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Einführung
Spätestens seit dem Paradigmenwechsel in der
Alterssicherung im Jahr 2001 ist die Entwicklung des
Rentenniveaus in den Fokus der Debatte um die Weiterentwicklung
der gesetzlichen Rentenversicherung geraten. Die Debatte um das
Rentenniveau ist dabei eng verbunden mit Änderungen an der so
genannten Rentenformel, mit denen diverse Eingriffe in die
Berechnung der Altersrenten vorgenommen wurden.
Die Entwicklung des Rentenniveaus spielte auch bei
der Debatte um die Ausgestaltung der Ostrentenangleichung eine
Rolle. Dieser Aspekt wird in der Bibliografie
Der lange
Weg zum Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz behandelt.
Dort befinden sich auch Statistiken zur unterschiedlichen
Entwicklung des Rentenniveaus in Ost und West.
Der Beitrag
Unsere Zukunft, unsere Rente
beschäftigte sich mit den Positionen von Parteien und
Interessenorganisationen im Bundestagswahlkampf 2017, bei dem es
u.a. auch um die Stabilisierung des Rentenniveaus ging. Im
Mittelpunkt stand dabei eine gleichnamige Serie der
Süddeutschen Zeitung anhand derer sich die Spannbreite der
öffentlichen Debatte in dieser Zeit ablesen lässt.
Die einen betrachten die Senkung des Rentenniveaus
als Mittel zur Verhinderung eines Kollaps der Alterssicherung,
während die anderen den Abschied von der Lebensstandardsicherung
durch die gesetzliche Rentenversicherung und den Ausbau der
kpaitalgedeckten Altersvorsorge als Weg in die massenhafte
Altersarmut betrachten. Die einen argumentieren mit den hohen
Kosten eines lebensstandardsichernden Rentenniveaus und
fehlender Nachhaltigkeit der Finanzierung. Das Schlagwort dazu
heißt Generationengerechtigkeit. Die anderen verweisen auf
Akzeptanzprobleme durch das sinkende Rentenniveau und bezweifeln
die Unfinanzierbarkeit einer Stabilisierung des Rentenniveaus.
Die einen behaupten, dass ein höheres Renteneintrittsalter die
Folgen der Senkung des Rentenniveaus kompensiert, während die
anderen darauf hinweisen, dass die wahren Probleme nur
verschleiert.
Welche Bedeutung jedoch dem Rentenniveau
tatsächlich zukommt und inwiefern die Berechnung des
Renteniveaus die Tür zu Manipulationen öffnet, das bleibt in der
öffentlichen Debatte meist im Dunkeln. Diese Bibliografie soll
Licht ins Dunkel der Bedeutung des Rentenniveaus anhand der
öffentlichen Debatte bringen.
Die Debatte
um das Rentenniveau hat eine grundsätzliche Bedeutung, denn eng
damit verbunden ist die Frage wohin sich die gesetzliche
Rentenversicherung weiterentwickeln wird. Soll sie nur noch der
Grundversorgung im Alter dienen, d.h. eine Art neues
Fürsorgesystem werden oder soll sie auch in Zukunft einen
wichtigen Beitrag zur Lebensstandardsicherung im Alter für alle
darstellen. Auch vor diesem Hintergrund werden die diversen
Beiträge eingeordnet werden müssen.
Kommentierte Bibliografie (Teil 2: 2017)
2017
ENGARTNER, Tim
(2016): Rendite statt Rente - oder: Die Privatisierung der
Altersvorsorge,
in: Gesellschaft -
Wirtschaft - Politik,
Heft 4, S.419-426
Tim ENGARTNER, Verfasser des vor kurzem
erschienenen Buchs Staat im Ausverkauf, kritisiert die
Teilprivatisierung der Rentenversicherung.
"Selbst in weiten Teilen der
SPD, der Gewerkschaften und der Kirchen formierte sich kein
(wirksamer) Widerstand gegen die »Verschlankung« des gesetzlichen
Rentenversicherungssystems" (2016, S.419),
nennt ENGARTNER jene, die
eigentlich energisch Widerstand hätten leisten müssen, aber entweder
wie die Gewerkschaften zu lange auf die Durchsetzbarkeit eigener
Interessen hofften, oder sich der Marktgläubigkeit unterordneten.
ENGARTNER beschreibt die Vorteile des Umlageverfahrens und stellt es
den Nachteilen der Kapitaldeckung mit seinen Unsicherheiten und
Risiken gegenüber.
ENGARTNER weist auf die Nachteile
der Entgeltumwandlung bei der betrieblichen Altersvorsorge hin, die
derzeit selbst von den Gewerkschaften forciert wird:
"Begleitet wurde die Reform der
gesetzlichen Rentenversicherungssysteme durch die sogenannte
Entgeltumwandlung von Gehaltsteilen, sodass nun Teile des Gehalts
in eine betriebliche Altersvorsorge oder Direktversicherung
fließen können. Damit profitieren Gutverdiener zu Lasten der
Geringverdiener, weil das dann niedriger Durchschnittsentgelt das
allgemeine gesetzliche Rentenniveau senkt. Zugleich fließt weniger
Geld in die Kranken- und Pflegeversicherung, die Arbeitgeber
hingegen können einen Teil der Sozialabgaben sparen." (2016,
S.423)
HICKEL, Rudolf
(2017): Zurück zum Umlagesystem.
Gastbeitrag: Die Riester-Rente ist
systemisch und instrumentell gescheitert, aber nicht ohne
Alternativen,
in: Frankfurter
Rundschau
v. 03.01.
Rudolf HICKEL hält ein Rentenniveau von 50 Prozent
und eine solidarische Mindestrente für machbar, ohne dass die
Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft bedroht wird.
SIEMS, Dorothea (2017): Die Rente wird unbezahlbar.
Arbeitgeber: Nahles' Reformen
kosten ab 2045 rund 90 Milliarden Euro Jahr für Jahr zusätzlich,
in:
Welt v. 04.01.
Warum man nichts über
neoliberale Panikmacher wie Bodo SCHÄFER erfährt, das liest man
in diesem Artikel. Hier wird Dorothea SIEMS zum
reinen Durchlauferhitzer für die BDA, deren Interessen sie 1:1
ans Publikum weiterleitet.
Die BDA polemisiert in ihrem
(noch) geheimen Positionspapier, das der BDA-freundlichen
Springer-Presse exklusiv zugespielt wurde, gegen eine Untergrenze
von 46 Prozent beim Rentenniveau. Dazu werden nicht nachprüfbare
Zahlen in Umlauf gesetzt, die Unbezahlbarkeit suggerieren sollen.
Die BDA will den Beitragssatz über 2030 auf 22 Prozent festschreiben
lassen, was sie mit dem Begriff "Generationengerechtigkeit"
bemäntelt.
Generationengerecht ist daran
überhaupt nichts, denn nicht die Kosten, sondern das
Kosten-Nutzen-Verhältnis für jüngere Arbeitnehmer ist entscheidend.
Darüber schweigt die BDA wohlweislich, denn die künftige gesetzliche
Rente der Arbeitnehmer ist ihnen völlig egal, schließlich vertritt
die BDA nicht die Arbeitnehmer, sondern allein die Arbeitgeber und
nach deren Ansicht sollen alle Risiken und anfallende Kosten
möglichst die Arbeitnehmer tragen.
Die Gewerkschaften dagegen haben
aufgezeigt, dass die Streichung der unlukrativen Riester-Rente
Entlastungen und Einsparungen bringen, die der gesetzlichen Rente
zugute kommen könnten. Die Belastungen für Arbeitnehmer wären
angesichts des höheren zukünftigen Rentenniveaus leicht tragbar.
Es gibt jedoch immer noch
Arbeitnehmer, die trotz
zunehmender Hiobsbotschaften bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge
marktgläubig genug sind, um auf das falsche Pferd zu setzen.
Kapitaldeckung heißt in erster Linie: Subvention der
Finanzdienstleister und Abwälzung der Risiken auf die Kunden. Sollte
nach Abzug der Profite noch etwas übrig bleiben, dann kann auch der
Kunde als Letzter in der Kette der Profiteure etwas abbekommen.
Bodo
SCHÄFER hat in dem 2016 erschienenen Buch Wohlstand oder
Rente die Dreistigkeit die Rente einer 38jährigen Topmanagerin,
die ein Gehalt weit über der Beitragsbemessungsgrenze erhält, auf
eine Rente unterhalb des Grundsicherungsniveau kleinzurechnen:
"sie könnte mit 65 Jahren
lediglich eine Rente von 549 Euro erwarten - nach heutiger
Kaufkraft".
Die wahren Panikmacher sind also
die Befürworter einer kapitalgedeckten Altersvorsorge, die die
gesetzliche Rente auf ein Fürsorgesystem reduzieren wollen. Unter
dem Deckmantel der Vorsorgelücke wird Finanzmarktlobbyisten die
gesetzliche Rente schlecht geredet. Darüber liest man im Blatt der
Kapitalisten jedoch nichts!
RÜRUP, Bert (2017): Die
linke Rentenillusion.
Der Chefökonom: Ohne
Zusatzversorgung gelingt Alterssicherung nicht,
in:
Handelsblatt v. 09.01.
Bert RÜRUP Mitverantwortlicher der
Teilprivatisierung der gesetzlichen Rente, verteidigt
erneut
seine Position. Gegner ist die Linkspartei, deren rentenpolitische
Position bewusst falsch dargestellt wird, indem sie auf die Anhebung
des Rentenniveaus reduziert wird, während die Forderung nach einer
Mindestrente gegen die Altersarmut außen vor bleibt.
"Es besteht (...) kaum ein
Zusammenhang zwischen der Höhe des Rentenniveaus, der Gefahr von
Altersarmut und der individuellen Versorgungslücke",
behauptet dreist der neoliberale
Kapitaldeckungsfundamentatlist. Das Rentenniveau setzt die Norm für
alle Renteneinkommen nach dem Äquvialenzprinzip. Es bestimmt deshalb
auch die Umstände unter denen Altersarmut zu erleiden ist. Von daher
gibt es einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Rentenniveau und
Altersarmut, den RÜRUP leugnet.
Der Zusammenhang wurde durch
verschiedene Reformen seit Anfang der 1990er Jahre deutlich
gelockert, indem die Berechnung verändert und zusätzliche Faktoren
wie der Riester-Faktor und der Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt
wurden. In den letzten 15 Jahren hat nicht etwa die demografische
Entwicklung, sondern vor allem der Riester-Faktor das Rentenniveau
gesenkt. Das unlukrative Kapitaldeckungsverfahren, das vor allem
Geringverdiener schädigt, und über den Riester-Faktor zugleich das
Rentenniveau senkt, hat die Versorgungslücke gravierend vergrößert.
Während RÜRUP noch im
Oktober einen 30 Jahre andauernden "massiven Alterungsschub"
prognostizierte, spricht er nun von einer "leicht entspannenden
demografischen Perspektive". Von Peitsche hat er nun also auf
Zuckerbrot umgesattelt. Nichts hat sich jedoch in der Zwischenzeit
an der demografischen Lage verändert, nur die Rhetorik!
BEEGER, Britta (2017): Bloß nicht dran denken!
Viele junge Menschen sind durch die
Rentendebatte verunsichert. Sie glauben, mehr privat für das Alter
vorsorgen zu müssen - und tun es trotzdem nur selten. Ein Blick in die
Gefühlslage,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 14.01.
BEEGER jammert uns
stellvertretend für die Finanzmarktakteure vor, dass die private
Altersvorsorge auf angeblich unbegründete Ablehnung stößt. Für die gesetzliche Rente
gilt das Gegenteil. Wie schon
Bert
RÜRUP wettert nun auch BEEGER mittels neoliberalen
Satzbausteinen gegen eine Stabilisierung des Rentenniveaus. Das
Feindbild ist hier zum einen Reiner HOFFMANN (DGB), der für ein
Rentenniveau von 50 Prozent plädiert und Andrea NAHLES, die eine
Untergrenze bei 46 Prozent bis 2045 in ihrem Gesamtkonzept
vorgesehen hat. Neoliberale Propaganda erkennt man durch zwei
Stoßrichtungen:
1) Die Bedeutung des
Rentenniveaus für die Altersarmut wird geleugnet bzw. verharmlost
2) Altersarmut wird auf den Bezug der Grundsicherung im Alter
reduziert.
Das Rentenniveau setzt BEEGER mit
der Bruttostandardrente gleich, das sie mit 1.372 Euro angibt. Die
Deutsche Rentenversicherung beziffert es dagegen mit 1.342 Euro
(Jahresdurchschnitt 2016). Nach Abzug der Sozialabgaben bleiben
dagegen nur 1.197 Euro übrig. Davon gehen dann noch Steuern nach dem
Alterseinkünftegesetz ab, sodass für den Konsum wesentlich weniger
übrig bleibt. In der öffentlichen Debatte wird meist mit dem höheren
Prozentanteil der Nettostandardrente (48 %) statt der
Bruttostandardrente (44,5 %) argumentiert. Warum also verwendet
BEEGER jenen Wert, der ein höheres Alterseinkommen vorgaukelt?
"Legen die Preise weiterhin nur
moderat zu, ist damit sogar die Kaufkraft höher als heute - die
Rentner werden sich von ihrem Geld also mehr leisten können."
Die Inflation hat in Deutschland
zuletzt um 1,7 % zugelegt, was angesichts der desolaten Lage der
privaten Altersvorsorge eher gegen zukünftige Kaufkraftgewinne
spricht, zumal die Rechnung von BEEGER weder Sozialabgaben noch
Steuern berücksichtigt. Wir haben es hier also mit Schönfärberei zu
tun.
BEEGER wirft Gewerkschaften und
den Parteien vor, sie würden Verunsicherung in Sachen Altersarmut
betreiben. Die wahren Verunsicherer sind Neoliberale wie Bodo
SCHÄFER, die vorrechnen, dass eine
38-jährige
Topmanagerin eine gesetzliche Rente auf Grundsicherungsniveau zu
erwarten hat!
BDA (2017): Rentenniveau: Künftige Generationen nicht überfordern.
Stellungnahme zur öffentlichen
Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 23. Januar 2017
zum Thema "Rentenniveau",
in:
arbeitgeber.de v. 20.01.
EHRENTRAUT, Oliver & Stefan MOOG (2017): Zukunft der gesetzlichen
Rentenversicherung.
Möglichkeiten und Grenzen
ausgewählter Reformvorschläge, Study der Hans-Böckler-Stiftung, Bd.
345. Düsseldorf,
in:
www.boekler.de v. 23.01.
