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Vorbemerkung
Die Rente steht seit Jahrzehnten vor dem Kollaps.
Immer ist es die Altenlast, die zum Bankrott führen soll. Aber
stimmt das überhaupt? Die folgende Bibliografie soll zeigen,
dass der ewig währende Zusammenbruch des Rentensystems viele
Ursachen hat, der demografische Wandel ist bislang kein Faktor
gewesen. Der Zusammenbruch wurde bereits auf das Jahr 2000, auf
2010, auf 2020 und nicht zuletzt auf das Jahr 2030 datiert. Das
Rentensystem hat sich tatsächlich verändert, aber war das eine
Notwendigkeit der demografischen Entwicklung? Man darf das
bezweifeln, wenn man die Debatte über die Jahrzehnte verfolgt
und mit den Fakten vergleicht. Das soll diese Dokumentation
ermöglichen. Die Kommentare spiegeln den Wissensstand des Jahres
2014 wieder.
Kommentierte Bibliografie (Teil 3 - Die
1990er Jahre)
1992
LEISERING,
Lutz (1992): Sozialstaat und demographischer Wandel.
Wechselwirkungen, Generationenverhältnisse,
politisch-institutionelle Steuerung, Frankfurt a/M/New York:
Campus Verlag
1993
BORCHERT, Jürgen
(1993): Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?
Frankfurt a/M: Fischer Verlag
"Die Frage nach der
Finanzierbarkeit der Alten beherrscht die Schlagzeilen der
Sozialpolitik. Unausweichlich erscheint nach der
Bevölkerungsstatistik und den Prognosen die Verdoppelung des
»Altenquotienten«, also der
Zahl 60jähriger und älterer je 100 20- bis 59jährige bis zum
Jahre 2030; er steige von 35,2 im Jahr 1990 auf dann 72,7, sagen
die Bevölkerungswissenschaftler. Müssen die Rentenbeiträge
verdoppelt werden? Steigen die Krankenversicherungsbeiträge um
die Hälfte oder sogar noch mehr? Wie sollen die Pflegelasten
bewältigt werden? Droht die demographische Katastrophe?
Es gibt nicht wenige Szenarien und Prognosen, die dies für
wahrscheinlich halten,
glaubt der
Sozialrichter
Jürgen BORCHERT, ein Schüler des
Nestor der katholischen Soziallehre. Er nutzt die Debatte um
seine Familienausbeutungsthese in Stellung zu bringen. 20 Jahre
später, also 2010 ist der Altenquotient von damals 35,2 auf 47,6
gestiegen und ist damit von einer Verdoppelung weit entfernt.
Nicht berücksichtigt ist dabei, dass sich die Anzahl der
Erwerbstätigen erhöht hat. Merkwürdigerweise erkennt BORCHERT
zwar, dass von einer Alterung zum damaligen Zeitpunkt keine Rede
sein kann, wenn er schreibt:
"So erleben
wir heute die stark gesunkene Geburtenrate während des Ersten
Weltkriegs und die millionenfachen Todesfälle im Zweiten
Weltkrieg als deutlich verminderte Altenlast. Ebenso sind die
Lehrstellenkrise Anfang der 80er Jahre und die Studentenlawine
Ende der 80er Jahre Folge der bis Ende der 60er Jahre stark
gestiegenen Geburtenzahlen." (S.66)
Nicht die
Zunahme der Rentner ("Altenlast"), sondern die Zunahme der
Rentenbezugsdauer aufgrund der Frühverrentungspraxis und der
gestiegenen Lebenserwartung ist für BORCHERT das Problem. Die
Rentenbezugsdauer hat sich jedoch erst nach 1985 stärker erhöht.
Die genauen Ursachen lassen sich aufgrund der präsentierten
Tabelle nicht erkennen. Welchen Anteil trägt dabei die
Wiedervereinigung? Das bleibt bei BORCHERT unbeantwortet
BORCHERT
beschwört dagegen die Altersarmut von Müttern, wobei er sich
nicht scheut 10 Jahre (1982) bzw. 20 Jahre (1972-1974) alte
Daten zu präsentieren. Daten aus dem Jahr 1991 betreffen die
Frauenjahrgänge 1919-1921, also ca. 70jährige Frauen.
