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Vorbemerkung
Die Rente steht seit Jahrzehnten vor dem Kollaps.
Immer ist es die Altenlast, die zum Bankrott führen soll. Aber
stimmt das überhaupt? Die folgende Bibliografie soll zeigen,
dass der ewig währende Zusammenbruch des Rentensystems viele
Ursachen hat, der demografische Wandel ist bislang kein Faktor
gewesen. Der Zusammenbruch wurde bereits auf das Jahr 2000, auf
2010, auf 2020 und nicht zuletzt auf das Jahr 2030 datiert. Das
Rentensystem hat sich tatsächlich verändert, aber war das eine
Notwendigkeit der demografischen Entwicklung? Man darf das
bezweifeln, wenn man die Debatte über die Jahrzehnte verfolgt
und mit den Fakten vergleicht. Das soll diese Dokumentation
ermöglichen. Die Kommentare spiegeln den Wissensstand des Jahres
2014 wieder.
Kommentierte Bibliografie (Teil 4 - Die
Jahre 2000 - 2005)
2001
ULRICH, Volker & Winfried SCHMÄHL (2001): Demographische
Alterung in Deutschland - Ein Überblick, in: Dieselben
(Hg.) Soziale Sicherungssysteme und demographische
Herausforderungen, Tübingen: Mohr Siebeck, S.1-19
"Angesichts dieser
langfristig stabilen Zusammenhänge enthält die Prognose bis
zum Jahr 2050 (...) keine Überraschungen. Als wahrscheinlich
wird die Entwicklung angesehen, daß die gegenwärtige
Geburtenhäufigkeit in den alten Bundesländern auch zukünftig
Gültigkeit besitzt",
erläutern ULRICH & SCHMÄHL
angesichts der
9.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2000.
Damit folgen die Autoren unkritisch der konservativen Sicht
des Statistischen Bundesamtes, die sich gegen die Sicht der
UN, die einen Anstieg der Geburtenrate (TFR) auf 1,5 bzw. 1,6
bis zum Jahr 2050 annimmt. Tatsächlich hat bislang noch kein
einziger Frauenjahrgang nur eine Geburtenrate (CFR) von 1,4
erreicht.
2002
BEUTLER, Annette u.a.
(2002):
Der grosse Versprecher.
In vier Jahren hat Rot-Grün unter Gerhard Schröder einiges
angepackt, aber bei den großen Themen Arbeitslosigkeit,
Gesundheit und Aufbau Ost versagt,
in:
Focus Nr.28 v.
08.07.
"Den von Vorgänger Norbert
Blüm eingeführten »demographischen Faktor« wollte Riester
abschaffen, weil er das Rentenniveau zu stark senke. Nun heißt
das Instrument anders, der Abschlag aber ist stärker",
schreiben die Autoren zur
Riester-Reform. Die Verlierer-Generation dieser Rentenreform
wird von den Autoren bei den 40Jährigen ausgemacht, weil sie
mehr Beiträge zahlen müssen, und dafür weniger staatliche
Rente bekommen sowie nicht genügend Zeit um Aufbau einer
privaten Altersvorsorge haben.
BONDE, Kerstin
(2002): Demographischer Balanceakt.
Leidartikel,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.07.
Im Vorfeld der
Bundestagswahl, in der der FAZ die Folgen der
demografischen Entwicklung nicht genügend zur Sprache
gebracht werden, kündigt uns Kerstin BONDE nun eine
Artikelserie an, die dies korrigieren möchte:
"Die alternde
Bevölkerung (...) wirkt sich (...) auf das Wachstum der
Wirtschaft, auf Investitions- und Konsumentscheidungen,
auf die Finanzmärkte, auf Steuereinnahmen und auf die
Transferzahlungen zwischen den Generationen aus. Mit
diesen umfassenden Folgen der demographischen Entwicklung
befaßt sich diese Zeitung von diesem Samstag an in einer
Artikelserie."
Besonders die
öffentlichen Finanzen ist der Unternehmens- und der
Reichenlobby ein Dorn im Auge:
"Sie werden von einer
alternden und schrumpfenden Bevölkerung in den kommenden
fünfzig Jahren dramatisch in Mitleidenschaft gezogen, weil
die deutschen Sozialversicherungssysteme stark am
Steuertropf hängen."
Die Riester-Reform wird
als Schritt in die richtige Richtung betrachtet, um die
"Kostenexplosion" zu verhindern.
"Nachlassen wird der
Druck auf die Beiträge voraussichtlich erst nach 2060,
weil die Bevölkerungspyramide dann nicht mehr auf dem Kopf
steht, sondern in einen Schlauch übergegangen sein wird",
erklärt uns BONDE als ob
Bevölkerungsvorausberechnungen Wahrheiten wären, statt auf
Annahmen zu beruhen, die sich schnell als falsch erweisen
könnten. Zum Schluss wird die Generationengerechtigkeit
beschworen:
"Die Schulden von heute
sind die Steuern von morgen. Balanciert wird längst auf
Kosten der nächsten Generation. Auf die schrumpfende
Bevölkerung muß der Staat sich mit seinen Leistungen
einstellen",
erklärt uns BONDE die
neoliberale Sicht, die angeblich aufgrund der demografischen
Entwicklung alternativ los ist.
MUSSLER, Werner
(2002): Der Alterungsprozeß bremst langfristig das
Wirtschaftswachstum.
Anteil
der Erwerbstätigen sinkt. Ungewisse Entwicklung der
Arbeitsproduktivität. Geburtenrate müsste steigen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.07.
Werner MUSSLER beschreibt
uns einen "gesamtwirtschaftlichen Strukturwandel", der durch
den demografischen Wandel bewirkt werden soll. Dazu zitiert
er Axel BÖRSCH-SUPAN, der zwei Auswirkungen des
"Alterungsprozesses" benennt: zum einen wird die
Produktionsweise, zum anderen die Konsumstruktur betroffen.
"In ungefähr 30 Jahren
erwartet er rund 15 Prozent weniger Erwerbstätige als
heute. »Wenn diese ein etwa gleiches Konsumniveau wie
heute produzieren sollen, muß die Produktivität erheblich
steigen«",
lässt uns MUSSLER wissen.
Eine solche Produktivitätssteigerung setze entweder eine
höhere Arbeitsproduktivität oder eine steigende
Kapitalintensität voraus. Während die Kapitalintensität als
Automatismus betrachtet wird, gilt die Erhöhung der
Arbeitsproduktivität als umstrittenes Problem, bei dem es um
die Definitionsmacht über die "altersspezifische
Produktivität" geht. BÖRSCH-SUPAN geht von einem negativen
Effekt der Alterung aus, weshalb er die Steigerung der
Geburtenrate in den Mittelpunkt von Szenarien der
Produktivitätsentwicklung stellt. Ausgangspunkt von zwei
Alternativszenarien ist eine Geburtenrate von 1,36 Kindern
pro Frau. Das Absinken auf 1,1 Kinder pro Frau (Spanien)
wird erst gar nicht betrachtet, sondern nur der Anstieg auf
1,8 Kinder pro Frau (Frankreich, USA):
"In einer alternden
Gesellschaft führt eine höhere Geburtenrate - mit einer
Verzögerung von 20 Jahren - zu einer produktiveren
Erwerbsbevölkerung",
heißt es dazu, wobei die
höhere Produktivität des Ergebnisses bereits in der Annahme
enthalten war.
BRÖLL, Claudia
(2002): Der Arbeitsmarkt kommt in die Jahre.
In zehn
Jahren ist jeder dritte älter als 50. Geburtenrückgang kein
Rezept gegen Arbeitslosigkeit. EU für höheres Rentenalter,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.08.
Claudia BRÖLL
stellt uns das Paradebeispiel der BfA-Beschäftigungskampagne
50 plus vor. Angeblich soll bereits ab 2007 die
Erwerbstätigen knapp werden:
"Zunächst dürften die
Auszubildenden knapp werden; von 2008 an gibt es dann auch
immer weniger Arbeitskräfte auf dem Markt. Der
Fachkräftemangel, der sich bisher auf einzelne Branchen
beschränkt, dürfte so zu einer gesamtwirtschaftlichen
Erscheinung werden.
Schätzungen zufolge falle in den kommenden zehn Jahren als
Ergebnis des Geburtenrückgangs 100.000 inländische
Erwerbsfähige aus, in 20 Jahren sind es bereits 600.000,
bis 2050 ist von mehren Millionen die Rede."
Die Integration von
Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt wird uns als weitgehend
aussichtslos beschrieben:
"Maximal einen Rückgang
der Arbeitslosenzahl um eine halbe Million in den
kommenden Jahrzehnten hält zum Beispiel der Ökonom Viktor
Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
(DIW) in Berlin möglich. Problemgruppen wie
Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose dürften es
weiterhin schwer haben, eine Stelle zu finden. Auch die
sogenannte Sucharbeitslosigkeit werde weiterbestehen. Der
Grund liege in den hohen Beschäftigungshürden
hierzulande."
