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Deutschland im Herbst
Aufbruchsstimmung?
Aufbruchspflicht! Optimismus ist angesagt im Land. Die
Geburtenzahl ist endlich wieder gestiegen, verkünden die Medien
(z.B. Iris MARX "Städte registrieren Baby-Boom", Welt
18.05.2007). Nachdem
am 1. Januar das Elterngeld in Kraft getreten ist, müssen jetzt
schleunigst Erfolgsmeldungen her. Die Welt - jahrelang
Vorreiter im Runterdrücken der Geburtenrate
- will nun offenbar
den Baby-Boom herbei schreiben. Die Presseagenturen greifen das
begierig auf und das Internet tut das seinige dazu. Aber
im Herbst kommen bekanntlich immer wieder die Gespenster der
deutschen Vergangenheit zurück. WM-Babys
hin, WM-Babys her, Elterngeld hin, Elterngeld her. Seit Anfang
des 20. Jahrhunderts leben die Deutschen mit Debatten über einen
Geburtenrückgang. Im Buch Ein ewigwährender Untergang
zeigt der Historiker Thomas ETZEMÜLLER, dass der gegenwärtige
alarmistische Bevölkerungsdiskurs eine gut 100jährige Geschichte
in Deutschland hat
. Abweichungen
vom langfristigen Geburtentrend nach unten oder oben durch
Zäsuren wie Kriege oder Wirtschaftskrisen gab es immer wieder
einmal. Geburten wurden dann gewöhnlich nachgeholt. Aber eine
neue Bevölkerungsweise auf höherem Niveau stellte sich bislang
in keinem Industrieland ein, auch wenn es Länder gibt, deren
Geburtenraten für eine mehr oder weniger längere Zeit eine
bestandserhaltene Geburtenrate erreichten. Nachhaltig war dies
nirgends. Woraus
speist sich also der allgemeine Steuerungsoptimismus der in der
Bevölkerungsfrage ausgebrochen ist? Und ist er berechtigt?
Diesen Fragen geht ein Sammelband nach. Der Titel
Grenzen der
Bevölkerungspolitik deutet bereits an, dass die Autorinnen
skeptisch sind.
Wir müssten eigentlich zufrieden sein,
aber...
In der Einleitung bewerten
Diana AUTH & Barbara HOLLAND-CUNZ die bevölkerungspolitische
Wende in der Frauen- und Familienpolitik unter besonderer
Berücksichtigung feministischer Vorstellungen. Ist
eine Allianz von Feministinnen und Bevölkerungspolitikern
vorstellbar? Skepsis scheint ihnen angebracht, zumal die
Autorinnen keine Verfechterinnen eines neuen Feminismus mit
eingeschränkten Wahlfreiheiten sind, sondern weiterhin an
den Idealen der Frauenbewegung mit allen Wahlfreiheiten
festhalten:
Grenzen der Bevölkerungspolitik
"Die
frauenbezogenen Argumente des Neuen Feminismus sind mit
den derzeit ins Feld geführten frauenfreundlichen
Argumentationen nicht unmittelbar vergleichbar. Während es
der Frauenbewegung um die Freiheit auf alle Wahloptionen
ging, geht es gegenwärtig vor allem um die Freiheit, die
inzwischen selbstverständlich gewordene Berufstätigkeit
wieder an die alten familialen Pflichten zurückzubinden.
In das in den vergangenen Jahrzehnten etablierte
wiedersprüchliche Anforderungsprofil zwischen Mutterschaft
und Berufstätigkeit, ein Muster, das Frauen die bittere
Wahlfreiheit zwischen »Karrierefrau«, »Hausmütterchen«
oder »Rabenmutter« lässt, hat sich ein neuer politischer
Imperativ eingeschlichen: die Verpflichtung zur
Gesellschafts-erhaltenden Geburtenrate."
(2007, S.9) |
AUTH & HOLLAND-CUNZ können
keine grundlegenden gesellschaftlichen Strukturveränderungen
seit den 1960er Jahren erkennen und sehen deshalb die Frauen
berechtigterweise im Gebärstreik. Nicht die Emanzipation,
sondern die Verhinderung der Emanzipation hält die Geburtenrate
niedrig, meinen die Autorinnen. Diese Ansicht dringt
mittlerweile mehr und mehr auch in den konservativen Mainstream
ein. So
mancher wird trotz alledem denken, dass es sich nicht lohnt,
sich mit den Einwänden, die in dem Sammelband vorgetragen
werden, weiter auseinandersetzen zu müssen. Dies wäre jedoch
falsch, denn AUTH & HOLLAND-CUNZ vertreten zwar in der
Einleitung einen weitreichenden feministischen Anspruch, den
heutzutage in dieser Form kaum noch jemand öffentlich zu formulieren wagt,
aber die Beiträge des Sammelbandes zur Bevölkerungspolitik sind
thematisch breit angelegt und befassen sich mit dem ganzen
Spektrum der Problematik. Berührungsängste sind deshalb nicht
angebracht. Im
folgenden soll aufgezeigt werden, warum der Band nicht nur für
Feministinnen, sondern für alle, die sich für Familien- und
Sozialpolitik interessieren, lesenswert ist.