BIRKWALD, Matthias W. (2017): Die Anhebung des Rentenniveaus ist
unumgänglich,
in:
Pressemitteilung des rentenpolitischen Sprechers der Linke
v. 23.01.
Pressemitteilung zur heutigen
Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, in der es u.a.
um das Rentenniveau geht.
AFP/ND (2017): Streit über
Altersbezüge.
Laut Rentenversicherung würden
viele sehr arme ältere Menschen nicht von einer Anhebung des
Rentenniveaus profitieren,
in:
Neues Deutschland v. 24.01.
Gestern verbreiteten
Nachrichtenagenturen eine einseitige Interpretation der
Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zum
Rentenniveau, die von unseren neoliberalen Mainstreammedien (z.B.
Spiegel Online) gerne weiterverbreitet wurde. Die DRV
begrüßt jedoch ein Mindestrentenniveau, das nicht unterschritten
werden soll. Sie verweist dazu darauf, dass die Kapitaldeckung ihre
in sie gesteckten Hoffnungen nicht erfüllt hat und deshalb ein
höherer Beitragssatz erforderlich ist, um weiterhin die
Lebensstandardsicherung im Alter gewährleisten zu können:
"Grundsätzlich ist bezüglich
der Entwicklung von Beitragssatz und Rentenniveau zu bedenken,
dass diese Größen in einem gewissen Zusammenhang zueinander
stehen. Als »Faustregel« kann dabei gelten: Unter sonst gleichen
Bedingungen erfordert die Finanzierung eines im Vergleich zum
Status-Quo-Szenario im Jahr 2030 um einen Prozentpunkt höheren
Rentenniveaus eine Beitragssatzerhöhung um etwa einen halben
Prozentpunkt.
● Zum anderen ist darauf zu verweisen, dass sich bereits im
geltenden Recht im § 154 Abs. 4 SGB VI der Hinweis findet, die
Bundesregierung solle »zur Beibehaltung eines Sicherungsziels vor
Steuern von 46 vom Hundert über das Jahr 2020 hinaus« Maßnahmen
»unter Wahrung der Beitragssatzstabilität« vorschlagen. Diese
Regelung hat der Gesetzgeber 2004 im Rahmen des
Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes in das
Sozialgesetzbuch eingefügt. Zur Zeit der Formulierung dieser
Regelung konnte man allerdings – aufgrund der Situation an den
Kapitalmärkten – davon ausgehen, dass im Rahmen der
kapitalgedeckten Zusatzvorsorge deutlich höhere Erträge für die
eingezahlten Beiträge zu erwarten wären, als dies nun der Fall zu
sein scheint. Damit die Lebensstandardsicherung im Alter auch
unter den veränderten Kapitalmarktbedingungen realisierbar bleibt,
ist aus heutiger Sicht abzusehen, dass ein insgesamt höherer
Beitrag aufgewendet werden muss."
(Ausschussdrucksache
18[11]903 vom 20.01.2016, S.12)
Bereits im Jahr 2004 hat also die
Bundesregierung ein Rentenniveau von 46 Prozent angestrebt. Damals
setzte sie jedoch in Verkennung der Entwicklung der Kapitaldeckung
darauf, dass dieses Sicherungsniveau durch die sagenhaften Renditen,
die uns die Versicherungswirtschaft in Aussicht gestellt hat,
erreichbar sei. Der Riester-Faktor hat nun zwar das Rentenniveau
entsprechend den damaligen Vorstellungen abgesenkt, die Renditen
haben sich jedoch anders entwickelt, sodass das Ziel der
Lebensstandardsicherung verfehlt wurde.
Die Befürworter der
Kapitaldeckung, also die Finanzdienstleister und ihre
Journalistenfreunde in den Mainstreamzeitungen, haben deshalb die
Parole ausgegeben, dass wir dann eben einfach noch viel mehr sparen
müssten, um das gleiche Ergebnis zu erreichen. Aber kann es sein,
dass die Finanzmarktakteure die Profite mitgenommen haben und die
Risiken immer mehr den Versicherten aufbürden? Die Regierungen seit
der Jahrtausendwende haben uns in die Hände dieser Kapitalmärkte
getrieben. Es wird Zeit ihnen bei der nächsten Wahl zu zeigen, dass
wir davon nichts halten!
Die DRV kritisiert genauso wie
der Sozialbereirat die allzu naiven Annahmen der Bundesregierung zur
Rendite der Kapitaldeckung. Die Annahmen sind offenbar dem einzigen
politischen Kalkül geschuldet, einen Rentenwahlkampf zu vermeiden.
Davon abgesehen verteidigt die DRV jedoch die neoliberale Sicht der
Regierung. Dies steht im Einklang mit dem Motto ihrer neuen
Präsidentin:
"Wir sind nicht politische
Entscheider, setzen Beschlüsse des Gesetzgebers aber um."
CREUTZBURG, Dietrich
(2017): Warnung vor Rentenwahlkampf.
Rentenversicherung befürchtet
falsche Versprechungen,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 24.01.
Dietrich CREUTZBURG berichtet über die
Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung zur gestrigen
Anhörung. Dabei wird in neoliberaler Perspektive Altersarmut auf den
Bezug von Grundsicherung reduziert, um das Argument einer
Rentenniveauerhöhung generell als ungeeignet abwehren zu können. Für
64 Prozent der Grundleistungsbezieher würde ein Erhöhung nichts
bringen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sogar 36 Prozent dieser
Bezieher profitieren würden. Dabei liegt die Armutsrisikoschwelle
weit über diesem Niveau der Grundsicherung im Alter. Nicht
berücksichtigt wird zudem die verdeckte Armut, d.h. Rentner, die
z.B. aufgrund von Scham keine Grundsicherung beziehen, obwohl sie
ihnen zustehen würde.
Wenn die gesetzliche Rente nicht
auf ein Fürsorgesystem zurückgestutzt werden soll, dann ist eine
Mindestuntergrenze beim Rentenniveau notwendig, die für
Normalverdiener nicht in die Altersarmut führt. Wer die gesetzliche
Rente zum Fürsorgesystem verkommen lassen will, der soll das auch
offen vertreten, statt gegen eine Erhöhung des Rentenniveaus zu
polemisieren.
WORATSCHKA, Rainer
(2017): Die Renten-Wächterin.
Erstmals steht eine Frau an der
Spitze der Rentenversicherung. Gundula Roßbach hat in ihrem Amt viel
vor,
in:
Tagesspiegel v. 24.01.
Rainer WORATSCHKA porträtiert
Gundula ROßBACH, die seit Januar Präsidentin der Deutschen
Rentenversicherung ist. Sie steht für ein Weiter-So. WORTASCHKA
stellt das Äquivalenzprinzip als Richtschnur der DRV da, die sowohl
gegen Falschfinanzierungen von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben
(z.B. Mütterrente und Ostrentenangleichung) als auch von
Solidarrenten (Grund- Mindest- oder Lebensleistungsrente) in
Anschlag gebracht wird.
"Selten zuvor ging es der
gesetzlichen Rentenversicherung so gut wie momentan. Die Reformen
vom Anfang des Jahrtausends greifen (...) und mit der scheinbaren
Überlegenheit der privaten Absicherung über das Umlageverfahren
ist es in Zeiten der Nullzinspolitik auch vorbei",
erklärt uns WORATSCHKA. Nicht
jeder wird das als positive Entwicklung verbuchen wollen, denn diese
Entwicklung geht zulasten derjenigen, die am meisten auf die
gesetzliche Rentenversicherung angewiesen sind. Wie absurd diese
neoliberale Sicht ist, zeigt sich an der Stellungnahme der DRV zur
gestrigen Anhörung zur Alterssicherung:
"Die Entwicklung der
gesetzlichen Rentenversicherung in den vergangenen Jahren und
Jahrzehnten stellt sich grundsätzlich positiv dar. Der
Beitragssatz liegt mit 18,7 Prozent unter dem Niveau Mitte der
80er Jahre – also niedriger als in der Zeit vor der
Wiedervereinigung – obwohl sich die demografische Entwicklung der
Bevölkerung seither deutlich verändert hat. 1986 kamen auf einen
Menschen im Alter von 65- und mehr Jahren noch vier 20- bis
64-Jährige, heute sind es nur noch drei – der Beitragssatz liegt
heute dennoch einen halben Prozentpunkt niedriger als damals."
(Ausschussdrucksache
18[11]903 vom 20.01.2016, S.11)
Oder anders formuliert: Nicht die
demografische Entwicklung ist schuld an der zunehmenden Altersarmut,
sondern die neoliberale Politik. Dies zeigt sich bei auch bei der
Bewertung der Kapitaldeckung:
"Auch die Entwicklungen auf den
Finanz- und Kapitalmärkten, die für die Produkte der privaten
Alters-vorsorge und der Betrieblichen Altersversorgung gegenwärtig
erhebliche Probleme mit sich bringen, konnten die gesetzliche
Rentenversicherung nicht nennenswert beeinträchtigen. Im
Gegenteil: Im Oktober 2008, unmittelbar vor Ausbruch der
Finanzkrise, wurden für das Jahr 2016 ein Beitragssatz von 19,1
Prozent und ein Rentenniveau von 47,6 Prozent vorausberechnet.
Tatsächlich stand die gesetzliche Rentenversicherung aber trotz
der zwischenzeitlichen Turbulenzen auf den Kapitalmärkten 2016
hinsichtlich beider Parameter besser da als damals erwartet: Der
Beitragssatz lag bei 18,7 Prozent und das Rentenniveau bei 48,0
Prozent. Die Nachhaltigkeitsrücklage war zudem beinahe doppelt so
hoch wie seinerzeit vorausberechnet."
Auch das ist Augenwischerei, denn
gemäß Rentenversicherungsbericht 2001 sollte die monatliche
Standardrente im Jahr 2015 bei 1.601 Euro liegen, tatsächlich war
sie 2015 mit 1.314 Euro um 287 Euro niedriger. Dies ist nicht in
etwa der demografischen Entwicklung geschuldet, sondern dem
Riester-Faktor in der Rentenformel. Dieser sorgte in der
Vergangenheit dafür, dass das Rentenniveau gemäß
Rentenversicherungsbericht 2001 von den damals geplanten 70,8 % auf
47,7 % abgesenkt werden konnte. Obwohl - wie die DRV selber zugibt -
die Kapitaldeckung für schlechterverdienende Arbeitnehmer völlig
unlukrativ ist, wurde die gesetzliche Rentenversicherung ohne Not
immer mehr auf ein Fürsorgesystem heruntergefahren. Sollte diese
Entwicklung so weiter gehen - und sie wird so weiter gehen, wenn
nicht eingeschritten wird, dann wird die gesetzliche
Rentenversicherung für viele Menschen Altersarmut bedeuten.
STEFFEN, Johannes (2017): Rente und Grundsicherung.
Prozess systemischer Verschmelzung,
in:
sozialpolitik-portal.de v. 26.01.
Johannes STEFFEN kritisiert die Argumentation von
Neoliberalen wie Axel BÖRSCH-SUPAN, die einen Zusammenhang zwischen
steigender Altersarmut und der Entwicklung des Rentenniveaus
leugnen.
"Seit dem Start der »Reformen«
2002 bis heute (Datenstand: September 2016) ist
•der Zahlbetrag des aktuellen Rentenwerts (AR) um 13,7 Prozent und
•der Bruttobedarf in der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung im
Alter um 41,9 Prozent gestiegen. Die Relation zwischen
Fürsorgebedarf und Zahlbetrag der Standardrente mit 45
Entgeltpunkten hat sich von 1 : 1,90 auf 1 : 1,52 verringert. Die
Zahlbeträge der Renten sind deutlich schwächer gestiegen als der
Bedarf der Fürsorge. Rente und Grundsicherung befinden sich in
einem schleichenden Prozess der systemischen Verschmelzung. Da
wächst in erstaunlichem Tempo zusammen, was nicht zusammengehört.
Die starke Erhöhung des AR Mitte 2016 markiert hierbei keine
Trendwende – eher eine kurzfristige Atempause. Bei weiter
sinkendem Niveau werden die Chancen, auf eine Altersrente oberhalb
der Fürsorge zu kommen, vor allem für Niedriglöhner immer
schlechter",
beschreibt STEFFEN den
Zusammenhang von Rentenniveau und Grundsicherung.
CREMER, Georg (2017): Gerechtigkeit den Armen.
Eine Erhöhung des allgemeinen
Rentenniveaus hilft nicht gegen Altersarmut. Richtig wäre der Ausbau
der Grundsicherung, auch wenn das unpopulär ist,
in: Süddeutsche
Zeitung
v. 04.02.
Der Kirchenfunktionär Georg CREMER zieht mit
Neoliberalen an einem Strang, wenn es darum geht die gesetzliche
Rentenversicherung auf ein Fürsorgesystem zurückzustutzen. Seine
Polemik gegen eine Erhöhung des Rentenniveau ist identisch mit der
Kritik von Neoliberalen wie z.B. Axel BÖRSCH-SUPAN.
THELEN, Peter (2017): Das
Renten-Problem.
Das Niveau stabilisieren - koste
es, was es wolle,
in: Handelsblatt
v. 24.02.
Auf dem Titelblatt prangt
der SPD-Kanzlerkandidat Martin SCHULZ als Robin Hood und uns
wird eine Linkskurs der SPD angedroht. Ein Wochenendthema
widmet sich dem angeblichen Programm des "Helden der
Arbeiter", so die Überschrift. Peter Thelen widmet sich der
Rentenpolitik, für die SCHULZ angeblich steht:
"Die von Schulz
geforderte Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46 Prozent
und eine neue Haltelinie von 22 Prozent bis 2030 und 25
Prozent bis 2045 für den Beitragssatz soll das Vertrauen in
die Stabilität der Rentenversicherung stärker",
behauptet Peter THELEN, der
mangels fehlender Aussagen von SCHULZ das Gesamtkonzept zur
Alterssicherung von Andrea NAHLES dem Aussageverweigerer
SCHULZ unterstellt.
"»Wir werden deshalb das
Rentenniveau stabilisieren«, sagte er. Eine konkrete
Größenordnung nannte er allerdings noch nicht.
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte in ihrem
Rentenkonzept ein Niveau von 46 Prozent bis zum Jahr 2045 in
Aussicht gestellt. Aktuell liegt das Rentenniveau noch bei
48 Prozent",
heißt es richtig bei
Cordula EUBEL & Hans MONATH
im Tagesspiegel Online v. 20.02. Warum lügt uns
THELEN also an? Um seinen faktenarmen Artikel gehaltvoller
aussehen zu lassen? Was uns Peter THELEN präsentiert, sind
also lediglich kalter Kaffee. Aber worüber sollte die
neoliberale Presse auch schreiben wollen angesichts eines
Kanzlerkandidaten, der viel Worte um Nichts macht?
