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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Mecklenburg-Vorpommern im demografischen Wandel

 
       
   

Was ist geblieben von der demografischen Hysterie Anfang des Jahrtausends und was verlief ganz anders? (Teil 3)

 
       
     
   
     
 

Kommentierte Bibliografie (Teil 3: 2017 )

2017

HOFFMANN, Catherine  & Benedikt MÜLLER (2017): Ganz schön was los hier.
Der Immobilienboom macht längst nicht mehr an den Grenzen der Metropolen halt. Inzwischen sind manche Mittelstädte sogar noch teurer,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 17.06.

NICOLAS, Timo (2017): Die Schönheit von Gallin.
Mecklenburg-Vorpommern: Wie regiert man ein Dorf, wenn man nicht mal Geld für Sprit hat? Ein Besuch beim ärmsten Bürgermeister Deutschlands,
in:
TAZ v. 08.07.

"Holger Klukas (...) ist der Chef von Gallin-Kuppentin: 5 Dörfer, 472 Einwohner. Er ist der vielleicht ärmste Bürgermeister Deutschlands.
Die Gemeinde Gallin-Kuppentin liegt zwischen den Dörfern Rom, Goldberg und Benzin an der Mecklenburgischen Seenplatte. (...).
Als Klukas 2006 zum Bürgermeister gewählt wird, ist der Kindergarten schon geschlossen und die Schule wird bald folgen (...).
Die Tragik steckt im Detail. Der Zugfan, der extra neben den Bahnhof zog, dessen Gleise jetzt stillgelegt sind. Die letzte Kneipe, die gerade schließen musste. Die staatlichen Gutshäuser, einst Mittelpunkt des Dorflebens, die heute Bayern oder Berlinern gehören. Die freiwillige Feuerwehr, die 26 Mitglieder hat, von denen aber nur zehn fit für den Einsatz sind. Wenn überhaupt. Dass die Jungen wegziehen, weil es weder Arbeit gibt noch guten Handyempfang. Und dass die Alten nicht mehr rauskommen, weil der Bus nur zweimal am Tag fährt. (...).
Wenn sich daran nicht bald etwas ändert, stirbt Gallin-Kuppentin. Wird eine tote Gemeinde, in der Bayern und Berliner ihre Ferienhäuser haben",

berichtet Timo NICOLAS aus der Gemeinde Mecklenburg-Vorpommern. Im Mittelpunkt steht der parteilose Bürgermeister, der von Hartz IV leben muss und dessen Aufwandsentschädigung sich aufgrund der politischen Vorgaben, die an die Demografie eines Ortes und die Knechtschaft der Hartz-Gesellschaft gekoppelt sind, verringert hat:

"Als seine Gemeinde auf unter 500 Einwohner schrumpft, sinkt auch seine Aufwandsentschädigung. Nur noch 350 Euro. (...). 2010 bekommt er ein Schreiben aus Schwerin. Der Ehrenamtssold von Bürgermeistern soll auf den Hartz-IV-Satz angerechnet werden. Es blieben ihm dann nur noch 200 Euro."

DORNER, Christoph (2017): Trotz und Vorurteil.
Geschichte: Vor 25 Jahren warfen Jugendliche in Rostock-Lichtenhagen Brandsätze in ein Wohnheim für Asylbewerber. Seitdem gilt der Ort vielen als Synonym der Schande. Was hat sich seither verändert, wie leben die Lichtenhäger heute? Der Autor hat sich drei Monate lang in einem der Hochhäuser des Viertels einquartiert,
in:
Geo, August

"Ich wollte verstehen, was damals passiert war, und warum Lichtenhagen seine bösen Geister nur schwer los wird.
Und ich wollte wissen: Kann das wieder passieren?
Also wohnte ich drei Monate in Lichtenhagen. Anfang Februar 2017 zog ich in einen Zweiraumwohnung in der Wolgaster Straße. (...).
In zwanzig Minuten war ich mit dem Fahrrad am Ostseestrand bei Warnemünde, mit der S-Bahn zügig in der Rostocker Innenstadt",

beschreibt Christoph DORNER sein Anliegen und die Lage. Über den Stadtteil erfährt der Leser wenig:

