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Drei Wellen der Generation Kinderlos in hundert
Jahren
Was haben die Jahre 1927 -
1932, 1977 - 1982 und 2001 - 2006 gemein? In diesen Jahren wurde
intensiv das Aussterben der Deutschen diskutiert. Die erste
Welle wurde von Büchern wie
Der internationale Geburtenstreik von Ernst KAHN aus dem
Jahr 1930 und Volk ohne Jugend von Friedrich BURGDÖRFER
aus dem Jahr 1932 bestimmt. Die zweite Welle umfasste Bücher wie
Sterben wir aus? von Klaus JENTZSCH aus dem Jahr 1979 bis
zu
Vom Geburtenrückgang zur Neuen Mütterlichkeit? von
Elisabeth BECK-GERNSHEIM aus dem Jahr 1984. In der nunmehr
dritten Welle treiben Bücher wie
Die demographische Zeitenwende von Herwig BIRG aus dem
Jahr 2001 und
Minimum von Frank SCHIRRMACHER aus dem Jahr 2006 die
Debatte um die "Generation Kinderlos" voran.
Jede dieser
Medienkampagnen gegen Kinderlose endete in einem politischen
Regimewechsel. Die Weimarer Republik endete im Terrorregime der
Naziherrschaft, die Bonner Republik bekam ihre
"geistig-moralische Wende" und die Berliner Republik erlebte das
vorzeitige Ende von Rot-Grün. Jeder dieser Medienkampagnen gegen
Kinderlose mündete auch über kurz oder lang in die Zelebrierung einer
neuen Mütterlichkeit. Eines
wird deutlich: Die Halbwertszeit groß angelegter Kampagnen gegen
Kinderlose ist innerhalb eines Jahrhunderts von zwei auf eine
Generation gesunken. Jede Generation muss sich also neu
rechtfertigen. Möglicherweise
entsteht aber nun erstmals in der deutschen Geschichte eine
"Single-Bewegung", die auf der Pluralität von Lebensstilen beharrt
und darin sogar die bessere Alternative zur Monokultur der
verordneten Zwei-Kinder-Familie sieht. Dies hat nichts
mit einer Kultur der Kinderlosigkeit zu tun, die sich angeblich
breit macht, sondern viel mit Versäumnissen in Wirtschaft und
Politik. Die Präsentation eines Sündenbocks scheint allzu
verlockend. Eltern und Kinderlose gegeneinander auszuspielen
wird in zunehmendem Maße als eine Erfolg versprechende Strategie
angesehen.
Generation Kinderlos
"Die
Folgen von Phrasendrescherei und Vereinfachung sind
offensichtlich: Die Fronten verhärten sich, geburtswillige
Paare werden idealisiert und glorifiziert, es bilden sich
zwei Lager: Gut gegen Böse. Altruisten gegen Hedonisten.
Papas gegen Porsches. Muttermilch gegen Müßiggang. Immer
häufiger erfolgen Versuche, Eltern und Kinderlose
gegeneinander in Stellung zu bringen."
(2008, S.8f.) |
Das kinderlose Ehepaar
KEIL & BRUSCHEK will dieses Spiel nicht mehr mitmachen, sondern
zeigt in seinem Buch Generation Kinderlos, dass nur ein Miteinander von Eltern und
Kinderlosen diese Republik weiter bringen kann. Eine
solche Sichtweise wurde auch auf dieser Website und auf
single-dasein.de seit fast genau acht Jahren vertreten, also
ein Jahr bevor im April 2001 das Pflegeurteil des
Bundesverfassungsgerichts die Bestrafung von Kinderlosen für
erforderlich erklärte. Wenn sich erst in letzter Zeit die ersten
Kinderlosen der Generation Golf aus der Deckung wagten,
so hängt das auch damit zusammen, dass sich spätestens nach dem
Frühling der Patriarchen im Jahr 2006
ein Unbehagen breit
machte und der mediale Wind sich langsam drehte.