Bevölkerungsbewegung zwischen Quantität und
Qualität
Im Jahr 1975 erschien ein
von Franz-Xaver KAUFMANN herausgegebener Sammelband mit dem
Titel Bevölkerungsbewegung zwischen Quantität und Qualität,
in dem der Soziologe KAUFMANN folgende Aussagen zum weiteren Verlauf der
Bevölkerungsentwicklung machte:
Makrosoziologische Überlegungen zu den Folgen eines
Bevölkerungsrückgangs
"Als feststehend darf (...) gelten, daß der volle Effekt
des gegenwärtigen Geburtenrückgangs - sofern kein
Tendenzumschwung eintritt, sondern sich nur das
gegenwärtige niedrige Fruchtbarkeitsverhalten stabilisiert
- auf den Bevölkerungsrückgang erst bei einer
Bevölkerungsfortschreibung über das Jahr 2000 hinaus
sichtbar werden würde. Erst wenn die jüngsten
geburtenschwachen Jahrgänge ihrerseits ins
Fortpflanzungsalter gekommen sind und bei gleichbleibender
Fruchtbarkeitsverhalten eine noch wesentlich geringere
Kinderzahl zur Welt gebracht haben, wird der kumulative
Effekt demographischer Entwicklungstrends voll sichtbar".
(1975, S.47) |
Die Entwicklung der
letzten 30 Jahre scheint dem Soziologen Franz-Xaver KAUFMANN
Recht zu geben. Wir sind nun in genau jene Phase eingetreten,
die er damals treffend beschrieben hat
. Im
Jahr 2005 ist das Buch Schrumpfende Gesellschaft von
KAUFMANN erschienen. Darin spitzt er seine damals bereits in
Ansätzen skizzierten Aussagen zu den Folgen eines
Bevölkerungsrückgangs in den Industriegesellschaften noch einmal zu. KAUFMANN
hat mit dem Begriff von den strukturellen Rücksichtslosigkeit
unserer Gesellschaft gegenüber den Familien das
sozialpolitische Denken in Deutschland geprägt. Der Soziologe
ist auch bei Feministinnen anerkannt, weil er kein
ausgesprochener Antifeminist ist, und nicht der Berufstätigkeit
der Frau die Schuld am Geburtenrückgang gibt. Umso
mehr gibt es deshalb zu denken, dass dieser renommierte
Soziologe sich dem katastrophischen Gestus nicht verweigert,
sondern einstimmt in der Chor der Apokalyptiker. Das Beispiel
von KAUFMANN zeigt, dass nationalkonservatives Denken nicht
unbedingt mit einer Präferenz für die klassische Familie einher
gehen muss. In
ihrem Beitrag über den Alarmismus der öffentlichen
Debatte stellt Barbara HOLLAND-CUNZ den Debattenbeitrag von
KAUFMANN exemplarisch vor und kritisiert dessen nationalistische
Position, die auch einem Kampf der Kulturen das Wort redet.
Single-generation.de hat das Buch von KAUFMANN im Rahmen
einer Rezension des Buches von Karl Otto HONDRICH Weniger
sind mehr in ähnlicher Weise ausführlich kritisiert
.
Die Steuerung der Fruchtbarkeit von Frauen, die im
Mittelpunkt von Bevölkerungspolitiken steht, erfolgt aufgrund
zweier Ziele: einem Quantitäts- und einem Qualitätsziel. Quantität,
also die Vermehrung einer Bevölkerung erfordert eine
pronatalistische, d.h. Geburten fördernde Politik, während
Qualitätsziele, d.h. die Beeinflussung der Zusammensetzung von
Bevölkerungen, auch auf antinatalistische, d.h. Geburten verhindernde
Politik, setzt.
