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Die verlorene Zeit.
Ein kurzer Rückblick auf die langen neunziger Jahre
"Wenn (...) zunächst nicht klar ist, was
am 11. September 2001 angefangen hat, so steht doch immerhin
fest, dass an diesem Datum etwas abgeschlossen wurde. Es sind
die neunziger Jahre - die »langen« neunziger Jahre seit
1989, wie man in Anlehnung an die Rede vom »langen« 19.
Jahrhundert formulieren könnte, das 1789 mit dem Sturm auf
die Bastille begann und 1914 mit dem Ausbruch des Ersten
Weltkrieges endete, oder auch 1917 mit der russischen
Oktoberrevolution. Diese neunziger Jahre stellen sich, bei
aller sofort zugestandenen Verantwortungslosigkeit solcher
Summierung und Idealtypik, im Rückblick doch als eine
Einheit dar und legen die Frage nahe, was das eigentlich für
eine Zeit war und wie ihre Bilanz zu bewerten ist. Das
Urteil fällt nicht günstig aus."
(Jan Ross im Merkur Nr.7/2002,
S.555-565) |
Die
Sehnsucht nach großen Erzählungen oder das "Ende von ..."
Was haben die Debatten um das "Ende der Bonner
Republik", das "Ende der New Economy", das
"Ende der Spassgesellschaft", das "Ende der Popliteratur" und das "Ende
des Popjournalismus" gemein? Sie alle nehmen historische Ereignisse oder
Ereignisverkettungen zum Anlass, um eine Stunde Null
auszurufen. Von da an soll alles besser werden, oder doch
zumindest anders. Die Stunde Null-Metapher soll jedoch meist nur
darüber hinwegtäuschen, dass sich die Interessenlagen der
Akteure gar nicht verändert haben, sondern die Akteure nutzen
nur die Gunst der Stunde, um alten Parolen ein Lifting zu verpassen. Die Themen werden transformiert, bleiben
jedoch dabei erstaunlich resistent. Die großen Erzählungen
sollen die Kontinuität der Entwicklungen verdecken bzw. die Interessenkonflikte werden durch die
Verwendung gemeinsamer Schlagworte verwischt oder sogar
umgedeutet.
Die Rede vom Generationenkonflikt und seine
Bedeutung
Der Generationenbegriff ist seit Ende der Achtziger
Jahre zu einem der meist verwendeten Begriffe geworden, um über
Interessengegensätze zu reden bzw. schreiben
.
Generationenkonflikte und Individualisierung als zwei Seiten
einer Medaille
Der Generationenbegriff korrespondiert dabei mit dem Individualisierungsbegriff, denn beide
Begriffe verkörpern das Ideal der klassenlosen
Gesellschaft, in der die Interessen der Neuen Mitte
identisch gedacht werden können mit den Interessen aller
Gesellschaftsmitglieder. Die zögerliche Mehrheit kann dann zu
ihrem Glück gezwungen werden.
Die
Konsensrepublik als Eliteninszenierung
Ein Beispiel für den Elitenkonsens ist der
abwertende Begriff Konsensrepublik, den ein Teil der Elite
benutzt, um die Interessen der Neuen Mitte nachdrücklicher in
Szene setzen zu können. Es geht darum, dass ihnen die bereits in
Gang gesetzten Entwicklungen nicht schnell genug gehen. Ihr
Anliegen ist jedoch innerhalb der Eliten keine
Minderheitenposition, sondern Konsens! Man streitet sich
höchstens über den besten Weg.
Der Konsens-Staat
"Es ist absehbar,
dass die
deutsche Wählerschaft, das heißt eine Gesellschaft der unteren
Mittelschicht, den sozialpolitisch notwendigen Innovationen
negativ gegenübersteht, denn dabei ginge es um ihre
Besitzstände. Die Situation bedürfte also einer mutigen
politischen Führung, die - sei es aus linksintellektueller
Einsicht oder aus konservativem Instinkt - trotzdem Mittel und
Wege findet, das Notwendige gegen die veränderungsunschlüssige
Mehrheit durchzusetzen. Das kann nur eine Exekutive, die keine
Rücksichten auf provinzielle Verzögerungen zu nehmen hat und
auch selbst nicht den Einflüsterungen des Konsensmilieus
unterliegt."