Im Kapitel
Lieber Karriere, als Zeit mit Kindern verplempern,
kritisiert BORCHERT den Uniprofessor Gunnar HEINSOHN.
Kinderlose,
deren Anteil er mit 30 Prozent lebenslang Kinderlosen stark
überschätzt, sieht BORCHERT in der Haftung. Aufgrund eines
Artikels des kinderlosen GEO-Journalisten Reiner KLINGHOLZ,
der seinen maßlosen Yuppie-Alltag beschrieben hat, schließt
BORCHERT: "Weniger Kinder = mehr Umweltzerstörung"
Im Hinblick
auf das sog. "Müttermanifest" diskutiert BORCHERT den
Irrweg
Frauenemanzipation und fordert:
"Nicht:
Anpassung der Frauen an die Männerwelt durch Erwerbsfixierung -
sondern: Anpassung der Männerwelt an die
Reproduktionsnotwendigkeiten durch die Relativierung der
Erwerbsarbeit."
Nur bleibt
BORCHERT die Antwort schuldig wie sein
katholischer
Sozialstaat die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
verbessern soll, statt zu verhindern.
1994
CONRAD, Christoph (1994): Vom Greis zum Rentner. Der
Strukturwandel des Alters in Deutschland zwischen 1830 und 1930,
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht
Der Historiker CONRAD
erläutert, dass die Altersgrenze 60 lange Zeit in amtlichen
Statistiken dominierte:
"Bis
zum Ersten Weltkrieg orientierten sich (...) amtliche Stellen
hauptsächlich an der Altersgrenze 60. In erster Linie ist die
offizielle Alters-Definition der preußischen Statistik
anzuführen: Bereits in den Verfügungen zu Beginn des 19.
Jahrhunderts wurde das vollendete 60. Lebensjahr für die
Zählungen der Bevölkerung als oberste Einteilung festgelegt. Die
Altersklassen der Jugendlichen und Erwachsenen entsprachen
ausdrücklich dem staatlichen Interesse an der Überwachung der
Schul-, Militär-, Landwehr- und Steuerpflichtigen und waren
deshalb wesentlich differenzierter.
(...).
Die administrative Grenzziehung, die sich in verschiedenen
Kontexten am 60. Geburtstag finden läßt, scheint mit
alltäglichen Auffassungen von einer dann beginnenden Schonfrist
für das Alter korrespondiert zu haben." (1994, S.49f.)"
Das Renteneintrittsalter in
der BISMARCKschen Rentenversicherung lag dagegen zuerst bei 70
Jahren und wurde erst ab 1916 auf 65 Jahre herabgesetzt. Den
Strukturwandel des Alters macht CONRAD an den Begriffen "Greis"
und "Rentner" fest. Dabei verweisen die beiden Begriffe für
CONRAD auf Klassenunterschiede (Bürger statt Arbeitnehmer)
und den Unterschied zwischen privater ("Greis") und öffentlicher
("Rentner") Altersversorgung.
1996
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Schlaraffenland
abgebrannt.
Die Pleite des Sozialstaats |
SPIEGEL (1996):
Pleite im Paradies.
Geburtenrückgang und Arbeitslosigkeit haben die sozialen
Sicherungssysteme verwüstet - der Sozialstaat bisheriger Prägung
ist am Ende. Die Rente ist unsicher, niemand weiß, womit
Arbeitslosengeld, Pflegehilfe und Krankengeld in Zukunft bezahlt
werden sollen. Die Gewerkschaften befürchten das Schlimmste:
Kapitalismus pur,
in:
Spiegel Nr.20 v.
13.05.
SPIEGEL (1996):
"Ein Luftschloß zerfällt".
Problemfall Rente: Experimente mit der Altersversorgung haben
gefährliche Nebenwirkungen,
in:
Spiegel Nr.20 v.
13.05.