Unter
deutschen Bevölkerungswissenschaftlern herrscht Einigkeit
darüber, dass nur die Bekämpfung der Kinderlosigkeit zur
Steigerung der Geburtenrate führt. Sowohl Herwig BIRG als auch
Jürgen DORBRITZ, zwei prominente deutsche
Bevölkerungswissenschaftler, vertreten die Polarisierungsthese,
wonach die heutige Gesellschaft in Kinderlose und Zwei-Kindfamilien
gespalten ist. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinem
Pflegeurteil der zugespitzten Polarisierungsthese von Herwig
BIRG gefolgt, was zur Einführung eines höheren Beitrags von
Kinderlosen zur Pflegeversicherung geführt hat
.
DORBRITZ
hat in dem Beitrag Kinderlosigkeit in Deutschland und Europa
- Daten, Trends und Einstellungen (Heft 4/2005 der
Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft) vorgerechnet, dass
nur durch die Senkung des Anteils der Kinderlosen eine
Geburtenrate von 1,7 bzw. 2,1 erreicht werden kann. DORBRITZ
geht dabei jedoch davon aus, dass die jüngeren Geburtsjahrgänge
zu einem Drittel lebenslang kinderlos bleiben werden. Aufgrund
der mehr als mangelhaften Datenlage in Deutschland ist jedoch
gar nicht gewiss, ob dieser Anteil überhaupt realistisch ist. Es
gibt zumindest Hinweise darauf, dass die Anteile der
Kinderlosen des Frauenjahrgangs 1965 unter 25 % bleiben
könnten
. Was könnte der
Grund dafür sein, dass der Anteil der Kinderlosen bewusst
überschätzt wird?
Die differentielle Steuerung der
Fruchtbarkeit
Eine Erklärung könnte
sein, dass nicht alle Kinderlosen gleichermaßen Adressaten
dieser Strategie der Bekämpfung von Kinderlosigkeit sind. Es
sind in erster Linie kinderlose Akademikerinnen, die mehr Kinder
bekommen sollen. Dagegen ist die Reproduktion der Unterschichten
unerwünscht. Mit
dem "Gespenst des Geburtenrückgangs" wurde Ursula FERDINAND
zufolge die differentielle Fruchtbarkeit zum konstituierenden
Element der Bevölkerungspolitik:
Geburtenrückgangstheorien "um 1930" in Deutschland
"Mit
dem Geburtenrückgang avancierte (...) im 20. Jahrhundert
die differentielle Fruchtbarkeit - soziale Unterschiede
der Fruchtbarkeit zwischen armer und reicher, städtischer
und ländlicher Bevölkerung, zwischen den Klassen,
Schichten, Berufsgruppen, Völkern oder »Rassen« - zum
konstituierenden Element der bevölkerungstheoretischen
Konzeptionen und zum Gegenstand bevölkerungspolitischer
Analysen".
(aus: Grenzen der Bevölkerungspolitik 2007, S.20) |
Ursula FERDINAND
beschreibt in ihrem interessanten Beitrag über die
Geburtenrückgangstheorien "um 1930" in Deutschland
zum einen die Entdeckungsgeschichte des Geburtenrückgangs, der
seit Anfang des 20. Jahrhunderts, mehr und mehr das
Überbevölkerungsproblem verdrängte . Und zum anderen
stellt sie jene Denker vor, die vor 1933 Theorien zum
Geburtenrückgang entwickelten, danach aber vergessen wurden.
Dazu gehörte auch der Nationalökonom Julius WOLF, der sich als
Entdecker des internationalen Geburtenrückgangs sah
. Zum
Abschluss ihres Beitrags kritisiert FERDINAND das
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, dessen
Studie zur ungewollten Kinderlosigkeit in letzter Zeit ins
Gerede gekommen ist. FERDINAND erinnern die Studien zur
demographischen Lage in Deutschland eher an "PR-Maßnahmen einer
Lobby-Einrichtung als einem Ringen um ernsthafte Antworten auf
den Fragenkomplex von Ursachen, Wirkungen und Folgen
demographischer Entwicklungen
. Die bestandserhaltende Geburtenrate ist für FERDINAND weder
ein Maßstab zur Beurteilung von Über- oder Unterbevölkerung,
noch ist davon das System der sozialen Sicherung in Deutschland
abhängig:
Geburtenrückgangstheorien "um 1930" in Deutschland
"Eine
Geburtenrate von 1,36 Kindern pro Frau ist nun einmal kein
Indiz für zu viele oder zu wenige Menschen.
