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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Späte Mütter und Väter

 
       
   

Eine Bibliografie der Debatte um die Spätgebärenden (Teil 3)

 
       
     
       
   
     
 

Einführung

Als späte Mütter werden hier Mütter bezeichnet, die noch mit 35 Jahren und später ein Kind gebären. Diese Bibliografie soll eine erste Orientierung in diesem Themenbereich ermöglichen und wird im Laufe der Zeit erweitert und aktualisiert.

Kommentierte Bibliografie (Teil 3 - 2014 bis 2015)

2014

BERNARD, Andreas (2014): Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie, Fischer Verlag Verlag

"Anfang der neunziger Jahre findet in den Reproduktionszentren Amerikas und Europas ein Wettlauf um die älteste jemals niedergekommene Mutter statt. Nun, da die Eizellspende die natürliche Begrenzung der Fruchtbarkeit überwunden hat, gebären Frauen im Alter von 45, 50 oder 55 Jahren Kinder. Der italienische Gynäkologe Severino Antinori verhilft 1994 der 63-jährigen Rosanna Della Corte zu einem Sohn. Viele Jahre lang gilt die Frau aus einem Dorf bei Rom als älteste Mutter der Welt (...). In der Öffentlichkeit sind diese Geburten starker Kritik ausgesetzt; weltweit fordert man ein Verbot der Eizellspende bei Frauen im Klimakterium, die ihrem Alter nach eher Großmütter der eigenen Kinder seien und vermutlich nicht einmal deren Schulabschluss erleben würden. Sauer und Paulson nehmen in einigen Aufsätzen Mitte der neunziger Jahre zu dieser Debatte Stellung. Sie verteidigen die von ihnen entwickelte Methode, verweisen auf die gesellschaftliche Akzeptanz alter Väter und bezeichnen es als »sexistische Haltung« der Kritiker, dieses Recht nicht auch Frauen zu ermöglichen, nachdem es medizinisch umsetzbar geworden ist. Kriterien wie Lebenserfahrung, finanzielle Sicherheit und ein wohlüberlegter Kinderwunsch würden die älteren Empfängerinnen von Eizellen überdies zu besonders geeigneten Müttern machen. Wie so oft ist es also die »Kultur der Reproduktion«, die der häufig unvorbereiteten oder defizitären natürlichen Elternschaft entgegengehalten wird. Gleichzeitig müssen Sauer und Paulson aber einräumen, dass die Kombination von hormoneller Stimulation der Gebärmutter und Einpflanzung fremder Eizellen doch nicht so problemlos von den Patientinnen aufgenommen wird wie anfangs gedacht. (...).
In dem Moment also, in dem die Eizellen leichter zugänglich und als alleinige Bedingung für die Endlichkeit weiblicher Fertilität identifiziert sind, können sie wie die Spermien zu einem Handelsobjekt werden. Es ist deshalb folgerichtig, dass die ersten Agenturen für Eizellspenderinnen in Kalifornien um das Jahr 1990 herum gegründet werden, gerade als Sauer und Paulson ihren Aufsatz zur Möglichkeit von Mutterschaft nach der Menopause publizieren." (S.338f.), schreibt Andreas BERNARD
zum Medienhype um späte Mutterschaft. 

HUMMEL, Katrin (2014): Das ist nicht mein Opa, das ist mein Papa.
Nicht nur Promis wie Ulrich Wickert tun es: Immer mehr Männer über 50 werden Vater, zum wiederholten oder auch zum ersten Mal. Ist das schlimm? Drei Kinder und zwei alte Väter erzählen,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 09.03.

"Die Zahl der alten Väter steigt hierzulande rasant. Im Jahr 2000 hatte jedes 120. Neugeborene einen Vater, der fünfzig oder älter war. Im Jahr 2012 war es schon jedes 69. Kind. Der demographische Wandel und hohe Trennungsraten sind die Ursache dafür, dass sich immer mehr jüngere Frauen mit älteren Männern zusammentun. Viele alte Papas zeugten ihre jüngsten Kinder in zweiter oder dritter Ehe, so François Höpflinger, Altersforscher und Professor für Soziologie an der Uni Zürich",

berichtet Katrin HUMMEL. Woher aber stammen die Zahlen? Die amtliche Statistik erfasst nur Mütter und keine Väter. Im Jahr 2000 wurde noch nicht einmal die biologische Geburtenfolge der Mutter erfasst, sondern nur die eheliche. Da es sich um ein sehr seltenes Ereignis handelt (Bei ca. 767.000 Geburten im Jahr 2000 wären das lediglich ca. 6390 Väter. Im Jahr 2012 wären es ca. 9760 Väter), helfen auch keine sozialwissenschaftlichen Studien weiter. Also wie kommt Frau HUMMEL auf diese Zahlen?

In der Schweiz wird das Alter von Vätern in Ehen erfasst. Dort war im Jahr 2000 jedes 92. Kind von einem verheirateten Vater 50 +, während es im Jahr 2012 bereits jedes 52. Kind war. Da die unehelichen Kinder fehlen, liegen die Zahlen höher als jene von HUMMEL.

In Baden-Württemberg war im Jahr 2000 jedes 105. Kind von einem verheirateten Vater, 2010 war es jedes 74. Kind.

PANY, Thomas (2014): Ältere Väter zeugen weniger schöne Kinder?
Anthropologen ermitteln einen Zusammenhang zwischen altersbedingten Mutationen in männlichen Spermien und der Attraktivität der Kinder,
in:
Telepolis v. 26.03.

BUSINESS WEEK-Titelgeschichte: Freeze Your Eggs, Free Your Career.
A new fertility procedure gives women more choices in the quest to have it all

ROSENBLUM, Emma (2014): Later, Baby.
Will Freezing Your Eggs Free Your Career?
in:
Business Week v. 17.04.

SPIEGEL-Titelgeschichte: Späte Eltern.
Vom Kinderkriegen in der zweiten Lebenshälfte

THIMM, Katja (2014): Oh, Baby!
Die Zahl der Paare, die im fortgeschrittenen Alter Eltern werden, steigt. Manche Experten sprechen von einer unterschätzten Entwicklung sie ist ein Segen für die Gesellschaft - und gleichzeitig ihr Fluch,
in: Spiegel Nr.17 v. 19.04.

Der Spiegel hat das Thema zuerst nach der Jahrtausendwende aufgrund seines Feindbildes  "Kinderlose" totgeschwiegen, dann bekämpft. Und weil alles nichts half, gibt es nun eine Titelgeschichte.

Katja THIMM hält späte Elternschaft für einen Fluch, denn sie widerspricht der Biologie. Angeblich ist das größte Problem, dass Frauen glauben, dass sie noch mit 40 Jahren problemlos schwanger werden könnten. Dagegen argumentiert sie mit den Autoren des Buches Zukunft mit Kindern, z.B. dem Professor für Frauenheilkunde Wolfgang HOLZGREVE, den Soziologieprofessoren Hans BERTRAM und Johannes HUININK, der Lobbyistin des Bayerischen Berufsverbands der Reproduktionsmediziner Petra RITZINGER. Die Autoren des Buches haben der späten Elternschaft den Kampf angesagt, um die frühe Elternschaft in Deutschland zu popularisieren.

Argumente für eine späte Elternschaft kommen von der Entwicklungspsychologin Sabine WALPER und der Medizinethikerin Claudia WIESEMANN.

Erstaunlich ist lediglich, dass THIMM erst jetzt entdeckt hat, dass späte Mutterschaft zum Rückgang der Akademikerinnenkinderlosigkeit beigetragen hat:

"Vor allem die Schar später Mütter wächst - und führt (...) sogar zu einem Rückgang der hohen Kinderlosigkeit von Akademikerinnen. Während die Geburtenzahl bei den unter 30-Jährigen sinkt, stiegt sie bei Frauen ab 40 seit Jahren an. Mehr als vier Prozent der Neugeborenen brachte diese Altersgruppe 2012 zur Welt - knapp 29 000 Kinder. Etwa jeder fünfte Säugling, insgesamt fast 120 000 gehörte zu einer Mutter zwischen 35 und 39. (...). Auf Seiten der Frauen handelt es sich in vielen Fällen um das erste Kind."

Die Zahlen überraschen selbst Experten für Familienpolitik, erklärt uns THIMM. Das sollte zu denken geben, da seit 10 Jahren bekannt sein sollte, dass die Akademikerinnenkinderlosigkeit aufgrund der Nichtberücksichtigung von 40Jährigen und Älteren überschätzt worden war. Das war kein Zufall, sondern politisch tabuisiert und von den Medien mitgetragen, wie z.B. am Beispiel der Wochenzeitung Die ZEIT auf dieser Website nachgewiesen wurde.

Überhaupt hält THIMM nicht viel von Fakten:

"Etwa eineinhalb Millionen Deutsche hoffen vergebens auf ein erstes oder weiteres Kind, nur 18 Prozent der Kinderlosen unter 50 Jahren schließen eine Elternschaft aus. Dennoch weisen die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes darauf hin, dass es künftig noch weniger Nachwuchs geben wird.

Keine Ahnung woher THIMM weiß, dass es nach den jüngsten Zahlen noch weniger Nachwuchs geben wird. Im Jahr 2012 wurden 673.544 Kinder geboren. Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes für 2013 liegt die Zahl dagegen bei 675.000 bis 695.000 Kindern - und das bei zurückgehender Zahl potentieller Mütter.

An einer anderen Stelle heißt es dann:

"Dass Geld allein keine Kinder schafft, zeigen auch die jüngsten Prognosen, denen zufolge die Geburtenrate trotz Elterngeld, Krippen-Offensive und Ganztagsschulen nicht steigen wird."

Was heißt "jüngste Prognose"? Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung stammt aus dem Jahr 2009. Der Wissenschaftsjournalist Björn SCHWENTKER hat nachgerechnet, dass diese "Prognose" bei einer Annahme von 685.000 Kindern im Jahr 2013 um ca. 55.000 Kinder niedriger liegt als es der tatsächlichen Entwicklung entspricht. Selbst wenn nur 675.000 Kinder im Jahr 2013 - also die Untergrenze der Schätzung - zu Welt gekommen sind, läge die Prognose immer noch um ca. 45.000 Kinder niedriger.

Problematisch ist zudem, dass der Artikel sich nicht mit dem gesellschaftlichen Problem ungewollter Kinderlosigkeit befasst, sondern lediglich mit Problemen des Akademikermilieus und hier nicht einmal der normalen, angestellten Akademiker, sondern einer "neuen Elternelite". Wenn jedoch nur die Probleme von Spitzenverdienern der oberen Mittelschicht berücksichtigt werden, dann kann es nicht verwundern, dass ein Anstieg der Geburtenrate ausbleibt.

