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Einführung
Seit
Ende des 20. Jahrhunderts gelten Internet-Kontaktbörsen
zunehmend als seriöse Möglichkeit der Partnersuche. In den
letzten Jahren ist deshalb die Bedeutung ständig gewachsen.
Auf dieser Website wurde dem Thema Online-Dating bereits im
Oktober letzten Jahres ein Thema des Monats gewidmet. Dabei ging
es um Medienberichte und Ratgeberliteratur
.
Diesmal steht dagegen die wissenschaftliche Erforschung des
Online-Datings im Mittelpunkt. Während Marktanalysen für Deutschland von über 6 Millionen
Nutzern pro Monat ausgehen, kommt eine neuere wissenschaftliche
Untersuchung von Florian SCHULZ u.a. auf über 5 Millionen Nutzer
von Kontaktbörsen. Die Differenzen ergeben sich aus fehlenden Daten zur
tatsächlichen Nutzung, da die Internetanbieter
verständlicherweise kein Interesse daran haben, sich allzu sehr
in die Karten schauen zu lassen. Es ist deshalb ein Glücksfall
für die Sozialforschung, dass mit der Studie Einen Mausklick
von mir entfernt von Evelina BÜHLER-ILIEVA eine Fallstudie
existiert, die auch einen Blick hinter die Kulissen einer
Dating-Site zulässt.
Die Partnerwahl in der Forschung
Die
soziologische Forschung in Deutschland beschäftigt sich erst
seit Ende der 1990er Jahre intensiver mit der Paarbildung
.
Die Partnerwahl kann als erster Schritt eines längeren
Paarbildungsprozesses betrachtet werden. Das
Internet spielt seit der Jahrtausendwende eine zunehmende Rolle
bei der Forschung zur Partnerwahl. Im Kapitel Paarbildung und
Partnerwahl des 1997 erschienenen Buches Lebensphasen -
Liebesphasen des Soziologen Günter BURKART wird das Internet
als Institution der Paarbildung noch gar nicht erwähnt.
Lebensphasen -
Liebesphasen
"Es
gibt Institutionen der Paarbildung, eine Gelegenheitsstruktur,
die sozusagen das Feld vorstrukturiert, bevor die
Partnersuchenden in Aktion treten. Grundsätzlich gilt: Überall,
wo sich Menschen treffen, kann Paarbildung in Gang kommen. Man
kann drei Typen sozialer Institutionen der Paarbildung
unterscheiden: 1. Institutionen, die regelmäßige Kontakte mit
den selben Personen des anderen Geschlechts ermöglichen. Das
sind in erster Linie die Nachbarschaft, das Bildungssystem und
der Arbeitsplatz; 2. Freizeit. 3.
Heiratsvermittlungsinstitutionen."
(1997, S.60) |
Im
deutschsprachigen Raum haben insbesondere die wissenschaftlichen
Arbeiten der Sozialpsychologin Nicola DÖRING zu einer
ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Medium Internet geführt.
Im Mittelpunkt dieser frühen Forschungen standen jedoch Chats
und Newsgroups. Online-Datingsites
galten dagegen lange Zeit als unseriös bzw. eroberten erst nach
der Jahrtausendwende einen größeren Marktanteil. Seit 2003
analysiert singleboersen-vergleich.de die Entwicklung der
Dating-Branche. Während der Branchenumsatz in den letzten Jahren
überproportional gestiegen ist, sind die monatlichen Nutzerzahlen mehr oder weniger stabil geblieben.
Kostenlose Mitgliedschaften bleiben z.B. oftmals auch bestehen, obwohl
die Dating-Sites gar nicht mehr genutzt werden. Die Soziologin
BÜHLER-ILIEVA sieht den Cyberspace als gleichberechtigte
Institution der Partnersuche, d.h. die Typologie der
Gelegenheitsstrukturen von BURKART müsste um das Internet als
vierten Typ erweitert werden.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Im
Laufe der historischen Gattungsevolution der
Gelegenheitsstrukturen verlieren traditionell essentielle
Orte allmählich an Gewicht und verschwinden gar, um durch
neue ersetzt zu werden (etwa Tanzabende durch Discos). Es
entstehen neue Orte und erleben ihre Blüte, das Medium
Internet darf wohl als erster quasi »raumauflösender«
Nicht-Ort betrachtet werden."