"In sämtlichen Statistiken der Hansestadt Rostock lag Lichtenhagen in der Gegenwart im Mittelfeld (...).
Etwa jeder Fünfte im Wahlkreis Rostock I, zu dem Lichtenhagen zählt, hatte bei der Landtagswahl 2016 AfD gewählt, wie der Durchschnitt Mecklenburg-Vorpommerns. Leer stehende Wohnungen gab es fast keine. Die Einkommen waren niedrig, doch die Arbeitslosigkeit sank und lag unter zehn Prozent.
Nur der Ausländeranteil, der hatte sich seit 1992 ungefähr versechsfacht. Auf 7,7 Prozent, mehr nicht, in Berlin sind es durchschnittlich 30 Prozent. Lichtenhagen war seit 1992 vor allem älter geworden. In die Eckläden auf dem Brink zogen Pflegedienste ein",

listet DORNER zum Stadtteil Lichtenhagen auf. Der Stadtteil wurde erst seit 1974 bezogen und war für 22.000 Menschen geplant. Dagegen wird die Bevölkerungsentwicklung von Lichtenhagen nicht erwähnt, obwohl das doch keineswegs unbedeutend ist, denn 1992 wohnten in Lichtenhagen noch rund 18.000 Einwohner, 2014 waren es dann gerade noch 14.000. Ein Schwund um über 20 Prozent. Und da soll es keinen Leerstand in Lichtenhagen geben? Die Statistik für den Stadtteil Lichtenhagen reicht nur bis zum Jahr 2015. Im Jahr 2013 gab es einen Höchststand. In den Jahren 2014 und 2015 lag die Bevölkerungszahl dagegen darunter.

Bei der Landtagswahl 2016 erreichte die AfD in Lichtenhagen 23,9 Prozent. Das lag über dem Landesdurchschnitt von 20,8 Prozent und über dem Durchschnitt von Rostock (16,8 Prozent). Im von DORNER genanten Wahlkreis Rostock I lag die AfD bei 21,4 %.

Fazit: Man hätte sich schon eine gewissenhaftere Recherchearbeit gewünscht. Dass dies nicht geschah liegt wohl daran, dass sich DORNER nicht für den Stadtteil und dessen Entwicklung interessiert, sondern nur die Ereignisse des Jahres 1992 zu rekapitulieren versucht, weshalb nur ein Wohnblock im Stadtteil den Mittelpunkt der Geschichte darstellt:

"Mit 359 Wohnungen in sieben Aufgängen und gut 700 Bewohnern ist das Sonnenblumenhaus ein Monolith",

schreibt DORNER zu dem 11stöckigen Plattenbau. Er lässt in erster Linie Zeitzeugen zu Wort kommen: Opfer, Helfer, Hausbewohner, Ausländerbeauftragter und ein Polist, der bei dem Einsatz dabei war.

PRZYBILLA, Steve (2017): Große Flut.
Mecklenburg-Vorpommern: Auf Rügen ging es bisher eher beschaulich zu. Jetzt haben neue Projekte und steigende Immobilienpreise eine hitzige Diskussion entfacht: Wie viel Neubau verträgt Deutschlands größte Insel?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 18.08.

Steve PRZYBILLA berichtet über ein umstrittenes Bauprojekt im verschlafenen 450-Seelen-Dorf Lohme auf der Insel Rügen:

Seit Ende der 1990er Jahre liegt die Fläche brach, nun möchte die Gemeinde ein Neubaugebiet mit Eigentumswohnungen, Ferienhäusern, Hotelanlage und privater Kurklinik errichten, genannt: »Medical Wellness«. Allein im Medical-Wellness-Hotel sollen 400 Betten entstehen. Welche Folgen ein solches Dorf im Dorf haben könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die einen sehen die Chance, das von Abwanderung geplagte Dorf zu retten. Die anderen befürchten das Gegenteil: die Zerstörung von allem, was Lohme ausmache."