"Wegen der längeren
Lebenserwartung und der geringen Geburtenrate der Deutschen
wird die Rentenlast in absehbarer Zeit untragbar. 1994
mußten jeweils 100 Beitragszahler 46 Rentner unterhalten, im
Jahr 2030 werden es 96 Rentner sein. Der
Nell-Breuning-Schüler
Jürgen
Borchert: »Ein Luftschloß zerfällt.«"
erklärt uns der Spiegel
und präsentiert die Kinderlosen als Verursacher der
Rentenmisere:
"Das funktionierte
unauffällig, solange die meisten wirklich noch Kinder
hatten. Doch immer mehr Deutsche haben sich dieser
Doppelbelastung entzogen. Seither gibt es in diesem System
Gewinner, die Kinderlosen, und Verlierer, die mit ihrem
Nachwuchs die Renten der Kinderlosen garantieren sollen."
1997
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Die Rentenreform.
Wie die Alten die Jungen ausplündern |
SPIEGEL (1997):
"Sie liegen hinterm Busch".
Tritt Norbert Blüm zurück? Scheitert seine Rentenreform? In
hektischen Sitzungen versucht die Union, die schwelende Krise zu
bereinigen. Das System Kohl ächzt und knirscht - und halblaut
denken Parteifreunde über die Zeit ohne Helmut Kohl nach,
in:
Spiegel Nr.6 v.
03.02.
SPIEGEL (1997):
Auf Kosten der Jungen.
Die Rentenversicherung wird reformiert - und wie: Die Jungen
zahlen in Zukunft höhere Beiträge und erhalten im Alter
niedrigere Renten. Droht ein neuer Generationenkonflikt?
in:
Spiegel Nr.6 v.
03.02.
"Im
Jahr 2030 wird die Gruppe der über 65jährigen an der
Gesamtbevölkerung von jetzt 15,4 Prozent auf 26,7 Prozent
steigen. Über 60 Jahre wird dann sogar jeder dritte Deutsche
sein.
Umgekehrt schrumpft die Zahl der unter 60jährigen um etwa ein
Viertel. Immer weniger Junge müssen also immer mehr Alte
ernähren, deren Lebenserwartung zudem steigt. Die Menschen leben
heute im Schnitt rund eineinhalb Jahre länger als vor zehn
Jahren - und sie kassieren entsprechend länger Rente.
Weitere Trends kommen erschwerend hinzu:
* Die Alten gehen immer früher in den Ruhestand; das verlängert
ihre Rentenzeit noch weiter.
* Die Jungen kommen, weil sie studieren oder nach der Ausbildung
zunächst auf der Straße stehen, zunehmend später in den Beruf.
* Immer mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter werden arbeitslos,
andere finden nur geringfügig entlohnte Jobs oder machen sich
selbständig."
beschreibt der Spiegel
den Zwang zur Rentenreform. Dabei wird der demografische Wandel
als Tatsache beschrieben, während die gegenwärtigen Probleme
dagegen auf nicht-demografischen Faktoren beruhen, die angeblich
die Trends NUR erschweren, obwohl sie das eigentliche Problem
darstellen. Hinzu kommt, dass den Beitragszahlern
versicherungsfremde Leistungen aufgebürdet werden, die
eigentlich Sache des Steuerzahlers wären:
"Immer
schon stand die Rentenversicherung auch für Leistungen ein, die
nicht durch Beiträge begründet waren. Wie etwa: Zeiten der
Berufsausbildung werden ohne Eigenleistung rentensteigernd
gewertet; um die Arbeitslosigkeit zu begrenzen, erhalten
Frührentner halbwegs auskömmliche Bezüge; der Lebensstandard der
Ostrentner wird von der Rentenversicherung garantiert. Das alles
sind "versicherungsfremde" Leistungen.
Um die zu bezahlen, beteiligt sich der Bund an den
Rentenausgaben mit einem Staatszuschuß. Ob die
versicherungsfremden Leistungen 34 Prozent der Rentenausgaben
betragen, wie die Rentenversicherer behaupten, oder deutlich
weniger, darüber streiten die Experten. Unbestritten aber ist,
daß der Staatszuschuß von etwa 20 Prozent der Rentenausgaben die
Kosten nicht vollständig abdeckt."
Fazit: Man kürzt die
Einnahmen, bürdet den Beitragszahlern zusätzliche Lasten auf,
die mit der Rentenversicherung nichts zu tun hat und schiebt die
Probleme auf einen zukünftigen demografischen Wandel, dessen
Entwicklung alles andere als gewiss ist.
