[ Übersicht der Themen des Monats ] [ Rezensionen ] [ Homepage ]

 
       
   

Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Mecklenburg-Vorpommern im demografischen Wandel

 
       
   

Was ist geblieben von der demografischen Hysterie Anfang des Jahrtausends und was verlief ganz anders? (Teil 6)

 
       
     
   
     
 

Kommentierte Bibliografie (Teil 6: 2020 )

2020

BURGHARDT, Peter (2020): Sperrbezirk.
Mecklenburg-Vorpommern: Ein Investor will seit Langem auf der Halbinsel Wustrow ein Ferienressort bauen. Die Anwohner wollen ihre Ruhe. Über einen Kampf, den bisher die Natur gewinnt,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 13.01.

"Die Halbinsel Wustrow war Hitlers Flakstellung, sie wurde Militärbasis und Spionageposten der UdSSR. Danach verkaufte das wiedervereinte Deutschland das Gelände 1998 für 12,5 Millionen Mark an die Fundus-Gruppe des Rheinländers Anno August Jagdfeld, die auch mit Geld von Anlegern das Berliner Hotel Adlon neu aufgebaut hat. Seither stehen sich gegenüber: eine ostdeutsche Kleinstadt und (...) ein westdeutscher Großunternehmen, der seinen Besitz in ein Ressort umwandeln will. (...).
Es geht (...) um fünf mal zwei Kilometer Land an Deutschlands Lieblingsküste.
Dieser Ostseestreifen ließe sich vergolden, siehe Usedom oder Rügen, mit Grundstückspreisen wie auf Sylt. Milliarden Euro setzt die Tourismusbranche in Mecklenburg-Vorpommern um, 34 Millionen Übernachtungen 2019, die Region ist für deutsche Urlauber die Nummer drei nach Italien und Spanien. Das Ostseebad Rerik hat 2.300 Einwohner, eine Kirche mit Turm, rote Dächer, eine Promenade am Wasser. (...).
Ginge es nach dem Eigentümer Jagdfeld, so stünden auf dem einstigen Militärgelände der Halbinsel längst teure Urlaubsquartiere. Auch Golfplatz und Yachthafen hatte er zunächst geplant. Nur: Ohne Reriker Zustimmung darf nicht gebaut werden, so ist das trotz des Verkaufs geregelt. Die einzige Straße über den schmalen Zugang, den Wustrower Hals, sperrt die Stadt seit 2003 für den Individualverkehr. (...).
Die Bürgerinitiative »Wir für Rerik« grüßt schon an der Landstraße. »Kein 2. Heiligendamm auf Wustrow« (...). Jagdfelds Fundus-Gruppe erwarb bereits 1996 für 18 Millionen Mark den historischen Kern von Heiligendamm. Deutschlands erstem Seebad, eine halbe Fahrstunde entfernt. Im schneeweißen Grand Hotel Heiligendamm fand 2007 der G-8-Gipfel statt (...). 2012 meldete Jagdfelds Betreibergesellschaft die Insolvenz des Grand Hotels an, derzeit verkauft seine Entwicklungs-Compagnie in Heiligendamm sanierte Villen an Leute, die es sich leisten können",

berichtet Peter BURGHARDT über den Konflikt zwischen dem Ostseebad Rerik und dem westdeutschen Großinvestor. Zwei Gründerinnen der Bürgerinitiative und die Treuhand stehen im Mittelpunkt der Reportage:

"Im Oktober 1996 bot der Staat die Halbinsel Wustrow weltweit zum Verkauf an. »Catch your island«, war das Motto der Ausschreibung der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft TLG. (...).
Drei Bewerber kamen in die Endauswahl, die Stadt Rerik favorisierte den sanften, autofreien Entwurf einer schwäbischen Firma. Treuhand und Bundesfinanzministerium entscheiden sich für Jagdfeld, seine Fundus-Gruppe bekam die Halbinsel sogar wie verlangt inklusive Naturschutzgebiet. (...). Der Quadratmeterpreis: ungefähr 1,25 Mark. (...).
»Wustrow und Heiligendamm wollte keiner machen«, sagte Jagdfeld 2018 der Ostsee-Zeitung. »Ich hätte das nicht gemacht, wenn mich Helmut Kohl und Theo Waigel nach dem Wiederaufbau des Adlon nicht darum gebeten hätten (...).« (...). (...).
Die Entwicklungs-Compangie beauftragte Entwickler aus Miami (...) In Rerik hielt man vor allem das Verkehrskonzept für dreist. (...). So herrschte jahrelang Stillstand. Bis Jagdfelds Gegner 2018 Bewegung verspürten. (...).
Vor der Kommunalwahl 2019 traten sie (...) in die SPD ein. Denn Reriks SPD-Bürgermeister Wolfgang Gulbis stemmt sich seit jeher gegen Jagdfelds Vorstellungen. 59,8 Prozent der Stimmen erreichte die SPD bei der Wahl. (...).
Die Bürgerinitiative »Wir in Rerik« fordert den Rückkauf der Halbinsel Wustrow durch Stadt oder Land."