Zu den Auswirkungen des
demografischen Wandels auf die Löhne werden uns zwei
Szenarien vorgestellt: wenige Gutverdiener und der Kollaps
der Sozialsysteme zum einen, viele Niedriglöhner und der
Kollaps der Sozialsysteme zum anderen.
Um dem drohenden
Fachkräftemangel und dem Kollaps der Sozialsysteme zu
entgehen wird uns die Erhöhung der Müttererwerbsquote und
die Beendung der Frühverrentungspraxis angepriesen:
"Nach Angaben der
Bundesanstalt für Arbeit arbeiten heute nur noch 33
Prozent der Männer im Westen in einem Alter zwischen 60
und 65 Jahren, in den neuen Ländern sind es sogar nur noch
23 Prozent. Im Durchschnitt gingen die Erwerbstätigen
schon mit 60 Jahren in Rente".
Zum Schluss wird die
EU-Kommissarin Anna DIAMANTOPOLOU zitiert, die ein höheres
Renteneintrittsalter fordert.
KLOEPFER, Inge (2002):
Wer schützt die Jungen vor den Alten?
Die
Rentner bleiben ungeschoren. Die Jungen zahlen immer mehr.
Bald kippt das System. Es sei denn: Frühverrentung wird
abgeschafft, und alle arbeiten bis 68,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v.
10.11.
Inge KLOEPFER
präsentiert uns die Vorstellungen des Ökonomen Axel
BÖRSCH-SUPAN:
"Die Menschen
müssten künftig bis zum 67. oder 68. Lebensjahr arbeiten.
In Schweden etwa sei das schon der Fall.
Zweitens dürften Frührentner nicht länger besser wegkommen
als jene, die später in Rente gehen. Denn die
Frühverrentung lastet wie Blei auf dem System. Sie ist
nach den Worten des Wissenschaftlers »die teuerste Form
der Arbeitslosigkeit«. Er geht sogar noch weiter: »Die
Frührente bedingt die Arbeitslosigkeit, weil sie von den
Beitragszahlern bezahlt werden muss. Das erhöht die
Lohnnebenkosten, was Arbeitsplätze vernichtet.« Der
internationale Vergleich gibt ihm recht, dass die
Frühverrentung nicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze
taugt – im Gegenteil: »Je mehr Frührentner ein Land sich
leistet, desto höher ist die Arbeitslosigkeit.«"
Der internationale
Vergleich, der die Behauptungen von BÖRSCH-SUPAN belegen
soll, wird uns jedoch vorenthalten.
KLOEPFER erklärt uns,
dass eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters
für die Regierung derzeit zu heikel sei und deshalb die
Rürup-Kommission eingesetzt werden soll, deren
Zusammensetzung noch verhandelt wird. Walter RIESTER und
Ulla SCHMIDT werden uns schon einmal als Anwälte der Alten
in die Tradition von BISMARCK und BLÜM gestellt.
Andreas ESCHE
("Wirtschaftsexperte der Bertelsmannstiftung") schlägt in
die gleiche Kerbe wie BÖRSCH-SUPAN.
"In eine tiefe Krise
stürzt die Rentenversicherung etwa von 2020 an, genau
dann, wenn die Baby-Boomer in Rente gehen",
erklärt uns KLOEPFER.
Die Riester-Rente wird uns als Flop präsentiert, die die
Rentenlücke nicht schließen könne:
"Es muß mehr für die
Eigenvorsorge getan werden, um die sich auftuenden
Versorgungslücken auszugleichen. Im Jahr 2040 nämlich
werden die Rentner mit nur mehr gut 50 Prozent ihres
Nettolohns rechnen können. Derzeit sind es 67 Prozent. Die
Riester-Rente, so wie sie jetzt konzipiert ist, wird diese
Lücken nicht füllen können. Denn dazu müßte der einzelne
40 Jahre lang 4 Prozent seines Bruttolohns gespart haben.
Doch davon ist Deutschland weit entfernt. (...) Zwei
Millionen Menschen hätten eine Riester-Rente abgeschlossen
- statt 35 Millionen, sagt Börsch-Supan."
Die Zeichen der Zeit
haben gemäß KLOEPFER nur jene erkannt, die mehr
Eigenvorsorge betreiben, statt auf die Politik zu hoffen.
Zum Schluss werden SPD und Gewerkschaften als Gegner
aufgebaut, während die Grünen gelobt werden, weil sie sich
"gegen die
Beitragserhöhung gesträubt" hätten.
Zwei Grafiken der
Finanzdienstleistungslobby MEA unter Axel BÖRSCH-SUPAN
erklären uns zum einen die Beitragssatzentwicklung vor und
nach der Renten-Reform bis 2050 und zum anderen die
Brutto-Versorgungslücke pro Monat bis 2050. Seriöse
Berechnungen sind das nicht, sondern Kaffeesatzleserei wie
der Statistiker Gerd BOSBACH dies bezeichnet.
MAHLER, Armin & Michael SAUGA (2002):
"Ich habe Läuse im Bauch".
Der Regierungsberater Bert Rürup über die Probleme der
sozialen Sicherungssysteme, seine Pläne für eine grundlegende
Renten- und Gesundheitsreform sowie die Gefahr des Scheiterns,
in:
Spiegel Nr.47 v.
18.11.
"Ich stelle mir vor, ab dem
Jahr 2011 das gesetzliche Renteneintrittsalter jedes Jahr um
einen Monat zu erhöhen, bis im Jahr 2034 ein
Renteneintrittsalter von 67 erreicht ist. (...).
Im Vorfeld müssen die bestehenden Anreize zum vorzeitigen
Ausstieg aus dem Erwerbsleben beseitigt werden",
erläutert
Bert RÜRUP seine
Pläne für die Rentenreform. Die Gewinner und Verlierer
beschreibt RÜRUP folgendermaßen:
"Es gibt (...) eine
Sandwich-Generation: Wer heute älter als 55 ist, wird von den
Leistungsrücknahmen im Zuge der jüngsten Rentenreform
betroffen, hat aber nicht mehr genügend Zeit, ergänzend
vorzusorgen. Die unter 30-Jährigen sind dagegen die Gewinner
der Reform: Für sie wird die Altersversorgung, gemessen an der
Situation vor der Reform, besser und billiger."
Für die Jahre ab 2015 ist
gemäß RÜRUP eine andere Rentenformel notwendig. Die aktuellen
Finanzierungsprobleme des Rentensystems basieren nicht auf dem
demografischen Wandel, sondern auf einer falschen Einschätzung
der Beschäftigungsentwicklung:
"Insbesondere Annahmen zur
Beschäftigungsentwicklung waren wohl zu optimistisch. Deshalb
müssen wir jetzt nachjustieren."
RÜRUP geht es jedoch nicht
um die Lebensstandardsicherung der Rente, sondern um die
Senkung der Lohnnebenkosten, die nach seiner Ansicht die
Beschäftigungsentwicklung bestimmen. Seine schlichte Rechnung:
"ein Beitragspunkt weniger
bedeutet 100000 Arbeitsplätze mehr."
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Die Hoffnung und
die Angst.
Wie
die Deutschen ihre Krise überwinden können |
JUNG, Alexander/BALZLI, Beat/MAUERER, Gerhard/PAULY, Christoph (2002):
Vorbildliche Nachbarn.
Der deutsche Sozialstaat steht vorm Kollaps. Trotzdem fehlt
der Mut zur Radikalkur. Länder wie die Schweiz, die
Niederlande, Dänemark und Großbritannien krempelten
Altersvorsorge, Gesundheitswesen wie Arbeitsverwaltung um und
gehen gestärkt aus der Krise. Doch welche Rezepte sind die
besten?
in:
Spiegel Nr.1 v.
30.12.
"Was (...) können die
Deutschen von Niederländern, Schweizern oder Briten lernen?
Lassen sich die Reformkonzepte überhaupt übertragen? Vor
allem: Wieso kriegen die anderen die Kurve - nur Deutschland
nicht?
Jedes System hat seine Schwachstellen, vieles ist durchaus
fragwürdig. Und kein Land hat letztgültige Antworten auf
sämtliche Herausforderungen. Doch aus allen Konzepten
kristallisiert sich eine Art kleinster gemeinsamer Nenner
moderner Sozialpolitik heraus",
behaupten die Autoren. Die
Übertragbarkeit der Reformkonzepte anderer Länder wird nicht
diskutiert, sondern lediglich rechtliche Aspekte
(Bestandsgarantien) berücksichtigt. Das Motto lautet:
"Aktivieren statt versorgen". Dahinter steckt ein
Menschenbild, das ihn auf einen behavioristischen
Anreiz-Reaktions-Mechanismus reduziert. Beim Rentensystem gilt
den Autoren die Schweiz als Vorbild. Der
Beamte Bernd
RAFFELHÜSCHEN, der sich gerne zum Kämpfer für mehr
Generationengerechtigkeit stilisiert, erklärt warum Beamte
nicht in eine Bürgerversicherung integriert werden können.
JUNG, Alexander/BALZLI, Beat/MAUERER, Gerhard/PAULY, Christoph (2002):
Erst sparen, dann verteilen.