Lohme, Foto: Bernd Kittlaus 2017

Auch in Prora, einem Stadtteil von Binz, soll aus dem "ehemaligen Graffiti-Schandfleck", das von den Nationalsozialisten als riesiges "Kraft durch Freude"-Ferienzentrum geplant war, ein "lebendiges Viertel" werden:

"Derzeit wird ein Block nach dem anderen saniert. Eine Jugendherberge, ein Seniorenwohnheim, ein Aparthotel sowie 400 Eigentums- und Ferienwohnungen befinden sich bereits in der Anlage (...). Der Investor Ulrich Busche ersteigerte zwei komplette Blöcke für 455.000 Euro - ein guter Deal, wenn man bedenkt, dass eine einzige Eigentumswohnung heute mehr kostet als der gesamte Block."

Prora, Foto: Bernd Kittlaus 2017

WEBER-KLÜVER, Katrin (2017): Ein Lehrstück aus der tiefsten Provinz.
Mecklenburg-Vorpommern: Zu DDR-Zeiten war Torgelow eine graue Kleinstadt in Vorpommern, nach der Wende suchten vor allem viele junge Menschen das Weite. Inzwischen gibt es erstmals Zuversicht. Wie kann das sein?
in: Cicero,
September

"Bis heute hat Torgelow mit dem Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen auch ein Drittel seiner Bevölkerung eingebüßt. Von 14.000 im Jahr 1989 ist die Zahl auf 9.500 Einwohner gesunken, ohne Eingemeindungen wären es noch weniger.
(...).
Der Nachwendeniedergang setzte sich fort (...) bis auch die Region Uecker-Randow in den bundesweiten Trend einfädelte, der seit 2005 rückläufige Arbeitslosenzahlen aufweist. In Torgelow ging die Zahl zwischen 2007 und 2016 kontinuierlich von 1.189 auf 677 Menschen zurück.
Im Sommer 2017 liegt die Arbeitslosenquote bei gut 10 Prozent, viel im Vergleich zum Bundesdurchschnitt, im Vergleich zu den trostlosen Jahren fast gefühlte Vollbeschäftigung. Doch die Jahrzehnte der Abwanderungen haben (...) zu »Verwerfungen« geführt, die die Stadt prägen. Es sind ja nicht die gegangen, die mutlos waren, in Torgelow gibt es nun offene Stellen, für die es an qualifizierten Kräften fehlt, und Ausbildungsplätze, die schwer vermittelbar sind",

beschreibt Katrin WEBER-KLÜVER die Lage in Torgelow, wobei sie die Perspektive dreier engagierter Bürger in den Mittelpunkt ihrer Reportage stellt: den Bürgermeister Ralf GOTTSCHALK (Bürgerbündnis), der das Amt seit der Wende geerbt hat, einen Unternehmer und die "gute Fee", die sich Dörpkieker nennt, der Volkssolidarität. In Torgelow und Vorpommern gelten die Polen als Chance:

"Vorpommern (soll) wieder (...) Teil des Speckgürtels von Stettin (werden). Die polnische Grenzstadt ist nur gut 50 Kilometer entfernt.
Die Region wächst bereits zusammen, allein schon weil Polen, auch wenn sie weiterhin in Stettin arbeiten, ins günstigere Vorpommern ziehen."

Neben den Polen setzt die Region auf die Heimatverbundenen und Großstädter, die sich hier noch den "Traum vom bezahlbaren Wochenendhäuschen" erfüllen können. Torgelow wird zu einer Art Dorf der Gallier stilisiert, wenn es heißt:

"Patrick Dahlemann (...) ist im September 2016 als Direktkandidat de SPD in den Schweriner Landtag eingezogen. Um seinen, den Torgelower Wahlkreis herum hat die AfD alles abgeräumt."

