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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Späte Mütter und Väter

 
       
   

Eine Bibliografie der Debatte um die Spätgebärenden (Teil 4)

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Als späte Mütter werden hier Mütter bezeichnet, die noch mit 35 Jahren und später ein Kind gebären. Diese Bibliografie soll eine erste Orientierung in diesem Themenbereich ermöglichen und wird im Laufe der Zeit erweitert und aktualisiert.

Kommentierte Bibliografie (Teil 4 - 2016 bis heute)

2016

NIDO-Titelgeschichte: Kinderkriegen 2016.
Von Eizellspende bis Social Freezing - was heute alles möglich ist, und was das mit uns macht

SCHRÖDER, Catalina (2016): Es geht auch ohne Mann.
Was tun, wenn man Kinder möchte, aber einfach nicht den richtigen Partner findet? In Dänemark nehmen immer mehr Frauen das Kinderkriegen allein in die Hand - und lassen sich mit dem Sperma eines fremden Spenders befruchten. Es sind so viele, dass es für die Singlemütter schon einen Begriff gibt: Solomors,
in: Nido, März

STEINWACHS, Britta (2016): Seht mal, wie glücklich wir sind!
Die prekäre Mitte der Gesellschaft wendet sich verstärkt traditionellen Geschlechterrollen zu,
in:
Neues Deutschland v. 28.05.

"Während ab dem Ende der 60er Jahre in der alten Bundesrepublik bei der Jugend der individuelle Freiheitsdrang an Bedeutung gewann, setzte der Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherheiten ab den 90er Jahren eine Rückorientierung zu sozialer Herkunft und Vater-Mutter-Kind-Familie mit Reihenhaus, Hund, Kombiwagen und Vorgarten in Gang",

erklärt uns Britta STEINWACHS den Wandel der Jugend. Die RTL-Dating-Show Take Me out wird zur Blaupause für die Retraditionalisierung des Geschlechtverhältnisses stilisiert. Zum Schluss wird dann die Theorie zu dieser Sicht geliefert: Cornelia KOPPETSCHs Buch Die Wiederkehr der Konformität. Normalerweise wird diese Mittelschicht-Theorie nicht anhand des "Unterschichtenfernsehens" erklärt. Das selbstbewusste Single-Dasein war selbst in den 1990er Jahren eher eine Medienpropaganda und weniger gelebte Realität. Spätestens seit Mitte der Nuller Jahre der Single vom Pionier der Moderne zum Irrweg erklärt wurde und seit neuerdings die medial gehypte Singlefrau nicht als frustrierte Kinderlose enden will, sondern lieber Solomutter wird, muss man sich eher fragen, warum ein Buch wie Die Wiederkehr der Konformität noch solchen Wirbel um Singles verursachen kann:

"Single-Sein verweist immer weniger als stolzes Lebensmotto auf eine bewusst gewählte Freiheit, sondern sei mit dem Stigma des Versagens behaftet."

Warum also wird erst jetzt offen diskutiert, was schon seit Mitte der 1990er Jahre galt? Dies hat wohl mit dem Altern der Single-Generation zu tun. Das Single-Dasein war in unserer Gesellschaft immer nur als postadoleszente Lebensphase bzw. als Phase zwischen zwei Liebesbeziehungen oder Selbstfindungsphase, aber nie als Lebensform akzeptiert.

RÜFER, Lisa (2016): Mama ohne Papa.
Der Kinderwunsch ist groß, aber der Partner fehlt. Muss man deswegen auf ein Baby verzichten? Nein, sagen immer mehr Single-Frauen und erfüllen sich ihren Lebenstraum alleine,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 28.05.

Lisa RÜFER berichtet über Singlefrauen mit Kinderwunsch. Um das schlechte Image dieser Frauen umzuwerten, werden sie nicht als Karrierefrauen dargestellt, sondern als Frauen, die nicht den richtigen Partner (Kindervater) gefunden haben.

Beispielhaft erzählt RÜFER die Geschichte einer Solomutter, die sich ihren Kinderwunsch mit 43 Jahren in Dänemark erfüllt hat. Ihre Begründung:

"Ich wollte nicht zu einer frustrierten kinderlosen 50-Jährigen werden, ich wollte aber auch niemanden ungewollt zum Vater machen."