Wie die Schweden es geschafft haben, ihren Wohlfahrtsstaat zu
modernisieren – und weshalb das Volk die harten Einschnitte
der Politik akzeptiert,
in:
Spiegel Nr.1 v.
30.12.
"Seit 1999 bekommen nur
noch vor 1938 Geborene ihre Rente nach altem Recht. Die
Altersvorsorge der Jahrgänge nach 1953 hingegen steht auf drei
Pfeilern: einer Garantierente, die wie die Volkspension
überwiegend steuerfinanziert ist, einer einkommensabhängigen
Altersrente, die weit größere Bedeutung hat als früher, und
einer Prämienrente, die der Versicherte am Kapitalmarkt
anspart. Die Renten der Jahrgänge 1938 bis 1953 werden
anteilig nach altem oder neuem System finanziert. Zudem wurde
das Rentenalter flexibilisiert. Wer schon mit 61 Jahren
ausscheiden will, muss mit 30-prozentigen Abschlägen rechnen;
wer dagegen bis 70 durchhält, bekommt bis zu einem Drittel
mehr Ruhegeld", berichten die Autoren über den Umbau des
Rentensystems in Schweden.
2003
SAUGA, Michael/SCHULT, Christoph/TIETZ, Janko (2003):
Ende einer Illusion.
In aller Stille bereitet die Regierung tiefe Einschnitte in
die gesetzliche Alterssicherung vor, die damit auf das Niveau
einer Basisversorgung zusammenschmelzen dürfte. Schon planen
Grüne und Union den Einstieg in einen grundlegenden
Systemumbau,
in:
Spiegel Nr.33 v.
11.08.
Die Autoren bereiten auf
weitere drastische Einschnitte ins Rentensystem vor, denn
durch einen Nachhaltigkeitsfaktor (vgl.
RÜRUP 2002) soll das Rentenniveau
weiter abgesenkt werden. Begründet wird dies durch den
angeblichen Sachzwang Geburtenrückgang:
"Dass es den heutigen
Senioren materiell gut geht, haben sie nicht nur den
großzügigen Rentengesetzen aus den Aufbaujahren der Republik
zu verdanken, sondern auch der eigenen Gebärfreudigkeit. Die
heutige Rentnergeneration hat genau jene Babyboomer der
fünfziger und sechziger Jahre großgezogen, die derzeit noch
die Fabriken und Büros bevölkern und mit ihren Beiträgen die
Alterskassen füllen. Wenn diese Generation aber in einigen
Jahren selbst in den Ruhestand wechselt, bekommt sie
unausweichlich die Quittung für die
Kinder-nein-danke-Mentalität der vergangenen drei Jahrzehnte
präsentiert. Weil seit Anfang der siebziger Jahre die
Geburtenrate drastisch sank, fehlt es bald an Beitragszahlern,
um das heutige Rentenniveau zu halten."
Belegt werden soll das
durch Zahlen des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA),
eine
Lobbyorganisation der Finanzbranche.
GERMIS, Carsten (2003): Müssen wir mehr Kinder kriegen?
FAS-Wirtschaftsthema: Ja. Sonst zahlt keiner mehr für die
Alten,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v.
05.10.
"Machen Kinder und
Jugendliche unter 15 Jahren heute noch 12,8 Prozent der
Bevölkerung aus, werden es 2030 nur noch zehn Prozent
wein. Der Anteil der Rentner, die älter als 65 Jahre sind,
steigt in diesem Zeitraum von 16,4 auf 27,3 Prozent. 2040
gibt es mehr Deutsche, die älter als 80 Jahre sind, als
Jugendliche unter 15",
erklärt uns Carsten
GERMIS, als ob hier unumstößliche Fakten und nicht nur
Bevölkerungsvorausberechnungen präsentiert werden. Eine
Grafik zeigt uns, dass die
Geburtenrate von 1,4 Kinder pro Frau in die Zukunft
fortgeschrieben wird, wobei von einer Angleichung der neuen
Bundesländer an das westdeutsche Niveau bis 2010 ausgegangen
wird. Deshalb behauptet GERMIS folgendes:
"Wer 2030 Rente bekommt
und wer dann arbeitet, ist heute bereits geboren."
Dies stimmt auch nur
bedingt, wenn der Berufseinstieg genauso spät wie heutzutage
erfolgen würde. Im Jahr 2030 sind 25-Jährige im Jahr 2005
und 20-Jährige erst im Jahr 2010 geboren worden. Für das
Jahr 2040 gilt das entsprechend noch weniger, was uns GERMIS
weismachen will.
PILLER,
Tobias
(2003):
Italiens Gewerkschaften streiken gegen Berlusconis
Rentenreform.
Gegen
Einschränkung des Rechts auf Frührenten. Jüngere Italiener
werden schlechter behandelt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.10.
Tobias
PILLER schildert uns Italien als Rentnerparadies. OECD, IWF
und EU fordern deshalb "weiterhin entschlossene
Rentenreformen". Eine Tabelle soll uns den Reformbedarf in
einzelnen Ländern aufzeigen. Folgende Rentenausgaben sollen
bis 2050 das Bruttosozialprodukt belasten:
Tabelle:
Rentenausgaben in Europa (inklusive
Unterstützungsleistungen für Personen ab 55 Jahren) in
Prozent
des Bruttosozialprodukts (BIP) |
Land |
2000 |
2010 |
2020 |
2030 |
2040 |
2050 |
Österreich |
14,5 % |
14,9 % |
16,0 % |
18,1 % |
18,3 % |
17,0 % |
Italien |
13,8 % |
13,9 % |
14,8 % |
15,7 % |
15,7 % |
14,1 % |
Griechenland |
12,6 % |
12,6 % |
15,4 % |
19,6 % |
23,8 % |
24,8 % |
Frankreich |
12,1 % |
13,1 % |
15,0 % |
16,0 % |
15,8 % |
- |
Deutschland |
11,8 % |
11,2 % |
12,6 % |
15,5 % |
16,6 % |
16,9 % |
Finnland |
11,3 % |
11,6 % |
12,9 % |
14,9 % |
16,0 % |
15,9 % |
Dänemark |
10,5 % |
12,5 % |
13,8 % |
14,5 % |
14,0 % |
13,3 % |
Belgien |
10,0 % |
9,9 % |
11,4 % |
13,3 % |
13,7 % |
13,3 % |
Polen |
9,8 % |
11,8 % |
13,1 % |
13,6 % |
13,8 % |
13,2 % |
Spanien |
9,4 % |
8,9 % |
9,9 % |
12,6 % |
16,0 % |
17,3 % |
Schweden |
9,0 % |
9,6 % |
10,7 % |
11,4 % |
11,4 % |
10,7 % |
Niederlande |
7,9 % |
9,1 % |
11,1 % |
13,1 % |
14,1 % |
13,6 % |
Luxemburg |
7,4 % |
7,5 % |
8,2 % |
9,2 % |
9,5 % |
9,3 % |
Großbritannien |
5,5 % |
5,1 % |
4,9 % |
5,2 % |
5,0 % |
4,4 % |
Irland |
4,6 % |
5,0 % |
6,7 % |
7,6 % |
8,3 % |
9,0 % |
|
Quelle:
FAZ-Grafik v. 25.10.2003; Wirtschaftsrat der EU mit
Daten aus dem Jahr 2005 |
GROHMANN, Heinz (2003): Die Alterung unserer Gesellschaft.
Ursachen, Wirkungen, Handlungsoptionen,
in:
Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 2-4,
S.443-462
Der
einflussreiche Statistiker Heinz GROHMANN betrachtet die
"demographische
Alterung" in Westdeutschland anhand des Altenquotienten,
wobei er diese Betrachtung auf das Verhältnis von Personen Im
Alter von 60 und mehr Jahren zur Zahl der Personen im Alter
von 20 bis unter 60 Jahren beschränkt.
Es zeigt sich, dass dieser
Altenquotient von 1951 bis Mitte der 1970er Jahre
kontinuierlich von 26 auf 39 gestiegen ist, um Anfang der
1980er Jahre auf 36 zurück zu gehen und auf diesem Niveau bis
Ende der 1980er Jahre zu verharren. Um 1990 fiel der
Altenquotient aufgrund der Zuwanderung sogar auf 35. Erst 1999
stieg er auf 40 an.
Vergleicht man diese
Entwicklung des Altenquotienten mit den Finanzierungsproblemen
der Rentenversicherung, dann zeigt sich, dass für den Zeitraum
der BRD keinerlei Zusammenhang zwischen steigendem
Altenquotienten und Finanzproblemen bestehen, sondern im
Gegenteil die Finanzprobleme gerade in Zeiten fallender bzw.
niedriger Altenquotienten bestanden.