Die Niedriglohnstrategie der 1990er wird als Fehlentscheidung beschreiben, denn

"Lohndumping ist schlecht fürs Selbstwertgefühl und schlecht für die Kaufkraft. (...). Nach wie vor sind viele Jobs schlecht bezahlt, und die Kaufkraft in Torgelow gehört mit 75 Prozent des Bundesdurchschnitts zu den niedrigsten überhaupt."

Und nicht zuletzt wird die "Überalterung" angesprochen:

"(D)ie Indikatoren des Alterns (sind) nicht zu übersehen: die Dichte an Apotheken, die Büros karitativer Verbände, Sanitätsfachhandel in bester Lage. Pflegeeinrichtungen wie Pflegeberufe sind ein florierender Wirtschaftszweig."

SCHACK, Ramon (2017): "Wo liegt denn Lichtenhagen?"
Rostock, 25 Jahre später - Ein Stimmungsbild,
in:
Telepolis v. 24.08.

Öder Gedenktag-Journalismus beherrscht dieser Tage die Mainstreamzeitungen, wenn es um Rostock-Lichtenhagen geht. Nichts zeigt jedoch die fehlende Aufarbeitung mehr, als die selbstentlarvende Reportage von Ramon SCHACK. Lässt man die Ideologie beiseite, dann wird nur eines deutlich: ein Nebeneinanderher von zwei Parallelwelten, in der die unüberwindbare Spaltung dieser Republik sichtbar wird:

"Plattenbauten, bisweilen aufwendig saniert, neben Einfamilienhäusern. Eigentlich eine anständige Wohngegend, auf dem ersten Blick, vielleicht mit einem Touch zum Spießbürgerlichen, kommt es dem Besucher in den Sinn. Nach einem sozialen Brennpunkt schaut es auf jeden Fall hier nicht aus. (...). Heute scheinen die meisten Anwohner von Lichtenhagen im Rentenalter. Über die damaligen Ereignisse möchte man nicht mehr sprechen.
(...).
Die Kröpeliner-Tor-Vorstadt, kurz (KTV), scheint Lichtjahre von Lichtenhagen entfernt. Dabei sind beide Stadtteile nur wenige Kilometer voneinander gelegen. Wenn Lichtenhagen die Vergangenheit der Hansestadt repräsentiert, dann ist KTV die Zukunft.
Nirgendwo ist Rostock jünger, bunter, akademischer, als hier. Die Straßenbahn schlängelt sich durch die von Altbauten geprägten Straßenzüge. Bioläden und asiatische Restaurants neben levantinischen Kleinhändlern. Dazwischen junge Menschen mit Dreadlocks, Studenten an Caféhaustischen. Die Atmosphäre erinnert ein wenig an das Schanzenviertel in Hamburg oder an Kreuzkölln in Berlin. (...).
Die Skandinavistikstudentin sitzt zusammen mit ihrem Kommilitonen Tom aus Hamburg. »Rostock ist für mich wie ein kleines Hamburg!«, findet der junge Mann. »Nur die Entfernungen sind nicht so groß!«
Auf die Ereignisse von Lichtenhagen 1992 angesprochen, die sich dieser Tage jähren, schauen die beiden Jungakademiker ihren Gesprächspartner verständnislos an.
»1992??«, fragen sie, als handele es sich um ein vorsinflutliches Datum. Und dann weiter: »Wo liegt denn Lichtenhagen?«

HAHN, Thomas (2017): Toll hier.
Natürlich gibt es auch schöne Dinge in Mecklenburg-Vorpommern, zum Beispiel die weite Natur, und keine Anwohner, die bei Festivals stören. Eine Jugend zwischen Langeweile und Bundestagswahl,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 04.09.