Kinderlose haben in deutschen Medien ein noch schlechteres Image als Solomütter, weshalb sie in den Medien als "frustriert" gelten. Solche Zuschreibungen werden deshalb auch gerne zur Distinktion verwendet. Durch die Abwertung von Kinderlosen, wird das schlechte Image von Solomüttern ebenfalls aufgewertet.

Die Vernetzung von Solomüttern in Internetforen wird als Ausweg aus der Vereinzelung beschrieben. RÜFER zitiert Constanze BLEICHRODT ("Geschäftsführerin einer Münchner Samenbank"), die Single-Frauen mit Kinderwunsch berät.

Während es zu Kindern, die in Deutschland aufgrund einer Samenspende geboren wurden, zumindest Schätzungen des Arbeitskreises Donogene Insemination gibt ("jährlich 1200 Kinder"), bleibt die Zahl der Solomütter im Dunkeln. Lediglich die steigenden Beratungszahlen können als Indikator verwendet werden:

"Das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland berichtet, dass der Anteil an Single-Frauen, die zur Beratung kommen, jährlich steigt. Wie viele Kinder so entstehen, ist unbekannt."

Die steigenden Beratungszahlen können jedoch auch als Hinweis auf die steigende mediale Berichterstattung zum Thema Solomütter gewertet werden.

Um das Image der Solomütter aufzuwerten ist auch die Änderung des Familienideals notwendig:

"Studien zeigen, dass Kinder vor allem stabile Bezugspersonen brauchen. Und das müssen nicht notwendig Mama und Papa sein",

heißt es deshalb in dem Artikel. Die Kosten der Behandlung werden als Hemmnis für die Zunahme von Solomüttern in Deutschland bezeichnet.

Das Beispiel einer 30jährigen Erzieherin, die auf einer pädagogischen Hochschule studiert hat, zeigt die Probleme in Deutschland eine Solomutter werden zu wollen, denn die Bundesärztekammer lehnt die Behandlung von Single-Frauen mit Spendersamen immer noch ab.

Sind Solomütter mit Alleinerziehenden vergleichbar? Der Artikel grenzt Solomütter, die ihre Wahl bewusst getroffen haben, zu Alleinerziehenden, die das unfreiwillig geworden sind, ab. Solomütter mit Einzelkind werden deshalb auch nicht als isolierte Kleinstfamilie dargestellt, sondern als Teil einer "modernen Großfamilie".

Fazit: Der Artikel zeichnet ein positives Bild von Solomüttern, deren Diskriminierung als falsch dargestellt wird. Dazu wird BLEICHRODT zitiert:

"Psychologin Constanze Bleichrodt hofft, dass es Frauen wie Sarah und Maja eines Tages einfacher haben werden und die Krankenkassen Behandlungskosten übernehmen. »Die Kraft des Faktischen wird sich einen Weg bahnen«, prophezeit sie."

Man könnte auch sagen die Kraft des Medialen bahnt hier einen Weg für Solomütter.

PANTEL, Nadia (2016): Kindeskind.
Buch zwei: Jana ist Schülerin, große Schwester, Praktikantin. Und Mutter. Als sie schwanger wird, ist sie 17 Jahre alt. Was geschieht eigentlich, wenn das Ich noch gar nicht fertig ist, bevor ein kleines Du dazukommt?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 06.08.

"In Deutschland kriegen mehr Frauen mit 40 ihr erstes Kind als mit 17. Weniger als drei Prozent der Frauen werden in Deutschland vor ihrem 18. Geburtstag schwanger. Im Durchschnitt sind Frauen knapp über 30, wenn sie sich entscheiden, ein Baby großzuziehen. Der Nachwuchs ist dann entweder lange herbeigesehnt oder sorgfältig getimt. (...).
Die Statistik in Janas Familie liest sich anders. Hier passen drei Generationen in knapp 40 Jahre. Janas Mutter war selbst gerade 20 Jahre alt geworden, als Jana auf die Welt kam. Janas Vater arbeitete bei der Feuerwehr, Janas Mutter bracht ihre Ausbildung zur Reisekauffrau ab und wurde Hausfrau. Aus der jungen Liebe wurde keine junge Familie. Janas Vater ging, ein Stiefvater kam, dann eine Halbschwester. Einige Patchwork-Jahre später, mit 38 wurde Janas Mutter Oma",

schildert uns Nadia PANTEL den Gegensatz von Akademiker- und Unterschichtenmilieu anhand ihres Gebär- und Familienverhaltens.