Vielleicht haben wir es also nicht mit zu hohen bzw. unrealistischen Ansprüchen der Kinderlosen/Eltern zu tun, sondern mit völlig unrealistischen Erwartungen unserer Medienelite?

SPIEGEL (2014): "Akt der Emanzipation".
Die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann, 55, hält späte Elternschaft für ein gutes Zeichen: Sie zeige die wachsende Unabhängigkeit von Frauen,
in: Spiegel Nr.17 v. 19.04.

LINDNER, Roland (2014): Für immer gebärfähig.
In Amerika überlisten Frauen die biologische Uhr. Sie lassen ihre Eizellen einfrieren und vertagen das Kinderkriegen. Der Trend wird zum großen Geschäft Auch in Deutschland,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 29.06.

"Laut dem Statistischen Bundesamt hat sich die Rate von Schwangerschaften unter Frauen, die 40 Jahre oder älter sind, seit Anfang der neunziger Jahre vervierfacht", vermeldet Roland LINDNER, der über den Trend zum Social Freezing, also dem Einfrieren von Eizellen aufgrund gesellschaftlichen Gründen, in den USA berichtet. Dort ist das Phänomen schon verbreiteter als in Deutschland.

ABÉ, Nicola (2014): Gefrorene Zeit.
Essay: Warum das Konservieren von Eizellen Frauen Freiheit verschafft,
in:
Spiegel Nr.29 v. 14.07.

FLEISCHHAUER, Jan (2014): Die befreite Frau.
Moderne Fortpflanzungstechnik: Das wird das Verhältnis der Geschlechter revolutionieren: Frauen können ihre unbefruchteten Eizellen einfrieren lassen - und so selbst bestimmen, wann sie Kinder haben wollen. Damit ändert sich auch die Machtbalance in Beziehungen,
in:
Spiegel Online v. 15.07.

BERNDT, Christina (2014): Glück auf Eis,
Kinder oder nicht? Um diese Entscheidung aufzuschieben, lassen immer mehr Frauen Eiszellen einfrieren. Kann das Folgen haben wie einst die Anti-Baby-Pille?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 19.07.

Für Christina BERNDT tickt die biologische Uhr von Frauen mit 34 Jahren. Dies ist kaum ein Zufall, denn mit 35 Jahren gilt in der Wissenschaft eine Frau als späte Mutter - das Feindbild einer auf die Geburtenrate fixierten Gesellschaft.

34 Jahre, das ist gemäß BERNDT das Alter, in dem sich zwei Frauen für das Einfrieren ihrer Eizellen entschieden haben: Christy Jones, eine US-Amerikanerin, die das Unternehmen Extend Fertility gegründet hat und eine Spiegel-Reporterin. 34 Jahre, das ist ein Alter, das weniger für die Gesellschaft als vielmehr die Akademikerinnen bedeutsam ist, denn das durchschnittliche Erstgebäralter liegt in Deutschland bei ungefähr 30 Jahren.

BERNDT unterscheidet vier Reaktionsweisen auf das Ticken der biologischen Uhr, wobei die vierte neu ist: das Einfrieren von Eizellen (neudeutsch: "Egg-freezing"). Zuerst wurde dieses Verfahren bei krebskranken Patientinnen angewandt. Die Ausweitung auf gesunde Akademikerinnen, die sich ihre Chancen aufs Kinderkriegen erhalten wollen, wird dagegen als "social freezing" abgegrenzt. Für die einen ist das eine neue Freiheit, anderen erscheint das widernatürlich.

Bislang wurden weltweit lediglich 1500 Kinder nach dieser neuen Methode geboren und die Klientel ist finanziell gut gestellt, nichtsdestotrotz tobt ein neuer Glaubenskrieg um dieses reproduktionstechnische Verfahren. BERNDT fürchtet gar, dass dadurch das Verständnis für berufstätige Mütter sinken könnte oder die für frühere Generationen selbstverständliche Erfahrung für Kinder ohne Großmütter aufzuwachsen wieder zunehmen könnte. Für die Bioethikerin Heidi MERTES sind Aufschieberinnen mit Klischees konfrontiert, während es in Wirklichkeit um eine "Notfallintervention" geht, weil in der Regel der richtige Mann zum Kinderkriegen fehlt.

BECK-GERNSHEIM, Elisabeth (2014): Die neuen Weltbürger.
Die globalisierte Fortpflanzungsmedizin lässt den Kinderwunsch-Tourismus boomen. Mit merkwürdigen Auswüchsen, wie jüngst ein Beispiel zeigte. Welche Regeln gelten auf diesem Markt?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.08.

"Kopenhagen (ist) für lesbische Paare und alleinstehende Frauen attraktiv, Belgien gehört in Europa zu den Ländern mit den geringsten gesetzlichen Beschränkungen, und Indien wird zum Welt-Standort für Leihmutterschaft. Je nach gewünschter Behandlung und finanziellen Ressourcen fahren Deutsche in die Türkei, Ägypter in den Libanon, Bürger der Vereinigten Staaten nach Rumänien. Deutsche Frauen lassen sich die Eizellen spanischer Frauen einpflanzen, Amerikanerinnen holen sich in Italien oder Griechenland Eizellen ab. Kinder werden zu einem Joint-venture-Produkt, in dem sich spanische Eizelle, Sperma aus Dänemark und indische Leihmutter verbinden.
Wo dies geschieht, entstehen neuartige transnationale Verwandtschaftsverhältnisse, und dies nicht auf der Makroebene von Wirtschaft und Politik, sondern im innersten Kern der Familie",

kritisiert die Soziologin Elisabeth BECK-GERNSHEIM den Reproduktionstourismus und fordert eine Weltinnenpolitik hinsichtlich der Regulierung der Reproduktionstechnologien:

"Verbindliche Regeln sind dringend nötig, und zwar über nationale, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg."

Durch neue Verfahren und die international unterschiedlichen Gesetzgebungen hat sich in der Reproduktionsmedizin eine globale Spezialisierung herausgebildet, die gemäß BECK-GERNSHEIM ganz unterschiedliche Zielgruppen anspricht:

"Nicht mehr nur die ungewollt kinderlosen Ehepaare suchen jetzt Hilfe bei der Reproduktionsmedizin. Auch andere Gruppen drängen jetzt auf ihre Hilfe, Männer und Frauen, die im biologischen Sinn nicht unfruchtbar sind - zum Beispiel Alleinstehende; schwule und lesbische Paare; Paare, die das Geschlecht ihres Kindes bestimmen wollen; Frauen im Pensionsalter, die nach der Karriere noch auf Mutterglück hoffen; oder junge Frauen, die eigene Eizellen einfrieren lassen, um die biologische Uhr aufzuhalten",

Der Journalist und Kulturwissenschaftler Andreas BERNARD schreibt in dem Buch Kinder machen, dass gerade diese Ausweitung der Zielgruppe dem bürgerlichen Familienmodell zu neuer Attraktivität verholfen hat.

BUBROWSKI, Helene (2014): Kind auf Bestellung.
Das deutsche Verbot der Leihmutterschaft wird oft umgangen. Dabei wird aber sowohl gegen die Menschenwürde des Kindes und der Leihmutter, als auch der biologischen Eltern verstoßen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.08.

DJERASSI, Carl (2014): Unbefleckt.
Frauen werden immer älter, ehe sie schwanger werden. Der Ausweg ist Fortpflanzung ohne Geschlechtsverkehr, meint der Erfinder der Antibabypille,
in:
Welt v. 13.08.

"Seit den letzten Jahrzehnten unterteilt sich die Welt in geriatrische (zum Beispiel Japan und Europa mit etwa 20 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre und durchschnittlich 1,5 Kinder/Familie), die sich jetzt mit Empfängnis befassen und pädiatrische Gemeinschaften (Afrika mit etwa 50 Prozent unter 15 Jahren und 4 – 6 Kinder/Familie), wo Empfängnisverhütung das vorherrschende Problem ist. Da zur Erhaltung des demografischen Status quo 2,1 Kinder pro Familie erforderlich sind, lautet das allzu vereinfachende Rezept der geriatrischen Länder, mehr Kinder zu bekommen. Wie dramatisch sich unsere Gesellschaften verändert haben, zeigt eine Zahl: Seit Einführung von IVF wurden ungefähr fünf Millionen Kinder ohne vorher bedingten Geschlechtsverkehr geboren. Diese Zahl wird noch steigen", meint Carl DJERASSI.

DESTATIS (2014): Bei 22 % der Geburten ist die Mutter mindestens 35 Jahre alt,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes v. 03.09.

Ein beliebtes Märchen lautet, dass die Zunahme der Spätgebärenden zu einer Abnahme der Geburtenrate führt. In Irland, das eine der höchsten Geburtenraten in Europa hat, beträgt der Anteil der Spätgebärenden 30 % gegenüber nur 22 % in Deutschland:

"In sieben EU-Staaten waren späte Geburten häufiger als in Deutschland. Der Vergleich auf Basis von Eurostat-Daten ergab, dass 2012 in Spanien 34 % aller Neugeborenen eine Mutter hatten, die bei der Geburt mindestens 35 Jahre alt war. In Italien waren es 33 %, in Irland 30 %"

Eher stimmt das Gegenteil für Deutschland: Ohne die Zunahme der Spätgebärenden wäre die Geburtenrate in Deutschland noch niedriger.

FREITAG, Line (2014): Investiert lieber in familienfreundliche Arbeitsmodelle!
20.000 Dollar Prämie für Frauen, damit die ihren Kinderwunsch nach hinten verschieben? Der völlig falsche Ansatz,
in:
Wirtschaftswoche Online v. 15.10.

FIRLUS-EMMRICH, Thorsten (2014): Einfrieren gehört zum guten Service.
Apple und Facebook zahlen Mitarbeiterinnen auf Wunsch demnächst 20.000 Dollar, wenn sie ihre Eizellen einfrieren lassen. Die Konzerne haben ihre Rolle richtig erkannt,
in:
Wirtschaftswoche Online v. 15.10.

BERLINER ZEITUNG-Tagesthema: Jetzt nicht!

REST, Jonas (2014): Das Projekt iZelle.
Facebook und Apple zahlen Einfrieren von Eizellen,
in:
Berliner Zeitung v. 16.10.