(Karl-Heinz Bohrer im
Merkur Nr.7/2002, S.623-628) |
Die
Generationeneinheit als Träger von Interessen
Die Rede von der Generation Golf verschweigt
die Tatsache, dass es sich dabei nur um eine
Generationeneinheit handelt. Dieser Begriff geht auf den
Soziologen Karl MANNHEIM zurück und wurde unlängst von Michael
CORSTEN neu ins Gespräch gebracht:
Biographie,
Lebensverlauf und das "Problem der Generationen"
"Als Generationeneinheiten betrachte
ich die(...) kollektive Strömungen unter den ungefähr zur
gleichen Zeit geborenen, die sich als durchaus individuell
besonderes und voneinander abgrenzendes aktives Eingreifen in
Bezug auf den reflexiv gewordenen Problemhorizont interpretieren
lassen."
(Michael Corsten in BIOS Nr.2/2001,
S.32-59) |
Mit dem Begriff Generationeneinheit lassen sich die
gegensätzlichen Interessen innerhalb von Altersgruppen fassen,
die in der Debatte bisher unterbelichtet geblieben sind. Zur
Differenzierung könnten dann Kontroversen wie
Modernisierungsgewinner contra -verlierer, Männer contra Frauen,
Familien contra Singles, politisch Engagierte contra
Unpolitische, "Wessies" contra "Ossies"
usw. herangezogen werden.
Die
Generation Golf als Modernisierungsgewinner
Die Generation Golf kann man als
Modernisierungsgewinner der 1965 - 1975 Geborenen
bezeichnen, wobei diesem Begriff etwas Statisches anhaftet und
er nur den Stand der Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt
wiedergeben kann.
Sommerhaus, jetzt
"Wir machten
Karriere. Natürlich nicht wir alle. Das ist immer das Problem,
wenn man über eine Generation schreibt. Man sagt wir und meint
damit nur einen Teil. Die Erfolgreichen, die, die auffallen. Das
war schon immer das Prinzip. Auch bei den 68ern. Was bleibt, ist
ein Sammelbegriff, provoziert durch wenige, geltend für alle."
(Jochen-Martin Gutsch in der Berliner
Zeitung vom 31.08.2002)
Selbst
Glückskinder können arbeitslos werden
"Ist die »Generation Golf«
also von der Überholspur im Graben gelandet? Ist sie dauerhaft
benachteiligt gegenüber Großeltern und Eltern? Das wird sich
erst beurteilen lassen, wenn die Jungen längst mit ihrer
»Riester-Rente« zurechtkommen müssen."
(Hugo Müller-Vogg in der Welt am Sonntag
vom 25.08.2002)
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Die
Generation Ally und die Geschlechterfrage
Katja KULLMANN hat mit dem Begriff Generation
Ally die Geschlechterfrage in die Generationendebatte um die
1965 - 1975 Geborenen eingebracht. KULLMANN beschreibt in ihrem Bestseller den
neoliberalen Ich-Feminismus dieser Frauenelite, der erst mit
der Kinderfrage an seine sichtbaren Grenzen zu kommen scheint.
Generation Ally
"Warum
es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein.
Sie sind erfolgreich im Job, kennen sich aus in Sachen Karriere,
Lifestyle und Sex. Und Ally McBeal, die neurotische Anwältin aus
der gleichnamigen Kult-Fernsehserie, ist ihre Heldin. Denn sie
trifft genau das Lebensgefühl der Frauen um die 30.
Die Generation Ally weiß vor allem, was sie nicht will:
weder Karrieremonster sein, noch eine Backpflaumenexistenz, und
schon gar kein Boxenluder. Sie will raus aus der
Entweder-Oder-Falle, sich nicht entscheiden müssen zwischen Kind
und Karriere, Kopf und Körper, und wartet deshalb in vielen
Fragen erst einmal ab - manchmal zu lange.
Doch wie kann sie aussehen, die souveräne, unangestrengte
Weiblichkeit? Katja Kullmann zeigt, warum die Rollenbilder in
unserer Gesellschaft an ihre Grenzen stoßen - und wie eine ganze
Frauengeneration ein neues Selbstverständnis entwickelt.
Was Generation Golf für die Männer war, ist Generation
Ally für die Frauen, die in den Achtzigern großwurden."
(aus: Klappentext 2002)
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Ein generationeninterner Konflikt ist daraus
bislang nicht entstanden. Generation Golf und Generation Ally
haben sich vielmehr verbündet
. Das hohe Einkommen
ermöglichte bisher den Luxus der Inanspruchnahme der
Dienstleistungsgesellschaft, um die private Konflikte zu
befrieden. Putzfrauen, Babysitter und andere Dienstboten
ermöglichten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder
die Rolle der Frau an seiner Seite wird freiwillig eingenommen,
weil sie in bestimmten Kreisen hohes Prestige genießt.