Katastrophengerede und Panikmache erhöhen den
sozialen Druck auf Kinderlose, aber auch die Zukunftsängste
Vielleicht hat der eine
oder andere schon wieder vergessen, dass zwischen 2001 und 2006
der demografische Wandel fast pausenlos die öffentliche Debatte
beherrschte. Eine Titelgeschichte oder Serie zum Thema jagte die
nächste. Horrorszenarien schürten Ängste und setzten Kinderlose
unter Druck.
Generation Kinderlos
"Die
Art und Weise, wie die Debatte um die drohende
Altenrepublik geführt wird, setzt viele Menschen unter
Druck. In unzähligen Leitartikeln, Diskussionsrunden,
Talkshows, Ministeriumsverlautbarungen und nicht zuletzt
an Stammtischen wird intensiv über die Gründe und Folgen
des »Zeugungs- und Gebärstreiks« diskutiert - meist
von Personen, die selbst Kinder haben. Entsprechend
realitätsfern wirken zahlreiche Texte und Wortbeiträge,
die nicht selten direkt oder indirekt eine moralische
Pflicht zur Fortpflanzung suggerieren."
(2008, S.14f.) |
In dem Kapitel
Katastrophengerede und Panikmache kritisiert das Paar die
unsachliche Demografiedebatte und trägt Gegenargumente vor, die
der Soziologe Christian SCHMITT, der Statistiker Gerd BOSBACH
und nicht zuletzt der verstorbene Soziologe Karl Otto HONDRICH
in dem Buch Weniger sind mehr
pointiert zusammengetragen
hat. KEIL & BRUSCHEK beklagen zu Recht die tabuisierte
Themenaufarbeitung in der Debatte um den demografischen
Wandel.
Generation Kinderlos
"Viele
der medial erzeugten Kinderlosen-Klischees haben ihren
Ursprung in einer tabuisierten Themenaufarbeitung. Gibt es
gute Gründe, keine Kinder zu bekommen? Lenken
Negativszenarien von ungleich wichtigeren
gesellschaftlichen Fehlentwicklungen ab? Könnte es sein,
dass Deutschland und die ganze Welt von weniger
Neugeborenen profitieren? Ist es möglich, dass Menschen
ohne eigene Kinder mindestens genauso glücklich sind wie
die mit? Diese Fragen stellen sich die meisten
Meinungsmächtigen nicht."
(2008, S.24) |
Was an diesem Buch
besonders erfreulich ist, das ist die Kritik an einer Politik
der sozialen Einschnitte. Bücher wie Die neuen Spießer
von Christian RICKENS oder Die neue F-Klasse von Thea
DORN
verbanden ihr Plädoyer für einen Lebensstilspluralismus
mit einer neoliberalen Einstellung. Dies ist bei KEIL & BRUSCHEK
anders.
Generation Kinderlos
"Man
muss nicht allzu viel Fantasie aufbringen (oder gar
Verschwörungstheorien aufstellen), um einflussreiche
Profiteure des Demografiediskurses auszumachen. Konzerne
etwa, die auf den Ausstieg aus der paritätisch
finanzierten Rente hoffen, um noch mehr Kosten zu sparen.
Private Rentenversicherer, die stolz von starken
Wachstumsraten berichten und gleichzeitig ohne Skrupel
Personal »freistellen«. Die Dauerkritik an Kinderlosen
erscheint in diesem Zusammenhang in einem völlig neuen
Licht."
