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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Die Rente vor dem Kollaps wegen dem Geburtenrückgang und der steigenden "Altenlast" in Deutschland?

 
       
   

Eine Bibliografie der Debatte um die Finanznot der Rentenversicherung (Teil 7)

 
       
       
     
   
     
 

Vorbemerkung

Die Rente steht seit Jahrzehnten vor dem Kollaps. Immer ist es die Altenlast, die zum Bankrott führen soll. Aber stimmt das überhaupt? Die folgende Bibliografie soll zeigen, dass der ewig währende Zusammenbruch des Rentensystems viele Ursachen hat, der demografische Wandel ist bislang kein Faktor gewesen. Der Zusammenbruch wurde bereits auf das Jahr 2000, auf 2010, auf 2020 und nicht zuletzt auf das Jahr 2030 datiert. Das Rentensystem hat sich tatsächlich verändert, aber war das eine Notwendigkeit der demografischen Entwicklung? Man darf das bezweifeln, wenn man die Debatte über die Jahrzehnte verfolgt und mit den Fakten vergleicht. Das soll diese Dokumentation ermöglichen. Die Kommentare spiegeln den Wissensstand des Jahres 2014 wieder. 

Kommentierte Bibliografie (Teil 7 - Das Jahr 2014)

2014

Martin Werding (2014): Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung (Auftragsstudie der Bertelsmann Stiftung)

Nachdem die Welt und die FAZ bereits letzte Woche auf die Kampagne gegen Kinderlose vorbereitet hat und Hans-Werner SINN bereits im November 2013 einen "Versuchsballon" gestartet hat, kann nun die Bertelsmann-Stiftung ihre "neue Studie" in den Medien mit der Pressemitteilung Fehler im System: Familien in Rentenversicherung benachteiligt lancieren.

Der neoliberalen Bertelsmann Stiftung geht es primär um Entlastung des Kapitals (Prinzip des katholischen Sozialstaats). Dies geht am einfachsten, wenn man die Arbeitnehmer gegeneinander ausspielt, z.B. indem man Eltern gegen Kinderlose aufhetzt.

Wie ideologisch die Studie von Martin WERDING ist, beweist bereits, dass "familienpolitische Leistungen" nicht danach bemessen werden, inwieweit sie Kinderlosen tatsächlich zu Gute kommen, sondern danach, ob sie auch Kinderlosen zu Gute kommen können. Im ersten Falle müssten alle Maßnahmen anteilsmäßig berücksichtigt werden, im zweiten Fall werden Maßnahmen durch gezielte Nichtberücksichtigung außen vor gelassen:

"Mit einer umlagefinanzierten Absicherung eines Großteils der Bevölkerung bei Alter, Krankheit und Pflegebedürftigkeit greift der Staat tief in das Verhältnis der Generationen und in die Sphäre der Familie ein – weit tiefer als etwa im Feld der Familien- und Bildungspolitik. (...). So enthält die derzeit jüngste »Bestandsaufnahme der familienbezogenen Leistungen und Maßnahmen des Staates»« für das Jahr 2010 (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2013a) bei einer denkbar weiten Abgrenzung insgesamt 156 Einzelmaßnahmen mit einem finanziellen Gesamtvolumen von 200,3 Mrd. Euro. Lässt man Maßnahmen wie das Ehegattensplitting unberücksichtigt, die nicht familien-, sondern ehebezogen gewährt werden, verbleiben Ausgaben in Höhe von 125,5 Mrd. Euro, von denen 52,9 Mrd. Euro als verfassungsrechtlich zwingender Familienlastenausgleich und 55,4 Mrd. Euro als vom Gesetzgeber aktiv gestaltete Familienförderung klassifiziert werden (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2013b: 4). Als »Lastenausgleich« – und somit immerhin nicht als »Familienförderung« – werden dabei auch die Ausgaben für die Mitversicherung von Kindern in der Kranken- und Pflegeversicherung (zusammen 17,1 Mrd. Euro) verbucht. Dasselbe gilt für die Beiträge des Bundes für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentensystem (11,6 Mrd. Euro). Da die laufenden Ausgaben für daraus resultierende Rentenansprüche nur 6,4 Mrd. Euro betragen, erweist sich der Rest allerdings als allgemeine Subvention des Rentenbudgets." (2014, S.16)

Das Ehegattensplitting z.B., das fast ausschließlich Eltern und nicht nur Kinderlosen zu Gute kommt, wird ideologisch herausgerechnet und geht damit erst gar nicht in die Betrachtungen von WERDING ein. Dies ist umso unverständlicher, da WERDING beansprucht das "durchschnittliche Erwerbsleben", also den Lebensverlauf und nicht nur eine Lebensphase (Familien nach der Familiengründung) zu betrachten:

"Die Beiträge, die ein im Jahre 2000 geborenes Kind bei in jeder Hinsicht durchschnittlichem Erwerbsverhalten im Laufe seines gesamten Lebens unter dem geltenden Recht an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen wird, übersteigen die dadurch erworbenen Rentenansprüche voraussichtlich um rund 158.300 Euro (Barwert für 2010). Berücksichtigt wird dabei auch die von einem solchen Kind im Durchschnitt zu erwartende Zahl von Kindeskindern, die die Rente des ersten Kindes im Wesentlichen selbst finanzieren werden." (2014, S.9)

In Deutschland blieben 2012 ca. 20 % der Frauen "lebenslang" kinderlos. Das Statistische Bundesamt lieferte in seiner Broschüre Daten zu Geburten, Kinderlosigkeit und Familien (Tabellen zur Pressekonferenz am 07.11.2013) jedoch keine Daten wie viele dieser Frauen verheiratet waren, also in den Genuss des Ehegattensplittings kamen. Offenbar war der Anteil ideologisch nicht ausschlachtbar, sonst wäre dies ganz sicher in den Medien breit ausgetreten worden. Nähme man an, dass alle kinderlosen Frauen verheiratet wären (was nicht der Fall ist, sondern lediglich die Obergrenze darstellt), dann würden Eltern mindestens zu 80 % vom Ehegattensplitting profitieren. Rechnet man das auf WERDINGs Rechnung um, dann müssten mindestens 59,8 Milliarden Leistungen für Familien mehr veranschlagt werden.

Betrachtet man die tatsächliche und nicht nur die ideologische Belastung, dann werden nicht Kinderlose, sondern Eltern in der Rentenversicherung subventioniert.

Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass - entgegen der Behauptung der Studie - keineswegs von der momentanen Situation ausgegangen wird, sondern Daten der Vergangenheit interpretiert werden, die man genauso gut anders interpretieren könnte:

"Demographie: Die zusammengefasste Geburtenziffer bleibt dauerhaft konstant auf ihrem langfristigen Durchschnittswert von knapp 1,4 Geburten je Frau. Die Lebenserwartung bei Geburt erhöht sich bis 2060 für Frauen auf 91,2 Jahre, für Männer auf 87,7 Jahre. Der Wanderungssaldo beträgt ab 2020 konstant 150.000 Personen pro Jahr"
(2014, S.88),

heißt es zu den Annahmen von WERDING. Kein einziger Frauenjahrgang hat bislang nur 1,4 Geburten pro gebärfähiger Frau erreicht. Stattdessen liegt die Kohortenfertilität bei 1,5 Geburten, wenn man die um 1965 geborenen Frauen betrachtet. Die um 1970 geborenen Frauen werden voraussichtlich sogar eine höhere Fertilität erreichen. Die aktuelle Schätzung des Statistischen Bundesamtes für 2013 deutet zudem auf eine steigende Geburtenrate hin - und dabei sind noch nicht einmal die Ergebnisse des Zensus 2011 eingerechnet, die zusätzlich eine Steigerung der Geburtenrate erwarten lassen.

WERDING rechnet mit einem Wanderungssaldo von 150.000 Personen, während die Saldi derzeit doppelt so hoch sind.

FAZIT: WERDING und die Bertelsmann Stiftung machen mit falschen Zahlen Stimmung gegen Kinderlose.

KAMMHOLZ, Karsten/SIEMS, Dorothea/WIEDEMANN, Johannes (2014): Wirtschaft macht Front gegen Rentenpläne.
Koalition will 60 Milliarden Euro zusätzlich bis 2020 ausgeben. Mittelstandsvereinigung der Union fürchtet Welle von Frühverrentungen,
in: Welt v. 17.01.

CREUTZBURG, Dietrich (2014): Koalition gegen höheren Beitrag für Kinderlose.
Kinderlose kämen in der Rentenversicherung zu gut weg, sagt eine Studie. Sollen sie deshalb künftig höhere Beiträge zahlen? Das Arbeitsministerium und die Rentenversicherung winken ab,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.01.

Dietrich CREUTZBERG rekapituliert nochmals ausführlich die Argumentation von Martin WERDING, denn auch Falsches setzt sich fest, wenn es oft genug in den Medien wiederholt wird. Erst in den letzten Sätzen werden die Fakten präsentiert:

"Die Deutsche Rentenversicherung wertete die Überlegungen der Bertelsmann-Stiftung am Freitag als »unrealistische Gedankenspiele«. Sie erläuterte, dass die Gesamtheit der durch Kindererziehung erzielbaren Rentenanwartschaften schon heute den rechnerischen Gegenwert einer Beitragszahlung von bis zu 34.900 Euro je Kind erreichen könnten."

NIENHAUS, Lisa (2014): Frau Merkel und die kleine Clara.
Die Rentenpläne der großen Koalition werden die Jugend von heute belasten. Noch ist sie zu jung, um sich zu wehren. F.A.S.-Redakteurin Lisa Nienhaus erklärt ihrer Tochter, warum die Rentenreform teuer für sie wird,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 19.01.

Die FAS macht Stimmung gegen den geplanten Rentenentwurf der Bundesregierung, der die Omas von NIENHAUS' Kind besser stellen würde und damit den "privaten Generationenvertrag" (Solidarität innerhalb der Familie) zu Ungunsten des "öffentlichen Generationenvertrags" (Rente) stärken würde:

"Deine Omas zum Beispiel bekommen beide vier Rentenpunkte mehr, das sind im Schnitt 112 Euro mehr im Monat – schließlich haben sie je vier Kinder groß gezogen. Und Kinder versorgen ist auch Arbeit. (...). Dafür könnten sie einmal im Monat mit dem ICE zu uns und wieder zurück fahren und euch sogar noch jedem ein Buch als Geschenk mitbringen."

Daran ist schon falsch, dass es bei der Rente nur um Generationenbeziehungen geht, wie NIENHAUS weismachen möchte. Es geht einerseits um die Relation von Beitragszahlern und Beitragsempfängern. Diese ist abhängig von der Konjunktur (statt von Generationenverträgen) und der Anzahl versicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Beitragszahler müssen nicht in Deutschland geboren sein, sondern sie können auch zuwandern.