MÜLLER, Henrik (2017): Das
Märchen von der demografischen Katastrophe.
Lügen mit Zahlen: Wie die
drastische Senkung des Rentenniveaus als "alternativlos" beschworen
und schöngerechnet wird,
in:
Ver.di Publik, Nr.2
Henrik
MÜLLER setzt sich mit den üblichen Argumentationsmustern der
Mainstreammedien (z.B.
Wirtschaftswoche und Focus) auseinander, mit
denen das sinkende Rentenniveau verharmlost wird. Mit Gerd BOSBACH &
Jens Jürgen KORFF weist er darauf hin , daß die
Altersrente
"an neu in die
Altersrente eintretende Langjährig Versicherte mit mehr als
35 Beitragsjahren »seit 2000 dramatisch gesunken« (ist), und
zwar im Durchschnitt von 1.021 auf 848 Euro. Das ist ein
nominaler Verlust von 17 Prozent. Im Jahre 2015, so Bosbach
und Korff, hätten die gesetzlichen Altersbezüge 50 Prozent
höher sein müssen, als sie es waren, um auch nur die
Kaufkraft der Renten von 2000 zu erreichen."
SOMMERFELDT, Nando & Holger ZSCHÄPITZ
(2017): Das viele Geld macht deutsche Rentner nicht glücklich.
Eine Umfrage offenbart, dass die
teuren Rentenerhöhungen zwar ankommen. Doch sie verfehlen ihren Zweck,
in:
Welt v. 02.03.
In den
Mainstreamzeitungen haben die Wirtschaftslobbyisten die
Deutungshoheit über die Lebenssituation der Rentner. Ganz
dreist missbrauchen SOMMERFELDT & ZSCHÄPITZ die Studie, um
gegen Rentenerhöhungen zu polemisieren. Sie suggerieren einen
direkten Zusammenhang zwischen einem minimalen Rückgang der
durchschnittlichen Lebenszufriedenheit zur Erhebung im Jahr
2012 und dem Anstieg des Renteneinkommens. Dagegen heißt es in
der Studie:
"Der Grad der
Lebenszufriedenheit ist eng verknüpft mit dem
Gesundheitszustand und der eigenen wirtschaftlichen Lage. So
sind 65- bis 85-Jährige mit niedrigem Haushaltseinkommen
deutlich unzufriedener mit dem eigenen Leben als Personen
mit hohem Haushaltseinkommen." (2017,
S.10)
Rentenerhöhungen sollen
verhindern, dass die Kluft zwischen dem Einkommen der
Erwerbstätigen und Rentnern nicht noch weiter
auseinanderklafft als es jetzt schon ist. Ihr Zweck liegt
nicht in der Steigerung der Lebenszufriedenheit wie uns die
Autoren weismachen wollen. Angesichts der immensen
Einkommensunterschiede der Rentnerhaushalte, denen eine
Einteilung der Älteren in 3 Einkommensgruppen (unter 1.750
Euro; 1.750 - 3.000 Euro; über 3.000 Euro) in keiner Weise
gerecht wird, können Rentenerhöhungen die generelle
Lebenssituation der Einkommensgruppen kaum entscheidend
ändern.
Der Kriterium Lebenszufriedenheit von SOMMERFELDT & ZSCHÄPITZ
ist also völlig ungeeignet, um etwas über deren Relevanz für
die Rentner auszusagen.
MAD (2017): Die Rente soll steigen.
Der DGB will das Niveau des
Altersgeldes auf 50 bringen,
in:
Spiegel Nr.10 v. 04.03.
Der Spiegel bringt nun eine Rentensteigerung "auf etwa 50
Prozent" ins Spiel, das der DGB-Bundesvorstand als
Zukunftsgerichtete Rentenpolitik
beschlossen habe. Diese Zahl ist nichts Neues, sondern war im DGB
schon immer im Gespräch, wenngleich konkrete Festlegungen fehlten
und stattdessen auf das Ergebnis von noch zu führenden Debatten
verwiesen wurde.
Außerdem berichtet der Spiegel von "Berechnungen der Prognos
AG im Auftrag der Gewerkschaften", ohne irgendwelche Angaben zum
Erhebungszeitpunkt der Daten zu machen. Seriöse Berichterstattung
sähe anders aus!
08.03.: Mittlerweile
wurde der Beschluss veröffentlicht.
Zur den Prognos-Berechnungen heißt es:
"Die Prognos AG hat für den DGB
Berechnungen angestellt, als Fortführung/Ergänzung der
Modellrechnungen der HBS Study Nr. 345:
»Zukunft der
gesetzlichen Rentenversicherung – Möglichkeiten und Grenzen
ausgewählter Reformvorschläge«"
Zur Bevölkerungsentwicklung wird
von Prognos auf die Variante 2 der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung zurückgegriffen (vgl. 2017, S.15), die
von überholten Annahmen zur Zuwanderung und Geburtenentwicklung
ausgeht. Folgende Annahmen werden zur Bevölkerungsentwicklung
getroffen:
Kenngröße |
|
Prognos AG |
DESTATIS |
2015 |
2050 |
2050 |
Bevölkerung |
81,4 Mio. |
76,1 Mio. |
79,0 Mio. |
Altenquotient
(65+/20-64 Jahre) |
35 |
57 |
55 |
Das
Statistische Bundesamt (DESTATIS) hat kürzlich für seine
Haushaltsvorausberechnung die Bevölkerungsvorausberechnung
aktualisiert. Noch weiter geht der
Demografiebericht der Bundesregierung mit seinen Annahmen zur
Bevölkerungsentwicklung.
Fazit: Die Beitragsentwicklung
wird zu pessimistisch gesehen. Der DGB hätte wesentlich mehr Druck
für seine Kampagne machen können, wenn er die aktualisierten
Bevölkerungsvorausberechnungen zur Grundlage genommen hätte, denn
die Kosten für die Rentenniveaustabilisierung würden geringer
ausfallen..
STEFFEN, Johannes (2017): Rentenniveau und Beitragssatz.
Der Preis der
"Lebensstandardsicherung",
in:
sozialpolitik-portal.de v. 10.03.
HEINE, Claudia (2017): "Ein falscher Anreiz".
Martin Rosemann: Eine Abschaffung
der Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente wäre zu riskant, sagt der
SPD-Rentenexperte,
in:
Das Parlament Nr.18 v. 02.05.
Martin ROSEMANN sieht die
Stabilisierung bzw. Erhöhung des Rentenniveaus nicht im
Zusammenhang mit der Altersarmut, sondern:
"Beim Rentenniveau geht
es mehr um die Frage der Verhinderung des sozialen Abstiegs
und darum, dass das System insgesamt die nötige Akzeptanz
hat. Deshalb ist die Diskussion schon sinnvoll, aber sie ist
etwas anderes als die Diskussion über Altersarmut, wo man
zielgenauere Lösungen für bestimmte Gruppen braucht."
LAMBECK,
Fabian
(2017): "Zutiefst inkonsequent".
Ulrich Schneider vom Paritätischen
Wohlfahrtsverband über die Rentenpolitik von Union und SPD,
in:
Neues Deutschland v. 17.05.
Ulrich SCHNEIDER fordert eine
Stabilisierung des Rentenniveaus bei 53 Prozent.
RIEL, Aert van
(2017): Programm mit Leerstellen.
Tagesthema SPD vor der
Bundestagswahl: SPD lässt zentrale Fragen weiter offen,
in:
Neues Deutschland v. 23.05.
"Die Frage, welche
Reformen in der Rente notwendig sind, wird in der SPD noch
kontrovers diskutiert. Parteilinke wollen das Rentenniveau
langfristig bei über 50 Prozent stabilisieren und die
gesetzliche Rentenversicherung stärken. Zudem sehen sie die
Riester-Rente kritisch, weil durch sie nur die
Versicherungswirtschaft profitiert hat, nicht aber die
Versicherten. Der Chef des SPD-Arbeitnehmerflügels Klaus
BARTHEL hatte etwa im vergangenen Jahr die Abschaffung der
Riester-Rente gefordert. Der Mehrheit der Parteispitze gehen
diese Pläne zu weit. Derzeit wird in der SPD diskutiert,
dass das Rentenniveau bei etwa 48 Prozent liegen soll. Zur
Riester-Rente findet sich kein Wort im Programmentwurf",
berichtet Aert van RIEL
mangels konkreter Aussagen der SPD zur Rente. Bei der
Vorstellung des Wahlprogramms glänzte der Kanzlerkandidat mit
Abwesenheit.
HAGELÜKEN, Alexander (2017):
Diagnose: Altersreichtum.
Die Einkommen westdeutscher
Senioren stiegen in den vergangenen Jahrzehnten doppelt so
stark wie die jüngerer Arbeitnehmer. Eng wird es erste für die
Ruheständler von morgen,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 11.05.
Alexander
HAGELÜKEN präsentiert uns eine neue Studie der
Arbeitgeberlobbyorganisation IW Köln, die nach Gutsherrenart
Fakten für den Wahlkampf und die Interessen der Besser- und
Spitzenverdiener liefert.
"So nahm das Einkommen
der 65- bis 74 Jährigen in Westdeutschland seit Mitte der
1980er Jahre um 50 Prozent zu - real, also nach Abzug der
Inflation. Dieser Anstieg war etwa doppelt so hoch wie der
bei den Deutschen, die unter 45 Jahre alt sind",
behauptet HAGELÜKEN. Belegt
wird das nicht, denn eine Grafik zeigt uns nur die Entwicklung
der durchschnittlichen Einkommen der Jahre 1991 bis 2014,
wobei es es um das "bedarfsgewichtete Nettoeinkommen" eines
Alleinstehenden handelt. Alleinstehend muss man mit "Single"
bzw. Einpersonenhaushalt übersetzen. Nur mit der
Bevölkerungsentwicklung hat das nichts zu tun, denn hier
dominieren Paare und Familien deren Einkommen aber
ausgeblendet werden.
Hätte der DGB das gleiche
Prinzip dieser Gegenüberstellung benutzt, dann wäre ihm die
neoliberale Republik sogleich mit Gegendarstellungen auf die
Pelle gerückt wie das z.B. in der Debatte um die Altersarmut
der Fall war, als sich die neoliberale Meute getan hat. Hier
dagegen werden ungestraft Äpfel mit Birnen verglichen. So wird
das Vorhandensein von Ersparnissen, die ja nur über den
Lebensverlauf hinweg angesammelt werden können, den Alten zum
Vorwurf gemacht und so getan, als ob die heute Jungen keine
Rücklagen bilden könnten, was jedoch erst retrospektiv
ermittelt werden kann. Es wird also mit puren Ängsten Stimmung
gemacht. HAGELÜKEN behauptet nun dreist, dass die Rentenreform
vollkommen harmlos waren:
"1970 lagen die
Altersbezüge noch bei 55 Prozent des durchschnittlichen
Bruttogehalts. Inzwischen sind es deutlich weniger als 50".
Dagegen heißt es bei
KOCHSKÄMPER & NIEHUES:
"Tatsächlich ist das
Verhältnis von der Rentenleistung zu dem vorhergehenden
Erwerbseinkommen in den westdeutschen Bundesländern im
Zeitraum 1970 bis 2015 von 55,2 Prozent auf 47,7 Prozent
gesunken (Deutsche Rentenversicherung, 2016, 259)."
(IW-Trend
1/2017, S.118)
Schaut man bei der
Broschüre der DRV nach, dann zeigt sich die Verdummung, die
hier betrieben wird, denn zum einen ist bei diesen Zahlen das
Alterseinkünftegesetz nicht berücksichtigt, d.h. die Gewinne
der Jungen durch niedrige Steuerlast auf die Einkommen und die
steigende Steuerlast auf Renten werden ausgeblendet. Zum
anderen wird die Sozialabgabenlast der Rentner unterschlagen.
Dies wird nur im Vergleich von Netto- und Bruttorente
deutlich. Die Bruttorente lag 1957 bei Einführung der
dynamischen Rente bei 57 % und ist im Jahr auf 44,1 %
gesunken, d.h. heutigen Rentnern bleibt wesentlich weniger von
ihrer Bruttorente übrig als früheren Rentnergenerationen. Das
lässt sich ebenfalls der DRV-Broschüre und sogar der gleichen
Tabelle entnehmen, die das IW Köln ausgewählt hat, weil es
ihrem Gutsherrenstandpunkt besser entspricht.
Nimmt man sich die
Einkommensstruktur (Abbildung 3, S.126) vor, dann wird trotz
der Einteilung in nur drei Einkommensklassen die krassen
Unterschiede zwischen Schlechtverdienern und Spitzenverdienern
deutlich. Bei den Schlechtverdienern lag der Anteil der
gesetzlichen Rente 2014 bei rund 85 %, während er bei den
Spitzenverdienern bei knapp 60 Prozent lag. Die krasse
Vermögens- und Gesundheitssituation wäre sicherlich noch
deutlicher geworden, wenn - wie bei anderen Darstellungen
ebenfalls üblich - 5 Einkommensklassen generiert worden wären.
Aber entsprechend der neoliberalen Gutsherrenart hätte das der
Interessenlage widersprochen.
Hinzu kommt, dass beim IW
Köln die Situation von Älteren nur ungenügend abgebildet wird,
denn Ältere in Gemeinschaftsunterkünften bleiben ausgeblendet:
"Nimmt man allerdings den
Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahren (ab 75 Jahren) an der
Gesamtbevölkerung im jeweiligen Alter, dann befinden sich im
Jahr 2015 nur 2,6 Prozent (4,3 Prozent) der Männer in
vollstationärer Pflege und leben somit in Einrichtungen, die
im SOEP nicht erfasst sind. Bei den Frauen beträgt der
Anteil 5,6 Prozent (9,4 Prozent)."
(IW-Trend
1/2017, S.130)
Das NUR soll diesen Aspekt
verharmlosen, denn im Alter gibt es wesentlich mehr Frauen als
Männer, die pflegebedürftig sind, d.h. der Bevölkerungsanteil
entspricht eher dem höheren Wert der Frauen als dem der
Männer.