Dennoch konstruiert
GROHMANN einen solchen Zusammenhang, um ihn auf die zukünftige
Altersstrukturentwicklung zu projizieren. So wie die
Vorausberechnungen für das Jahr 2000 hinsichtlich der
Altersstrukturentwicklung "richtig" waren, werden sie auch für
2030 richtig sein, erklärt GROHMANN. Tatsächlich beruht die
"Richtigkeit" jedoch nur auf zwei Falschprognosen, deren
Fehler sich gegenseitig kompensierten, statt sich zu addieren:
"Ein wesentlicher
Unterschied besteht (...) darin, dass sich der tatsächliche
vom vorausgeschätzten Altersaufbau durch einen schmalen
Streifen unterscheidet, der über alle Altersgruppen hinweg
dazugekommen ist. Im Kindes- und Erwachsenenalter resultiert
er vorwiegend aus dem Zuwanderungsüberschuss von fast 6
Millionen Menschen in der Zeit der politischen Wende in
Deutschland und Osteuropa, im Rentenalter aus der gesunkenen
Sterblichkeit. Im Altenquotienten kompensieren sich beide
Entwicklungen, so dass dieser mit 43 genau richtig
vorausgerechnet worden war." (S.447f.)
Kurzgefasst: Nur dadurch,
dass die Zuwanderung unter- und die Sterblichkeit überschätzt
wurde, ergab sich eine zufällige Übereinstimmung beim
Altenquotienten. Für das Jahr 2030 schreibt er dieses
Kompensationsmuster einfach unkritisch fort. Nach dem Motto,
was für die Vergangenheit gestimmt hat, wird auch in Zukunft
richtig sein. Anhand von Vorausberechnungen von BIRG u.a.
zeigt GROHMANN den Entwicklungskorridor des Altenquotienten
bis zum Jahr 2080 auf, wobei die Erhöhung der
Geburtenhäufigkeit auf das Bestandserhaltungsniveau als
Königsweg angesehen wird.
Für den fiktiven Fall einer
stationären Bevölkerung (Die Geburten ersetzen die
Sterbefälle), die auf der nationalkonservativen Vorstellung
einer geschlossenen Gesellschaft basiert, in der Wanderungen
ausgeschlossen sind, errechnet GROHMANN einen "idealen
Altenquotienten" von 50. Aufgrund dieser normativen
Grundüberzeugungen folgert er:
"Wir sehen daraus, dass der
tatsächliche Altersaufbau in der Bundesrepublik Deutschland in
den letzten Jahrzehnten bis heute aufgrund der historischen
Entwicklung im 20. Jahrhundert (früher höhere
Geburtenhäufigkeit und Sterblichkeit, Kriegsverluste) relativ
günstig war und noch ist. Erst nach 2015 wird das ins
Gegenteil umschlagen und dies mit fortschreitender Zeit immer
dramatischer ohne Aussicht auf eine Rückkehr zur Normalität -
wenn das Geburtenniveau bleibt, wie es ist. Damit ist nun auch
ganz deutlich, welches die Ursachen der vorausgeschätzten
immensen Alterung sind: In erster Linie und ganz entscheidend
ist es das seit langem niedrige Geburtenniveau, das um mehr
als ein Drittel unter dem zur Bestandserhaltung nötigen liegt.
In weit geringerem Maße ist es die in die gleiche Richtung
wirkende steigende Lebenserwartung, während
Zuwanderungsüberschüsse von 150.000 Personen pro Jahr beiden
nur begrenzt entgegenwirken können. Allein eine allmählich
wieder auf das volle Reproduktionsniveau ansteigende
Geburtenhäufigkeit würde die Alterung der Gesellschaft
langfristig und dauerhaft auf ein Normalmaß zurückführen, das
aber kaum noch in diesem Jahrhundert." (S.451)
In dieser Betrachtung
mischen sich Moralvorstellungen einer geschlossenen
Gesellschaft, die auf "natürlichen Bevölkerungsbewegungen"
basiert mit einer angeblich wertneutralen Statistik. Dies wird
besonders deutlich, wenn GROHMANN die Auswirkungen der
"demografischen Alterung" auf die Rentenversicherung
beschreibt. Hier werden die "nichtdemografischen Faktoren"
lediglich erwähnt - aber im Gegensatz zu den demografischen
Faktoren nicht beziffert:
"Diese Modellrechnungen
unterscheiden sich von den rein demographischen dadurch, dass
bei ihnen Einflussfaktoren, wie Erwerbseintrittsalter,
Familienstand, Erwerbsstatus, Arbeitsverdienste,
Erwerbsunfähigkeitsrisiko, Rentenhöhe, Rentenbezugsdauer u.a.m.
Berücksichtigung fanden." (S.453)
Diese Faktoren bleiben bei
der Betrachtung der "demografischen Alterung" allesamt
ausgeklammert. Ihr Anteil wird nicht quantifiziert, sondern es
werden lediglich "Lösungen" präsentiert, die einzig unter dem
Aspekt der Beitragssatzstabilität diskutiert werden. Als
Lösungen werden die Änderung der Rentenformel, die Ausweitung
des Versichertenkreises, Veränderung im Erwerbsverhalten,
Zuwanderungsüberschüsse, Kapitaldeckung, Erhöhung des
Bundeszuschusses und der Wiederanstieg der Geburtenhäufigkeit
genannt.
Während GROHMANN 1981 noch
einen Beitragssatz von 25 % akzeptabel hielt, soll nunmehr der
Beitragssatz 20 % nicht übersteigen. Zu deutsch: Es sind
Änderungen der politischen Zielsetzungen, die das Rentensystem
bedrohen, nicht der demografische Wandel an sich. GROHMANN
verweist hinsichtlich der Finanzierungsprobleme der
Rentenversicherung zwar auf die "immense Zunahme der
Frühverrentung und die Folgen der Wiedervereinigung".
Argumentativ bleibt er aber bevölkerungspolitischen
Sichtweise, d.h. der Nichtberücksichtigung
nicht-demografischer Faktoren, verhaftet, wenn er die
Profiteure und die Schuldigen identifiziert:
"Damit ist (...) der
Generation, die in ihrer Kindheit und in ihrer weiteren
Lebensplanung durch den Krieg oder die unmittelbare
Nachkriegszeit hart getroffen worden ist und die in ihrem
generativen Verhalten die dauerhafte Bestandserhaltung der
Bevölkerung nicht in Frage gestellt hat, eine Alterssicherung
gewährt worden, die bis heute beispielhaft in der Welt ist.
Und das gilt seit der Wiedervereinigung auch für den Teil der
Bevölkerung, der infolge der kriegsfolgenbedienten Teilung
unseres Landes bis dahin merklich schlechtere
Lebensbedingungen im Alter hatte." (S.455)
Die Überlebenden der
Kriegs- bzw. Aufbaugeneration "profitierten" zudem in erster
Linie vom Tod ihrer Altersgenossen:
"Allerdings kam dem zugute,
dass in dieser Zeit - unter anderem ebenfalls als Folge des
Krieges - die Altersstruktur der Bevölkerung die Finanzierung
der Renten erheblich erleichtert hat. Bei einem völlig
ausgeglichenen dauerhaft konstanten Altersaufbau wäre nämlich
(...) von Anfang an ein Beitragssatz von 21 % nötig gewesen,
wohingegen tatsächlich Beitragssätze zwischen anfangs 14 %,
heute 19,5 % ausgereicht haben." (S.455)
Die Schuldigen für die
Beitragsentwicklung der Zukunft beschreibt GROHMANN
folgendermaßen:
"Bemerkenswerterweise ist
es gerade diejenige Generation, die bisher zu einem Drittel
kinderlos geblieben ist und damit die demographische Alterung
ausgelöst hat, die jetzt die Folgen zu tragen nicht bereit
ist." (S.457)
Tatsächlich betrug die
Kinderlosigkeit zum damaligen Zeitpunkt nur um die 20 %, was
jedoch noch bis Mitte der Nuller Jahre totgeschwiegen wurde.
Es war vor allem die normative amtliche Statistik und der
politische Unwille, die diesen Sachverhalt verschleierten.
Oder anders gesagt:
Weil in Deutschland angeblich nur die Falschen die Kinder
bekommen, wurde die höhere Akademikerinnenkinderlosigkeit in
den Fokus und damit in den Vordergrund gerückt, obgleich
sie im Gegensatz zur Zwei-Kind-Norm in Westdeutschland (und
das damit verbundene Verschwinden der kinderreichen Familie)
für die Bevölkerungsentwicklung weniger entscheidend war.
Typisch für GROHMANN ist
sein voluntaristischer Ansatz, der den Geburtenrückgang nicht
auf strukturelle Rahmenbedingungen (z.B. mangelnde
Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Heiratsmarktengpass bzw.
Partnerwahlmuster), sondern einzig auf den Willen bzw.
Einstellungen zurückführt.
Man könnte z.B. auch ganz
anders argumentieren, nämlich dass eine "Bevölkerungspolitik"
schon in den 1970er Jahren die Massenarbeitslosigkeit hätte
verhindern müssen, um die Familiengründung der "Babyboomer" zu
erleichtern. Tatsächlich wird Bevölkerungspolitik jedoch sehr
selektiv begründet, z.B. in der Rentenpolitik einzig unter dem
Aspekt der Beitragssatzstabilität. Nie werden die gesamten
Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf die Wirtschaft
und die Sozialsysteme betrachtet. Diese Selektivität weist auf
die Instrumentalisierung der Bevölkerungspolitik als
Interessenpolitik hin, wie sie sich im
Argument Generation wieder findet.