BRIGITTE-Dossier: Wenn Männer keine Väter werden.
Männer haben es gut: Bei ihnen tickt keine biologische Uhr, sie können immer Kinder bekommen... nein, ganz so einfach ist es nicht. Auch bei Männern sinkt ab Mitte 40 die Wahrscheinlichkeit, noch eine Familie zu gründen. Und sie müssen einen Weg finden, damit umzugehen

CARL, Verena (2016): Zwischen Babyblues und Freiheitsdrang.
Wer die Entscheidung für ein Kind nicht rechtzeitig trifft - aus welchen Gründen auch immer -, für den entscheidet irgendwann das Leben. Und zwar meistens abschlägig. Woran liegt es, wenn Männer kinderlos bleiben, und wie fühlen sie sich damit?
in:
Brigitte Nr.22 v. 12.10.

"Frauen (...) gelten ab Mitte, Ende 30 als angezählt, ein paar Jahre später als tragische Nietenzieher in der Babylotterie oder als Karrierezicken, und ab Mitte 40 macht der Körper irgendwann nicht mehr mit. Egal, ob Schicksal, Biologie oder freiwillige Entscheidung - ganz kalt lässt die K-Frage keine",

erklärt uns Verena CARL, was Frauen heute von der Gesellschaft, d.h. den Mainstreammedien und speziell der Bevölkerungswissenschaft als Deutungsschema angeboten wird.

Schon seit Anfang des Jahrtausends werden Spätgebärende, als die - trotz aller Fortschritte der Reproduktionsmedizin und großer interindividueller Unterschiede hinsichtlich der persönlichen Fruchtbarkeit, immer noch über 34-jährige Frauen gelten, als Problemfall beschrieben. Seit Mitte der Nuller Jahre haben Postfeministinnen, Bevölkerungswissenschaft und Reproduktionsmedizin verstärkt den Mann als kinderlosen Problemfall entdeckt. Nicht nur Verena CARL versucht deshalb das Bild vom bis ins hohe Alter zeugungsfähigen Mann zu demontieren.

Die Kinderlosigkeit des Mannes ist jedoch zu allererst ein sozioökonomisches und kein biologisches Problem, denn der Mann wird - trotz oder gerade wegen der Emanzipation? - immer noch als Familienernährer gesehen, weshalb Männer ohne hohes Einkommen weniger Chancen bei Frauen mit Kinderwunsch haben. Dies mit "Abgehängten" zu verwechseln ist typisches Mittelschichtmedienverzerrung. Das Etikett "Aufschieber" wird dagegen gerne Männern aus dem individualisierten Milieu verpasst.

Als Experten werden uns Martin BUJARD, Christian SCHMITT, Sarah DIEHL ("Die Uhr, die nicht tickt"), Claudia ZERLE-ELSÄßER und Björn SÜFKE ("Männer! Erfindet! Euch! Neu!") präsentiert.

Mehr als die traditionelle entwicklungspsychologische Vorstellung vom Gegensatz zwischen Stagnation und Generativität wird uns nicht geboten. Sinn soll das Hauptproblem von Kinderlosen sein. Wir sollten Trauerarbeit leisten:

"Jede Lebensmöglichkeit, die wir nicht verwirklichen, will betrauert werden."

Wenn das der Fall wäre, dann würden wir vor lauter Trauerarbeit verhungern müssen!

Mittels 5 Porträts werden verschiedene Typen von kinderlosen Männern unterschieden:
- Der Pragmatiker (38 Jahre, Krankenpfleger, feste Partnerschaft)
- Der Trauerarbeiter (52 Jahre, Agenturchef, verheiratet)
- Der Freiheitsliebende (54, Tourismusexperte, frisch verliebt)
- Der Aufschieber (41, Journalist, Single)
- Der Entspannte (50, Jurist, verheiratet)

CARL, Verena (2016): "Die Passivität ist für Männer das Bitterste".
Gespräch mit Petra Thorn. Das Herz sagt Ja, die Partnerin sagt Ja, der Körper sagt Nein: Wie gehen Männer damit um, wenn sich ein Kinderwunsch aus medizinischen Gründen nicht erfüllt?
in:
Brigitte Nr.22 v. 12.10.