Der Ausgang des Kampfes um Wustrow ist ungewiss. Der Großinvestor drängt weiterhin auf die Vergoldung seines Treuhand-Schnäppchens.  

EM MECKLENBURG-VORPOMMERN (2020): Studie zur sozialen Entmischung in M-V vorgestellt,
in: Pressemitteilung Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern v. 28.01.

JUNG, Hagen (2020): Kein Hochhaus in Börgerende.
Mecklenburg-Vorpommern: Investor verzichtet auf 67-Meter-Bau und plant Energieforschung in Warnemünde,
in:
Neues Deutschland v. 05.02.

Hagen JUNG berichtet über die Gemeinde Börgerende-Rethwisch im Landkreis Rostock, die an Heiligendamm grenzt. Dort sollte ein Hochhaus für die Universität Rostock entstehen, gegen das eine Bürgerinitiative »67 Meter - nein danke« kämpfte. Wie in Entwürfen so üblich, wird ein ikonographisches Gebäude gepriesen, das die Attraktivität der Gemeinde ("Bilbao-Effekt") erhöhen soll.

Im Juni 2019 war der parteilose Bürgermeister Horst HAGEMEISTER wiedergewählt worden, der für die Wählergruppe "Wir - für unsere Gemeinde" antrat. Die Wählergruppe kam im Mai 2019 auf 27,1 % der Stimmen. Die Wählergruppe "Bündnis BürgerNähe (BBN), die den Bau bekämpfte, lag jedoch mit 32,5 % an erster Stelle. Vor diesem Hintergrund trat der Investor nun vom Bau des Hochhauses zurück. Nun soll das Institut für Windtechnik, Energiespeicherung und Netzintegration im Alten Zollhaus in Warnemünde, einem Ortsteil der Hansestadt Rostock entstehen.  

DPA/ND (2020): Küstenländer fürchten um Bürgschaften.
Bundesrat soll betroffenen Werften helfen,
in:
Neues Deutschland v. 05.02.

"Die maritime Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns zählt nach Angaben des Wirtschaftsministeriums knapp 300 Unternehmen mit rund 11.500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund 1,5 Milliarden Euro. In den sechs größeren Unternehmen, den MV Werften in Wismar, Rostock-Warnemünde und Stralsund, der Neptun Werft in Rostock-Warnemünde, der Peene-Werft in Wolgast und der Tamsen Maritim in Rostock sind allein rund 3.700 Mitarbeiter beschäftigt.
Staatliche Bürgschaften (...) kamen (...) nach dem Einbruch im deutschen Containerschiffbau in die Kritik. Nach der Insolvenz der P+S Werften 2012 blieb Mecklenburg-Vorpommern auf rund 270 Millionen Euro an Verbindlichkeiten sitzen, und auch der Bund musste für von ihm verbürgte Kredite aufkommen. Daraufhin hatte der Landtag in Schwerin eine Deckelung des Bürgschaftsrahmens auf maximal 400 Millionen Euro beschlossen",

heißt es in der Agenturmeldung, die im Vorfeld eines Bundesratsantrags zur stärkeren Förderung des Schiffsbaus veröffentlicht wurde. Neben Mecklenburg-Vorpommern steht auch Schleswig-Holstein hinter diesem Anliegen. Hintergrund ist ein Großauftrag für die MV Werften zum Bau zweier großer Kreuzfahrtschiffe, deren Finanzierung durch den Bund mitgedeckt werden soll.

STEEGER, Gesa (2020): Letzte Ausfahrt Polen.
Eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern kämpft um ihre Schule und um ihr Bestehen. Soll man Orte wie Penkun fördern oder aufgeben? Während darüber noch gestritten wird, machen die Penkuner einfach weiter,
in:
TAZ v. 08.02.

Gesa STEEGER berichtet über Penkun in Mecklenburg-Vorpommern. Mit einer Einwohnerzahl von unter 5.000 Menschen gehört Penkun nicht mehr zu den Kleinstädten, sondern zu den Landstädten. Solche Städte werden in den neoliberalen Rankings ignoriert. Die BertelsmannStiftung z.B. betrachtet nur Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohner. Dadurch fallen mehr als 40 % der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern aus der Betrachtung. Die taz zitiert jedoch nur die Zeit, die wiederum Zahlen nennt, mit denen auch die BertelsmannStiftung für ihr wenig repräsentatives Ranking wirbt ("15 Prozent aller Menschen in Deutschland leben in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohner*innen"). Das Sternchen ist der taz wichtiger als Fakten zu Mecklenburg-Vorpommern zu recherchieren.  Ende 2018 gab es in Mecklenburg-Vorpommern 698 Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohner, aber nur 52 Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohner.

Bis 2010 gehörte Penkun zum Landkreis Uecker-Randow, der in Rankings auf der Kreisebene regelmäßig letzte Plätze belegte. Seit 2011 gehört Penkun zum Landkreis Vorpommern-Greifswald, was die Sache nicht besser gemacht hat.

