|
Im falschen Leben
Für unsere Epoche werden
täglich neue Etikettierungen ausgerufen. Noch vor kurzem wähnten
sich viele in der
reflexiven Moderne der Risikogesellschaft und
nun finden sie sich in der regressiven Moderne der Abstiegsgesellschaft
(Oliver NACHTWEY 2016) wieder. Der Begriff
"Abstiegsgesellschaft" wurde im Übrigen auf dieser Website schon
im Jahr 2001 verwendet ("Michel
Houellebecq als Pionier der Abstiegsgesellschaft").
Andere wähnten sich im Mainstream der
Minderheiten (Mark TERKESSIDIS 1996) sicher und finden sich nun inmitten der
Wiederkehr der Konformität (Cornelia KOPPETSCH) wieder. Zwischen Lügenpresse und
Fake-News sind wir auf der Suche nach dem richtigen Leben - oder
wir haben es tatsächlich gefunden - und wenn nicht, dann tun wir
zumindest so als ob wir es gefunden haben, denn schlimmer als
das falsche Leben gewählt zu haben, ist in
Zeiten der Tyrannei
der Identitätspolitik nur: gar nicht zu leben.
Politik, Wissenschaft und
Medien (re)produzieren tagtäglich das gute Leben. Sie geben uns
Orientierung in unsicheren Zeiten. Sicherheit ist das knappe Gut
- und um knappe Güter wird bekanntlich umso härter gekämpft. Als
der (Neo-)Liberalismus noch eine Zukunft versprechen konnte, da
wurde
Orientierungslosigkeit als Tugend gepriesen. Heutzutage
glauben das nur noch Ewiggestrige. Und die Alternative?
Heimatlosigkeit!
Heimatlosigkeit als Tugend
Demografie, Ökologie und
Nationalismus ist heutzutage der Dreiklang, der Sicherheit
verspricht. Die eigene Familie gilt als Garant des guten Lebens.
Alle, die in diesen vielstimmigen Chor nicht einstimmen, sind in
unserer Gesellschaft heimatlos. Ambivalenz galt als Wert der
Postmoderne. Im Zeitalter autokratischer Herrscher und
postdemokratischer Wuteliten ist Ambivalenz nicht mehr gefragt,
sondern ein Standortnachteil. Zugehörigkeit ist zur politischen
Ware verkommen. Die Türsteher der Anerkennung entscheiden über
den Einlass ins gute Leben. Wer sich nicht dagegen wehrt, der
lebt verkehrt.
Demografie, Ökologie und
Nationalismus als Sicherheitsversprechen
Die Deutschen sterben aus,
heißt die
Melodie des ewigwährenden Untergangs, die seit 1911 in
Deutschland eine vertraute Hintergrundmusik ist.
Drei Wellen der Generation Kinderlos liegen bereits
hinter uns und die nächste Welle kommt so sicher wie das Amen in
der Kirche. Wo Wellentäler sind, da gibt es immer auch
Wellenkämme:
Die
Babyboomer sind unser Schicksal tönt die Melodie der
Demografisierung gesellschaftlicher Probleme. Die sozialen
Sicherungssysteme stehen vor dem Kollaps. Als die Welt noch heil
war, da gab es noch keine - z.B. während des Dreißigjährigen
Krieges.
Schlimmer als der Dreißigjährige Krieg ist nur der
Geburtenrückgang und die Zuwanderung. Die Demografie ist
unser Schicksal - immer ungefähr in 30 Jahren. Weit genug
entfernt, um sich in Wohlgefallen auflösen zu können, aber nah
genug, um alternativlos zu erscheinen.
Seit Ende der 1970er
Jahre verschieben die diversen Bevölkerungsvorausberechnungen
unser Schicksal Jahr für Jahr in die Zukunft und unsere Ängste köcheln weiter auf Sparflamme. Wie lange wollen wir das Spiel
noch mitspielen? Zwischen Lügenpresse, Fake-News und
Alternativlosigkeiten richten wir uns in unserer Ohnmacht
gemütlich ein. Schluss mit der Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme!
Die Ökologie ist unser
Schicksal. Wenn wir nur die richtigen Waren kaufen, dann leben
wir richtig! Klimawandel, Energiewende, Weniger ist mehr,
Lebensqualität statt Konsum. Biosupermarkt statt/und Aldi. Wie
die Demografie nahm die Ökologie Mitte der 1970er Jahre ihren
Aufschwung. Die Ökologie ist die Zwillingsschwester der
Demografie: Die Ökologisierung gesellschaftlicher Probleme
gehört zum postdemokratischen System in Deutschland. Demografie
und Ökologie stehen für die neoliberale Expertokratie als
Demokratieersatz. Experten lesen uns die Leviten: Zwischen
Grenzwerten und Eckwerten soll sich unser gutes Leben abspielen.