Zur weiteren Entwicklung
der Einpersonenhaushalte im Alter heißt es:
"Wie sich die Entwicklung
der Haushaltsstrukturen in Zukunft fortsetzen wird, lässt
sich nicht abschließend beurteilen. Die ansteigende Anzahl
von Singlehaushalten in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen
im Zeitraum 1995 bis 2005 scheint sich allerdings bereits in
einem Anstieg in der entsprechenden Alterskohorte der 65-
bis 74-Jährigen zwischen 2005 und 2015 niederzuschlagen. Da
sich aktuell ein nochmals deutlicherer Zuwachs an
Singlehaushalten bei den 55- bis 64-Jährigen zeigt, ist
vermutlich mit einem weiteren Anstieg der Singlehaushalte im
Alter zu rechnen. Mit Blick auf die Geschlechterunterschiede
ist festzuhalten, dass Frauen ab 65 Jahren aufgrund ihrer
höheren Lebenserwartung mehr als doppelt so häufig allein
leben wie gleichaltrige Männer. Auf Basis des Mikrozensus
des Statistischen Bundesamtes zeigt sich ein stärkerer
Anstieg der Alleinlebendenquote älterer Frauen gegenüber
Männern in den letzten Jahren (Statistisches Bundesamt,
2015, 5 ff.)."
Dagegen sprechen jedoch
andere Befunde, denn zum einen wurde die
Entwicklung der
Einpersonenhaushalte noch in den 1990er Jahren überschätzt
und zum anderen spricht die Angleichung der Altersunterschiede
bei Paaren und bei der Lebenserwartung von Männern und Frauen
eher gegen diese Interpretation des IW Köln. Dieser Ansicht
ist inzwischen auch das Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung. Und in der aktuellen
Haushaltsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes bis
zum Jahr 2035, die Ende Februar veröffentlicht wurde, heißt
es:
"Da die Lebenserwartung
der Männer stärker zunimmt als die der Frauen und sich damit
die Lücke in der Lebenserwartung der Partnerinnen und
Partner reduziert, nahm die Anzahl der Zweipersonenhaushalte
mit älteren Menschen schnell zu." (2017, S.6)
Das IW Köln sollte also
ihre Datengrundlage auf den aktuellen Stand bringen, statt
veraltete Informationen in Umlauf zu bringen. Der Anteil der
Einpersonenhaushalte wurde in der Haushaltsvorausschätzung
2010 für das Jahr 2030 um 0,5 % höher eingeschätzt als in der
aktuellen Prognose. Das mag auf den ersten Blick unbedeutend
erscheinen, macht aber rund 500.000 Haushalte aus und würde
sich zudem rasch erhöhen, wenn sich dieser Trend weiter
verstärken würde.
Fazit: Die düsteren
Prognosen, die HAGELÜKEN den Jungen zuschreibt, könnten durch
die gesellschaftliche Entwicklungen widerlegt werden. Lineare
Fortschreibungen der Vergangenheit blenden die möglichen
Brüche aus. Das zeigt sich z.B. bei der Entwicklung der
Einpersonenhaushalte ("Single-Haushalte"), die seit den 1990er
Jahren als krasse Fehleinschätzung erwiesen haben. Man sollte
sich an die markigen Sprüche des Popsoziologen Ulrich BECK aus
den 1990er Jahren erinnern:
"Da gibt es
schockierende Entwicklungen: (...) Zunahme der
Einpersonenhaushalte im Quadrat, alleinerziehende,
alleinnachziehende, alleinherumirrende Elternteile.
(...).
Ich bin sicher, daß auch dann, wenn 70 % der Haushalte in
Großstädten Einpersonenhaushalte sind (und das ist nicht
mehr lange hin), unsere tapfere Familiensoziologie mit
Millionen Daten beweisen wird, daß diese 70 % nur deshalb
allein leben, weil sie vorher und nachher in Kleinfamilien
leben."
(aus: Ulrich Beck "Der Konflikt der zwei Modernen",
1991)
25 Jahre später spricht
niemand mehr von 70 % Einpersonenhaushalte in deutschen
Großstädten. Im Stadtentwicklungsbericht der
Bundesregierung 2016 heißt es:
"Trend zur
Singularisierung. Mittlerweile sind knapp 50 % der Haushalte
in Großstädten Einpersonenhaushalte, rund 10 % mehr als in
Kleinstädten und rund 2 % mehr als noch 2005."
Oder anders formuliert: Der
Individualisierungsprophet Ulrich BECK lag mit seiner Prognose
ziemlich weit daneben. Während sich BECK damals am Anfang
einer Entwicklung wähnte, befand er sich stattdessen eher am
Höhepunkt der Entwicklung. Viel wurde damals von Singles als
Pionieren der Modernisierung gesprochen. Inzwischen gelten sie
als Sinnbild einer fehlgeleiteten Moderne. Gerne wird ihnen
mit Einsamkeit im Alter gedroht. Die Realität ist ein andere!
CHRISTEN, Christian (2017): Der
neoliberale Rentenkonsens in Deutschland und seine Genese.
Von der
Lebensstandardsicherung zur Altersarmut von Millionen,
in:
PROKLA, Nr. 2,
Juni
BRUSSIG, Martin/POSTELS, Dominik/ZINK, Lina
(2017): Niedrige Renten trotz langer Versicherungszeiten.
Eine empirische Analyse der
Risikofaktoren,
in:
WSI-Mitteilung, Heft 4,
Juni
Die steigende Zahl
niedriger Renten führen BRUSSIG/POSTELS/ZINK zum einen auf
Strukturveränderungen des Arbeitsmarktes und zum anderen auf
Veränderungen bei der Absicherung der Folgewirkungen riskanter
Lebenslagen:
"Seien es früher
problematische Zustände wie Langzeitarbeitslosigkeit und
niedrige Einkommen gewesen, die abgesichert wurden, gehe es
nun um die Förderung gesellschaftlich erwünschter
Tätigkeiten wie Kindererziehung und Pflege",
zitieren sie Autoren eine
Untersuchung von Antonio BRETTSCHNEIDER. Ihre eigene
Untersuchung bezieht sich auf die Geburtsjahrgänge 1940 bis
1947, die zum Zeitpunkt des Renteneintritts in den Jahren 2000
bis 2007 zwischen 60 und 66 Jahren alt waren und mindestens 30
Jahre an rentenrechtlich relevanten Zeiten aufgewiesen haben.
Der Begriff "niedrige Rente" wird durch den Regelsatz der
Grundsicherung incl. Unterkunfts- und Heizkosten definiert.
Als Einflussfaktoren werden soziodemografische Faktoren
(Geschlecht und Region), versicherungsbiografische Faktoren
(Kinderberücksichtigungszeiten, Kindererziehungszeiten,
Pflegezeiten, Krankheitszeiten, Minijobzeiten, ALG
II/Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosengeld, Arbeitslosigkeit,
Selbständigkeit, sonstige Zeiten, Erwerbsminderungsrente,
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und der Umfang
rentenrechtlicher Zeitung), Zu- und Abschläge (Abschläge,
Versorgungsausgleich), Arbeitszeit und das Einkommen
berücksichtigt.
BRUSSIG/POSTELS/ZINK heben
die Bedeutung des sozialen Ausgleichs bei niedrigen Renten
hervor. Ihre Schlussfolgerung:
"Folgewirkungen von
Erwerbsunterbrechungen, wie etwa Einkommensabschläge oder
Teilzeittätigkeit bei Wiedereinstiegen nach
Kinderziehungszeiten oder Arbeitslosigkeit, lassen sich
durch das Rentenrecht allein nur bedingt abfedern. Hier ist
die Arbeitsmarktpolitik gefordert. Durch die Gestaltung des
Rentenrechts kann jedoch bewirkt werden, dass die
nachteiligen Folgen prekärer Zustände für die
Alterssicherung begrenzt werden."
Die Autoren merken zudem
an, dass die jüngeren Kohorten stärker durch Einbußen durch
Erwerbsunterbrechungen und Teilzeitbeschäftigung betroffen
sind und hier deshalb die Ausgleichsmechanismen stärker
ansetzen müssten. Angesichts der Tatsache, dass es starke
Bestrebungen gibt das Renteneintrittsalter zu erhöhen und
gleichzeitig die Standardrente durch Erhöhung der
Beitragszeiten neu zu definieren, dürften die Probleme für die
Betroffenen noch gravierender als bisher werden.
GREIVE, Martin & Peter THELEN
(2017): Die Rente ist sicher - bis 2030.
Mit einem milliardenschweren
Reformkonzept für die Rente will SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz
seine Partei aus dem Umfragetief vor der Bundestagswahl führen,
in:
Handelsblatt v. 08.06.
GREIVE & THELEN schmücken ihren
Artikel zum Rentenkonzept mit einer Tabelle, in der die Kosten des
Sicherungsniveaus von 48 Prozent für jedes Jahr von 2018 bis 2030
aufgelistet sind. Diese Zahlen stammen angeblich von der SPD.
Deren
Website lässt sich jedoch nicht so ausführlich über die Kosten
aus. Woher stammen also die Zahlen wirklich? Und wenn sie von der
SPD stammen, warum ist die SPD so feige, die Zahlen auf ihrer
Website nicht selber zu präsentieren?
Der angenommene Beitragssatz
des Handelsblatts entspricht der Prognose des
Rentenversicherungsberichts 2016, Übersicht B7 mittlere
Lohnvariante 2, S.30. Das Sicherungsniveau weicht dagegen vom
Rentenversicherungsbericht 2016 (RV 2016) ab (siehe ebenda).
Die Mehrkostendifferenz
zwischen der IW Köln-Prognose vom Mai letzten Jahres und der
aktuellen SPD-Berechnung ist auf die positivere Entwicklung der
gesetzlichen Rentenversicherung zurückzuführen, die in den Jahren
2023/2024 zu einer Sicherungsniveaudifferenz von 0,8 Prozent führt
und zwischen 2018 und 2029 durchschnittlich 0,6 Prozent beträgt.
Dass es innerhalb von einem Jahr zu derart extremen Schwankungen
bei den Prognosen kommen kann, zeigt, dass Langfristberechnungen
reine Kaffeesatzleserei sind und schon bei minimalen
Fehleinschätzungen zu gravierenden Kostenunterschieden führen
kann. Wer sich unter diesen Voraussetzungen zu Anwälten der Jungen
aufspielt, der will nur die Ungleichheit innerhalb von
Generationen verschleiern. Nachhaltigkeit ist eine Illusion, die
den Einkommensstarken und Vermögenden dient.
Erstaunlich ist, dass uns nun
verkündet wird, dass die Babyboomer erst ab 2028 in Rente gehen.
Noch vor rund einem Jahrzehnt hieß es allenthalben, dass der
Kollaps des Rentensystems bald bevorstehe, weil die Babyboomer
spätestens 2020 in Rente gehen. Offenbar können sich die
Babyboomer-Rentner in Luft auflösen.
"Ab 2010 gehen die Babyboomer
in Rente, und spätestens 2020, wahrscheinlich aber schon früher,
werden die Rentenbeiträge deutlich über 20 Prozent steigen. Da
die Älteren nicht nur zahlreicher werden, sondern auch länger
leben und im hohen Alter immer besser medizinisch versorgt
werden, steigen die Beiträge für Krankenkassen und
Pflegeversicherung. Die Beitragsquote wird 50 Prozent
übersteigen - ein Wert, der jeden Arbeitsmarkt austrocknen
lässt",
verkündete uns z.B. Michael
FABRICIUS noch
im Juli 2009 in der Welt am Sonntag.
Tabelle:
Vergleich der Mehrkostenentwicklung einer Stabilisierung des
Rentenniveaus (Niveau) bei 47,5 Prozent (IW Köln) und bei 48
Prozent (SPD) |
Jahr |
Entwicklung nach
geltendem Recht
gemäß Handelsblatt |
Stabilisierung
bei 47,5 %
(IW Köln)* |
Rentenkonzept der SPD
gemäß
Handelsblatt |
RV 2016 |
Beitrag-
satz |
Niveau |
Niveau |
Mehrkosten
(Grundlage
RV 2015) |
Beitrag-
satz |
Niveau |
Mehrkosten |
Niveau |
2018 |
18,7 % |
48,2 % |
47,6 % |
0 Mrd.
€ |
18,7 % |
48,2 % |
0,4 Mrd.
€ |
48,1 % |
2019 |
18,7 % |
48,0 % |
47,6 % |
0 Mrd.
€ |
18,7 % |
48,0 % |
0,7 Mrd.
€ |
48,0 % |
2020 |
18,7 % |
47,9 % |
47,6 % |
0 Mrd.
€ |
18,7 % |
48,0 % |
1,1 Mrd.
€ |
47,9 % |
2021 |
18,7 % |
47,9 % |
47,5 % |
0 Mrd.
€ |
18,7 % |
48,0 % |
1,5 Mrd.
€ |
47,8 % |
2022 |
19,1 % |
47,9 % |
47,3 % |
2 Mrd.
€ |
19,0 % |
48,0 % |
1,7 Mrd.
€ |
47,7 % |
2023 |
19,8 % |
47,7 % |
46,9 % |
4 Mrd.
€ |
19,8 % |
48,0 % |
2,0 Mrd.
€ |
47,6 % |
2024 |
20,0 % |
47,2 % |
46,4 % |
8 Mrd.
€ |
20,2 % |
48,0 % |
3,8 Mrd.
€ |
47,0 % |
2025 |
20,2 % |
46,7 % |
46,0 % |
12 Mrd.
€ |
20,5 % |
48,0 % |
3,3 Mrd.
€ |
46,5 % |
2026 |
20,5 % |
46,4 % |
45,7 % |
15 Mrd.
€ |
21,1 % |
48,0 % |
4,4 Mrd.
€ |
46,2 % |
2027 |
20,9 % |
46,0 % |
45,3 % |
19 Mrd.
€ |
21,5 % |
48,0 % |
4,6 Mrd.
€ |
45,8 % |
2028 |
21,2 % |
45,6 % |
45,0 % |
22 Mrd.
€ |
21,5 % |
48,0 % |
18,4 Mrd.
€ |
45,3 % |
2029 |
21,6 % |
45,2 % |
44,6 % |
28 Mrd.
€ |
21,5 % |
48,0 % |
18,0 Mrd.
€ |
45,0 % |
2030 |
21,8 % |
44,7 % |
|
|
21,9 % |
48,0 % |
19,2 Mrd.
€ |
44,5 % |
|
Quelle: Handelsblatt 08.06.2017, Schaubild S.7;
Reform der Alterssicherung v. 17.05.2016, Abbildung 4-2,
S.15; eigene Berechnung. |
RTR (2017): SPD legt Rentenkonzept mit 78
Milliarden Mehrkosten vor.
Höherer Steuerzuschuss eingeplant:
Beitragssatz soll ab 2024 steigen. Arbeitgeber fordern ein Überdenken
des Ruhestands ab 63,
in:
Welt v. 08.06.