Familienpolitische Leistungen werden dennoch gerne mitgenommen. Inwiefern die derzeitige Jobkrise diesen
historischen Geschlechterkompromiss beeinträchtigt, das muss abgewartet werden.
Die Gebärstreik-These ist bisher eher das Projekt des
1970er-Jahre-Feminismus einer Alice SCHWARZER oder das Argument
von Sozialpopulisten mit unterschiedlichen Interessen, die sich
jedoch durchaus mit den Interessen der Besserverdienenden der
Generation Golf treffen. Diese Generation konnte sich bisher
zurücklehnen und andere für sich kämpfen lassen, denn die Zeit
arbeitete für sie. Der Kampf um die Ausweitung des
Niedriglohnsektors spielt für die
Aufrechterhaltung des erreichten Geschlechterkompromisses eine
zentrale Rolle. Nicht nur Unternehmen, sondern vor allem die
Haushalte der Besserverdienenden haben ein substanzielles
Interessen an billigen, aber qualifizierten Dienstleistern (vgl.
Simone ODIERNA
"Die
heimliche Rückkehr der Dienstmädchen", 2000; Barbara
EHRENREICH "Arbeit poor", 2001 oder Gøsta ESPING-ANDERSEN
"Why we need a New Welfare State", 2002)
Die
Generation Golf und die Politik
Die Generation Golf wird
als unpolitisch beschrieben. Vorbild hierfür ist die
skeptische Generation (Helmut SCHELSKY) der Nachkriegszeit.
Die Selbstbeschreibungen von ILLIES und KULLMANN bestätigen
dieses Bild.
Der politische Teil der
Altersgruppe firmiert dagegen unter Begriffen wie Generation
Berlin oder 89er. Diese Etiketten sind jedoch nicht
von den Kohortenangehörigen selbst geprägt worden, sondern sie
sind das Projekt der 78er- bzw. Single-Generation.
Der Politikwissenschaftler Claus LEGGEWIE und der Soziologe Heinz BUDE
versuchen damit ihren "Ende-von-Erzählungen" Authentizität
zu verleihen. Die Anzahl derjenigen, die sich mit diesem Label
identifizieren, ist bisher eher gering
. Die Angehörigen der
Generation Golf befinden sich - wie Susanne LEINEMANN - noch in der Warteschleife. Dort warten sie auf das alles
entscheidende politisierende Ereignis. Mauerfall und 11.
September konnten dies nicht leisten. Wahrscheinlich warten sie
jedoch nur auf den alle entlastenden Führer, der sie zu neuen
Ufern führt.
Aufgewacht. Mauer weg
"Wer
hat 1989 in Leipzig demonstriert? Wer hat auf der Mauer getanzt?
Schon vergessen? Eine, die dabei war, erinnert sich und erzählt
Geschichten, die den Blick auf die Verwirrung öffnen, in die der
Mauerfall die Deutschen gestürzt hat.
9. November 1989: Die Mauer ist weg, und keiner findet den
richtigen Ton. Er hätte ja nach »Nation« klingen können. Da
trafen sich die Deutschen aus Ost und West und meinten,
voneinander alles schon zu wissen. Schade, denn sie wußten so
wenig - von der Lust auf Neues im Westen nach den Jahren des
Stillstandes; von Lust auf Leben im Osten nach den Jahren der
Lähmung. Wer in den 80ern als junger Mensch Freunde in der DDR
besuchte, fuhr hinter den Mond. Und mußte sich fast dafür
schämen, so erinnert sich Susanne Leinemann. Und dann - 1989 -
war plötzlich alles anders, alles möglich. Man wurde aufgeweckt,
feierte unschuldig, verlegen - und sie gelang nicht recht, die
Einheit, auch nach über zehn Jahren nicht. Warum nicht? Unter
dem Schutt ideologischer Vor- und Nachhutgefechte der 80er und
90er Jahre findet Susanne Leinemann einen Teil unserer
Geschichte, dem keine Chance gegeben wurde: Dem Glück der
Deutschen in ihrer neuen Nation. Sie schreibt ein Buch, das die
deutsche Einheit denen zurückgibt, die sie möglich gemacht
haben."