In einer Ausweitung des
Bundeszuschusses sieht GROHMANN eine Diskreditierung des
Äquivalenzprinzips von Beitragssatz und Rentenhöhe:
"Während der Bundeszuschuss
noch vor 20 Jahren nicht einmal die versicherungsfremden
Leistungen deckte, werden inzwischen fast 30 % der
Rentenausgaben durch den Bundeszuschuss samt Ökosteuer
finanziert", (S.458)
schreibt GROHMANN und
suggeriert damit fälschlicherweise, dass der Bundeszuschuss
inzwischen die versicherungsfremden Leistungen abdeckt. Dies
ist aber nicht der Fall, sondern einzig die
versicherungsfremden Leistungen sind in den letzten Jahren
ausgeweitet worden (vor allem die Anrechnung von
Kindererziehungszeiten).
Die Risiken einer
kapitalgedeckten Altersvorsorge in den Dimensionen
Anlagemöglichkeiten, Anlagensicherheit, Wertentwicklung und
Rendite sieht GROHMANN durchaus, sieht sie jedoch
aufgrund der demografischen Entwicklung und der weltweiten
Mobilität von Kapital und Arbeit als alternativlos an. Damit
wird auch die Zunahme der sozialen Ungleichheit im Alter
billigend in Kauf genommen.
2004
MARSCHALLEK, Christian (2004):
Die "schlichte Notwendigkeit" privater Altersvorsorge.
Zur
Wissenssoziologie der deutschen Rentenpolitik,
in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 4, August,
S.285-302
Die
Zielsetzung seines Beitrags umschreibt Christian MARSCHALLEK
folgendermaßen:
"Mit meiner
Untersuchung möchte ich den Deutungswandel hinsichtlich der
wahrgenommenen Probleme der GRV, der Lösungsmöglichkeiten und
der Rolle kapitalgedeckter Altersvorsorge nachvollziehbar
machen, der dem Maßnahmenwandel vorausging (...). Nur durch
diesen Deutungswandel – und nicht allein anhand
demographischer oder ökonomischer Daten – wird die deutsche
Rentenpolitik verständlich. Weder die Problemdeutung noch der
Lösungsvorschlag sind »notwendig«. Dies ist mein theoretisches
Argument. Gleichzeitig versuche ich, folgende empirische These
zu belegen: Erst aus der Verknüpfung von spezifischen
Deutungen der langfristigen demographischen Entwicklung, der
Wirkung der Lohnnebenkosten auf die Arbeitslosigkeit und der
Funktionsgrundlagen der GRV ergibt sich im politischen Prozess
die »Notwendigkeit« einer zusätzlichen privaten
kapitalgedeckten Altersvorsorge. Sie ermöglicht, das seit 1957
bestehende politische Versprechen lebensstandardsichernder
Renten unter den prophezeiten demographischen Bedingungen
langfristig aufrechtzuerhalten und die Lohnnebenkosten bereits
kurzfristig niedrig zu halten" (S.286)
MARSCHALLEK
kritisiert insbesondere den Altenquotient als unangemessenen
Indikator für die Rentenfinanzprobleme:
"Eine
Argumentation, welche die Finanzierungsprobleme der
Alterssicherung nur an der Entwicklung des Altersquotienten
festmachen will, basiert auf einem unzulänglichen Indikator.
Sie ist unterkomplex, da sie dazu tendiert, bestimmte
Altersgruppen pauschal als Rentenempfänger oder Beitragszahler
zu charakterisieren. Genauso wenig wie jede Person über 60, 65
oder 67 Jahren einen Anspruch auf Leistungen aus der GRV hat,
sind alle Mitglieder der „erwerbsfähigen“ Altersgruppe
tatsächlich Beitragszahler in der GRV. Zu dieser Gruppe zählen
auch Studenten, Hausfrauen, geringfügig Beschäftigte,
Erwerbsunfähige, Beamte, Arbeitslose, etc., die selbst keine
Beiträge entrichten und für die auch nur begrenzt
„Arbeitgeber- Beiträge“ gezahlt werden.3 Auch stehen den
langfristig zu erwartenden demographisch bedingten Belastungen
in der Altersvorsorge mögliche Entlastungen auf anderen
Gebieten gegenüber (sinkende Kosten für Kinder und
Jugendliche, steigende Erwerbsneigung von Frauen,
demographisch bedingte Entlastung des Arbeitsmarktes,
gegebenenfalls sich verlängernde Erwerbsphasen. Die
gesamtgesellschaftlichen finanziellen Belastungen auf Grund
demographischer Veränderungen lassen sich letztlich nur anhand
der Relation von tatsächlich Erwerbstätigen zu
Nicht-Erwerbstätigen abschätzen. Hierfür ist der
Altersquotient weitgehend ungeeignet." (S.286)
Als eine
Alternative schlägt MARSCHALLEK einen
Nichterwerbstätigenquotient vor:
"Gestützt auf die
Vorhersagen des Prognos-Gutachtens 1998 könnte man die
dort prognostizierte Zahl der (abhängig) Erwerbstätigen
den Nichterwerbstätigen – ermittelt als Differenz aus
Bevölkerungszahl und (abhängig) Erwerbstätigen – in Form
eines Quotienten gegenüberstellen. Als Bezugsgröße im
Nenner kann man entweder nur die abhängig Beschäftigten
(Nichterwerbstätigenquotient [NEQ] 1) oder alle
Erwerbstätigen (NEQ 2) einbeziehen (...). Dieses
Zahlenverhältnis dürfte sich in den nächsten vierzig
Jahren nicht radikal verschlechtern (vgl. auch Thiede 1986
und Huber/Stephens 2001: 236, 238),5 während die
Lohneinkommen vermutlich weiter steigen werden." (S.286f.)
Tabelle 1: Entwicklung der
Nichterwerbstätigenquotienten (NEQ) in Deutschland |
Jahr |
1960 |
1995 |
2010 |
2040 |
Bevölkerung
(Mio.) |
55,4 |
81,8 |
82,6 |
72,0 |
abhängig
Beschäftigte (Mio.) |
20,3 |
31,2 |
29,5 |
24,0 |
Erwerbstätige (Inland)(Mio.) |
26,3 |
34,8 |
33,1 |
27,0 |
NEQ 1 |
1,73 |
1,62 |
1,80 |
2,00 |
NEQ 2 |
1,10 |
1,35 |
1,50 |
1,67 |
|
Quelle:
Christian Marschallek, 2004, S.287 |
Die Notwendigkeit
einer privaten Altersvorsorge ist für MARSCHALLEK kein
Sachzwang, sondern ein Deutungsmuster:
"Die
Herstellung eines solchen Sachzwangs aus demographischen
Bedingungen bleibt eine Akteurskonstruktion. Diese ist als
Deutungsmuster politischer Akteure alles andere als
selbstverständlich. Sachverhalte lassen sich
unterschiedlich interpretieren, Probleme können
alternativen Ursachen zugeschrieben werden. Daher ist die
Rentenreform 2001 nicht einfach als Reaktion auf objektive
Zwänge zu verstehen, sondern muss auf der Ebene
politischer Akteure und ihrer Deutungen untersucht
werden." (S.288f.)
Bereits in den 1960er
Jahre kann MARSCHALLEK in den Bundestagsdebatten
demografisch motivierte Deutungsmuster nachweisen, die sich
immer wieder in den Debatten finden. Dem damaligen
Rentnerberg entspricht in umgekehrter Akzentuierung das
"demografische Zwischenhoch", während das "Hochplateau" sein
Pendant in den "Babyboomern" hat:
"Gegen Ende des
ersten Deckungsabschnittes der GRV und am Vorabend der
ersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit wurde (...) der
Kostenbelastung der Rentenversicherung aufgrund steigender
Rentnerzahlen erhebliche Bedeutung beigemessen. So stellte
Bundesarbeitsminister Katzer in der ersten Beratung des
dritten Rentenversicherungsänderungsgesetzes (3. RVÄndG)
am 7. Oktober 1966 fest, dass sich die Relation von
Versicherten zu Rentnern in den Folgejahren verschlechtern
werde. Selbst bei wieder ansteigender Geburtenrate in den
nächsten 10 bis 15 Jahren müsse mit zusätzlichen
finanziellen Belastungen in der Rentenversicherung
gerechnet werden (...). Umstritten war zunächst, ob es
sich dabei um eine vorübergehende oder eine dauerhafte
Belastung handelt. Das ursprünglich für dieses
demographisch induzierte Phänomen geprägte Deutungsmuster
»Rentnerberg« implizierte, dass einem Anstieg der
Rentenfälle irgendwann ein Rückgang auf das ursprüngliche
Niveau folgen werde. Der Abgeordnete Springorum (CDU/CSU)
jedoch äußerte bereits in der ersten Beratung des 3.