Die Welt titelt
gerne Horrorzahlen, um ihre Leser abzuschrecken. Dumm nur,
dass die Mehrkosten weit hinter dem zurückbleiben, was ein
INSM-Gutachten letztes Jahr an Mehrkosten für eine
Stabilisierung des Rentenniveaus bei nur 47,5 Prozent und
nicht einmal 48 Prozent androhte:
Allein in den Jahren 2024-2030 berechnete Jochen PIMPERTZ
Mehrkosten von 104 Milliarden Euro.
Das
Stabilisierungskonzept der SPD ist deshalb günstiger, weil
sich die Entwicklung der gesetzlichen Rente positiver
entwickelte als dies prognostiziert worden war. Die
Bevölkerungsentwicklung hält sich nicht an die Prognosen,
genauso wenig wie die Arbeitsmarktentwicklung.
Nichtsdestotrotz wird uns immer wieder mit neuer
Kaffeesatzleserei Angst gemacht.
Weil also keine
Kostenlawine droht, polemisieren die Arbeitgeber gegen die
Rente ab 63, indem sie einen imaginären Fachkräftemangel aus
dem Hut zaubern, obwohl die kommende Roboterisierung und
Digitalisierung eher weniger Fachkräfte als bisher erfordert.
SCHULTE, Ulrich (2017): SPD will stabiles
Rentenniveau.
Soziales: SPD-Kanzlerkandidat
Schulz stellt ein Rentenkonzept vor. Es soll sinkende Renten mit
Steuermilliarden abfedern und Niedrigverdiener vor Altersarmut
schützen,
in:
TAZ v. 08.06.
HICKMANN, Christoph (2017): Schulz verspricht eine
"verlässliche Rente".
Das Konzept der SPD sieht vor, das
Eintrittsalter nicht weiter zu erhöhen und das Rentenniveau bis 2030
bei 48 Prozent zu stabilisieren,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 08.06.
PIPER, Nikolaus
(2017): Die Last der Jungen.
Leidartikel: Rente,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 09.06.
Nikolaus PIPER will wie alle
Neoliberalen die Rentenfrage auf die angeblich drohenden
demografischen Lasten reduzieren. Mit diesem Scheinargument werden
seit Jahrzehnten Einschnitte begründet, die durch nicht-demografische
Faktoren verursacht waren. Wie unsicher Prognosen sogar über kurze
Zeiträume sind, das zeigen die
Mehrkostenberechnungen zur Stabilisierung des Rentenniveaus, die
lediglich ein Jahr auseinander liegen.
CREUTZBURG, Dietrich
(2017): Rentenkonzept der SPD würde wohl teurer als angegeben.
Arbeitgeber-Berechnung kommt auf
100 Milliarden Euro,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.06.
Dietrich CREUTZBURG spielt Sprachrohr für die BDA,
die wie erwartet höhere Kosten berechnet hat als die SPD. Die
Arbeitgeberorganisation will "über 100 Milliarden" statt der 78
Milliarden berechnet haben, behauptet CREUTZBURG.
Auf diese Zahlen
kam das IW Köln bereits vor einem Jahr wie auf dieser Seite
bereits vor fünf Tagen belegt wurde. Präsentiert uns CREUTZBERG also
eine veraltete Berechnung als ob es eine aktuelle wäre?
BERTELSMANNSTIFTUNG (2017): Wandel der Arbeitswelt lässt Altersarmut
in Deutschland steigen,
in:
Pressemitteilung der Bertelsmannstiftung v. 26.06.
In der Broschüre
Entwicklung der Altersarmut bis 2036 werden Konzepte
bewertet, die im Wahlkampf gar nicht zur Disposition stehen. Folgende
Reformen werden bewertet:
- Einführung einer obligatorischen betrieblichen Altersvorsorge (BAV)
- "Doppelte Haltelinie": Absicherung des Rentenniveaus bei 46 % und
Obergrenze für den Beitragssatz von 25 % in Anlehnung an das Konzept
des BMAS
- Progressive Elemente in der Rentenberechnung: Gesetzliche
Solidarrente in Anlehnung zum Konzept des BMAS
- Freibeträge in der Grundsicherung in Anlehnung zum Konzept des BMAS
- Abschaffung der Abschläge in der Erwerbsminderungsrente
Einzig das Szenario Nullzinsen bis 2036 zeigt auf, dass die
kapitalgedeckte Altersvorsorge kein Beitrag für die Bekämpfung der
Altersarmut sein kann.
EUBEL,
Cordula
(2017): Zu wenig zum Leben.
Die Zahl der Menschen, die im Alter
arm sind, steigt laut einer Studie. Vor allem Frauen sind betroffen,
in:
Tagesspiegel v. 27.06.
Cordula EUBEL missbraucht die
Studie
Entwicklung der Altersarmut bis 2036
der neoliberalen Bertelsmannstiftung, um vor allem gegen die
Stabilisierung des Rentenniveaus zu polemisieren. Sie liefert uns
Zahlen, verschweigt dabei aber zum einen, dass nicht das
Rentenkonzept der SPD (Stabilisierung bei 48 %), sondern nur das
Gesamtkonzept zur Alterssicherung (Stabilisierung bei 46 %) von
der Studie berechnet wurde. Darauf verweist dagegen
Tobias PETER
in der heutigen FR:
"Untersucht haben die
Wissenschaftler den ursprünglichen Plan von Arbeitsministerin
Nahles, das Renteniveau bei 46 Prozent zu stabiliseren."
In der FR lesen wir deshalb
heute konsequenterweise auch keine Zahlen aus der Studie wie bei EUBEL.
CREUTZBURG, Dietrich & Kerstin SCHWENN
(2017): Union zögert mit Vorschlägen zur Rentenpolitik.
Sozial- und Wirtschaftsflügel
sehen kaum Reformbedarf. Studie sagt nur leicht steigende
Altersarmut voraus,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 27.06.
CREUTZBURG & SCHWENN
instrumentalisieren die Studie
Entwicklung der Altersarmut bis 2036
im Sinne des Neoliberalismus, indem sie Äpfel mit Birnen
vergleichen. Während die Studie Daten zur Entwicklung der
Altersarmut auf zwei Ebenen liefert, blenden CREUTZBURG &
SCHWENN die Armutsrisikodefinition aus und beziehen sich nur
auf die Entwicklung der prognostizierten
Grundsicherungsempfänger im Alter, um diese dann mit der
Gesamtbevölkerung zu vergleichen:
"Insgesamt wird die
Altersarmut ihren Daten zufolge nur mäßig zunehmen: 2036
würden 7 Prozent der Neurentner Grundsicherung benötigen,
gegenüber 5,4 Prozent im Jahr 2015. In der Gruppe
alleinstehender Frauen drohe aber ein Anstieg auf 28
Prozent, unter Langzeitarbeitslosen auf 22 Prozent."
Diese Darstellung ist
bewusst irreführend, denn 2015 bezogen nur ca. 3 Prozent der
Rentner tatsächlich eine Grundsicherung im Alter. Die Studie
jedoch trennt zwischen den Bestands- und den Neurentnern, die
nur einen Teil der Gesamtzahl an Rentnern ausmacht. Dabei sind
die Rentner ganz unterschiedlich betroffen, d.h. keineswegs
ist es so, dass es einen kontinuierlichen Anstieg gibt. Die
Zahlen der Studie sind aus der folgenden Übersicht
ersichtlich:
Übersicht:
Entwicklung der
Armutsrisikoquote und Grundsicherungsquote für
die Geburtsjahrgänge 1950 - 1969 |
Jahr |
Geburtsjahrgänge * |
Armutsrisikoquote |
Grundsicherungsquote |
2015-2020 |
1950 - 1954 |
16,24 % |
5,44 % |
2021-2025 |
1955 - 1959 |
15,52 % |
5,85 % |
2026-2030 |
1960 - 1964
|
19,15 % |
5,40 % |
2031-2036 |
1965 - 1969 |
20,26 % |
7,06 %
|
|
Quelle:
Bertelsmannstiftung 2017, S.70; eigene Darstellung
Anm.: * Die Angaben zu den Geburtsjahrgängen sind nur
Annäherungen. Die
Regelaltersgrenze steigt kontinuierlich bis 2031 an,
sodass sich die betroffenen
Geburtsjahrgänge und Jahre teilweise überlappen. Die
genauen Abgrenzungen
sind
hier ersichtlich. |
Auffällig ist, dass die
Geburtsjahrgänge 1955 - 1959 von allen Geburtskohorten am
wenigsten vom Armutsrisiko betroffen sind, jedoch stärker von
Altersarmut im Sinne der Grundsicherungsquote als ihre
Vorgänger bzw. ihre Nachfolger. Dies könnte darauf hinweisen,
dass für diese Jahrgänge die Polarisierung der Einkommen im
betroffenen Einkommenssegment stärker ausgeprägt war als für
die anderen Kohorten der Geburtsjahrgänge 1950 bis 1964.
Die entscheidende Größe,
nämlich die Anzahl der betroffenen Rentner, wird aber nicht
einmal erwähnt, denn bei 7 % von mehr als 6 Millionen Menschen
wären das immerhin über 420.000 Menschen, die auf die
Grundsicherung im Alter angewiesen wären - und das nur bei den
Geburtsjahrgängen 1965 - 1969. Zählt man die anderen Jahrgänge
hinzu, dann kommt man bei 5,5 % und rund 15 Millionen Menschen
auf weitere 825.000 Menschen - insgesamt also über 1,2
Millionen Menschen. Dies als nur mäßige Zunahme der
Altersarmut zu bezeichnen, müsste eigentlich als Skandal
aufgefasst werden!
Im Szenario Nullzinsphase
bis 2036 würde die Grundsicherungsquote nach Berechnungen der
Studie nicht nur auf 7, sondern auf 7,74 % steigen (vgl.
S.74). Die kapitalgedeckte Altersvorsorge kann also keine
Lösung der Altersarmut sein.
BÄCKER, Gerhard (2017): Auswirkungen eines noch höheren
Regelrentenalters.
Rente erst mit 70?: Können höhere
Altersgrenzen die Folgen des sinkenden Rentenniveaus kompensieren?
in:
Soziale
Sicherheit Heft 6, S.221-229
Passend zur Vorstellung des SPD-Rentenkonzepts zum
Bundestagswahlkampf präsentiert Gerhard BÄCKER einen Angriff auf
die CDU/CSU/FDP-Forderung nach einer Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung.
BÄCKER kritisiert die üblichen
Begründungen der Nichtfinanzierbarkeit der gesetzlichen Rente, die
gewöhnlich mit dem Rückgang der Erwerbsfähigen und dem steigenden
Altersquotienten begründet wird. BÄCKER hält dagegen, dass solche
Verkürzungen der Problematik der Rentenproblematik nicht gerecht
wird. Zum einen sind Bevölkerungsvorausberechnungen keine sichere
Grundlagen für die Entwicklung der Rentenversicherung, weil weder
die Zuwanderung, noch die Entwicklung der Lebenserwartung auf
längere Sicht vorhersehbar sind. Die unangemessene
Berücksichtigung der Geburtenraten wird von BÄCKER jedoch nicht
erwähnt. Zudem ist der Altenquotient kein guter Indikator, sondern
entscheidend ist der Rentnerquotient, der wiederum nicht allein
von der demografischen Entwicklung, sondern auch von der
Beschäftigungs- und Arbeitslosenentwicklung abhängig ist, sodass
die Entwicklung der Beitragszahler einen anderen Verlauf nehmen
kann als die Entwicklung der Erwerbsfähigen.
"Demografische Berechnungen
müssen (...) mit Annahmen über die Entwicklung von Arbeitmarkt,
Arbeitslosigkeit und versicherungspflichtiger Beschäftigung
kombiniert werden",
fasst deshalb BÄCKER seine
Kritik an kurzsichtigen Analysen des demografischen Wandels
zusammen. Er weist darauf hin, dass in den
Rentenversicherungsberichten der Vergangenheit die Anzahl der
Beitragszahler für die voraus liegenden Jahren unterschätzt wurde.
|
Anzahl
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Jahr
2016 |
Prognose |
Tatsächliche Anzahl |
Differenz |
Rentenversicherungsbericht 2005 |
26,4
Millionen |
29,5
Millionen |
3,1 Millionen |
Rentenversicherungsbericht 2010 |
27,4
Millionen |
29,5
Millionen |
2,1 Millionen |
Die Belastungen der
Beitragszahler wie sie z.B. im Gesamtkonzept zur Alterssicherung
von Andrea NAHLES für das Jahr 2045 angenommen werden, sind aus
mehrerlei Gründen unproblematisch:
1) Sie erstrecken sich über den langen Zeitraum von 28 Jahren, in
denen es zu weiteren Reallohnsteigerungen kommen wird
2) Von überhöhten Arbeitskosten aufgrund der Lohnnebenkosten kann
nur gesprochen werden, wenn sie weit über der
Produktivitätsentwicklung liegen
3) Weitere Reformmaßnahmen können die Belastungen verringern,
indem die Finanzierung breiter als bisher verteilt wird
4) Gesamtgesellschaftliche Aufgaben sollten nicht - wie bisher bei
Mütterrente und Ostrentenangleichung - von den Beitragszahlern
geschultert werden müssen.
Die kapitalgedeckte
Altersvorsorge ist gemäß BÄCKER keine Lösung, weil sie genauso
betroffen ist.
Gegen eine weitere Erhöhung des
Renteneintrittsalter über 67 Jahre hinaus, spricht die
Polarisierung im Alter hinsichtlich der Arbeitsbiografie, der
Lebenserwartung und Mortalität.
Eine Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung wird als äußerst
problematisch betrachtet, nicht nur aufgrund der
postdemokratischen Tendenzen zur Technokratie ("Entmachtung von
Politik und Parlament"), sondern auch, weil dadurch
Reaktionsmöglichkeit aufgrund unvorhersehbarer Brüche in der
zukünftigen Entwicklung von Arbeitsmarkt und Finanzierung
beschnitten werden.
Zuletzt weist BÄCKER auf die
Rechentricks der Befürworter einer Kopplung hin, die das
Rentenniveau dadurch schönreden. Wohlwollend lässt sich das als
"Fehlinterpretation" beschreiben. Es könnte sich aber auch um eine
"gezielte Irreführung" handeln, wenn mit einem "dynamisierten
Standardrentner" die Verschlechterungen in der gesetzlichen
Rentenversicherung vertuscht werden. Kritisiert werden die
Berechnungen von Susanna KOCHSKÄMPER (IW Köln), der Monatsbericht
der Bundesbank vom August 2016 und das Jahresgutachten des
Sachverständigenrats, bei dem Axel BÖRSCH-SUPAN die treibende
Kraft ist.