BRÜNING, Anne (2014): Belastend, teuer und nur selten sinnvoll.
Das Einfrieren von Eizellen ist in Sonderfällen sinnvoll. Für das Kind ist es aber ein riskantes Verfahren,
in:
Berliner Zeitung v. 16.10.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Tagesthema: Erst Karriere, dann Kinder

BORCHARDT, Alexandra (2014): Im Tal der auf Eis gelegten Gefühle.
Apple und Facebook wollen sich in die Lebensplanung ihrer Mitarbeiterinnen einmischen. Die Folgen sind riskant,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 16.10.

Alexandra BORCHARDT sieht in den für die High-Tech-Konzerne unvorteilhaften Diversity-Berichten einen Auslöser für das jetzige Angebot von Apple und Facebook, wobei sie in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gar nicht das Diversity-Problem sieht, denn es beträfe nicht nur Frauen, sondern auch männliche Asiaten oder Schwarze. Ihr Fazit:

"Das Anforderungsprofil der Zukunfts-Macher ist klar: jung, getrieben, kinderlos. Dem Profil der Gesellschaft entspricht das nicht."

BORCHARDT weist aber auch auf Unterschiede zwischen den USA und Deutschland hin. Während in den USA das Egg Freezing-Verfahren teuer ist und deshalb ein solches Firmen-Angebot lukrativ ist, besteht in Deutschland weniger die Gefahr, dass Social Freezing zum Teil der Unternehmenskultur werden könne, weil es kostengünstiger ist und deshalb nicht nur von Spitzenkräften selber finanziert werden könnte.

BERNDT, Christina (2014): Forever young.
 Wer früh Eizellen einfriert, kann später leichter schwanger werden,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 16.10.

"Rund 1500 Babys sind bereits weltweit nach Egg Freezing geboren worden, an ihnen ist nichts auffällig",

berichtet Christina BERNDT über die Praxisreife des Verfahrens. Das Verfahren wirft jedoch zwei Fragen auf: In welchem Alter sollte eine Frau ihre Eizellen einfrieren lassen und sollte es für eine solche Schwangerschaft eine Obergrenze geben?

WILHELM, Hannah (2014): In den schwierigsten Jahren.
Apple und Facebook bieten Mitarbeiterinnen finanzielle Unterstützung an, wenn sie ihre Eizellen einfrieren lassen möchten. Warum nicht - es ist es nur eine zusätzliche Option bei einer schwierigen Entscheidung,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 16.10.

BOSSONG, Nora (2014): Unter dem Gefrierpunkt.
Eizellen einfrieren für die Karriere, wie Apple und Facebook es planen? Unsere moderne Arbeitsgesellschaft hat den Respekt vor dem biologischen Eigensinn des Individuums,
in:
ZEIT Online v. 17.10.

LÖFFLER, Juliane (2014): Sozial ist das nicht.
Social Egg Freezing: Mit dem Angebot, Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen zu bezahlen, versprechen Apple und Facebook mehr Gleichberechtigung. Das Gegenteil ist der Fall,
in:
Freitag Online v. 17.10.

BAUER, Katja (2014): Ökonomisch optimiert leben.
Frauen: Mit dem Einfrieren von Eizellen folgen Firmen ihren Interessen, nicht denen von Frauen,
in:
Stuttgarter Zeitung v. 17.10.

"Das Angebot der Konzerne tut das Gegenteil dessen, was es vorgibt: es nimmt Frauen Freiheit. Auf beruflich ambitionierte Frauen wird enormer Druck entstehen, diese hypermoderne Form der Ausbeutung als Option wahrzunehmen. Einfrieren als Nachweis von Karrierebereitschaft und Flexibilität",

meint Katja BAUER. Dabei sieht sie das Problem lediglich als eines von Spitzenpositionen:

"In Rede steht nicht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das kriegen viele Paare mittlerweile irgendwie hin. Nein, es geht um Karriere."

STÖHR, Nora (2014): Eiskalte Frauenförderung.
Kinderwunsch: Apple und Facebook bezahlen das Einfrieren von Eizellen,
in:
Stuttgarter Zeitung v. 17.10.

"Den Kinderwunsch zu Gunsten der Karriere hintenanzustellen, passt (...) genau zur Philosophie von Facebook-Managerin Sheryl Sandberg, die sich als Vertreterin einer neuen Frauenbewegung geriert. In ihrem Buch »Lean In« kritisiert sie die Tendenz von Frauen, sich zu früh zu viele Gedanken über die Familienplanung zu machen und damit ihre Karriere auszubremsen", meint Nora STÖHR.

FROST, Simon/KARBERG, Sascha/MONATH, Hans/KELLER, Claudia (2014): Apple, Facebook und der neue Weg für Karriere-Frauen.
Frage des Tages: Das Angebot von Apple und Facebook, Eizellen einfrieren zu lassen, empört Politik und Kirche. Was bezwecken die Unternehmen damit?,
in:
Tagesspiegel v. 17.10.

Die Autoren haben den prominenten Reproduktionsmediziner Heribert KENTENICH u.a. nach den Risiken des Verfahrens für die so gezeugten Kinder befragt:

"Das erste Kind, das »durch die Kälte ging«, wurde 1984 geboren. Die Prozedur schadet den Kindern nicht, sagt Kentenich. „Und obwohl wir das bisher nicht verstehen: Offenbar sind sie sogar etwas gesünder.“ Denn im Vergleich zu künstlich befruchteten Kindern, deren Eizellen nicht eingefroren wurden, hätten die Kinder ein höheres Geburtsgewicht und es gebe etwas weniger Frühgeburten."

Im Gegensatz zum SZ-Artikel von Alexandra BORCHARDT wird von den Autoren nicht das weitläufigere Diversity-Problem der High-Tech-Konzerne thematisiert, sondern nur das Vereinbarkeitsproblem als Geschlechterfrage.

Die Reaktionen aus Politik und Kirche werden als fast einhellig beschrieben, lediglich die Göttinger Medizinethikerin Claudia WIESEMANN wird mit einer Gegenposition aufgeführt.

taz-Thema: Kinder und Karriere

POHL, Ines (2014): Ein Akt der Selbstbestimmung.
Kommentar zum "Social Freezing"-Angebot aus dem Silicon Valley,
in:
TAZ v. 17.10.

HÖDL, Saskia (2014): "Man kann keine Chancen ausrechnen".
Medizin: Der Reproduktionsmediziner Reinhard Hannen über seine Erfahrungen, die Möglichkeiten und Risiken der Entnahme von Eizellen,
in:
TAZ v. 17.10.

OESTREICH, Heide (2014): "Völlig irre und abwegig".
Deutschland: Breite und einmütige Ablehnung,
in:
TAZ v. 17.10.

WELT-Pro & Contra

MENKENS, Sabine (20014) Sollten Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen?
Contra: Wir müssen uns der Ökonomisierung des Lebens widersetzen. Und Raum lassen für Wunder,
in:
Welt v. 18.10.

MÜLLHERR, Silke (20014) Sollten Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen?
Pro: Arbeitgeber können ruhig den Spielraum für Frauen erweitern, die noch auf flexible Jobmodelle warten,
in:
Welt v. 18.10.

HENNING, Ulrike (2014): Social Freezing - Was ist das?
Trügerisch: Mit dem Einfrieren von Eizellen wird weiter an der optimierten Schwangerschaft geschraubt,
in:
Neues Deutschland v. 18.10.

SPAHL, Thilo (2014): Soziale Kälte?
Wenn Apple und Facebook Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen bezahlen, ist das nicht Ausdruck von Allmachtsfantasien. Es zeigt vielmehr, unter welchem Druck die Unternehmen stehen,
in:
The European Online v. 18.10.

KEMPF, Sarah (2014): Wenn die biologische Uhr lauter tickt.
Um nicht kinderlos zu bleiben, lassen Frauen mit spätem Kinderwunsch ihre Eizellen einfrieren. Die Nachfrage nach "Social Freezing" steigt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.10.

MARTENSTEIN, Harald (2014): Apple und Facebook machen Frauen zu Leibeigenen.
Die Mitarbeiterinnen von Apple und Facebook sollen auf Firmenkosten ihre Eizellen einfrieren können. Angeblich geht es um die Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Doch das ist eine Lüge. Ein Kommentar,
in:
Tagesspiegel v. 19.10.

BERNARD, Andreas (2014): Seid fruchtbar, aber später!
Ist "Social Freezing", das Einfrieren der Eizellen, der nächste Schritt in die kontrollierte Gesellschaft?
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 19.10.

"Mit dem Einfrieren unbefruchteter Eizellen ohne akuten Anlass, jenem vieldiskutierten »Social Freezing«, beginnt eine neue Epoche in der Geschichte der Reproduktionsmedizin: Zum ersten Mal sind es nicht mehr behandlungsbedürftige Patientinnen, die sich der mühevollen Prozedur von Hormoninjektionen und Eizellentnahmen unter Vollnarkose aussetzen, sondern gesunde, fruchtbare, vergleichsweise junge Frauen. Kein Defizit des Körpers steht am Anfang der Behandlung (...), sondern ein Defizit der Zeit: der Zweifel, ob die Menge und Qualität der eigenen Eizellen zum Zeitpunkt der gewünschten Schwangerschaft, in fünf, fünfzehn oder zwanzig Jahren, noch ausreichend sein würden, um auf natürliche Weise ein Kind zu bekommen.
Diese Verschiebung markiert (...) eine entscheidende Zäsur: Das Verfahren überführt die Therapieangebote der assistierten Empfängnis ins Stadium der Vorsorge. Eingriffe der Fortpflanzungsmedizin arbeiten nun an jenem Aufschubversprechen mit, das unter dem Namen »Familienplanung« bislang den Verhütungsmitteln vorbehalten war
",

meint Andreas BERNARD, für den damit die ungewollte Kinderlosigkeit den Status eines selbstverschuldeten Makels erhalten könnte. Seit ca. 5 Jahren ist für BERNARD das Verfahren prinzipiell ausgereift. Es enthält zudem ein emanzipatorisches Potenzial, indem es die geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit bei der Fruchtbarkeit verringert.

Nichtsdestotrotz bleiben für BERNARD Zweifel über den Zeitraum, den Eizellen nach dem Einfrieren unbeschadet überstehen können, denn bislang werden Eizellen meist nur kurzzeitig eingefroren. Und ergeben sich durch das Einfrieren im Rahmen der Unternehmenskultur nicht Probleme sozialer Kontrolle. Und nicht zuletzt: Welche Folgen hat das Social Freezing für die Identität von Kindern?