Der Spiegel sorgt sich
um die private Altersvorsorge, die das Rentensystem ergänzen
soll. Sein Fazit:
"Ein
staatliches Modell kann das Problem jedenfalls nicht beseitigen,
und die private Vorsorge hilft nur bedingt. Eine Lösung wird es
nur geben, wenn es gelingt, durch Innovationen sowohl
Arbeitsplätze als auch hohe Kapitalerträge zu schaffen."
SPIEGEL (1997):
Geteiltes Leben.
Eine neue Formel für den Generationenvertrag: Die höhere
Rentenlast einer überalterten Bevölkerung sollen Alte und Junge
je zur Hälfte tragen,
in:
Spiegel Nr.6 v.
03.02.
Der Spiegel stellt die
von der Rürup-Kommision beplante Rentenformel vor, die statt der
Verlängerung der Lebensarbeitszeit kommen soll:
"Konsequent wäre es gewesen,
den Beginn der Rente hinauszuschieben und so die Laufzeit
konstant zu halten. Das aber hätte Tücken: Arbeiten die Alten
länger, stehen den Jungen weniger Jobs zur Verfügung - bei über
vier Millionen Arbeitslosen kein empfehlenswerter Weg."
Damit der Abstand zur
Sozialhilfe gewahrt bleibt, sollen die Beitragszahler die Hälfte
der Lasten tragen.
SCHLAMP,
Hans-Jürgen & Michael SCHMIDT-KLINGENBERG (1997): "Dann ist das
System weg".
Rentenexperte Meinhard Miegel über das Reformmodell Blüms, eine
Grundsicherung fürs Alter und das Ende der Arbeitsgesellschaft,
in:
Spiegel Nr.6 v.
03.02.
1999
NIEJAHR, Elisabeth (1999):
Stille Flucht aus dem System.
Warum die alte Rente keine Zukunft hat,
in:
Spiegel
Special, Heft 2, Februar
Ausgerechnet die Umstellung
des Rentensystems auf die Kapitaldeckung durch die
Militärdiktatur in Chile erklärt Elisabeth NIEJAHR
zum glänzenden Vorbild, dem wir leider nicht wie andere Staaten
folgen können (weil wir eine Demokratie sind?), weshalb nur eine
Teilprivatisierung der Altersvorsorge möglich bleibe.
Niederlande und die Schweiz gelten NIEJAHR für eine solche
abgespeckte Version als nachahmenswert.
Als Ursachen für die
notwendige Rentenreform nennt NIEJAHR jedoch
nicht den
Anstieg des Altenquotienten und damit den demografischen Wandel,
sondern den Rückgang der Beitragszahler, der vielerlei
Ursachen haben kann:
"Kamen in Deutschland im Jahr
1970 auf jeden Rentner noch 5,9 Beitragszahler, so waren es 1980
nur 4,5 - im Jahr 2030 werden es jedoch nur mehr 1,6 sein."
Als Ursache wird u. a. ein
Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze
genannt. Daneben wird die Aktie als Konkurrent zur staatlichen
Rente stilisiert:
"Je mehr Deutsche Aktien
besitzen und an der Börse Geld verdienen, desto mehr schwindet
das Verständnis für die schlappen Leistungen der gesetzlichen
Rentenkasse, erscheint die Alterssicherung in kapitalgedeckten
Systemen verlockender."
Seit dem Börsencrash nach der
Jahrtausendwende und der Finanzkrise rücken auch die von den
großartigen Renditeversprechungen verblendeten Anhänger der
Generation Laminat von ihren einstigen Hoffnungen auf
die Kapitaldeckung ab:
"Nehmen wir beispielsweise
Walter Riester.
Den kennt man von der »Riester-Rente«. Walter Riester war der
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der die Förderung
der freiwilligen Altersvorsorge durch eine Altersvorsorgezulage
vorschlug. Ich habe auch eine gekauft. Weil ich schlau sein
wollte. (...). Und weil ich den Aussagen Glauben schenkte,
wonach die gesetzliche Rentenkasse aufgrund des demografischen
Wandels nicht zukunftsfähig sei.