Ganz entscheidend ist jedoch die Entwicklung der Produktivität und wie diese in der Bevölkerung verteilt wird. Dieser Aspekt bleibt ausgeblendet, wenn nur von Generationenverträgen schwadroniert wird. Die Grundsatzfrage ist deshalb, warum das Kapital immer mehr entlastet und die Arbeit immer mehr belastet wird. Das betrifft auch nicht nur die Rente, sondern alle Zweige der Sozialversicherung.

Dann wäre z.B. darüber zu streiten, warum z.B. die Mütterrente, wenn sie schon eingeführt werden soll, von den Beitragszahlern und nicht von allen bezahlt werden soll. Wenn Kinder so wichtig wären für die ganze Gesellschaft wie uns die FAS immer sagt, warum soll also nur die Arbeit und nicht auch das Kapital daran beteiligt werden?

Gerne wird in der FAS behauptet, dass uns Vollbeschäftigung drohen würde. Wenn dem wirklich so wäre, was hindert uns also daran die Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit wieder mehr in die Balance zu bringen?

Das alles erzählt NIENHAUS nicht, denn dann wäre ihr schöner Job als Wirtschaftsredakteurin bei der FAS weg...

RUDZIO, Kolja (2014): Milliarden für die Alten.
Wie gerecht sind die Rentenpläne der großen Koalition gegenüber der jüngeren Generation,
in: Die ZEIT Nr.5 v. 23.01.

"Ein Maßstab für Gerechtigkeit könnte sein, dass jede Rentnergeneration nur den Anteil von den Einkommen der Jüngeren für sich verlangt, den sie selbst früher abgegeben hat. Danach dürfte der Rentenbeitrag heute nur bei 17 oder 18 Prozent liegen, denn so wenig haben viele derzeitige Ruheständler einst in die Rentenkasse eingezahlt. Stattdessen steigt der Abzug vom Lohn tendenziell an",

meint Kolja RUDZIO im neoliberalen Wirtschaftsteil. Generationengerechtigkeit nennt sich der Versuch, das Kapital zu entlasten, indem man die Arbeitnehmer (Eltern gegen Kinderlose, Reiche gegen Arme usw.) gegeneinander ausspielt.

Anfang der Nuller Jahre hat man den Jungen sagenhafte Renditen  versprochen, damit sie die Teilprivatisierung der Altersvorsorge akzeptieren. Nachdem sich diese Renditeversprechungen als haltlos erwiesen haben, hetzt man nun einzelne Arbeitnehmergruppen gegeneinander auf. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte: das Kapital.

"Und künftige Generationen werden eine leere Rentenkasse vorfinden, die ihnen kaum noch Gestaltungsspielraum lässt",

verkünden uns Markus DETTMER & Christian REIERMANN im aktuellen Spiegel. Schon seit fast 40 Jahren drohte der Rentenkasse der Kollaps. Demnach müsste unser Rentensystem schon längst zusammengebrochen sein. 1985 rechnete uns z.B. Renate MERKLEIN im Spiegel ein Horrorszenario für das Jahr 2000 vor.

Allen Horrorszenarien zum Trotz, mit denen Rentenreformen als alternativlos durchgesetzt werden sollten, wächst Deutschland bereits seit 3 Jahren und statt der 59,14 Millionen Einwohnern, lebten im Jahr 2000 ca. 67 Millionen Einwohner in Westdeutschland. Das sind 8 Millionen Menschen mehr als uns der Spiegel im Jahr 1985 als jene Variante mit der größten Wahrscheinlichkeit präsentiert hat. In einem Zeitraum von nur 15 Jahren haben sich unsere Bevölkerungsstatistiker um 8 Millionen Menschen verrechnet!

Man sollte also statt Vorausberechnungen der Gegenwart, viel mehr die Prognosen der Vergangenheit heranziehen. Das bewahrt vor Hysterie, die lediglich dem Kapital nützt.

BAUREITHEL, Ulrike (2014): Die Generationen-Lüge.
Groko: Kaum liegen in Berlin die Rentenpläne auf dem Tisch, geht das Gezeter gegen die Alten wieder los. Aber das ist ein Scheingefecht,
in: Freitag Nr.4 v. 23.01.

HANDELSBLATT-Titelgeschichte: Die Renten-Illusion.
Wer für die schwarz-roten Beschlüsse zahlen muss

RÜRUP, Bert & Peter THELEN (2014): Die Renten-Illusion.
Die Regierung dreht die Rentenpolitik der letzten 25 Jahre zurück. Mehr als 160 Milliarden Euro werden Rente mit 63 und Mütterrente kosten - vor allem die 20- bis 45-Jährigen müssen zahlen. Bisherige Reform-Erfolge werden vernichtet,
in: Handelsblatt v. 24.01.

Bert RÜRUP, Politikberater und Lobbyist der Finanzbranche, und Peter THELEN, Handelsblatt-Redakteur, loben die 1992er Rentenreform einer "informellen Großen Koalition", die just im November 1989 verabschiedet wurde:

"Sie hatte den Mut, die Folgen bis 2030 durchzurechnen. Die Idee damals: Lasten zwischen Rentnern, Versicherten und Steuerzahler gerecht zu verteilen"

Bis zur Finanzkrise im Jahr 2007 verlief alles optimal für die Kapitaldeckungslobby. Das Beitragssatzstabilitätsziel für 2030 konnte vom Jahr 1989 von 28 % auf 24 % im Jahr 1999 und sogar auf bis zu 22 % im Jahr 2007 verringert werden. Dies ging zuallererst zu Lasten der Arbeitnehmer. Von dieser Position aus, kritisieren die Autoren nun die Rentenpläne der Regierung:

"Der größte Sündenfall (...) ist die Rente mit 63 (...). Das bedeutet praktisch die Rente mit 61. So verfällt die neue Große Koalition dem alten Fehler: flüchtige Überschüsse der Rentenversicherung - die Wirtschaft floriert seit 2009, die Bevölkerung altert nicht mehr so schnell - werden in langfristige Ausgaben verwandelt.
Über die (...) Mütterrente (...) läßt sich immerhin streiten. Hier schmerzt, dass dieses Geld nur zum sehr geringen Teil aus Steuermitteln bezahlt werden soll und zum Großteil aus Beiträgen."

Man muss die Kritik an der Rente mit 63 als gezieltes Ablenkungsmanöver betrachten, denn sie kostet erstens weniger als die Mütterrente und zweitens betrifft sie nur sehr wenige Menschen:

"durch die Rente mit 63 (werden) vor allem die Fachkräfte in den Ruhestand gedrängt (...), die die Wirtschaft eigentlich braucht."

Von einem allgemeinen Fachkräftemangel kann jedoch keine Rede sein, denn sonst müsste das sich an der Lohnentwicklung abzeichnen. RÜRUP & THELEN machen sich deshalb zu Verbündeten des Elitenfeminismus, indem sie eine Schlagseite bei der Geschlechtergerechtigkeit hervorheben:

"Gezielte Geschenke für heute etwa 60-jährige Männer aus der gewerblichen Wirtschaft",

schreiben die Autoren deshalb. Außerdem behaupten sie "unvermeidliche Intragenerationenkonflikte", während intragenerationelle Konflikte viel wahrscheinlicher sind. Zum einen, weil die Vermögensverteilung bei älteren Menschen viel größer ist als bei Jungen und zweitens, weil eng begrenzte Frühverrentungsprozesse wie sie mit der "Rente mit 63" beschlossen werden sollen, die soziale Ungleichheit innerhalb der Um die 60-Jährigen erhöhen.

Um den Druck auf die Regierung zur Revidierung der Rentenpläne zu erhöhen, setzen die Autoren auf Vorausberechnungen bis zum Jahr 2050:

"Der stärkste Schub an Rentnern steht noch bevor: Er wird zwischen 2020 und 2040 kommen (...). Die Relation der 65-Jährigen und Älteren zu den 20- bis 64-Jährigen wird dann von derzeit gut 0,34 auf 0,63 steigen. Seit mehreren Jahrzehnten rechnet die Regierung aber die Demografie nur bis 2030. Aufforderungen, den Zeitraum bis 2050 auszudehnen, wurden bislang von allen Regierungen ignoriert",

jammern RÜRUP & THELEN. Tatsächlich taugen Vorausberechnungen bis zum Jahr 2030 nichts, weil - was die Autoren verschweigen - sich die Lage in der Vergangenheit viel positiver entwickelt hat, als es die Vorausberechnungen der Vergangenheit weismachen wollten. So hat sich eine Prognose des Jahres 1985 um sage und schweige innerhalb von 15 Jahren um ca. 8 Millionen Menschen verschätzt.

"Fleißige Kommissionen auf Landes-, Bundes- oder Parteienebene, die Szenarien über die künftige Größe des deutschen Volkes entwickeln, kommen allenthalben zu dem Schluß, daß der Bundesrepublik bei »anhaltend niedrigem Geburtenniveau« eine drastische »Verminderung der Einwohnerzahl« drohe - so etwa die vom Bundeskabinett eingesetzte »Arbeitsgruppe Bevölkerungsfragen«. Nach den Modellrechnungen dieser Arbeitsgruppe werden im Bundesgebiet Anno 2030 bestenfalls nur noch gut 43 Millionen, schlechtestenfalls gar lediglich 33,6 Millionen Deutsche leben. Nach dieser düstersten Prognose wird die Zahl der Deutschen in der Bundesrepublik bereits in 15 Jahren um zwölf Prozent und damit von derzeit rund 57 Millionen auf etwa 50 Millionen sinken.
(...).
Trotz der unterstellten Immigrationszunahme rechnen die amtlichen Schätzer damit, daß sich schon für das Jahr 2000 nur noch eine »Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik von rund 59,14 Millionen« ergebe, »die bis zum Jahr 2030 auf rund 45,74 Millionen weiter zurückgeht«.
(...).
Gegenüber dem derzeitigen Bevölkerungsstand von 61 Millionen aber wäre das ein Schwund von rund 25 Prozent."
(Spiegel Nr.52 v. 23.12.1985, S.69)

Die 1985 im Spiegel veröffentlichten Zahlen im Zusammenhang mit der Renten-/Babykrise liegen weit unter dem tatsächlichen Bevölkerungsstand des Jahres 2000. Die Tabelle zeigt die Zahlen im Überblick:

  Bevölkerungsstand (früheres Bundesgebiet) im Jahr 2000 Bevölkerungsentwicklung
Prognose 59,14 Millionen Rückgang um 1,86 Millionen Einwohner (erwähnte Basiszahl: 61 Millionen)
tatsächlicher Bevölkerungsstand (31.12.2000) 67,14 Millionen Zunahme um 6,14 Millionen Einwohner
Prognosefehler  8 Millionen (12 %) 8 Millionen (12 %)

Der angekündigte Bevölkerungsrückgang ist also ausgeblieben. Auch für die Zukunft ist mit fatalen Fehlprognosen zu rechnen, da die Geburtenrate höher ist als in den bisherigen Annahmen berücksichtigt. Familienfundamentalisten wie Martin WERDING nutzen solche Horrorszenarien dann z.B. zu Forderungen für eine Rente nach Kinderzahl, um wenigstens die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten widerstandslos durchsetzen zu können.