BUDRAS, Corinna (2014): Einladung zum Eizelleneinfrieren.
Facebook und Apple unterstützen ihre Mitarbeiterinnen dabei, ihren Kinderwunsch auf später zu verschieben. Was hat das mit uns zu tun?
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 19.10.

Corinna BUDRAS hat im Wirtschaftsteil - im Gegensatz zu Florentine FRITZEN im Politikteil der FAS - sowohl Verständnis für die US-Unternehmenskultur als auch für Social Freezing. Zum einen hebt sie hervor, dass Unternehmen in den USA im Gesundheitswesen sozusagen eine Rolle einnehmen, die hierzulande der Staat innehat. Zum anderen greift ihrer Meinung nach das Argument der Frauenfeindlichkeit zu kurz.

BUDRAS berichtet über die Göttinger Konferenz Postponed Motherhood and the Ethics of Family, die von Stephanie BERNSTEIN und Claudia WIESEMANN ausgerichtet wurde. Nicht die Karriere, sondern das Problem des passenden Partners steht beim Social Freezing im Vordergrund. Damit das Verfahren aber sinnvoll ist, dürfen Frauen mit der Entnahme der Eizellen nicht zu lange warten:

"Frauen, die sich mit 30 dafür entscheiden, sich alles offenzuhalten, haben nur noch eine Chance von rund 25 Prozent, tatsächlich im höheren Alter schwanger zu werden",

erläutert BUDRAS. Bei den Zahlenspielereien von BUDRAS stellt sich jedoch die Frage, ob LeserInnen damit überhaupt etwas anfangen können. Was bedeutet eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent? Im Vergleich mit welchen Wahrscheinlichkeiten, z.B. einer Schwangerschaft mit 20 oder einer künstlichen Befruchtung mit 40? Und ist der Gesundheitszustand einer Frau nicht viel entscheidender als das Alter? Und gibt es nicht Frauen, die früher in die Wechseljahre kommen, während es bei anderen später passiert? Wenn also große interindividuellen Unterschiede von Frau zu Frau bestehen, welche Bedeutung kommt dann dem ständig verwendeten Optionsbegriff zu? Für welche Frauen ist Social Freezing dann überhaupt eine Option? Wird dann vielleicht für eine Option plädiert, die gar keine ist? Aber solche Fragen kommen in dieser Debatte erst gar nicht auf, sondern sie werden auf die Frage der späten Mutterschaft verkürzt, wobei die Karrierefrau den Maßstab abgibt:

"Aus medizinischer Sicht sei es weniger Problematisch als üblicherweise vermutet, wenn Frauen die Kinder später austrügen. Langzeitstudien zeigen, dass zumindest bei der Gruppe der gut ausgebildeten 40- bis 45-Jähirgen die Risiken einer Schwangerschaft im Vergleich zu denen einer Zwanzigjährigen nur leicht erhöht seien. Bei allem Jubel über jüngere Mütter werde stets vergessen, dass sich unsichere Lebenslagen nicht gerade positiv auf ein Kind auswirken",

zitiert die Journalistin das Plädoyer der Ethik-Professor Claudia WIESEMANN für eine späte Mutterschaft.

FRITZEN, Florentine (2014): Silikon.
Apple und Facebook finanzieren ihren Mitarbeiterinnen einen Traum: sie von den Fesseln ihrer Biologie zu lösen. Oder wenigstens die biologische Uhr für eine Weile anzuhalten. So können die Frauen Karriere machen. Oder werden sie nur geschmiert? Wie Zahnrüdchen in einem viel größeren Uhrwerk,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 19.10.

Florentine FRITZEN vertritt im Politikteil die Gegenposition zu Corinna BUDRAS:

"Jede Frau, die in einen solchen Deal einwilligt, stimmt damit der Annahme zu, dass ihre Biologie ein eklatantes Defizit aufweist: den rapiden Rückgang der Fruchtbarkeit ab Mitte 30 und damit den Kinderwunsch zur vermeintlichen Unzeit. Eine Annahme, die der Arbeitsmarkt teilt.
Passend dazu verkünden Ärzte in Kinderwunschzentren auch in Deutschland, zu ihnen komme ein »undogmatischer, erfolgreicher, selbstbestimmter Frauentyp«. Wer nicht kommt, ist demnach dogmatisch, erfolglos, abhängig? So entstehen aus Werbesprüchen soziale Dogmen, verkleidet als flotte Rollenmuster.

Für FRITZEN geben Dave EGGERs Circles, Aldous HUXLEYs Brave New World und Kazuo ISHIGUROs Alles, was wir geben müssten die Richtung vor, in den das Angebot von Apple und Facebook weist.

HOLLERSEN, Wiebke (2014): Eine schrecklich tiefgefrorene Familie.
Apple und Facebook wollen Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen finanzieren. Bisher wird diese Methode, die Fruchtbarkeit zu verlängern, sehr selten angewendet,
in:
Welt am Sonntag v. 19.10.

Wiebke HOLLERSEN berichtet über die Sicht des Brüsseler Reproduktionsmediziner Dominic STOOP, der kürzlich einen Artikel in der Zeitschrift Lancet zum Thema veröffentlicht hat:

"200 Frauen haben seit 2009 in Brüssel einen Teil ihrer Eizellen einfrieren lassen. (...). Die Frauen waren im Durchschnitt 35 Jahre alt, durchliefen zwei bis drei Hormonbehandlungen und ließen zwanzig dabei gewonnene Eizellen lagern. »Nur ein paar Dutzend« hätten sich seitdem noch einmal in der Klinik gemeldet. Vier Frauen (...) ließen bisher Eizellen wieder auftauen und versuchten, ein Kind daraus zu bekommen. (...) Eine der Frauen ist schwanger. »Sie war 35, als sie sich Eizellen entnehmen ließ, jetzt ist sie 39. Sie hat einen Partner gefunden, die beiden haben sein Sperma verwendet. Nach ein paar Versuchen im Labor hat es geklappt.«",

berichtet HOLLERSEN über die Erfahrungen am Brüsseler Kinderwunschzentrum von STOOP. Aber welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Ist das Verfahren deshalb irrelevant oder heißt das nur, dass die Frauen üblicherweise bislang zu spät ihre Eizellen eingefroren haben? Die Motive der Frauen, die ihre eingefroren Eizellen nicht verwendeten, bleiben zudem im Dunkeln.

"1986 wurde zum ersten Mal eine Frau schwanger, nachdem ihre Eizellen wieder aufgetaut worden waren",

behauptet HOLLERSEN, was der Darstellung im Tagesspiegel widerspricht. In Wikipedia heißt es zum Stichwort Social Freezing, lediglich, dass der

"erste Bericht über eine erfolgreiche Schwangerschaft nach Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen bereits im Jahr 1986 erschien".

Verwiesen wird auf die Zeitschrift Lancet.

LAUER, Céline (2014): Der neue Eiertanz.
Wo US-Firmen die Kosten für das Einfrieren von Eizellen übernehmen, um junge Frauen bei der Familienplanung zu entlasten, wittert Céline Lauer ein perfides Spiel,
in:
Welt am Sonntag v. 19.10.

AUGSBURGER ALLGEMEINE--Thema: Erst die Karriere - dann das Kind

KNEIFEL, Claudia (2014): Kinderwunsch auf Eis gelegt.
Ein Kind, ja, aber bitte erst später. Frauen können ihre Eizellen einfrieren lassen und so ihre Familienplanung verschieben. Doch ganz einfach ist das nicht. Und umstritten
in:
Augsburger Allgemeine v. 20.10.

SCHLÜTER, Christian (2014): Eisige Planung.
Apple und Facebook sei Dank: Social Freezing als großes Befreiungsversprechen und mächtiger Karrierebooster. Was bleibt davon, wenn man genauer hinschaut?
in:
Frankfurter Rundschau v. 20.10.

SDO (2014): Junge Deutsche zeigen sich offen für Social Freezing.
Die Deutschen spüren kaum Druck des Arbeitgebers auf die Karriereplanung, zeigt eine ZEIT-Umfrage. Ein Drittel kann sich dennoch vorstellen, Eizellen einlagern zu lassen,
in:
ZEIT Online v. 22.10.

Die aktuelle Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte befasst sich passenderweise mit dem Thema Demoskopie. Am Beispiel Social Freezing zeigt sich der Unfug, der mit angeblich repräsentativen Umfragen betrieben wird. Meist wird dabei lediglich eine einzige Frage gestellt, die bei Haushaltsbefragungen dann zusätzlich abgefragt wird. Repräsentativ ist so eine Umfrage lediglich für Haushalte und Altersgruppen, aber nicht z.B. für Eltern und Kinderlose, was ja gerade in Sachen Social Freezing interessant wäre.

Was nützt es z.B. zu wissen, dass sich eine Mehrheit in bestimmten Altersgruppen für Social Freezing ausspricht? Wichtig wäre doch zu wissen, ob es sich dabei um Kinderlose handelt oder um Eltern, die bereits ihre Familienplanung abgeschlossen haben.

Wichtig wäre auch zu wissen, ob die Befragung vor oder erst nach der öffentlichen Debatte um Apple und Facebook durchgeführt wurde, denn Meinungen können stark schwanken und werden durch Debatten verzerrt. Sie geben also nur ein Momentanbild ab, das morgen schon wieder ganz anders sein kann.

Während ZEIT Online mit dieser Vorabmeldung Werbung für ihre morgige Ausgabe macht, greifen sich andere Medien ihnen genehme Umfrageergebnisse als Schlagzeile heraus. So titelt die Welt online "Mehrheit der Deutschen lehnt »Social Freezing« ab", Die Stuttgarter Zeitung online fügt noch an: "Jüngere dafür".

FUCHS, Claudia (2014): Danke, Apple! Danke, Facebook!
Ist Social Freezing nur ein weiteres Mittel, das Leben der Frau dem Kapitalismus zu unterwerfen? Nein, meint unsere Autorin Claudia Fuchs. Social Freezing ist ein grandioser Fortschritt auf dem Weg zur weiblichen Selbstbestimmung, so wichtig wie einst die Erfindung der Anti-Baby-Pille,
in:
Berliner Zeitung Online v. 22.10.

In der Berliner Zeitung darf nun auch jemand Social Freezing verteidigen, nachdem bislang lediglich die Gegner zu Wort kommen durften. Ob da die Ergebnisse der ZEIT-Umfrage nachgeholfen haben?