(aus: Klappentext 2002)
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Die
Generation Golf und der Osten
Die Generation Golf
ist ein Phänomen der alten Bundesländer, wenn man sie aus der
Perspektive der Ostdeutschen betrachtet:
Counterstrike oder Klassenkampf
"die Generation Golf ist
natürlich eine westdeutsche Generation, sie ist ein
Mittelstandsphänomen der späten Alt-Bundesrepublik. Im vereinten
Deutschland sind die Generationserfahrungen in allen
Altersgruppen verschieden; wie sehr, wird deutlich, wenn man
bedenkt, dass die 68er es Westens in der DDR gleichsam die 49er
waren, die Gründer-Jugend der frühen Republik (soweit sie nach
links tendierte), also die um 1928 Geborenen"
[mehr]
(Friedrich Dieckmann in Freitag vom
14.06.2002)
"Und sie sahen die
Gleichaltrigen im Westen, die etwas überhebliche Generation
Golf, die ihre Gesellschaftsform als die einzig mögliche ansah,
weil sie darin groß geworden war und es für absolut
unvorstellbar hielt, dass ihr unfehlbares System einmal
untergehen würde."
(Jana Simon zitiert von Jörn Kabisch im
Tagesspiegel vom 12.07.2002)
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Möglicherweise ist die
Generation Golf in den 1990ern Jahren sogar der wahre
Vereinigungsgewinner gewesen. Auf alle Fälle versucht die
westdeutsche Perspektive die Ostdeutschen einzugemeinden:
Portrait
einer ratlosen Generation
"Der Mauerfall ließ uns
wochenlang feiern. Denn was mit dem 9. November 1989 passierte,
war unsere Vision oder zumindest die Ausdehnung des Zustandes,
den wir für lebenswert hielten: Dass die Welt noch zugänglicher,
vernetzter, schneller, globaler, offener, gleicher werde. Dafür
waren die ostdeutschen Jugendlichen abgehauen und hatten auf den
Straßen demonstriert. Sie wollten die Öffnung. Wir im
Westen, die erste Interrail-Generation, lebten
selbstverständlich die Öffnung.
Fast unfreiwillig trugen und tragen wir als Generation lebendige
gesamtdeutsche Züge. Wir haben ähnliche Vorstellungen von
Konsum, Bewegung, Spaß, Zukunft."
(Susanne Leinemann in der Welt vom
16.08.2002)
Sommerhaus, jetzt
"Wenn man aus dem Osten
kommt, gehörte man vielleicht zur »Generation Lada«. Aber das
macht die Sache nicht anders. Wir sind uns in einer, der
entscheidenden, Sache sehr ähnlich. Wir haben keine Krisen
erlebt. Wir sind in einer Zeit groß geworden, in der alles für
uns lief. Das war im Osten nicht anders. Unsere Kindheit war
behütet, abgesichert, und wenn es ein wirkliches Problem gab,
war es die Frage nach dem neuen Depeche-Mode-Album. Dann fiel
die Mauer und es boten sich Chancen wie keiner Generation zuvor.
Wir griffen zu und staunten, was alles möglich ist."
(Jochen-Martin Gutsch in der Berliner
Zeitung vom 31.08.2002)
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Die
Generation Golf, Hartz und die Kinderfrage
Die Hartz-Kommission hat
die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln bei der Ablehnung
von Arbeitsangeboten für Singles gefordert. Widerstand hat
sich dagegen kaum geregt (z.B. DANKE & SCHOON
), dagegen
gab es fragwürdige Empfehlungen wie "Arbeitslose, heiratet!":
Schröder, Hartz und die Realität
"Geblieben ist der
Vorschlag, dass beispielsweise der 'junge Arbeitssuchende ohne
Familie' aus Hamburg eine Stelle im Hunsrück annehmen muss -
Menschen ohne Familie haben offenkundig keine Bindungen. Wohlan,
Arbeitslose, heiratet!"
(Detlef HENSCHE in der Augustausgabe der
Blätter für deutsche und internationale Politik 2002)
|
Angesichts der Ausweglosigkeit der Lage
von Singles könnte man auch aus der Not eine Tugend machen:
Die
tollen Tipps der Mittelstandseltern
"Wenn sie sich als
Personal-Service-Agentur selbstständig machten und erstens
Leuten den entscheidenden Rat geben, wie man sich seinen Job
erhält, und zweites das demografische Problem mit der
Rentenzahler-Produktion lösten? Könnte man damit nicht Geld
verdienen?"