Um die Wirkungen einer Kopplung
sichtbar zu machen rechnet BÄCKER mit gleichbleibenden
Beitragsjahren und unterschiedlichen Rentenniveaus
(Standardrente, 70 % und 50 % der Standardrente) jeweils für das
Ausgangsjahr 2009 und die Jahre 2030 und 2045. Das Ergebnis:
"Der zu erwartende Rückgang
des Rentenniveaus ist dabei so groß, dass selbst eine
Verlängerung der Versicherungsdauer um drei Jahre
Niedrigverdienenden nicht hilft, über die
Grundsicherungsschwelle zu kommen. Bei einem Rentenniveau von
41,7 % im Jahr 2045 sind bei einer Entgeltposition von 50 %
zusätzliche 8,7 Jahre gegenüber dem Stand von 2015 erforderlich,
um eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus zu erreichen.
Bei einer Entgeltposition von 70 % errechnen sich zusätzliche
6,2 Jahre und bei einer Entgeltposition von 80 % sind es 5,4
Jahre."
Auf die
Rechentricks von Axel BÖRSCH-SUPAN und anderen Verfechtern
einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung
wurde auf dieser Website bereits letztes Jahr hingewiesen.
SIEMS, Dorothea
(2017): Rentner, Geld und die Gerechtigkeit.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut
Prognos hat die Folgen der SPD-Pläne bis 2040 durchgerechnet. Und
warnt vor Ungleichheiten,
in:
Welt v. 01.07.
Auf der Titelseite prangt die Schlagzeile
SPD-Rentenplan kostet bis 2040 rund 650 Milliarden Euro. Das
hat angeblich die Prognos AG in einem Prognos-Rentencheck exklusiv
für die Welt ausgerechnet.
Man meint offenbar uns leicht einschüchtern zu können mit angeblich
großen Horrorzahlen, die
sich schnell ändern, weil die Demografie nicht entscheidend ist. Das
lässt sich z.B. an einem
Vergleich unterschiedlicher Prognosstudien
zeigen, die innerhalb eines einzigen Jahres veröffentlich wurden.
Aus der Tabelle sind drei Studien ersichtlich, denn die Welt
verschweigt uns die Annahmen der Schätzungen, die erst vor dem
Hintergrund der anderen Studien ein umfassendes Bild des
Jahres 2040 ergeben:
|
Rentenperspektive 2040
(10/2016, Tabelle S.13) |
Alterssicherung in Deutschland seit der Jahrtausendwende
(11/2016, Tabelle S.8) |
Zukunft der Gesetzlichen Rentenversicherung
(01/2017, Tabelle S.19, 31) |
Welt-
Artikel |
|
2015 |
2040 |
2015 |
2040 |
2015 |
2040 |
2040 |
BIP (Mrd. Euro) |
2.770 |
3.770 |
|
|
|
|
|
BIP pro Kopf (Euro |
34.300 |
47.700 |
|
|
|
|
|
Ausgaben GRV (Mrd.
Euro) |
275,5 |
669,4 |
243,2 |
450,0 |
243,2 |
|
|
Bruttomonatslöhne
(Euro) |
2.730 |
6.510 |
|
|
|
|
|
Rentenbeitragssatz (%) |
18,7 |
24,0 |
18,7 |
23,8 |
18,7 |
23,0 |
|
Bruttostandardrente
(West, Euro/Monat) |
1.310 |
2.740 |
|
|
|
|
|
Bruttorentenniveau (%) |
44,2 |
38,7 |
|
|
|
|
|
Nettorentenniveau vor
Steuern (%) |
|
|
48,1 |
41,9 |
48,1 |
42,1 |
41,9 |
Bevölkerung (Mio.) |
81,3 |
78,9 |
81,4 |
78,9 |
81,4 |
|
|
RentnerInnen (Mio) |
|
|
20,8 |
26,1 |
|
|
|
Erwerbstätige (Mio.) |
42,4 |
38,9 |
|
|
43,2 |
|
|
sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte (Mio.) |
|
|
31,1 |
28,3 |
31,1 |
28,4 |
|
Erwerbslosenquote (%) |
5,1 |
3,5 |
|
|
|
|
|
Da die Studien unterschiedliche Ziele hatten und unterschiedliche
Zeiträume betrachteten, ergeben sich Datenlücken. Andererseits zeigt
sich, dass bei den
Ausgaben zur GRV
für das Jahr 2015 mit Zahlen operiert wurden, die 32,3 Milliarden
auseinander liegen. Dies führt im Jahr 2040 zu einer Differenz von
219,4 Milliarden Euro.
Abweichungen in den Annahmen wachsen sich also über lange Zeiträume
schnell zu gravierenden Fehleinschätzungen aus.
Auch die Zahlen zur
Anzahl der Erwerbstätigen
weichen für das Jahr 2015 um 0,8 Millionen ab.
Die Mehrausgaben von 650 Mrd. Euro
sind minimal, wenn man sie vor dem Hintergrund der
Steigerung des BIP bis 2040 um 1 Billion Euro
betrachtet. Selbst der
Wohlstand (BIP pro Kop) wächst bis 2040 rasant.
Die Welt ist so feige, die Zahlen pro Jahr nicht zu nennen,
was seriös wäre. Einziger Anhaltspunkt: Es wird jeweils die
Differenz zwischen Nettorentenniveau vor Steuern (41,9 %) und dem
stabil gehaltenen Rentenniveau von 48 % berechnet. Für das Jahr 2040
wären das 6,1 %. Sollte das Rentenniveau jedoch aufgrund positiverer
Entwicklungen höher liegen, dann verringern sich die Ausgaben
entsprechend. In der Prognos-Prognose 11/2016 heißt es:
"Bis zum Jahr 2020 wird das
Sicherungsniveau auf 48,2 Prozent langsam absinken. Anschließend
wird sich diese Dynamik beschleunigen, sodass für das Jahr 2030
mit einem Sicherungsniveau von 44,3 Prozent zu rechnen ist. Auch
hier können die für die Jahre 2020 und 2030 gesteckten
Mindestsicherungsziele somit voraussichtlich eingehalten werden.
Im Jahr 2034 wird das Sicherungsniveau die Mindestgrenze von 43
Prozent schließlich unterschreiten und bis zum Jahr 2040 auf 41,9
Prozent absinken" (2016, S.11)
Die Entwicklung des
Nettorentenniveau vor Steuern wird vom Bundesarbeitsministerium im
Gesamtkonzept zur Alterssicherung zwischen 2030 und 2040
folgendermaßen beziffert, woraus abgeleitet sich folgende
Differenzen zur Stabilisierung bei 48 Prozent ergeben:
|
2030 |
2031 |
2032 |
2033 |
2034 |
2035 |
2036 |
2037 |
2038 |
2039 |
2040 |
Nettorentenniveau
vor Steuern in Prozent
(geltendes Recht) |
44,5 |
44,1 |
43,7 |
43,3 |
43,0 |
42,7 |
42,4 |
42,3 |
42,1 |
42,0 |
42,0 |
Differenz
zur Stabilisierung
bei 48 Prozent (%) |
3,5 |
3,9 |
4,3 |
4,7 |
5,0 |
5,3 |
5,6 |
5,7 |
5,9 |
6,0 |
6,0 |
Die Zahlen der Prognos AG dürften
aufgrund der obigen Beschreibung vom November 2016 ähnlich lauten.
Die Kosten nach 2030 verlaufen exponentiell zitiert die Welt,
was vom Leser ganz anders interpretiert werden dürfte als das, was
es tatsächlich bedeutet: nicht etwa eine anfangs langsam, dann aber
immer schneller nach oben verlaufende Kurve, sondern umgekehrt eine
immer langsamer nach oben verlaufende Kurve. Da die Welt keine
Zahlen liefert, entstehen im Kopf des Lesers schnell
Horrorvorstellungen - was ja offensichtlich auch beabsichtigt ist.
Fazit: Die Welt liefert
wieder eine Glanzstück unseriöser Berichterstattung!
RÜRUP, Bert (2017): Der Staat
steht in der Pflicht.
Chefökonom: Das staatliche
Rentensystem muss Armut verhindern,
in: Handelsblatt
v. 10.07.
Bert RÜRUP befindet sich im Wahlkampfmodus und da
fressen Wölfe bekanntlich auch mal Kreide. Da kostet es nichts, wenn
man sich für die Armen einsetzt, denn schließlich wird das sowieso
nicht umgesetzt werden. Anlässlich einer Studie der neoliberalen
Bertelsmannstiftung versucht RÜRUP bei der Altersarmut abzuwiegeln:
"heute beziehen 3,1 Prozent der
fast 18 Millionen Älteren Leistungen aus der Grundsicherung im
Alter. Unterstellt man zusätzlich eine versteckte Armut, sind 5,5
Prozent realistisch. Laut Prognose steigt diese Quote bis 2036 auf
7,1 Prozent - in Westdeutschland von 5,6 auf 6,1 Prozent und in
den neuen Ländern von 5,1 auf 11,3 Prozent "
Mit versteckter Armut
argumentieren Neoliberale wie Bert RÜRUP nicht - höchstens es dient
der Abwieglung, denn eine Steigerung von 3,1 auf 6,1 oder gar 11,3
Prozent, sieht äußerst unvorteilhaft aus, weshalb der Rückgriff auf
die verdeckte Armut das Bild in schöneren Farben malt.
"Wer wirklich gegen Altersarmut
angehen möchte, der muss an ganz anderer Stelle ansetzen - am
Äquivalenzprinzip",
wendet RÜRUP gegen eine
Stabilisierung des Rentenniveaus ein, um dann anzufügen:
"Ein Ausbau der privaten oder
betrieblichen Altersvorsorge ist notwendig. (...) Eine freiwillige
Zusatzversorgung ist aber nicht geeignet, Armut zu verhindern.
Dies ist Aufgabe des staatlichen Systems."
Das könnte man auch dahingehend
verstehen, dass eine Pflicht zur kapitalgedeckten Altersvorsorge
notwendig sei. Eine Solidarrente ist für RÜRUP jedenfalls keine
Antwort auf die steigenden Altersrisiken:
"Hiergegen hilft nur eine
Doppelstrategie aus einer präventiven Bildungs- und
Arbeitsmarktpolitik und einer armutsfestereren Rente (...) und das
wird ohne eine Umverteilung von Reich zu Arm in der gesetzlichen
Rentenversicherung nicht möglich sein".
Das liest sich gut, aber der
Teufel steckt bekanntlich im Detail: denn was heißt Umverteilung von
Reich zu Arm, wenn bei der Rentenversicherung die Reichen durch die
Beitragsbemessungsgrenze außen vor bleiben? Und was nützt Bildung,
die keine hinreichende, sondern nur eine notwendige Voraussetzung
ist? Wird hier nicht nur Augenwischerei betrieben? Vor allem, wenn
im gleichen Atemzug gefordert wird, Lehrer schlechter zu bezahlen
wie GREIVE heute nahe legt?
SCHWENN,
Kerstin
(2017): Rentner-Wahlkampf.
Kommentar: Ein höheres Rentenniveau
hilft den Armutsbedrohten in keiner Weise,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.07.
THELEN, Peter
(2017): "Das Rentenniveau muss angehoben werden".
Hans-Jürgen Urban: Auf über eine
Billion Euro werden die Sozialsausgaben bis 2021 steigen. Für die IG
Metall ist das kein Grund, den Spargang einzulegen,
in:
Handelsblatt v. 01.08.
PICHLER,
Roland (2017): Die große Unbekannte: das Rentenniveau.
StZ-Serie zur Wahl: Wie soll das
Land künftig aussehen? Heute: Mit welcher Rente können wir rechnen?
in:
Stuttgarter Zeitung v. 23.08.
Roland PICHLER vertritt die stramm
neoliberale Linie, d.h. die gesetzliche Rente ist zu schwächen und
stattdessen soll die private Altersvorsorge (genannt wird nur die
Riester-Rente) die Lücke füllen. Dazu wird uns die neoliberale Sicht
auf das Rentenniveau vermittelt.
BLANK, Florian (2017): Das Rentenniveau in der Diskussion,
in: Policy Brief
WSI Nr.13 v. 24.08.
"Die Stabilisierung oder
Anhebung des Rentenniveaus ist kein Instrument zur
Bekämpfung von Altersarmut. Dennoch wird Altersarmut durch
solch eine Maßnahme reduziert und bildet damit die Grundlage
einer zielgenauen Unterstützung von Risikogruppen" (S.2),
heißt es bei
Florian BLANK vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung.
Arbeitgebernahe Lobbyisten unterstellen dagegen den
Gewerkschaften, dass diese allein mit der Stabilisierung des
Rentenniveaus die Altersarmut bekämpfen wollen. Stattdessen
zielt die Maßnahme auf etwas anderes ab:
"Eine Stabilisierung oder
Anhebung des Rentenniveaus ist dringend geboten, um für alle
Einkommensgruppen die Lohnersatzfunktion der Renten und
damit die Legitimität der Rentenversicherung
sicherzustellen." (S.2)
Angesichts der desolaten
Lage der kapitalgedeckten Altersvorsorge, die ihre Aufgabe
aufgrund des herrschenden Finanzkapitalismus nicht erfüllen
kann, ist die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung die
einzige sinnvolle Alternative für Schlechterverdienende, die
sich eine Auslieferung an die Kapitalmärkte nicht leisten
können.
NEUES DEUTSCHLAND-Politikthema:
Bundestagswahl.
Das
Rentenniveau sinkt, das Renteneintrittsalter steigt, durch
Niedriglöhne und Teilzeit droht vielen Menschen Altersarmut. Trotz
der vielfältigen Probleme spielt das Thema im Bundstagswahlkampf
nur bei einem kleinen Teil der Parteien überhaupt eine Rolle
|
LASCH, Hendrik (2017): Niedriglohn verdirbt die Rente.
Der DGB Sachsen-Anhalt warnt in
einer Studie vor gravierender Altersarmut,
in:
Neues Deutschland v. 24.08.
BUNZENTHAL, Roland (2017): Linke Parteien für Bürgerversicherung.
SPD, Grüne und Linke wollen die
gesetzliche Rente mit Steuermitteln stärken. CDU und FDP hingegen
könnten in einer gemeinsamen Koalition das Eintrittsalter erhöhen,
in:
Neues Deutschland v. 24.08.
SIGMUND,
Thomas/SPECHT, Frank/THELEN, Peter (2017): "Vollbeschäftigung fällt
nicht vom Himmel".