ZEIT-Thema: Dürfen Firmen Familien planen?
Frauen sollen ihre Eizellen einfrieren lassen, wenn es ihrer Karriere nützt. Was bislang nur Apple und Facebook fördern, könnte Schule machen. Aber viele junge Deutsche finden das wichtig

RUDZIO, Kolja (2014): Ein Kind von Apple.
US- Firmen zahlen Mitarbeiterinnen Geld, damit sie ihre Eizellen einfrieren und den Kinderwunsch aufschieben. Eine Umfrage der ZEIT zeigt: Viele junge Deutsche halten das Angebot für attraktiv,
in:
Die ZEIT Nr.44 v. 23.10.

Der Artikel von Kolja RUDZIO enthält gegenüber der Vorveröffentlichung kaum neue Fakten zur ZEIT-Umfrage. Es werden nicht einmal alle Ergebnisse mit Fragen und Antworten präsentiert. Der Leser kann sich also kein eigenes Bild vom Wert der Umfrage machen. Analyse? Fehlanzeige! Das einzige Argument für das Sozial Freezing betrifft eine Karrierefrau in leitender Position, ansonsten werden lediglich Gegenargumente geliefert. Das Fazit:

"Es geht (...) nicht bloß um die Optimierung der Karriere und es Zeitpunktes, sondern auch um die Optimierung des Vaters. So wie manche Kunden von Online-Partnervermittlungen nicht davon lassen können, immer weiter zu suchen - schließlich ist ein noch besserer Partner nur einen Mausklick entfernt."

Karrierefrauen, so das neue Stereotyp, leiden unter Optimierungswahn. Frauen finden keinen Partner? Bei dieser Antwort wird den Frauen unterstellt, dass sie ihre wahren Motive verschleiern wollen. Wer unter Optimierungswahn leidet, der hat schließlich höchstens zu hohe Ansprüche.

NIEJAHR, Elisabeth (2014): Meine Eierstöcke, mein Baby und ich.
Warum ich meine gefrorenen Eizellen aufbewahren ließ - und mich dafür schäme,
in:
Die ZEIT Nr.44 v. 23.10.

Elisabeth NIEJAHR kann Frauen verstehen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, politisch sei dies aber falsch, so ihr Standpunkt, der in Deutschland dem journalistischen Mainstream entspricht. In der deutschen Debatte um Social Freezing herrscht für NIEJAHR  im Gegensatz zur USA Altersdiskriminierung vor und zitiert dazu den Tagesspiegel und die Berliner Zeitung.

Nicht eine Verringerung des geschlechtsspezifischen Machtungleichgewichts beim Kinderkriegen bewirkt das Social Freezing, sondern das genaue Gegenteil:

"Mit der neuen Eizellen-Technik wird die Zahl der »Kann gerade nicht«-Männer steigen, die ihre Freundinnen mit Kinderwunsch vertrösten nach dem Motto: Familie ja, aber bitte nicht jetzt. Zauderer haben nun ein weiteres Argument."

Für NIEJAHR, die sich in Artikeln mal als Alleinerziehende, dann wieder als Patchworkerin bezeichnet, gibt es in Deutschland keine Vereinbarkeitsfalle à la »Alles-ist-möglich-Lüge«, sondern lediglich eine Nostalgiefalle.

SAUERBREY, Anna (2014): Die Frau von heute: Sklavin oder Asset?
Das "Eizellen-Gate" zeigt, dass es in der Gleichstellungspolitik immer seltener um Gerechtigkeit und immer häufiger um Geld geht - und dass die demographische Entwicklung eine große Chance ist. Ein Kommentar,
in:
Tagesspiegel v. 23.10.

Gleichstellungspolitik ist keine Politik für Frauen, sondern Elitenpolitik. Nur in diesem Sinne ist der demografische Wandel - wie Anna SAUERBREY meint - eine Chance: Für ein paar wenige weibliche Spitzenkräfte.

Manager wie Horst NEUMANN betrachten angesichts der angestrebten Roboterisierung der Arbeitswelt dagegen den demografischen Wandel als willkommene Entlastung des Arbeitsmarktes.

ALBRECHT, Bernhard (Pro) & Helen BÖMELBURG (Contra) (2014): Leben nach Plan.
Das Einfrieren von Eizellen verspricht Frauen größtmögliche Freiheit bei Karriere- und Familienplanung. Facebook und Apple bezahlen ihren Mitarbeiterinnen die Prozedur. Segen oder Fluch?
in:
Stern Nr.44 v. 23.10.

Bernhard ALBRECHT sieht im Social Freezing eine "Notlösung gegen Mütterfeindlichkeit". Merkwürdigerweise wird von ALBRECHT - wie auch von vielen anderen deutschen Kommentatoren - die US-amerikanische Situation umstandslos auf deutsche Verhältnisse übertragen, ohne die Unterschiede herauszustreichen. Die kinderarme Journalistin Helen BÖMELBURG diffamiert Social Freezing als "Lifestyle-Medizin". Zeitdruck (Soziologen sprechen von "Rushhour des Lebens") wird als "Intensivierung des Lebens" verherrlicht und natürlich fehlt auch der Vorwurf des Optimierungswahns nicht, bereichert lediglich um den "Kontrollwahn".

BAUM, Antonia (2014): Gib alles!
Man müsste schon die Märkte leerfegen, um an der Logik etwas zu ändern, die Frauen dazu bringt, ihre Eizellen einzufrieren,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 26.10.

DIEHL, Sarah (2014): Natürliches Gebären ist auch nicht so toll.
Die Vorbehalte gegen das Social Freezing spiegeln ein romantisiertes Naturbild wider, dessen Verfechtern die wachsende Autonomie der Frau an sich suspekt ist. Social Freezing erlaubt Frauen mehr Lässigkeit bei der Lebensplanung. Warum also dieser Aufschrei? Ein Plädoyer für mehr Entspannung,
in:
Berliner Zeitung v. 28.10.

BOLL, Christina (2014): Die Kinderfrage, humankapitalistisch betrachtet.
Unternehmen sollten nicht den Frauen das "Social Freezing" anraten, sondern jungen Angestellten eine frühe Elternschaft erleichtern. Das rechnet sich nämlich mehr als das Aufschieben der Kinderfrage,
in: Welt Online v. 02.11.

Die Welt verbreitetet eine Pressemitteilung des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstitut vom 28. Oktober 2014 als Debattenbeitrag ohne dies in irgendeiner Form kenntlich zu machen. Brauchen wir einen solchen Pseudo-Journalismus?

SPOERR, Kathrin (2014): Margot Käßmann - vielleicht sind ja SIE verrückt.
Die Theologin kritisiert "Social Freezing". Unsere Autorin antwortet ihr,
in: Welt v. 04.11.

DIEHL, Sarah (2014): Die Angst vor der kühlen Weiblichkeit.
Das Einfrieren von Eizellen kann Frauen entspannter leben lassen,
in: Jungle World Nr.45 v. 06.11.

FREITAG-Wochenthema: Egg Freezing.
Wir müssen alles dafür tun, dass Frauen eher früher als später Kinder bekommen

RÜFFER, Lisa (2014): Mein liebes Kind.
Unsere Autorin findet, Frauen sollten eher früher als später Mütter werden. Ein Brief an ihre Tochter und also an die Zukunft,
in:
Freitag Nr.45 v. 06.11.

Lisa RÜFFER fühlt sich als junge Mutter, da sie schon mit 29 schwanger gewesen sei. Ob das stimmt, müsste am Jahrgang 1981 überprüft werden und am Wohnort, denn ost- und westdeutsche Mütter sind bei der ersten Geburt unterschiedlich alt. Im Jahr 2012 waren westdeutsche Mütter beim ersten Kind im Durchschnitt 29,4 Jahre alt. Aus dieser Sicht wäre RÜFFER keineswegs eine junge Mutter, sie wäre jedoch auch keine Spätgebärende.

Stolz verweist RÜFFER jedoch auf ihren hohen Bildungsstand, sodass sie sich doch als junge Mutter fühlen dürfe. Aber auch das ist falsch. Entscheidend ist der Studiengang. Als Journalistin gehört RÜFFER jener Berufsgruppe an, der mithin die höchste Kinderlosigkeit zugeschrieben wird. Und nur unter diesem Aspekt, darf sich RÜFFER (noch) als Avantgarde der Frühgebärenden sehen.

Individualisierung heißt: Das Ich als Besonderheit zu pflegen, das tut RÜFFER indem sie sich zur Nonkonformistin stilisiert:

"Man sagt den Frauen, es ist in Ordnung, wenn ihr die Entscheidung, ob ihr Mutter werden wollt oder nicht, vertagt, denn das wird euch die Karriere erleichtern. Dieser Satz wird gerade zum Konsens. Ich sehe das anders."

Nichts ist der Individualisierung mehr zuwider als zum Konsens zu werden, weswegen wir im Zeitalter der Konformisten des Anderssein leben.

Eine sozialpolitische Grundüberzeugung heißt: Weil es zu wenige Festanstellungen gibt und deshalb die Unsicherheit überhand nimmt, führt das zur Vermeidung der Mutterschaft. RÜFFER dagegen schreibt:

"Das Kind ist der Grund, warum ich mich auf keine Festanstellung einlassen will, warum ich lieber nachts arbeite und nachmittags ins Schwimmbad gehe.

Das Gegenteil zur Freude der Frühgebärenden ist das Leid der einsamen Karrierefrau, deren Kinderwunsch aufgrund des Alters unerfüllt bleiben muss. Journalistinnen , die in ihrem Freundeskreis so jemanden nicht aufweisen können, erhalten offenbar keinen Auftrag für solch eine Lebensstilreportage.

Im Grunde hat man ja nichts gegen das Social Freezing (Bekenntnis zur Wahlfreiheit!), sondern lediglich das politische Ethos verbietet es oder der frühe Verfall des weiblichen Körpers:

"Wenn Du einmal 30 bist, wirst du sehen, wie dein Körper sich verändert. Nicht nur mit deinen Eizellen geht es bergab."

Und immer geht es ums große Ganze, z.B. um die Neuerfindung des Feminismus:

"Bekomme Kinder, wenn du es für richtig hältst, nicht die anderen! Darin liegt heute die Aufgabe des Feminismus".

Was aber, wenn man es für richtig hält, Mutter erst nach den Wechseljahren werden zu wollen?

"Auf dir lastet großer Druck. Ich möchte sehr gerne einmal Oma werden. Du bist mein einziges Kind und das wird wohl auch so bleiben. Dein Papa und ich wollen kein zweites".