Der Nationalismus ist
unser Schicksal, denn wir werden in Grenzen hineingeboren, die
wir uns nicht aussuchen können - zumindest nicht als Kinder.
Auch unsere soziale Herkunft können wir uns nicht aussuchen. Der
Nationalismus verspricht uns Sicherheit, aber Grenzen können
sich ändern und dann stehen wir möglicherweise auf der falschen
Seite der Grenze. So erging es z.B. den Ostdeutschen nach der
Wiedervereinigung. Aber auch innerhalb von Deutschland ändern
sich immer wieder die Grenzen: Gebietsreformen ändern politische
Zuständigkeiten und unsere Lebensverhältnisse. Wir können nie
sicher sein, dass wir immer auf der richtigen Seite der Grenze
stehen werden. Und dennoch gilt der Nationalismus als
Sicherheitsversprechen. Dabei können innernationale
Grenzverschiebungen unsere Lebensverhältnisse drastisch ändern.
Demografie und Ökologie sind nicht unser Schicksal, sondern
Ausdruck politischer Territorialherrschaft. In mobilen
Gesellschaften können Wanderungen die ökonomischen,
demografischen und ökologischen Verhältnisse radikal ändern.
Nationalismus ist kein Garant dafür, dass die
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in einem Territorium
garantiert wird.
Fazit: Die scheinbaren
Sicherheitsversprechen, die Ökologie, Demografie und
Nationalismus uns bieten sollen, sind allesamt brüchig. Waren
wir gestern Etablierte, dann sind wir heute möglicherweise schon
Außenseiter oder umgekehrt. Heimatlose wissen das, alle anderen
wiegen sich dagegen in falschen Gewissheiten.
Der gescheiterte soziale Aufsteiger als
Heimatloser par excellence
Soziale Mobilität gilt in
unsere Gesellschaft als hoher Wert - zumindest in der
politischen und ökonomischen Rhetorik. Erfolgreiche soziale
Aufsteiger werden als Belege für den Mythos der
Leistungsgesellschaft herumgereicht. Sie sind eine Rarität und
erhalten deshalb gerne ein Stimme. Derzeit sind Autobiografien
(oder zumindest autobiografisch geprägte Sachbücher) solcher
Aufsteiger sehr gefragt. Von Didier ERIBON ("Rückkehr
nach Reims") über Christian BARON ("Proleten
Pöbel Parasiten") bis zu J. D. VANCE ("Hillbilly Elegy")
werden uns Geschichten von sozialen Aufsteigern als
Volksversteher präsentiert. Je kritischer sie sich mit der
eigenen Vergangenheit und der eigenen Herkunft
auseinandersetzen, desto eher landen sie auf der
Bestsellerliste.
Eine Leerstelle ist
dagegen der gescheiterte soziale Aufsteiger. Er könnte der
Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, denn zwischen dem Erfolg
und dem Scheitern gibt es eine große Spannbreite, die von den
Schwierigkeiten sozialer Mobilität in unserer Gesellschaft
handelt.
Der Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg
"Soziale Mobilität ist
dadurch definiert, inwiefern es eine Gesellschaft Menschen aus
ärmeren Familien ermöglicht, sich emporzuarbeiten. Wenn die
Kinder einen besseren Job haben als ihre Eltern, gilt die neue
Generation als sozial mobiler. Das ist zum Beispiel dann der
Fall, wenn ein Arbeitersohn Mediziner wird oder Rechtsanwalt
oder Banker",
(WamS
Online v. 13.05.2007)
|
schreibt der britische
Soziologe Anthony GIDDENS und Wegbereiter der neuen
Sozialdemokratie à la Tony BLAIR und Gerhard SCHRÖDER. Der
Bildungsaufstieg vom Arbeiterkind zum Akademiker gilt heutzutage
als Blaupause für soziale Mobilitätsprozesse. Der Begriff der
Statusinkonsistenz findet sich dagegen selten in öffentlichen
Debatten, denn er weist darauf hin, dass mit Bildungsaufstiegen
eine Kluft zwischen den einzelnen Statusdimensionen (Einkommen,
Macht, Prestige und Bildung) auftun kann, wobei Einkommen, Macht
und Prestige an einen angemessenen Beruf gebunden ist. Nicht nur
in der öffentlichen, sondern auch in der wissenschaftlichen
Debatte spielt das Phänomen keine besondere Rolle. Es wird davon
ausgegangen, das sich Bildungsaufstiege auch in entsprechende
berufliche Karrieren ummünzen lassen - wenn nicht gleich, so
doch auf längere Sicht. Bezeichnerweise wird das Phänomen von
Wikipedia mit einer politischen Gefahr in Verbindung gebracht:
Statusinkonsistenz
"Das Konzept der
Statusinkonsistenz bietet eine Möglichkeit zu erklären, warum
sich Individuen, die eigentlich aufgrund bestimmter
Statusmerkmale zur gesellschaftlichen Elite gezählt werden
könnten, unter Umständen politisch eher mit statusniedrigen
Schichten solidarisieren."