Es gäbe also viel eher Gründe, Vorausberechnungen völlig zu verbieten, weil sie eine Politik im Ausnahmezustand zur Regel macht und damit demokratische Prozesse außer Kraft setzt. Die Basta-Politik der Agenda 2010 ist dafür das beste Beispiel. Damals wurde eine Bevölkerungsvorausberechnung mit nur einer einzigen Variante als Grundlage zur Rechtfertigung der Regierungspolitik berechnet, um jegliche Kritik schon im Keim zu ersticken.

Dabei gehen selbst die Autoren davon aus, dass das Rentenproblem sich durch mit dem Tod der Babyboomer von selbst erledigt. Es wäre also nur lediglich eine Lösung für eine einzige Generation zu suchen. Für einen Systemwechsel besteht dagegen aufgrund des demografischen Wandels keine Notwendigkeit.

"Erst wenn in etwa 35-40 Jahren diejenigen, die der Babyboomergeneration der 1950er- und 1960er-Jahre angehören, verstorben sein werden, wird sich der Druck auf die Rente nur noch wenig erhöhen",

schreiben RÜRUP & THELEN. Viel entscheidender ist nicht die Altenlast und die Generationengerechtigkeit, mit der die Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden sollen, sondern die Verteilung des Produktivitätsfortschritts in der Bevölkerung. Davon lenkt die vom Kapital angezettelte Rentendebatte ab.

Bezeichnenderweise wird der Artikel von einem "Aufstand der Leistungsträger" begleitet, d.h. Statements von Repräsentanten des Kapitals, der darauf hindeutet, dass es nicht um Generationengerechtigkeit, sondern um Reich gegen Arm bzw. Kapital gegen Arbeit geht.

SIGMUND, Thomas (2014): "Zum Verzweifeln gebracht".
Meinhard Miegel: Der Demografie-Experte hält die Rentenpolitik für einen Irrweg. Ein Gespräch über die Verführungskünste von Politik, die Notwendigkeit längerer Lebensarbeitszeit - und warum der Bürgeraufstand ausbleibt,
in: Handelsblatt v. 24.01.

Meinhard MIEGEL, dem die leistungsbezogene Rente prinzipiell als Auslaufmodell gilt und der für eine steuerfinanzierte Grundsicherung plädiert, will in der verzögerten Wirkung der Rentenreformen die Ursache für mangelnden Widerstand sehen:

"Weil die finanziellen Folgen solcher Rentenpläne schleichend eintreten."

Auch MIEGEL tritt für Bevölkerungsvorausberechnungen bis zum Jahr 2050 ein, weil sich damit schöne Horrorszenarien basteln lassen.

Die schleichende Wirkung ist tatsächlich ein Problem. Das hängt jedoch nicht mit den derzeitigen Rentenplänen zusammen, sondern mit dem 2005 durchgesetzten Nachhaltigkeitsfaktor, dessen Wirkungsweise gravierende Folgen haben wird, über die uns die neoliberalen Vorsorgelobbyisten nicht aufklären.

Hierzu ist der Artikel Generationengerechtigkeit und Rentenreform am Beispiel der Rentenanpassungsformel von Arnaud LECHAVELIER in der Zeitschrift für Sozialreform aufschlussreich. Der Autor kritisiert, dass dem gegenwärtigen Nachhaltigkeitsfaktor und damit dem Konzept der Generationengerechtigkeit ein ahistorisches Konzept unterliegt, das intragenerationelle Ungleichheiten außer Acht lässt. LECHAVELIER schlägt deshalb einen Nachhaltigkeitsfaktor vor, der weder intragenerationelle, also soziale Ungleichheiten, berücksichtigt, als auch intergenerationelle Ungleichheiten, d.h. Generationengerechtigkeit bzw. Investitionen in die Zukunft. Das wäre zur heutigen Situation, bei der einzig die Beitragssatzstabilität zielrelevant ist, zumindest ein kleiner Fortschritt. Denn im Grunde ist das ganze Konzept der Generationengerechtigkeit angesichts der Unvorhersehbar der Zukunft obsolet. Stattdessen wären Konzepte der Reversibilität von weitreichenden Entscheidungen erforderlich.

Denn was passiert, wenn die Bevölkerungsschrumpfung moderater verläuft oder sogar ein Geburtenboom die Jugendlast und Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen lässt? Was, wenn die Zuwanderung kein vorübergehendes Krisenphänomen, sondern nur der Beginn verstärkter Völkerwanderungen ist?

Die Fixierung der Politik auf eine starke Schrumpfung der Bevölkerung könnte fatale Folgen haben, die von der Linearitätsfiktion abweichende zukünftige Entwicklungen außer Acht lässt.

GOETTLE, Gabriele (2014): Demografische Desinformation.
Statistikprofessor Gerd Bosbach erklärt die Tricks,
in: TAZ v. 27.01.

Gabriele GOETTLE erzählt wie der Statistiker Gerd BOSBACH sich seinen Ruf als Demografieexperte erkämpfte und warum die Desinformation in Sachen demografischer Wandel immer noch vorherrscht:

"Das Berlin-Institut, ein privates Meinungsbildungsinstitut hinter dem unter anderem Versicherungskonzerne stehen, hat 2006 eine sogenannte Studie vorgestellt. Die Horrormeldung im O-Ton: »Deutschland auf Schrumpfkurs« und »Nach dem Mensch kommt der Wolf«. Behauptet wurde, dass wir Deutschen weltweit die geringste Geburtenrate haben. Das war die Meldung Nummer eins in allen Medien. Ich habe am nächsten Tag nachgeguckt und fand eine EU-Statistik, wonach Deutschland unter den 25 EU-Staaten Platz 15 einnahm. Ich bin damit an 50 bis 60 Journalisten herangetreten. Kein Wort. Nichts! Das hat mich empört, dass alle solche Fälschungen durchgehen lassen. Ich habe das Statistische Bundesamt kontaktiert. Nichts! Ich habe die dpa kontaktiert, die diese Nachricht verbreitet hatte, und da sagte man mir, eine junge und unerfahrene Redakteurin hätte das auf der Pressekonferenz des Instituts gehört und es passte eben in die »Denkwelt«. Wenn sie eine Stunde prüfen würden, verkauft eine andere Presseagentur derweil die Meldung. Sie haben danach zwar die richtigen Daten veröffentlicht, aber ohne die falschen zu dementieren. Der Fernsehsender NDR-Kultur hat dann einen Beitrag gemacht, ich erzählte von meinen Aufklärungsversuchen, der Mann von der dpa hat sich entschuldigt und jemand vom Statistischen Bundesamt hat die Richtigstellung gebracht. Aber ich finde heute noch Meldungen, die sich auf die alte Falschmeldung beziehen."

Zur Zeit überschlagen sich die Medien wieder mit demografischen Horrorzahlen und solange die Rentendebatten nicht in eine kapitalfreundliche Richtung gebracht wurden, werden wir tagtäglich mit demografischer Desinformation gefüttert werden. Die Wirtschaft will Berechnungen für das Jahr 2050 und man kann deshalb ziemlich sicher sein, dass diese demnächst publiziert werden. Man kann sie dann aber vergleichen mit jenen aus Zeiten der Agenda 2010. Die Zahlen könnten sich ganz schnell als Bumerang erweisen, denn die publizierten Horrorzahlen der vergangenen Jahrzehnte lassen sich nicht so schnell übertrumpfen! Höchstens mit Falschmeldungen...

SIEMS, Dorothea (2014): Rente mit 63 schafft eine gefährliche Illusion.
Demografie-Studie plädiert für lebenslanges Lernen und flexible Übergänge in einen späteren Ruhestand,
in: Welt v. 31.01.

"Einzelne Angaben können sich insbesondere durch Zeitablauf oder infolge von gesetzlichen Änderungen als nicht mehr zutreffend erweisen. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität sämtlicher Angaben kann daher keine Gewähr übernommen werden",

heißt es in dem neoliberalen Pamphlet Demografie - Strategie 2030 aus dem Dorothea SIEMS zitiert.

Zur Prognosensicherheit erhält man in der Broschüre lediglich demografische Desinformation. Man greift sich dazu eine Bevölkerungsvorausberechnung heraus, deren Zahlen - aufgrund falscher Annahmen - in einem einzigen Punkt - die geringste Abweichung von der gegenwärtigen Zahl hat. Man verschweigt jedoch, dass die zu politischen Zwecken in Umlauf gebrachten Zahlen meist völlig daneben liegen. So weist eine Bevölkerungsvorausberechnung, mit der 1985 eine Rentendebatte ausgelöst wurde, eine Fehlprognose um 12 % bzw. 8 Millionen Menschen für Deutschland im Jahr 2000 auf. Man sollte deshalb ALLE Vorausberechnungen der letzten Jahrzehnte überprüfen und auf ihre Abweichungen zur Realität testen. Das wird aber nicht getan. Warum wohl nicht? Man möchte sich diese Blamage ersparen...

SIEMS schreibt von einer "brutal auf uns zurollende Pflegelawine". Stattdessen steht in der Studie:

"Die Menschen bleiben immer länger gesund. Die Gruppe der »Senioren« wurde bis vor wenigen Jahren mit der Gruppe der im Erwerbs- und gesellschaftlichen Leben Inaktiven assoziiert. Inzwischen wird sie in die Gruppe der aktiven Senioren, die noch rüstig und in vielerlei Hinsicht und mit steigender Tendenz aktiv sind, und jene der hilfe- und pflegebedürftigen Greise bzw. Hochbetagten (80-Jährige und Ältere) unterschieden."