Die heutige Debatte basiert auf der Angst vor dem Kollaps
des gegenwärtigen Systems der sozialen Sicherung. Dieses
System basiert auf dem Verhältnis von Erwerbstätigen und
LeistungsbezieherInnen, beides Gruppen, die auf den ersten
Blick nicht bestimmten Alterskohorten angehören. Eintritt
in das Erwerbsleben, Arbeitslosigkeit, Beginn und Dauer
des Ruhestands sind die wichtigen Faktoren, die in der
Beschäftigungs-, Wirtschafts-, Gesundheits- und
Sozialpolitik fußen und nicht im leeren Uterus für die
Notwendigkeiten des Volkswohls uneinsichtiger Frauen.
(aus: Grenzen der Bevölkerungspolitik 2007, S.32) |
Kinderlose Akademikerinnen als Adressaten der
Bevölkerungspolitik der Berliner Republik
Geburtenfördernde Politik
zielt in erster Linie auf kinderlose Akademikerinnen. In dem
lesenswerten Beitrag Metalog zur Familienpolitik von Tomke und Oliver KOENIG im April-Heft
der Zeitschrift Familiendynamik haben sich die beiden AutorInnen
folgendermaßen als Objekt der "Familienpolitik" beschrieben.
Metalog zur Familienpolitik
"Tomke
König: Wir kommen insofern in den Texten vor, weil wir
statistisch zu denen gehören, die sich verweigern, Kinder
zu kriegen. Denn in den Statistiken werden die
Übervierzigjährigen nicht mehr als potenzielle Kandidaten
für eine Familiengründung erfasst. Wir tauchen in den
Texten als die Paare ohne Kinder auf, die alle Privilegien
haben - zwei Einkommen, flexibel, gebildet und so weiter
-, und wir schmarotzen in diesem Bild von denen, die schon
mit 20 Kinder gekriegt haben."
(2007, S.32) |
Das Pikante an dieser
Sache: Tomte KÖNIG gehört zu jenen Akademikerinnen der
Generation Golf, die noch als Übervierzigjährige ihr erstes
Kind zur Welt gebracht hat. Diese Gruppe der Spätgebärenden
nimmt in den jüngeren Frauenjahrgängen immer mehr zu. Erst während des
Bundestagswahlkampfes im Jahr 2005, in dem die Einführung eines Elterngelds
eine zentrale Rolle spielte, wurde debattiert, ob die
Zahlen zur Kinderlosigkeit, insbesondere der Akademikerinnen,
überhöht sind (siehe hierzu Manfred SCHAREIN & Rainer UNGER
"Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen?" in den
BIB-Mitteilungen, Nr.2 v. 30.06.2005).
In
ihrem herausragenden Beitrag über den pronatalistischen
Aktionismus geht Diana AUTH detailliert auf den Wandel
der Familienpolitik seit 1998 ein. Ihre Kritik formuliert
sie folgendermaßen:
Pronatalistischer Aktionismus
"Seit
Renate Schmidt 2002 das Familienministerium übernahm,
wurde versucht, die Geburtenrate aktiv mit Hilfe
politischer Maßnahmen zu steigern. Im Koalitionsvertrag
zwischen CDU/CSU und SPD und durch die neue
Familienministerin Ursula von der Leyen wird die
geburtenfördernde Familienpolitik nun fortgesetzt. Sie
dient vor allem der Durchsetzung ökonomischer und
bevölkerungspolitischer Zielsetzungen. Und die
pronatalistische Familienpolitik ist - so meine These -
aktionistisch, weil weder die Ursachen für Kinderlosigkeit
und das Hinausschieben von Kinderwünschen noch die
generelle Steuerungsfähigkeit bevölkerungspolitischer
Maßnahmen in der politischen Debatte ausreichend
reflektiert werden.
(aus: Grenzen der Bevölkerungspolitik 2007, S.81) |
AUTH geht - im Gegensatz
zu vielen anderen Büchern - in ihrem Beitrag auch auf die
Probleme der Messung der Geburtenrate in Deutschland ein. Sie
beruft sich bei der Annahme, dass die Geburtenziffern der
jüngeren Frauenjahrgänge nicht weiter zurückgehen, auf Zahlen
der Enquête-Komission zum Demographischen Wandel und auf
Jürgen DORBRITZ ("Nur Tempoeffekte, aber kein Babyboom", 2004 in
den BIB-Mitteilungen Nr.2 v. 22.06.2004). Insbesondere die
Debatte um die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen steht im
Mittelpunkt des Beitrags. Drei Ursachen sind AUTH zufolge für die niedrige Geburtenrate in Deutschland
ausschlaggebend:
1) Zunahme der freiwillig
kinderlosen Frauen und Männer,
2) uneingelöste Kinderwünsche
3) Auswirkungen des Hinausschiebens der Familienphase, d.h.
zunehmendes Risiko der ungewollten Kinderlosigkeit.