(Wikipedia,
Seitenabruf: 11.04.2017)
|
Statusinkonsistenz
bezeichnet im gewissen Sinne die ganze Spannbreite zwischen
Erfolg und Scheitern des sozialen Aufstiegs. Das Phänomen wird
in erster Linie als Bedrohung und nicht als Chance gesehen und
ist in unserer Gesellschaft offenbar ein großes Tabu, denn sonst
müsste der Begriff in unserer Gesellschaft eine Karriere machen.
Denn bereits der Erfolg eines Sachbuchs mit dem Titel
Die Abstiegsgesellschaft deutet darauf hin, dass das
Phänomen nicht unbedeutend ist und zumindest die Angst davor
weit verbreitet ist.
Der gescheiterte soziale
Aufsteiger, der zwar den Bildungsaufstieg geschafft hat, aber
diesen nicht in eine angemessene berufliche Karriere ummünzen
kann, gehört einerseits nicht mehr seinem sozialen
Herkunftsmilieu an, andererseits aber auch nicht zu den
erfolgreichen Akademikermilieus, die sich über ihren Beruf mit
seinem Einkommen, seiner Macht und seinem Prestige definieren.
Er fällt durch die Raster der Milieuforschung, deren Kategorien
zu eindimensional sind, genauso wie durch die politischen
Kategorien und die Wähleransprache. Der gescheiterte soziale
Aufsteiger ist ein Heimatloser par excellence: Er gehört
nirgendwo richtig dazu und kann deshalb die
Zugehörigkeitsrituale in der Gesellschaft viel unmittelbarer
erfassen.
Geschmacksfragen am Beispiel der Popmusik
Der soziale Aufsteiger
Christian BARON beklagt in seinem Buch
Proleten Pöbel Parasiten, dass seine Geschmacksbildung
aufgrund seiner Milieuzugehörigkeit nicht seinem anvisierten
Milieu entsprach, während Didier ERIBON seinen Musikgeschmack
als Distinktionsmöglichkeit betrachtete:
Proleten
Pöbel Parasiten
"Weil ich in meiner Jugend kaum Kontakt zu
Gymnasiasten und Akademikerkindern hatte, blieb ich bei Classic
Rock, Pop und Hip-Hop stehen, ohne alternative
Musikrichtungen kennengelernt zu haben.
Das rächt sich jetzt: Ich habe keine Ahnung von
den Bands über die meine Kollegen häufig sprechen und versuche
dann, die Unterhaltung unbeholfen auf Fußball umzulenken."
(2016, S.223)
Rückkehr nach Reims
"Mit fünfzehn
oder sechzehn wollte er nur mit seinen Kumpels
um die Häuser ziehen, Fußball spielen, Mädels
aufreißen und Johnny Hallyday hören, während ich
lieber zu Hause blieb, um zu lesen, die Rolling
Stones oder Françoise Hardy zu hören (...). Mein
Bruder pflegte weiterhin das Ethos der Arbeiter,
seine Umgangsformen und seine Körperhaltung
unterstrichen die Zugehörigkeit zu der sozialen
Welt, aus der wir stammten. Ich hingegen machte
mir ein Gymnasiasten-Ethos zu eigen, das genauso
klischeemäßig war und mit dem ich mich von
meiner Familie abgrenzen wollte".
(2016, S.100) |
Während ERIBON nie auf die
Idee gekommen wäre, zu fordern, dass das Akademikermilieu auf
den Musikgeschmack der einfachen Leute Rücksicht nehmen sollte,
neigt BARON dazu, Verständnis für den Musikgeschmack der
Arbeiterklasse zu wecken. Beides führt nicht zu Innovationen,
sondern bestärkt nur den vorherrschenden Trend zur Konformität,
der heutzutage übermächtig ist.