(2006, S.74) |
Das
Internet dürfte aber nicht nur die Partnerwahl verändert haben,
sondern auch weitere Phasen der Paarbildung beeinflussen. So
könnte z.B. die Internet-Bildtelefonie via Skype dazu beitragen,
dass die zunehmende Zahl der Fernbeziehungen erträglicher werden
. Wenn Dating-Sites
ein neuer Typus von Gelegenheitsstruktur sind, dann stellt sich
die Frage: Wer sind die Nutzer?
Wer nutzt Dating-Portale?
Verschärft das Internet die soziale Ungleichheit oder erhöht
sich durch die Online-Partnersuche für benachteiligte Gruppen
wie z.B. Schüchternen die Chancen einen Partner zu finden?
Kürzlich veröffentlichten Florian SCHULZ u.a. den Artikel Wer
nutzt Internetkontaktbörsen in Deutschland? in der
Zeitschrift für Familienforschung, Heft 3. Anhand der
ARD/ZDF-Onlinestudie 2007 haben die Forscher die
soziodemographischen Unterschiede zwischen deutscher
Bevölkerung, Online-Nutzern und Kontaktbörsen-Nutzern
aufgezeigt. Ihre zentrale These lautet, dass
Internet-Kontaktbörsen vor allem von jenen genutzt werden, die
auf traditionellen Heiratsmärkten geringere Chancen haben. Dabei
haben sie sich auf das Bildungsniveau und das Geschlecht
konzentriert.
Wer nutzt
Internetkontaktbörsen in Deutschland?
"In
Erweiterung zu früheren Untersuchungen zeigen unsere Ergebnisse,
dass die Neigung von Männern und Frauen, am Onlinedating
teilzunehmen, von ihren jeweiligen Perspektiven am Heiratsmarkt
abhängig ist. Vor allem höher gebildete Frauen und niedrig
gebildete Männer gehören dabei zu den Gruppen, die durch die
Nutzung von Online-Kontaktbörsen ihre Partnersuche ausweiten."
(2008, S.271) |
Ob
jedoch benachteiligte Gruppe von der Internetnutzung
profitieren, d.h. erfolgreicher sind als auf anderen Wegen der
Partnersuche, diese Frage hat die Untersuchung nicht geklärt.
Dazu sind auch Fallstudien wie jene von BÜHLER-ILIEVA notwendig.
Es könnte z.B. sein, dass der Erfolg eines Online-Daters auch
davon abhängt, welches Portal genutzt wird. Die Sozialstruktur
von Dating-Portalen ist ja nicht unbedingt identisch, sondern
unterscheidet sich nach Geschlechterproportionen und anderen
Merkmalen. Insbesondere Nischen-Anbieter sprechen spezielle
Zielgruppen wie z.B. Christen, Alleinerziehende usw. an.
Ist PartnerWinner prototypisch für
Dating-Sites?
BÜHLER-ILIEVA sieht das Schweizer Dating-Portal PartnerWinner
als prototypisch für Schweizer Dating-Sites an. PartnerWinner
existiert seit Anfang dieses Jahres nicht mehr als eigenständige
Marke, sondern ist in Swissfriends aufgegangen. Inwieweit
ist das Portal also prototypisch für deutschsprachige
Dating-Portale? Singlebörsen-vergleich.de unterscheidet 3
Typen von Dating-Sites:
1) Singlebörsen
2) Partnervermittlungen wie Parship oder ElitePartner
3) Adult-Dating wie Seitensprung-Agenturen
PartnerWinner gehört technisch und zielgruppenmässig zu
den Singlebörsen im Gegensatz zu Partnervermittlungen, die mit
psychologischen Tests (Matching-Verfahren) arbeiten, um einen
passenden Partner zu finden oder zu Adult-Dating, bei dem
erotische Kontakte, außereheliche Beziehungen oder ähnliches im
Mittelpunkt steht. PartnerWinner gehört auch nicht zu den Nischen-Anbietern, sondern ist eine der führenden Kontaktbörsen
der Schweiz gewesen. In diesem Sinne ist die Falluntersuchung
prototypisch für das Marktsegment Single-Kontaktbörsen. Einige
Einschränkungen müssen jedoch gemacht werden. Fotos waren zum
Zeitpunkt der Webumfrage nur für wenige VIP-Mitglieder
zugelassen, während sich die Mehrzahl mit Avataren, d.h.