Dass mit der Rentenkasse
beispielsweise Kosten der deutschen Einheit abgedeckt wurden,
das war mir entgangen. Wie gesagt, es gab eine Zeit, da hielt
ich es für cool, so realitätsangepasst wie möglich zu sein"
(S.111),
bekennt Kathrin FISCHER. Ihr
Fazit aus dem Jahr 2012:
"Nach zehn Jahren
Riester-Rente ist die grundlegende Idee einer effizienten,
staatlich geförderten zusätzlichen privaten Altersvorsorge
erschüttert. (S.112f.)"
Altersarmut sieht Elisabeth
NIEJAHR nicht als Problem, wohlweislich mit dem Zusatz, dass
dies nur für die Gegenwart gelte. So etwas überliest man gerne.
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Die Baby-Lücke.
Geburtenrückgang mit dramatischen Folgen: Vergreisung,
Rentenkrise, Explosion der Gesundheitskosten |
REIERMANN, Christian & Ulrich SCHÄFER (1999):
Zwang zur Wende.
Das Gezerre um die Renten verschreckt Wähler und Regierung. Doch
das ist erst der Anfang: Weil Deutschland vergreist, wird die
Rentenversicherung unbezahlbar, und die Gesundheitskosten werden
explodieren. An einer wirklichen Reform der sozialen
Sicherungssysteme führt kein Weg vorbei - mit mehr Eigenvorsorge
und weniger staatlicher Fürsorge,
in:
Spiegel Nr.35 v.
30.08.
"Schon bei der letzten
Bundestagswahl war jeder dritte Wähler über 60 Jahre alt, und
mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich das Verhältnis zwischen
Jung und Alt um die Größe einer mittleren Großstadt. Das
Zeitfenster für eine Reform werde immer kleiner, sagt
Arbeitsminister Walter Riester: »Wir können es jetzt noch
schaffen, wenn nicht alles zerredet wird«",
malen die
Autoren das Bild einer Gerontokratie, während das Bild vom
schließenden Zeitfenster schnellstmögliche Reformen notwendig
macht, die nicht in Frage gestellt werden dürfen ("wenn nicht
alles zerredet wird").
"Denn die
Probleme einer kinderarmen Gesellschaft fallen in Deutschland
besonders krass aus. Die Zahl der Alten steigt, die Zahl der
Babys und damit der Beitragszahler von morgen nimmt laufend ab -
Deutschland vergreist (...). Die Folgen für die sozialen
Sicherungssysteme sind dramatisch. Wenn alles so weiterläuft,
wird sich die Krise der Rentenkasse bis 2020 dramatisch
verschärfen, spätestens im Jahre 2035 droht dann der endgültige
Ruin",
wenden die
Autoren jahrzehntelang veröffentlichte Sprachformeln an, die
längst nicht mehr hinterfragt werden. Nur dass der "endgültige
Ruin" Jahr um Jahr in weitere Ferne rückt. Die drohende
Vergreisung wird als Totschlagargument benutzt, um nicht in die
Details gehen zu müssen.
Eng verbunden
mit der Vergreisungsrhetorik ist der Begriff "Altenlast" der
suggeriert, dass die Demografie entscheidend sei. Dabei bleibt
oft unklar, was genau damit gemeint wird:
"Das System
hat Bestand, so lange das Verhältnis von Einzahlern und Rentnern
konstant bleibt. Genau das ist nicht mehr der Fall: Schon jetzt
kommen auf einen Ruheständler nur noch knapp drei Arbeiter,
Mitte des nächsten Jahrtausends wird das Verhältnis eins zu eins
sein",
heißt es
lapidar. Wie haben andere Länder das Finanzierungsproblem der
Alterssicherung gelöst? Der internationale Vergleich ist hier
angesagt, wobei nie die ganze Palette betrachtet wird, sondern
nur ein paar Länder in den Blick geraten. REIERMANN & SCHÄFER
blicken nach Schweden und die Schweiz als demokratische
Vorbilder, während das "autokratische" Chile als Negativbeispiel
angeführt wird.