Wenn aber dieser Trend weiter bestehen bleibt, dann müssten für 2030 Pflegebedürftige nicht als 80-Jährige, sondern z.B. als 85-Jährige definiert werden. Dies wird jedoch von Apokalyptikern wie RAFFELSHÜSCHEN nicht gemacht, denn Horrorszenarien werden so konstruiert, dass zwar die Lebenserwartung als steigend angenommen wird, der Gesundheitszustand aber als gleichbleibend. Bei langen Zeiträumen ergeben sich daraus märchenhafte Horrorszenarien.

Beispielhaft für falsche Annahmen zur Pflegesituation, kann auch die Studie Die Single-Gesellschaft von Stefan HRADIL gelten, der Mitte der 1990er den Pflegebedarf aufgrund der Zunahme von Alleinlebenden prognostizierte. Bereits innerhalb des kurzen Zeitraums 1990 - 2005 wurde der Pflegebedarf falsch eingeschätzt, weil die Anzahl der lebenslang Alleinlebenden zu hoch angesetzt und die Verbesserungen des Gesundheitszustandes unterschätzt wurden.

NIEJAHR, Elisabeth (2014): Der große Renten-Irrtum.
Das geplante Altersgeld ab 63 ist sehr beliebt. Doch neue Studien zeigen: Viele Ruheständler vermissen ihren alten Job,
in: Die ZEIT Nr.6 v. 06.02.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Geldthema: Arbeiten im Alter.
Die Rente mit 63 gilt nur für wenige. Aber es gibt andere Wege, den Übergang in den Ruhestand flexibel zu gestalten

BOEHRINGER, Simone (2014): Hoffen auf den Ausstieg.
SZ-Geldthema Arbeiten im Alter: Menschen, die jahrzehntelang schwer gearbeitet haben, würden ihr Berufsleben gerne bald beenden. Ihnen will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles den Ruhestand erleichtern. Doch in der Praxis wirft die Rente mit 63 noch viele Fragen auf. Ein Überblick über die Abschläge, wenn man frühzeitig aufhört,
in: Süddeutsche Zeitung v. 15.02.

MÜNTEFERING, Franz (2014): Das ist ignorant!.
Die Rente mit 63 und die Lebensleistungsrente sind Irrwege. Die große Koalition handelt populistisch statt verantwortlich,
in: Cicero , März

Franz MÜNTEFERING, vom Cicero als Held des Kapitals gelobt, verteidigt seine Rentenpolitik:

"Die Formel des Erfolgs heißt: Sichere Arbeit + gute Löhne + humane Arbeitswelt + stabiler Altenquotient = ausreichende Alterssicherung."

An dieser Formel ist einiges nicht erreicht worden, nämlich: sichere Arbeit + gute Löhne + humane Arbeitswelt. Dass ein stabiler Altenquotient notwendig ist für eine Alterssicherung ist lediglich eine mögliche Politikvariante und schon gar nicht die Plausibelste, denn stabile Altenquotienten gab es nie und wird es auch nie geben, höchstens in einer Diktatur, in der man z.B. die Alten erschießt oder verhungern lässt. In der Formel fehlt zudem der Faktor Funktionsbedingungen des Wirtschaftssystems. Dazu gehören: Konjunkturschwankungen, Sucharbeitslosigkeit, Qualifikationsbedarf um nur einige zu nennen. Keine dieser Rahmenbedingungen erscheinen in der Formel. Warum? Weil man mit der Ausblendung der Produktionsbedingungen den Schuldigen besser im Reproduktionsbereich suchen kann.

Die Rentenbezugsdauer z.B. hat mit dem Altenquotient erst einmal gar nichts zu tun, sondern ist abhängig von der Lebenserwartung und dem faktischen Renteneintrittsalter. Oder anders gesagt: Die MÜNTEFERINGsche Illusionsformel blendet die Entwicklung der Lebenserwartung vollständig aus und entzieht sie damit der politischen Debatte, um sie auf den Geburtenrückgang zu verengen.

BEISE, Marc (2014): Familien werden ausgebeutet,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 15.03.

HAAS, Sibylle (2014): Familien werden gesponsert,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 15.03.

TORP, Cornelius (2014): Rentenpolitik aus dem vorigen Jahrhundert.
Die Pläne der großen Koalition sind ein Relikt der alten Bundesrepublik. Der Sozialstaat kompensiert Ungerechtigkeiten, die er selbst geschaffen hat,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 23.03.

Der Historiker Cornelius TORP führt die Anfänge einer Politik der Mütterrente auf das Jahr 1985 zurück, als die CDU/CSU/FDP-Koalition erstmals Erziehungszeiten im Rentensystem berücksichtigte. Die Rente mit 63 sieht er dagegen in der Tradition einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit, die seit 1972 mit der Einführung einer flexiblen Altersgrenze praktiziert wird.

"Erst in den letzten beiden Jahrzehnten führten die Krise der Rentenfinanzen und die demographische Entwicklung zu einem Politikwechsel",

meint TORP. Dabei bleibt jedoch unklar, was dieser Politikwechsel gewesen ist, denn die Einschnitte in den Leistungskatalog der Rentenversicherung begannen bereits in den 1970er Jahren. Es ist deshalb sehr verkürzt, wenn lediglich die Verlängerung der Lebensarbeitszeit als Politikwechsel verstanden wird und nicht die Absenkung des Rentenniveaus bzw. die Zunahme versicherungsfremder Leistungen zu Lasten der Beitragszahler.

"Sie privilegiert die Babyboomer der Jahrgänge 1951 bis 1963 auf Kosten der nächsten Generation ohne ersichtlichen Grund",

urteilt TORP über die Rente mit 63. Diese Einschätzung scheint jedoch überzogen, angesichts der Tatsache, dass die Rente mit 63 eher zur Spaltung innerhalb der "Babyboomer" beiträgt. Dazu kommt, dass derzeit weder das Gesetz noch dessen Umsetzung beschlossene Sache ist. Es geht also auch um Stimmungsmache.  

THEWES, Frank/ACKEREN, Margarete van/OPITZ, Olaf/RÖLL, Thomas (2014): Riskanter Run auf die Rente.
Das Angebot von Arbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) für einen abschlagsfreien Ruhestand zeigt Nebenwirkungen: Viele Betriebe verlieren wertvolle Fachkräfte,
in:
Focus Nr.13 v. 24.03.

Die Autoren zitieren ausschließlich Lobbypositionen des Mittelstands, weil die Rente mit 63 nach dieser Sicht vor allem "kleine und mittelständische Betriebe" trifft.

HOLLENSTEIN, Oliver (2014): Goodbye, Ruhestand.
Die arbeitsfreie letzte Phase des Lebens - in wenigen Jahren werde sie wohl passé sein, glauben Soziologen. Eine Reise zu den Prototypen der neuen Alten,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 29.03.

Den Prototypen des neuen Alten findet HOLLENSTEIN in der Professorenschaft: der 69jährige Entwicklungspsychologe Rainer SILBEREISEN vertritt die Avantgarde des aktiven Alters, den weiterhin freiwillig Erwerbstätigen:

"Er stehe um sechs Uhr auf (...) gehe (...) um acht Uhr ins Büro. Um 12.30 Uhr treffe er sich mit seiner Frau zum Mittagessen, lese anschließend die New York Times, um 16 Uhr fahre er nach Hause".

Das klassische Rentnerdasein repräsentiert angeblich ein früh verrentetes DINK-Ehepaar ("Double Income, no Kids), das sich jedoch ehrenamtlich betätigt und damit gerade nicht dem klassischen Bild vom Ruheständler entspricht. Auch das dritte Beispiel, ein ehemaliger Manager, der ehrenamtlich Unternehmen berät, gehört zum neuen produktiven Alter.

Das letzte Beispiel ist ein Rentner, dem die Rente nicht ausreicht und deshalb auf Jobsuche ist.

Im Gegensatz zu diesem politisch korrekten Bild des produktiven Alters hat der Soziologe Stephan LESSENICH, der ebenfalls im Beitrag porträtiert wird, zusammen mit anderen Forscherinnen 6 Sozialfiguren des Nacherwerbslebens beschrieben.

LESSENICH ist der Meinung, dass in seiner Generation der neue Typus des produktiven jungen Alten von einer Angelegenheit einer kleinen Elite zur Massenbewegung wird.

HAUPT, Friederike u. a. (2014): "Am Ende steht die staatliche Einheitsrente".
Ist unser Rentensystem gerecht? Nein, sagt Norbert Blüm - nicht mit Riester, starren Altersgrenzen und ständiger Bevormundung,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 30.03.

Norbert BLÜM wendet sich gegen die Aufweichung des Äquivalenzprinzips (Je höher die Beiträge, desto höher das Rentenniveau) durch die Annäherung der staatlichen Rente an eine Grundrente und starre Altersgrenzen:

"Mit 63 Schluss mit 65 Schluss, mit 67 Schluss - das sind alles Modelle aus den Zeiten des Fließbandes. (...). Wer früher aufhört, muss Abschläge in Kauf nehmen, wer länger arbeitet, kriegt Zuschläge. (...). Ich wäre bei 65 Jahren geblieben - mit dem Anreiz, sich mit längerer Arbeitszeit eine höhere Rente zu verdienen."

LUDWIG, Kristiana/SCHMERGAL, Cornelia/ZIMMERMANN, Fritz (2014): Die Mogelpackung.
Die Rentenreform der Großen Koalition soll den Sozialstaat fairer machen - in Wahrheit reißt sie neue Gerechtigkeitslücken: Bedürftige gehen leer aus, Wohlhabende profitieren,
in:
Spiegel Nr.14 v. 31.03.

LESSENICH, Stephan/DENNINGER, Tina/DYK, Silke van/RICHTER, Anna (2014): Leben im Ruhestand. Zur Neuverhandlung des Alters in der Aktivgesellschaft, Transcript Verlag

BERNAU, Patrick (2014): Vorsicht Deutschland.
Deutschland geht es bestens. Das macht übermütig,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 06.04.

