Wort. (Herausgeberin Mirja STÖCKER) propagiert.

Sowohl Christian THIEL als auch Doris MÄRTIN geben Hilfe zur Selbsthilfe in Sachen einer neuen Allianz von Mann und Frau. Wie können die Errungenschaften der letzten 30 Jahre gerettet werden, ohne dass dies in unergiebige Debatten oder gar unnötige Trennungen mündet?

Ordnungsvorstellungen, Hausarbeit und Elternschaft als Herausforderungen

Die moderne Partnerschaft scheint nur dort zu funktionieren, wo Paare nicht zusammenwohnen und kinderlos sind. Das Zusammenziehen und Eltern werden sind die beiden Ereignisse, die einer erfüllten Partnerschaft heutzutage entgegen stehen. So jedenfalls lautet der Tenor, der sowohl der Individualisierungsdebatte als auch der Debatte um den demografischen Wandel zu eigen ist.

Die Überforderungen moderner Partnerschaften gelten nicht wenigen als eigentliche Ursache des Geburtenrückgangs. Diese Sichtweise verkennt, dass es kein Zurück mehr zur klassischen Familie gibt, es sei denn man würde den Zugang zum Bildungssystem für Frauen sperren und außerdem Berufsverbote für Frauen einführen. Das Beispiel Eva HERMAN zeigt, dass so mancher dem Patriarchat nachtrauert. Mancher glaubt gar heutzutage wieder, dass der Nationalsozialismus den Geburtenrückgang wirksam bekämpft hat. Dem war nicht so . Bereits in den 1920er Jahren wurde die Kameradschaftsehe, eine Frühform des individualisierten Paars, für die gleichen Probleme verantwortlich gemacht.

Im Gegensatz zu diesen pessimistischen Sichtweisen moderner Lebensformen, zeigen Christian THIEL und Doris MÄRTIN was jeder Einzelne tun kann, um auch in schwierigen Situationen zu bestehen. Beide Autoren halten wenig vom Konfrontationskurs, den die 68er in ihren Partnerschaften vorgelebt haben. THIEL und MÄRTIN zeigen, wie Verständnis und Höflichkeit zu einer erfüllten Partnerschaft führen. Wenn THIEL fordert: Vermeiden Sie Streit, wann immer Sie können, und dem Konzept des fairen Streitens eine Absage erteilt, dann könnte das leicht als Plädoyer für ein altbackenes Harmoniestreben in symbiotischen Paarbeziehungen missverstanden werden. Dem ist nicht so. Auch die bekannte Hamburger Band Tocotronic, die nicht gerade für reaktionäre Parolen bekannt ist, hat gerade auf ihrem aktuellen Album Kapitulation die Harmonie als Strategie entdeckt. Das Album könnte in dieser Hinsicht so etwas wie der Soundtrack einer neuen pragmatischen Generation sein.

Harmonie ist eine Strategie

"Als wir wiederum nicht wussten
Was zu tun
Wohin sich wenden
Liefen wir stundenlang umher
Auf den Alleen und am Ende
Kamen wir zu einem Platz
Weit draußen vor der Stadt
Wo wir noch nicht gewesen sind
Es schien zumindest so
Und der erste Kreis der Hölle
War gleich nebenan
Und jeder Zweifel
Jeder Zwang
Verschwand vor unseren Augen
Und die Pforten des Himmels
Öffneten sich vor unseren Augen
Und die Worte der Weisheit
Trugen uns so weit wie nie

Harmonie ist eine Strategie
Harmonie ist eine Strategie
Harmonie ist eine Strategie"

Wie man seine Lebensziele nicht gegen, sondern mit dem Partner verwirklichen kann, das zeigen THIEL und MÄRTIN an konkreten Beispielen. Dabei ist stets das Motto, dass eine Trennung immer nur die zweitbeste Lösung ist. Denn meist ist es keineswegs der Partner, der dem eigenen Glück im Wege steht, sondern wir verbauen uns selber so manche Lösung. Wie lassen sich unterschiedliche Ordnungsvorstellungen in Einklang bringen? Wie lässt sich die Hausarbeit so organisieren, dass ihre Aufteilung von beiden Partnern als gerecht empfunden wird? Wie wird ein Kind zur Bereicherung, statt zu einer Gefahr für die Partnerschaft? Dafür gibt es zwar keine Patentrezepte, die jeden zufrieden stellen werden, aber sowohl MÄRTIN als auch THIEL zeigen auf, wie Kompromisse das Leben erleichtern. Wichtig zu wissen ist auch, dass Männer und Frauen in Sachen Ordnung, Hausarbeit und Kinder unterschiedliche Vorstellungen verbinden. Auch wenn Männer heute meist zumindest verbal aufgeschlossen sind, so geht das Zusammenziehen und Eltern werden zumeist mit einem Rückfall in alte Rollenmuster einher. Wie dem entgegen gewirkt werden kann, ist eines der zentralen Themen der Ratgeber.