PFAFF, Jan (2014): "Die Kultur der Vorsorge hat auch eine Kehrseite".
Im Gespräch: Die neuen Reproduktionstechniken stärken die Idee der Familie, sagt Kulturwissenschaftler Andreas Bernard,
in:
Freitag Nr.45 v. 06.11.

SÜDWESTPRESSE -Tagesthema: Kinder aus dem Eisschrank

GUYTON, Patrick (2014): Besuch bei einem Pionier der Eizellenentnahme in Deutschland.
Der Münchner Reproduktionsmediziner Jörg Puchta hat mehr als 10 000 weibliche Eizellen eingefroren. "Social Freezing" betrachtet er als letzten Schritt zur vollen Emanzipation der Frau,
in: Südwest Presse v. 07.11.

SOSALLA, Ulrike (2014): Auszeit für die biologische Uhr.
Jetzt also Eizellen. Mit einer gewissen Obsession debattiert unsere Wohlstandsgesellschaft immer wieder über Fortpflanzung. Wer bekommt wann Kinder, und wenn nicht, warum nicht? Soll man nachhelfen, und wenn ja, bis zu welcher Grenze?
in: Südwest Presse v. 07.11.

BECKER, Ulrich (2014): Karrieredruck statt Freiheit für die Frauen.
Als Mann begibt man sich beim Thema "Social freezing" auf vermintes Gelände: Ihr habt gut reden, halten einem die meisten Frauen entgegen. Wir, so die Kritik, könnten uns den Kinderwunsch auch mit 50 oder 60 Jahren noch erfüllen,
in: Südwest Presse v. 07.11

KLIMKE, Barbara (2014): Warum Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen.
Kaum eine Entscheidung im Leben ist so folgenreich wie die für ein Kind. Wer ist der richtige Partner? Was ist das richtige Alter? Die Methode des Social Freezing gewährt einen Zeitaufschub. Zwei Frauen, die sie gewählt haben, erzählen von ihren Beweggründen,
in:
Berliner Zeitung Online v. 13.11.

LENZEN-SCHULTE, Martina (2014): Der Fetisch mit den Frischzellen.
Social Freezing ist keine soziale Wohltat, sondern ein medizinisches Experiment. Wir unterschätzen die Komplikationen später Schwangerschaften und haben nicht einmal diskutiert, welche positiven Effekte eine frühe Mutterschaft mit sich bringt. Wer die Arbeitskraft der Frauen will, muss sie auch als Mütter anerkennen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 07.11.

Martina LENZEN-SCHULTE, entschiedene Gegnerin später Mutterschaft, die jedoch den Kaiserschnitt - und nicht die natürliche Geburt - als Königsweg sieht, breitet eine geballte Ladung an Negativmeldungen zur späten Mutterschaft und künstlicher Befruchtung aus. Für Frauen, die nicht früh Mutter werden, hat LENZEN-SCHULTE nichts übrig:

"Das Einfrieren mag Eizellen jung halten, die Gebärmutter, der Uterus, jedoch altert mit der Frau. Wenn die Frauen mit vierzig in den Spiegel schauen, müssen sie sich klarmachen, dass ihre inneren Organe und ihre Blutgefäße ebenso der Zeit ihren Tribut haben zollen müssen wie Haut und Haar. Was sich äußerlich allenfalls als unerwünschte, aber dennoch harmlose Falten, Rötungen und Pigmentflecken zeigt, bedeutet in den hochaktiven Organgeweben schlechtere Durchblutung, Verkalkung und einen Stoffwechsel, der viel früher am Limit ist als noch ein Jahrzehnt zuvor."

Noch vor kurzem konnte man nach der ersten geglückten Gebärmuttertransplantation lesen, dass eine alte Gebärmutter kein Problem für eine Schwangerschaft sei. Dem widerspricht LENZEN-SCHULTE nun.

Und sie wird geradezu pathetisch, wenn sie die neurophysiologischen Vorteile einer frühen Mutterschaft preist:

"Im Licht der Neurowissenschaften ist das aktuelle Ansinnen für Social Freezing (...) geradezu kontraproduktiv. Statt Müttern (und wohl auch Vätern) den vollen Nutzen - Wissenschaftler sprechen vom Booster-Effekt - der Elternschaft schon früh im Erwachsenenleben zu gönnen und ihn auskosten zu lassen, will man sie zum langjährigen Verzicht animieren."

Und weil das Social Freezing offenbar bei der anvisierte Zielgruppe derart beliebt ist, reicht das LENZEN-SCHULTE nicht, sondern zum Schluss muss das Leid der kinderlosen Karrierefrau, der ihr sehnlichster Kinderwunsch versagt bleibt, herhalten um die späte Mutterschaft bzw. den Aufschub der Mutterschaft zu diskreditieren.

Man fragt sich angesichts dieser geradezu panisch anmutenden Argumentation, ob das Social Freezing wirklich derart attraktiv ist, wie das diese einseitige Darstellung nahe legt. Führt diese permanente Diskreditierung nicht eher dazu, das Social Freezing erst richtig populär zu machen? Bewirken solche Artikel also nicht eher das genaue Gegenteil dessen, was sie erreichen wollen?

DJERASSI, Carl (2014): Unbefleckte Empfängnis.
Warum es der Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen dient, wenn sie Sex und Fortpflanzung voneinander trennen,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 14.11.

Carl DJERASSI wendet sich gegen den Begriff "Social Freezing", aber nicht gegen die Methode des Eizellen-Einfrierens:

"Ich lehne die deutsche Bezeichnung »Social Freezing« ausdrücklich ab - im Gegensatz zu der Methode an sich. Warum sage ich »deutsch«? Weil diese englische Phrase, genau wie etwa das Wort »Handy«, nur im Deutschen benutzt wird. Wenn Sie versuchen, »Social Freezing« in den USA zu googeln, werden Sie nur deutsche Einträge finden. Warum benutzt niemand den deutschen Ausdruck »gesellschaftliches Einfrieren«? Ist er zu lang? Ist es »cool«, einen englischen Ausdruck zu benutzen? Oder bedeuten die Fremdwörter auch eine Verurteilung? Ich glaube, dass der Ausdruck aus dem deutschen Wortschatz gestrichen werden sollte, bevor der Duden ihn verewigt, so wie das Internet es jetzt schon tut. Die Phrase beleidigt alle Frauen".

Man könnte "Social Freezing" auch als politischen Kampfbegriff bezeichnen, denn er wird lediglich vor dem Hintergrund der bevölkerungspolitischen Debatte um den Geburtenrückgang plausibel. Der Begriff denunziert die späte Mutterschaft, obwohl im familienpolitisch angeblich vorbildlichen Frankreich das durchschnittliche Gebäralter keineswegs niedriger ist als in Deutschland.

HENCKEL, Elisalex (2014): "Wir werden viele aufgebrachte Frauen erleben".
Krebs, Nierenversagen, Unfruchtbarkeit: Die Entnahme von Eizellen birgt Risiken für Mutter und Kind, die wir jetzt noch nicht absehen können, warnt Forscherin Diane Tober,
in:
Welt v. 17.11.

HAHNE, Silke (2014): Cryostore konserviert den Kinderwunsch.
Unter dem Stichwort "Social Freezing" hat das Angebot von Apple und Facebook, Eizellen ihrer Mitarbeiterinnen auf Firmenkosten einzufrieren, eine Debatte losgetreten. Das Unternehmen Cryostore aus Essen legt Kinderwünsche tagtäglich buchstäblich auf Eis - beziehungsweise in Stickstoff,
in:
DeutschlandRadio v. 21.11.

FEHLING, Maya (2014): Will es. Muss es. Muss ich?
Körper: Wie geht es einer Frau, deren Fruchtbarkeit stetig sinkt, während Kind und passender Vater bislang fehlen? Ein Brief an die eigenen, noch nicht eingefrorenen Eizellen,
in:
TAZ v. 06.12.

Zeitungen suchen derzeit händeringend nach 34jährigen Frauen, denn diesen kommt im Zeitalter der Demografiepolitik geradezu magische Bedeutsamkeit zu. Die Magie der Zahl 34 ergibt sich aus der Biologie, d.h. dem scheinbaren Naturzustand von Gesellschaft - vor ihrer Korrumpierung durch technologischen Fortschritt. Kurz vor der gesellschaftlich konstruierten Grenze zur potenziellen Spätgebärenden, hat insbesondere in Westdeutschland, eine normale Frau ihre biologische Uhr zu ticken hören. Die gesellschaftliche Konstruktion der tickenden Uhr wird derzeit von der Reproduktionsmedizin angetrieben. Die Verfallskurve der Eizellen einer normalen Frau wird heutzutage von jeder Zeitungskanzel gepredigt. Und kann von den Lesern entsprechend fast deckungsgleich wiedergegeben werden, so auch von Maya FEHLING, deren Doktortitel dem sogar noch Nachdruck verleihen soll:

"Ihr fault - langsam, aber sicher. Eure Fruchtbarkeit - F e r t i- l i t ä t - steigt bis 25. Danach geht es abwärts. Ab 30 rapide. Ab 40 freier Fall bis zur Rente mit durchschnittlich 52. M e n o p a u- s e."

Und weil heute geborenen Frauen von Demografen eingeredet wird, dass sie alle Methusalems werden, muss das Gegenargument schon entsprechend krass formuliert werden:

"Maria del Carmen Bousada hat mit 67 Jahren Zwillinge zur Welt gebracht. (...). Sie hoffte, so alt wie ihre Mutter, nämlich 101 Jahre alt zu werden und so vielleicht noch Enkel zu erleben. Als die Zwillinge zwei waren, starb Maria an Krebs."

Seit die Reproduktionsmedizin den Verfall der Eizellen durch Einfrieren aufzuhalten verspricht (Gegner sprechen von social freezing) herrscht in Deutschland Panik. Ganze Wälder müssen nun sterben, damit auch die letzte westdeutsche Frau über den Verfall von Eizellen aufgeklärt ist. Dazu hat die Gelehrtenrepublik angesichts der Bedrohung der tickenden Uhr durch sozial freezing frühzeitig aufgerufen. Denn, so offenbar die Befürchtung, wenn westdeutsche Frauen ihre biologischen Uhren nicht mehr hören, dann könnte der freie Fall der Geburtenrate einsetzen - zumindest bei erfolgreichen Akademikerinnen.