AUTH diskutiert den ersten
Punkt unter dem Aspekt "bewusster Kinderlosigkeit". In der
öffentlichen Debatte wird in zunehmendem Maße eine Kultur der
Kinderlosigkeit beklagt. Diese Debatte ist hoch emotional
und moralisierend. Der Soziologe Günter BURKART spricht dagegen
von einer Kultur des Zweifels
. Dagegen verweist
AUTH auf die höhere Karriereorientierung bewusst Kinderloser,
wodurch diese auf andere Weise zum Gemeinwohl beitragen. Bei
uneingelösten Kinderwünschen sieht AUTH unterschiedliche Gründe
wirken. Hier spielt zum Beispiel die finanzielle Situation
genauso eine Rolle wie die unsichere Lage auf dem Arbeitsmarkt.
Des Weiteren gehören hier Probleme bei der Paarbildung
hinzu, denn für den Kinderwunsch ist immer noch das
Vorhandensein einer Partnerschaft eine wichtige Voraussetzung.
Beim
dritten Punkt geht es um die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie, die im Mittelpunkt des derzeitigen Aktionismus
steht. AUTH subsumiert hierunter den Ausbau der
Ganztageskinderbetreuung, aber auch die Hemmnisse durch das
Familienideal des Alleinverdienermodells.
AUTH
kritisiert, dass die bevölkerungsorientierte Familienpolitik die
Gründe der Kinderlosigkeit nicht ausreichend berücksichtigt. Der
gegenwärtigen Bevölkerungspolitik sind deshalb folgende Grenzen
gesetzt:
Pronatalistischer Aktionismus
"•
Männer und Frauen, die in instabilen Partnerschaften leben
oder Singles sind, erreicht man mit dem Ausbau von
Kinderbetreuungseinrichtungen - selbst für unter
Dreijährige - nicht.
• Karriereorientierte Frauen nützt es für ihr berufliches
Fortkommen nichts, wenn die steuerliche Absetzbarkeit von
Kinderbetreuungskosten verbessert wird.
• Ein bewusst kinderloses Paar wird weder durch
finanzielle Transfers noch durch weitere
Kinderbetreuungseinrichtungen motiviert, Kinder zu
bekommen.
• Und wenn Männer sich aufgrund fehlender finanzieller und
sozialer Planungssicherheit gegen Kinder entscheiden,
lassen sie sich weder durch erweitere
Teilzeitmöglichkeiten während der Elternzeit noch durch
ein einkommensorientiertes einjähriges Elterngeld
umstimmen.
(aus: Grenzen der Bevölkerungspolitik 2007, S.98) |
AUTH sieht Konflikte
vorprogrammiert, weil die Zusammenfassung von Familien- und
Gleichstellungspolitik unter dem Dach der Bevölkerungspolitik
nicht gelingen kann. AUTH befürchtet zu Recht eine
Verschärfung der Debatte. Bevölkerungswissenschaftler haben
festgestellt, dass bereits der Kinderwunsch der Deutschen nicht
mehr bestandserhaltend ist
. AUTH fragt
deshalb:
Pronatalistischer Aktionismus
"Wo
ist eigentlich die Grenze zwischen der Erfüllung
existierender Kinderwünsche und dem Druck auf Frauen,
Kinder zu gebären? Die jüngst entbrannte Diskussion um
Rentenabschläge für Kinderlose ist ein Vorgeschmack auf
kommende Debatten."
(aus: Grenzen der Bevölkerungspolitik 2007, S.100) |
Als Alternative bleibt für
AUTH nur ein Leitbildwandel "hin zu einem egalitären
Geschlechter- und Familienbild". Außer
Acht bleibt jedoch sowohl bei AUTH als auch bei der
gegenwärtigen Debatte um den Geburtenrückgang, dass keineswegs
nur die Kinderlosigkeit, sondern insbesondere der Rückgang
der kinderreichen Familien Schuld an der niedrigen
Geburtenrate ist
. Die Verengung der Debatte auf die Bekämpfung
der Kinderlosigkeit führt deshalb zwangsweise zur weiteren Verschärfung. Ein
Blick in die Geschichte und auf andere Länder zeigt, dass allzu
viel Optimismus bezüglich der Steuerbarkeit der Fruchtbarkeit nicht angebracht ist.
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