Deutschland ist der kranke Mann Europas? Schlecht! Deutschland geht es blendend? Noch schlechter! So könnte man das Motto der Wirtschaftsteile bezeichnen. Gute Zeiten sind schlechte Zeiten, denn die höchste Priorität der Ökonomie ist die Eindämmung des Sozialstaats. Feindbild Nr.1 ist derzeit die Rente mit 63:

"Heute schon kommen in Deutschland auf 100 Leute im erwerbsfähigen Alter 32 Rentner - nur in Japan sind es noch mehr. Seit 2003 hat Deutschland es immerhin geschafft, dass die Leute länger im Beruf bleiben: Arbeiteten damals noch weniger als 40 Prozent der Menschen zwischen 55 und 65 Jahren, waren es 2012 schon fast 60 Prozent. Die Rente mit 63 drohe diesen Trend umzukehren",

warnt deshalb Patrick BERNAU. Eine Grafik behauptet gar, dass es 32 Rentner je 100 Erwerbstätige seien. Als Quelle wird die Weltbank und das Jahr 2012 genannt. Dagegen heißt es in der Bertelsmann-Studie Nachhaltiges Regieren in der OECD und der EU von Daniel SCHRAAD-TISCHLER, über die BERNAU berichtet:

"Deutschland steht hier – gerade im Verhältnis zu vielen anderen OECD- und EU-Staaten – unter einem besonderen Problemdruck, denn der Altenquotient ist nur in Japan noch ungünstiger; das heißt, dass in Deutschland bei einem derzeitigen Altenquotienten von 31,2 bereits mehr als 30 ältere Menschen auf je 100 Menschen im Erwerbsalter (15 bis 64 Jahre) entfallen." (2014, S.78)

Als Wirtschaftsjournalist sollte BERNAU eigentlich den Unterschied zwischen Alten- und Rentnerquotienten bzw. zwischen ErwerbsFÄHIGEN und ErwerbsTÄTIGEN kennen.

FAZ (2014): Rente mit 63,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.04.

Während in der Print-FAZ arbeitende Rentner - trotz Rente mit 63 - den Fachkräftemangel kompensieren können, erhöht in der Online-FAZ die Rente mit 63 den Fachkräftemangel. Zielgruppengerecht ("alte" Print-FAZ-Leser vs. "junge" Online-Faz-Leser) spricht die FAZ also jeweils ihr segmentiertes Leser-Klientel an. Dumm nur, wenn diese sich nicht an die schöne neue Medien-Ordnung halten, und damit der Fachkräftemangel als Kampfbegriff sichtbar wird.

Bereits Mitte der Nuller Jahre hat die ZEIT diese Art der medialen Demografiepolitik vorexerziert: Während in der Print-ZEIT Susanne GASCHKE das Niveau der Kinderlosigkeit in Deutschland übertrieb, durfte Björn SCHWENTKER in der Online-ZEIT den Anti-Gaschke geben. Nachdem das Elterngeld beschlossen war, hatte diese Zielgruppen-Strategie dann ausgedient.

Der Topos Fachkräftemangel wechselt sich in der FAZ mit dem Topos der Vollbeschäftigung ab - je nach Stoßrichtung der aktuellen Demografiepolitik.

WAGSCHAL, Uwe (2014): Rentnerdemokratie: Warum Senioreninteressen gewinnen.
Das größte Armutsrisiko tragen in Deutschland nicht die Alten. Dennoch kümmert sich die Politik vor allem um ihre Interessen. Der Sieg der Älteren über die Jungen wird durch politische Mechanismen begünstigt, auf die die Parteien reagieren - mit schwerwiegenden Folgen für öffentliche Finanzen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.04.

Würden wir in einer Rentnerdemokratie leben, wie die FAZ behauptet, dann wäre weder die Riester-Rente noch die Rente mit 67 durchsetzbar gewesen. In einer Klassengesellschaft wie Deutschland setzen sich dagegen die Interessen der Reichen und damit der Wirtschaft durch. Wie anders ist es denn zu erklären, dass von einer Rente mit 63 geschrieben wird, obwohl doch nur ganz Wenige überhaupt diese Rente in Anspruch nehmen können? Es gibt keine Homogenität der Interessen von Älteren wie uns der Wirtschaftsteil vorgaukelt. In keiner Altersgruppe sind die Interessen heterogener als bei den Älteren, denn in keiner anderen Lebensphase sind die Lebenssituationen unterschiedlicher. Was hat der fitte Unternehmer mit dem erwerbsunfähigen Dachdecker gemein? Was ein mobiler 70Jähriger mit einem bettlägerigen 90Jährigen?

Die Argumentation von WAGSCHAL steht und fällt mit dem Konzept des Medianwählers. Dieses wurde ursprünglich erfunden, um Links-Rechts-Wähler-Präferenzen zu ermitteln. WAGSCHAL verwendet es dagegen im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel. Nationalkonservative Ökonomen wie Hans-Werner SINN haben das Konzept bereits Anfang des Jahrtausends verwendet, um damit angebliche Zeitkorridore für Rentenreformen zu berechnen. Mit dem Konzept des Medianwählers wird gerne die Angst vor einer Gerontokratie geschürt.  

Wenn WAGSCHAL diskutiert, dass eine Senkung des Wahlalters eher SPD/Grüne zu gute käme und ein Elternwahlrecht eher CDU/CSU, dann zeigt sich, dass es hier weniger um das Allgemeinwohl oder Generationengerechtigkeit (ein mehr als fragwürdiges Konstrukt) geht, sondern um parteitaktische Überlegungen zu Machtverschiebungsmöglichkeiten zugunsten unterschiedlicher politischer Lager.

LESSENICH, Stephan (2014): Einfach nicht totzukriegen.
Das Alter in der "alternden Gesellschaft",
in: Merkur, Nr.780, Mai

Der Soziologe Stephan LESSENICH hat sich in den letzten Jahren mit dem Wandel des Altersbild in unserer Gesellschaft beschäftigt. LESSENICH sieht das Jahr 2006 als Wendepunkt in der Debatte um den demografischen Wandel:

"Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft, so lautete der Titel des Fünften Altenberichts der Bundesregierung, der (...) im Jahr 2006 veröffentlicht, den Ton der jüngeren deutschen Demografiepolitik vorgeben sollte. Der Bericht markiert den Umschlag von einer Phase des reinen demografischen Alarmismus hin zu der (...) Entdeckung der (...) gesellschaftlichen »Chancen«."

Dem gefürchteten Altersstrukturwandel (Stichworte: Erhöhung des Altenquotienten, Gerontokratie bzw. Rentnerdemokratie) wurde damit der segensreiche Strukturwandel des Alters (junge Alte) entgegengesetzt.

LESSENICH beschreibt wie in den 1980er Jahren das Verständnis des Alters als Ruhestand (Stichworte: Rente, Kur, Sofa und Fernseher) abgelöst wurde vom eigensüchtigen Unruhestand (Stichworte: Radfahren, Hometrainer, Fernreise, Seniorenstudium), der wiederum ab Ende der 1990er Jahre vom produktiven Alter abgelöst wurde (Stichworte: Ehrenamt, Seniorentrainer, Verlängerung der Lebensarbeitszeit).

Wie wurde dieser Wandel des öffentlichen Altersbildes in Gang gesetzt? Durch die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme:

"Die beliebte Praxis ultralangfristiger statistischer Projektionen, ein offenkundiges Symptom der gesellschaftlichen Suche nach demografischer Zukunftsgewissheit, produziert zugleich das genaue Gegenteil, nämlich eine tiefe Verunsicherung darüber, wie sich eine Gesellschaft mit »immer mehr« Älteren (eine Dystopie, die im Übrigen bevölkerungsstatistisch überhaupt nicht gedeckt ist) auf dynamische Weise reproduzieren können soll. (...). Die prognostizierte »gesellschaftliche Alterung« muss im widersprüchlichen Integrationsmodus der Verjüngung des Alters eingeholt und aufgehoben werden."

Kurz gefasst: Der junge Alte ist das Wunschbild einer Gesellschaft, geboren aus den Horrorszenarien mittels demografischer Kaffeesatzleserei. Der junge Alte ist gemäß LESSENICH das Lebensführungsideal der oberen Mittelschicht, die auch die dafür notwendigen Ressourcen besitzt.

In den "alten Alten" sieht LESSENICH die Dämonen des Wunschbildes einer alterslosen Gesellschaft:

"Die im Doppelsinne alten - höchstaltrig-gestrigen - Alten sind die classes dangereuses der »alternden Gesellschaft«, denn sie gefährden deren gedachte und gewollte Ordnung als altersintegrierte Gesellschaft, sie stören und zerstören die imagined Community einer altersübergreifenden gesellschaftlichen Produktivitätsgemeinschaft."

"Age imperalism" nennt LESSENICH dieses Phänomen, wonach das mittlere Erwachsenalter der oberen Mittelschicht den Standard der alterslosen Gesellschaft bestimmt. Am Ende einer solchen Entwicklung steht für LESSENICH der individuelle Freitod als gesetzliche Möglichkeit aktiver Sterbehilfe durch Ärzte:

"In einer Welt der Demografisierung sozialer Fragen, einer das Alter negierenden Altersordnungspolitik, der Herrschaft von Aktivierungsidee und Produktivitätsnormativ erscheint diese Sorge keineswegs weltfremd. (...).
»Sorge dich - stirb!«, so könnte dereinst der Selbst- und Fremdsorgeappell an das Alter in der »alternden Gesellschaft« lauten."

DIW-Wochenbericht-Thema: Rente mit 63 - Lehren aus der Vergangenheit

RASNER, Anika & Stefan ETGETON (2014): Rentenübergangspfade.
Reformen haben großen Einfluss,
in:
DIW-Wochenbericht Nr.19 v. 07.05.

WITTENBERG, Erich (2014): "Die Rente mit 63 ist ein problematisches Signal.
Sechs Fragen an Anika Rasner,
in:
DIW-Wochenbericht Nr.19 v. 07.05.

WAGNER, Gert G. (2014): Die Rente mit 67 nicht aus den Augen verlieren,
in: DIW-Wochenbericht Nr.19 v. 07.05.

HEBEL, Stephan (2014): Zum Glück sind die Deutschen klüger.
Wiedervereinigung: Schlagloch West, kleine Rente Ost lauten die Stereotype, die gerne gegeneinander in den Medien ausgespielt werden. Neue Zahlen befeuern die Debatte,
in:
Freitag Nr.19 v. 08.05.

Die Deutschen sind klüger? Offenbar nicht, denn sonst würde uns nicht dauernd weis gemacht, dass die Babyboomer schuld am zukünftigen Bankrott des Rentensystems seien. Dabei wurde die deutsche Einheit vor allem von den westdeutschen Babyboomern als Beitragszahler ins Rentensystem bezahlt. Dies wird jedoch tabuisiert, bzw. massiv verharmlost. Wenn aber viele Millionen Ost-Rentner, die nie ins westdeutsche Rentensystem einbezahlt haben, von heute auf morgen Rente kassieren konnten, ohne dass das Rentensystem zusammenbrach? Warum sollte es dann 2030 also ein Problem geben, wenn der Altenquotient zwar ungünstiger als heute ist, aber nicht im entferntesten eine solch massive Umverteilung stattfindet wie durch die Deutsche Einheit? Es wird also Zeit die verlogene Debatte um unser Rentensystem neu zu führen.