Die Arbeitsministerin über neue
soziale Wohltaten, den Einlull-Wahlkampf der CDU und ihren Streit ums
Geld mit dem Finanzminister,
in: Handelsblatt
v. 24.08.
Andrea NAHLES erklärt im Interview,
dass es mit der SPD keinen Koalitionsvertrag geben wird, ohne eine
Stabilisierung des Rentenniveaus. Auch wird es keine Erhöhung des
Renteneintrittsalters geben. Man wird NAHLES beim Wort nehmen, falls
die SPD an der Regierung bleibt. Das gilt sowieso nur für die nächste
Legislaturperiode - danach muss sich die SPD nicht mehr gebunden
fühlen!
BROSIG, Magnus (2017):
Mindestsicherung im Alter: Gute Absicht, böse Folgen,
in:
arbeitnehmerkammer.de
v. 25.08.
In den neoliberalen
Mainstreamzeitungen wird die Debatte um die Stärkung der gesetzlichen
Rente, bei der die Stabilisierung des Rentenniveaus im Zentrum steht,
seit geraumer Zeit auf die Armutsbekämpfung reduziert. Die
Arbeitnehmervertreter haben dem zu lange tatenlos zugesehen oder gar
selber ins gleiche Horn geblasen. Seit einiger Zeit zeichnet sich
jedoch ein Wandel der Argumentation ab, der überfällig ist. Magnus
BROSIG schreibt deshalb zu Recht zu den Folgen dieser einseitigen
öffentlichen Debatte:
"Die Debatte über Leistungsziele
und Reformbedarfe im deutschen Alterssicherungssystem ist seit einigen
Jahren recht einseitig auf Armutsvermeidung fokussiert und lässt das
eigentlich zentrale Ziel weitgehend außer Acht, im Ruhestand einen
annähernd lebensstandardsichernden Lohnersatz zu gewährleisten.
Vielfach wird in diesem Sinne für einen Ausbau der Mindestsicherung im
Alter plädiert, der aber insbesondere bei einem weiteren Rückgang des
Rentenniveaus fatale Folgen hätte: Mindestleistungen mit bestenfalls
geringen Zugangshürden und lohnbezogene gesetzliche Renten würden sich
noch stärker aufeinander zubewegen, sodass schließlich selbst
jahrzehntelange substanzielle Beitragszahlungen kaum noch lohnenswert
wären und faktisch zu einer weiteren Steuer mutieren würden. Ein
solches Szenario dürfte allerdings keine allgemeine Akzeptanz finden
und wäre wohl Wegbereiter für eine steuerfinanzierte Grundrente auf
vergleichsweise niedrigem Niveau. Eigentlich wohlmeinende
Reformvorschläge für einen besseren Schutz vor Altersarmut laufen
damit Gefahr, einer Reduktion der sozialstaatlichen Leistungsfähigkeit
das Wort zu reden – auf jahrzehntelang bewährte
Lebensstandardsicherung würde bloße Armutsvermeidung folgen."
Diese Wende könnte für den jetzigen
Rentenwahlkampf jedoch zu spät kommen, denn das neoliberale Mantra,
das über Monate aus den Mainstreammedien geschallt ist, lässt sich
kaum noch im Endspurt revidieren. Man muss das als fatalen
Strategiefehler derjenigen sehen, die eine Stärkung der gesetzlichen
Rente verfechtet haben.
BILD-Titelgeschichte:
Neue Renten-Pläne.
Welcher Jahrgang bekäme am meisten? Die große Tabelle!
|
Obwohl die Prognos-Auftragsstudie
Generationengerechte Rentenpolitik? Gewinner und Verlierer
aktueller Reformvorschläge der neoliberalen Lobbyorganisation
INSM erst am Mittwoch vorgestellt wird, hat die Bildzeitung
bereits die Ergebnisse präsentiert und die Nachrichtenagentur dts
ebenfalls
Ergebnisse in Umlauf gebracht.
Die neoliberale Kampagne richtet
sich zum einen gegen die Mütterrente der CSU und zum anderen gegen
die Stabilisierung des Rentenniveaus der SPD. Dem Leser wird durch
solche Vorabinformationen in der Öffentlichkeit die Möglichkeit
genommen, die Annahmen zu überprüfen, denn diese sind
entscheidend, wenn es um angebliche Gewinner- und
Verlierergenerationen geht. Die Mütterrente spaltet z.B. nicht nur
Generationen, sondern auch Kinderlose und Eltern, was bei den
Vorabinformationen unberücksichtigt bleibt.
PETER,
Tobias (2017): Königsweg bei der Rente gesucht.
FR-Serie
zur Bundestagwahl:
Demografischer Wandel und
Lücken in vielen Erwerbsbiografien stellen das Umlagesystem vor
große Probleme,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 29.08.
Tobias PETER hält uns für so
dämlich, dass wir nicht wissen, was es mit dem Rentenniveau
auf sich hat. Uns wird jedoch nur erklärt, dass wir falsch
liegen, aber nicht, was die Entwicklung des Rentenniveaus
bedeutet. PETER suggeriert, dass das Rentenniveau keinerlei
Bedeutung für unsere gesetzliche Rente hätte. Nichts ist
falscher als das, denn es ist ein Indikator, der zeigt wie
sich das Verhältnis von Löhnen und Renten in Zukunft
auseinander entwickelt bzw. wie es sich in der Vergangenheit
bereits auseinander entwickelt hat. Jene Faktoren, die das
Rentenniveau bestimmen, sind auch für die Höhe der eigenen
Rente entscheidend. Wenn das Rentenniveau sinkt, dann bedeutet
dies, dass jeder neue Rentenjahrgang bei gleicher
Einkommenshöhe weniger Rente erhält als der Vorgängerjahrgang.
Dies ist eine politische Entscheidung und keine notwendige
Entwicklung des demografischen Wandels wie das Neoliberale
erzählen.
PETER will die Debatte um
die gesetzliche Rente auf die Bekämpfung der Altersarmut
reduzieren, weshalb er die Auftragsstudie der neoliberalen
Privatstiftung Bertelsmann zur drohenden Altersarmut
vom Juni zitiert.
Wer
so argumentiert, der will die gesetzliche Rente zur
Fürsorgeeinrichtung herabwürdigen. Die Stärkung der
gesetzlichen Rente ist notwendig, weil die private
Altersvorsorge ungeeignet ist, die Lücken zu schließen, die
die Reformen seit Anfang des Jahrtausends ins Netz der
Alterssicherung gerissen haben.
CREUTZBURG, Dietrich (2017): Für die Jüngeren wird die
Rentenpolitik teuer.
Wer schon Mitte 50 ist, dem
stellen die Pläne aller Parteien mehr Geld in Aussicht. Die
jüngeren Generationen zahlen drauf,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 29.08.
Auch die FAZ
berichtet vorab über eine INSM-Studie, über die die
Bildzeitung bereits gestern berichtete:
"Die Zahlen, welche die
Initiative am Montag zunächst über die »Bild«-Zeitung
verbreitet hatte, geben jeweils Gesamtbeträge für die
verbleibende Lebenszeit von Durchschnittsversicherten an",
erläutert Dietrich
CREUTZBURG dazu. Seriös ist das nicht, weil sich die
Lebenserwartung und die Einkommensklassen innerhalb eines
Geburtsjahrgangs so sehr unterscheiden, dass dadurch
Generationenunterschiede überlagert werden. Ein
Geringverdiener des Jahrgangs 1953 kann dadurch stärker
benachteiligt sein als ein Spitzenverdiener des Jahrgangs
1993. Bei der Mütterrente müssten zudem kinderlose Frauen und
Mütter mit ein oder mehr Kindern unterschieden werden.
Fazit: Die Debatte um die
Generationengerechtigkeit soll davon ablenken, dass es in
jeder Generation Gewinner und Verlierer gibt. Der
Durchschnittsversicherte ist in der polarisierten Gesellschaft
eine Illusion.
EHRENTRAUT, Oliver & Stefan MOOG (2017): Generationengerechte
Rente?.
Gewinner und Verlierer
aktueller Rentenvorschläge,
in:
insm.de v. 30.08.
Das Prognos-Institut hat
die Gewinne und Verluste nur bis zum Jahr 2045 gerechnet,
während die Bild-Zeitung die
höchsten Verluste bei der Alterssicherung beim Geburtsjahrgang
2015 sieht.
Da die Berechnungen nur bis
2045 gehen, in dem der Geburtsjahrgang 2015 erst 30 Jahre alt
ist, bleiben dessen Rentenhöhe und damit die eine Seite der
Bilanz unberücksichtigt. Oder anders formuliert: Für die
jüngeren Geburtsjahrgänge werden tendenziell nur die
Beitragslasten berücksichtigt, während die Rentenleistungen
unter den Tisch fallen.
"Als heutige Generation
betrachten wir die Geburtsjahrgänge 1915 und früher (heute
100-Jährige und älter) bis 2015 (heute
0-Jährige/Neugeborene). Zur Bestimmung der Netto-Zahllasten
in den einzelnen Szenarien werden für jeden Geburtsjahrgang
die zukünftig zu leistenden durchschnittlichen Zahlungen an
die GRV sowie die im Gegenzug empfangenen durchschnittlichen
Leistungen ermittelt" (2017, S.13),
heißt es dazu in der
Studie. Der Pferdefuß bei der Sache, offenbart jedoch die
Fußnote:
"Die zukünftig noch zu
leistenden Zahlungen bzw. noch zu empfangenden Leistungen
umfassen für jeden Jahrgang jeweils den gesamten
verbleibenden Lebenszyklus. In der Vergangenheit liegende
Zahlungen werden bei dieser Betrachtung nicht
berücksichtigt" (2017, Fn14 S.13)
Oder anders formuliert: Die
Beitragszahlungen der älteren Geburtsjahrgänge werden in der
Bilanz einfach wegdefiniert. Eine seriöse Generationenbilanz
hätte alle Beitragszahlungen und Leistungen über die gesamten
Lebensabschnitte der Geburtsjahrgänge zu betrachten, statt nur
jene zwischen 2015 und 2045.
Die Berechnungen enden
zudem merkwürdigerweise genau zu jenem Zeitpunkt, wo der
Altenquotient nach der
Variante 2-A der Bevölkerungsvorausberechnung sinkt, d.h.
ein Wendepunkt der Be- und Entlastungen in der
Rentenversicherung stattfinden würde.
Anders als die FAZ
gestern berichtete, spielt die
Lebenserwartung und damit die Rentenbezugsdauer eines
Geburtsjahrgangs keinerlei Rolle, weil lediglich der Zeitraum
2015 bis 2045 und nicht die Lebensspannen der Geburtsjahrgänge
die Berechnungsgrundlagen sind. 2015 geborene Jungen werden
ca. 78 Jahre alt, Mädchen dagegen 83 Jahre.
Fazit: Wären die Gewinn-
und Verlustbilanzen von PROGNOS seriös, dann müssten die
Berechnungen bis 2083 durchgeführt werden, denn bis dahin
kassiert eine durchschnittlich 2015 geborene Frau
Rentenleistungen. Stattdessen bleiben die Jahre 2045 bis 2083
in den Berechnungen außen vor. Bevölkerungsvorausberechnungen
bis 2083 wären zudem nicht mehr als Kaffeesatzleserei. Die
angeblichen Generationenbilanzen sind also nichts als
Fake-News!
Die Annahmen der Prognos AG
werden in der Studie insgesamt nur rudimentär dargestellt,
sodass deren Ausblendungen nur teilweise sichtbar werden. Für
den Leser ist es deshalb nicht möglich z.B. die Umlegung der
Kosten und Leistungen auf die einzelnen Geburtsjahrgänge
nachzuprüfen. Auch das ist nicht wissenschaftlich seriös,
sondern die Konsequenz, dass mit den Berechnungen ein
Unternehmen beauftragt wurde, das in Marktkonkurrenz zu
anderen Privatinstituten steht und deshalb zentrale Annahmen
geheim gehalten werden.
Ein
Vergleich der Rentenausgaben mit früheren Prognos-Studien
zeigt zudem weitere Unplausibilitäten. Für 2015 rechnet die
jetzige Studie mit Rentenausgaben von 277,2 Mrd. Euro (vgl.
2017, S.4)). Das liegt um 32 Mrd. Euro über einer Studie vom
Januar 2017 und selbst noch fast 2 Mrd. über eine Studie vom
Oktober 2016. Auch bei den Status Quo-Szenarien für das Jahr
2040 ergeben sich gravierende Unterschiede: Während bei der
jetzigen Studie von 472 Mrd. Euro ausgegangen wird (vgl. 2017,
S.8), lagen frühere Berechnungen zwischen 450 Mrd. und 669
Mrd. Euro. Selbst innerhalb der Studie widersprechen sich die
Zahlenangaben. So werden einmal 524 Mrd. Euro für das Jahr
2045 angegeben (vgl. 2017, S.4), dann wieder 515 Mrd. Euro
(vgl. 2017, S.8). Allein diese Vergleichszahlen zeigen, dass
die Berechnung von Gewinnern und Verlierern eine gewisse
Willkür der jeweiligen Annahmen unterliegt.
BLANK,
Florian
(2017): Und sie bewegt sich doch.
Anmerkungen zur aktuellen
rentenpolitischen Debatte,
in:
WSI-Mitteilungen Nr.6,
September
Florian BLANK sieht im
Rentenniveau eine zentrale Stellschraube der Rentenpolitik:
"Eine Veränderung des
Rentenniveaus betrifft alle Renten, Altersrenten und
Erwerbsminderungsrenten, ebenso wie die Ansprüche der
Beitragszahler. (...).
Die Verschiebung des Debattenfokus auf das Rentenniveau ist
von größter Bedeutung. (...). Es würde (...) eine zentrale
Entscheidung rückgängig gemacht werden, nämlich die
Abkopplung der Renten von der Lohnentwicklung."
Dabei ist das Verhältnis
der Rentenniveauentwicklung zu Rentenentwicklung und zur
Lohnentwicklung durchaus komplex:
"Ein steigendes
Rentenniveau muss (...) nicht unter allen Umständen
steigende Renten abbilden. So ergibt sich bspw. auch bei
sinkendem Durchschnittsentgelt und zugleich stabilen Renten
ein steigendes Rentenniveau. Das war im Zuge der
Wirtschafts- und Finanzkrise der Fall. (...). Da es um das
Verhältnis der Nettorenten zu den Nettolöhnen geht, kann
eine Anhebung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung oder
zur Rentenversicherung zu einem steigenden Niveau beitragen
- ohne dass die Niveausteigerung gleichzeitig in eine
Steigerung der Renten zu übersetzen ist. Und wenn höhere
Renten zu höheren Beiträgen führen, wird das Niveau sogar
aufgrund von Entwicklungen in Zähler und Nenner positiv
beeinflusst."