RVÄndG, dass sich das günstige Zahlenverhältnis zwischen
Rentnern und Beitragszahlern aus der vorangegangenen
Dekade »in absehbarer Zeit« nicht wieder einstellen werde
(...). Diese Ansicht setzte sich in dem auf Grund des
zwischenzeitlichen Regierungswechsels außergewöhnlich
langen Zeitraum zwischen erster und zweiter Lesung durch.
Sie wurde von dem Abgeordneten Schellenberg (SPD) in der
Debatte vom 2. Juli 1969 mit dem Bild eines »Hochplateaus«
umschrieben (...). Demnach hatte man sich auf eine längere
demographische Belastungsphase in der GRV einzustellen."
Bereits in den
Bundestagsdebatten des Jahres 1978 wird der angebliche
Kausalzusammenhang zwischen Beitragssatzsteigerungen und
demografischem Wandel hergestellt:
"Von zwei
Abgeordneten wurde der Zeitpunkt des Eintretens
demographisch bedingter Probleme in der GRV genauer
terminiert. Demnach sei das Problem erst in den 1990er
Jahren (Abgeordneter Cronenberg [FDP] in der ersten
Beratung des 21. RAG am 16. März 1978, ...) oder sogar
erst nach dem Jahr 2000 (Abgeordneter Glombig [SPD] in der
zweiten Beratung des 21. RAG am 8. Juni 1978, ...) zu
erwarten. Neu an der Problemdefinition ist auch die
konkrete Quantifizierung eines auf Grund der
demographischen Entwicklung erforderlichen Beitragssatzes
zur GRV. So wird vom Abgeordneten Franke (CDU/CSU) in der
ersten Beratung des 21. RAG am 16. März 1978 (...) ein
Prognos-Gutachten zitiert, demzufolge im Jahre 2030 mit
einem Beitragssatz zur GRV in Höhe von 26,6 bis 41,5
Prozent zu rechnen sei." (S.294)
MARSCHALLEK sieht
bereits in den 1970er Jahren eine Tendenz dazu, dass
Finanzprobleme nicht-demografischer Art mit dem Hinweis auf
den langfristig zu erwartenden demografischen Wandel
vermischt wird:
"Fasst man die
Debatten der 1970er Jahre zusammen, zeigt sich, dass die
Konjunktur des Arguments, die GRV stehe vor
demographischen Problemen, dem jeweiligen Stand der
Rentenfinanzen folgte. Tauchten in den Rentenkassen
kurzfristige Probleme auf, wurde auch auf die langfristige
Wirkung der demographischen Entwicklung verwiesen, deren
negative Folgen durch politische Entscheidungen nicht noch
verstärkt werden dürften. Diese Vermischung der
Zeithorizonte bleibt auch für die künftigen Debatten
typisch." (S.295)
Die
Massenarbeitslosigkeit als Ursache der Finanzprobleme wird
gemäß MARSCHALLEK in den 1980er Jahren vom Mainstream
geleugnet, während in den 1990er Jahren das
Globalisierungsargument die notwendige Senkung der
Lohnnebenkosten (womit die Beitragssätze der
Rentenversicherung gemeint sind) unterfüttert. Das
alternative Deutungsmuster, dass die Deutsche Einheit für
die Finanznot der Rentenversicherung mitverantwortlich sei,
wurde nie deutungsmächtig. Die Demografisierung
gesellschaftlicher Probleme hat sich um die Jahrtausendwende
dann vollständig durchgesetzt. Damit konnte auch die
Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge ohne große
Widerstände gerechtfertigt werden.
WSI-MITTEILUNGEN-Schwerpunkt: Privatisierung - Aktivierung -
Eigenverantwortung. Zukunftsperspektiven für die Sozialpolitik? |
BÄCKER, Gerhard
(2004): Der Ausstieg aus der Sozialversicherung.
Das
Beispiel Rentenversicherung,
in: WSI-Mitteilungen Nr.9, September
Gerhard BÄCKER
beschreibt die Richtungsänderung in der Alterssicherung, die
mit der Riester-Rentenreform im Jahr 2001 eingeleitet wurde,
die einen teilweisen Systemwechsel beinhaltet. Aufgrund des
Übergangs zu einer Politik der Beitragsstabilisierung kommt
es zu einer Senkung des Niveaus der gesetzlichen Rente, die
BÄCKER folgendermaßen beschreibt:
"Das von der
Bundesregierung gesetzte Mindestsicherungsziel sieht Werte
von 46% (2020) und 43 % (2030) – Netto-Renten jeweils vor
Steuern – vor. Derzeit liegt der Wert bei etwa 53 %. Zu
diesem Absinken kommt es, weil der Beitragssatzstabilität
absolute Priorität eingeräumt wird – ob das nun mit
»Nachhaltigkeit« oder »Generationengerechtigkeit«
begründet wird. Die (schrittweise) Besteuerung der Renten
nach dem Alterseinkünftegesetz wird darüber hinaus zu
einem weiteren Absinken des Nettoniveaus führen, da die
verfügbaren Nettoeinkommen durch die steuerliche
Absetzbarkeit der Rentenversicherungsbeiträge steigen,
während die Netto-Renten durch die steigende
Steuerbelastung relativ geringer ausfallen."
Die kapitalgedeckte
Altersvorsorge soll deshalb die gesetzliche
Rentenversicherung nicht mehr wie bisher ergänzen, sondern
teilweise ersetzen. Damit sei das Ziel einer den
Lebensstandard sichernden gesetzlichen Rente zugunsten einer
"einnahmeorientierten Ausgabenpolitik" aufgegeben worden.
Dies hat gemäß BÄCKER zur Folge, dass die Altersarmut
steigen wird, wie er mit Prognosen des
Rentenversicherungsträgers belegt:
"Mit der Einführung
des Nachhaltigkeitsfaktors steigt die Anzahl der Jahre,
die durchschnittlich verdienende ArbeitnehmerInnen
einzahlen müssen, um Altersarmut (im Sinne des
Unterschreitens des Bedarfsniveaus der
Sozialhilfe/Grundsicherung) zu vermeiden, nach
Berechnungen des Verbands deutscher
Rentenversicherungsträger (VDR) (2004) auf 28 Jahre in
2015 und 31 Jahre in 2030 an. Gemessen an heutigen
Maßstäben liegt diese Zahl sehr nahe an den
durchschnittlichen Versicherungszeiträumen von
ArbeitnehmerInnen."
BÄCKER sieht dadurch
die Akzeptanz und Legitimation der Alterssicherung
gefährdet. Die Rentenformel führe zudem dazu, dass die
Planbarkeit des Ruhestandes durch den Nachhaltigkeitsfaktor
unsicherer wird. Der kapitalgedeckten Altersvorsorge fehle
außerdem ein Solidarausgleich im Gegensatz zum Umlagesystem:
"So werden in der
Rentenversicherung Zeiten der Arbeitslosigkeit, der
Krankheit, der Kindererziehung, der Pflege und der
Ausbildung angerechnet, ohne dass die Betroffenen in
diesen Phasen eigene Beiträge entrichten müssen. Ein
solcher Solidarausgleich ist bei der privaten Vorsorge
nicht möglich, entlastend wirkt nur die staatliche
Förderung."
Dadurch vergrößern
sich gemäß BÄCKER die Einkommensdifferenzen im Alter. Die
betriebliche Altersvorsorge könnte zwar als verpflichtende
Zusatzversorgung Funktionen des sozialen Ausgleichs
übernehmen, nur hätte dies keinerlei Vorteile gegenüber
einer gesetzlichen Rente, sondern zeige nur, dass diese
keineswegs unmodern sei.
Die derzeitigen
Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung sind nach
BÄCKER nicht dem demografischen Wandel geschuldet, sondern
im Gegenteil werde die Rentenversicherung derzeit sogar
entlastet:
"Falsch ist (...)
die immer wieder verbreitete These, dass der
demographische Umbruch für die gegenläufige Entwicklung
von Ausgaben und Einnahmen ursächlich sei. Ganz im
Gegenteil wird die Rentenversicherung von der
demographischen Seite derzeit eher entlastet, da sich noch
stark besetzte Jahrgänge im erwerbsfähigen Alter befinden.
Der Umschwung wird erst gegen 2010 einsetzen, dann werden
die stark besetzten Jahrgänge im Rentenbezugsalter stehen.
Die gegenwärtigen Probleme sind im Wesentlichen Folge der
Arbeitsmarktkrise. Die hohen Arbeitslosenzahlen führen auf
der Einnahmenseite zu Aufkommenslücken; noch
schwerwiegender wirkt sich der Rückgang der
Beschäftigtenzahlen aus, die den Zuwachs der registrierten
Arbeitslosigkeit deutlich übertreffen, da es hierfür
keinerlei Ausgleich gibt. Beitragseinnahmen gehen auch
verloren durch die Ausdehnung der Mini- und Midi-Jobs,
durch die faktische Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und
durch die mit der Riester- Rente eingeführte Möglichkeit,
Entgeltansprüche steuer- und sozialversicherungsfrei für
eine betriebliche Altersversorgung verwenden zu können."