SCHWENN, Kerstin & Manfred SCHÄFERS (2014): Die Rente mit 60 - oder auch erst mit 70.
Immer mehr Politiker sprechen sich für einen flexiblen Rentenbeginn aus und verweisen auf Skandinavien. Dort gibt es die Flexi-Rente schon lange, mit interessanten Folgen,
in:
Frankfurter Allgemeine  Zeitung v. 12.05.

Ein wahres WUNDERMITTEL gegen den Kollaps des Rentensystems hat die FAZ entdeckt:

"Das System erweist sich bisher als resistent gegen Risiken der Konjunktur und der Demographie",

schreiben SCHWENN & SCHÄFERS mit Blick auf das Land von Pippi Langstrumpf. "Flexi-Rente" heißt die neue Wunderdroge der Wirtschaft. Was davon tatsächlich erwartet wird, das erfährt man in der letzten Spalte:

"In Schweden gingen die Menschen zwei Jahre später als die Deutschen in den Ruhestand."

Zu deutsch: Man lockt mit einer flexiblen Altersgrenze von 60 - 70 Jahren, bei der die Entscheidung angeblich bei jedem Individuum selber liegt. Das tut sie natürlich nicht, denn entscheidend ist die Ausgestaltung, d.h. die Höhe der Abschläge, die man sich erst einmal leisten muss. Schließlich kann man diese Abschläge nicht individuell wählen, sondern sie sind vorgegeben. Individualisierung für Dummys.

BAUREITHEL, Ulrike (2014): Für immer flexibel.
Reform: Beim Streit um die Rente geht es nicht nur um Geld. Er zeigt auch: Unser Verständnis von Arbeit ist überholt,
in:
Freitag Nr.20 v. 15.05.

"Die Lebensphase nach der Erwerbstätigkeit soll, anders als früher, kein Ruhestand mehr sein, sondern eine Periode, in der sich der Mensch auch weiterhin als funktionsfähiges Subjekt zu bewähren hat",

erklärt Ulrike BAUREITHEL anhand der Studie Leben im Ruhestand die derzeitige Debatte um die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters, die von der Wirtschaft und den arbeitgebernahen Mitte-Medien vorangetrieben wird.

Mit Begriffen wie "Facharbeiteradel" hetzt BAUREITHEL Arbeitnehmer gegeneinander auf, statt die Frage zu stellen, ob nicht bereits die Trennung von Reproduktion und Produktion die Misere ist und der Demografisierung gesellschaftlicher Probleme Vorschub leistet. Als "Anwältin von Frauen" geht es BAUREITHEL dagegen um dir "richtige" Spaltung der Arbeitnehmerschaft. Eine frohe Botschaft für die Wirtschaft, denn nur wenn Arbeitnehmer sich gegenseitig ihre Rente neiden, wird der Alterskraftunternehmer die Zukunft bestimmen können.

Obwohl die Mütterrente Frauen gegeneinander ausspielt, wie  BAUREITHEL selber darlegt, wird sie von der Autorin damit gerechtfertigt, dass sie als versicherungsfremde Leistung einen Beitrag weg vom Arbeitskraftunternehmer leistet:

"Das Problem in der Diskussion bleibt der Maßstab der Erwerbsarbeit. Sie bestimmt die Alterssicherung – und übrigens auch die Form, wie das »junge Alter« individuell gelebt wird. Beschäftigt zu sein oder zumindest so zu wirken, das zeigt die oben genannte Untersuchung, ist nämlich zum Indikator des sogenannten Unruhestands geworden. Insofern hat die Mütterrente, gleichgültig wie man sie bewertet und aus welchen Mitteln sie bezahlt wird, auch ein ehernes Gesetz infrage gestellt. Sie honoriert Arbeit, die nicht entlohnt und für die kein Beitrag entrichtet wurde."

Vielmehr aber leistet die Mütterrente einen Beitrag zur gesetzlichen Rente als Armenfürsorge auf Grundsicherungsniveau. Der Sozialwissenschaftlicher Christoph BUTTERWEGGE spricht in diesem Zusammenhang vom Weg in den "Suppenküchenstaat".

DRIBBUSCH, Barbara (2014): Hysterie um die Frühverrentung.
Alter: Angeblich befördert die Rente mit 63 die Frühverrentung, weil Zeiten der Arbeitslosigkeit uneingeschränkt angerechnet werden können. Das möchte die Regierung verhindern und feilt an Details,
in:
TAZ v. 16.05.

Die taz bringt ihren Lesern bei, dass die Rente mit 63 nicht so kommen wird, wie sie in der Debatte bislang dargestellt wurde.

"Viele Beschäftigte werden bisher schon arbeitslos, bevor sie in eine Rente mit Abschlägen wechseln. Das durchschnittliche sogenannte Erwerbsaustrittsalter liegt bei 61 Jahren, geht aus Zahlen des IAQ-Instituts in Duisburg-Essen hervor."

In China liegt das Renteneintrittsalter dagegen bei 51 Jahren, so berichtete zumindest die FAZ. Es sollte deshalb zu denken geben, wenn im Zusammenhang mit zukünftigen "Altenlasten" lediglich über Altenquotienten debattiert wird, ohne die tatsächliche Ausgestaltung von nationalen Wirtschafts- und Sozialsystemen zu berücksichtigen.

DRIBBUSCH, Barbara (2014): Arbeitgeber, hört auf zu heucheln!
Zur Debatte über die Rente mit 63,
in:
TAZ v. 16.05.

LÜBBERDING, Frank (2014):Maybrit Illner Demenz in der sozialpolitischen Debatte.
TV-Kritik: Maybrit Illner fragt nach Gewinnern und Verlierern des Rentenpakets. Die Erinnerungslücken sind frappierend,
in:
faz.net v. 16.05.

Frank LÜBBERDING beklagt zu Recht die Demenz in der sozialpolitischen Debatte, die daraus resultiert, dass die "jungen Wilden" zu Zeiten der Agenda 2010 die Generationengerechtigkeit als Renditengewinn betrachtet haben und nun durch die Finanzkrise ihre Renditen davon schwimmen sehen. Die Generation Golf ist zur verratenen Generation Laminat mutiert.

Aber auch LÜBBERDING setzt auf Kurzsichtigkeit, wenn er aufgrund der derzeit boomenden deutschen Wirtschaft "Verteilungsspielräume" sieht. Diese will er nutzen, um vermehrt ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dies passt zur FAZ-Debatte um eine Rente mit 90. Der Soziologe Stephan LESSENICH weist jedoch zu Recht darauf, dass keine Lebensphase mit schärferer sozialer Ungleichheit verbunden ist als das Alter. Während große Teile der oberen Mittelschicht in angenehmen Jobs bis ins hohe Alter leistungsfähig bleiben können, wird der Rest der Gesellschaft, der nicht zu den Vermögenden gehört, die Zeche zahlen.

SEIBT, Gustav (2014): Renten.
Der Obrigkeitsstaat,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 17.05.

"Der Generationenvertrag ist ein Gesellschaftsvertrag. Er geht aus von dem was ist. Er vermittelt zwischen den Interessen der Arbeitenden und der Ruheständler",

schreibt Gustav SEIBT zum 125 jährigen Jubiläum des Rentensystems.

"Schon in fünfzehn Jahren wird es in Deutschland genauso viele Menschen über 67 Jahre wie Erwerbstätige geben",

erzählt uns SEIBT. Woher er das weiß, verrät er leider nicht. Die Anzahl der "Menschen über 67 Jahre" mag relativ genau prognostizierbar sein, die der Erwerbstätigen und der Rentner ist es nicht. Oder hatte etwa jemand vor 15 Jahren 42 Millionen Erwerbstätige für das Jahr 2014 prognostiziert?

Zuletzt empfiehlt uns SEIBT seine Wunderdroge: die Flexi-Rente!

Rente mit 63 - Unwort des Jahres 2014

Die "Rente mit 63" wird meist in einem Atemzug mit der "Rente mit 67" genannt, obwohl sie das genaue Gegenteil ist. Während die "Rente mit 67" die Regel des Renteneintrittsalter festlegt, legt die "Rente mit 63" die Ausnahme von der Regel fest, obwohl die Debatte suggeriert, dass es sich um zwei Sachverhalte auf der gleichen Ebene handelt: Verkürzung der Lebensarbeitzeit statt Verlängerung. Weshalb also diese an Hysterie grenzende Empörung aller Mitte-Medien über die Rente mit 63, während die wesentlich teuere Mütterrente niemals zur Disposition stand? 

Der Soziologe Stephan LESSENICH hat in einem fulminanten Beitrag für die Mai-Ausgabe der Zeitschrift Merkur den Mechanismus beschrieben, mit dem unsere Eliten die Entwicklung zur alterslosen Gesellschaft mittels der Demografisierung gesellschaftlicher Probleme betreiben, indem sie die individuellen Ängste vor dem eigenen Alter ausbeuten. Sein Fazit: Die Kehrseite einer solchen Politik ist der individuelle Freitod des unproduktiven Alten: "Sorge dich - stirb!"

SPIEGEL-Titelgeschichte: Ich bleib dann mal da!
Gehalt statt Rente: Warum Senioren weiterarbeiten und damit den Jüngeren helfen

MIDDELHOFF, Paul/SCHMERGAL, Cornelia/SCHREP, Bruno (2014): Im Unruhestand.
Soziales: Während die Regierung eine neue Frührente einführt, drängen Deutschlands Senioren zurück ins Berufsleben. Manche brauchen Geld, andere suchen Erfüllung. Würde der Trend politisch befördert, könnte er die jungen Beitragszahler entlasten,
in:
Spiegel Nr.21 v. 19.05.

"In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Berufstätigen im Rentenalter verdoppelt. Das Statistische Bundesamt zählt über 800 000 Senioren, die auch jenseits der 65 erwerbstätig sind, die Bundesagentur für Arbeit macht gleich eine Million graumelierte Beschäftigte aus. Noch sind sie in einer Minderheit, aber »ihre Zahl wird weiter wachsen«, wie Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prophezeit",

erklärt uns der Spiegel. Und warum arbeiten die 65Jährigen weiter? Weil sie Langeweile haben, suggeriert der Spiegel, der die alterslose Gesellschaft propagiert. Der Soziologe Stephan LESSENICH kritisiert dagegen das öffentliche Altersbild, das die Heterogenität des Alters in Deutschland ignoriert.