RUNGE, Kathrin (2016): Wechseljahre mit 26.
Sabrinas Periode setzte viel zu früh aus. Wie die junge Frau damit umgeht,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 20.11.

RUNGE, Kathrin (2016): Kinder? "Bei früher Diagnose möglich".
Die Gynäkologin Melanie Henes behandelt an der Uniklinik in Tübingen Frauen, deren Menopause früh beginnt. Die Ärztin kann bei Beschwerden helfen - und manchmal auch beim Wunsch nach einem Kind,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 20.11.

Späte Mütter sind in Deutschlands Medien mindestens genauso unerwünscht wie erwerbstätige Mütter in den 1950er Jahren. Frühe Mutterschaft ist das bevölkerungspolitische Ideal, weswegen Themen Konjunktur haben, die Angst vor später Mutterschaft machen. Dazu gehört das frühzeitige Einsetzen der Wechseljahre:

"Man spricht nur dann von vorzeitigen Wechseljahren, wenn sie vor dem 40. Geburtstag beginnen, auch wenn ein Beginn zwischen 40 und 50 natürlich ebenfalls noch recht früh ist. In Deutschland gehen wir von mehr als einem Prozent der Frauen im fruchtbaren Alter aus. Das heißt, dass mehr als eine von 100 Frauen im Zeitraum zwischen der Pubertät und 40 Jahren betroffen ist - meiner Ansicht nach doch ziemlich viele",

erklärt uns die Gynäkologin. Das ist pure Panikmache, denn erstens wird uns nicht gesagt, was das "fruchtbare Alter" ist. Demografen bezeichnen das fruchtbare Alter inzwischen mit 15 - 49 Jahre (früher bis 44 Jahre). Sollte das bei den Gynäkologen genauso sein, dann müsste zumindest die Wahrscheinlichkeit für Altersgruppen angegeben werden. Mit 30 Jahren dürften wesentlich weniger Frauen von vorzeitigen Wechseljahren betroffen sein als mit 40 Jahren. Dass uns der Fall einer 26-Jährigen präsentiert wird in Verbindung mit dieser Aussage ist eindeutig eine tendenziöse Berichterstattung.

2017

WEIDT, Birgit (2017): Die Rushhour des Lebens.
Auf einmal kommt es Schlag auf Schlag: Nach der Ausbildung stehen junge Menschen vor einer Flut von Herausforderungen. Berufseinstieg, eigener Haushalt, Familiengründung - wie kann das alles binnen weniger Jahre gestemmt werden? Ein Gespräch mit dem Bevölkerungsforscher Martin Bujard,
in:
Psychologie Heute, Januar

Die Rushhour des Lebens ist eine Redewendung, die erfunden wurde, um die Interessen des Akademikermilieus gegen den Rest der Gesellschaft vertreten zu können.

"Die Gruppe der Akademiker ist gewachsen. (...). Bei Frauen im Alter von 30 bis 50 Jahren hat etwa jede vierte einen akademischen Abschluss".

Oder anders formuliert: 75 Prozent der weiblichen Bevölkerung ist hier nicht angesprochen. Der Politikwissenschaftler Martin BUJARD hat die wenig gehaltvolle Redewendung, die in der Regel auf Young Professionals (früher Yuppies genannt) angewendet wird, in zwei Phasen unterteilt:
1) Rushhour der Lebensentscheidungen (Akademikerinnen, bei denen die biologische Uhr tickt)
2) Rushhour des Familienzyklus (Eltern, deren Kinder unter 6 Jahre alt sind)

Die Fernbeziehung gilt Bevölkerungswissenschaftlern als Grundübel der Kinderlosigkeit, wird aber gerade im individualisierten Karrieremilieu der Akademiker vielfach praktiziert. Dabei wird meist nur die privilegierte Form problematisiert, d.h. als Mittel des Aufstiegs. Verbreiteter ist die Fernbeziehung jedoch als Mittel zur Vermeidung des Abstiegs. Dazu lesen wir in dem Artikel jedoch nichts. Stattdessen wird uns wieder die Kinderlosigkeit der Akademikerin als unser Hauptproblem beschrieben:

"29 Prozent der westdeutschen Akademikerinnen, die in den 1960er Jahren geboren wurden, haben keine Kinder. Frauen, die eine Lehre beendet und somit einen mittleren Abschluss erreichten, blieben lediglich zu 21 Prozent kinderlos, Frauen ohne Abschluss nur zu 15 Prozent."