Popmusik und das Spiel mit den
Identitäten: Das Beispiel Schüchternheit
Popkultur ist zu einem
zentralen Feld gesellschaftlicher Distinktionen geworden. Sag
mir was Du hörst und ich sage Dir wer du bist, lautet das Motto
der Identitätspolitik. Heimatlose müssen sich diesem Spiel nicht
unterwerfen, sondern können darin gesellschaftliche
Anerkennungskämpfe unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen
sehen. Ist derjenige auf der Höhe der Zeit, der weiß, was in den
diversen Musikzeitschriften von Rolling Stone über
Musikexpress und Intro bis zu Spex über einen
Song steht, um nur einige bekannte zu nennen? Oder eher
derjenige, der sich fragt, welche Identitäten über Popmusik
vermittelt werden?
Shy Boy
"Most
guys advertise
By making eyes and telling lies
If you only knew,
You Could make your dreams come true
All you gotta do is ask me to"
(Katie Melua auf Piece by Piece 2005)
|
Schüchternheit scheint
gerade für Männer im Zeichen der individualisierten,
extravertierten Gesellschaft ein Problem zu sein. Katie MELUA
verspricht in ihrem Song, dass sie ausdrücklich einen
schüchternen Mann sucht, er brauche es nur zu wagen sie
anzusprechen, als ob das nicht gerade das Hauptproblem des
Schüchternen wäre. In den nuller Jahren erlebten
Menschen ohne Beziehungserfahrung gar einen regelrechten
öffentlichen Aufmerksamkeitsschub, der sich mittlerweile wieder
abgeflaut hat.
Florian WERNER bringt die
Schüchternheit in seinem 2012 erschienenen Buch
Schüchtern mit der sozialen Mobilität einer Gesellschaft
zusammen:
Schüchtern
In gewisser Weise stellt die peinigende Erfahrung der
Blödigkeit beziehungsweise Schüchternheit (...) die Kehrseite
der Demokratisierung dar, wie sie sich seit Beginn der
Moderne in den westlichen Gesellschaften vollzog. Man könnte
sogar vermuten, dass die Schüchternheit proportional zur
gesellschaftlichen Durchlässigkeit und Aufwärtsmobilität
zunimmt: Je größer die sozialen Aufstiegschancen sind, je
weiter und vielfältiger die Kreise, in denen man sich
bewegt, desto zahlreicher werden auch die Gelegenheiten,
sich zu blamieren"
(2012, S.86)
|
Schüchternheit tritt hier
in Verbindung mit der Scham ("sich blamieren") auf. Während
Schüchternheit als Persönlichkeitseigenschaft gilt, ist Scham
jedoch eine soziale Angst. Während ERIBON eher von Scham
spricht, verwendet BARON den Begriff Schüchternheit im
Zusammenhang mit sozialen Herkunft. Er fühlt sich den
"eloquenten Dampfplauderern" (vgl. 2016, S.65) aufgrund seines
schüchternen Charakters unterlegen.
Der Song Shy Boy
entstand zu einer Zeit als Schüchternheit in Deutschland noch
nicht debattiert wurde und in den USA das Phänomen der
Introvertiertheit erst neu entdeckt wurde. In gewisser Weise
kann man seitdem auch mit diesen Identitäten spielen: Wer kann
schon als Außenstehender unterscheiden, ob jemand nun schüchtern
oder introvertiert ist? Während Introvertiertheit inzwischen
positiv konnotiert ist, gilt Schüchternheit immer noch meist als
Makel und ein Lob der Schüchternheit ist - anders als bei Katie
MELUA - in der öffentlichen Debatte nur selten zu vernehmen. Urs
STÄHELI schreibt dazu in seinem Aufsatz
Die Angst vor der
Gemeinschaft in der Zeitschrift Merkur:
Die Angst
vor der Gemeinschaft
"Die
Populärwissenschaft hat die Schüchternheit als erfolgreiches
Thema entdeckt - und zwar nicht mehr nur im
klassischen Ratgeberformat, das
Schüchterne Techniken lehrt, die nächste Party oder den
Betriebsausflug zu überleben. Vielmehr findet nun eine
Neucodierung von Schüchternheit als soziale und ökonomische
Qualität statt. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist Susan
Cains (...) Bestseller Quiet; in Deutschland mag man an
Florian Werners literarische Verteidigung der Schüchternheit
denken. (...).