Und wer ist schuld an dieser Misere? Die Nerds aus dem kalifornischen Silicon Valley? Die Später-Vielleicht-Männer? Die partnerverschmähenden Frauen? Oder führt die Schuldfrage gar nicht weiter, weil es die gesellschaftlichen Institutionen sind, die keine angemessenen Antworten mehr auf die Fragen des postmodernen Lebens bieten?

DESTATIS (2014): 682 000 Kinder kamen im Jahr 2013 zur Welt,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes v. 08.12.

Trotz Zunahme der späten Mütter ist die Geburtenrate leicht gestiegen. Ohne die über 39jährigen Mütter, die selbst noch Mitte der Nuller Jahre als lebenslang Kinderlose galten, würde die Geburtenrate sinken. Das Statistische Bundesamt würdigt dies nicht, da späte Mütter bevölkerungspolitisch unerwünscht sind.

STATISTISCHES LANDESAMT BADEN-WÜRTTEMBERG (2014): »Späte Mutterschaft« liegt im Trend.
Fast jede vierte Frau in Baden-Württemberg ist bei der Geburt ihres Kindes mindestens 35 Jahre alt – höchste Anteile in Heidelberg und Stuttgart,
in: Pressemitteilung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg v. 17.12.

"Am höchsten war der Anteil »später Mütter« im Jahr 2013 in den Stadtkreisen Heidelberg und Stuttgart mit jeweils rund 31 Prozent. (...).
Dieser Trend wird insbesondere mit dem Familiengründungsmuster hoch qualifizierter Frauen in Zusammenhang gebracht. Tatsächlich zeigt sich, dass dort, wo viele Akademikerinnen leben, die Mütter bei der Geburt ihrer Kinder tendenziell älter sind. So hat der Stadtkreis Heidelberg mit den meisten Spätgebärenden auch den mit Abstand höchsten Akademikerinnenanteil unter den 44 Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs", meldet das Statistische Landesamt Baden-Württemberg.

JESSEN, Jens (2014): Der neue Mensch.
Befreit von allen Fesseln der Natur: Ein Jahresrückblick auf die Debatten um Social Freezing, Gendertheorie und Sterbehilfe,
in:
Die ZEIT Nr.52 v. 17.12.

Jens JESSEN will einen Epochenbruch entdeckt haben, der ausgerechnet im Jahr 2014 stattgefunden hat:

"Die Utopien von 2014 setzen nicht mehr auf politische Befreiung von Macht und Ausbeutung, sondern auf eine Befreiung von den Bindungen der Menschennatur."

JESSEN beklagt die Tatsache, dass nicht mehr die "äußere Natur", sondern die "innere Natur" als veränderbar begriffen wird. Selbstoptimierung sei das Problem. Ist es das tatsächlich? Oder ist Selbstoptimierung nicht lediglich eine mögliche Antwort auf eine marktkonforme Politik, deren Kennzeichen die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme ist? Wurde uns nicht seit der Jahrtausendwende tagein, tagaus eingehämmert, dass die Demografie unser Schicksal sei. Gehörte nicht die ZEIT zu jenen Medien, die die "äußere Natur", d.h. den demografischen Wandel zu einer unabänderlichen Tatsache stilisierte, die unsere Wirtschaft zugrunde richtet? Und ist es deshalb nicht mehr als verlogen, wenn JESSEN nun beklagt, dass die "innere Natur" angesichts zahlreicher in Umlauf befindlichen Dystopien als veränderbarer erscheint? Selbstkritik ist jedoch keine Eigenschaft unserer Eliten, viel angenehmer ist es da schon die Dummheit der Massen zu beschwören.

BAUREITHEL, Ulrike (2014): Selbstbestimmung im Gefrierschrank.
Social Freezing - wie viel Autonomie birgt die Technisierung der Reproduktion?
in:
TAZ v. 20.12.

Sind wir eine "wunschkindsüchtige und gleichzeitig kinderfeindliche Gesellschaft"? Das zumindest meint Ulrike BAUREITHEL, die angesichts der typisch deutschen Debatte um Egg Freezing (Gegner sprechen von Social Freezing), die Wiederkehr der 1980er Jahre heraufziehen sieht:

"Es ist, als würden die alten Fraktionen der Neuen Frauenbewegung wiederauferstehen: hier die möglichst (gebärmutter)freie und autonome Frau à la Shulamith Firestone, dort das grüne Müttermanifest".

Diese 1980er Jahre gab es jedoch nie, denn die "radikale" Frauenbewegung, für die Shulamith FIRESTONE stand, war längst gestorben als das grüne Müttermanifest unterzeichnet wurde. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass deren Buch The Dialectic of Sex (1970) erst 1987 in Deutschland erschien. In den 1980er Jahren war die Ablehnung der Reproduktionsmedizin durch die veröffentlichte Meinung genauso heftig wie heutzutage die Ablehnung des Egg Freezing oder der Leihmutterschaft.

Eine Frontstellung zwischen kinderfreien Frauen und Wunschkindbefürworterinnen zu konstruieren, lässt außer Acht, dass sowohl damals als auch heute bevölkerungspolitische Interessen die Debatte bestimmen. Die neue Mütterlichkeit war just in jenem historischen Moment in aller Munde als die Geburtenzahlen in Westdeutschland einen neuen Tiefstpunkt erreicht hatte. Heutzutage besteht jedoch panische Angst davor, dass die Erfolge einer "nachhaltigen Familienpolitik" (neudeutsch für Bevölkerungspolitik) durch den reproduktionstechnologischen Fortschritt zunichte gemacht werden könnten.

Selbstbestimmung sei eine Chimäre meint BAUREITHEL. Das stimmt, aber weniger aufgrund reproduktionstechnologischer Geschäftemacherei wie BAUREITHEL meint, sondern aufgrund der Demografisierung gesellschaftlicher Probleme.

2015

BILD AM SONNTAG-Titelgeschichte: Deutsche Lehrerin. Ich bin 65 und erwarte Vierlinge

APEL, Dorothee & Kerstin QUASSOWSKY (2015): Berliner Lehrerin "Ich bekomme Vierlinge mit 65",
in:
Bild am Sonntag v. 12.04.

HABICH, Irene (2015): RTL-"Extra" über Vierfachschwangerschaft: "Meine Güte, mit 65!"
Weil sie unbedingt noch einmal Mutter werden wollte, ließ sich eine Berlinerin mit 65 Jahren künstlich befruchten. Nun trägt sie Vierlinge aus. Die RTL-Sendung "Extra" klärte nicht genug über die Risiken auf, sondern bediente bloßen Voyeurismus,
in:
Spiegel Online v. 14.04.

HALSER, Marlene (2015): Schnauze, Kaninchen!
Was sagt uns das? Eine 65-jährige Berlinerin ist mit Vierlingen schwanger. Danke, Annegret,
in:
TAZ v. 14.04.

BERNDT, Christina (2015): Kinder machen.
Medizin: Muss einer 65-Jährigen der Kinderwunsch erfüllt werden?
in: Süddeutsche Zeitung v. 15.04.

Späte Mutterschaft wird hierzulande in den Medien verteufelt. Dazu werden Extrembeispiele wie die 65jährige Berlinerin missbraucht. Andererseits wird aber über die niedrige Geburtenrate gejammert. Beides hängt jedoch zusammen, denn nur in jenen westeuropäischen Ländern, in denen die späte Mutterschaft akzeptiert ist, wie z.B. in Frankreich oder Irland, wird auch eine höhere Geburtenrate erreicht.

Nicht die Kinderlosigkeit ist in Deutschland das Problem, sondern die Zwei-Kind-Norm und die Verteufelung der späten Mutterschaft. Warum sollten nicht Kinderlose, 1-, 2-, und Mehrkinderfamilien miteinander koexistieren können? Viel wird über Diversity als Vorteil geschrieben - nur die Familienform wird dabei ausgeklammert. Wie absurd ist das denn?

"Mütter sollten nicht überhöht, Kinderlose nicht bemitleidet werden",

fordert Christina BERNDT. Wie wahr! Nur was hat das alles mit falschem Anspruchsdenken ("Optimierungswahn") und Perfektionismus zu tun? Ist das nicht größtenteils nur ein Medienphantom bzw. das Problem eines Milieus, das fälschlicherweise mit der Mittelklasse verwechselt wird?

"Berufsfeldstudien belegen, dass die Strategie der Selbstoptimierung hauptsächlich in solchen Gruppen sichtbar wird, die Pierre Bourdieu als modernes Kleinbürgertum bezeichnete (...) und die in den letzten Jahren als »Kreative« oder »ökonomische Kulturvermittler« besondere Aufmerksamkeit erlangten", schreibt die Soziologin Cornelia KOPPETSCH in ihrem Buch Die Wiederkehr der Konformität.

Vielleicht wird man bereits in ein paar Jahren fragen, ob man damals nicht drängendere Probleme gehabt hat...

SPIEWAK, Martin (2015): Dubioser Rekord.
Vierlinge mit 65 Jahren? Das geht nur unter Missachtung aller deutschen Regeln für die Kinderwunsch-Medizin,
in:
Die ZEIT Nr.16 v. 16.04.

"Die älteste Vierlingsmutter, das ist dein dubioser Weltrekord. Dass er ausgerechnet in Deutschland aufgestellt wird, ist nicht ohne Ironie. Denn nur wenige Länder regeln die Fortpflanzungsmedizin so streng wie die Bundesrepublik",

meint Martin SPIEWAK. Bislang geht es lediglich um eine Vierlingsschwangerschaft, von einer Vierlingsmutter kann also noch gar nicht gesprochen werden. Ob am Ende der Schwangerschaft auch Vierlinge lebend geboren werden, das dürfte aufgrund des Medienrummels unter genauer Beobachtung stehen.

Und ist es Ironie, dass dies ausgerechnet in Deutschland passiert oder nicht eher ein Beleg dafür, dass Medien, Politik und Wissenschaft längst das Vertrauen der Bevölkerung eingebüsst haben?

FRANKFURTER RUNDSCHAU-Tagesthema: Mama!
Darf man Muttersein bereuen? Eine israelische Studie hat in Deutschland neuen Schwung in die Debatte um Rollenbilder und weibliches Selbstverständnis gebracht

TKALEC, Maritta (2015): Ein Teil des Lebens.
Kommentar: Annegret R. könnte ein Vorbild sein für Frauen, gesellschaftliche Zwänge zu ignorieren,
in: Frankfurt Rundschau v. 17.04.

