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Das Single-Dasein
als Lebensphase und der Monopolverlust der Normalfamilie
In der
sozialpolitischen Debatte dominieren Beiträge,
die sich eine Single-Rhetorik zu
eigen machen. Es wird von einer drohenden
Single-Gesellschaft
gesprochen, die durch Vereinzelung, Vereinsamung, Hedonismus
usw. gekennzeichnet ist. Der französische Romancier Michel
HOUELLEBECQ hat in seinen Romanen
Ausweitung der
Kampfzone und
Elementarteilchen
ein düsteres Bild einer solchen Gesellschaft
gezeichnet.
Grundlage
solcher Schreckensszenarien ist die amtliche
Haushaltsstatistik, die eine
Zunahme der
Einpersonenhaushalte ausweist. Diese Haushalte
werden meist mit dem Etikett "Single-Haushalt" versehen. Vom
Single-Haushalt ist es dann nicht weit zum Klischee des
alleinlebenden
Yuppies.
In dem
Artikel von Robert HETTLAGE wird der
"Mythos
Single" auf der Basis empirischer
Forschungen und einer detaillierten Kritik der
gängigen Interpretation von der Zunahme der
Einpersonenhaushalte demontiert. HETTLAGE
bezieht sich in seiner Analyse auf die
Lebenslauf-
und Biographieforschung, die eine
lebensphasenbezogene Sicht der statistischen
Daten vertritt. Single-Dasein, Partnerschaft und
Familie werden als Lebensphasen
betrachtet und nicht als einander
ausschließende, dauerhafte Lebensformen. In
einer solchen Sicht, die am pointiertesten von
Günter BURKART in seinem Buch
Lebensphasen - Liebesphasen aus dem Jahre 1997
dargelegt wurde, stellen sich die Befunde einer
individualisierten Gesellschaft weit weniger dramatisch
dar. Es geht dann nicht um das
Ende der Familie,
sondern um die Frage, wie sich die
Familienstrukturen in der modernen Gesellschaft
verändern.
HETTLAGE
spricht von der "bürgerlichen
Normalfamilie", die im 19. Jahrhundert zur
Norm wurde und in den 1950er Jahren ihre größte
Wertschätzung erlangte und mittlerweile
nostalgisch verklärt wird. Das Monopol dieser
Normalfamilie sieht HETTLAGE durch
nichteheliche
Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende und
Fortsetzungsehen, aber nicht durch
Singles, gefährdet.
Individualisierung
ist keine Angelegenheit, die vor der Ehe oder
Familie halt macht, sondern sie kennzeichnet
zunehmend auch das "Binnenverhältnis der
Familienmitglieder".
Singles,
Living
apart together und Commuter-Ehe sind
für HETTLAGE weniger Ausdruck eines
"Hedonismus", sondern einer
Ökonomisierung der Lebensverhältnisse, in denen
der "soziale Zwang zur Offenheit auf allen
Märkten" sichtbar wird.
Polarisierung zwischen Verheirateten und
Nicht-Verheirateten?
Während die
Sozialstrukturanalyse anhand von
Querschnittsdaten dazu neigt, die
Gegensätze
von Singles und Familien zu
dramatisieren, neigt die Lebenslauf- und
Biographieforschung dazu, die Gegensätze ganz
aufzulösen und zu entdramatisieren. Alternative
Lebensformen können jedoch durchaus dauerhaft
gelebt werden. BURKART greift deshalb auf den
Milieuansatz
zurück, um unterschiedliche Wertvorstellungen
und daraus resultierende Lebensformen erklären
zu können. HETTLAGE referiert die Ansätze von
GENICKE und BERTRAM, die ebenfalls von
unterschiedlichen Werthaltungen spezifischer
gesellschaftlicher Gruppen ausgehen. Ursache ist
kein gesamtgesellschaftlicher Wertewandel,
sondern die unterschiedlichen Einstellungen
ergeben sich aus der Zunahme der
"(kinderdistanten) Nicht-Verheirateten -
egal, ob jung oder alt, städtisch oder ländlich
geprägt". HETTLAGE zieht daraus den
Schluss, dass in der Gesellschaft die
Polarisierungstendenzen
bestehen bleiben oder sogar noch zunehmen. Die
Familienpolitik ermöglicht die
Anpassungsfähigkeit der Familie an die
gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse zu
steigern. Was die
Vermutung von Polarisierungstendenzen betrifft,
so bewegt sich HETTLAGE auf sehr spekulativem
Gebiet. Die Polarisierung scheint vor allem auf
der Diskursebene stattzufinden und ist Ausdruck
eines starken
Familialismus, der
das "Feindbild Single"
zur Erzeugung von politischem Handlungsdruck
benutzt. |
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