"Drei Seen, in der Mitte eine Kleinstadt. Rund 1.700 Menschen leben hier, zählt man die vier nahen Dörfer dazu; früher waren es mal fast doppelt so viele. Vor der Wende. In 30 Minuten ist man mit dem Auto in Stettin. Nach Schwerin, der Landeshauptstadt, sind es knapp drei Stunden. Der nächste Bahnhof ist zehn Kilometer entfernt",

beschreibt STEEGER die Lage der Landstadt. Im Mittelpunkt der Reportage steht der Kampf um den Erhalt der Regionalschule ab Klasse 5:

"Bereits seit 2002 läuft die Schule nur noch mit Ausnahmegenehmigung. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Kinder hier halbiert."

Ausgerechnet die unseriösen Zahlen des Berlin-Instituts werden zur Bevölkerungsentwicklung zitiert, aber nicht die aktuellere 5. Landesprognose.

"Deutschlandweit machen Schulen dicht. Besonders betroffen ist der Osten des Landes, die deutschen Randlagen. Zwischen 2004 und 2016 schlossen hier 31 Prozent der öffentlichen Schulen. Das zeigt eine Studie des Thünen-Instituts",

erzählt uns STEEGER. Die Probleme für Landstädte wie Penkun liegen aber auf anderer Ebene. Zum einen beim neoliberalen Spardiktat und zum anderen an der Standortkonkurrenz um junge Familien:

"Stadtentwicklung ist auch der Kampf um Standortvorteile, um Zuzügler und Steuereinnahmen, um eine belebte Stadt. Und den droht Penkun gerade zu verlieren. Die Stadt hat rund 4 Millionen Euro Schulden. In den letzten fünf Jahren wachte ein Sparbeauftragter des Landes über den Haushalt.
(...).
Dazu kommt: Die Regionalschule (...) ist nicht nur schlecht ausgelastet und hat ein undichtes Dach, sie hat Konkurrenz bekommen:
Rund 30 Kilometer nördlich von Penkun, in der Stadt Löcknitz, 3.300 Einwohner, entsteht in diesen Tagen ein neuer Schulcampus. In den nächsten Jahren sollen 17 Millionen Euro in das Projekt fließen. Das Geld kommt aus Töpfen von Land, Bund und EU. Eine neue Schule für 1.000 Kinder. Löcknitz wächst, vor allem durch den Zuzug von polnischen Familien, die vor den hohen Mietpreisen in Stettin in deutsches Randgebiet flüchten."

Fazit: Der engagierte Bürger soll es richten, wenn der Staat versagt.

KLEIN, Denise & Eliane MORAND (2020): Neue Leute, neue Ideen.
Was es für ein gutes Leben braucht, ist Ansichtssache. Was es für ein gutes Landleben braucht, hingegen nicht. Und das sind: Menschen, Engagement und eine gewisse Grundversorgung,
in:
TAZ v. 08.02.

KLEIN & MORAND zitieren die Broschüre Urbane Dörfer eines neoliberalen Privatinstituts, das Dörfer jenseits des Umlands prosperierender Großstädte abschreibt. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es jedoch solche Zentren nicht, weshalb die Studie völlig ungeeignet ist, um die Probleme in dem Bundesland aufzuzeigen oder gar Lösungen anzubieten.

"»Ob ein Dorf erhalten bleibt oder nicht, hängt maßgeblich vom Engagement der Bevölkerung ab.«
Alles Engagement helfe jedoch nicht, wenn eine gewisse Grundversorgung nicht gewährleistet sei. Schulen, öffentlicher Nahverkehr und Gesundheitsversorgung seien beispielsweise notwendig. Dehne wünscht sich an dieser Stelle mehr Verantwortung von Bund und Ländern, denn davon hätten sie in den letzten Jahren zu wenig übernommen",

zitieren die Autorinnen Peter DEHNE, einen Professor für Planungs- und Baurecht der Hochschule Neubrandenburg.

DPA/ND (2020): "Die Darßbahn kommt",
in: Neues Deutschland v. 10.02.

In der Agenturmeldung wird der bereits lange geforderte Bau der Darßbahn für Mitte der 2020er Jahre - zumindest - angekündigt:

"Manuela Schwesig (SPD) (...) bezeichnete die knapp 50 Kilometer lange Darßbahn als eines der wichtigsten Projekte für Vorpommern. Die Bahnstrecke von Velgast über Barth und Zingst bis Prerow diene der besseren touristischen Erschließung der Urlaubsregion an er Ostsee."

 
     
 
       
   

weiterführender Link

 
       
     
       
   
 
   

Bitte beachten Sie:
single-generation.de ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Internetseiten

 
   
 
     
   
 
   
© 2002-2020
Bernd Kittlaus
webmaster@single-generation.de Erstellt: 24. Dezember 2019
Update: 16. Februar 2020