Schattenrissen zufrieden geben musste. Das Aussehen der
Partnersuchenden spielte deswegen zuerst einmal keine Rolle.
Heutzutage gehören dagegen Fotos bei den meisten Singlebörsen
zum Standard. Auch die Kostenpflicht wurde erst nach der
Webumfrage eingeführt. Sieht man von diesen Einschränkungen ab,
dann bleiben immer noch viele wertvolle Erkenntnisse, die sich
auf heute gängige Singlebörsen übertragen lassen bzw. weitere
Forschungen anregen könnten.
Singles als typische Nutzer von Dating-Sites
Der
Singlebegriff wird in Studien sehr unterschiedlich gehandhabt.
In der bereits weiter oben angesprochenen Studie von Florian
SCHULZ u.a. lagen keine Informationen über den Partnerstatus
vor. Als Indikator musste auf den Einpersonenhaushalt
zurückgegriffen werden.
Wer nutzt
Internetkontaktbörsen in Deutschland?
"Personen,
die allein im Haushalt leben, neigen signifikant stärker zur
Nutzung von Internetkontaktbörsen. (...). Da die Lebenssituation
nur unscharf modelliert werden konnte, kann dieser Hinweis
darauf interpretiert werden, dass die Nutzer von
internetbasierte Kontaktbörsen tatsächlich aktiv auf der Suche
nach einem Partner sind."
(2008, S.285f.) |
Alleinlebende sind aber nicht unbedingt partnerlos, während in
Mehrpersonenhaushalten auch Partnerlose leben können
.
Dagegen
war in der Fallstudie von BÜHLER-ILIEVA sowohl der Partnerstatus
als auch der Familienstand bekannt. Als Singles wurden jedoch
nicht alle Partnerlosen bezeichnet, sondern nur unverheiratete
Partnerlose, die älter als 25 Jahre waren und seit mindestens
einem Jahr keine feste Beziehung hatten, also auch Personen, die
noch nie eine feste Beziehung hatten. Nur 10 % der Nutzer waren
Nicht-Singles.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Längst nicht alle Partnersuchenden
müssen zwingend Singles sein - fast ein Zehntel aller
Befragten lebte zum Zeitpunkt der Umfrage in einer
Partnerschaft (63 % davon sind Beziehungen, die nicht auf
PartnerWinner geknüpft wurden). Obwohl zur Hälfte
verheiratet (...), deutet vieles auf das Infragestellen
ihrer bestehenden Beziehung hin. Personen, die sich in einer
Partnerschaft befanden und dennoch auf Kontaktsuche waren,
zeichneten sich im Vergleich zu den übrigen Usern
beispielsweise dadurch aus, dass sie zu 29 % »nur«
erotische Kontakte, Freundschaften oder Dating anstrebten.
Ein beträchtlicher Teil von ihnen hat seine Suche nicht
spezifiziert (27 % »nichts Besonderes«). Nur 17 %
gaben an, eine dauerhafte Liebesbeziehung zu suchen."
(2006,
S.204) |
Bei den Singles unterscheidet
BÜHLER-ILIEVA temporäre und dauerhafte Singles. Bei letzteren
handelt es sich um Menschen ohne Beziehungserfahrung. 85 % der
Nutzer waren temporäre Singles, aber immerhin noch 15 % hatte
noch nie eine Beziehung.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Temporäre Singles werden Singles
genannt, die nur über eine bestimmte Zeit keine
Partnerschaft hatten. Als dauerhafte Singles
bezeichnen wir Singles, die noch nie in ihrem Leben eine
feste partnerschaftliche Beziehung hatten. Die Variable
Alter spielt dabei eine wichtige Rolle, denn fast die Hälfte
der stets Beziehungslosen waren unter 25 Jahre alt."