Der Schüchterne ist nun nicht nur ein potentieller und leidender
Künstler, sondern er gilt in vielen Fällen sogar als der bessere
Unternehmer, Manager und Erfinder. (...). Diese Heroisierung des
Introvertierten geht allerdings mit einer recht problematischen
Aufspaltung zwischen dem Introvertierten und dem Schüchternen
einher: Der nun hochgeschätzte Introvertierte verzichtet aus
eigenem Willen auf soziale Geselligkeit, während der Schüchterne
von sozialer Angst getrieben und nicht mehr Herr seines
Gemeinschaftswillen ist. Nur der willensstarke Introvertierte
taugt zum Helden; der Schüchterne dagegen wird einmal mehr zur
tragischen Figur, möchte er doch am Gemeinschaftsleben
teilhaben, wird aber von seinen Ängsten davon abgehalten."
(aus: Merkur, Oktober 2013)
|
Beim Flirten oder bei der
Partnersuche kann man sich wohl kaum damit herausreden, dass man
introvertiert sei und nicht schüchtern. Im beruflichen Kontext
dagegen ist das anders. Das Spiel mit Identitäten ist also nicht
ganz situationsunabhängig.
Statusinkonsistenz - eine überholte
Kategorie? Der Mythos von der Karrierefrau, die keinen Mann
abgekommen hat
Was bedeutet es
eigentlich, wenn statt der Alleinverdienerpartnerschaft die
Doppelverdienerpartnerschaft in der Gesellschaft zunimmt. Lassen
sich dann Fragen des sozialen Aufstiegs und der sozialen
Inkonsistenz noch so einfach messen und diagnostizieren? Mitte
der nuller Jahre wurde die
Karrierefrau, die keinen (Ehe-)Mann abbekommt zum Thema der
Mainstreammedien. Den bemitleidenswerten Karrierefrauen (vgl.
Einsame
Spitze 2011) wurde das Dating-Down, d.h. die Suche nach
einem Partner in statusniedrigeren bzw. bildungsferneren Milieus
empfohlen.
Inzwischen hat sich das
als kurzschlüssig erwiesen, denn die
Studie des Forscherteams um den Soziologen Hans-Peter BLOSSFELD
untersuchte nur die Verheirateten und ignorierte die zunehmenden
Partnerschaften von Unverheirateten. Zudem konzentrierten sich
die Untersuchungen nur auf Frauen in Führungspositionen, als ob
nicht viele Karrierefrauen in akademischen Berufen arbeiten, die
aus diesem Raster fallen. Die Soziologen sprachen von
zunehmender Bildungshomogenität, was etwas ganz anderes ist als
eine zunehmende Einkommenshomogenität von Paaren. Mittlerweile
sind auch zunehmend Paare in den Blick geraten, in denen Frauen
mehr verdienen als Männer. Dies deutet darauf hin, dass Frauen
lieber mit einem gescheiterten Bildungsaufsteiger vorlieb
nehmen, als ihre Partner in bildungsfernen Schichten zu suchen.
Und damit wird die Diagnose Statusinkonsistenz zum Problem:
Gescheiterte Bildungsaufsteiger könnten ihr Scheitern durch eine
Partnerschaft kompensieren. Die Mainstreammedien suggerieren
zwar das Gegenteil, indem sie thematisieren, dass eine Frau, die
mehr verdient als ihr Mann ein Problem darstellt, aber die
Belege dafür sind dürftig. Die Frage, ob die Zunahme von
Bildungshomogenität bei Partnerschaften die soziale Ungleichheit
erhöht, muss differenzierter betrachtet werden. Sie könnte im
Gegenteil auch verhindern, dass Statusinkonsistenz zur Bedrohung
für unsere Gesellschaft wird.
Fazit: Es bedarf der Ausweitung des Blicks auf
die gesamte Spannbreite des Scheiterns von Bildungsaufsteigern
Das Scheitern des
Bildungsaufstiegs ist nicht unbedingt eine Bedrohung für die
Gesellschaft, sondern kann auch eine Chance bedeuten. Das Thema
spielt in der öffentlichen Debatte jedoch (noch?) nicht die
Rolle, die ihm zukommen müsste angesichts der Relevanz des
Themas sozialer Ungleichheit. Der Tunnelblick auf die
erfolgreichen sozialen Aufsteiger verstellt den Blick darauf,
dass das Scheitern von Bildungsaufsteigern die Normalität und
nicht die Ausnahme ist.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der "Single-Gesellschaft"
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
|
|