Anders formuliert: nur 25 Prozent der weiblichen Bevölkerung sind überhaupt Akademikerin. Ostdeutsche Akademikerinnen, die in den 1960er Jahren geboren wurden, haben das Problem der erhöhten Kinderlosigkeit gar nicht, sondern nur Westdeutsche. Mittlerweile sind jedoch die in den 1970er Jahren geborenen Akademikerinnen jene, für die das Phänomen der Rushhour des Lebens relevant wäre, weshalb sich die Frage stellt, warum BUJARD dazu keine Daten liefert. Die Antwort ist einfach: die Kinderlosigkeit bei den Akademikerinnen ist gesunken. Daten dazu liefert die aktuelle Erhebung des Mikrozensus 2016, deren Ergebnisse uns jedoch erst im Bundestagswahlkampf unterbreitet werden.

Das letzte Jahrzehnt waren Politik, Wissenschaft und Medien sich einig, dass späte Mutterschaft bekämpft werden muss. Nun macht zumindest BUJARD in dieser Hinsicht einen Rückzieher:

"Wichtig wäre, dass eine Familiengründung sich nicht nur auf die kurze Phase von fünf bis sieben Jahren konzentriert. Dazu ist eine größere öffentliche Akzeptanz notwendig, also eine Offenheit gegenüber Elternschaft während der Ausbildung und auch jenseits des 35. Lebensjahres."

RADDY, Nina (2017): Studium, Familie, Leben, alles auf einmal.
Als Student Kinder zu bekommen, das klingt wie ein Wahnsinnsvorhaben. Dabei gibt es durchaus Argumente für ein Leben zwischen Kita und Mensa,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
v. 08.01.

"Laut aktuellen Erhebungen des Deutschen Studentenwerks sind etwa 5 Prozent aller Studierenden in Deutschland Eltern mit mindestens einem Kind. Die Hälfte davon ist verheiratet, ein gutes Drittel in einer festen Partnerschaft, 13 Prozent sind alleinerziehend",

fasst Nina RADDY die ernüchternden Zahlen zum Studieren mit Kind zusammen. Die Einführung des Elterngelds verfolgte andere Ziele, denn es belohnt späte Elternschaft.

DESTATIS (2017): 2 268 Babys von Frauen ab 45 Jahre im Jahr 2015 geboren,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 24.01.

"Im Jahr 2015 wurden 2.268 Kinder von Frauen geboren, die 45 Jahre oder älter waren. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, waren das 0,3 % aller lebend geborenen Babys dieses Jahres. Ähnlich viele Geburten hatten Mütter ab 45 Jahre bereits vor 50 Jahren gehabt. Im Jahr 1965 hatten sie 2.491 Babys zur Welt gebracht, was 0,2 % aller Geborenen entsprochen hatte. Danach hat nicht nur die Zahl der Geburten insgesamt, sondern auch die Zahl der Geburten von älteren Müttern abgenommen. Im Jahr 2000 hatten 706 Neugeborene eine Mutter, die 45 Jahre oder älter war (0,1 % aller Geburten). Seitdem stiegen die Geburten in dieser Altersgruppe kontinuierlich und haben sich bis 2015 mehr als verdreifacht",

heißt es zur Zahl der Woche des Statistischen Bundesamtes. Nicht mitgeteilt wird uns jedoch die Anzahl der Mütter, die 1965 Kinder geboren haben. Diese ist um einiges größer als heutzutage gewesen, d.h. heutzutage gibt es relativ mehr späte Mütter über 45 Jahre als 1965, auch wenn das Statistische Bundesamt eher das Gegenteil suggeriert.