(Ulrike Winkelmann in der TAZ vom 26.08.2002)
|
Gelegentlich wurde das
traditionelle Familienverständnis bzw. die
Frauenfeindlichkeit (siehe KURZ-SCHERF in der taz vom
23.08.2002
)
des Vorschlags kritisiert, aber die Entrüstung hielt sich auch
hier in Grenzen:
Schröder, Hartz und die Realität
"Gleich mehrfach erfreuen
sich Familienväter der besonderen Fürsorge der Kommission, etwa
als Kunden mit Vorrang bei der Quick-Vermittlung. Dass Frauen,
ob verheiratet oder ledig, ob Mutter oder nicht, ein gleiches
Recht auf Arbeit haben, kommt der Kommission nicht in ihren
patriarchalischen Sinn."
(Detlef HENSCHE in der Augustausgabe der Blätter für deutsche
und internationale Politik 2002)
|
Die Parteien sind sich
einig: die jungen Familien der Generation Golf müssen
gefördert werden. Besonders rege sind hier die grünen
Kinderpolitiker der Generation Golf. Handstreichartig
und mit dem Segen der alternden 68er-Patriarchen haben sie das
Image der Grünen upgedatet. Die Normalisierungsbemühungen der
Grünen gehen so weit, dass selbst die familienpolitische
Sprecherin der CDU, Katherina REICHE als Radikale erscheint. Die identitätspolitischen
Strategien der Kulturlinke wurden damit erfolgreich auf die
Kontroverse Familien contra Singles übertragen
.
Die
Generation Golf und die Jobkrise
Die Jobkrise trifft jene
besonders hart, die sich im Zuge der Expansion der Privatmedien
und der New Economy nicht etablieren konnten und jetzt nicht
einmal mit 30 Jahren eine Familie vorweisen können. So
will es jedenfalls die neueste Version der verlorenen
Generation. Während der Hochzeit der New
Economy galten Singles als flexibel und erfolgreich. Man prägte
dafür eigens den Begriff
"Yettie". Familienväter blickten
neidisch auf die Emporkömmlinge und die Altreichen (inklusive
verarmter Adel) prangerten die Stillosigkeit dieser
Neureichen an. So will es jedenfalls die Legende wissen. Empirisch
überprüft hat das bislang keiner. Ältere Studien verweisen
jedoch darauf, dass Singles keinesfalls das Einkommen und den
Lebensstandard von Familienvätern erreichen. So schreibt z.B.
Angelika TÖLKE in der Zeitschrift für Frauenforschung:
Berufskarrieren von
Frauen und Männern - Der Einfluß von Herkunft, Bildung und
Lebensform
"Der Verlauf
von Berufskarrieren wurde bislang hauptsächlich für Männer
untersucht, wobei deren partnerschaftliche und familiale
Lebensformen keinen Eingang in die theoretischen und empirischen
Analysen gefunden haben. (...). Obwohl vereinzelte Ergebnisse
aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einen Zusammenhang
zwischen Lebensform und beruflichem Erfolg vermuten lassen, z.B.
gehören ledige Männer zu geringeren Anteilen zu den besser
Verdienenden als Verheiratete (Engelbrech 1991; Schömann/Hannan/Blossfeld
1991; Statistisches Jahrbuch 1993), wurde dieser Aspekt bislang
in dieser Forschungstradition nicht aufgegriffen."
[mehr]
(aus: Zeitschrift für Frauenforschung, Heft 4, 1996) |
Jetzt dürfen Familienväter -
nicht ohne Schadenfreude - aufatmen. Die "Ende-von-Erzählungen"
geben ihnen Recht: Familie währt am längsten. Die
Kommentatoren nutzen dagegen die Gelegenheit, um den Sozialstaat
zu attackieren:
Alles, was
zählt
"Nun
hat die Wirtschaftskrise auch das
Nervenzentrum der Gesellschaft erreicht,
die etablierte Mittelschicht: Ehrwürdige
Unternehmen (...) entlassen (...)
Mitarbeiter (...).
Besonders hart trifft es die
Berufsanfänger, die - deutscher
Betriebsratslogik entsprechend - am
einfachsten zu kündigen sind. Viele von
ihnen gelten als solche, die 'alles
richtig gemacht' haben (...)
Menschlich wiegt ihr Schicksal nicht
schwerer als das eines entlassenen
Bauarbeiters bei Holzmann (...). Politisch aber bedeutet
der Betrug an den nachwachsenden Eliten
eine neue Dimension.
Wenn denjenigen, die dafür erzogen
wurden, Verantwortung in diesem Land zu
übernehmen, die Perspektive geraubt
wird, ist mehr als der 'soziale Frieden'
in Gefahr. Dann droht das Fundament des
Gemeinwesens zu bröckeln: der Bestand an
gemeinsamen Werten, der sich über alle
Generationswechsel hinweg erhalten hat -
allen voran das Vertrauen in die
Qualität des politisch-wirtschaftlichen
Systems."