(2006,
S.60) |
Die
Studie zeigt, dass das Thema Menschen ohne Beziehungserfahrung
derzeit noch immer unterbelichtet ist
. Bei den über 25jährigen
"absoluten Beginnern" wie diese Menschen auch genannt
werden, handelt es sich überwiegend um männliche Nerds
,
Studenten oder Nesthocker
.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Als dauerhafte Singles wurden ledige
Personen bezeichnet, die 1) älter als 25 Jahre waren und 2)
noch nie eine feste Beziehung hatten. Entgegen gängiger
Vorurteile, dass hauptsächlich
»ewige Singles«
eine romantische Beziehung im Netz suchen, hatte nur ein
Sechstel aller Befragten noch nie eine feste Beziehung,
wurde also den dauerhaften Singles zugeordnet. Sie waren im
Durchschnitt immerhin 27 Jahre alt (...) und zu 84 % Männer.
Bei den Eltern lebte ein Fünftel, ein Zehntel waren
Studenten. Fast die Hälfte davon hatten technische Berufe
oder Berufe in der IT-Branche. Der Wunsch nach einer
langfristigen Liebesbeziehung war bei den dauerhaften
Singles stärker ausgeprägt als in der gesamten Gruppe."
(2006, S.216) |
Die
überwiegende Mehrzahl der Singles waren jedoch Partnerlose, die noch nicht
lange ohne feste Partnerschaft waren. Ein Fünftel war weniger
als 2 Jahre, 84 % weniger als 3 Jahre partnerlos. Neuere Studien einer
Forschungsgruppe um Gunter SCHMIDT kommen zu ähnlichen
Ergebnissen. Dieses Beziehungsmuster von Singles wird auch als serielle Monogamie bezeichnet
. Die
weiter oben angesprochenen Befunde von Florian SCHULZ u.a.
deuten darauf hin, dass sich solche oder ähnliche Verhältnisse
auch bei anderen vergleichbaren Singlebörsen finden lassen. Dies
müsste in weiteren Studien überprüft werden.
Männerüberschuss auf Dating-Sites
Die
Steigerung des Frauenanteils war von Anfang an ein Hauptziel von
Dating-Portalen. Florian SCHULZ ermittelten für 2007 ein
Verhältnis der Geschlechter beim Online-Dating von 63,7 %
Männern zu 36,3 % Frauen. Das entspricht ziemlich genau dem
Verhältnis, das BÜHLER-ILIEVA zum Zeitpunkt der Webumfrage im
Jahr 2002 ermittelte. Der Frauenanteil ist bei PartnerWinner
bis zum Jahr 2004 auf 45 % gestiegen. Dies hängt zum einen mit
der neuen Normalität der Online-Partnersuche, aber auch mit der
Einführung der Kostenpflicht ab. Kostenpflichtigen
Angeboten trauen Frauen offenbar eher zu, dass sie männliche
Partnersuchende abschrecken, die nicht wirklich nach einem
Lebenspartner suchen. Ein
Blick in die von der Verbraucherzentrale herausgegebene
Broschüre Gesucht: Neue Liebe zeigt, dass das Verhältnis
der Frauen- und Männeranteile von Dating-Portal zu Dating-Portal
sehr unterschiedlich ist. Mit kostenlosen Mitgliedschaften für
Frauen konnten Kontaktbörsen ein relativ ausgewogenes
Geschlechterverhältnis erreichen. Aber auch diese Strategie der
Anbieter hat seine Tücken, wie Birgit ADAM schreibt.
Gesucht: Neue
Liebe
"Bei
einigen Online-Kontaktbörsen ist die Mitgliedschaft für
Frauen kostenlos. Dies wurde eingeführt, um mehr Frauen
anzulocken, da die Kontaktbörsen am Anfang hauptsächlich von
Männern genutzt wurden. Und es hat funktioniert, denn
inzwischen ist das Geschlechterverhältnis bei den meisten
Online-Kontaktbörsen fast ausgewogen. Allerdings ist man
auch hier vor Fakes nicht ganz sicher. Immer wieder kommt es
vor, dass sich Männer als Frauen anmelden, um Kosten zu
sparen. Sie stellen ihr normales Profil ins Netz, allerdings
ohne Foto. Und Sie als Frau bekommen dann eine E-Mail von
Martina, die mit den Worten beginnt: »Ich bin gar nicht
Martina, sondern Martin.« Wollen Sie wirklich einen Partner,
der zu geizig ist, um die Gebühren für eine
Online-Kontaktbörse zu zahlen? Prinzipiell spricht jedoch
nichts dagegen, diese für Frauen kostenlosen Angebote zu
nutzen. Trotz allem ist man hier vor Fakes relativ sicher
und wenn sich nichts tut, können Sie immer noch auf andere
Angebote umstellen."