Zieht man die altersspezifischen Geburtenziffern der Frauen von 45 und mehr Jahren zur Rate, dann stieg die Geburtenziffer dieser Frauen von 2,5 im Jahr 2011 auf 3,4 im Jahr 2015. Damit ist die Geburtenzahl dieser Frauen inzwischen genauso hoch wie jene der 15 und 16-jährigen Frauen

Viel interessanter ist dagegen der Anstieg der Geburtenzahlen bei den über 40-jährigen Frauen. Diese Frauen wurden noch Mitte der Nuller Jahre zu den lebenslang Kinderlosen gezählt. Diese Geburtenziffer lag im Jahr 2011 bei 59,3 und ist seitdem auf 75,7 gestiegen. Würden die über 40-jährigen Frauen  heutzutage bei der Geburtenrate nicht mitberücksichtigt, dann würde sie für das Jahr 2015 nicht bei 1,50 Geburten pro Frau liegen, sondern nur bei 1,42.

LÜBKE, Friederike (2017): Baby oder Hörsaal.
Für Studenten mit Kind gibt es viel Unterstützung. Trotzdem fehlen ihnen vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld,
in:
Welt v. 25.02.

"Sieben Prozent der Studenten in Hamburg haben ein Kind. Damit liegt die Stadt über dem Durchschnitt. In ganz Deutschland sind nur fünf Prozent der Studenten bereits Eltern - so steht es in der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, der umfangreichsten Studie über die Lebenssituation der Studierenden im Land",

erklärt uns Friederike LÜBKE. Nicht erzählt wird uns dagegen, dass die 20. Sozialerhebung bereits 2012 stattfand. 2016 fand die 21. Sozialerhebung statt, deren Daten aber noch nicht veröffentlicht wurden. Die Zahl von 5 Prozent steht in der Erhebung, nicht aber die Zahl von 7 Prozent für die Stadt Hamburg. Woher hat also LÜBKE die Zahl? Was uns auch verschwiegen wird: In Hamburg studieren überdurchschnittlich viele Kinder aus Akademikerhaushalten, während soziale Aufsteiger eher kinderlos sind, weil sie bereits aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt sind. Darüber erfahren wir jedoch nichts im Artikel. 

SCHWARZ, Carolina (2017): Die ideologische Uhr.
Lebensplanung: Karriere, Familie, Biologie - Die Entscheidung, ob und wann frau Mutter wird, ist knifflig. Auch die Debatten zum Thema helfen leider selten. Denn sie stigmatisieren, statt aufzuklären,
in:
TAZ v. 20.04.

EUROSTAT (2017): Teenage and older mothers in the EU,
in: Pressemitteilung des statistischen Amt der Europäischen Union v. 08.08.

HILDEBRANDT, Antje (2017): Mutter Checkpoint und ihre Kinder.
Sie ist 58 Jahre alt und erwartet das siebte Kind: Alexandra Hildebrandt, Chefin des Mauermuseums in Berlin. Für Mediziner ist das eine Sensation,
in:
Welt v. 21.10.

"Späte Mütter liegen zwar im Trend. Gianna Nannini hat es gewagt, Janet Jackson oder die Moderatorin Caroline Beil. Doch so viele Kinder jenseits der 50 hat keine von ihnen bekommen. Man ist geneigt, von einem Wunder zu sprechen. Reproduktionsmediziner sagen, dass es ab dem 50. Lebensjahr so gut wie ausgeschlossen ist, auf natürlichem Wege schwanger zu werden. Die Wahrscheinlichkeit liege bei 1:10.000. Fünf Treffer nacheinander? Es ist ein Rätsel",

meint Antje HILDEBRANDT in der Springerpresse, die sich darauf spezialisiert hat zur deutschen Guinness-Presse der Mutterschaftsrekorde zu werden. Man könnte auch sagen: Je hysterischer ein Land über seine Mütter berichtet, desto mehr fokussiert es auf das Außergewöhnliche statt auf die Normalität. Popsoziologen würden das als Phänomen einer Gesellschaft der Singularitäten bezeichnen. Mehr noch ist es aber ein Medienmythos.

HOCHGÜRTEL, Tim (2017): Familiengründung und -erweiterung im Kohortenvergleich,
in: WISTA Nr.6
v. 15.12.