(2008, S.26) |
Noch laufen Filme wie
"Rentenangst" von Ingo BLANK & Dietrich KRAUß über betrogene
Kunden von privaten Versicherungen nur im Spätprogramm der
öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme, aber die Wut
wächst, wie die Wahlerfolge der Linkspartei zeigen. Im
Kapitel Druck von allen Seiten berichten KEIL & BRUSCHEK
über den Spießrutenlauf von Kinderlosen, der sich in der
Provinz und in der Stadt meistens nur durch andere Altersgrenzen
unterscheidet. Mit viel Sinn für Humor werden die
Wahrnehmungsverzerrungen von Eltern dargestellt. Da wird eine
Gewichtszunahme und das Tragen bequemerer Kleidung gleich als
Schwangerschaft gedeutet. Denn dann wäre man endlich auf der
richtigen Seite.
Während
in den Medien den Kinderlosen gerne ein kinderfernes bzw.
-entwöhntes Leben bescheinigt wird, sieht die Realität von
Kinderlosen meist ganz anders aus. Die Mehrzahl der Kinderlosen
wird eben nicht von Bodyguards beschützt, rauscht auch
nicht in gepanzerten Luxuslimousinen durch die Lande oder sitzt
abgeschottet in einem Privatjet. Politiker und sonstige Eliten
projizieren ganz offensichtlich ihre eigene Weltfremdheit auf
das Leben der Normalos.
Wider die Prediger einer Monokultur
Insbesondere
Bevölkerungswissenschaftler haben in den vergangenen Jahren
immer wieder die Polarisierungsthese missbraucht, um das
Zurückdrängen der Kinderlosen zu rechtfertigen
. Ob es sich um
Herwig BIRG oder Jürgen DORBRITZ handelt. Immer wird die
Zwei-Kinder-Familie zur Richtschnur erhoben. Während
BIRG dieses Ideal direkt aus der Bestandserhaltungszahl von 2,1
ableitet, sieht DORBRITZ dieses Ideal aufgrund der Kinderwünsche der
Bevölkerung gerechtfertigt. In beiden Fällen wird also die
Zwei-Kinder-Familie als ideale Familienform propagiert. Diese
Vorstellung des 2-Kinder-Sysstems galt den
Vermehrungstheoretikern der Weimarer Republik im übrigen bereits
als sicheres Indiz für den bevorstehenden Volkstod, was zeigt,
dass die Standards der Bevölkerungspolitiker nicht ein für alle
Mal festgeschrieben sind, sondern ständig neu zu begründen sind. KEIL
& BRUSCHEK fragen sich zu Recht, warum hierzulande nicht nur
Kinderlose, sondern auch Kinderreiche diskriminiert werden.
Generation Kinderlos
"Dass
es vielen Personen, die ständig die Kinder-Karte
ausspielen und auf Nachwuchs drängen, nicht wirklich um
»das Wohl der Kinder«, »die Zukunft unseres Landes« oder
»das Normalste auf der Welt« geht, zeigt sich nicht
zuletzt daran, dass Kinderreiche mindestens ebenso
kritisch beäugt werden wie wir. Erwünscht ist die
Normfamilie im 08/15-Format, sonst nichts. Lebensentwürfe
ohne oder mit mehr als drei Sprösslingen sind vielen
Menschen einfach suspekt."
(2008, S.39) |
Der Soziologe Hans BERTRAM
sieht das Hauptproblem des Geburtenrückgangs in der
BMFSJ-Gutachten
Die Mehrkinderfamilie in Deutschland nicht in der
Zunahme der Kinderlosen, sondern im Rückgang der
Mehrkinder-Familie. Insbesondere die Drei-Kind-Familie ist nach
einer aktuellen Studie im Vergleich mit anderen europäischen
Staaten in Deutschland besonders stark zurück gegangen.
Die Mehrkinderfamilie in Deutschland
"Manche Autoren sehen
in der steigenden Kinderlosigkeit in Deutschland mit
angeblich 36 Prozent eine der Hauptursachen für die
geringen Geburtenraten in Deutschland (Adema OECD 2007).