(2008, S.43) |
Angesichts der Tatsache, dass Florian SCHULZ u. a. einen
Männerüberschuss bei den Online-Datern festgestellt haben, muss
es aber immer noch genügend Partnerbörsen geben, die kein
ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aufweisen können. BÜHLER-ILIEVA
kommt in ihrer PartnerWinner-Fallstudie zum Schluss, dass
die Erfolgsaussichten für Frauen auch aufgrund des Männerüberschusses
besser sind.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Frauen
müssen mit weniger Konkurrenz rechnen, weil Männer in der
Überzahl sind und sie somit statistisch grössere Chancen
haben, einen Partner zu finden. Ihr Partnersuch-Verhalten
unterscheidet sich erheblich von dem der Männer. Frauen
waren in der Liebessuche um 9 % erfolgreicher als Männer -
28 % aller Frauen konnten einen Liebespartner finden. Jede
sechste Frau und jeder zehnte Mann berichteten, dass ihre
auf PartnerWinner entstandene Beziehung während der
Befragung intakt war - eine Geschlechterdifferenz, die in
weiteren Studien festgestellt wurde."
(2006, S.328) |
Können Schüchterne von Dating-Portalen
profitieren?
Gemäß BÜHLER-ILIEVA
hat das Internet für schüchterne Menschen Vorteile, da es
Kontakte ermöglicht, die der normale Alltag nicht bietet.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Im
realen Leben beklagen Singles vor allem, dass sie keinen
Zugang zu anderen Gruppen von Singles haben. Im Cyberspace
haben sie primär den Vorteil, der alltäglichen
Stigmatisierung des Singleseins zu entfliehen und damit
Vorurteilen gegenüber herkömmlichen Singletreffs
auszuweichen. Versteckt hinter der Anonymität einer
virtuellen, von ihnen selbst konstruierten Identität, dürfen
scheue und introvertierte Leute im Netz mit neuen Mustern
der Kontaktsuche experimentieren."
(2006, S.65) |
Auch
Schüchterne glauben, dass das Internet ihnen bessere
Möglichkeiten bietet als die normale Partnersuche.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"»PartnerWinner
bietet für mich als eher scheuen und nicht für lange Abende
in Bars geschaffenen, eher etwas korpulenten
Durchschnittstyp die Möglichkeit, eine ehrliche, liebe,
hübsche, treue Traumfrau zu finden, mit der man getrost alt
werden kann - so hoffe ich«. Eine Datingplattform online ist
demnach eine willkommene Option für introvertierte und
schüchterne Menschen. Sie hat einen egalisierenden
Einfluss und fördert die Chancengleichheit unter den
Beziehungswilligen. Es lässt sich der feste Glaube der
Befragten erkennen, dass das Internet eine
kompensatorische Rolle für Personen mit Kommunikations-
und Kontaktdefiziten spiele (»Für Leute, die im realen Leben
Mühe haben, auf andere zuzugehen, bietet das Internet eine
Chance«; »Die Partnersuche im Internet kann scheuen
Menschen helfen, ihre Kontaktangst zu überwinden«)."
(2006, S.327f.) |
Sind
aber Schüchterne tatsächlich bei der Online-Partnersuche
erfolgreicher als im normalen Alltag? Oder anders gefragt:
Nutzen sie die Vorteile? Wie
bereits weiter oben angesprochen, sind Frauen erfolgreicher als
Männer. Dies liegt aber nicht unbedingt am Männerüberschuss an
sich, sondern auch an den Einstellungen zur Online-Partnersuche
sowie an den Strategien, die angewandt werden.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Frauen (legen) trotz ihrer auf den
ersten Blick passiven Rolle als Partnersuchende in
quantitativer Hinsicht ein durchwegs betriebsameres
Verhalten auf PartnerWinner an den Tag (...): Sie schreiben
und erhalten mehr E-Mails, haben mit einer grösseren
Personenzahl E-Mail-Kontakt, arrangieren intensiver Dates
offline."