Es birgt nicht einer
gewissen Ironie, dass ausgerechnet nach 2010 der
demografische Wandel wiederum kein Problem für die
Rentenfinanzierung darstellt. BÄCKER weist aber auch darauf
hin, dass nicht-demografische Faktoren für die Finanzierung
ausschlaggebend sind:
"Durch die
Begrenzung der Debatte nur auf demographische Quoten wird
verdrängt, dass die Finanzierungsfähigkeit der
Alterssicherung entscheidend von der Entwicklung des
Arbeitsmarktes (Ausschöpfen des Beschäftigungspotenzials
und Abbau der Arbeitslosigkeit) und der Wachstumsraten von
Produktivität und Arbeitnehmereinkommen abhängt."
Die Kapitaldeckung sei
zudem keine Lösung für die demografische Entwicklung, weil
auch die Kapitalmärkte nicht unabhängig davon seien. BÄCKER
hält die Argumente der Befürworter einer kapitalgedeckten
Altersvorsorge für Augenwischerei:
"Aus
gesamtwirtschaftlicher und -gesellschaftlicher Perspektive
macht es keinen Sinn, steigende Ausgaben für die
Alterssicherung, wenn sie öffentlich, d.h. über Beiträge
und/oder Steuern finanziert werden, als Zwangsabgaben und
als Ausdruck einer nicht mehr akzeptablen
Belastungsexpansion zu erklären, die selben
Ausgabenzuwächse demgegenüber, wenn sie privat, d.h. über
Versicherungsprämien finanziert werden, für hinnehmbar zu
halten."
BÄCKER sieht
Differenzen lediglich bei den Einstellungen (anti-etatistische
Tendenzen bei Besserverdienenden) und den
Entlastungsmöglichkeiten der Politik, die für Mängel der
Kapitalmärkte nicht unmittelbar verantwortlich gemacht
werden können. Dies vernachlässigt die Möglichkeit von
Verantwortungszuschreibungen durch die Finanzdienstleister,
die regelmäßig die staatliche Regulierung als Ursache
niedriger Renditen der Versicherten behaupten.
BÄCKER sieht in der
gegenwärtigen Alterssicherungspolitik Tendenzen, die
Rentenversicherung auf eine "steuerfinanzierte,
bedarfsbezogene Grundsicherung" zu reduzieren und damit eine
Abkehr von der "lohn- und beitragsbezogenen
Rentenversicherung". Dies befördere Rentenmodelle, die einem
Systemwechsel zur Grundrente entspräche. BÄCKER ist
hinsichtlich dieser Modelle skeptisch.
Für BÄCKER stellen die
demografischen Herausforderungen für die Rentenversicherung
kein Problem dar, sofern stärker steigende Beitragssätze
nicht tabu seien. In der Kommunikation der Probleme
kapitalgedeckter Altersvorsorgesysteme sieht BÄCKER eine
wichtige Aufgabe, denn "die von den Banken und den
Privatversicherungen finanziell" unterstützten Lehrstühle
und Forschungseinrichtungen würden solche Probleme negieren.
2005
KONRAD, Kai A. & Wolfram F. RICHTER (2005): Zur
Berücksichtigung von Kindern bei umlagefinanzierter
Alterssicherung,
in:
Perspektiven der Wirtschaftspolitik,
Heft1, S.115-130
KONRAD & RICHTER
vergleichen eine Beitragsdifferenzierung (Rente nach
Kinderzahl), d.h. die Geburtenförderung, mit den Effekten
einer Förderung der Humankapitalbildung, d.h. einer
effizienteren Bildungspolitik die zu einer höheren
Arbeitsproduktivität führen soll. Die Autoren sehen also in
der Bildungspolitik ein funktionales Äquivalent zur
Bevölkerungspolitik (Rente nach Kinderzahl), um die
Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Sozialstaat zu
gewährleisten. Zudem sehen sie in der besseren Vereinbarkeit
von Beruf und Familie eine zielgenauere Möglichkeit der
Geburtensteigerung. Ihr Fazit lautet deshalb:
"Zusammenfassend gilt,
dass von einer Beitragsdifferenzierung keine nachhaltige
Lösung der Finanzierungsprobleme umlagefinanzierter
Alterssicherungssysteme zu erwarten ist. Die Politik kann
das Fertilitätsverhalten zielgenauer und kostengünstiger
durch andere Instrumente beeinflussen. Neben dem
Fertilitätsverhalten ist das Ausmaß an
Ausbildungsanstrengungen junger Menschen für die
Entwicklung des Beitragsaufkommens in den
Alterssicherungssystemen von zentraler Bedeutung. Als
Mittel zur Beeinflussung solcher
Investitionsentscheidungen erscheint eine
Beitragsdifferenzierung sogar vollkommen ungeeignet."
KONRAD & RICHTER
kritisieren das Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts
aus wohlfahrtsökonomischer Sicht als einen "Akt politischer
Gestaltung" und nicht als Sachzwang, der sich aus der
Funktionsweise der Alterssicherung ergibt:
"Das charakteristische
Element der Umlagefinanzierung von Sozialversicherung ist
(...) nicht die Konstanz des Beitrags- und
Leistungsrechts, sondern der Zwang, Beitragseinnahmen und
Leistungsausgaben auf jährlicher Basis zum Ausgleich zu
bringen. Von daher stellen Anpassungen im Beitrags- und
Leistungsrecht das System nicht selbst infrage; sie sind
vielmehr Teil des Systems. Bei einem Rückgang der
Beitragszahler werden die notwendigen Anpassungen für die
Versicherten allenfalls schmerzhafter spürbar als bei
einem stetigen Zustrom. Dies relativiert die These von der
konstitutiven Bedeutung der Kindererziehung für die
umlagefinanzierte Sozialversicherung. Generative Beiträge
sind im finanzierungstechnischen Sinne nicht eigentlich
konstitutiv; sie schaffen lediglich die Möglichkeit, die
Leistungsausgaben auf mehr Beitragszahler umzulegen und
den Anpassungsdruck bei veränderten Bedingungen zu
mildern."
Man kann gegen diese
mechanistische Auslegung einwenden, dass die
Rentenversicherung keineswegs lediglich eine Beziehung
zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern darstellt.
So beruhen versicherungsfremde Leistungen wie z.B. die
Anerkennungszeiten für Kindererziehung, Anerkennung von
Ausbildungs- und Arbeitslosigkeitszeiten oder die
Rentenzahlung an ehemalige DDR-Bürger nicht auf Leistungen
für Beitragszahler, sondern sind gesamtgesellschaftlich zu
begründende Aufgaben, die der Steuerfinanzierung bedürfen.
Gegen dieses Prinzip wird jedoch seit Jahrzehnten immer
wieder verstoßen. Dies ist einer der Hauptgründe für die
Finanznot der Rentenkasse.
FOCUS
-Titelgeschichte: Die Chancen der
neuen Rente.
Wie
Sie sich jetzt optimal absichern können |
KOWALSKI, Matthias & Melanie CONTOLI (2005): Das Geheimnis der
drei Bausteine.
Altersvorsorge: Die alte Formel "Staatsrente plus Erspartes"
hat ausgedient. Alle müssen jetzt ihre Zukunftssicherung neu
planen,
in:
Focus,
Nr.9 v. 28.02.
KOWALSKI & CONTOLI erklären die Teilprivatisierung der
Altersvorsorge zur großen Chance:
"nie hatten die Deutschen
größere Chancen, sich eine eigene Privatrente aufzubauen, die
mit hoher Sicherheit zuverlässiger sein wird als das marode
Staatssystem. Dafür lohnt es sich umzulernen."
Es handelt sich also um
einen Beitrag zum Thema "Finanzialisierung". Altersvorsorge
wird damit zur neuen Lebensaufgabe. Die neue "Rürup-Rente"
soll das "Langlebigkeitsrisiko" abdecken. Es gilt aber auch:
"Stirbt der Versicherte,
freut sich die Versicherung, denn das Geld fällt ihr zu."
Neben der neuen "Rürup-Rente"
preist der Focus auch die "Riester-Rente" an. Mit der
nachgelagerten Besteuerung von Renten könnten sich jedoch für
viele Rentner die Renditen verringern.
Offenbar ist der Wille zur
privaten Altersvorsorge jedoch nach Ansicht der
Versicherungswirtschaft ungenügend ausgeprägt:
"»Viele haben von dem Thema
'private Altersvorsorge' die Nase voll«, befürchtet Gabriele
Hoffmann vom Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft (GDV) Eine gefährliche Reaktion. Ab
April will der Verband mit einer groß angelegten
Informationskampagne bei den Deutschen für die neue Rente
werben. Dabei müsse man »etwas Positives rüberbringen«, denn
mit Versorgungslücken, Rentenlöchern, Renditekürzungen oder
sonstigen Horrorszenarien seien die Menschen offenbar genervt
worden.
Sollten die Deutschen der neuen privaten Vorsorge die
freiwillige Gefolgschaft verweigern, so hat die Regierung
schon einen anderen Plan in der Schublade: die Zwangsvorsorge
- damit könnten Riester, Rürup & Co. zur Bürgerpflicht
werden."