Der Artikel von Tim HOCHGÜRTEL bringt keine Erkenntnisse über moderne Familienformen, da das Vorgehen solche Familienformen vorab ausschließt:

"Eine Familiengründung erfolgt in der Regel aus einer festen Partnerschaft heraus. Daher wird das Führen einer Partnerschaft als notwendige Bedingung der Familiengründung betrachtet. (...). Basierend auf den Erhebungsmerkmalen des Mikrozensus können nur Paare identifiziert werden, die in einem gemeinsamen Haushalt leben. Menschen, die eine Partnerschaft mit einer Person außerhalb des Haushaltes führen, können nicht als Teil eines Paares erkannt werden." (S.64)

Aufgrund der Herangehensweise ist es wenig überraschend, dass HOCHGÜRTEL kaum Veränderungen vorfindet. Lediglich die Zunahme von Alleinerziehenden wird registriert. Ob diese Alleinerziehenden ohne Partner leben, kann mit einem Haushaltskonzept gar nicht erfasst werden. Außerdem werden Eltern, die nicht der Norm entsprechen, von vorneherein ausgeschlossen.

Ein weiteres Problem ist, dass Kinderlosigkeit nicht korrekt erfasst wird, denn dies geschieht erst seit 2008 und auch nur alle 4 Jahre.

"An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass das Komplement des Maximums nicht der Kinderlosenquote entspricht. Aus der Aussage, dass in den Geburtsjahrgängen 1965 bis 1969 ein Maximum von 74,4 % Müttern gemessen wird, kann keine Kinderlosenquote von rund 25 % abgeleitet werden. Neben dem bereits benannten Aspekt, dass Frauen auch im fünften Lebensjahrzehnt noch das erste Mal Mutter werden können, ist zu beachten, dass im Alter des maximalen Anteils der Mütter einer Kohorte erwachsene Kinder das Elternhaus bereits verlassen haben können. Frauen ohne ledige Kinder im Haushalt werden jedoch – wie eingangs beschrieben – nicht als Mütter im Sinne des Mikrozensus gezählt. Daher liegen die Anteile der Kinderlosigkeit nach Kohorten deutlich unter den Komplementen der Maxima" (S.66 f.)

Der Autor hätte sich also besser auf die Ergebnisse des Mikrozensus 2016 beschränken sollen, denn die im Juli veröffentlichten Ergebnisse gehen zu wenig in die Tiefe. Stattdessen werden uns lediglich Banalitäten mitgeteilt, die keinen Erkenntnisfortschritt ergeben. Es ist bedauerlich, dass in einer Zeit, in der das Statistische Bundesamt durch IT-Probleme praktisch lahmgelegt ist, unnötige Kapazitäten mit solchen Artikeln verschwendet werden.

Fazit: Deutschland hat den Geburtenanstieg verschlafen und die Statistik zur Geburtenentwicklung ist gelähmt. Statt dies zu ändern, werden Befunde erhoben, die nichts zur Verbesserung der Datenlage beitragen. Schade!

SPIEGEL-Titelgeschichte: Wunsch: Kind.
Wenn die Sehnsucht nach einem Baby zum Drama wird

CLAUß, Anna (2017): Warten aufs Kind.
Familie: Die Zahl der künstlichen Befruchtungen in Deutschland steigt enorm. Doch die Prozedur zermürbt viele Paare - wenn es einfach nicht klappen will mit dem Baby,
in:
Spiegel Nr.51 v. 16.12.

BRANKOVIC, Maja (2017): Kinderwunsch immer öfter vertagt.
Jedes vierte Neugeborene hat eine Mutter über 35 Jahre,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.12.

HEIDENREICH, Ulrike (2017): Opa-Daddy.
Wenn Frauen mit 35 schwanger werden, gilt das noch immer als Risiko. Das Alter der Väter fand bislang kaum Beachtung - dabei steigt die Zahl der betagten Papas. Was bedeutet das für die Kinder?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 30.12.

Der Artikel ist vor allem eine Aufzählung der prominenten Väter, die vor allem die Klatschpresse beflügeln.

"Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen es: In Deutschland ist das Durchschnittsalter der Väter bei der Geburt des ersten Kindes auf 35 Jahre gestiegen. Im Jahr 2000 lag es noch bei 33 Jahren. Hinter diesem Anstieg verbergen sich, so die Statistiker, immer mehr überdurchschnittlich alte Männer - sie treiben den Schnitt in die Höhe.
Fünf Prozent der Neugeborenen haben mittlerweile einen Vater, der die fünfzig überschitten hat. Es gibt für sie eine Bezeichnung: die Opa-Dads",

erzählt uns Ulrike HEIDENREICH. Dagegen heißt es in dem Welt-Artikel Je älter der Vater, desto höher der Geek-Index  von Anja GARMS:

"Ob heute in Deutschland mehr Männer spät Vater werden als früher, ist unklar. Das Statistische Bundesamt erfasst das Alter der Väter bei der Geburt nicht."

Tatsächlich wird vom Statistischen Bundesamt lediglich das Alter der Mutter nach der Geburtenfolge erfasst und veröffentlicht und das auch erst seit 2009. In dem Artikel Die Kinder der Väter in Demografische Forschung aus erster Hand heißt es:

"In beiden Landesteilen zeigt sich unterdessen ein deutlicher Trend zu älteren Vätern (...). Im Westen stieg das Durchschnittsalter der Väter bei der Geburt von 1995 bis 2010 um 1,4 Jahre, im Osten sogar um 2,6 Jahre. Dennoch sind die Väter im Osten mit durchschnittlich 32,4 Jahren bei der Geburt ihrer Kinder immer noch ein gutes halbes Jahr jünger als Männer im Westen (33,1 Jahre). Im Vergleich zu den Frauen zeigt sich gerade im höheren Alter die größere Zeitspanne bei den Männern: Während bei sechs Prozent aller Geburten der Vater älter als 45 Jahre ist, kommt dies bei Müttern nur bei 0,2 Prozent der Geburten vor".

In dem Beitrag Estimating male fertility in eastern and western Germany since 1991: A new lowest low? von Christian DUDEL & Sebastian KLÜSENER wird als Quelle ihrer Daten nicht das Statistische Bundesamt, sondern das Geburtenregister des Forschungsdatenzentrums der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (FDZ) angegeben. Da das Alter der Väter in vielen Fällen nicht bekannt war, musste es durch Schätzungen ergänzt werden.

Fazit: Mehr Information und weniger Klatschgeschichten hätte dem Artikel gut getan!  

2018

DESTATIS (2018): 2,4 % der Erstgeborenen im Jahr 2016 hatten eine Mutter ab 40 Jahren.
Anteil lag im EU-Durchschnitt bei 3,2 %,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 11.05.

"In Deutschland hatten im Jahr 2016 rund 2,4 % der Erstgeborenen eine Mutter, die zum Zeitpunkt der Geburt mindestens 40 Jahre alt war. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anlässlich des Muttertages weiter mitteilt, ist der Anteil gegenüber 2010 (2,5 %) relativ stabil. Die Zahl der erstgeborenen Kinder mit einer Mutter ab 40 Jahren erhöhte sich zwischen 2010 und 2016 von rund 8 500 auf rund 9 200.
 In elf EU-Staaten war der Anteil der Erstgeborenen von Müttern im höheren gebärfähigen Alter größer als in Deutschland. Nach Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat hatten 2016 in Italien bereits 7,2 % der Erstgeborenen eine Mutter ab 40 Jahren. In Spanien waren es 6,6 % und in Griechenland 5,3 %. Am geringsten war der Anteil in Litauen mit 1,0 %. Der EU-Durchschnitt lag bei 3,2 %", meldet das Statistische Bundesamt.

MITIC, Katja (2018): Endlich Familie dank Leihmutter.
Sylvia Bollhorn hat mit 55 Jahren durch eine Eizellspende und Leihmutter Zwillinge bekommen. Heute sind ihre Mädchen drei Jahre alt. Ein Besuch,
in: Welt v. 21.07.

IACUB, Marcella (2018): Die Sinnlichkeit der Menopause.
Ältere Frauen mit einem jüngeren Mann werden stigmatisiert. Denn trotz sexueller Revolution gehe es immer um das Projekt Mutterschaft, meint die französische Autorin,
in: Welt v. 10.08.

 
     
 
       
   
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1971 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006 2011 2016
1972 1977 1982 1987 1992 1997 2002 2007 2012 2017
1973 1978 1983 1988 1993 1998 2003 2008 2013 2018
1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 2014 2019
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 09. August 2014
Update: 04. Februar 2019