(2006, S.234)
"Frauen zeigten zudem um einiges mehr
Freude an multiplen Identitäten - 83 % aller Männer hatten
nur ein Profil gegenüber 79 % der Frauen. Demnach neigten
Frauen vermehrt dazu, drei oder vier Profile zu erstellen.
Ältere User hatten in der Regel mehr Identitäten als
jüngere". (2006, S.284) |
Pessimismus hindert insbesondere schüchterne Männer daran eine
aktivere Partnersuchstrategie zu ergreifen. Solche Menschen
geben zu früh auf
.
Ein Nutzer bringt dies auf den Punkt.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Ich denke, dass
Leute, welche es sonst schon schwerer haben im Leben, z.B.
scheu sind oder nicht schön, noch mehr in ein Loch fallen,
wenn sie im PartnerWinner jemanden kennenlernen und es dann
wieder nicht klappt. Für solche Menschen bedeutet
PartnerWinner zwar mehr Möglichkeiten zum Kontakt, aber eben
auch mehr Enttäuschungen."
(2006, S.243) |
Frauen
nutzen die Möglichkeiten, die das Internet bietet, viel
konsequenter. Die Befunde zur geschlechtsspezifischen
Suchstrategie decken sich im übrigen auch mit den Erfahrungen,
die Judith ALWIN im Netz gemacht hat.
Ins Netz
gegangen
"In
Profilbeschreibungen von Männern kommt das Wort
»ängstlich« nie vor. Es scheint aber eine ernst zu nehmende
Charaktereigenschaft von ihnen zu sein, denn anders lassen sich
manche seltsamen Verhaltensweisen nicht erklären. Vor allem
nicht die hohe Ausfallrate bei einem ersten Treffen oder die
hart erkämpften, aber dann doch nicht benutzten Telefonnummern.
Auf die Idee, dass
»Mann« Angst vor mir haben könnte, bin ich nicht mal selbst
gekommen. Erst durch zahlreiche Mails zu diesem Thema".
(2008,
S.87) |
BÜHLER-ILIEVA
hat in ihrem Sample die Kategorie der "Schweigsamen" gefunden.
Diese Gruppe verheimlicht ihre Partnersuche im Internet und
weist viele Verhaltensmerkmale mit introvertierten, schüchternen
bzw. partnerschaftsunerfahrenen Männern auf, die auch aufgrund
ihres nicht-adäquaten Verhaltens weniger Erfolg als andere
haben. Diese Gruppe machte immerhin ein Fünftel der Nutzer bei
PartnerWinner aus.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Die Analyse der Schweigsamen ergab
einen gewichtigen Geschlechtsunterschied - Männer stellten
73 % (gegenüber 62 % in der Grundgesamtheit), wobei die
männliche Übervertretung hoch signifikant ist. (...).
Die
»Schweigsamen«
haben etwa gleich viel Erfahrung mit Chatrooms wie die
übrigen User, andererseits weniger mit anderen
Dating-Plattformen. Dafür findet sich hier eine auffallend
grosse Anzahl von Personen ohne vorgängige Erfahrungen mit
»Partnersuche« (32 % gegenüber 23 % in der Gesamtgruppe). Die Schweigsamen hatten (...) auch weniger
Erfahrungen mit früheren Internet-Beziehungen (...).
Benutzer, die
ihre Online-Partnersuche unter Verschluss hielten, wurden
konsequenterweise in geringerem (12 %) Ausmasse fündig: Gute
38 % gaben an, weder Dates noch E-Mailkontakte gefunden zu
haben. Nur 6 % berichteten, den richtigen Partner gefunden
zu haben (...). Es ist nicht weiter erstaunlich, dass sie
sich im allgemeinem durch passiveres Verhalten auf
PartnerWinner auszeichneten: Mehr als 50 % der Schweigsamen
tauschten keine Photos aus, 47 % haben mit niemandem
telefoniert, 48 % kein einziges Date gehabt."