So überzeugend solche Thesen zunächst auch zu sein
scheinen, so halten sie empirischen Überprüfungen nicht
stand. Vergleicht man ausgewählte europäische Länder mit
unterschiedlichen Geburtenraten, so zeigt sich, dass die
Geburtenentwicklung in Deutschland im Wesentlichen durch
das Verschwinden der Mehrkinderfamilie geprägt ist."
(2008, S.5)
"Die
entscheidende Abweichung von der europäischen Entwicklung
liegt in Deutschland bei der Familie mit drei Kindern."
(2008, S.7) |
In der ersten Auflage des
Buches Die Single-Lüge aus dem Jahr 2006 wird
deshalb folgendermaßen
für einen Lebensstilpluralismus plädiert:
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte:
voraussichtlich ab Herbst in einer aktualisierten und
erweiterten 2. Auflage verfügbar
"In einer funktional-differenzierten Gesellschaft
sollten Kinderlose genauso selbstverständlich sein wie
Kinderreiche. Warum sollten sich unterschiedliche
Lebensformen, mit ihren jeweils spezifischen Potenzialen
nicht sinnvoll ergänzen können? Solange jedoch in Singles
nur eine Bedrohung und nicht auch eine Chance gesehen
wird, leben wir in einer blockierten Gesellschaft, in der
wichtige Energien gebunden sind, die bei den anstehenden
Herausforderungen fehlen werden."
(2006, S.254) |
Die dritte Generation Kinderlos: Ist
wirklich nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
verantwortlich für die AkademikerInnen-Kinderlosigkeit?
Im Vorfeld der
Bundestagswahl 2005 erschien im Spiegel der Artikel
Generation Kinderlos im Rahmen der Serie Wege aus der Krise.
Offenbar leitet sich daraus auch der Titel des Buches von KEIL & BRUSCHEK ab. In dem Artikel wurde behauptet, dass fast nirgendwo
in Westeuropa die Geburtenrate niedriger sei als in Deutschland
und vor allem Akademiker oft ohne Nachwuchs bleiben würden.
Generation Kinderlos
"Rund ein Drittel der
Frauen der Jahrgänge 1960 bis 1967 ist kinderlos. Unter
den Akademikerinnen dieser Altersgruppe liegt der Anteil
sogar bei 38 Prozent. Die Elite der Republik reproduziert
sich nicht.
Damit verliert der Generationenvertrag seine
Geschäftsgrundlage - die Einzahler ins Rentensystem. Der
gesamte Wohlstand gerät in Gefahr. Denn bleibt der
Nachwuchs aus, fehlt es an Steuerzahlern, an Fachkräften,
vor allem an Verbrauchern, was heute schon spürbar ist."
(Julia Bonstein/Alexander Jung/Merlind
Theile im Spiegel Nr.31 vom 12.09.2005, S.63) |
Auch KEIL & BRUSCHEK sind
der Meinung, dass AkademikerInnen in Deutschland besonders oft
kinderlos seien. Tatsächlich scheint der Anteil in
Westdeutschland höher zu sein als in den neuen Bundesländern.
Dafür sprechen insbesondere die Untersuchungen von Michaela
KREYENFELD & Dirk KONIETZKA. Aber die Datenlage ist mehr als
dürftig. Kaum ein anderes westeuropäisches Land ist datenmäßig
so rückständig wie Deutschland. Man muss von einem Daten-GAU
sprechen
. Aktuell behauptet der Münsteraner Ökonom Rainer
HUFNAGEL, dass AkademikerInnen seit Mitte der 1990er Jahre mehr
Kinder bekommen als schlechter gebildete Frauen. Möglicherweise
wird also das Kinderkriegen nicht zerredet, sondern die Gruppe
der AkademikerInnen kann ihre Interessen nur besonders gut
artikulieren. Sie tut es, indem diese Gruppe die Kinderlosigkeit
in ihren eigenen Reihen besonders hochspielt. So wurden z. B bis
2005 in der öffentlichen Debatte 40jährige und ältere
Akademikerinnen den lebenslang Kinderlosen zugerechnet
. Dafür spricht auch die
Tatsache, dass in den deutschen Parteien der gesellschaftlichen
Mitte AkademikerInnen überrepräsentiert sind. Unabhängig
davon wie hoch nun der Anteil der Kinderlosen in Deutschland
wirklich ist und unabhängig davon welchen Anteil die
AkademikerInnen daran haben: Die demografische Debatte
verhindert, dass die Ursachen der Kinderlosigkeit und die Gründe
der Kinderlosen ausreichend berücksichtigt werden. Eine
Tabuisierung dieser Sachverhalte ist schädlich
. Hier muss KEIL & BRUSCHEK ohne wenn und aber zugestimmt werden.