Das gleiche
Spiel wird auch bei der Pflegeversicherung gespielt, bei der es
um den steigenden Pflegebedarf und die "Kostenexplosion" geht:
"Die
Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen erfordert etwa das
Vierfache und die Gruppe der 80-Jährigen sogar das Sechsfache an
Behandlungskosten wie die Gruppe der bis 14-Jährigen. Und die
Pflegeversicherung gerät in Finanznot, wenn die Zahl der über
80-Jährigen, wie zu erwarten, von jetzt rund drei auf mindestens
fünf Millionen bis 2030 und auf gar zehn Millionen bis 2050
ansteigt."
DETTMER, Markus & Hajo
SCHUMACHER (1999):
"Wir haben keine Zeit mehr".
Arbeitsminister Walter Riester über die Rentenreform, die Kritik
aus den eigenen Reihen und den Widerstand der CDU,
in:
Spiegel Nr.35 v.
30.08.
MARTENS, Heiko/PAULY, Christoph/SCHMID, Barbara/STOLDT,
Hans-Ulrich/WIEGREFE, Klaus (1999):
Der Kinder-Crash.
Die Deutschen werden immer älter - und es werden immer weniger.
Wissenschaftler sehen im fehlenden Nachwuchs eine der größten
Gefahren der kommenden Jahrzehnte - nicht nur in Deutschland:
Eine chronische, weltweite Wirtschaftskrise droht. Doch die
Politik schaut lieber weg,
in:
Spiegel Nr.35 v.
30.08.
"Wenn die Lebenserwartung
weiter wachse wie bisher, »wofür alles spricht«, und die
Geburtenhäufigkeit nicht »dramatisch auf zwei Kinder pro Frau
zunimmt, wofür nichts spricht, wird das System der sozialen
Sicherung zusammenbrechen, es ist dann nicht mehr reformierbar«,
prognostiziert der Bielefelder Bevölkerungsforscher Herwig Birg.
(...). Dass die Bevölkerung einerseits schrumpft und
andererseits altert, ist gewiss. Die Folgen sind es, wenn nicht
Radikales geschieht, auch: (...). Das gesamte System der
sozialen Sicherheit implodiert",
erklären die Autoren den
Sachzwang, der sich aus der angeblich ganz sicheren
Bevölkerungsentwicklung ergibt, die folgendermaßen dramatisiert
wird:
"Ohne
Zuwanderung aus dem Ausland wird die deutsche Bevölkerung
deshalb von jetzt gut 82 Millionen schon in 30 Jahren auf 65
Millionen abnehmen. Am Ende des nächsten Jahrhunderts würden
gerade mal noch 22 Millionen Einwohner die Bundesrepublik
bevölkern.
Selbst wenn wieder mehr Kinder geboren werden und im Schnitt pro
Jahr 225 000 Menschen zuwandern, sinkt die Bevölkerung deutlich,
in den nächsten 50 Jahren um immerhin zehn Millionen.
»Auf
Jahrzehnte hinaus ist die Bevölkerungsschrumpfung nicht mehr zu
stoppen, geschweige denn umzukehren«,
sagt Bevölkerungsforscher Birg. Die Deutschen, so Birg, hätten
nur die Wahl zwischen
»dramatischer
Bevölkerungsschrumpfung«
und
»dramatisch
zunehmender Einwanderung«.
Das eine ist ökonomisch, das andere politisch schwer zu
verkraften."
zitieren die Autoren den
nationalkonservativen Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG.
Was BIRG nicht auf dem Radar hatte: die Finanzkrise und die
dadurch ausgelöste Völkerwanderung in Europa.
Die Folge: Deutschlands Bevölkerung wächst seit Jahren wider
jegliche Prognose.
NIEJAHR, Elisabeth (1999): Arme Junge, Reiche Alte.
Eine echte Rentenreform muss
die Rentner zur Kasse bitten,
in: Die ZEIT
Nr.43 v. 11.10.
"Die beste Voraussetzung für
eine große Reform wäre, klar und offen zu sagen, wo die Probleme
liegen. Länder wie Norwegen und die
Vereinigten Staaten führten deshalb offizielle
Generationenbilanzen ein. Sie geben an, welche Gesetze und
Programme jeweils Alt und Jung begünstigen", meint Elisabeth
NIEJAHR.
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