Die Realitätsferne des Altersbildes, das dem Lebensführungs-Ideal der oberen Mittelschicht entspricht (weshalb in Zeitungsartikeln insbesondere Manager oder Professoren das Ideal verkörpern), kompensiert der Spiegel durch moralische Appelle und Hinweise auf Ausnahmen von der Regel. Generationengerechtigkeit statt soziale Gerechtigkeit mahnt der Spiegel nur an, ohne empirisch Gehaltvolles dazu vorzubringen. Bücher wie In Rente von Wolfgang PROSINGER unterfüttern diesen Diskurs. Kurz vor Ende des Artikels wird die Realitätsferne des öffentlichen Altersbildes deutlich:

"Bislang (...) ist die Seniorenerwerbstätigkeit vor allem ein Privileg gut ausgebildeter Eliten. Das IAB hat dazu alarmierende Zahlen vorgelegt: Im Alter von 60 bis 64 Jahren sind noch zwei Drittel der Hochschulabsolventen am Arbeitsmarkt aktiv. Unter Handwerksmeistern ist es immerhin noch die Hälfte. Doch von Menschen ohne Berufsabschluss bleibt nur jeder Vierte so lange im Job."

Bekanntlich ist nach der Reform vor der Reform, weshalb der Spiegel-Titel bereits die nächste Rentenreform im Visier hat, die auf Druck der Wirtschaft auf die Agenda gesetzt wurde: die Flexibilisierung der Altersgrenzen oder doch eher die Rente mit 90?

GROENEVELD, Josh & Ann-Kathrin NEZIK (2014): Die Wutlosen.
Warum die junge Generation die Rentenreform der Großen Koalition widerstandslos hinnimmt,
in:
Spiegel Nr.21 v. 19.05.

GROENEVELD & NEZIK stellen Interessenvertreter der "jungen Generation" vor: Wolfgang GRÜNDINGER (SPD), Teresa BÜCKER vom Verband der Jungen Unternehmer, die Juso-Vorsitzende Johanna UEKERMANN und Steffen BILGER als Sprecher der jungen Unionsabgeordneten.

DETTMER, Markus (2014): "Bis zum letzten Tag".
Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) fordert das Ende des gesetzlichen Rentenalters. Jeder soll in Zukunft selbst entscheiden, wann er aussteigt,
in:
Spiegel Nr.21 v. 19.05.

"Der demografische Wandel lässt keine andere Wahl",

behauptet Markus DETTMER. Ein solcher Satz steht für die gängige Praxis einer Demographisierung gesellschaftlicher Probleme. In Wirklichkeit hat der demografische Wandel (ein Begriff, der selten definiert wird) keinen direkten Einfluss auf das Rentensystem wie es der steigende Altenquotient suggeriert. In seiner Stellungnahme zum Rentenpaket hebt deshalb Gerhard BÄCKER die - gegen jede Prognose - positive Entwicklung der Rentenfinanzen hervor, um darauf zu verweisen, dass nicht der Altenquotient, sondern der Rentenfallquotient für die Entwicklung der Rentenfinanzierung entscheidend ist:

"Das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern (präzise: der Rentenfallquotient) hat sich verbessert. Dieser Befund belegt einmal mehr, dass es nicht allein die demografischen Komponenten sind (Zahl der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und im Rentenalter, Altenquotient usw.), die die Finanzlage der umlagebasierten Rentenversicherung bestimmen. Vielmehr kommt es auf das Verhältnis von beitragszahlenden Beschäftigten (und deren Arbeitsstundenvolumen) zu Rentenempfängern an. Wenn es gelingt, die Zahl der Beschäftigten und die Beschäftigtenquote (Anteil der Beschäftigten an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) zu steigern, dann lässt sich die demografische Belastung zwar nicht »aufheben«, aber doch vermindern." (Ausschussdrucksache 18(11)82, S.58)

Der Statistiker Eckart BOMSDORF kritisiert die vorgesehene Kopplung der Rentenfinanzierung im Bereich der Erwerbsminderungsrente an die demografische Entwicklung:

"Die demografische Entwicklung einer bestimmten Altersgruppe bis 2050 in der benötigten Genauigkeit vorherzusagen ist unmöglich. In der im Gesetzentwurf zu diesem Paragraphen aufgeführten Tabelle wird offenbar die Möglichkeit einer kurz- und evtl. mittelfristigen Fortschreibung der Bevölkerung mit einer langfristigen – und zugleich unmöglichen – Vorhersage, um nicht zu sagen mit Hellseherei verwechselt; letztere hat in einem Gesetz sicher nichts zu suchen.
(...).
Die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung des Sta-tistischen Bundesamtes kann hier nicht als Beleg für eine Aussage dieser Qualität hinzugezogen werden. Sie stellt nämlich keine Prognose dar, sondern liefert Modellrechnungen mit unter-schiedlichen Varianten."
(Ausschussdrucksache 18(11)82, S.66)

Bereits diese beiden Beispiele zeigen das Ausmaß, in dem die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme die politische Agenda prägt. Dass die Medien dies nicht kritisch reflektieren, sondern die Demografisierung unreflektiert mittragen, zeigt, dass die Medien keine unabhängige Aufklärung betreiben, sondern Teil der Machtverhältnisse sind.

FOCUS-Titelgeschichte: Früher in Rente.
Was der Bundstag jetzt beschließt. Wie Sie davon profitieren. Was auch alle Jungen wissen müssen

NEUMANN, Philipp & Frank THEWES (2014): Was steckt wirklich drin?
Kurz vor der entscheidenden Abstimmung über das heftig umstrittene Rentenpaket ringen Union und SPD noch um letzte Kompromisse beim Ruhestand mit 63. Ab 1. Juli entfaltet das Gesetz dann seine unberechenbare Wirkung,
in:
Focus Nr.21 v. 19.05.

"Die Mehrausgaben, die auch von der zusätzlichen Mütterrente verursacht werden, belaufen sich bis 2030 auf mindestens 160 Milliarden Euro",

schreiben die Autoren zur Rente mit 63 und verharmlosen damit die Tatsache, dass die Mütterrente das Hauptfinanzierungsproblem ist, da es ca. 3 mal so teuer ist als die Rente mit 63.

Mit einem Schaubild, dessen Daten im Daten des DIA, einer neoliberalen Lobbyorganisation der Finanzdienstleisterbranche, erstellt wurde, wird der Altenquotient, dessen direkter Einfluss auf die Rentenfinanzen eher gering ist, bis zum Jahre 2060 fortgeschrieben - obwohl dies unseriöse Kaffeesatzleserei ist.

Die Rentenkasse soll 2019 komplett leer sein. Unter welchen Bedingungen dies der Fall ist, das lässt der Focus dagegen unbeantwortet.

KOWALSKI, Matthias/NEUMANN, Philipp/THEWES, Frank (2014): 33 Fragen zur neuen Rente.
Ruhestand mit 63, mehr Geld für Mütter und mögliche Boni für jene, die länger im Job bleiben. Jeder sollte sich jetzt damit beschäftigten, mit wie viel er im Alter rechnen kann,
in:
Focus Nr.21 v. 19.05.

NIEJAHR, Elisabeth (2014): Plötzlich arm.
Mütterrente: Die neue Rentenreform hilft den Falschen. Bedürftig werden Millionen Frauen sein, die jetzt noch arbeiten,
in:
Die ZEIT Nr.22 v. 22.05.

"Eine echte Reform muss die Rentner zur Kasse bitten", forderte Elisabeth NIEJAHR 1999. Das ist gelungen. Nun darf sie sich um die Altersarmut von Rentnerinnen aus der Babyboomer-Generation kümmern. Die verratene Generation fühlt sich betrogen. Die Mütterrente helfe da nicht weiter, meint NIEJAHR, sondern Gehalt statt Rente:

"Gerade Mütter, die wegen ihrer Kinder lange zu Hause geblieben sind und wenig in die Rentenkasse eingezahlt haben, wollen oft länger arbeiten. Die Rente ab 67 war für sie weniger eine Zumutung als ein Versprechen, eine Antwort auf die Rushhour des Lebens"

Warum war? Die Rente mit 67 ist immer noch Gesetz, daran ändern die Ausnahmeregelungen einer "Rente mit 63", die beschlossen werden sollen gar nichts.

SCHWENN, Kerstin (2014): Viele Rentengewinner, aber noch mehr Verlierer.
Vom Rentenpaket profitieren Mütter, langjährig Beschäftigte und Erwerbsgeminderte. Verlierer sind alle späteren Rentner,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 23.05.

Was unterscheidet Print und Online-FAZ? Bei diesem Artikel nur die Information, dass der Bundestag das Rentenpaket mit großer Mehrheit verabschiedet hat.

"Rund 10 Millionen Menschen können sich als Gewinner der schwarz-roten Rentenpolitik betrachten: Mütter, besonders langjährig Beschäftigte und jene, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können. (...).
Rund 9,5 Millionen Mütter (oder selten auch Väter), deren Kinder vor 1992 geboren wurden (...) bekommen bei der Rente von Juli an ein zusätzliches Jahr Kindererziehungszeit angerechnet",

erklärt uns Kerstin SCHWENN den Gesamtumfang und Adressatenkreis des Rentenpakets.

ROSSMANN, Robert (2014): So ein schöner Tag.
Die Kanzlerin kommt später, die Hinterbänkler dürfen ran, und an der Spree dösen die Polizisten in der Hitze. Das Parlament beschließt sein Rentenpaket, das Wohlstand für manche und eine Rechnung für alle bringt,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 24.05.

Robert ROSSMANNs Reportage über die Zustimmung des Bundestags zum Rentenpaket ist bezeichnend für die Desinformationsstrategie der Mitte-Medien. Über die Kritik von Markus KURTH (Grüne) und Matthias BIRKWALD (Linke) am Rentenpaket liest man:

"Die beiden filetieren den Gesetzesentwurf nach allen Regeln der Kunst (...). Anders als die Grünen, begrüßen die Linken aber einen großen Teil des Rentenpakets, es geht ihnen nur nicht weit genug."

Als Leser erhält man wenig informative Umschreibungen der Debatte, dafür kann man umso mehr den Missmut von ROSSMANN spüren. Ist das noch Journalismus oder doch eher nur Stimmungsmache? Man kann dem entweder zustimmen oder sich darüber ärgern. Also eher etwas für die Mülltonne. Die Parlamentsreden zum Rentenpaket findet man hier.

HEIDENREICH, Ulrike (2014): Alle Frauen sind gleich, manche sind gleicher.
Zum Freuen und Ärgern: Zwei Mütter und die neue Rente,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 24.05.

Frauen? In dem Artikel kommen nur Mütter zur Sprache, während die 20 % lebenslang kinderlosen Frauen, die den Medien höchstens als Erregungspotential dienen, keine Stimme haben.