Finden Sie heraus, welche Akzentsetzungen Ihnen wichtig sind

Die beiden Bücher setzen bei ihrer Herangehensweise an die Themen unterschiedliche Akzente bzw. Schwerpunkte. Christian THIEL stellt die Paarbeziehung in den Mittelpunkt, während Doris MÄRTIN stärker die Familienbeziehungen, also den Umgang mit den eigenen Eltern und Kindern, betont. Die beiden Bücher ergänzen sich insofern. Andererseits gibt MÄRTIN Flirttipps, d.h. sie geht auch auf die Partnersuche ein, während THIEL eine Partnerschaft bereits voraussetzt. Je nachdem mit welchen Problemen Sie derzeit konfrontiert sind, wird deshalb das eine oder andere Buch hilfreicher sein. Auch wenn beide Autoren das individualisierte Paar propagieren, so unterscheiden sie sich doch in gewissen Akzentsetzungen. THIEL legt mehr Gewicht auf die Ich-Identität der Partner, während MÄRTIN die Wir-Identität des Paares in den Vordergrund rückt. Wer sich in einer Paarbeziehung mehr Autonomie wünscht, der wird bei THIEL eher fündig. Wer sich dagegen mehr  Nähe wünscht, der findet eher Denkanstösse bei MÄRTIN.

Love Talk setzt sehr stark auf die Vermittlung von Manieren. Höflichkeit ist hier Trumpf. Spätestens seit dem Bestseller Manieren von Prinz Asfa-Wossen ASSERATE im Jahr 2003 gehört die Debatte um bessere Umgangsformen zum festen Bestandteil einer neuen Bürgerlichkeit. Wer sich in Sachen Umgangsformen durch neuere gesellschaftliche Entwicklungen verunsichert fühlt, der ist bei MÄRTIN richtig. Nicht nur Susanne GASCHKE ("Die Erziehungskatastrophe") ist der Meinung, dass insbesondere mit dem ersten Kind Manieren wichtiger werden: 

Love Talk

"Es gibt Wendepunkte im Leben eines Paares, ab dem Manieren mehr sind als ein Nice to have. War es bisher nett und angenehm, wenn er ihr die Autotür öffnete und sie bei Verabredungen auf die Minute pünktlich kam, gewinnen kleine Aufmerksamkeiten und höfliche Gesten, sobald Kinder da sind, eine völlig neue Bedeutung. Im Alltag mit dem neuen Baby, zwei lebhaften Kleinkindern oder fordernden Teenies ist gutes Benehmen praktisch unverzichtbar, wenn es darum geht, einander zu unterstützen und zu entlasten."
(2007, S.132)

Während MÄRTIN des Öfteren Kinofilme, Fernsehserien wie Sex and the City oder Zeitschriftenumfragen zitiert, steht THIEL den Medien kritischer gegenüber. Er hinterfragt deshalb eher gewisse Klischeevorstellungen. THIEL klärt über so manche Irrtümer auf, die in der Öffentlichkeit kursieren. Die Sexualität ist in dieser Hinsicht sicherlich das heikelste Thema. 

Was glückliche Paare richtig machen

"Die in der Öffentlichkeit benutzten Zahlen über die Häufigkeit von Sexualität bei Paaren sind stark geschönt. Die meisten Studien zur Häufigkeit beruhen auf den Aussagen der Betroffenen und nicht etwa auf einer teilnehmenden Beobachtung. Da häufiger Sex regelrecht von uns erwartet wird, hübschen Befragte ihr Sexualleben bei Untersuchungen gerne auf. Papier ist geduldig. Es gibt Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass bis zu 50 Prozent der behaupteten sexuellen Aktivitäten in Wahrheit nie stattgefunden haben. Und im übrigen: Wer hat eigentlich entschieden, dass wir die Qualität unseres Sexuallebens an der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs festzumachen haben?"
(2007, S.99f.)

Wer die gängigen Thesen vom oversexed and underfucked schon immer für wenig glaubwürdig gehalten hat, der findet bei THIEL differenziertere Aussagen zum Thema . Sexualität und Beziehungsqualität sind für THIEL zwei Seiten einer Medaille. Außerdem verändert sich die Sexualität mit der Dauer einer Paarbeziehung. In Sachen Treue und Untreue sind sich MÄRTIN und THIEL einig. Treue ist ein hoher Wert. Fremdgehen stellt deshalb eine ernsthafte Bedrohung für die Partnerschaft dar. Auch wenn eine Trennung und Scheidung immer nur die zweitbeste Lösung ist, bedeutet dies nicht, dass eine Partnerschaft um jeden Preis aufrechterhalten werden muss. Die Autoren plädieren jedoch dafür, sich die Sache reiflich zu überlegen und geben Orientierungshilfen für solche schwierigen Situationen. 

Fazit: Wie man als Paar den Alltag meistert, dazu geben die beiden Bücher wichtige Denkanstösse und Tipps

Eine erfüllte Partnerschaft ist keine Frage des Schicksals, sondern jeder Partner muss zum Gelingen beitragen. Ratgeber wie jene von THIEL und MÄRTIN ändern zwar nichts an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, hohe Arbeitslosigkeit oder Ignoranz der Unternehmen gegenüber den Bedürfnissen von Paaren und Familien, aber wie wir das Beste aus einer gegebenen Situation machen, dabei können solche Ratgeber durchaus helfen. Die vorgestellten Bücher geben wichtige Denkanstösse und Tipps, wie sich der Paaralltag besser gestalten lässt.  

Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte

"Dieses Buch sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der Demografiepolitik. In einer funktional-differenzierten Gesellschaft sollten Kinderlose genauso selbstverständlich sein wie Kinderreiche. Warum sollten sich unterschiedliche Lebensformen, mit ihren jeweils spezifischen Potenzialen nicht sinnvoll ergänzen können? Solange jedoch in Singles nur eine Bedrohung und nicht auch eine Chance gesehen wird, leben wir in einer blockierten Gesellschaft, in der wichtige Energien gebunden sind, die bei den anstehenden Herausforderungen fehlen werden.
(2006, S.254)"

 
     
 
   

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© 2002 - 2018
Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 17. September 2007
Update: 21. November 2018