In
den Kapiteln Die Vielfalt der Lebensentwürfe und Gute
Gründe für ein Tabu werden die Motive der Kinderlosigkeit
ausführlich zur Debatte gestellt. Unter anderem wird der Ansatz
von Christine CARL dargestellt, dem hier bereits ein eigener
Beitrag gewidmet wurde
. KEIL & BRUSCHEK ordnen ihr eigene
Entscheidung in der Kinderfrage mit Hilfe der Kategorien von
CARL in der "Grauzone zwischen Aufschiebern und Spätentscheidern"
ein. Torsten SCHRÖDER fasst das deutsche Dilemma in dem
ausgezeichneten Buch
Ein Leben ohne Kinder folgendermaßen
zusammen:
Geplante Kinderlosigkeit? Ein
lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell
"die
aktuelle Kinderlosigkeit (ist) nicht gewollt, sondern das
Resultat eines immer wiederkehrenden »flexiblen«
Aufschiebens des Kinderwunsches (...). Wenn über die
gesamte Fertilitätsphase hinweg ungünstige
Rahmenbedingungen für eine Elternschaft herrschen, führt
dies unbeabsichtigt dazu, dass das Zeitfenster zur
Realisierung einer Elternschaft in der individuellen
Lebensplanung Schritt für Schritt immer kleiner wird, bis
- angesichts des Alters - die eigentlich gewünschte
Elternschaft aufgegeben werden muss."
(aus: Ein Leben ohne Kinder 2007, S.396) |
Eine Reduzierung der
Kinderfrage auf das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie oder das Problem der Arbeitsteilung zwischen den
Geschlechtern geht jedoch an den Realitäten vorbei. Bereits
die Partnerwahl und die Vereinbarkeit von Partnerschaft und
Beruf haben Einfluss auf die Familiengründung. Aufgrund der
Anforderungen der Arbeitswelt wird bereits die Gründung eines
gemeinsamen Paarhaushalts zum Problem
. Eine Politik, die Singles
bestraft und Familien fördert wäre also kontraproduktiv. Bei
KEIL & BRUSCHEK finden sich dazu zahlreiche Beispiele.
Im
Kapitel über die Heuchelei von Politik und Wirtschaft
zeigt das Ehepaar die widersprüchlichen Erwartungen auf, die von
Politik und Wirtschaft an die Bürger herangetragen werden.
Neoliberalismus, Konsumieren als Bürgerpflicht und gleichzeitig
Sparen für das Alter und Familiengründung. Wie das alles
zusammen gehen soll, das bleibt dem Einzelnen dank
Eigenverantwortung selber überlassen.
Generation Kinderlos
"Heute
sind die Ansprüche an das Volk höchst widersprüchlich: Wir
sollen kräftig konsumieren und fleißig Familien gründen.
Alle paar Jahre neue Autos und teure Elektroartikel
anschaffen, aber auch immer mehr soziale Aufgaben privat
übernehmen. Durch Festanstellungen Renten sichern,
andererseits die Sozialkassen durch Selbständigkeit
entlasten und uns um eine individuelle Altersvorsorge
kümmern. Mehr lernen und leisten, aber auch mehr bezahlen
für Schulen, Universitäten, Bibliotheken."