(Jochen Buchsteiner in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 14.07.2002)
Die abservierte Elite
"Daß die Krise ausgerechnet sie erfassen
könnte, stand nicht in ihrem
Karriereplan. Menschen, für die es immer
nur aufwärtsgehen sollte, stellen fest,
daß es für ihren Traumjob keine
Planstelle mehr gibt. Oder - was
erheblich deprimierender ist - sie
verlieren den Traumjob, weil man es in Deutschland für
sozialverträglich hält, in Krisenzeiten die jüngsten Mitarbeiter
zuerst zu entlassen. 'An Ihrer Leistung lag es nicht', ruft man
ihnen noch nach. An 'Betriebszugehörigkeit' fehlte es. Ein Land,
das in jüngster Zeit wirtschaftlich nicht geglänzt hat, schickt
branchenübergreifend seine meistversprechenden Kräfte in die
Warteschleife und wurschtelt mit denen weiter, die den Karren
vor die Wand gefahren haben."
[mehr]
(Sascha Lehnartz in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung vom 21.07.2002)
Selbst
Glückskinder können arbeitslos werden
"Wenn ein Unternehmen
Personal abbaut, kann es sich bei dieser Gelegenheit keineswegs
von Leistungsschwachen und Leistungsunwilligen trennen. Der
gesetzlich vorgeschriebene Zwang zur »Sozialauswahl« führt dazu,
dass jene zuerst gehen müssen, die dem Unternehmen am kürzesten
angehören, nicht verheiratet sind und keine Kinder haben. Anders
ausgedrückt: Ein Kind kann durchaus den mangelnden
Arbeitseinsatz des Vaters oder der Mutter kompensieren -
kündigungsrechtlich jedenfalls."
(Hugo Müller-Vogg in der Welt am Sonntag vom 25.08.2002)
|
Der Spiegel
arbeitet das bereits in anderen Zeitungen Geschriebene am 12.
August nochmals für die ausufernde
Sommerloch-Titelgeschichte Jung, erfolgreich, entlassen
(12.08.2002) auf.
Selbstkritik fast Fehlanzeige!
Generation Netto
"Prognosen haben in
anzeigenschwachen Zeiten Hochkonjunktur und so hat das
öffentliche Sorgenmachen um die unglücklichen Arbeitslosen der
Zeitungskrise sich in den vergangenen Wochen zu einem
florierenden Genre gemausert. Dass die Entlassung von ein paar
hundert Journalisten dabei zum generationellen Debakel
aufgeblasen wird, war erwartbar. Journalisten schreiben am
liebsten über Journalisten, und wenn man sich schon immer selbst
als Maßstab aller Dinge genügte, dann muss die Lage der Nation
geradezu zwangsläufig vom eigenen Schicksal abhängen."
(Bodo Mrozek in der taz vom
30.07.2002)
|
Die
Generation Golf und ihre Position im Generationenkonflikt
Die Generation Golf hat sich bereits in den
1980er
Jahren in Abgrenzung zur
68er- bzw. 78er-Generation positioniert und wurde dabei auch
von Mitgliedern anderer Generationen eifrig unterstützt, die
sich ihrerseits gegen jene Generationen abgrenzten
. Die Jobkrise hat den Frontverlauf nicht
grundsätzlich verändert, sondern war nur ein weiterer
willkommener Anlass, um das Grundthema den neuen Gegebenheiten
anzupassen. Es hat höchstens eine Ausweitung der
Kampfzone stattgefunden, denn nicht mehr nur die 68er-
und 78er-Generation, sondern auch die
Flakhelfer-Generation wird nun verstärkt angegriffen.
Amelie von HEYDEBRECK hat dafür den Begriff
"Bellheim-Syndrom" verwendet:
Die
Entmachtung der Jugend
"Der Film dieses Sommers
ist bald zehn Jahre alt. Er heißt »Der große Bellheim«. Es ist
die Geschichte des Peter Bellheim (alias Mario Adorf), den die
Hiobsbotschaften über die wirtschaftliche Lage seiner
Kaufhauskette dazu ermuntern, der Langeweile seines
Pensionärsdaseins zu entfliehen, um mit alten Weggefährten sein
altes Bellheim-Imperium zu retten. Eine charmante Utopie hat man
Dieter Wedels ZDF-Mehrteiler Anfang 1993 genannt; man hat sie
generös als »lehrreich« gelobt, sich aber doch vor allem deshalb
so amüsiert, weil eine Rache der Rentner so realitätsfern
erschien.