Thomas HAHN beschreibt Wolgast in Mecklenburg-Vorpommern aus der Sicht eines 17-jährigen Lehrerinnensohns und lässt sich dessen Sicht durch einen Sozialpädagogen und einen Drogenbeauftragten bestätigen.

"Wolgast ist ein 12.000-Einwohner-Städtchen an der Zugbrücke zur Insel Usedom. Es gibt hier viele hübsche Häuser und viel Ruhe. Aber wenn in den letzten Jahren von Wolgast die Rede war, ging es meistens um Verluste. Läden und Kneipen machten zu. Das Finanzamt verschwand. Das Amtsgericht verschwand. Erbittert kämpften die Bürger dafür, dass wenigstens das Krankenhaus blieb (vgl. "Fernost", Spiegel 29.07.2017). Wolgast wirkt wie eine Art Hotspot des demografischen Wandels. Viele Ältere leben hier, die nach der Wende arbeitslos wurden und ihre Enttäuschung in Beschwerden über Ausländer und die Ohnmacht des kleinen Mannes gießen",

beschreibt HAHN das Bild, das die Mainstreamzeitungen von Wolgast vermittelten, um dann nicht etwa die eigene Rolle kritisch zu reflektieren, sondern die Bewohner für das schlechte Image haftbar zu machen:

"Die Elterngeneration hat noch sehr stark dieses Frustpotenzial. Das überträgt sich auf die nächste Generation. Den Älteren fehlt eine Vision, und die Jungen übernehmen das",

zitiert HAHN den Leiter eines Jugendhauses. Für den Niedergang von Städten und Regionen sind jedoch nicht in erster Linie die Einheimischen verantwortlich, sondern die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die verstärkende Stigmatisierung durch Medienberichte, die dafür sorgen, dass sich Abwärtsspiralen verfestigen  Der Versuch von HAHN das ramponierte Image von Wolgast etwas aufzuhübschen, ist da leider nur gut gemeint!

SAUER, Stefan (2017): Armutsgefahr Wohnen.
Studie: Kosten für Miete belasten stark - vor allem Geringverdiener,
in:
Frankfurter Rundschau v. 13.09.

An der Studie ist zu bemängeln, dass die Begriffe "Wachstum"/"überdurchschnittliches Wachstum", "keine eindeutige Entwicklungsrichtung" und "Schrumpfung"/"starke Schrumpfung" nicht definiert werden. Es wird dabei nur auf einen Artikel des BBSR verwiesen, der wiederum die Begriffe einmal auf das Bevölkerungswachstum, dann aber auf einen mehrdimensionalen Prozess bezieht. In der HBS-Studie Wohnverhältnisse in Deutschland wird dagegen nur die Bevölkerungsentwicklung 2009-2014 betrachtet, d.h. die Begriffe werden nur eindimensional verstanden (vgl. 2017, Tabelle 2, S.20).

Rostock, die einzige Großstadt in Mecklenburg-Vorpommern, gehört zu den 32 von 77 Großstädten, die als wachsend klassifiziert werden.

BOLLMANN, Ralph (2017): Migranten im eigenen Land.
17 Millionen Menschen kamen 1990 aus einem Land namens DDR in die Bundesrepublik. Das Wahlergebnis zeigt: Viele von ihnen haben sich bis heute nicht integriert,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung v. 01.10.

"Städte wie Leipzig oder Jena, Rostock oder in Teilen selbst Dresden haben sich zu weltoffenen, wohlhabenden und liberalen Zentren entwickelt. (...) Dort ist die Integration im Ganzen geglückt",

behauptet BOLLMANN. Dabei hat die AfD in Leipzig fast genauso viele Zweitstimmenanteile erhalten - nämlich 18,3 % - als im bayerischen Deggendorf. Das Handelsblatt schrieb gar vom "Rechtsschock". In Rostock waren es 14,7 %  (Rostock-Lichtenhagen: 19,2 %). In Rostock-Stadtmitte wählten 9,9 % und im in Kröpeliner-Tor-Vorstadt 7,8 % die AfD.