(2008, S.103) |
Wer lebt auf wessen Kosten?
Familienfundamentalisten
berufen sich meist auf das Rentensystem, wenn es um die Vorteile
der Kinderlosen geht. Nach ihrer Ansicht ist dies eine
Versicherung gegen Kinderlosigkeit. Die Kinderkosten würden
privatisiert, die Kosten der Kinderlosigkeit dagegen
sozialisiert
. Forderungen nach einer Rente nach Kinderzahl
treten langsam aber sicher aus dem Dunstkreis des Reaktionären
heraus und machen sich in gemäßigter Form in der
gesellschaftlichen Mitte breit. Populismus ist längst keine
Sache von Rechts und Links mehr. KEIL
& BRUSCHEK setzen dieser Sichtweise Modellrechnungen entgegen,
die belegen, dass Kinderlose keineswegs auf Kosten der Eltern
leben. Sie weisen darauf hin, dass es für den Staat eine
finanzielle Katastrophe wäre, wenn sich plötzlich 300.000
Kinderlose zum Kinderkriegen entschließen würden. Der
Finanzminister ist heilfroh, dass es Kinderlose gibt, die den
Staat entlasten und viel Geld einbringen. Tatsächlich
sind die familienbezogenen Leistungen und Maßnahmen des
Staates äußerst intransparent. Eine aktuelle Auflistung der
Leistungen und Maßnahmen vom Februar dieses Jahres umfasst
allein 154 Positionen. Und darin sind die neuen Leistungen wie
das Elterngeld noch gar nicht enthalten. KEIL & BRUSCHEK geht es
nicht um sinnlose Aufrechnungen, sondern um eine sachlichere
Debatte. Kinderkriegen ist keine Leistung an sich und
Kinderlosigkeit keine Verantwortungslosigkeit oder gar Egoismus.
Gesellschaftlich wertvoll sind beide und auch Egoismus ist in
beiden Gruppen verbreitet. Dies belegen sie eindrucksvoll im
Kapitel Das Märchen vom Egoismus. Kinderlosigkeit hat genauso
seine Vor- und Nachteile wie eine Elternschaft. Man kann als
Kinderloser sowohl glücklich als auch unglücklich sein, genauso
wie man als Vater oder Mutter beides sein kann. Eltern sind
keine besseren Menschen und Kinderlose nicht die Bösen an sich
. Vielleicht sollte man hier darauf hinweisen, dass ja alles auch
anders gekommen sein könnte. Was wäre geschehen, wenn sich das
Fortpflanzungsverhalten in den 1960er Jahren nicht geändert
hätte
? Würde dann heute die Bestrafung von Eltern diskutiert
werden?
Wer heute die Bestrafung von Kinderlosen fordert, der könnte
übermorgen schon Opfer seiner eigenen Forderungen werden. Vielleicht haben es manche bereits vergessen. Die Rente nach
Kinderzahl wurde in den 1970er Jahren von Theodor SCHMIDT-KALER
vertreten. Sein Modell der "bevölkerungsdynamischen Rente" sah
die Regulierung der Fortpflanzung anhand der
Nettoreproduktionsrate vor (Nach diesem Konzept von
SCHMIDT-KALER sollten EHEpaare deshalb 2,5 Kinder bekommen. Dies entsprach damals
nach Berechnungen des Autors einer Nettoreproduktionsrate von
1,0 und war damit bestandserhaltend ). Würde die Bevölkerung zu
stark wachsen, dann würden nicht mehr Kinderlose, sondern Eltern
bestraft. Das nannte sich damals Rentengesetzgebung als Instrument zur rationalen Steuerung und
Rückkopplung des Bevölkerungsprozesses, so auch der
gleichnamige Titel eines Beitrags in der Zeitschrift für
Bevölkerungsforschung (Heft 1/1978). Bert RÜRUP kritisierte
dieses Modell scharf, weil erstens die Fortpflanzung nicht in
Abhängigkeit rentenpolitischer Beitragssätze zu regulieren sei.