Jetzt hat das leben den Film überholt, und da das selten genug
vorkommt und da trotz New-Economy-Pleite niemand ernsthaft an
der Kraft der Jugend zweifeln mochte, war der Aufschrei um so
lauter. »Jetzt macht's ein Rentner!« polemisierte die »Bild«-Zeitung,
als die Ablösung von Telekom-Chef Ron Sommer durch den
72jährigen Helmut Sihler bekannt wurde."
(Amelie von Heydebreck in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung vom 04.08.2002)
|
HEYDEBRECK führt die
Hardliner der Generationenkriegs-These von Reimer GRONEMEYER
über Jörg TREMMEL bis zu Rupprecht PODSZUN ("Die verkalkte
Republik") auf, um die gegenwärtigen "Entmachtung der Jugend"
durch die Alten in eine Horrorvision der Zukunft umzudeuten. Die
Generation Golf sieht denn auch die Schuld für ihre
prekäre Lage nicht bei sich selbst, sondern bei ihren
Vorgängern:
Die abservierte Elite
"Ein
Land, das in jüngster Zeit wirtschaftlich nicht geglänzt hat,
schickt branchenübergreifend seine meistversprechenden Kräfte in
die Warteschleife und wurschtelt mit denen weiter, die den
Karren vor die Wand gefahren haben."
[mehr]
(Sascha Lehnartz in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung vom 21.07.2002)
|
Dagegen sehen andere Kommentatoren die
mangelhafte Vorbereitung auf die voraussehbare Krise als Problem
der Generation Golf:
Generation Golf ohne
Navigation
"Die Hoffnungsträger der
New Economy, die Medienmacher, Werber, IT-Experten, die auf der
Basis des Scheitern ihrer Vorgänger selbstverständlich alles
besser machen wollten, sie sitzen fürs Erste desillusioniert in
ihren Arne-Jakobsen-Sesseln und müssen erkennen, dass sie ihr
Prada-Kostüm dafür nicht gewappnet hat. Und der anstehende
Konsumverzicht kann noch nicht mal als rebellisch überhöht
werden. Der Irrlauf
der 68er in eine
bessere Zukunft endete wenigstens noch in
den Instanzen mit BAT-Gehalt und einer
Partei, die vier Jahre für
regierungsfähig gehalten worden sei. Die 78er hatten
immerhin noch Recht mit ihrer Prognose,
dass von ihnen ohnehin nichts zu erwarten
ist. Die neue Generation aber trifft die mangelhafte
Flexibilität eines Überziehungskredits und die Erkenntnis ihrer
allgemeinen Orientierungslosigkeit eher unvorbereitet"
(Markus
Clauer in der Rheinpfalz vom 25.07.2002)
|
Bei manchem Angehörigen der
Generation Golf regt sich Trotz:
Die Rentner sind sicher
"die Generation der Zukunft, hat (..)
keinen Grund, den Frustpegel weiter steigen zu lassen.
Die
Warteschleife ist nur etwas ausgedehnter
als vor zehn Jahren die der
hyperflexiblen Vorgängergeneration,
deren Mitglieder mangels cash flow
demnächst ihre Strandbungalows räumen
müssen. Weg mit euch! (...).
Wenn etwas später auch die Alten das
Feld räumen, dann bekommt keinesfalls
die diskreditierte Generation Zwei ihre
zweite Chance. (...).
Abgeschreckt vom lautstarken Scheitern
der Spaßgeneration und einem Kanzler der
leeren Worte wissen die Jungen, was Werte
sind. (...). Wir Jungen können warten,
die aufgezwungene quarterlife crisis mit
Gewinn durchleben und uns in aller Ruhe
auf den leisen Umsturz vorbereiten."
(Robert Jacobi in der Süddeutschen
Zeitung vom 07.08.2002)
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Tobias RÜTHER ("Von der Bühne
gefallen, aber mitten im Parkett gelandet", SZ
27.08.2002)
bringt den Vorteil des Generationenbegriffs auf den Punkt: "der
Begriff der Generation ist (..) deshalb so beliebt, weil es das
Schicksal von Generationen ist, abtreten zu müssen".
Generationenkrieg? Nein, danke! Die
Relativierung der Lebensalter als Herausforderung
Cora STEPHAN
aus der Generation
Pflasterstrand
greift das
Bellheim-Motiv von HEYDEBRECK auf, um der Generation Golf
den Fehde-Handschuh hinzuwerfen:
Die Bellheims kommen!
"Fürchtet die Ab-50-Jährigen.