(2006, S.310f.) |
Für
schüchterne Menschen bieten sich durch das Internet Vorteile
gegenüber anderen Wegen des Kennenlernens. Insbesondere beim
ersten Schritt der Kontaktaufnahme sind die Hemmschwellen
geringer. Der Knackpunkt ist der Übergang von der virtuellen zur
Offline-Beziehung: Telefonkontakte und Treffen in der realen
Welt sind zu meistern, wenn es mit einer festen Beziehung
klappen soll.
Die Optimierung von Profilen als Erfolgsfaktor
Gemäß BÜHLER-ILIEVA
bieten Profile neuartige Möglichkeiten der Identitätsbildung.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Die Onlinedater werden in einer
Datingplattform mit einer einmaligen sozialen Situation
konfrontiert, die sie aus ihrer realen Lebenserfahrung
bisher nicht kennen. Sie sind im Stande, mit ihren
Identitätskonstruktionen zu experimentieren, sie erhalten
zur angebotenen, multiplen Präsentation ihres Selbst
zahlreiche begeisterte oder beschimpfende Feedbacks. Dadurch
wird eine effiziente Steuerbarkeit der eigenen
Identitätsbildung möglich, die offline niemals mit dieser
Präzision, Dynamik und Plastizität denkbar wäre."
(2006,
S.291) |
Partnersuchenden bietet sich u.a. die Möglichkeit mit mehr als
einem Profil zu experimentieren. Mehrfachmitgliedschaften und
nicht gelöschte Profile sind einer der Gründe, warum die Zahl
der Nutzer wesentlich geringer ist als die Zahl der Mitglieder
von Partnerbörsen, die in Marktstudien genannt werden. Mehr als
18 % der Nutzer von PartnerWinner hatten mehr als ein
aktives Profil. Frauen
experimentierten häufiger mit Profilen als Männer. Aber auch
ältere Partnersuchende sind experimentierfreudiger als Jüngere. BÜHLER-ILIEVA
unterscheidet vier Funktionen der Identitätskonstruktion mittels
Profilerstellung: Attraktivitätsintensivierung, optimale
Anpassung an die Plattformbedingungen, Streben nach
Einzigartigkeit der Repräsentation und Aufmerksamkeit erregen
durch neue Profile.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Eine intensivierte Identitätsbildung vollzieht sich dann,
wenn die bisherige Erfahrung in der extremen
Konkurrenzsituation vom Akteur als unbefriedigend
eingeschätzt wurde. Folgende Funktionen der
Identitätskonstruktion können auf einer analytischen Ebene
differenziert werden:
1. Attraktivitätsintensivierung:
»Ich wollte die
Chancen erhöhen, dass jemand mein Profil liest«;
2. Optimierte Konkurrenzfähigkeit, von systeminternen
Eigenschaften der Plattform bedingt: »Ich wollte
alphabetisch weiter vorne stehen«;
3. »Einzigartige« Repräsentation: »Mein Nickname war
anderen sehr ähnlich«;
4. Saliente Aktualität: »Einfach mal neu anfangen,
das alte Profil benutze ich fast nie mehr«; »Es ist wichtig,
sich als Neuling zu geben - nicht wie jemand, der schon
monatelang dabei ist«; »Man bekommt am Anfang die meisten
Zuschriften. Deshalb habe ich alte Profile stillgelegt und
jeweils wieder neue eröffnet«."
(2006, S.291) |
Die
Profilerstellung ist bei Kontaktbörsen entscheidend für den
Erfolg. Dies unterscheidet Kontaktbörsen von
Partnervermittlungen, die mit Matchingverfahren arbeiten. Wer
ein Profil erstellt, das völlig unrealistisch ist, der
wird spätestens beim ersten E-Mail-Kontakt, beim Telefonat oder
bei einem richtigen Treffen, Enttäuschungen erleben. Manchen
Männern scheint es aber offenbar zu genügen, virtuelles Begehren
auslösen zu können.