"Mit 6,7 Milliarden Euro pro Jahr schlägt die Anhebung der Mütterrente zu Buche",

erklärt uns HEIDENREICH. Das wären bis zum Jahr 2030 rund 107 Milliarden Euro.

Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht folgende Mehrausgaben bis zum Jahr 2030 vor:

Quelle: Bundestag-Drucksache 18/909, S.3
(RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 25. März 2014;
identisch mit dem Entwurf vom 27.01.2014

Man erkennt auf den ersten Blick, dass nach dieser Berechnung die Mütterrente ca. 3 mal so teuer kommt als die Rente mit 63. Man darf sich deshalb zu Recht fragen, weshalb die Rente mit 63 im Kreuzfeuer der Kritik stand und nicht die Mütterrente. Eine Analyse dieses Sachverhaltes sucht man in den Medien vergebens, schließlich sind sie als vierte Gewalt, Teil der Machtverhältnisse in dieser Republik.

SCHERFF, Dyrk (2014): Nur Dumme arbeiten länger.
Die Rente mit 63 ist noch viel attraktiver als gedacht. Wer bis 65 arbeitet, muss schon 100 werden, damit sich das lohnt,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 25.05.

Dyrk SCHERFFs Artikel basiert auf den Schätzungen von Anika RASNER vom DIW und von Lars FELD vom Walter Eucken Institut. Dabei fällt auf, dass vom Walter Eucken Institut die Rente mit 63 nur für einen ledigen Facharbeiter des Jahrgangs 1951, mit einem Kind und einem Bruttomonatslohn von 3630 Euro berechnet wurde. Ist das aber jene Gruppe, die repräsentativ für die Rente mit 63 ist oder nur jene, die - wegen höchstem Steuersatz - das höchste Empörungspotenzial bietet? Seriös wäre es nur gewesen, wenn das auch für Verheiratete Facharbeiter berechnet worden wäre. Und warum nur Facharbeiter? Weil das zum behaupteten Fachkräftemangel passt? Oder weil hauptsächlich Facharbeiter die Rente mit 63 nutzen können?

45 Beitragsjahre erreichen möglicherweise (Warum wissen wir nichts Genaues darüber?) vor allem Arbeitnehmer mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Bei Anika REISNER heißt es dazu:

"Der frühe Berufseinstieg könnte auch Hinweis auf ein niedriges Bildungsniveau der besonders langjährig Versicherten sein. Zwar liegen keine Analysen zur Langlebigkeit dieser Gruppe vor, aber eine DIW Studie hat gezeigt, dass Personen mit geringer Bildung einem deutlich erhöhten Mortalitätsrisiko ab Alter 65 ausgesetzt sind (Kroh, Neiss, Kroll, & Lampert, 2012). Insgesamt ist der Effekt offen."

Wird also mit dem Bezug auf einen Durchschnitt unterschlagen, dass der Kreis der Berechtigten heterogener ist als es die öffentliche Debatte gerne hätte.

DAS PARLAMENT-Thema: Das Rentenpaket
Leistungsausweitung beschlossen

HEINE, Claudia (2014): Milliarden für Millionen.
Mit großer Mehrheit stimmt der Bundestag für das Gesetz. Im Juli tritt es nun in Kraft,
in: Das Parlament Nr.22-23 v. 26.05.

Bei der Berichterstattung der Zeitschrift Das Parlament über das Rentenpaket zeigt sich die Einseitigkeit bereits darin, dass das Interview des CDU-Mittelstandssprecher Christian von STETTEN den größten Raum einnimmt, während Sabine ZIMMERMANN (Die Linke) nicht selber zur Sprache kommen darf. Die Position der anderen im Bundestag vertretenen Parteien finden keine Erwähnung.

Erstaunlich ist zudem, dass die Berechnung der Mehrausgaben des Rentenpakets bis zum Jahr 2030 - trotz zwischenzeitlicher Änderungen am Gesetz - identisch sind mit dem Entwurf vom  27. Januar 2014. Im Artikel von HEINE werden sie lediglich etwas grafisch aufgepeppt.

SUK (2014): Balanceakt für Jung und Alte.
Rentenpaket: Was sehen die Menschen, wenn sie das Rentenpaket öffnen? Fünf Betroffene berichten,
in: Das Parlament Nr.22-23 v. 26.05.

Die Auswahl der Betroffenen entspricht der Meinungsbeschränkung in den Mittemedien: Für die Rente mit 63 steht die Facharbeiterin, die gerne weiterarbeiten würde, statt mit 63 in die Rente gezwungen zu werden. In der Studie Leben im Ruhestand zeichnen Stephan LESSENICH u.a. dagegen die verschiedenen Haltungen zum Ruhestand auf, die jenseits des Ideals der alterslosen Gesellschaft, das in den Mittemedien verbreitet wird, existieren. Über die Mütterrente müssen sich dagegen die Frauen freuen, obwohl die Kosten dieses Teils des Rentenpakets das Hauptproblem der Finanzierbarkeit der Rentenversicherung darstellt. Zwei Betroffene repräsentieren die Veränderungen bei der Erwerbsminderungsrente und im Bereich der Rehabilitation. Die letzte Betroffene gehört zu den Privilegierten, die auf die "private" Altersvorsorge setzen können: "Ein eigenes Haus ist immer noch die bessere Altersvorsorge".

GRAF, Gabriele (2014): Mamma Mia.
Die Mütterrente ist für alle Generationen gut,
in: Die ZEIT Nr.23 v. 28.05.

Gabriele GRAF, Mutter von fünf Kindern und mit 68 Jahren immer noch nicht in Rente, verkörpert das Ideal einer Gesellschaft, in der langfristige Bevölkerungsvorausberechnungen - und damit die Demographisierung gesellschaftlicher Probleme - den Takt für politische Reformen vorgibt. GRAF verteidigt die CDU-Variante einer Rente nach Kinderzahl ("Mütterrente"), mit der im Rentensystem seit Mitte der 1980er Jahre eine schleichende Abwertung von Bildung und Erwerbsarbeit zugunsten der Steigerung der Geburtenrate einhergeht.

ENGELEN-KEFER, Ursula (2014): Renten im freien Fall.
Generationenkonflikt: Die SPD hat ihr Ziel aufgegeben, für eine zukunftssichere Altersversorgung zu streiten. Die Zeche zahlen die Jüngeren und viele Frauen,
in: TAZ v. 30.05.

"Laut Bundesregierung werden von etwa 30 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigten gerade einmal 50.000 die 63er Regelung in Anspruch nehmen. Das wären demnach noch nicht einmal 2 Prozent, davon überwiegend Männer mit überdurchschnittlich hohen Löhnen und Renten. Die finanzielle Belastung von bis zu 3 Milliarden Euro jährlich ab 2030 muss dagegen von allen Beitragszahlern aufgebracht werden",

heißt es in der TAZ, obwohl die Berechnungen der Bundesregierung lediglich bis zum Jahr 2030 reichen und nicht "ab 2030". Auch inwiefern davon überwiegend Männer mit überdurchschnittlich hohen Löhnen profitieren, lässt sich nicht belegen, sondern es könnten genauso gut sehr wenige hervorragend verdienende und viele eher gering verdienende, mit niedrigen Bildungsabschlüssen sein. Darüber lässt sich der Gesetzesentwurf nicht aus, genauso wenig wie die Zahl 50.000 stimmen muss.

Dagegen richtet sich die Kritik an der Mütterrente, von der ca. 9,5 Millionen Mütter profitieren und die ein Mehrfaches der Rente mit 63 kostet, nur gegen die Art der Finanzierung. Nicht gefragt wird dagegen, ob davon nicht auch sehr viele Mütter profitieren, deren Vermögenslage weit über jenen der Männer liegen, die von der Rente mit 63 profitieren.

Wir hätten gerne gewusst, welche Auswirkungen das BESCHLOSSENE Rentenpaket hat und nicht Berechnungen, die vom Januar 2014 stammen. Bekanntlich gab es Änderungen, über deren Wirkungen jedoch die Medien nicht informieren.

BIRKWALD, Matthias W. (2014): Neue Renten, ohne Niveau,
in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni

Matthias W. BIRKWALD, rentenpolitischer Sprecher der Linkspartei, kritisiert das beschlossene Rentenpaket unter drei Gesichtspunkten: 1. Rücknahme der Rentenanpassungsformel aus dem Jahr 2001, 2. Senkung der Regelaltersgrenze von 67 auf 65 Jahre und 3. Schaffung einer armutsfesten Erwerbsminderungsrente. Im Hinblick auf diese Ziele hält BIRKWALD das Rentenpaket für kontraproduktiv.

BIRKWALD weist insbesondere auf die fatale Kopplung zwischen Beitragssatz und Rentenniveau hin, die vor allem aufgrund der falschen Finanzierung der Mütterrente zu einem niedrigeren Rentenniveau - auch für junge Mütter - führt. Ausführlich nachzulesen ist die Wirkungsweise in der Ausschussdrucksache 18(11)82:

"Der »Riester-Faktor« – als Teil der Rentenanpassungsformel gemäß § 68 SGB VI – mindert bei steigenden Beitragssätzen zur allgemeinen Rentenversicherung die Rentenerhöhung im Folgejahr. Kurzfristig (im Jahr 2015) stiegen die Renten um 0,8 Prozent weniger als vorgesehen, langfristig blieben sie rund 0,6 Prozent hinter der bisherigen Hochrechnung zurück. Bei einer Standardrente (»Eckrente«) entspräche dies kurzfristig monatlich einer rund zehn und langfristig einer rund sieben Euro geringeren Bruttorente (in heutigen Werten). Kurzfristig wären Dreiviertel (langfristig über die Hälfte) dieser Rentendämpfung auf die nicht sachgerechte Finanzierung der »Mütter-Renten« zurückzuführen."
(Ausschussdrucksache 18(11)82, S.15).

Neben dem Riester-Faktor wirkt auch der Nachhaltigkeitsfaktor rentenniveausenkend:

"Steigen die auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenzahlungen an, sinkt das Rentenniveau. Also ausgerechnet dann, wenn die begünstigten Eltern in Rente gehen (oder bei Leistungsausweitung bereits sind). Damit wird aber zumindest teilweise die „Anerkennung der Kindererziehung“ konterkariert. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, da die Anzahl der Kinder, die vor 1992 geboren wurden, bereits feststeht und so ausschließlich der niveausenkende Effekt des Nachhaltigkeitsfaktors zum Tragen kommt."
(Ausschussdrucksache 18(11)82, S.16).

In der Verteidigung der Mütterrente in der Wochenzeitung Die ZEIT durch eine fünffache Mutter wird dieser Aspekt verschleiert.

 
     
 
       
   

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Update: 10. Februar 2019