Selbst wenn dies irgendwie gelänge, müssten bei starkem
Wachstum der Bevölkerung Eltern für ihre zu vielen Kinder
bestraft werden. Nachzulesen ist das in der Beilage zur
Wochenzeitung das Parlament vom 07.07.1979. KEIL & BRUSCHEK wehren sich also mit Recht dagegen, dass
Kinderlose bestraft werden, statt Familien gefördert. Den Sinn
und Zweck ihrer Modellrechnungen erläutern sie folgendermaßen:
Generation Kinderlos
"Wir
behaupten nicht, die Retter der Familie, wohltätige
Samariter oder selbstlose Spender zu sein. Wir empfinden
es nicht als Zumutung, die Gemeinschaftstöpfe zu füllen.
Aber wir möchten auch nicht als Schmarotzer und
Spielverderber dargestellt werden."
(2008, S.86f.)
"Höchstwahrscheinlich
handelt es sich bei der Frage nach den finanziellen
Leistungen auf lange Sicht ohnehin um ein Nullsummenspiel
- beide Seiten geben und nehmen, und zwar nicht zu knapp."
(2008, S.88) |
Der Nutzen von Kinderlosen für die Gesellschaft
Im Kapitel Prädikat:
gesellschaftlich wertvoll zeigen KEIL & BRUSCHEK auf, dass
es ohne das soziale Engagement schlecht um diese Gesellschaft
bestellt wäre, denn soziales Bewusstsein, so ihre These, setzt
keinesfalls Mutter- und Vaterschaft voraus. Wer wollte auch
schon dem Dalai Lama oder Mutter Theresa Hedonismus nachsagen
oder den Einsatz von Albert SCHWEIZER schlecht reden wollen? Was
wäre die Renaissance ohne MICHELANGELO gewesen? Während diese
Menschen im Lichte der Öffentlichkeit stehen oder standen, gilt
für die meisten Kinderlosen, dass sie unter Ausschluss der
Öffentlichkeit für die Gesellschaft von Nutzen sind. Einer
Pflicht zur Fortpflanzung, wie sie z.B. von Herwig BIRG
vertreten wird, erteilen KEIL & BRUSCHEK eine Absage.
Generation Kinderlos
"Wenn
es überhaupt eine Pflicht für jeden von uns, egal ob mit
oder ohne Nachwuchs, gibt, dann die zur Mitmenschlichkeit,
zur Achtung der Würde der Anderen. Was nun einmal nichts
damit zu tun hat, ob man Single, Ehepartner, Mutter oder
Vater ist. Welchen Wert jemand für die Gesellschaft hat,
lässt sich jedenfalls nicht am Familienstand messen. Wann
aber ist eine Person wertvoll für ihr Umfeld? Darüber kann
man stundenlang diskutieren und zu völlig
unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Und solange Eltern
nicht als Retter des Vaterlands glorifiziert und
Kinderlose als »Staatsfeinde« betrachtet werden, ist das
auch völlig in Ordnung"
(2008, S.97) |
Fazit:
Wer dieses Buch gelesen hat, der wird sich nicht mehr vor den
Karren derjenigen spannen lassen, die Eltern und Kinderlose
gegeneinander ausspielen wollen
Momentan ist es still an
der Zeugungsstreik- und Gebärstreik-Front. Je näher aber die
nächste Bundestagswahl rückt, desto mehr wird die Debatte um den
Geburtenrückgang wieder entflammen. Das Buch von KEIL & BRUSCHEK
liefert wertvolle Argumentationshilfen für alle diejenigen, die
im Lebensstilpluralismus keine Gefahr, sondern einen Fortschritt
sehen. Dem Buch ist deshalb eine möglichst große Leserschaft zu
wünschen.
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