Erfolglose Frauen und Männer sehen die
Schuld oftmals beim anderen Geschlecht
Wenn
die eigene Partnersuche erfolglos bleibt, vermuten sowohl Frauen
als auch Männer das Problem beim anderen Geschlecht.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Frauen gaben
zum Ausdruck, auf PartnerWinner würden sich viel zu häufig verheiratete Männer
tummeln, die auf Jagd nach Seitensprüngen seien, oder dass
die Mehrheit vorwiegend auf sexuelle Kontakte abziele;
Männer ihrerseits beklagten andauernd das unausgeglichene
Geschlechterverhältnis auf der Plattform, das ihnen eine
erfolgreiche Suche angeblich verunmögliche, oder dass Frauen
ihre zahlreichen Kontaktversuche unbeantwortet liessen".
2006, S.198f.) |
Erfolgreiche Partnersuchende zeichnen sich dagegen u. a. durch
ein größeres Selbstbewusstsein, mehr Partnererfahrungen und eine
aktivere Suchstrategie aus.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Hervorzuheben
ist, dass die auf PartnerWinner erfolgreichen Benutzer um
drei Jahre signifikant älter waren als die erfolglosen, sie
hatten auch mehr Kinder, waren selbstbewusster und sexuell
zufriedener. Sie waren insgesamt aktiver auf PartnerWinner:
Jeder fündige User schrieb während seines Aufenthalts zwei
Inserate mehr als der erfolglose. Auch die E-Mail-Kontakte
waren intensiver: um zwei geschriebene und drei erhaltende
Mails mehr wöchentlich. Erfolgreiche Benutzer zeichneten
sich mit einem stärkeren Sicherheit- und Vertrauensindex als
die erfolglosen aus."
(2006, S.265) |
Auch
diese Erkenntnisse deuten daraufhin, dass die
Kompensationsmöglichkeiten von im Alltag benachteiligten Gruppen
wie Schüchternen oder Menschen ohne Beziehungserfahrung auch im
Internet nicht allzu hoch eingeschätzt werden sollten. In der
Forschung werden diese Gruppen bislang zu wenig berücksichtigt.
Fazit: Die lesenswerte Fall-Studie von Evelina
Bühler-Ilieva gibt wichtige Einblicke in die Partnerwahl im
Internet
Die wissenschaftliche
Erforschung von Dating-Portalen und der Partnerwahl im Internet
steht noch am Anfang. Die Studie von Evelina BÜHLER-ILIEVA
ermöglicht am Beispiel der Schweizer Kontaktbörse PartnerWinner
aufschlussreiche Einblicke in das Nutzerverhalten, die Motive und
die Erfolgsbedingungen der Partnersuche. Im Rahmen des
DFG-Forschungsprojektes Prozesse der Partnerwahl bei
Online-Kontaktbörsen wird zwar derzeit intensiv über diese
Fragen geforscht, aber die dazugehörige Website www.partnerwahlforschung.de hat noch nicht viel zu
bieten. Auf die gewonnenen Erkenntnisse darf man dennoch gespannt
sein. Wer
nicht so lange warten möchte, dem bietet das Buch Einen
Mausklick von mir entfernt bereits jetzt einen sehr guten
Überblick über den Forschungsstand zum Thema. Für jeden, der auf
diesem Gebiet forschen möchte, ist das Buch sozusagen
Pflichtlektüre. Nur wenige Wissenschaftler dürften die
Entstehung eines Online-Datingportals so hautnah miterlebt haben
wie Evelina BÜHLER-ILIEVA und ihr Partner Christoph LÜSCHER. Für
die soziologische Partnerwahlforschung ist das auf alle Fälle
ein Glücksfall.
Einen Mausklick
von mir entfernt
"Es fing
womöglich bereits dann an, als ich die Geburt der
Datingplattform PartnerWinner.ch im Mai 2000 unmittelbar
erleben durfte. Mein Freund und ich befanden uns zu der Zeit
in Wien auf einem Multimedia-Festival (...). Verständlich
war Christoph als Projektleiter von PartnerWinner.ch
ziemlich nervös. In einer der Festivalpausen gingen wir
schleunigst in ein Internetcafé und dort - unverzüglich -
wurden unsere virtuellen Personae geboren, mit Nicknamen und
Avataren. Wir gehörten zu den ersten Mitgliedern der noch
jungen virtuellen Gemeinschaft".
(2006, S.15) |
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