ECKERT, Daniel (2017): Eine Formel soll die Rente retten.
Forscher schlägt vor,
Altersbezüge künftig nur noch mit der Inflation steigen zu
lassen,
in:
Welt v. 09.09.
Neoliberale sind immer auf
der Suche danach, die gesetzliche Rente noch stärker zu
schwächen - vor allem, weil bei diesem Thema die
Aufmerksamkeit der Medien gesichert ist. Und je mickriger ein
Institut, desto mehr ist es auf Medienaufmerksamkeit
angewiesen.
Die Welt ist nun auf
das 9-seitige PR-Pamphlet von Oliver HOLTEMÖLLER ("Zur
Stabilisierung von Rentenniveau und
Rentenversicherungsbeitrag") angesprungen, in dem die
Autoren erklären wie sie sich die Schwächung der gesetzlichen
Rente vorstellen: Statt einer Kopplung an die Lohnentwicklung
soll eine Kopplung an die Inflation zur Kostensenkung
beitragen. Damit würden die Renten ganz von der
Produktivitätsentwicklung abgekoppelt werden und stattdessen
nur noch ein Inflationsausgleich gezahlt werden müssen.
Die außergewöhnlich hohen
Rentenanpassung der letzten beiden Jahre werden zum Anlass
genommen, um die "neue" Rentenformel zu propagieren:
"In beiden Jahren lag die
Anpassung deutlich über der Inflation.
In dem System mit Inflationsbindung hätte der Anstieg im
vergangenen Jahr 0,5 Prozent betragen, in diesem Jahr
vermutlich 1,7 Prozent".
Es ist offensichtlich, dass
dieser PR-Gag nur funktioniert, wenn gerade keine Nullrunden
bei der Rente angesagt sind! Aber was tut man als mickriges
Institut nicht alles, um in die Medien zu kommen!
BUNTENBACH, Annelie (2017):
Für ein Alter in Würde.
Das Rentenniveau muss auf 50
Prozent steigen. Mit einem politischen Kurswechsel ist das zu
schaffen,
in:
Süddeutsche
Zeitung v. 18.09.
STAIGER, Martin (2017): "Die Durchschnittsrente liegt im Westen
bei gut 1375 Euro".
Phrasendrescher:
CDU-Politiker Karl-Josef Laumann sagt, in der Debatte über
Altersarmut würden Probleme herbeigeredet. Immerhin betrage die
"Durchschnittsrente" im Westen "gut 1375 Euro" und im Osten "gut
1300 Euro". Stimmt das?
in:
Frankfurter Rundschau
v. 20.09.
Martin STAIGER überprüft
eine Aussage des CDU-Politikers Karl-Josef LAUMANN in der
Sendung Illner intensiv. Die FR macht damit
Werbung für die Website
journalistico.com von FR-Autor Daniel BAUMANN.
Solche Faktenchecks sollen so genannte Fake-News entlarven,
sind jedoch hochproblematisch, weil meist keine Fakten
überprüft werden, sondern normative Begriffe in Kennzahlen
bzw. ganz spezielle Aussagen übersetzt werden, um sie dann als
richtig oder falsch zu bewerten.
Ist z.B. der Begriff
"Gerechtigkeit" ein Faktum? Jedenfalls wird er von BAUMANN so
behandelt, denn sonst würde es sich ja nicht um einen
Faktencheck handeln! Unter Gerechtigkeit kann jedoch ziemlich
viel verstanden werden - sogar vollkommen Widersprüchliches.
Welchen Sinn macht es also die Meinung, dass es in Deutschland
ungerecht zugehe, zu überprüfen? Man müsste dann zuerst einmal
klären, welche Umfragen den Begriff mit welchen Fragen in
Verbindung gebracht werden. Die Mehrheit kann sehr wohl der
Meinung sein, dass es in Deutschland ungerecht zugehe. Ein
Spitzenverdiener kann das Steuersystem ungerecht empfinden,
ein Niedriglöhner die schlechte Bezahlung. Nur wer den Begriff
stark eingrenzt, wird zum Ergebnis kommen, dass die Mehrheit
der Meinung ist, dass es gerecht zugehe. Was aber bringt diese
Art von Faktencheck? Die
Schlussfolgerung von BAUMANN ist dann auch banal:
"Die vorliegenden
Beispiele zeigen, wie sehr Umfrageergebnisse von der
Fragestellung, den Antwortmöglichkeiten und zum Beispiel
auch dem jeweiligen politischen Kontext abhängen. Letztlich
geht es darum, von welcher Umfrage man glaubt, dass sie die
Einstellungen der Menschen am besten erfasst."
BAUMANN meint, dass er der
CDU der "Irreführung" überführen kann. Jemand, der meint, dass
es in Deutschland ungerecht zugehe, der wird den CDU-Slogan
dämlich finden. Andere werden sich dagegen in ihrer Meinung
bestätigt fühlen. Nur mit Faktencheck hat das nichts zu tun.
Dazu müssten ganz konkrete Aussagen überprüft werden, aber
keine dehnbaren Begrifflichkeiten wie "Gerechtigkeit"! Da ist
das Beispiel von STAIGER in der FR (und
hier ausführlicher auf der Website) wesentlich geeigneter,
um falsche Darstellungen zu entlarven.
ÖCHSNER, Thomas (2017): Sieben gute und
sieben schlechte Jahre.
Wie geht's der gesetzlichen
Rente? Die Bundesregierung wagt in einem Bericht den Blick in
die Zukunft. Danach wird das Altersgeld um durchschnittlich gut
zwei Prozent steigen. Doch von 2024 an geht es mit den Beiträgen
abrupt abwärts,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
22.11.
Thomas ÖCHSNER benutzt die
Erfindung eines Zwischenhochs (der Zusatz "demografisch",
der auch gerne benutzt wird, fehlt jedoch), um die weitere
Entwicklung der Renten zu erklären:
"Dem Bericht zufolge gibt
es von 2017 bis 2023 ein Zwischenhoch mit steigenden Renten,
einem stabilen Beitragssatz und stabilem Rentenniveau. Der
Rentenexperte Werner Siepe, der die Zahlen der Regierung
analysiert hat, spricht von »sieben guten Rentenjahren«,
weil der Job-Boom viel Geld in die Rentenkasse spült. 2024
folgt dann ein Übergangsjahr. Danach kommen eher sieben
schlechte Rentenjahre. »Das liegt am Eintritt der Babyboomer
mit den Geburtsjahrgängen 1959 bis 1968 in den Ruhestand.
Die Rentenneuzugänge in diesen Jahren werden deutlich
zunehmen, was zu einem starken Anstieg der Rentenausgaben
führen wird«, schreibt Finanzmathematiker Siepe in seiner
Analyse."
Im
Rentenversicherungsberichten 2017 und 2016 heißt es zur
Bevölkerungsentwicklung:
"Ausgangspunkt für die
Fortschreibung der Rentenausgaben bildet die
Bevölkerungsentwicklung, die der 2017 aktualisierten Version
der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes entspricht. Die Wanderungsannahmen
und die Geburtenrate sind somit an die tatsächliche
Entwicklung am aktuellen Rand angepasst. Die mittlere
fernere Lebenserwartung 65-Jähriger beträgt im Jahr 2030 bei
Männern 19,1 Jahre und bei Frauen 22,5 Jahre. Die
zusammengefasste Geburtenziffer wird langfristig bei 1,5
konstant gehalten. Bezüglich der Außenwanderung wird für die
langfristige Vorausberechnung von einem positiven
Wanderungssaldo in Höhe von 200.000 Personen jährlich
ausgegangen." (2017, S.11)
"Ausgangspunkt für die
Fortschreibung der Rentenausgaben bildet die
Bevölkerungsentwicklung, die sich an der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
orientiert, wobei die aktuellen Bevölkerungsdaten zum
31.12.2015 sowie die tatsächlichen Wanderungssalden der
letzten Jahre berücksichtigt wurden. Auch die Veränderung
der Lebenserwartung wurde am aktuellen Rand angepasst. Im
Vergleich zu heute wird die mittlere fernere Lebenserwartung
von 65-jährigen Frauen bis zum Jahr 2030 um 1,4 Jahre auf
22,5 Jahre ansteigen. Bei Männern wird ein Anstieg von 1,3
Jahren auf dann 19,1 Jahre erwartet. Bezüglich der
Fertilität wird von einer zusammengefassten Geburtenziffer
in Höhe von rund 1,4 ausgegangen. Darüber hinaus wird
langfristig von einer jährlichen Nettozuwanderung von 200
000 Personen jährlich ausgegangen." (2016, S.11)
Die Annahmen unterscheiden
sich lediglich in einer veränderten Geburtenentwicklung (TFR
1,5 statt 1,4), welche keinerlei Auswirkungen auf die
Rentenentwicklung der nächsten Jahre hat. Vergleicht man diese
Annahmen mit dem Rentenversicherungsbericht 2010, dann ergeben
sich erstaunliche Unterschiede bei der
Lebenserwartung:
"Die Berechnungen zur
Bevölkerungsentwicklung basieren auf der 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes.
Die mittlere fernere Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen
wird von heute bis zum Jahr 2030 um gut 2 Jahre auf 22,8
Jahre ansteigen. Bei Männern wird ebenfalls ein Anstieg von
gut 2 Jahren auf dann 19,4 Jahre erwartet. Die
zusammengefasste Geburtenziffer bleibt annahmegemäß
langfristig auf dem gegenwärtigen Niveau von rund 1,4.
Darüber hinaus wird eine jährliche Nettozuwanderung
unterstellt, die bis zum Jahr 2020 auf 200 000 Personen
jährlich aufwächst." (2010, S.12)
2010 wurde im
Rentenversicherungsbericht im Gegensatz zu 2016 und 2017 von
einer höheren Lebenserwartung ausgegangen.
Nimmt man den öffentlichen Diskurs, dann müsste eigentlich
von einer steigenden und nicht von einer sinkenden
Lebenserwartung ausgegangen werden.
Tatsächlich wurde auch die
Lebenserwartung bei Geburt zwischen der 12. und der 13.
aktualisierten Bevölkerungsvorausberechnung von 85,0 (Männer)
auf 84,7 Jahre und bei Frauen von 89,2 auf 88,6 Jahre
reduziert. Oder anders formuliert: Es wird heute von einem
geringeren Anstieg der Lebenserwartung
ausgegangen als noch vor wenigen Jahren prognostiziert wurde.
Dies lässt sich auch anhand einer
Tabelle zur Entwicklung der ferneren Lebenserwartung von
65-Jährigen in Deutschland ablesen. Zwischen 2005 und 2010
betrug der Anstieg der Lebenserwartung noch 0,76 Jahre,
während es zwischen 2010 und 2015 gerade noch 0,2 Jahre waren.
Diese Fakten stehen im Gegensatz zu der Debatte um die
Erhöhung des Renteneintrittsalters, die von den Neoliberalen -
nicht nur in Deutschland - vorangetrieben wird.
Der Begriff "Babyboomer"
findet sich nirgends im Rentenversicherungsbericht. Steigende
Rentnerzahlen drücken sich jedoch im Äquivalenzrentner aus
(Die Ermittlung der Anzahl der Äquivalenzrentner erfolgt durch
Division des Gesamtrentenvolumens durch eine Regelaltersrente
mit 45 Entgeltpunkten). Die nachfolgende Tabelle vergleicht
dessen Entwicklung anhand der Rentenversicherungsberichte
(Abkürzung: RV) 2010 bis 2017 für die Jahre 2015 - 2030:
Jahr |
Entwicklung des
Äquivalenzrentners 2015 - 2030
(in Tausend; gemäß Übersicht B 18 der Rentenver-
sicherungsberichte) |
RV 2010 |
RV 2014 |
RV 2016 |
RV
2017 |
tatsächliche
Entwicklung |
2015 |
15.097 |
15.420 |
|
|
15.389 |
2016 |
15.183 |
15.494 |
15.481 |
|
|
2017 |
15.284 |
15.592 |
15.572 |
15.532 |
|
2018 |
15.409 |
15.721 |
15.699 |
15.615 |
|
2019 |
15.541 |
15.851 |
15.834 |
15.731 |
|
2020 |
15.674 |
15.979 |
15.984 |
15.869 |
|
2021 |
15.816 |
16.130 |
16.151 |
16.030 |
|
2022 |
15.971 |
16.302 |
16.391 |
16.266 |
|
2023 |
16.134 |
16.483 |
16.642 |
16.520 |
|
2024 |
16.308 |
16.680 |
16.845 |
16.738 |
|
2025 |
|
16.885 |
17.049 |
16.968 |
|
2026 |
|
17.093 |
17.295 |
17.211 |
|
2027 |
|
17.309 |
17.565 |
17.463 |
|
2028 |
|
17.528 |
17.812 |
17.714 |
|
2029 |
|
|
18.076 |
17.980 |
|
2030 |
|
|
18.347 |
18.253 |
|
Der Vergleich zeigt, dass
die Entwicklung der Rentnerzahlen wenig aussagekräftig sind,
wenn es um die Rentenentwicklung geht, sondern auch die
Entwicklung der Rentenhöhe eine wichtige Rolle spielt. Bereits
geringe Änderungen bei den Annahmen zur zukünftigen
Entwicklung können zu gravierenden Änderungen bei der
Rentenentwicklung führen - jenseits des demografischen
Wandels.
OECD
(2017):
Pensions reforms have slowed
in OECD countries but need to continue.
Further reforms are needed
across OECD countries to mitigate the impact of population
ageing, increasing inequality among the elderly and the changing
nature of work, according to a new OECD report,
in:
Pressemitteilung der OECD
v. 05.12.
Die neoliberale
Lobbyorganisation OECD hat den jährlichen Bericht
Pensions at a Glance 2017 veröffentlicht. Frank SPECHT
nutzt auf handelsblatt.de die Publikation, um der
Politik die neoliberalen Leviten zu lesen:
Woran es in der Rentenpolitik hapert.
"»Wir wollen das heutige
Rentenniveau sichern und durch einen neuen
Generationenvertrag die Beiträge stabilisieren«, heißt es in
den Leitlinien, die der Bundesvorstand am Montag beschlossen
hat und mit denen die Partei in Sondierungsgespräche mit der
Union gehen will. Außerdem soll, wer ein Leben lang Vollzeit
gearbeitet und Rentenbeiträge gezahlt hat, im Alter nicht
auf staatliche Unterstützung angewiesen sein",
fasst SPECHT die
SPD-Position zusammen.
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