WEIßENBERGER, Erich (2005): Die Umsetzung des
Kinder-Berücksichtigungsgesetzes in den Bestandsrenten der
gesetzlichen Rentenversicherung,
in:
Deutsche Rentenversicherung,
Heft 4-5, April/Mai, S.292-308
WEIßENBERGER beschreibt
den immensen bürokratischen Aufwand der Rentenversicherung,
der durch das Kinderberücksichtigungsgesetz (KiBG)
aufgrund des Pflegeurteils des Bundesverfassungsgerichts vom
3. April 2001 und der daraufhin vom Bundestag beschlossenen
Umsetzung, erforderlich wurde.
"Mit dem KiBG wurde für
die in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversicherten
Rentner der Geburtsjahrgänge ab 1940 ein Beitragszuschlag
für Kinderlose in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten
eingeführt."
In der Pflegeversicherung
wird der Anteil der Kinderlosen nicht ausgewiesen. Offenbar
wusste man bereits damals, dass der Anteil lebenslang
Kinderloser, der in der Öffentlichkeit kursierte weit
überhöht war. Für die Rentenversicherung ergeben sich jedoch
Anhaltspunkte über den Anteil lebenslang Kinderloser für das
Jahr 2005:
"Von den insgesamt rund
21 Mio. der zum Rentenauszahlungstag 29.04.2005 laufend
geleisteten Zahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung
(...), ist in 1,07 Mio. Renten jeweils ein
Beitragszuschlag für Kinderlose bei Berechnung der
Pflegeversicherungsbeiträge berücksichtigt worden. (...).
Inwieweit sich die (...) festgestellten Fallzahlen
aufgrund von Rückabwicklungen, in denen die
Elterneigenschaft gegenüber dem zuständigen
Rentenversicherungsträger nachträglich nachgewiesen werden
wird, kurzfristig noch vermindern, bleibt abzuwarten."
Daraus ergibt sich, dass
es unter den Rentnern des Jahres 2005 höchstens 5,1 %
lebenslang Kinderlose gibt.
SCHWENN, Kerstin
(2005): Eichel
muß Geld für die Rente zurücklegen.
Wachstumsschwäche erfordert vorgezogenen Bundeszuschuss. IW
für Rente nach Kinderzahl,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.05.
Kerstin
SCHWENN erklärt uns zuerst die Finanznöte der
Rentenversicherung, die nichts mit dem demografischen Wandel
zu tun haben. Nichtsdestotrotz wird uns eine Rente nach
Kinderzahl als angebliche Lösung der Finanzprobleme
vorgeschlagen. Das arbeitgebernahe IW Köln sieht aufgrund
von Fehleinschätzungen zur Geburtenentwicklung eine Kopplung
der Rente an die Kinderzahl als Ausweg aus der Misere. Dazu
wird uns eine Grafik präsentiert, die mit Das Ende der
geburtenstarken Jahrgänge überschrieben ist und uns
folgende Kinderzahlen einzelner Frauenjahrgänge präsentiert:
Frauenjahrgang |
Frauen ohne Kind |
Frauen mit 1 Kind |
Frauen mit 2
Kindern |
Frauen mit 3
Kindern |
Frauen mit 4 und
mehr Kindern |
durchschnittliche Kinderzahl |
1940 |
11 % |
26 % |
34 % |
19 % |
10 % |
1,97 |
1945 |
13 % |
30 % |
35 % |
14 % |
8 % |
1,78 |
1950 |
16 % |
29 % |
34 % |
13 % |
7 % |
1,69 |
1955 |
22 % |
25 % |
34 % |
12 % |
7 % |
1,62 |
1960 |
26 % |
22 % |
32 % |
12 % |
8 % |
1,60 |
1965 |
32 % |
18 % |
31 % |
11 % |
8 % |
1,48 |
Auf
dieser Website wurde dargelegt, dass diese
nationalkonservativen Schätzungen zur Kinderlosigkeit
weit überhöht sind. Zudem wird uns verschwiegen, dass es
sich hier um Schätzwerte für Westdeutschland und nicht für
Deutschland handelt.
Mit der
Rente nach Kinderzahl sollen Arbeitnehmer gegeneinander
ausgespielt werden und als lachende Dritte können die
Arbeitgeber sich über eine Entlastung freuen. Es geht hier
letztlich also um eine Entsolidarisierung der Arbeitgeber.
SCHWENN
erklärt uns, dass der Rentenanspruch von Kinderlosen (nicht
jedoch von Eltern mit zu wenig Kindern) folgendermaßen
gekürzt werden soll:
"Nach
dem Modell soll derjenige, der keine Kinder erzieht, gegen
die künftigen Beitragszahler-Generationen keinen vollen
Rentenanspruch mehr haben. Vielmehr soll ein Anspruch nur
in der Höhe entstehen, in der er sich indirekt -
beispielsweise über Steuern - an Kindererziehungskosten
anderer beteiligt. Dieser Anteil liege nach Berechnung des
Kieler Instituts für Weltwirtschaft bei 45 Prozent, heißt
es beim IW."
Ein
weiterer Fehlschluss liegt darin, dass von einer sinkenden
Geburtenrate ausgegangen wird, sodass man auf unrealistisch
niedrige Ausgaben für die Beitragsrente im Jahr 2030 kommt.
Für steigende Geburtenraten werden uns dagegen keine
Berechnung vorgelegt. Daran erkennt man unseriöse
Berechnungen, denn seriöse Rechnungen enthalten immer auch
Szenarien für alternative Entwicklungen.
SCHMIDT, Helmut (2005): Unsere Rentensünden.
Immer weniger Beitragszahler, immer mehr Rentner: Die möglichen
Auswege sind seit langem bekannt und tauchen doch in den
Wahlprogrammen nicht auf,
in: Die ZEIT Nr.32 v. 04.08.
"Eigentlich wäre seit Anfang der sechziger Jahre
erkennbar gewesen, dass die Kinderzahl pro Frau in beängstigendem
Maße sank",
meint Altbundeskanzler SCHMIDT. Im
Nachhinein ist man eben immer schlauer, nur damals arbeitete man
nach den gleichen Berechnungsprinzipien wie heute.
Noch
1963 wurde von Karl SCHWARZ eine Bevölkerungsvorausberechnung geliefert, die
einen rasanten Bevölkerungszuwachs prognostizierte.
Heute
wird mittels der gleichen Prinzipien, also beruhend auf den
Vorstellungen von gestern, ein weiterer Geburtenrückgang
vorausgesagt. Nichts spricht dafür, dass wir heute schlauer sind als
damals. Es
kommt sogar noch schlimmer: Unsere Bevölkerungsstatistik ist völlig
veraltet. Für Ostdeutschland sind seriöse Trendaussagen überhaupt
nicht mehr zu treffen, weil unsere Statistik ehezentriert ist.
Über
50 % der Geburten in den neuen Ländern sind außerehelich. Die
Zuordnung dieser Geburten zu den Frauen ist deshalb nicht möglich.
Über den Anteil der Kinderlosen kann auch deswegen nur spekuliert
werden.
Olga PÖTZSCH
vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden hat dieses
Desaster, das zwar seit langem bekannt ist, aber selten
thematisiert, deutlich gemacht.
Sowohl
die Bundesregierung als auch das Bundesverfassungsgericht betreibt
Politik, ohne zu wissen, ob die Annahmen über die
Bevölkerungsstruktur stimmen. Entscheidend ist, welche Experten
jeweils gehört werden.
Das Pflegeurteil aus dem Jahr 2001
lieferte den Präzedenzfall für diese Art von politischer Willkür,
der die empirische Basis fehlt.
SEIDL, Claudius & Heinrich WEFING
(2005): Wir brauchen eine außerparlamentarische Opposition.
Unsere Gesellschaft verpraßt das Vermögen und die Ressourcen ihrer
Kinder und Enkelkinder - und wenn sich das nicht schnell ändert,
drohen dramatische Konsequenzen: Die Rentenkassen werden sich leeren,
die sozialen Sicherungssysteme kollabieren. Junge
Bundestagsabgeordnete wehren sich. Eine Krisensitzung,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 04.09.
Alexander BONDE (Grüne), Günter KRINGS (CDU),
Swen SCHULZ (SPD) und Daniel BAHR (FDP) - allesamt Politiker aus der
Generation Golf - schwadronieren über Generationengerechtigkeit. Um
sich zu profilieren ist ihnen JEDES Mittel recht, selbst vor
sozialpolitischer Demagogie wird da
nicht zurückgeschreckt:
"Krings:
Die wirtschaftliche Krise heute, die hat mit Demographie noch gar
nichts zu tun. Aber darüber muß man notfalls hinwegsehen. Man darf
dann schon mal sagen: Die Schwierigkeiten, die wir jetzt haben, das
sind die Vorboten der künftigen Katastrophen".
Darf man diese Politiker
überhaupt noch ernst nehmen, wenn sie wissentlich Lügen in Umlauf
bringen?
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