ND/DPA (2017): Finanzverwaltung im Nordosten steht vor Umbruch.
Mecklenburg-Vorpommern: Zahl der Amtsbezirke soll stark reduziert werden, mehrere Standorte werden Außenstelle,
in:
Neues Deutschland v. 08.11.

"Als Hauptsitze für die künftig vier Finanzämter schlägt er (Anm.: der Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern) Greifswald, Waren, Rostock sowie Schwerin vor. Güstrow, Hagenow, Neubrandenburg, Ribnitz-Damgarten, Stralsund und Wismar sollen Außenstellen werden. Die bisherigen Außenstellen in Pasewalk und Malchin blieben erhalten", heißt es in der Agenturmeldung.

RATHKE, Martina (2017): Wo die Jugend so um die 50 ist.
Mecklenburg-Vorpommern: Was hat die Kreisreform kleinen Orten wie Zudar gebracht? Die Probleme wurden eher verschärft, sagen Experten,
in:
Neues Deutschland v. 25.11.

"Zudar ist ein kleiner Ort mit etwa 350 Einwohnern im Süden der Insel Rügen. Seit der Wende verlor das Dorf etwa die Hälfte seiner Bewohner. Die Jugendlichen zog es in den Westen oder in größere Städte. Die Älteren blieben. »Wenn unsere Generation weg ist, gibt es keine Einheimischen mehr«, sagt Sponholz.
Vielen kleinen Orten in Mecklenburg-Vorpommern geht es wie Zudar. Während Kommunen mit zwischen 5000 und 10 000 Einwohnern überdurchschnittlich wachsen, sind vor allem die Gemeinden mit unter 2000 Einwohnern von Schrumpfung betroffen, sagt der Greifswalder Wirtschaftsgeograf Helmut Klüter. »Die Annahme aber, dass der gesamte ländliche Raum stirbt, stimmt nicht.« Kleine Landstädte, Dörfer an wichtigen Verkehrsadern wie der A 20 oder die Seebäder seien attraktiv für Zuwanderer. Dort sei das Wanderungssaldo positiv",

berichtet Martina RATHKE über die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern. Helmut KLÜTER hat in einem Vortrag aus dem Jahr 2015 die Bevölkerungsvorausberechnung für Mecklenburg-Vorpommern angezweifelt. Im Artikel zitiert RATHKE seine Kritik an der Statistik und den darauf beruhenden Geldzuweisungen an Kommunen:

"(D)ie Häuser in Zudar sind fast alle saniert. Die schönsten von ihnen allerdings (...) sind Zweitwohnsitze, die nur im Sommer bewohnt werden. (...).
Diese Einwohner auf Zeit spielen aber in den Statistiken bislang keine Rolle. »Sie werden weder bei der Berechnung der Einwohnerzahlen noch bei den Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden berücksichtigt«, kritisiert Klüter. Dies sei fatal, weil die Gemeinden die Infrastruktur vorhielten. Besonders für Vorpommern, wo zwei Drittel der touristischen Wertschöpfung des Landes generiert werde, sei dies problematisch. In Schweden beispielsweise würden die Sommerhausgebiete im Norden des Landes durch die Umlagen der reicheren Städter finanziert. Ein mögliches Modell für Mecklenburg-Vorpommern?"

Der Tourismus ist für Gemeinden wie Zudar jedoch nur ein kurzes Saisongeschäft während der sommerlichen Hochsaison, wenn die Badeorte Binz, Sellin oder Göhren von Urlaubern überlaufen sind. Die rhetorische Aufwertung des ländlichen Raumes angesichts der AfD-Erfolge dürfte kaum reichen, um kleinere Gemeinden vor dem Niedergang zu retten.

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 24. Dezember 2019
Update: 16. Februar 2020