"Annegret R. hat laut Statistischem Bundesamt eine Lebenserwartung von noch 21 Jahren. Als meine Urgroßmutter, die slowenische Bäuerin Katharina Bobovec mit über 40 ihren Knecht Ivan Tkalec heiratete und mit ihm vier Kinder zeugte, lag ihre Lebenserwartung bei Geburt meines Großvaters statistisch bei Null. Klasse-Frau, die übrigens sehr alt wurde",

meint Maritta TKALEC (in der Berliner Zeitung hier), die sich der verschiedenen Vorurteile im Fall der Annegret R. annimmt und ihn nicht zum zukünftigen Normalfall, sondern zum Ausnahmefall stilisiert:

"Sicher ist: Es wird immer mehr späte und sehr späte Mütter geben; die schwangere Rentnerin aber wird keine Massenerscheinung werden."

Ungeklärt bleibt bei dieser Aussage, ob dies darauf zurückführbar sein wird, dass entweder aufgrund des zukünftig späteren Renteneinstiegsalter das Phänomen an Bedeutung verliert (Betonung auf RENTNERIN) oder ob sich die Aussage auf die Anzahl von Müttern bezieht, die jenseits der 65Jahre ein Kind gebären werden.

JIMÉNEZ, Fanny (2015): Späte Eltern, gute Eltern.
Die Zahl der Eltern, die Mitte 40 das erste Kind bekommen, steigt stetig. Ein Risiko für den Nachwuchs, sagt die Medizin. Ein Segen für die Kinder, sagen dagegen Psychologen,
in: Welt am Sonntag v. 19.04.

STRÖHLEIN, Markus (2015): Vier gewinnt nicht.
Zu alt? Zu selbstverliebt? Zu leichtsinnig? Der Fall einer 65jährigen, die mit Vierlingen schwanger ist, sorgt in Deutschland für heftige Diskussionen und offenbart seltsame Vorstellungen von Mütterlichkeit,
in: Jungle World Nr.17 v. 23.04.

ROEDIG, Andrea (2015): Der Bauch gehört ihr.
Eine fünfundsechzigjährige Frau, die dank Reproduktionsmedizin mit Vierlingen schwanger geht, gibt derzeit zu reden. Ist eine solch späte Erfüllung des Kinderwunsches «gegen die Natur»?,
in: Neue Zürcher Zeitung v. 25.04.

Mit Michel FOUCAULTs Sorge um sich selbst als Naturäquivalent argumentiert Andrea ROEDIG gegen die späte Mutterschaft:

"Die späte Mutter sieht die Dinge gelassen, sie fühle sich «fit», sagt sie. Optimismus und Fahrlässigkeit fallen da in eins, denn einen Wunderleib kann auch Annegret Raunigk nicht haben. Zwar sind Körper verschieden und die medizinischen Möglichkeiten mächtig, aber die Zeit selbst, das Altern, lässt sich nun einmal nicht aufheben.
Um das zu verstehen, muss man sich nicht auf «Natur» berufen, man könnte auf den Begriff der «Sorge» zurückgreifen, den der späte Michel Foucault mit der Wendung «Sorge um sich» wieder hoffähig gemacht hat".

Michel FOUCAULT gilt Apologeten des aktivierenden Sozialstaats als Gewährsmann. Selbstsorge (Synonym für Eigenverantwortung) als Selbsttechnologie begründet das so genannte Selbstunternehmertum.

STATISTISCHES LANDESAMT BADEN-WÜRTTEMBERG (2015): Anteil der Zwillingsgeburten verdoppelt.
2014 kamen in Baden-Württemberg 1 750 Zwillingspaare zur Welt - Bei älteren Müttern ist eine Zwillingsgeburt wahrscheinlicher - auch 38 Drillingsgeburten,
in: Pressemitteilung des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg v. 27.08.

"Im vergangenen Jahr waren 567 der Frauen, die Zwillinge gebaren, 35 Jahre oder älter. Das bedeutet, dass bei den »späten Müttern« immerhin 2,5 Prozent der Geburten und damit jede 40. Geburt Zwillingsgeburten waren. Bei den Frauen im Alter von unter 35 Jahren lag dieser Anteil lediglich bei 1,6 Prozent. Der Anstieg der Mehrlingsgeburten in den letzten Jahrzehnten erklärt sich somit auch damit, dass ältere Mütter überdurchschnittlich oft Zwillinge bekommen und der Anteil der Kinder, die von Müttern im Alter von 35 Jahren oder später geboren wurden, stetig angestiegen ist. So hat sich der Anteil »später Mütter« seit dem Jahr 2000 von 17 Prozent auf zuletzt immerhin 24 Prozent erhöht.
Der Hauptgrund für den Anstieg der Zwillingsgeburten dürfte allerdings sein, dass bis zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts immer öfter Frauen mit Hilfe der künstlichen Befruchtung schwanger wurden. Weil sich Paare zunehmend später für ein Kind entscheiden, sind sie häufiger auf die Reproduktionsmedizin angewiesen. Etwa jede fünfte Reagenzglasbefruchtung führt hierbei zu Zwillingsgeburten", meldet das Statistische Landesamt Baden-Württemberg.

TAGESSPIEGEL-Themenseite: Berlin Familie.
Über das Vatersein im Großvateralter

MARTENSTEIN, Harald (2015): "Methusalem beim Elternabend".
Mit über 60 Vater werden - ist das egoistisch? Das findet unser Kolumnist nicht. Hier schreibt er über sein spätes Abenteuer,
in: Tagesspiegel v. 28.10.

ALTEN, Saara von (2015): "Eine Scheidung hat größere Effekte als das Alter".
Sind alte Eltern ein Phänomen unserer Zeit und welchen Einfluss hat das auf die Entwicklung der Kinder? Ein Interview mit der Soziologin Michaela Kreyenfeld,
in: Tagesspiegel v. 28.10.

STATISTISCHES LANDESAMT BADEN-WÜRTTEMBERG (2015): "Späte Mutterschaft" weiterhin im Trend.
Baden‑Württemberg: Fast jede vierte Frau ist bei der Geburt ihres Kindes mindestens 35 Jahre alt – höchste Anteile in Stuttgart und Heidelberg,
in:
Pressemitteilung Statistisches Landesamt Baden-Württemberg v. 17.11.

BREITINGER, Eric (2015): Späte Kinder. Vom Aufwachsen mit älteren Eltern Ch. Links Verlag

2016

BRIGITTE-Dossier: Wenn Männer keine Väter werden.
Männer haben es gut: Bei ihnen tickt keine biologische Uhr, sie können immer Kinder bekommen... nein, ganz so einfach ist es nicht. Auch bei Männern sinkt ab Mitte 40 die Wahrscheinlichkeit, noch eine Familie zu gründen. Und sie müssen einen Weg finden, damit umzugehen

CARL, Verena (2016): Zwischen Babyblues und Freiheitsdrang.
Wer die Entscheidung für ein Kind nicht rechtzeitig trifft - aus welchen Gründen auch immer -, für den entscheidet irgendwann das Leben. Und zwar meistens abschlägig. Woran liegt es, wenn Männer kinderlos bleiben, und wie fühlen sie sich damit?
in:
Brigitte Nr.22 v. 12.10.

"Frauen (...) gelten ab Mitte, Ende 30 als angezählt, ein paar Jahre später als tragische Nietenzieher in der Babylotterie oder als Karrierezicken, und ab Mitte 40 macht der Körper irgendwann nicht mehr mit. Egal, ob Schicksal, Biologie oder freiwillige Entscheidung - ganz kalt lässt die K-Frage keine",

erklärt uns Verena CARL, was Frauen heute von der Gesellschaft, d.h. den Mainstreammedien und speziell der Bevölkerungswissenschaft als Deutungsschema angeboten wird.

Schon seit Anfang des Jahrtausends werden Spätgebärende, als die - trotz aller Fortschritte der Reproduktionsmedizin und großer interindividueller Unterschiede hinsichtlich der persönlichen Fruchtbarkeit, immer noch über 34-jährige Frauen gelten, als Problemfall beschrieben. Seit Mitte der Nuller Jahre haben Postfeministinnen, Bevölkerungswissenschaft und Reproduktionsmedizin verstärkt den Mann als kinderlosen Problemfall entdeckt. Nicht nur Verena CARL versucht deshalb das Bild vom bis ins hohe Alter zeugungsfähigen Mann zu demontieren.

Die Kinderlosigkeit des Mannes ist jedoch zu allererst ein sozioökonomisches und kein biologisches Problem, denn der Mann wird - trotz oder gerade wegen der Emanzipation? - immer noch als Familienernährer gesehen, weshalb Männer ohne hohes Einkommen weniger Chancen bei Frauen mit Kinderwunsch haben. Dies mit "Abgehängten" zu verwechseln ist typisches Mittelschichtmedienverzerrung. Das Etikett "Aufschieber" wird dagegen gerne Männern aus dem individualisierten Milieu verpasst.

Als Experten werden uns Martin BUJARD, Christian SCHMITT, Sarah DIEHL ("Die Uhr, die nicht tickt"), Claudia ZERLE-ELSÄßER und Björn SÜFKE ("Männer! Erfindet! Euch! Neu!") präsentiert.

Mehr als die traditionelle entwicklungspsychologische Vorstellung vom Gegensatz zwischen Stagnation und Generativität wird uns nicht geboten. Sinn soll das Hauptproblem von Kinderlosen sein. Wir sollten Trauerarbeit leisten:

"Jede Lebensmöglichkeit, die wir nicht verwirklichen, will betrauert werden."

Wenn das der Fall wäre, dann würden wir vor lauter Trauerarbeit verhungern müssen!

Mittels 5 Porträts werden verschiedene Typen von kinderlosen Männern unterschieden:
- Der Pragmatiker (38 Jahre, Krankenpfleger, feste Partnerschaft)
- Der Trauerarbeiter (52 Jahre, Agenturchef, verheiratet)
- Der Freiheitsliebende (54, Tourismusexperte, frisch verliebt)
- Der Aufschieber (41, Journalist, Single)
- Der Entspannte (50, Jurist, verheiratet)

CARL, Verena (2016): "Die Passivität ist für Männer das Bitterste".
Gespräch mit Petra Thorn. Das Herz sagt Ja, die Partnerin sagt Ja, der Körper sagt Nein: Wie gehen Männer damit um, wenn sich ein Kinderwunsch aus medizinischen Gründen nicht erfüllt?
in:
Brigitte Nr.22 v. 12.10.

 
     
 
       
   
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Update: 06. Februar 2019