Fürchtet - uns.
Wir sind mit
allen Wassern gewaschen und von der Härte des Lebens gestählt.
Wir haben die Krise des jungen Talents schon mehrfach
überstanden. In den siebziger Jahren, zweite Hälfte, fuhr nicht
nur der heutige Außenminister Taxi, auch ungleich
qualifiziertere Jungakademiker verdienten sich ihr Geld als
Putzhilfe. Von der Akademikerschwemme ging es dann relativ
reibungslos gleich weiter in die nächste Rezession und bald
darauf zügig auf die 40 zu, auf jenes magische Lebensalter, ab
dem man bekanntlich schwer vermittelbar wird und als Frau noch
nicht einmal mehr auf einen gut verdienenden Ehemann hoffen
sollte. Heute haben wir nur noch ein paar Jahre, bis wir für den
Seniorenausweis qualifiziert sind, aber dafür jede Menge
Lebenserfahrung und jene Gnadenlosigkeit, die unter der
Konkurrenz der vielen fast zwangsläufig mit abfällt.
Unsere Vorteile sind unbezahlbar: Das mit der Ich-AG haben wir
von der Pieke auf gelernt"
(Cora Stephan in der Welt vom 20.08.2002)
|
Danach demontiert STEPHAN
jedoch die Bilder von der vergreisenden Gesellschaft und des
Generationenkonflikts und prophezeit mit versöhnlicherem
Ton:
Die Bellheims kommen!
"Uns, den demographischen
Schrecken, die mächtige Kohorte der Menschen jenseits der 50,
wird man nicht mehr in die Frühpensionierung schicken können, im
Gegenteil: Auch mit 65 werden wir noch mitmengen. Es wird uns
kaum was anderes übrig bleiben.
Die Generationen müssen sich also erneut auf eine lange Zeit der
Kooperation einrichten. Liebe jüngere Generation: Gewöhnt euch
daran. Und tröstet euch: Auch Bellheim war mal 25."
(Cora Stephan in der Welt vom 20.08.2002)
|
Ein Fazit:
Ist die
Generation Golf eine verlorene Generation?
Cora STEPHAN gehört zur
Single-Generation
, die bereits Mitte der
1970er Jahre von
der ersten Jugendarbeitslosigkeit und später von der ersten
Akademikerarbeitslosigkeit der Nachkriegsgeschichte betroffen
war. Diese verlorene Generation
hat die Nutzlosigkeit des Erwachsenwerdens (Georg HEINZEN &
Uwe KOCH, 1985) in jener Zeit erfahren, die für die
Generation Golf eine "goldene Kindheit" bedeutete.
Von der Nutzlosigkeit
erwachsen zu werden
"Zwischen den
Apo-Opas und der »No-future«-Generation stehen die heute
30jährigen. Es sind diejenigen, die voller Pläne und Bildung -
es einmal besser haben sollten, aber am Ende feststellen müssen,
daß die Gesellschaft gerade für Pläne und Bildung am wenigsten
Verwendung zu haben scheint. Mathias ist einer von ihnen. Er
erzählt seine Geschichte - und damit die Geschichte seiner
Generation."
(aus: Klappentext 1985) |
Drastischer lässt sich die
generationenspezifische Perspektivität kaum
veranschaulichen. Wenn heutzutage das damalige Problem
verharmlost wird (z.B. Spiegel vom 12.08.2002) und man
behauptet, dass es heute anders ist, dann ist dies nicht
stimmig. Damals wurden die Lebenspläne
genauso verhindert wie heutzutage. Aus der Distanz betrachtet,
teilweise sogar noch gravierender. Inwieweit die Lebenspläne der
Generation Golf nur kurzfristig aufgeschoben, aber
nicht aufgehoben sind, das muss sich erst zeigen. Bislang ist jedenfalls nicht
ausgemacht, dass die Generation Golf eine verlorene
Generation ist. Die Aufmerksamkeit, die dem Phänomen gewidmet
wird, zeugt davon, dass diese Generation eine starke Lobby in
der Mitte hat. Davon wagten frühere Generationen kaum zu
träumen.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
Die
Single-Debatte ist längst in eine Sackgasse geraten. Dies
wird in diesem Buch u.a. der Individualisierungsthese des
Münchner Soziologen Ulrich Beck angelastet.
Das Buch
sollte als Beitrag zur Versachlichung der Debatte
verstanden werden und liefert deshalb Argumente für eine
neue Sichtweise auf das Single-Dasein im Zeitalter der
Demografiepolitik. |
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